Die Tage gingen ins Land. Es war Winter geworden. Die kleine Ursicina war mittlerweile beinahe vier Monate alt. Sie war Alpinas kleiner Sonnenschein. Nur selten weinte sie ohne erkennbaren Grund. Meist erwiderte sie jedes freundliche Lächeln, das man ihr entgegenbrachte. Inzwischen gluckste und brabbelte sie unverständliche Laute und beschäftigte sich ausgiebig mit ihren Händchen und Füsschen, wenn gerade kein anderes Spielzeug aufzutreiben war.
Wann immer möglich nahm Alpina ihre Tochter mit in die Taberna Medica. Wenn es der Kleinen dort allerdings zu langweilig wurde oder Alpina zu einer Entbindung gerufen wurde, nahm sich Neman der Kleinen an. Die Kinderfrau war nicht nur eine wichtige Stütze für die Kräuterfrau und Hebamme, sondern für Ursicina zu einer wichtigen Bezugsperson geworden, der sie vertraute und von der sie sich fast ebenso schnell und zuverlässig beruhigen ließ wie von ihrer Mutter.
Nun stand die erste große Belastungsprobe für Mutter und Kind an. Alpina würde ihre Mutter und ihre Schwester in Augusta Vindelicum besuchen. Gemeinsam mit Neman packte sie ihre Sachen und die ihrer Tochter. Neman sollte die beiden begleiten, damit Ursicina nicht nach der Rückkunft fremdeln würde. Alpina war sich sicher, dass die Bewohner der Casa Helvetia eine Weile ohne die zweite Sklavin auskommen würden.
Eine gewisse Wehmut lag in Alpinas Aufbruch. Sie würde längere Zeit von Corvinus, Curio und Runa getrennt sein und das zu einer Zeit in der ihre Freundin Runa schwanger war. Die Sorgen der Schwangeren, die Freundin und Hebamme in der Ferne zu wissen, konnte Alpina nachvollziehen. Doch versprochen war versprochen. Ihre Mutter wartete sehnsüchtig darauf, ihr Enkelkind sehen und auf den Arm nehmen zu dürfen und auch die Schwester sowie die Cousins und Cousinen waren neugierig auf Ursicina.
Leise seufzte Alpina als sie die Kette mit dem Lunulaanhänger aus ihrer Tunika zog. Lange hatte sie Corvinus nicht gesehen und er seine Tochter. Die Bedrohung durch die Germanen jenseits des Limes erforderte viele und ausgedehnte Patrouillenritte. Alpina war traurig, dass er diese Zeit, in der die Kleine so schnell wuchs und beinahe täglich irgendwelche Fortschritte machte, nicht miterleben durfte. Ganz abgesehen davon, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als die kalten Nächte nicht immer alleine in dem großen Bärenbett verbringen zu müssen.
Wie sehr hoffte sie, dass er wenigstens noch einmal Zeit finden würde, sich von ihr zu verabschieden, bevor sie in wenigen Tagen nach Raetia aufbrach.