Beiträge von Susina Alpina

    Ruhig und routiniert lauschte Alpina Fusas Ausführungen. Gleichzeitig begann sie die Gebärende zu untersuchen. Die Tastuntersuchung am Bauch ergab, dass das Kind schon in den Geburtskanal gerutscht war. Es lag an sich richtig. Die vaginale Untersuchung ergab dann jedoch eine unschöne Anormalität. Die Plazenta lag offenbar sehr nah am Muttermund in ungünstiger Postion, so dass sie zum einen das Kind beim Durchtritt behinderte und zum anderen ein großes Risiko barg zu reißen und damit fatale Blutungen zu verursachen.


    Alpina versuchte sich nicht anmerken zu lassen wie ungünstig die Lage war. Sie wollte auf Runa warten und dann mit ihr besprechen ob und wenn ja wie man Fusa einweihen sollte.
    Auf jeden Fall war hier ganz besonderes Fingerspitzengefühl gefragt. Im wahrsten Sinne des Wortes! Der Muttermund musste vorsichtig geweitet werden und vor allem brauchten sie kräftige Wehen, damit es möglichst flott ging. Jedes lange Ziehen und Zerren an dem so knapp am Muttermund liegenden Mutterkuchen erhöhte das Risiko eines Plazentarisses.


    Die Hebamme wandte sich an Marga. "Bitte koche mir aus diesem Kraut einen kräftigen Sud."
    Sie gab der älteren Frau eine Dose mit kretischem Diptam in die Hand. "Sei großzügig damit!"


    Während sie auf den Sud und das Erscheinen Runa wartete, ölte sie Fusas Vagina und Muttermund großzügig ein und begann sanft zu massieren um den Durchtritt des Kindes zu erleichtern. Dabei sparte sie bewusst die Seite aus an der die Plazenta festgewachsen war.

    Die Anspannung war förmlich mit Händen zu greifen als eine junge Magd die Tür zu der Kammer öffnete in der sich die Kreissende befand. Alpina wurde schnell hereingebeten.


    Sie betrat das Cubiculum und erblickte zunächst die alte Marga, die am Bett Fusas stand, dann sah sie Fusa selbst, die auf dem Bett hinter Marga lag und sich in Wehen wand. Sofort sprach Marga die Hebamme an. Zufrieden stellte Alpina fest, dass schon einiges hergerichtet war. Die Frage danach, ob sie noch etwas benötigte, beantwortete sie mit einem kurzen Satz.
    "Etwas Olivenöl wäre von Vorteil und sonst sehen wir was noch benötigt wird, wenn ich Fusa untersucht habe. Vielen Dank, Marga."


    Mit diesen Worten setzte sie sich an die Bettkannt der Kreissenden. Fusa wollte sich aufrichten wurde aber von der nächsten Wehe gleich wieder ins Kissen zurückgedrückt. Ihre Finger umkrallten den Bettpfosten. Alpina wartete bis die Wehe verebbt war, dann sprach sie mit zärtlicher Stimme.
    "Salve, Fusa. Wie ich sehe sind die Wehen schon sehr stark. Kommen sie regelmäßig? In kurzen Abständen?"


    Während sie auf eine Antwort wartete, schob Alpina die Kleidung der Gebährenden hoch. Sie wollte eine Untersuchung vornehmen.

    Alpina nickte als Runa zurückrechnete wann sie das letzte Mal geblutet hatte. Seit der Hochzeit waren gut 6 Wochen vergangen also seit der Konzeption vermutlich etwas mehr als ein Monat. Dann sollte sie in jedem Fall noch bis zur Wintersonnenwende mit der frohen Botschaft warten.
    "Das klingt realistisch, Runa. Zur Sonnenwende sollten wir uns sicher sein können. Ich werde dir jetzt einen Tee zusammenstellen, der dich die Schwangerschaft über begleiten kann. Vielleicht ändern wir einige Komponenten im Laufe der Zeit, aber im Prinzip kannst du ihn durchgehend trinken. Ist dir übel? Oder hast du sonst irgendwelche Beschwerden?"


