Beiträge von Iunia Sibel

    War das alles noch nicht genug? Es würde schon schwer genug werden, eine Arbeit zu finden, bei der sie genug verdiente, um auch noch Miete, oder besser gesagt Schutzgeld zahlen zu können. Und dann hatte sie ihm doch auch noch ihren Körper angeboten. Nicht nur für dieses eine Mal, sondern für immer, wenn ihm danach war. Was sollte sie ihm denn noch geben? Ihre Freiheit? Dabei gehörte ihr die ja eigentlich gar nicht.
    Im Kopf der Lykieren arbeitete es auf Hochtouren. Drei gute Gründe mussten her. Und wie sie ihn einschätzte, durften diese Gründe keine leeren Versprechungen sein. Aber wie weit konnte sie gehen oder besser gesagt wie weit würde sie gehen, um ihr Leben zu retten? Gerade erst hatte sie doch ihre Ketten der Sklaverei abgeschüttelt und hatte den kurzen Traum von Freiheit geträumt. Freiheit aber wahr wohl nur ein Hirngespinst. Eigentlich gab es keine Freiheit.


    „Ich werde arbeiten!“, versprach sie. „So viel, wie ich nur kann. Du wirst sehen… und wenn es mal nicht genug ist.. dann… dann werde ich dir jeden Wunsch erfüllen und dich verwöhnen.“ Dabei begann sie langsam ihre Schenkel zu öffnen und ihr Becken anzuheben, so dass es wie eine Einladung auf ihn wirken musste. „…wirklich jeden Wunsch!“ Wenn das kein gutes Argument war! Für eine Frau war das doch schon weit über dem hinaus, was sie geben konnte, um ihr Würde zu behalten. Sie war gerade im Begriff, sich wieder selbst die Ketten anzulegen und sich zu versklaven.


    „Du kannst auf meine Verschwiegenheit zählen. Selbst unter der Folter würde ich nichts über dich Preis geben. Ehrlich! Ich habe gelernt, gewisse Dinge für mich zu behalten. Das kann ich gut!“, versuchte sie es weiter.


    „Und ich kann dir nützlich sein. Du kannst immer auf meine Ergebenheit und Loyalität zählen. Immer! Und ich werde dich sicher nicht enttäuschen. Ganz gleich was du von mir verlangst, ich werde es tun.“ Natürlich war sie sich dessen bewusst, dass sie sich sehr weit aus dem Fenster lehnte. Aber besser so, als tot!
    „Aber bitte, tu mir nichts!“ Ihre Stimme erstarb an ihrer Verzweiflung.

    Beroe zitterte vor Angst. Innerlich schloss sie bereits mit ihrem Leben ab. Warum war sie auch nur in dieses Haus gegangen?! Sie hätte doch spüren müssen, dass hier etwas nicht stimmt! Spätestens als sie die Vorräte gefunden hatte, hätte sie wieder gehen sollen. Wäre sie doch nur nicht so müde gewesen. Hätte sie die Wahl gehabt, wäre sie lieber mit dem Prätorianer in die Castra gegangen. Man hätte sie dann zwar auch bestraft, weil sie geflohen war, aber sie hätte dann gewusst, was sie erwartet. Die Verzweiflung begann überhand zu nehmen du drohte sie zu ersticken, so als hätte sie eine unsichtbare Hand an der Kehle gepackt, um sie gnadenlos zuzudrücken.


    Endlich sprach er weiter, ganz langsam und emotionslos. Sie begann auf seine Frage hin zu nicken. Sie war sich sogar ganz sicher, dass er sie töten würde. Und es machte wohl auch keinen Sinn, sich ihm gegenüber zu rechtfertigen. Sie wusste nur zu genau, wohin das führte.
    Umso grausamer war es, als er sie fragte, was er mit ihr tun sollte. Beroes Stimmer versagte anfangs. Es gab einige Gründe, weshalb er sie verschonen konnte.
    „Ich bin neu in der Stadt… und ich habe niemanden, …zudem ich gehen kann. Ich hatte einen furchtbaren Hunger und war so müde…“, begann sie und merkte schnell, dass sie damit wohl kaum ihr Leben retten konnte. „Bitte… ich kann dich für alles entschädigen.. ja wirklich! Ich kann dir... ja, ich kann dir Miete zahlen. Sag nur, wie viel ich zahlen soll. Und außerdem…“ Sie zögerte erst, doch dann bewegte sie ihre Arme von ihrem Körper weg. „... kann ich hiermit zahlen,… wann immer du des wünschst.“ Im Angesicht des Todes ging Beroe zum äußersten, um ihr Leben zu retten.

    Vielleicht ging ihre Fürsorge an dieser Stelle schon etwas zu weit. Eigentlich wäre es für sie besser gewesen, sich zurückzuziehen. Denn sie wusste doch, dass man Römern nicht trauen konnte. Heute versprechen sie dir alles und morgen lassen sie dich fallen. Doch ihre Gefühle meinten etwas anderes. Und genau das war es, was sie verwirrte.
    „Ach ja?“, meinte sie etwas enttäuscht. „Na, dann ist ja gut. Äh, ich meine, dass dir nicht schlecht ist.“ Sie schaute betreten zu Boden, weil sie nicht weiter wusste. Doch dann sah sie ihn wieder etwas erwartungsvoller an. „Soll ich dich dahin begleiten? Also nur bis zum Tor…äh.. nicht… nicht hinein. Weil äh.. nicht dass dir doch noch schlecht wird…“ Eigentlich war der Iunier doch ganz liebenswert, auch wenn er sich zuerst als Ekelpaket präsentiert hatte.


    Und dass er tatsächlich ein netter Kerl war, bewies sein Versprechen, sie nicht weiter verfolgen zu wollen. Das bedeutete ihr sehr viel. Jetzt war nur zu hoffen, dass ihr in nächster Zeit nicht noch mehr Leute aus Misenum über den Weg liefen.
    „Das ist wirklich sehr nett von dir!“, sagte sie aufrichtig. „Ich verspreche dir, keinen Ärger mehr zu machen.“ Ihr Ausdruck veränderte sich unerwartet. Tränen standen plötzlich in ihrem Augen. „Weißt du, wir sind bis zum Schluß geblieben…und haben alles getan, was uns aufgetragen wurde. Jeder von uns war der Domina und auch dem Dominus ergeben. Niemand von uns wäre einfach so geflohen. Doch nachdem der Dominus tot war, wollte auch die Domina nicht mehr leben. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Erst als sie gestorben war, gingen wir und ich mit ihnen. Das musst du mir glauben!“ Tränen kullerten über ihre Wagen. Bisher hatte sie mit noch niemanden darüber gesprochen und schon gar nicht mit einem Prätorianer.


    Als er dann unverhofft seinen Geldbeutel öffnete und ihr einige Münzen geben wollte, sah sie ihn überrascht an. Das war doch viel zu viel! „Aber… das kann ich doch nicht…“ Kopfschüttelnd nahm sie die Münzen, die sie tatsächlich sehr gut gebrauchen konnte. Auch wenn sie sich davon kein ausgiebiges Bad, wie die feinen Damen es zu tun pflegten, leisten würde. „Vielen Dank!“, sagte sie schließlich und steckte das Geld in einen Beutel, den sie unter der Tunika trug.

