Beiträge von Susina Alpina

    Interessiert lauschte Alpina seinen Ausführungen. Erst sprach er von Beruhigung, dann fielen Städtenamen wie Antiochia und Epirus. Alpinas Augen wurden immer größer. Er würde lange weg sein und ob dieser Auftrag weniger gefährlich war als die Bewachung des Limes? Sie konnte es nur hoffen.
    "Ich werde dich in meine Gebete einschließen und hoffen, dass alles gut geht."


    Alpina fragte lieber nicht wie lang er wohl wegbleiben würde. Es war schon hart, wenn man das gemeinsame Leben so wenig planen konnte.


    Dann aber genoss sie das Bad mit ihm. Der Bart störte sie nicht im Mindesten und seine Berührungen weckten sehnsuchtsvolles Verlangen in ihr. Als er vorsichtig anfragte, wie sie die Geburt und deren Folgen überstanden hatte, hauchte sie ihm ein aufforderndes "überzeug dich selbst!" ins Ohr.


    Dem Hauchen ließ sie ein zärtliches Knabbern am Ohr folgen und als sie seine Hände auf Wanderschaft spürte, wandelte sich das Knabbern zu einem lustvollen Seufzen. Nicht nur ihre Seele hatte ihn vermisst, ihr Körper sehnte sich mindestens genauso sehr nach ihm.

    Corvinus begrüßte seine Tochter, die jedoch ungerührt weiterschlief. Alpina musste grinsen.
    "Es scheint so, als wolle sie tatsächlich vorschlafen. Ja, es geht ihr gut. Sie hat den ersten Schnee gut überstanden und nimmt gut zu. Du wirst es merken, wenn du sie später auf den Arm nimmst. Du bleibst doch noch ein wenig, oder? Kannst du über Nacht bleiben?"


    Neman erschien. Sie brachte zwei Eimer mit heißem Wasser und goss sie vorsichtig in die Wanne. Dann lief sie erneut und brachte die gewünschte Seife für den Hausherrn und zwei Handtücher. Beim Hinausgehen sah sie Alpina fragend an. Sollte sie Ursi mit sich nehmen oder bei ihren Eltern lassen?
    Alpina nickte. Sie wollte gerne noch ein wenig mit Corvinus allein sein.
    "Du kannst sie mitnehmen. Wenn sie wach wird und Hunger hat, bringst du sie mir."


    Neman nickte und nahm das Kind mit dem Körbchen an sich.
    Alpina trat ans Impluvium. Sie zog die Schuhe aus und tauchte prüfend eine Zehe ins Wasser. Naja, vielleicht nicht kuschelig aber warm genug. Lächelnd löste Alpina die Gewandspangen und legte die Kleidung ab. Sachte glitt sie zu Corvinus ins Becken und nahm die Seife. Mit sanft kreisenden Bewegungen seifte sie ihn ein. Es fühlte sich schön an, nach so langer Zeit wieder über seine Haut zu streichen.

    Alpina hörte sich die Geschichte von der Verletzungen an und musterte ihren Liebsten spöttisch. Nette Geschichte. Doch sie wurde den Verdacht nicht los, dass an ihrer Version auch was dran sein könnte...


    Doch großzügig wie sie war, ließ sie es darauf beruhen und nahm sich vor, seine Finger über Nacht mit einer Heilsalbe zu versorgen. Ihr Blick verfolgte, wie Corvinus Schicht für Schicht seine Kleidung ablegte. Der "Otterpelz" landete auf einem Haufen. Schließlich fiel sogar die letzte Hülle. Mit schräg gelegtem Kopf musterte sie den Körper ihres Liebsten. Was für ein Anblick, sie liebte jeden Digitus an ihm!


    Überrascht nahm sie zur Kenntnis, dass er das Impluvium als Badewanne nutzen wollte. Bei den Temperaturen! Er war hartgesotten, keine Frage! Als sie dann auch noch hörte, dass sie sich als Tonsoria betätigen sollte, stemmte sie zunächst in gespielter Empörung die Arme in die Seiten. Dann aber fiel dem großen Bär auf, dass er jemanden noch nicht begrüßt hatte. Ursicina!