    Noch gut erinnerte sich Alpina an ihre erste Schwangerschaft, das Kind von Marcellus, das sie schließlich abgetrieben hatte. Ihr war unglaublich übel gewesen. Ganz anders bei der zweiten Schwangerschaft. Es war nicht nur von Frau zu Frau verschieden sondern durchaus auch von Schwangerschaft zu Schwangerschaft. Als Runa ernst bekräftigte, dass sie Iuno opfern wollte, nahm Alpina ihre Hände.
    "Es ist gut wenn du Iuno opferst, denn ihr allein obliegt die Entscheidung ob die Geburt glücklich endet. Wir haben es nicht in der Hand. Dennoch werde ich dir all meine Erfahrung und meine beiden helfenden Hände nur zu gern zur Verfügung stellen. Das wird schon! Mach dir nicht zu viele Sorgen. Du bist jung und kräftig und dazu mit einem starken Willen ausgestattet..."
    Nun zwinkerte die Hebamme der Freundin zu. "Wir werden das Kind schon schaukeln! Aber es ist gut, dass wir noch ein wenig Zeit bis zu deiner Niederkunft haben, denn ich werde über die Saturnalien zu meiner Mutter und meiner Schwester nach Raetia reisen. Der Mann meiner Schwester schickt einen Reisewagen und eine Begleiteskorte, damit Alruna und mir nichts zustößt. Wir werden vermutlich in zwei Wochen abreisen, damit wir rechtzeitig zu den Saturnalien in Raetia sind. Vor den Parentalia werde ich in jedem Fall wieder hier sein. Versprochen!"

    Noch immer trug Thorgal den Korb mit Alpinas Instrumenten und Heilmitteln. Sie waren im Eilschritt durch die Duccische Villa gelaufen und hatten nun das Cubiculum erreicht in dem Fusa auf die Hebamme wartete. Nun nahm sie den Korb an sich und nickte dem Germanen dankbar zu. Ohne lange zu zögern klopfte Alpina an.


    Poch, poch!

    Runas Anspielung auf Corvinus schiefen Gesang während der Hochzeitsnacht unter Zeugen konnte Alpina natürlich nicht verstehen, denn ihr Lebensgefährte hatte sich über jenes Stelldichein unter den Augen von vier Zeugen nicht weiter ausgelassen sondern rücksichtsvoll geschwiegen. Doch Alpina kam nicht dazu Runa danach zu fragen und vermutlich hätte sie es wohl eher unter vier Augen gemacht.


    Stattdessen umarmte sie nun auch ihren Schwager und drückte ihn fest an sich. Sie freute sich sehr, dass zumindest von ihm nun eine Last genommen war. Er hatte seine Zeugungsfähigkeit unter Beweis gestellt und den Ducciern bewiesen, dass er ein ganzer Kerl war und für Nachkommen sorgen konnte. Doch noch war nicht alles in trockenen Tüchern. Nicht selten verloren gerade so junge Frauen ihr erstes Kind vor der Zeit. Es war durchaus möglich, dass Runa das Kind nicht behalten würde.
    Alpina wollte die beiden jedoch nicht unnötig beunruhigen und sich erst einmal mit ihnen freuen.


    Sie überhörte Curios Anspielung auf ihre Tochter Ursi und widmete sich gleich seiner nächsten Feststellung.
    "Soweit käme es noch, dass ihr eine andere Hebamme mit der Geburt eures ersten Kindes betraut!" Empört stemmte sie die Hände in die Hüften. Dann wurde ihr Gesichtsausdruck wieder milde. Sie wandte sich an Runa.
    "Wie lang ist die Blutung schon ausgeblieben, Runa? Können wir schon sicher sein, dass das Kind sich dauerhaft in deinem Uterus eingenistet hat? Du weißt, dass sehr junge Frauen häufiger eine Fehlgeburt erleiden als ältere, nicht wahr? Also sei bitte vorsichtig. Bitte reite nicht in den kommenden Wochen und vermeide allzu großen Druck im Bauch. Wollen wir hoffen, dass Iuno ihre schützende Hand über dich hält. Wenn die Blutung mehr als drei Monate ausgeblieben ist, könnt ihr allen von der Schwangerschaft erzählen. Dann hat Iuno dich wirklich gesegnet. Und natürlich werden wir bis dahin alles an Kräutern einsetzen, was dir und dem oder der Kleinen gut tut."