    Beroes Blick war auf den Eindringling fixiert. Ihre Fragen waren antwortlos im Raum verhallt, was die Nervosität in ihr noch mehr schürte. Der Fremde stand einfach da und seine Augen schienen sie zu durchdringen. Er machte ihr Angst, schreckliche Angst! Und warum sagte er überhaupt nichts? Vielleicht gab es ja nichts mehr zu sagen. Wahrscheinlich würde er gleich über sie herfallen und ihr die Kehle durchschneiden, um sich dann an ihrem Blut zu ergötzen. Ihre Gedankengänge ließen sie er erschaudern und verursachten ihr eine Gänsehaut. Und als die Hand des Fremden dann tatsächlich ganz langsam einen Dolch hervorzog, unterstrich dies nur ihre Vorstellungen. „Oh bitte…“, seufzte sie leise. Warum floh sie nicht endlich? Jetzt wäre vielleicht noch die Gelegenheit gewesen, heil aus der Sache herauszukommen. Aber sie konnte es nicht. Wie in eine Starre verharrend saß sie verkrampft auf dem Bett und stierte den Fremden an, dessen Emotionen sich aus seinem Antlitz schwer abschätzen ließen. Doch sie war sich sicher, er genoss diesen Moment.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit holte er schließlich noch einen Apfel aus seiner Tasche hervor und schnitt sich ein Stück mit dem Dolch heraus. Allerdings führte dies bei Beroe keineswegs zu einer Entwarnung. Jede Faser ihre Muskeln spannte sie noch mehr an. Vielleicht demonstrierte er ihr ja gerade, was er mit ihr vorhatte.


    Endlich richtete er das Wort an sie. Doch auch seine Stimme war einfach nur zum fürchten. Er, der sogenannte Hausherr, musste direkt aus dem Hades stammen. Erebos - sie musste Erebos persönlich vor sich haben. Deshalb war sein Äußeres auch so farblos- weil er in ewiger Finsternis lebte. Eine andere Erklärung hatte die Lykierin nicht.


    Beroes Lippen zitterten. Es war gar nicht so einfach, ein paar Worte zu formen. „I..ich …äh… m…m..mein N..n..ame ist Beroe. Ich ..ich war hungrig und müde… ich … ich wusste ja nicht…. äh… bitte tu mir nichts!“, stotterte sie. Ihre Anspannung stieg ins unermessliche und ihr Herz war kurz davor zu bersten. Erebos war gekommen, um sie zu holen.

    Ein kleines Zucken im Mundwinkel, ein Anflug eines Lächelns, als er versuchte, einen Scherz zu machen. Beroes Vorbehalte gegen den Iunier begannen langsam zu bröckeln. Er konnte, wenn er wollte, dachte sie sich. Dadurch begann sich auch Beroe zu öffnen und diese komische Befangenheit, die sie eben noch voll im Griff hatte begann zu weeichen.
    „Also ich hab mal gehört, manchen wird es schlecht, wenn sie eins auf die Mütze kriegen. Und man sollte da sowieso ein bisschen vorsichtiger sein. Am besten du ruhst dich irgendwo aus. Und einer bleibt… äh bei dir.“ Sie spielte tatsächlich mit dem Gedanken, ihn mit zu sich in ihren Unterschlupf zu nehmen. Allerdings verwarf sie den Gedanken ganz schnell wieder, sonst hätte sie ja ihre Bleibe preisgegeben. Der Mann war schließlich Prätorianer und vor einigen Tagen noch hätte er sie, ohne mit der Wimper zu zucken wieder in die Sklaverei geschickt. Aber gerade eben schien der Prätorianer meilenweit weg zu sein. Diesmal wirkte sein Dank wesentlich aufrichtiger, was Beroe schließlich dazu bewog noch etwas gelöster zu werden.
    „Aber vielleicht sollten wir irgendwo anders hingehen, als hier auf der Straße zu hocken. Es gibt hier in der Nähe ein Plätzchen…“ wo sie zumindest etwas ungestörter waren und nicht von allen, die zufällig vorbei kamen, angegafft wurden. Die Örtlichkeit, die an dieser Stelle zur Sprache kam, kannte Beroe selbstverständlich von ihrem neuen Betätigungsfeld im horizontalen Gewerbe, welches in diesem Falle ehr vertikal war. Jedoch hatte sie dabei keinerlei Hintergedanken, schließlich hatte sie jetzt Feierabend, sie war müde und hungrig. Seine Frage jedoch, ob sie etwas bräuchte, rührte sie schon fast. Noch vor wenigen Minuten hätte sie sich mit Händen und Füßen gewehrt, von diesem Mann auch nur einen Sesterz anzunehmen. Doch jetzt schien alles anders. „Du lässt mich laufen? Ja wirklich?“ Wenn das keine leere Versprechungen waren, konnte ihrer Zukunft kaum noch etwas im Weg zu stehen. Zum ersten Mal seit sie in Rom war, lächelte sie vor Glück. Eigentlich hätte sie ja nicht mehr gebraucht, als ihre Freiheit, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass sie erst am Anfang stand, sich ein neues Leben aufzubauen. Manchmal kam es eben auch vor, dass die Geschäfte schlecht liefen.
    „Na ja, also ich würde furchtbar gerne mal in ein Badehaus gehen, um mich richtig zu waschen. So wie die feinen Damen.“ Warum sie gerade auf diesen Wunsch gekommen war, konnte sie auch nicht genau sagen. Aber wenn man immer nur den Luxus aus der Ferne gesehen hatte, kam man auf die seltsamsten Wünsche. „Und was zum Essen wäre auch gut.“

    Die erste Nach in Rom war wesentlich angenehmer gewesen als sie es sich noch vor Stunden hätte vorstellen können. Beroe hatte mit diesem verlassenen Haus in der Tat einen Glücksgriff gemacht. Schon seit Wochen hatte sie kein richtiges Bett mehr gesehen. Und der Schlafplatz in der Sklavenunterkunft hatte diese Bezeichnung wahrhaftig nicht verdient.


    Als sich in der Frühe der neue Tag bereits ankündigte und die ersten zarten Sonnenstrahlen in das Schlafzimmer hinein lugten, erwachte Beroe langsam nach einer erholsamen Nacht. Sie war es gewohnt, früh- sehr früh aufzustehen. Außerdem gab es heute viel zu tun! Aber mal ehrlich, hatte das nicht noch etwas Zeit?
    Noch einmal rollte sie sich gemütlich in sich zusammen und gähnte zufrieden. Dann kratze sie sich hinterm Uhr... und genau in diesem Augenblick merkte sie endlich, dass sie nicht alleine war. Es brauchte nur einen Herzschlag, bis diese Information in ihrem Hirn angekommen war und dort Alarm ausgelöst wurde.