    Alpina lächelte. Wieder glitt ihr Blick an ihm herunter. "Willst du sie erschrecken?" Belustigt hob sie eine Augenbraue. "Wenn du möchtest, hole ich sie. Sie schläft gerade in ihrer Wiege. Erwarte allerdings nicht, dass sie mit in das kalte Wasser steigt. Da würde sie sich den Tod holen. Sowas kann auch nur ein Soldat schön finden."


    Corvinus wollte seine Tochter sehen und Alpina ging ins Cubiculum um Ursicina zu holen. Sie hängte einfach die Wiege aus ihrer Verankerung aus und trug sie hinüber. Dort stellte sie das Körbchen an den Beckenrand. Mit dem Blick der Mutterliebe sah sie auf das schlafende Mädchen hinunter. Rosig blitzten ihre Wangen aus den Decken und Kissen hervor. Ihre Augen bewegten sich im Schlaf. Ursi schien zu träumen.

    "Wir werden vermutlich in zwei bis drei Tagen abreisen. Der Reisewagen ist noch nicht da, aber angekündigt wurde er mir schon. Ich nehme also an, dass er morgen oder spätestens übermorgen kommen wird. Dann lassen wir dem Kutscher eine Nacht zur Erholung und reisen dann ab."


    Auf ihre Frage nach Blessuren zeigte er ihr seine Finger. Überwärmt, geschwollen und gerötet. Seine Erklärung dazu ließ sie aufhorchen. "Auf die Finger getreten? Wie kann das sein? Du solltest doch auf dem Pferd sitzen nicht am Boden neben ihm herumkrabbeln. Da hat wohl jemand zu tief in den Weinbecher geguckt, oder?"


    Alpina schmunzelte und zwinkerte ihm zu, während er begann sich auszuziehen. Sie streckte die Hand nach den völlig verdreckten Kleidungsstücken aus.
    "Gib mir mal die Sachen! Neman kann sie säubern."

    Er roch nicht nur wie ein Otter, er sah auch in etwa so aus. Verdreckt und unrasiert. Alpina wollte aber nicht warten, sie warf sich in seine Arme, sog die eigenartige Mischung aus Pferd, Rauch und "Otter" in sich auf. Das war ihr "Bär"! So liebte sie ihn. Nie wollte sie einen geschniegelten römischen Schönling mit geglätteter Toga haben. Nein, sie wollte genau diesen Mann. Mit allen Ecken und Kanten, mit seiner unnachahmlichen Art, dieses Raubein, das sich nie in einer Toga wohlfühlen würde. Es passte so viel besser zu ihm und dafür liebte sie ihn. Deshalb ließ sie es sich nicht nehmen sein unrasiertes Gesicht in ihre Hände zu nehmen und zu sich herunterzuziehen. Ihre Lippen schmeckten seine. Eine Mischung aus Staub, Dreck und Schweiß. Er schmeckte auch so, wie sie sich einen Otter vorstellte.


    Noch einmal drückte sie ihn an sich. "Ich habe schon gedacht, du schaffst es nicht mehr vor unserer Abreise. Ich, nein wir, haben dich so sehr vermisst!"


    Nur zögernd ließ sie ihn los. So als habe sie Angst, dass er gleich wieder verschwinden würde, wenn sie ihre Hände von ihm nahm.
    "Wie geht es dir?"


    Ihr Blick suchte seinen Körper genau ab. Hatte er Verletzungen?

    Geräusche im Haus. Nichts ungewöhnliches. Aber diese Geräusche... es krakchte, schepperte und die nicht eben leisen Schritte, die aus dem Atrium zu hören waren, zauberten ein feines Lächeln auf Alpinas Lippen - Corvinus!
    Als sie dann auch noch seine Stimme hörte, die bittend ihren Namen rief, juchzte sie auf.


    "Corvinus!", Alpina ließ alles stehen und liegen und flog durch die Tür des Cubiculums auf ihn zu.

    Einige Zeit nach Runa erschien auch Alpina im Vestibulum. Sie versuchte sich zu orientieren. Mit Erleichterung sah sie, dass Curio da war und Runa stützte. Auch Duccius Marsus war anwesend. Er hielt den kleinen Jungen im Arm, der nicht nur die Mutter verloren zu haben schien, denn von seinem Vater war weit und breit nichts zu sehen. Leise wimmerte es aus dem Bündel heraus.