    Thorgal erklärte sich bereit, den Korb zu nehmen. Damit war die erste Hürde genommen. Nun galt es die zweite Herausforderung zu meistern. Auf die Frage des Knechts nickte sie nur kurz. Ja, sie war schon geritten. Allerdings war es lange her. In Raetia hatte ihr Großvater Pferde besessen und Alpina hatte wohl ein paar Mal auf deren Rücken gesessen. Wenn der Germane nun aber ein scharfes Tempo vorlegen würde... nun, was tat man nicht alles für sein Patientinnen?


    Also ließ sich Alpina auf den Rücken des Tieres heben und nahm die Zügel. Wie gut, dass sie erst kürzlich der Reitergöttin geopfert hatte. Deren Beistand würde sie jetzt wohl brauchen.
    "Ich bin so weit, bei Epona!"

    Zunächst hob Alpina die Augenbrauen als sie Curios seltsame Ausführungen vernahm.
    "Übelkeit, später Schlaflosigkeit..." wiederholte sie und versuchte sich einen Reim darauf zu machen. Im Kopf ging sie alle ihr bekannten Geschlechtskrankheiten durch. Sie wollte nachhaken, weitere Symptome abfragen als der zweite Satz kam. Sie wollten nicht, dass es aufhörte? Ja, was bei allen Göttern war in die beiden gefahren? Neurolues? Zeigte der Aedituus bereits die Symptome einer fortgeschrittenen Veränderung des Geisteszustandes?


    Als sie dann aber erneut von Curio zu Runa hinübersah fiel ihr der zu einer Grimasse verzogene Gesichtsausdruck der Freundin auf. Aus Runas Augen sprach der Schalk! Wieder ging Alpinas Blick zurück zu Curio und auch dort zuckten die Mundwinkel verräterisch. Sie rekapitulierte das Gesagte. Übelkeit und später Schlaflosigkeit... dazu das nur mühsam zurückgehaltene Grinsen. Wie Kinder wirkten die beiden, die fast platzten, weil sie zu gerne die Neuigkeit loswerden wollten. Alpina zählte 1+1 zusammen. Runa war schwanger! Das musste es sein.


    Nun war es an ihr, den Spaß fortzuführen.
    Alpinas Stirn verzog sich zu einer strengen, senkrechten Falte. Mahnend hob sie den Zeigefinger.
    "Ihr wisst hoffentlich, dass jedes Elternpaar die Kinder bekommt, die es verdient? Ernsthafte, folgsame Eltern bekommen brave Kinder und zu Scherzen aufgelegte, alberne Eltern bekommen freche Kinder!"


    Spätestens jetzt umspielte auch ihre Mundwinkel ein Schmunzeln. "Ich gratuliere! Euer Schauspiel als Liebespaar vor Zeugen scheint Iuno gefallen zu haben! Zu schade, dass ich es verpasste habe!"


    Sie öffnete die Arme und wartete daruf, welcher von beiden sich zuerst von ihr herzen ließ.


    Liams Gesichtsausdruck wurde ernst. So eine unerwartete Wendung. Nun, es war nicht die erste Entbindung zu der man die Hebamme rief, aber die Mutter der Duccia war dann doch etwas Besonderes. Liam nickte diensteifrig.
    "Warte hier! Ich hole Alpina."


    Sprachs und nahm die Beine unter den Arm.


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    Wenig später erschien Alpina mit ihrem Korb in dem sie immer ihre Instrumente und Heilmittel für die Entbindungen mit sich führte. Sie wirkte angespannt aber nicht gehetzt - mit Eile erreichte man nichts. Mit der Routine einer erfahrenen Obstetrix trat sie vor die Tür. Als sie Thorgal und das am Zügel gehaltene Pferd für sie sah, runzelte sie etwas die Stirn. Ihre Frage war dann jedoch eher praktischer Natur.