    Erschrocken fuhr sie hoch. Im Gegenlicht sah sie diese Gestalt am Türrahmen stehen. Ihre Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten.
    Wie lange der Kerl sie bereits beobachtet hatte? Notdürftig versuchte sie mit ihren Armen ihren nackten Körper zu verdecken.
    „W..wer bist du u..u..und was willst du von mir?“, brach sie stotternd heraus, während sie den Fremden musterte. Die Kerl sah wirklich zum fürchten aus. Die helle, fast schon blasse Haut und dazu diese hellen, fast weiß wirkenden Haare.Doch die Augen waren am unheimlichsten – sie waren kalt wie Eis.

    Offenbar hatte sie halbwegs überzeugend auf ihn gewirkt, denn der Iunier entspannte sich zusehends. Wenigstens ließ er seinen Gladius stecken und sagte sogar „danke“, auch wenn das Ganze auch noch etwas verkrampft geklungen hatte. Beroe nickte nur. Sie war sich sicher, dieser Dank kam nicht von Herzen. Am Ende würde er sie wieder in die Castra schleifen wollen, weil er ja seine Pflicht tun musste.


    Eine Zeit lang beobachtete sie ihn noch, wie er mit der Hand an seine Wunde am Hinterkopf langte und diese wieder mehr zu schmerzen begann. Der arme Kerl hätte ihr ja auch wirklich Leid tun können, aber irgendetwas in ihr blokierte dieses Mitleid, was ja auch nicht besonders verwunderlich war.


    „Ich nehme an, die drei Typen, die um dich herumgestanden haben, haben dir auch die hier verpasst. Warum sie aber dein Geld nicht mitgenommen haben, versteh ich nicht.“ Nachdenklich sah sie auf die Münzen, die immer noch auf der Staße lagen. Genauso hätte sie sich die paar Münzen unter den Nagel reißen können. Aber sie hatte es nicht getan.
    „Na ja, ich hab dich ja gleich gefunden. Du warst nicht sehr lange bewusstlos.“ Die Lykierin hielt ihm den Fetzen ihrer Tunika hin, der bereits mit seinem Blut befleckt war, damit er sich daran die Finger abputzen konnte, jedoch benutzte er seine Kleidung dafür.
    Statt nun aufzustehen und seiner Wege zu gehen, setzte er sich nur auf. „Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte Beroe unsicher. Sie hatte zwar gehört, dass leichte Schläge auf den Hinterkopf gut fürs Denken waren. Aber dieser Schlag war eindeutig ein paar Kategorien höher.
    Auch die Lykierin war sich auch nicht ganz sicher, was sie nun tun sollte. Eigentlich konnte ihr der Iunius völlig egal sein. Vielleicht aus einer Verlegenheit heraus erhob sie sich, sammelte die Münzen ein und steckte sie wieder zurück in den dazugehörigen Beutel. „Hier, dein Geld.“ Mit diesen Worten hiel sie ihm den Beutel entgegen.

    Kaum hatte Beroe ihren Schock überwunden, da regte es sich bereits vor ihr am Boden. Der Iunier kam langsam wieder zu sich. Das wäre nun die beste Gelegenheit gewesen, das Weite zu suchen. Doch diese Chance ließ sie ungenutzt verstreichen.
    Mit dem blutbefleckten Stückchen Stoff, welches sie aus ihrer Tunika gerissen hatte, saß sie immer noch kniend vor ihm und als er schließlich auch noch zu sprechen begann, stockte ihr erst einmal der Atem. Natürlich hatte der Iunier sie wieder erkannt. Ihre letzte Begegnung lag schließlich erst zwei, drei Tage zurück.


    „Ich weiß auch nicht, irgendwie müssen die Götter ein zu viel gehoben haben.“, meinte sie schließlich trocken zu seiner Feststellung. Doch plötzlich ergriff Beroe das ungute Gefühl, dass diese „nette Unterhaltung“ in eine völlig falsche Richtung lief. Sie hatte noch sehr gut in Erinnerung, wie energisch der Prätorianer werden konnte. Auch wenn er jetzt noch am Boden lag, gegen ihn hätte sie absolut keine Chance. Vielleicht sollte sie sich für die Zukunft ein Messer zulegen, damit sie unliebsame Kerle von sich fernhalten konnte. Allerdings nützt ihr das im Augenblick herzlich wenig. So begann sie, sich mit Worten zu verteidigen - so gut sie es eben konnte.
    „Ich? Ich will nix von dir! Ehrlich.. äh… Ich hab nur gesehen, wie…“ Aber bevor sie weiterstammeln konnte, beschuldigte er sie bereits, für diesen Überfall verantwortlich zu sein. Beroe konnte es gar nicht fassen. Und für den Kerl hatte sie ihre schöne neue Tunika ruiniert!
    „Äh.. was? Äh…nein, echt nicht jetzt.. ich war das wirklich nicht! Ich hab gesehen, wie drei Kerle einen Mann zusammengeschlagen haben und als sie weg waren, bin ich schnell hin, um zu helfen. Mehr war da nicht.. wirklich.“, verteidigte sie sich. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass du das bist!“ Sonst hätt ich dich einfach liegen gelassen, dachte sie gehässig für sich weiter.

    Mit den „fast neuen“ Kleidern am Leib, die sie in der Casa Ogulnia gefunden hatte, lebte es sich doch gleich viel leichter. Niemand hatte Beroe mehr schräg angeschaut, weil sie in Fetzen daher kam oder etwa stank. So war es ihr in den nächsten Tagen auch tatsächlich gelungen, etwas Geld zu verdienen. Anfangs hatte sie noch einige Hemmungen, mit den Männern zu gehen, denen sie ihre Liebesdienste verkaufte. Doch als sie die ersten Münzen in ihren Händen hielt, die nur ihr gehörten, war sie stolz auf sich. Im Grunde war diese Arbeit nicht schlechter als jede andere, dachte sie sich. In der Vergangenheit hatte man sie schließlich ab und an auch zu Liebesdiensten gezwungen. Nur diesmal konnte sie mitentscheiden, mit wem sie ging. Und es gab niemanden, bei dem sie ihre Verdienste abgeben musste. Natürlich wäre es sicherer gewesen, wenn es jemanden gegeben hätte, der sie vor gewalttätigen Freiern beschützte. Doch diese Zuhälter kassierten in den meisten Fällen den Löwenanteil des Verdienstes. Nein, so wie es zurzeit lief, war es ganz gut.


    Den Tag über hatte sie wieder bei den Märkten herumgelungert. Und wenn Beroe einen Kunden an Land ziehen konnte, verschwand sie mit ihm für einige Zeit in einer ruhigen Seitengasse.
    Nun, da es bereits zu dämmern begann und die Händler längst schon ihre Stände abgebaut hatten, verlor dieser Ort langsam aber sicher seine Bedeutung für sie. Nur noch in den Tavernen herrschte Betrieb. Doch die Tavernen waren tabu. Die hatten ihr eigenes Personal, das die Gäste bediente. So begann sie sich langsam auf den Heimweg zu machen. Nach der Arbeit fühlte sie sich schmutzig. Ein Bad wäre gut, dachte Beroe. Aber sie wusste genau, dass sie sich solch einen Luxus noch lange nicht leisten konnte.


