Mit triumphierendem Blick sah ich diesem Stationarius nach, wie er uns beide (und mir kam es nicht ungelegen, dass ich meine Lorbeeren nicht noch mit Diophanes teilen musste) beim Präfekten anmeldete. Endlich! Endlich hatte ich mal die Möglichkeit den Chef des Postwesens von Italia persönlich zu treffen. Und wenn ich so genauer darüber nachdachte, dann war dieser Praefectus Vehiculorum aktuell sogar der höchste Mann des Cursus Publicus überhaupt! Ich meine, Italia stand ja wohl klar über allen andern Provinzen (wie schnell man sich an diese Sichtweise gewöhnte, war ich doch vor nicht allzu langer Zeit in Alexandria noch nicht ganz so drastisch dieser Meinung). Und was war mit dem Prätorianerpräfekten? Richtig, einer saß irgendwo in irgendeinem Loch ein und der andere war noch nicht ernannt, denn ja, ich ging ganz naiv davon aus, dass ein neuer Kaiser wenigstens seine eigenen Reichspräfekten bestimmt selbst mitbrachte und nicht von seinem Vorgänger einfach übernahm.
Aber wo war ich? Richtig, das Gespräch mit dem Postpräfekten. Doch Moment, hatte ich das gerade richtig verstanden? Dieser Stationarius behauptete, dass ich auf seine Anweisung hin die Bücher geprüft hätte?? Meine Augen verengten sich eine kleine Spur. Dieser kleine, glitschige Wurm! ICH hatte Meldung gemacht, dass ICH etwas gefunden hatte! Sein einziger Verdienst war ja wohl das "Na schau lieber nochmal ganz genau und mit einem weiteren Paar Augen (männlichen, weil die weiblichen ja alle einen Knick in der Optik hatten - schon klar!) nach. Vielleicht hast du dich ja auch geirrt." Hatte ich nach meinem Bewerbungsgespräch geglaubt, dass ich mit diesem Typ vielleicht doch irgendwo ein Auskommen finden würde, war ich spätestens jetzt eines Besseren belehrt worden. Mieses, kleines Ungeziefer!
Aber an dem Postpräfekten hatte der Stationarius sich geschnitten - mächtig geschnitten! Meine Lippen umspielte ein kleines, amüsiertes Lächeln, als dieser winselnde Wurm mit einer einfachen Handbewegung zu meinen Gunsten zum Schweigen gebracht wurde. Ich sah schon, dass ich mit dem Praefectus Vehiculorum deutlich besser klarkommen würde! "Sei gegrüßt, mein Präfekt. Es ist mir eine Ehre, dass du mich empfängst.", wennauch nur zusammen mit dieser Fehlbesetzung neben mir. Dann zeigte ich ihm zunächst die beiden Wachstafeln, die auch der Stationarius schon gesehen hatte und erklärte: "Hier, mein Präfekt, kannst du sehen, wie ich auf dieses Problem aufmerksam wurde. Die Gentes Aurelia, Decima, Iulia und Purgitia betreffend sieht man das verzeichnete Wertkartenguthaben im April 861 ab urbe condita in der zweiten Spalte, die im folgenden Mai verschickten Briefe in der nächsten und die vermeintlich daraus resultierenden neuen Wertkartenguthaben in der vierten Spalte. Der Differenzbetrag beläuft sich in Summe bei diesen Familienwertkarten auf 165 Sesterzen."
Dann legte ich die zweite Tafel vor. "Hier nun, mein Präfekt, siehst du die Arbeit, die ich nach Auftrag des ehrenwerten Stationarius hier", deutete ich auf dieses missgünstige Insekt, "ausgeführt habe. Wie man neben den gewöhnlichen Zahlungseingängen für Briefporto sieht, ist in dem betreffenden Monat, auf den sich die erste Wachstafel bezieht, lediglich eine Wertkarte erstanden worden - außerhalb Italias und damit für diesen Fall völlig irrelevant. Um ganz sicher zu sein, habe ich auch den Vormonat und Nachmonat ebenfalls untersucht - mit dem gleichen Ergebnis, dass in diesem gesamten Zeitraum in Italia nicht eine Wertkarte gekauft oder aufgeladen wurde." Ich machte mit meinen Händen eine Geste, dass damit ja nun alles klar wäre.