    "Salve, Thorgal. Ich hörte, dass Fusa ihr Kind erwartet. Da es nicht ihr erstes ist, könnte es schneller gehen als sie es erwartet. Wir sollten zügig aufbrechen. Wie sollen wir meinen Korb transportieren?"


    Liam öffnete die Tür. Vor dem Ianator stand einer der Knechte der Duccier. Er war außer Atem und rang nach Luft.


    "Ich nehme an, du willst die Frau des jüngeren Helvetiers sprechen, nicht wahr?",, fragt er und öffnete bereitwillig die Tür.

    Curio sah ernst drein, wie eigentlich immer - nichts Besonderes also. Aber als er dann anfing, dass sie ihre Hilfe bräuchten, sah Alpina von einem zum anderen. Wobei konnten beide ihre medizinische Hilfe brauchen? Hatte sich Curio bei seinem Ausflug ins Lupanar etwas eingefangen und das im stillen Kämmerlein an seine Angetraute weitergegeben?


    Wie sollte Alpina ihre Vermutung an den Mann bringen ohne dass es zu peinlich wurde?
    "Nun", sagte sie. "Es gibt nichts, worüber wir nicht reden könnten. Für die meisten Leiden, die beide Teile eines Paares betreffen können, gibt es Heilmittel...."
    Sie konnte nicht ganz verhindern rot zu werden. Dann atmete sie tief durch und fuhr fort. "... ich müsste allerdings schon wissen, um welche Art von Leiden es sich handelt - also die Symptome erfahren...."


    Jetzt sah die Hebamme wieder beide an. Erst Runa, dann Curio. Sie war gespannt, was kommen würde.

    Überrascht sah Alpina von ihrer Arbeit auf als sie Geräuache vernahm. Es war nicht die Türglocke und die Besucher näherten sich nicht von außen, sondern kamen aus dem Haus. Einen Augenblick lang hoffte sie, dass es Corvinus sein könnte, den sie seit Tagen nicht gesehen hatte. Eine wichtige Aufgabe hielt ihn bei seiner Turma. Dann erkannte sie Curio und Runa, Schwager und Schwägerin, wenn beide Bezeichnungen ihr jedoch noch immer ungewohnt über die Lippen kamen.


    "Salvete, ihr beiden!", begrüßte Alpina das Paar. "Braucht ihr mich? Oder wollt ihr mich nur besuchen?"
    In ihren freundlichen Blick mischte sich ein wenig Sorge.

    Endlich waren die 40 Tage des Wochenbetts vorüber! Alpina hatte mit Corvinus gemeinsam den Göttinnen Iuno und Epona ein Opfer dargebracht. Iuno hatte Alpinas Körperbinde, die sie bei bis zur Entbindung getragen hatte, sowie eine Geldspende erhalten. Epona hatten beide eine kleine hölzerne Statue der im Damensitz reitenden Pferdegöttin gekauft.
    Leider hatte Corvinus gleich nach den Opfern ins Castellum zurückkehren müssen. Alpina war also alleine in die Casa zurückgekehrt. Sie hatte Ursicina gestillt und in die Obhut von Neman gegeben.


    Nun endlich konnte sie in ihre Taberna Medica zurückkehren. Wie sehr hatte sie ihre Arbeit vermisst.
    Liam war es gelungen einen Haken in die Decke zu schrauben. Daran würde sie das schaukelnde Körbchen aufhängen können, wenn sie die Kleine mit in die Taberna Medica nahm. Solange Ursi so viel schlief, war sie darin gut aufgehoben. Später würde Neman häufiger die Betreuung von Alpinas Tochter übernehmen müssen.


    Alpina begann Kräutersäckchen und Döschen zu sortieren, Salben zu mischen und Heilwein abzufüllen. WIe gut es sich anfühlte wieder etwas tun zu können. Erwartungsvoll lauschte sie darauf, dass das Klingeln der Türglocke den ersten Patienten ankündigte.