    In ihre Gedanken vertieft bog sie in eine Gasse ein, blieb aber ganz abrupt stehen, als sie Zeugin eines brutalen Überfalls wurde. Eigentlich wollte sie gleich wieder kehrt machen, doch sie war wie angewurzelt.
    Drei Männer standen um einen am Boden liegenden Mann. Einer der drei stand über ihm gebeugt und durchsuchte das Opfer. Dann nach einigem hin und her verschwanden die Gewissen zur Stelle, welches ihr gebot, sich erst einmal um den Verletzten zu küDreir und ließen den Mann der bewusstlos oder sogar tot war, einfach zurück. Als sie wieder Gewalt über ihre Beine hatte, lief sie schnell zu dem am Boden Liegenden. Am Hinterkopf des Mannes klaffte eine Platzwunde, die von einem Schlag herrühren musste. Zum Glück atmete der Mann noch.
    Seltsam, dachte Beroe, sein Geldbeutel und einige herausgefallene Münzen lagen noch direkt neben ihm.
    Ihr erster Gedanke war, das Geld zu nehme und davonzulaufen. Doch das hätte bedeutet, den Verletzten ohne Hilfe zurückzulassen. Da meldete sich gleich Beroes Gewissen zur Stelle, welches ihr gebot, sich erst einmal um den Verletzten zu kümmern.
    Da sie nichts hatte, um die blutende Wunde am Kopf zu stillen, riss sie ein Stück ihrer neuen Tunika ab und drückte den Stoff fest auf die Wunde. „Mist! Meine schöne neue Tunika.“, jammerte sie. „Ach scheiß dauf! Du kaufst mir doch sicher was neues, wenn ich dir jetzt schon helfe.“, sagte sie mehr zu sich als zu dem Bewusstlosen. Mittlerweile hatte sie sich neben ihn auf den Boden gekniet, um ihn besser versorgen zu können. Dann versuchte sie, den Mann vorsichtig umzudrehen. Zum Glück war sie einiges gewöhnt und verfügte über ein gewisses Maß an Kraft.
    Kaum hatte sie den Verwundeten auf den Rücken gedreht, erschrak sie und ließ sofort von ihm ab.
    „Ach du Scheiße! Nee ´ne, nicht der schon wieder!“ Selbstredend hatte sie den Iunier sofort erkannt.

    Ihr erster Tag in der urbs aeterna neigte sich bereits langsam seinem Ende. Beroe war es dann doch noch nach der nervenaufreibenden Begegnung mit dem Prätorianer gelungen, ein Stück Brot zu ergattern. Das hatte vorerst einmal den schlimmsten Hunger gestillt.
    Nachdem sie dann stundenlang durch die Stadt gelaufen war, um ernüchtert feststellen zu müssen, dass es ganz und gar nicht einfach werden würde, auch in Zukunft Brot, Arbeit und ein Dach über dem Kopfe zu bekommen, setzte sie sich einen Moment erschöpft nieder. Aber auch wenn ihr Traum von der Freiheit einen ordentlichen Dämpfer erhalten hatte, wollte Beroe dennoch nicht aufgeben. Selbst wenn sie die kommende Nacht hätte auf der Straße verbringen müssen, hätte sie dies in Kauf genommen. Jedoch bei genauer Überlegung verwarf sie diesen Gedanken bald wieder. Schließlich wollte sie am nächsten Morgen nicht mit durchtrennter Kehle gefunden werden. Deshalb ging sie gleich weiter.


    Als es bereits zu dämmern begann und ihre Füße schrecklich schmerzten, hätte sie selbst mit einem Stall oder einem Schuppen vorliebgenommen. Hauptsache ein Dach über dem Kopf. Genau in diesem Moment tauchte vor ihr ein winziges Haus auf, links und rechts von zwei sehr schäbig wirkenden Insulae umgeben. Nun ja, das Haus hatte weiß Gott schon bessere Tage erlebt. Vom Aussehen her passte es sich aber sehr gut seiner Umgebung an. Außerdem machte es einen ziemlich verlassenen Eindruck. Wahrscheinlich hatten seine Bewohner das Haus während des Bürgerkriegs verlassen.


    Beroe zögerte nicht lange. Da die Tür nicht verschlossen war, betrat sie vorsichtig das Haus und sah sich gleich um. Ihre Miene erhellte sich sogleich, als sie feststellte, dass sogar einige Möbel zurückgelassen worden waren. Vielleicht würde sie hier neue Kleidung finden. Der Fetzen, den sie am Leibe trug, war eigentlich nur noch zum verbrennen gut.
    Die junge Frau durchkämmte jedes der Zimmer und mit jedem neuen Raum schlug ihr Herz höher. Ein Bett, endlich ein richtiges Bett- hatte sie am liebsten laut hinausgerufen, als sie eines der cubiculi betrat. Nach einigem wühlen in einer Truhe fand sich dann schließlich auch noch eine Tunika, die zwar nicht mehr ganz neu, aber zumindest nicht zerschlissen war.
    Ein paar Zimmer weiter entdeckte sie dann auch noch eine kleine Amphore. Eine von denen, die man zum Aufbewahren von Lebensmitteln nutzte. Beroes Herz begann wie wild zu schlagen. Vielleicht gab es hier sogar noch etwas zu essen, was zudem noch genießbar war. Voller Erwartung öffnete sie die Amphore und tatsächlich fand sie dort eine getrocknete Wurst. Heute musste trotz aller Strapazen ihr Glückstag sein! Offenbar hatte das Haus schon einmal jemand anderes als Unterschlupf gedient. Dummerweise hatte derjenige seine Wurst vergessen. Schlecht für ihn, gut für Beroe.
    Genüsslich biss sie in die Wurst, dann nochmal und nochmal. Bis sie ganz aufgegessen war. Ach, war das gut gewesen. Solch einen leckeren Schmaus hatte sie schon sehr lange nicht mehr.
    Da sie mehr als müde war, ging sie in das das Cubiculum zurück, in dem sie auch die Tunika gefunden hatte. Sie zog sich aus, warf ihre alte Kleidung weg und legte sich ins Bett. Morgen würde sie ihre neue Tunika feierlich anziehen. Mit diesem Gedanken fand sie schnell einen erholsamen und tiefen Schlaf.


    edit:Link

    Binnen kürzester Zeit wurde Beroe Zeugin, wie zwischen den beiden Männern ein gewaltiges Wortgefecht ausgebrochen war, welches an Schärfe und Aggressivität stetig zunahm. Anfangs hatte es die „Ex“-Sklavin noch recht belustigend empfunden, dass die beiden wegen ihr so viel Aufhebens machten. Doch allmählich begann sie zu zweifeln. Insbesondere dann, wenn der Patrizier darauf hinwies, sie den Cohortes Urbanes übergeben zu wollen. War das tatsächlich noch Schauspielerei? Und was, wenn er am Ende den Spieß umdrehte und sie selbst zu seiner Sklavin machte? Sie wusste doch noch, dass man den Römern nicht trauen durfte! Das hatte sie doch mehrmals in ihrer Laufbahn als Sklavin schmerzlich erfahren müssen! Und wenn der Patrizier dies tatsächlich alles hier nur veranstaltete, um sie zu schützen, würde sie sich bei ihm bedanken – später! Da sie sich schon immer Namen gut merken konnte, würde sie sicher auch herausfinden können, wo Marcus Claudius Centho wohnte. Ebenso würde sie sich aber auch den Namen Inius Avianus merken und in Zukunft vermeiden, ihm noch einmal über den Weg zu laufen.