"Daraus also folgt nun unweigerlich, dass die vier auf der ersten Wachstafel aufgeführten Familienwertkarten einen in Summe 165 Sesterzen zu hohen Restbetrag ausweisen. Das Problem wird dabei in eine ganz andere Dimension gehoben durch eine exakt 2000 Sesterzen zu hoch ausgewiesene Institutionenwertkarte für die Classis Romana. Alle diese Fehler sind im selben Monat entstanden und wurden bis zum heutigen Tag blind Monat für Monat übertragen." Ich musste kämpfen, um nicht noch den Nachsatz anzufügen: bis ICH sie gefunden habe.
Dann machte ich eine kleine Pause, um anzudeuten mit der Beantwortuing der ersten Frage am Ende zu sein. "Was nun kann man tun, um dieses Problem anzugehen? Im Sinne des Cursus Publicus wäre es natürlich am besten, wenn man hieraus keine zu große Sache machen würde, sondern das Ganze etwas diskret nach außen behandelt. Nun bin ich ja noch recht neu hier und weiß daher nicht, wie regelmäßig sich die Besitzer von Wertkarten nach ihren Guthaben explizit erkundigen.... Aber ich glaube, dass man gerade bei den ein- bis zweistelligen Wertkartendifferenzen vielleicht auch keinen großen Aufriss machen müsste, sondern einfach die Zahlen korrigiert. Die Aurelier sind reiche Patrizier, die Decimer sind auch nicht gerade für ihre Armut bekannt und die fünf Sesterzen bei den Iuliern fallen denen bestimmt auch nicht weiter auf.", spekulierte ich ein bisschen und reduzierte das große Problem mit seinen fünf Teilproblemen auf lediglich zwei Teilprobleme.
Dann stellte ich fest: "Es blieben folglich die Classis Romana und die Gens des Consulars Purgitius Macer." Ich überlegte kurz, denn an und für sich war ich nicht näher darauf eingestellt dieses Problem praktisch zu lösen, war ich doch davon ausgegangen, dass der Präfekt mir nach Kenntnisnahme selbst sagte, was ich zu tun hätte. "Das Mindeste, was man in diesen beiden Fällen sicherlich tun könnte, um den Schaden wenigstens zu minimieren, ist aus Kulanz in einem persönlichen Gespräch das Angebot zu machen für einen Teil des Fehlers aufzukommen. Vielleicht ließe sich der Consular Purgitius darauf ein, dass er einfach noch 70 Sesterzen oder so nachzahlt für seinen Aureus zu viel auf der Wertkarte. Alternativ reduziert man das Kartenguthaben nach Absprache auch einfach um 70 Sesterzen, was auch immer er eben bevorzugt. Und für die Classis böte sich vielleicht vor allem letzteres mit einem Betrag von eventuell so um die 500 Sesterzen an.", erklärte ich und hoffte, dass dem Postpräfekten wenigstens irgendwas von meinen Vorschlägen gefiel. Sicher war ich mir jedenfalls, dass es auch in seinem Interesse sein würde, wenn das nicht am Ende noch publik und wahrscheinlich noch schön fett ausgeschlachtet in der neusten Acta-Ausgabe landen würde. Dazu hatte ich auch keine Ahnung, ob nach so langer Zeit (zu Zeiten der massiven Fehler lebte ja sogar noch dieser Valerianus!) nicht vielleicht sogar schon eine Art Gewohnheitsrecht auf Seiten der Wertkartenbesitzer stand, falls jene regelmäßig eine falsche Auskunft erhalten hätten.