    Alpina trat auf Duccius Marsus zu.
    "Darf ich den kleinen Jungen in deiner Obhut lassen? Ich werde sogleich in die Cabanae gehen und eine Frau, die ich als zuverlässige Stillamme kenne bitten, ob sie dem kleinen Duccius die Brust geben kann. Hättet ihr eine Kammer für sie oder soll sie den Kleinen bei sich behalten bis er entwöhnt werden kann?"

    Runa war sichtlich angeschlagen. Wie schrecklich für sie, den Tod ihrer Mutter im Wochenbett so miterleben zu müssen. Dazu kam ja das Wissen um die eigene Schwangerschaft und damit auch sicherlich eine zunehmende Angst davor, was sie erwarten würde. Zu gerne hätte Alpina ihr dies Angst genommen, doch wie? Schließlich mussten sie beide der Realität ins Auge sehen.


    Auf die BItte, sich um eine Amme zu kümmern, nickte Alpina. Sie würde gleich im Anschluss in die Cabanae gehen und die Frau fragen, die sie bereits seit Jahren als zuverlässige Amme kannte.


    Während Runa mit ihrem kleinen Bruder auf dem Arm zu den wartenden Männern ging, fingen Marga und Alpina an, die Tote zu entkleiden und zu waschen. Alpina ließ alle Textilien, die Kontakt zu der Verstorbenen gehabt hatten verbrennen. Sie würde sie am nächsten Hekateschein der Dunklen Göttin opfern, wie es üblich war. Von Marga ließ sich Alpina eine saubere, einfache Tunika geben. So blutbefleckt wollte sie nicht auf die Straße und auf die Suche nach einer Amme gehen.


    Als Fusa gewaschen, neu gekleidet und aufgebahrt war, überließ die Raeterin Marga die Totenwache und machte sich auf den Weg.

    Alpina konnte sehen und spüren, dass ihre Freundin Runa mit Curios eigenmächtiger Entscheidung einen Custos in die Casa Helvetia zu holen nicht einverstanden war. Sie beugte sich nur augenscheinlich der Weisung ihres Mannes.
    Die raetische Hebamme hingegen akzeptierte den neuen Hausbewohner ohne weiteren Kommentar. Sie konnte den guten Willen Curios erkennen und vielleicht auch am ehesten nachvollziehen wie wichtig ein kampferprobter Mann für die Familie sein konnte. Sie selbst würde vermutlich am meisten von Roderiqs Anwesenheit profitieren.
    "Dann werde ich dich rufen lassen, wenn ich dich benötige, Roderiq. Ich hoffe, du lebst dich schnell ein bei uns. Falls du mich suchst oder einen medizinischen Rat benötigst, findest du mich tagsüber meist in der Taberna Medica. Dorthin werde ich mich jetzt auch wieder zurückziehen, wenn ihr mich nicht mehr braucht. Valete!"


    Alpina lächelte Curio und Roderiq noch einmal zu, dann verließ sie das Triclinium um sich in die Taberna Medica zu begeben.

    Selten hatte das Aufheben eines Kindes Alpina mit so viel Trauer erfüllt. Sie hatte schon oft erlebt, dass die Mütter im Kindbett blieben und Väter Abschied nehmen mussten. In diesem Fall aber, wo sie alle Beteiligten so gut kannte, ja beinahe schon zur Familie gehörte, traf es sie besonders hart.


    Lange währte der Abschied nicht. Fusa war nicht mehr in der Lage zu sprechen. Als das letzte Blut ihren Körper verlassen hatte, blieb nur die leere Hülle zurück. Die Lares und Manes hatten die Seele Fusas mit sich genommen. Duccius Verus tat sich schwer, seine Trauer zu zeigen und vielleicht war es auch gut so für Runa. Sie trug ihren Bruder auf dem Arm und hatte damit die Zukunft in der Hand.


    Nach wenigen Augenblicken des Innehaltens verließ der Kindsvater das Zimmer. Alpina trat ans Bett der verstorbenen Fusa und schloss ihr die Augen. Dann ging sie zu Runa hinüber.
    "Ich bin untröstlich, Runa. Leider konnte ich Fusa nicht retten. Die Götter haben es so entschieden. Sie nahmen dir und deinem kleinen Bruder die Mutter."