    Doch nun war es für Beroe an der Zeit, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen, solange die beiden Streithähne noch ihren verbalen Ringkampf ausfochten unaufmerksam waren und alles um sich herum vergaßen.
    Wortlos trat sie erst einen Schritt zurück, dann noch einen und bevor sie sich endgültig umdrehte um Reißaus zu nehmen, meinte sie ganz nebenbei: “Ich geh´ dann mal besser. Macht´s gut!“ Weg war sie! Im Schutz des Getümmels versuchte sie schnellstens Land zu gewinnen und vielleicht bei Gelegenheit auch noch etwas Essbares zu finden.

    Glücklicherweise spielte der Patrizier ihr Spiel mit und reagierte sofort in der erhofften Weise. Unterwürfig, wie es sich für eine Sklavin ziemte, gehorchte sie und erhob sich. Ganz schuldbewusst hörte sie sich an, was ihr vermeidlicher Dominus zu sagen hatte. Gelegentlich nickte sie ihm dabei zustimmend zu.
    Beroe hätte niemals geglaubt, eine solche schauspielerische Gabe zu besitzen. Offenbar wuchsen manche Menschen in Extremsituationen über sich hinaus. Wie auch immer, in all den Jahren ihres Sklavendaseins hatte sie ja schließlich gelernt, unterwürfig zu sein.


    Als der Patrizier schließlich den Soldaten zu sich her winkte und ihm dankte, eine seiner Sklavinnen „wiedergefunden“ zu haben, konnte die Lykierin sich sicher sein, dass ihre List aufgegangen war. Wer würde denn einen ehrenwerten Patrizier als Lügner bezichtigen? Beroe grinste in sich hinein, wovon man aber äußerlich nicht viel mitbekam. Danke, ihr Götter, dachte sie nur. Sobald sie sich etwas Geld verdient hatte, würde sie irgendeinem Gott ein Opfer bringen, schwor sie sich.


    Marcus Claudius Centho hieß also ihr Wohltäter. Vielleicht würde er sich, sobald diese dumme Angelegenheit aus der Welt geschafft war, noch etwas mehr als Wohltäter erweisen und ihr etwas zu essen spendieren. Und ein paar neue Kleider wären auch nicht schlecht… Aber aber, wer wollte denn gleich unverschämt werden? Aber ein kleines Stück Brot musste doch drin sein, dachte sie sich.


    Verständlicherweise fühlte sich der Soldat durch die veränderte Situation völlig überrumpelt und drückte dies auch gleich verbal aus. Aber offenbar hatte er sich gut unter Kontrolle, denn er vermied es vorerst, dem Claudier eine Szene zu bereiten. Stattdessen begann er nun den Patrizier mit seinen Fragen zu löchern. Und genau da spürte Beroe, dass die Situation doch noch einmal zu kippen drohte. Ihr war bewusst, dass sie dem Patrizier nicht ins Wort fallen durfte und hoffte nur, dass er nun nichts abwegiges erzählte. Doch wie konnte man ihm begreiflich machen, was die richtige Antwort war? Der Patrizier jedoch zog sich gekonnt aus der Affäre und ging sogar noch ein Stückchen weiter. In diesem Moment war Beroe so stolz auf ihren Gönner!

    Und wenn sie ihm sagte, wo ihr Dominus war? Was dann? Würde er sie etwa dann gehen lassen? Wohl kaum! Beroe hatte noch nie viel Vertrauen in Leute mit Uniform gehabt, ein Trauma, welches in ihrer Kindheit verwurzelte war. Er sagte doch selbst, er könne nichts für sie tun und fing plötzlich an von irgendwelchen Problemen zu faseln. Beroe verspürte große Lust einfach loszulachen. Sie hatte Probleme, ernsthafte sogar. Aber dieser Soldat? Wo bitteschön sollte der Probleme haben?


    „Latros ist tot.“, begann sie schließlich. „Er fiel gleich zu Beginn des Bürgerkrieges. Das hat die Domina nie wirklich überwunden.“ Damals war das Leben in der Villa noch viel schwieriger geworden, besonders dann wenn man zur Sklavenschaft gehört hatte. „Den Dominus haben die Rebellen festgenommen. Ein paar Tage später erhielt die Domina die Nachricht vom Selbstmord ihres Gatten. Von da an…“ Beroe war ins stocken gekommen. Ich Magen krampfte mittlerweile vor Hunger und von der extremen Anspannung.
    Genau in diesem Augenblick fiel ihr einer der passierenden Togaträgern ins Auge. Der Mann machte einen sehr gepflegten Eindruck und unterschied sich deutlich von der übrigen Menschenmasse, da seine saubere elegante Kleidung deutlich hervorstach. Aus unerfindlichen Gründen fühlte sich plötzlich ausgerechnet zu diesem Togaträger hingezogen. Wenn es doch noch irgendwelche Götter gab, die endlich Mitleid mit Beroe hatten, würde ihr dieser Mann aus der Patsche helfen.


    „Da, das ist mein Dominus!“ rief sie plötzlich dem Soldaten zu und sprang auf den Togaträger zu. Als sie direkt vor ihm stand warf sie sich ihm zu Füßen und rief laut hörbar: „Oh bitte Dominus, sei gnädig mit mir, ich werde auch nie wieder davon laufen!“ Dabei wurde sie auch auf den elfenbeifarbenen Halbmond über den Knöcheln des Fremden aufmerksam. Sie hatte es hier mit einem Patrizier zu tun! Dann sah sie bittend zu ihm auf. „Bitte hilf mir, dieser Soldat ist völlig verrückt geworden… Du musst mir helfen, bitte!“ Ganz leise, so dass der Soldat sie keinesfalls hören konnte, hatte sie sich an den Fremden gewandt. Vielleicht wurde jetzt doch noch alles gut.

    Ein richtig großes Stück, wollte Beroe ihm lauthals beipflichten, ließ es aber, weil sonst ja ihre Tarnung hinüber gewesen wäre. Mehrere Wochen war sie unterwegs gewesen, bis sie endlich in Rom angekommen war. Und wen traf sie dort als erstes? Ja richtig, einen Soldat aus Misenum, der sie dazu auch noch erkannt hatte. Die Welt war so ungerecht!


