Nicht so förmlich, ja? "Oh, bitte entschuldige, Iulius Centho.", wurde ich nur minimal persönlicher. Denn ein schlichtes "Centho" (so wie er mich einfach "Fausta" genannt hatte) war mir noch immer viel zu vertraulich für jemanden, den ich kaum kannte - egal, ob wir nun im selben Haus wohnten oder nicht. "Ich bin es wohl einfach in meiner guten Erziehung gewohnt, dass man sich den Gebrauch des einfachen Cognomen gegenseitig anbietet, sobald man sich etwas besser kennt. Und es muss mir wohl irgendwie entfallen sein, dir dieses Angebot bereits gemacht zu haben.", lächelte ich bittersüß bei diesem Seitenhieb. Denn dass er sich ungefragt einfach so das Recht herausnahm, mich so vertraut beim Cognomen zu nennen, das fand ich schon ziemlich dreist und frech und ungehobelt. In meinen Augen nämlich spiegelte sich in der gegenseitigen Anrede ja nicht wieder, ob man nun unter einem Dach wohnte oder nicht; es spiegelte sich wieder, in welchem Verhältnis man zueinander stand. Die wenigsten meiner Sklaven durften mich zum Beispiel Fausta nennen, obwohl sie mit mir unter einem Dach lebten. Warum? Weil es meine Entscheidung war, zu wem ich ein engeres Verhältnis haben wollte (und wem ich also meinen Cognomen vielleicht anbot) und zu wem nicht. Ich sprach ihn ja auch nicht einfach übervertraulich mit "Lucius" an, nur weil mir vielleicht mal danach war.
Aber wenigstens verschwand der Sklave anschließend vom Tisch. Denn ich hatte ja kein Problem damit, wenn man sich einen Unfreien als Spielpartner wählte, wenn man keinen anderen fand. Womit ich aber ein Problem hatte, das war, wenn ein Sklave hier im Triclinium wie ein Gleicher unter Gleichen zusammen mit freien römischen Bürgern am Tisch lag! Denn er war nicht gleich. Und er würde auch nie gleich sein, selbst wenn man ihn vielleicht irgendwann freiließ. Und ganz egal, ob man mir das als Standesdünkel auslegte oder nicht (ich selbst nannte das übrigens einfach nur Standesbewusstsein), es war mir wichtig, dass niemand meinen Status einfach angriff (auch wenn das natürlich ein lächerlicher Angriff war), indem er einfach (und vor allem unberechtigt!) so tat, als hätte er den gleichen Status.
Doch jetzt war er ja weg. "Was spielst du? Polis?" Ich hatte solange in Alexandria gelebt, dass ich mich noch immer nicht an den römischen Namen dieses Spiels gewöhnt hatte. Ich warf einen genaueren Blick auf das Brett und zählte in Gedanken die Ausmaße des Spielfelds. Dann schaute ich zurück zum Iulier und wartete darauf, dass er meine Frage bejahte und mir anschließend die Wahl ließ, ob ich lieber mit den weißen oder den schwasrzen Steinen spielen wollte. (Und wäre er ein Gentleman, dann verzichtete er auch auf das Losen am Anfang und überließ einfach mir als Dame den ersten Zug.)