    Die Hebamme machte eine Pause. Es war schwer eine Überleitung zum Alltag zu finden, doch eine drängende Frage stand an.
    "Wir werden als erstes eine Amme für ihn finden müssen. Ist in eurem Haushalt jemand, der stillt oder eben erst abgestillt hat? Sonst könnte ich eine Frau aus den Cabanae vermittlen, die sich als Amme verdingt."
    Sie sah Runa erwartungsvoll an.

    Der neue Custos war also reine Prophylaxe? Curio war ein vorsichtiger Mensch, der sich sehr um seine Familie sorgte, zu der er auch Alpina als seine Schwägerin zählte. Doch ein gewisses Unbehagen blieb. Curios Anspielung auf gefährliche Irre riefen in Alpina die Erinnerungen an die Beinahevergewaltigung durch den verrückten Aulus Helvetius Agrippa wach. Natürlich hatte ihr Schwager recht damit einen erfahrenen Kämpfer zu engagieren, wenn man sich schützen musste.


    Alpina nickte dem neuen Custos also zu und lächelte. "Dann herzlich willkommen in der Casa Helvetia. Ich freue mich, dich kennenzulernen, Roderiq! Ich bin vermutlich diejenige, die du häufiger zu ungewöhnlichen Zeiten außerhalb des Hauses begleiten musst. Denn als Hebamme und Kräuterfrau werde ich nicht selten in den Nachtstunden gerufen. Stell dich darauf ein, dass es jederzeit sein kann, dass ich dich aus deinem warmen Bett hole."

    Die Szene war erschütternd als Duccius Verus im Blut seiner Frau kniete und seinen Sohn und Erben begrüßte. Schweren Herzens sah Alpina zu wie Runa ihrem Vater den frisch geborenen Sohn zu Füßen legte, damit er ihn als seinen Erben anerkannte.


    Nur zu gerne würde sie Fusas Wunsch erfüllen und Runas Freundin und Stütze sein. Das war schließlich selbstverständlich.
    Gemeinsam mit der immer schwächer werdenden Fusa wartete sie auf das "tollere infantem".

    Auch Alpina umarmte Runa und besah sich mit ihr gemeinsam den Mann, der sogleich das Triclinium betrat. Auch wenn Curio nicht erwähnt hätte, dass er ein ehemaliger Cohortensoldat war, Alpina hätte es sofort erkannt. Alles an ihm erinnerte an sie an ihren Vater, Corvinus oder den Vater der beiden Helvetier. Der prüfende, die Lage sondierende Blick durch den Raum, das Abschätzen der Personen, die zunächst schweigsame abwartende Art.


    Curio hatte sich also um einen Custos für die Familie bemüht. Ihr fragender Blick traf den Schwager als er die Gesichter der beiden Frauen nach einer Reaktion absuchte. Warum denn das? War ihr Leben in Gefahr? Hatte er eine Drohung erhalten? Wusste Curio etwas, das sie nicht wusste? Hatte er womöglich von dem brutalen Helvetius, der Alpina in ihrer Taberna Medica aufgelauert hatte, gehört?


    Alpinas Blick ging von Curio zu dem schweigsamen Mann, der auf den Namen Roderiq hörte. Würde sie ihm vertrauen können? Sie wartete, dass er zuerst etwas sagte, denn schließlich hatte Curio sie und Runa vorgestellt.

    Liam hatte Alpina davon in Kenntnis gesetzt, dass Curio sie im Triclinium erwartete. Der schweigsame Brite hatte keine weiteren Angaben gemacht, nur so viel verraten, dass der Schwager ihr und dem Rest der Familie einen Mann vorstellen wolle. Alpina drückte also Neman ihre Tochter Ursicina in den Arm und machte sich auf den Weg zum gemeinsamen Triclinium.