    Beroe kam langsam zu dem Schluss, dass ganz gleich was sie sich aus den Fingern sog, keine große Wirkung auf ihr Gegenüber hatte. Dieser Mann glaubte kein Wort, von dem was sie ihm aufgetischt hatte. Sogar das, was der Wahrheit entsprochen hatte. Und jetzt wollte er sie auch noch mit in die Castra nehmen. Beroe wusste, was dies letztlich für sie bedeutete, so dumm war sie nun auch wieder nicht. Der Traum von der Freiheit schien ausgeträumt, noch ehe er richtig begonnen hatte. Was würde man in der Castra mit einer flüchtigen Sklavin anstellen? Sie einsperren, und foltern bis sie irgendwann ihr wertloses Leben ausgehaucht hatte? Oder würde sie sich nächste Woche dort drüben auf dem Podest des Sklavenhändlers wieder finden?
    Diese Gedanken und der elende Hunger der an ihr zehrte, ließen sie wie ein Kartenhaus ineinander sacken. Dieses kleine Stück Selbstbewusstsein, welches sie noch vor wenigen Minuten an den Tag gelegt hatte, als sie den jungen Dominus verleugnet hatte, war wie Eis dahin geschmolzen. Zurück geblieben war nur ein Häufchen Elend.


    Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen. Am liebsten hätte sie losgeheult. Doch diese Schmach wollte sie sich nicht auch noch geben.
    „Ja, es war eine sehr lange Reise. Zuerst auf dem Schiff bis Brindisium und dann weiter zu Fuß bis…“ Beroes Stimme war nun ruhig geworden und hatte einen ernsteren Ton angenommen. In ihrem Gesichst spiegelte sich plötzlich ihre ganze Hoffnungslosigkeit wieder. „… bis Misenum. Ich war damals erst acht. Viel zu jung, um zu begreifen, was mit mir geschah." So, nun hatte sie sich tatsächlich selbst offenbart. Und was jetzt? Sollte sie ihm jetzt noch die ganze Wahrheit beichten? Und wenn sie es täte, würde er ihr dann Glauben schenken?
    "Bitte bring mich nicht in die Castra! Bitte! Ich bitte dich inständig!“ Beroe hatte wenig Hoffnung, von diesem Soldaten so etwas wie Gnade zu erfahren.

    Ein wahnsinniger Druck lastete auf der jungen Frau, der nur noch stärker werden zu schien, als er wiederholt Latros Namen erwähnte. Selbst dann, als der Soldat einzuräumen begann, sich eventuell doch geirrt zu haben, wollte und konnte sie sich noch lange nicht in Sicherheit wähnen. Jetzt durfte sie unter gar keinen Umständen einen Fehler machen. Ausgerechnet sie, Beroe, die die Fähigkeit besaß, das Unglück an manchen Tagen regelrecht anzuziehen, wenn man ihrer Domina Glauben schenken durfte.


    „Tut mir leid, deinen Aurius Latro aus Misenum kenn ich nicht. Und Frauen wie mich, gibt´s wie Sand am Meer.“, entgegnete sie schnell. „Und außerdem war ich noch nie in Misenum. Ich weiß gar nicht, wo das liegt.“ Hoffentlich trug sie jetzt nicht zu dick auf. Misenum kannte doch jeder, na ja fast jeder.
    Eigentlich konnte der Kerl ihr doch gar nichts anhaben, solange sie sich nicht verplapperte, dachte Beroe schließlich und der Druck ließ langsam etwas nach. Glücklicherweise war Beroe niemals während ihres Sklavenlebens gezeichnet worden. Lediglich ein kleines Amulett auf dem ein mit Lorbeer bekränztes A eingeritzt war, hatten die die Sklaven der Aurii zu tragen. Genauso wie jenes Amulett, welches noch immer um Beroes Hals hing. Zu dumm, dass sie nie daran gedacht hatte, es abzunehmen. Dies war wohl die Macht die Gewohnheit. Seit ihrer Kindheit hatte sie es getragen und niemals abgenommen.


    „Ich komme aus Lykien. Aus Myra, um genau zu sein.“ Und dabei darf auch wieder angemerkt werden, dass dies absolut der Wahrheit entsprach. Sibel, also Beroe, war tatsachlich in Myra geboren und dort aufgewachsen, bis ein Schicksalsschlag sie mit acht Jahren in die Sklaverei gezwungen hatte.

    Natürlich hätte Beroe dingend jemanden gebraucht, der ihr ein wenig unter die Arme griff oder ihr zumindest etwas Essbares zusteckte. Was dann auch promt von ihrem Magenknurren deutlich unterstrichen wurde. Aber die junge Frau war auf der Hut. Dieser Kerl sah wirklich wie einer von Latros Kumpeln aus. Gelegentlich hatte sie auch den Besuch des jungen Dominus bedienen müssen. Davor hatte sie sich immer gesträubt. Aber ihr Bitten und Betteln hatten Demetrios nur selten davon abgehalten, sie für diese Aufgabe einzuteilen. In der Regel arteten diese Besuche in feuchtfröhliche Besäufnisse aus, bei denen die jungen Herrn sich auch gerne einmal am Dienstpersonal vergriffen. Aber das war zum Glück lange her.


    Doch die nächste Äußerung des Soldaten traf Beroe wie einen fiesen Tritt in den Bauch. Eiskalt überlief es sie, als sie Latros Namen aus seinem Mund vernahm. Beroe hatte sich also doch nicht geirrt! Sie war diesem Mann schon einmal begegnet. Hatte ihn womöglich bedient oder hatte ihm in anderer Weise zu Diensten sein müssen. Und als er sie schließlich noch mit „Besitzung seines alten Freundes“ betitelte, konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, dass auch er sie erkannt hatte und sie folgerichtig eingeordnet hatte.
    „Latro? Kenn ich nicht! Wer soll das sein?“, gab sie Schultern zuckend zurück und war selbst über ihre Kaltschnäuzigkeit erstaunt. „Du musst mich verwechseln! Aber wenn du willst, mach ich für dich ´nen Sonderpreis“, fügte sie noch hinzu und hoffte, ihr Angebot würde abschreckend auf den Soldaten wirken.

    Obwohl der Angesprochene wohl eher von dem, was vor ihm stand, angewidert war, zögerte er und ging nicht gleich weiter. „Du und ich? Und was weiter?“, entgegnete er ihr mit einem gewissen Maß an Häme in seiner Stimme. „Bei dir holt man sich ja sämtliche Krankheiten! Wasch dich erst mal!“


    Das Lächeln war nun vollkommen aus Beroes Gesicht gewichen und Schamesröte machte sich breit. Am liebsten hätte sie sich irgendwohin verkrochen oder hätte sich in Luft aufgelöst. So sehr schämte sie sich. Doch noch ehe sie sich versah, machte sich ihr potentieller Kunde recht übereilt aus dem Staub. Warum? Nun, es dauerte nicht lange, bis sie selbst herausfand, warum.


