Ratlos ließ Beroe ihre Blicke schweifen, in der Hoffnung auf diese Weise eine Antwort auf ihre Frage zu erhalten. Da war eine Unzahl von Händlern mit allerlei Waren aus den entferntesten Provinzen des Imperiums. Der Duft wohlriechender Gewürze und Öle drangen an ihre Nase, feine Stoffe in den unterschiedlichsten Farben, filigrane Handarbeiten, edle Geschmeide und vieles mehr fielen ihr ins Auge. Waren, die im Augenblick unerschwinglich für Beroe waren.
Etwas weiter entfernt wurde die Ware Mensch feil geboten. Der Sklavenhändler, scheinbar ein listiger Fuchs, versuchte mit großem Geschick, feingewählten Floskeln und Gesten seine Ware an den Mann zu bringen. Die armen Gestalten, die dabei vor das johlende Publikum gezerrt wurden taten ihr in der Seele leid. Dann lieber etwas hungern, dachte sie sich und wandte ihren Blick verächtlich ab.
Man müsste selbst etwas verkaufen oder anbieten können, war dann irgendwann ihr Gedanke, der sofort ihren Körper durchströmte und sie zum Tatendrang anstachelte, fast noch bevor sie ihn zu Ende gedacht hatte. Statt höflich nach etwas essbarem zu bitten, könnte sie sich als helfende Hand anbieten und auf diese Art und Weise ehrliches Geld verdienen. Jedoch erhielt ihr Ehrgeiz schon bald einen Dämpfer, als sie einen der Händler genauer beobachtete. Mit welcher Hingabe er seine Kunden von seinen Waren überzeugte. Ein umfangreiches Wissen über sein Angebot und dessen Beschaffenheit sowie die Fähigkeit, mit wohlüberlegten Worten dies auch noch zu kommunizieren, waren dazu nötig. Beroe hatte niemals so etwas wie Bildung genossen. Sie konnte weder lesen noch schreiben. Und mit der Gabe, sich gewählt ausdrücken zu können, war sie auch nicht gesegnet.
Es musste doch aber irgendetwas geben, was sie gut konnte! Je länger sie darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie ja doch eine ganz passable Sklavin gewesen war, die den Herrschaften immer Wein nachfüllen oder sie während der Cena bedienen konnte. Auch in der Küche war sie recht gut zu gebrauchen. Gut, ab und zu waren ihr einige Patzer unterlaufen. Niemand ist wirklich perfekt. Aber ansonsten… ach nein, vom Leben als Sklavin hatte sie mehr als genug!
Leichtniedergeschlagen ob ihrer aktuellen Situation schweiften ihre Gedanken ab und mit etwas Wehmut erinnerte sie sich an frühere Zeiten, in denen sie den Dominus nach Misenum begleitet hatte. Ach ja, die herrliche Stadt am Meer und der Schrei der Möwen, der große Kriegshafen mit seinen unzähligen Schiffen und dann noch das verruchte Viertel in der Hafengegend, welches besonders gerne das Ziel des jungen Dominus gewesen war…
Einige der „leichten“ Mädchen dort waren sogar freie Frauen gewesen, die sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdient hatten. Nun ja, dies war nicht unbedingt die ehrenhafteste Art, sein Geld zu verdienen. Aber wenn man Hunger hatte, konnte man sich den Luxus, wählerisch sein, einfach nicht leisten.
Nach einer Weile, in der sie alles, was noch an Energie in ihr gesteckt hatte und diese mobilisierte, um sich zu überwinden, erhob sie sich und trat beherzt vor den erstbesten Kerl, der einigermaßen danach aussah, als verfüge er über etwas Geld.
„He, was gibst du mir, wenn ich für ´ne Stunde mit dir geh´?“, kam mehr stockend als flüssig aus ihrem Mund heraus. Der Angesprochene war regelrecht erschrocken über so viel Aktionismus und betrachtete sie kurz aber abschätzig. Schließlich räusperte er sich. „Nix, zieh Leine!“
Beroe ließ sich von ihrem ersten Versuch, der gründlich schief gegangen war, nicht aus der Fassung bringen. Vielleicht lag es ja einfach an ihrem Aussehen. Der Staub der Landstraße lag noch dickschichtig auf ihrer Haut. Außerdem war sie verschwitzt und ihre Kleidung konnte man als solche eigentlich nicht mehr bezeichnen. Bevor sie sich nun auf ihr nächstes Opfer stürzte, wollte sie sich zuerst an einen Brunnen etwas frisch machen. Wenn wenigstens ihr hübsches Gesicht etwas sauber war.
Das kalte Wasser tat so gut auf der Haut. Sie benetzte auch ihr Haar, die Arme und ihre Schultern, die von der Sonne ganz braun gebrannt waren. Und obwohl es wohl lebensgefährlich war, nahm sie einen großen Schluck davon. Ah, war das gut bei dieser Hitze!
Ganz erfrischt versuchte sie abermals ihr Glück bei dem nächstbesten Passaten. „Na Süßer! Wie wär´s? Du und ich…“ Ihre Worte kamen nun schon etwas flüssiger über die Lippen. Das Gesicht war aber zu einem eher gezwungenen Lächeln verzogen.