    Neugierig betrat sie den Raum, doch außer ihrem Schwager Curio war niemand zu sehen. Weder der Gast noch Runa schienen noch bereits eingetroffen zu sein.
    "Salve, Curio!", begrüßte Alpina ihren Schwager. Sie trat auf ihn zu und umarmte ihn freundschaftlich wie immer. "Du hast mich rufen lassen. Liam wollte nicht mit der Sprache rausrücken. Du machst es aber spannend, mein Lieber!"
    Sie zwinkerte ihm zu und angelte sich einen der freien Stühle. "Ist es recht, wenn ich Platz nehme?"

    Die Tage gingen ins Land. Es war Winter geworden. Die kleine Ursicina war mittlerweile beinahe vier Monate alt. Sie war Alpinas kleiner Sonnenschein. Nur selten weinte sie ohne erkennbaren Grund. Meist erwiderte sie jedes freundliche Lächeln, das man ihr entgegenbrachte. Inzwischen gluckste und brabbelte sie unverständliche Laute und beschäftigte sich ausgiebig mit ihren Händchen und Füsschen, wenn gerade kein anderes Spielzeug aufzutreiben war.


    Wann immer möglich nahm Alpina ihre Tochter mit in die Taberna Medica. Wenn es der Kleinen dort allerdings zu langweilig wurde oder Alpina zu einer Entbindung gerufen wurde, nahm sich Neman der Kleinen an. Die Kinderfrau war nicht nur eine wichtige Stütze für die Kräuterfrau und Hebamme, sondern für Ursicina zu einer wichtigen Bezugsperson geworden, der sie vertraute und von der sie sich fast ebenso schnell und zuverlässig beruhigen ließ wie von ihrer Mutter.


    Nun stand die erste große Belastungsprobe für Mutter und Kind an. Alpina würde ihre Mutter und ihre Schwester in Augusta Vindelicum besuchen. Gemeinsam mit Neman packte sie ihre Sachen und die ihrer Tochter. Neman sollte die beiden begleiten, damit Ursicina nicht nach der Rückkunft fremdeln würde. Alpina war sich sicher, dass die Bewohner der Casa Helvetia eine Weile ohne die zweite Sklavin auskommen würden.


    Eine gewisse Wehmut lag in Alpinas Aufbruch. Sie würde längere Zeit von Corvinus, Curio und Runa getrennt sein und das zu einer Zeit in der ihre Freundin Runa schwanger war. Die Sorgen der Schwangeren, die Freundin und Hebamme in der Ferne zu wissen, konnte Alpina nachvollziehen. Doch versprochen war versprochen. Ihre Mutter wartete sehnsüchtig darauf, ihr Enkelkind sehen und auf den Arm nehmen zu dürfen und auch die Schwester sowie die Cousins und Cousinen waren neugierig auf Ursicina.
    Leise seufzte Alpina als sie die Kette mit dem Lunulaanhänger aus ihrer Tunika zog. Lange hatte sie Corvinus nicht gesehen und er seine Tochter. Die Bedrohung durch die Germanen jenseits des Limes erforderte viele und ausgedehnte Patrouillenritte. Alpina war traurig, dass er diese Zeit, in der die Kleine so schnell wuchs und beinahe täglich irgendwelche Fortschritte machte, nicht miterleben durfte. Ganz abgesehen davon, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als die kalten Nächte nicht immer alleine in dem großen Bärenbett verbringen zu müssen.


    Wie sehr hoffte sie, dass er wenigstens noch einmal Zeit finden würde, sich von ihr zu verabschieden, bevor sie in wenigen Tagen nach Raetia aufbrach.

    Nicht nur Runa erkannte den Ernst der Lage, auch Fusa spürte wohl, dass es zu Ende ging. Ihre Tochter überreichte ihr den gesäuberten Sohn. Tränen rannen über die Gesichter von Mutter und Tochter. Fusa schckte schließlich Runa los, ihren Vater zu holen.


    Alpina war mit Fusa allein. Sie versuchte die Blutung durch das Aufdrücken von Tüchern zu stoppen, doch schnell füllten sich die Stoffe mit dem Blut Fusas. Die Blutung ließ sich nicht unterbinden und wurde auch nicht deutlich weniger. Als Fusa fragte, wieviel Zeit ihr noch bliebe, musste Alpina schlucken. Das war nicht so einfach zu sagen.
    "Wenn die Blutung so anhält, wirst du innerhalb der nächsten Hora das Bewusstsein verlieren. Wenn du Schmerzen hast, dann sag es mir. Ich kann sie dir nehmen und dich sanft in Proserpinas Arme übergeben..."