    Wie aus dem Nichts stand plötzlich dieser Uniformierte vor ihr. Zwar hatte sie keine Ahnung worum es sich bei dieser Art von Uniform handelte. Doch alleine schon die Tatsache, dass dieser Mann nun vor ihr aufgetaucht war und sie auch noch ansprach, schüchterte sie umso mehr ein.
    Nein, jetzt wäre sie wirklich gerne im Boden versunken. In der Gewissheit, dass ihr Weg in die Freiheit hier und jetzt endgültig vorbei sein würde, hob sie gequält ihren Kopf und sah dem Soldaten direkt an.
    Scheiße! Das ist doch.. war ihr erster Gedanke, als sie dieses Gesicht erblickte. Oder narrten sie nur ihre Sinne, weil sie sowieso schon angespannt war und kurz vor dem Hungertod stand.
    „Ber… äh Sibel heiße ich“, antwortete sie unsicher und log damit nicht einmal, denn Sibel war tatsächlich der Name, der ihre Eltern ihr damals gegeben hatten. Beroe war lediglich das Produkt ihrer Domina, die schon immer einen gewissen Hang zur Theatralik besessen hatte.
    „Nein, äh, hier ist alles bestens… ja wirklich… alles gut!“, fügte sie etwas holprig hinzu, was von einem lauten Magenknurren noch zusätzlich begleitet wurde.

    Ratlos ließ Beroe ihre Blicke schweifen, in der Hoffnung auf diese Weise eine Antwort auf ihre Frage zu erhalten. Da war eine Unzahl von Händlern mit allerlei Waren aus den entferntesten Provinzen des Imperiums. Der Duft wohlriechender Gewürze und Öle drangen an ihre Nase, feine Stoffe in den unterschiedlichsten Farben, filigrane Handarbeiten, edle Geschmeide und vieles mehr fielen ihr ins Auge. Waren, die im Augenblick unerschwinglich für Beroe waren.


    Etwas weiter entfernt wurde die Ware Mensch feil geboten. Der Sklavenhändler, scheinbar ein listiger Fuchs, versuchte mit großem Geschick, feingewählten Floskeln und Gesten seine Ware an den Mann zu bringen. Die armen Gestalten, die dabei vor das johlende Publikum gezerrt wurden taten ihr in der Seele leid. Dann lieber etwas hungern, dachte sie sich und wandte ihren Blick verächtlich ab.


    Man müsste selbst etwas verkaufen oder anbieten können, war dann irgendwann ihr Gedanke, der sofort ihren Körper durchströmte und sie zum Tatendrang anstachelte, fast noch bevor sie ihn zu Ende gedacht hatte. Statt höflich nach etwas essbarem zu bitten, könnte sie sich als helfende Hand anbieten und auf diese Art und Weise ehrliches Geld verdienen. Jedoch erhielt ihr Ehrgeiz schon bald einen Dämpfer, als sie einen der Händler genauer beobachtete. Mit welcher Hingabe er seine Kunden von seinen Waren überzeugte. Ein umfangreiches Wissen über sein Angebot und dessen Beschaffenheit sowie die Fähigkeit, mit wohlüberlegten Worten dies auch noch zu kommunizieren, waren dazu nötig. Beroe hatte niemals so etwas wie Bildung genossen. Sie konnte weder lesen noch schreiben. Und mit der Gabe, sich gewählt ausdrücken zu können, war sie auch nicht gesegnet.


    Es musste doch aber irgendetwas geben, was sie gut konnte! Je länger sie darüber nachdachte, kam sie zu dem Schluss, dass sie ja doch eine ganz passable Sklavin gewesen war, die den Herrschaften immer Wein nachfüllen oder sie während der Cena bedienen konnte. Auch in der Küche war sie recht gut zu gebrauchen. Gut, ab und zu waren ihr einige Patzer unterlaufen. Niemand ist wirklich perfekt. Aber ansonsten… ach nein, vom Leben als Sklavin hatte sie mehr als genug!


    Leichtniedergeschlagen ob ihrer aktuellen Situation schweiften ihre Gedanken ab und mit etwas Wehmut erinnerte sie sich an frühere Zeiten, in denen sie den Dominus nach Misenum begleitet hatte. Ach ja, die herrliche Stadt am Meer und der Schrei der Möwen, der große Kriegshafen mit seinen unzähligen Schiffen und dann noch das verruchte Viertel in der Hafengegend, welches besonders gerne das Ziel des jungen Dominus gewesen war…
    Einige der „leichten“ Mädchen dort waren sogar freie Frauen gewesen, die sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdient hatten. Nun ja, dies war nicht unbedingt die ehrenhafteste Art, sein Geld zu verdienen. Aber wenn man Hunger hatte, konnte man sich den Luxus, wählerisch sein, einfach nicht leisten.


    Nach einer Weile, in der sie alles, was noch an Energie in ihr gesteckt hatte und diese mobilisierte, um sich zu überwinden, erhob sie sich und trat beherzt vor den erstbesten Kerl, der einigermaßen danach aussah, als verfüge er über etwas Geld.
    „He, was gibst du mir, wenn ich für ´ne Stunde mit dir geh´?“, kam mehr stockend als flüssig aus ihrem Mund heraus. Der Angesprochene war regelrecht erschrocken über so viel Aktionismus und betrachtete sie kurz aber abschätzig. Schließlich räusperte er sich. „Nix, zieh Leine!“


    Beroe ließ sich von ihrem ersten Versuch, der gründlich schief gegangen war, nicht aus der Fassung bringen. Vielleicht lag es ja einfach an ihrem Aussehen. Der Staub der Landstraße lag noch dickschichtig auf ihrer Haut. Außerdem war sie verschwitzt und ihre Kleidung konnte man als solche eigentlich nicht mehr bezeichnen. Bevor sie sich nun auf ihr nächstes Opfer stürzte, wollte sie sich zuerst an einen Brunnen etwas frisch machen. Wenn wenigstens ihr hübsches Gesicht etwas sauber war.


    Das kalte Wasser tat so gut auf der Haut. Sie benetzte auch ihr Haar, die Arme und ihre Schultern, die von der Sonne ganz braun gebrannt waren. Und obwohl es wohl lebensgefährlich war, nahm sie einen großen Schluck davon. Ah, war das gut bei dieser Hitze!
    Ganz erfrischt versuchte sie abermals ihr Glück bei dem nächstbesten Passaten. „Na Süßer! Wie wär´s? Du und ich…“ Ihre Worte kamen nun schon etwas flüssiger über die Lippen. Das Gesicht war aber zu einem eher gezwungenen Lächeln verzogen.

    „Wer keine Lust auf Sklavenmarkt oder noch was schlimmeres hat, kommt mit mir!“ hatte Brennus gerufen, als Demetrios der Sklavenschaft den Tod der Domina verkündet hatte. Kurz zuvor hatte Beroe in der Küche zwei Sklaven belauscht, die laut darüber nachgedacht hatten was mit ihnen geschehen würde, sobald die Domina tot sei. Es gab ja schließlich keinerlei Nachkommen mehr, an die sie hätten vererbt werden können. Welche Optionen blieben da noch übrig?