    Oh wie staunte Alpina als sie sah, dass Runa ihrer Tochter ein Amulett mit einer Runa schenkte.
    "Hagalaz", wiederholte sie ehrfürchtig. Die Rune stand für das Gleichgewicht der Kräfte, Fruchtbarkeit und Gedeihen. Das passte mal wieder hervorragend. Alpina strahlte die Freundin an, die ihre Tochter bei ihrem germanischen Namen nannte. "Vielen Dank, Runa!" Sie umarmte die Freundin und drückte sie an ihre Brust.


    Als Runa dann schmunzelnd Alrunas Onkel Curio betrachtete, musste auch sie lächeln.
    "Ja, es steht ihm hervorragend! Aber nur Onkel ist ein bisschen wenig. Ich hoffe ja, dass ich in Bälde auch Tante werde..." Sie zwinkerte Runa zu.


    Dann sah sie wieder nach der Familie. Wollte noch jemand etwas sagen oder konnte man zum gemütlichen Teil der Feier übergehen?

    Nachdenklich lauschte Alpina der Freundin. Auch sie ging davon aus, dass es Curio an Selbsbewusstsein mangelte. Ihren Vorschlag ihm zu mehr Selbstvertrauen zu verhelfen quittierte Alpina mit einem Stirnrunzeln.
    "Wie sollen wir das anstellen? Wir können ihm ja schlecht einen Modius Selbstbewusstsein abgeben..."
    Sie knuffte Runa grinsend in die Seite. "Auch wenn du eindeutig genug für zwei davon hast!"


    Dann berichtete die Duccierin, dass inzwischen immer mehr Frauen ihren Rat als Mittlerin zwischen der Welt der Götter und derjenigen derr Menschen suchten. Ja, Alpina war sich sicher, die Freundin hatte seherische Fähigkeiten, sie war eine Botschafterin der Götter.
    "Ich bin sicher, dass die Götter dich ausgesucht haben, ihre Stimme auf Erden zu sein. Du solltest diese Gabe unbedingt nutzen. Ich würde gerne häufiger auf deine Gabe zurückgreifen wenn ich unsicher bin, welches das richtige Heilmittel ist." Sie lächelte. "Es ist schön, wenn man erkannt hat, was seine Berufung im Leben ist. Für mich ist es jedenfalls so. Die Arbeit als Hebamme und die Möglichkeit mit meinen Kräutern zu heilen erfüllen mich mit großer Zufriedenheit. Vielleicht ist es deine Bestimmung den Göttern deine Stimme zu leihen..."


    Alpina grübelte noch als Runa grinsend vorschlug zu Curio zurückzugehen um ihn ordentlich einzuseifen.
    "Wir sollten uns im Kräutergarten einen Vorrat Schneebälle machen und in einem Tuch in den Hortus hinübertragen. Was meinst du? Wir sollten vorbereitet sein!"
    Sie zwinkerte fröhlich.

    Die Erklärung, die Runa für Curios Verhalten hatte, war einleuchtend. Alpina hatte verkannt wie schwer die Bürde auf ihm lastete, ein respektabler Mann mit guten Karriereaussichten zu sein. Grundsätzlich war ihr Schwager ein gewissenhafter und ernster junger Mann, den sie selten ausgelassen und noch niemals albern erlebt hatte. Es schien einfach nicht seine Natur zu sein.
    Alpina fand das ein wenig schade. Er war noch so jung und sie hatte mehr und mehr das Gefühl, dass man ihm seine Jugend geraubt hatte. Geflohen aus dem Elternhaus um den väterlichen Vorstellungen eines idealen Sohnes zu entkommen, hatte Curio gleich erwachsen werden müssen. Zum einen weil er auf sich allein gestellt war und jetzt erst recht, wo er den Ansprüchen der Duccii genügen musste.
    Wie erleichternd empfand sie da Corvinus humorvolle und manchmal schelmische Art. Vielleicht eine Errungenschaft, die er sich bei der Legio erworben hatte. Denn ganz offensichtlich war diese Leichtigkeit keine Eigenart, die man im helvetischen Hause lernte.
    "Es ist nicht deine Schuld, eher dem Unstand geschuldet, dass er sich eben nicht in ein einfaches Bauernmädchen verliebt hat, sondern in eine Duccia. Aber das sollte nicht dazu führen, dass er sich verbiegt. Hier sind wir zuhause. Du und er, Corvinus, Ursi und ich. Hier sollten wir auch ganz "wir" sein dürfen. Es ist schon schlimm genug, dass er in der Offentlichkeit auf jedes Wort achten muss."