    Nun glitzerten auch in Alpinas Augen die Tränen. "Iuno Lucina ist eine grausame Göttin... wenn sie die Fackel löscht, bin ich machtlos...."
    Sie griff Fusas Hand und hielt sie.

    Alpina lächelte als sie Runas Beteuerungen hörte, nicht so launisch sein zu wollen und kürzer zu treten. So gerne sie es glauben wollte.... nun, niemand konnte aus seiner Haut.


    "Leider trage ich ja auch dazu bei, dass du nicht wirklich Ruhe bekommst, denn ich hoffe natürlich, dass du ab und an in der Taberna Medica nach dem Rechten siehst und mich ein wenig vertrittst, so wie du es in den vergangenen 40 Tagen getan hast. Leider ist meine Mutter nicht mehr in der Lage, die weite und anstrengende Reise nach Mogontiacum anzutreten, weshalb ich zu ihr reisen muss. Aber ich verspreche dir, dass ich rechtzeitig wieder da sein werde."


    Sie nahm die Freundin tröstend in den Arm. Dann mischte sie die Kräuter und überreichte Runa eine Dose mit den getrockneten Blättern und Blüten für die Zeit der Schwangerschaft.

    Runa wollte helfen, doch Alpina wusste momentan nicht wirklich wie.
    "Im Augenblick kannst du leider nicht viel machen außer deiner Mutter die Hand zu halten. Aber wenn das Kind kommt, wäre es gut, wenn du es auffängst. Denn ich werde versuchen einen optimalen Dammschutz zu machen, das bedeutet, eine Überdehnung und ein Reißen zu vermeiden und die Plazenta zu entlasten. Dazu würde ich gerne beide Hände nehmen."


    Alpina hätte gerne noch mehr erklärt als die nächste, sehr starke Wehe kam und die tapfere Fusa, die jegliches Schmerzmittel abgelehnt hatte, gellend schrie. Alpina gab ihr Bestes, versuchte den Druck des Köpfchens von der empfindlichen Plazenta fernzuhalten. Sie wartete auf eine Wehenpause, doch stattdessen kam gleich die nächste Wehe. Fusa schrie und jammerte. Der Kopf war schon fast zur Gänze geboren.
    "Schnell, Runa, halt den Kopf und fang das Kind auf. Nicht zu viel pressen, Fusa! Nicht mitpressen!"

    Doch Fusa konnte dem Drang der Wehe nicht widerstehen, sie bäumte sich auf und mit einer weiteren heftigen Kontraktion wurde das Kind geboren. Es glitt in Runas Hände, die rechtzeitig zur Stelle waren und das Kind entgegennahmen.


    Zu Alpinas Erschrecken wurde jedoch nicht nur das Kind geboren, sondern in einem Blutschwall löste sich auch die Plazenta und fiel in Alpinas Hände. Es war offensichtlich, dass sie aus der Gebärmutterwand herausgerissen war. Die Heftigkeit der Blutung, die aus Fusas Unterleib quoll, machte deutlich, dass der schlimmste Fall eingetreten war.
    Entsetzt sah Alpina Runa an. Erkannte die Freundin den Ernst der Lage?

    Kurz nachdem Marga gegangen war, um den Kräutersud zu kochen, fragte die beunruhigte Fusa ob alles in Ordnung sei. Alpina machte eine Kunstpause, atmete tief durch und als sie gerade ansetzen wollte, stürmte Runa herein.
    Dankbar für die Unterbrechung und darum die Antwort auf die Frage noch ein wenig verschieben zu können, machte sie der Freundin Platz, damit sie zu ihrer Mutter gehen konnte. Alpina wartete ab, bis sich Runa ihr zuwandte.