    Die Worte des Galliers hatten nicht nur in Beroe etwas ausgelöst. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie mutig sein. So eine Chance würde nicht so schnell wieder kommen. Denn eins wusste Beroe ganz genau: Nie wieder wollte sie auf einem Verkaufspodest stehen müssen und dabei von gierigen Blicken gelöchert werden.
    So geschah es also, dass sie und ein paar der anderen niederen Haussklaven die Villa am frühen Morgen verlassen hatten. Auch Arete, die Leibsklavin der Domina ging, nachdem sie ihre Herrin ein letztes Mal für ihre finale Reise herrichtet hatte. Nur einige wenige waren geblieben. Darunter der alte Demetrios, der alte Maiordomus und Vertraute des Dominus.


    Brennus der einstige Leibwächter des Dominus hatte die kleine Gruppe angeführt. Er hatte den Weg direkt in die Berge gewählt. In Misenum unterzutauchen wäre einfach nur fahrlässig gewesen. Die Gefahr, dort erkannt zu werden, war einfach zu groß.
    Eine Höhle in den Bergen war für die ersten paar Tage zu ihrem Versteck geworden, bis sie sich gewiss waren, dass niemand sie verfolgen würde. Dann wanderten weiter nach Norden und mieden dabei die größeren Städte. Die Bauern auf dem Land waren meist hilfsbereit. Doch Beroe merkte schnell, dass das Landleben auf Dauer nichts für sie war. Nach einigen Wochen verließ sie die Gruppe und wanderte alleine nach Rom weiter. Vor vielen Jahren war sie schon einmal in dieser riesigen Stadt gewesen. Doch ihre Erinnerungen daran waren schon längst verblasst.


    Selbst als Beroe längst die Stadtgrenzen überschritten hatte und in das geschäftige Getümmel eingetaucht war, sah Beroe sich immer wieder um, da sie glaubte, es verfolge sie jemand. Aber wer sollte ihr jetzt noch etwas anhaben wollen? Sie war doch schon einige Wochen unterwegs, weit weg von dem Ort, der ihr Zuhause gewesen war. Und außerdem, wer hätte sie verfolgen sollen? Alle, die es gekonnt hätten, waren tot oder hatten sich selbst aus dem Staub gemacht. Außerdem gab es ganz bestimmt niemanden in Rom, der sie gekannt hätte. Dieser Verfolgungswahn der sie manchmal immer noch überkam und der sie dann regelmäßig verunsicherte, machte sie noch ganz verrückt. Zudem war es für sie immer noch ein befremdliche Gefühl, so ganz auf sich allein gestellt zu sein. Niemand war mehr da, der Befehle erteilte, der sie beaufsichtigte und triezte oder ihr Vorhaltungen machte und mit der Peitsche drohte, wenn sie mal wieder das Brot im Ofen verbrennen gelassen hatte oder eines der teuren Gläser fallen ließ. Diese Zeiten gehörten nun endlich der Vergangenheit an! Beroe konnte es immer noch nicht wirklich wahrhaben. Die ganzen Ereignisse der letzten Wochen und Monate, der Bürgerkrieg, der das Leben des jungen Dominus gefordert hatte, die Verhaftung des Hausherren durch die Rebellen, weil erauf den falschen Mann gesetzt hatte und sein daraus resultierender Selbstmord in seiner Zelle, sowie letztendlich der Tod der Domina, die die Wochen, nachdem ihr Gatte fort war, nur noch im Opiumrausch dahinsiechte und am Ende für immer eingeschlafen war.

    Es hatte wirklich keiner großen Überlegung bedarft, ob sie hier bleiben oder weiter ziehen sollte. Rom war der ideale Ort, um in Freiheit zu leben, so glaubte sie. Ein Leben in Freiheit! Freiheit - Nächtelang hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen wie es wohl sein könnte, frei zu sein. Diese süße Frucht, die noch vor einigen Wochen für sie unerreichbar schien, hielt sie nun in ihren Händen und sie konnte es kaum erwarten, davon einen ordentlichen Bissen zu kosten. Doch bevor es soweit war, sich an der Freiheit vollends zu laben, mussten noch einige wichtige Dinge erledigt werden: Ein Platz zum Schlafen musste gefunden werden. Und etwas Essbares wäre sicher auch von Vorteil. Und um diese beiden Dinge auf Dauer zu gewährleisten zu können, war eine sinnvolle Beschäftigung, die einen guten Verdienst mit sich brachte nur von Vorteil. Man Arbeitete und bekam dafür auch noch Geld! Das musste man sich erst einmal vorstellen!
    Nun, das mit der Arbeit hatte gewiss noch etwas Zeit. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut!
    Vielmehr meldete sich Beroes Magen lautstark zu Wort, der seitdem sie das Landgut ihrer ehemaligen Besitzer fluchtartig verlassen hatte, ständig zu kurz kam. Hie und da hatte sie auf dem Land etwas bei freundlichen Leuten ergattern können. Aber hier in der Stadt schwanden ihre Hoffnungen bald, nachdem sie nicht nur einmal mit bösen Verwünschungen vor einer zur anderen Garküche vertrieben worden war nur weil sie höflich gefragt hatte, ob man für sie etwas übrig hätte.
    Das waren leider die Schattenseiten des Frei- Seins. Zu den gewohnten Mahlzeiten gab es kein Stück Brot oder eine Schale voll Puls.


    Da Beroes Hunger mit der Zeit immer schlimmer wurde und sie von der langen Reise mehr als erschöpft war, ließ sie sich irgendwo nieder und begann nachzudenken, was sie tun konnte, um ihren Hunger zu stillen.
    Nun ja, da gab es zum einen das Betteln. Eine relativ einfache Art der Geld- beziehungsweise der Nahrungsbeschaffung. Man musste nur das passende Fleckchen finden, an dem viele potentielle Geber vorbei kamen und man sich dann platzieren konnte, um die Hand aufzuhalten. Allerdings war sich Beroe sicher, dies würde sie einiges an Überwindung kosten.
    Desweiteren war da noch die Möglichkeit des Stehlens. Diese Variante war im Gegensatz zum Betteln doch gleich etwas schwieriger. Man musste geschickt und schnell sein. Zwei Eigenschaften die beide nicht unbedingt Beroes Stärken waren. Also fiel diese Option schon mal flach.
    Die dritte Möglichkeit (und bei einem Großteil der Bewohner dieser Stadt wohl auch die gängigste) war schließlich noch der käufliche Erwerb von Nahrungsmitteln. Diese Option zog allerdings Beroe erst einmal gar nicht in Betracht. Denn woher sollte sie das Geld nehmen, wenn Möglichkeit eins und zwei nicht so einfach umsetzbar waren?
    Beroe zerbrach sich weiter den Kopf, was mit einem leeren Magen gar nicht so einfach war. Wie kam man in dieser Stadt zu Geld, um ein Stück Brot zu kaufen?