    Nach kurzem Nachdenken entschied sich Alpina, die Wahrheit zu sagen. Sie wollte es vorsichtig formulieren, war aber sicher, dass Runa zwischen den Zeilen würde lesen können und die Gefährdung der Mutter erkennen würde. Alpina begann mit der postiven Nachricht.
    "Das Erfreuliche ist, dass das Kind schon ins Becken gerutscht ist und der Muttermund sich bereits ordentlich geöffnet hat. Dennoch gibt es einen Grund für die starken Schmerzen...." sie machte eine kurze Pause und sah Fusa direkt in die Augen. "Der Mutterkuchen liegt sehr nah am Muttermund. Er kommt unter Druck wenn das Kind bei der Wehe gegen den Beckenboden gepresst wird. Das verursacht den Schmerz und während der Wehe wird sicherlich auch die Versorgung des Kindes nicht optimal gewährleistet sein. Wir sollten also versuchen, das Kind zügig zu holen. Gleichzeitig müssen wir aber auf die Plazenta achten. Sie darf nicht verletzt werden."


    Alpina sah nun zu Runa hinüber, dann wieder zurück zu Fusa.
    "Ich werde versuchen den Muttermund durch sanfte Massagen und intensive Ölungen weich und geschmeidig zu machen. Der Diptam bringt die Wehen voran, sie werden kräftiger. Dann werden wir hoffentlich bald dein Kind in Händen halten, Fusa. Wenn du den Schmerz nicht mehr aushältst, sag mir Bescheid. Ich habe hier ein Pulver, das in Wein gelöst, schnell wirkt und den Schmerz lindert. Leider macht es schläfrig und benommen... du entscheidest ob du es haben möchtest."


    Marga brachte den Sud und hielt Fusa den Becher hin. Alpina nickte der Kreissenden aufmunternd zu.

    Zunächst wandte sich Alpina an Curio, dem offenbar erst jetzt bewusst wurde, dass eine Schwangerschaft nicht nur Grund zur Freude war. Typisch Männer! , dachte Alpina im Stillen. Am liebsten hätte sie ihn einmal an einer der Ausfallstraßen Mogontiacums spazieren geschickt. Dort konnte er die Grabmahle der Frauen sehen, die ihr Leben im Kindbett gelassen hatten. Es waren viele! Die Lebenserwartung einer Frau war nicht ohne Grund wesentlich geringer als die eines Mannes! Doch sie behielt diese Weisheiten für sich. Schließlich machte er sich offensichtlich schon jetzt große Sorgen um seine Frau.


    Curio fragte ob er helfen könnte. Alpina überlegte ob sie ihm sagen sollte, dass die meisten Ärzte empfahlen der Frau während der Schwangerschaft nicht beizuwohnen.
    "Ob du etwas für sie tun kannst?"
    Sie wollte gerade antworten als Runas Einwurf kam, dass er schon viel Gutes tat, wenn er ihre Launen ertrug. Alpina musste grinsen. Ja, vermutlich würde Curio es nicht leicht mit ihr haben. Deshalb beschloss die Raeterin keine überkommenen hippokratischen Ratschläge zu erteilen.
    "Nun, Runa sagt es selbst. Sei nachsichtig mit deiner Frau. Sie wird womöglich launisch sein, manchmal vielleicht auch sehr nah am Wasser gebaut haben und sentimental sein. Verurteile sie nicht dafür und behalte deine sonst so stoische Ruhe und Gelassenheit. Das wird euch beiden helfen."


    Zu Runa sagte sie: "Runa, du bist womöglich die größte Gefahr für dich selbst, denn du bist es nicht gewöhnt, sorgsam mit dir selbst umzugehen und neigst dazu dich zu übernehmen...", Alpina setzte eine strenge Miene auf. "...sowohl körperlich wie auch psychisch. Versuche dich zu mäßigen. Das ist Aufgabe genug, denke ich."
    Nun lächelte sie. "Ich werde dem Tee etwas gegen die morgendliche Übelkeit beimischen. Dann wird es sicher bald besser."


    Nun kam Runas angstvolle Frage nach Alpinas Besuch in Raetia. "Ich werde in wenigen Wochen abreisen und über die Saturnalien und den gesamten Ianuarius fort sein. Natürlich werde ich dir schreiben und ich bitte auch dich, mich regelmäßig zu informieren, wie es dir geht. Ich bin jedoch in jedem Fall pünktlich für das letzte, anstrengede Drittel der Schwangerschaft wieder in Mogontiacum. Mach dir keine Sorgen!"