    Runas prüfender Blick ob sie etwas an der Führung der Taberna Medica auszusetzen haben würde, wurde Alpina bewusst. Sofort umarmte sie die Freundin.
    "Ich bin dir so dankbar, dass du für mich hier alles so wunderbar versorgst. Ich habe keinen Augenblick gezweifelt, dass du es prima machen würdest. Eigentlich bin ich eher sehr eifersüchtig, weil mir die Zeit unglaublich lang vorkommt bis ich endlich wieder selbst meine Patienten und Gebärenden betreuen kann. Die Arbeit fehlt mir. Wie geht es dir damit? Macht dir die Arbeit hier Spaß oder bist du froh wenn du nach den 40 Tagen wieder in den Tempel kannst?"

    Die Glückwünsche ihres Schwagers nahm Alpina mit einem strahlenden Lächeln entgegen und natürlich entsprach sie seinem Wunsch und überreichte ihm das Bündel mit dem kleinen Bärchen. Sie wusste, dass Curio ein wunderbarer Onkel sein würde und womöglich mehr von seiner Nichte haben würde als der Vater. Bedingt durch seine Aufgabe als Decurio würde Corvinus mehr Zeit im Castellum oder auf dem Pferderücken verbringen als in der Casa Helvetia. Und auch wenn Curio tagsüber oft unterwegs war und so manchen Abend mit wichtigen Besprechungen zubrachte, würde er doch häufiger seine Nichte sehen und vor allem hören.


    Alpina machte sich darauf gefasst, dass nun ein Familienmitglied nach dem anderen die Kleine auf den Arm nehmen und im Kreise der Familie begrüßen wollte bevor es zum Essen ins Triclinium ging.

    Die Eingeweideschau war erfolgreich verlaufen, die göttlichen Zeichen positiv. Das erleichternde "Litatio" ertönte. Alpina strahlte. Sie gab viel auf die Zeichen der Götter. Ihre und die Zukunft ihrer Tochter lagen schließlich in den Händen der Götter. Anders konnte es nicht sein. Denn oft genug hatte Alpina erlebt, dass die Götter aus unerfindlichen Gründen das Leben eines Kindes frühzeitig beendet hatten. Woran sollte es wohl liegen, wenn nicht daran, dass die Götter es so entschieden hatten? Aber ihre Tochter würde leben, da war sich Alpina nun sicher.


    Als Curio sie schließlich nach dem Namen des Mädchens fragte, straffte Alpina ihre Haltung und sprach mit fester Stimme nicht nur zu ihrem Schwager sondern zu allen Versammelten.
    "Wir haben uns entschieden unsere Tochter Ursicina zu nennen. Sie soll also zunächst Susina Ursicina heißen..." sagte Alpina mit dem Blick auf ihre Schwiegereltern. Dann richtete sie ihn auf Corvinus. "... und sollte der Vater von Ursicina nach seiner Entlassung aus der Legio noch zu seinem Wort stehen..... wird sie eines Tages Helvetia Ursicina heißen."

    Es dauerte noch eine Weile bis sich Corvinus von seinem Töchterchen losreißen konnte. Dann jedoch schlüpfte er zu Alpina unter die Decke und bot ihr seinen Arm als Kissen an. Sie schmiegte sich in seinen Löffel und genoss die Nähe. Den Kopf ganz eng an seinem Körper auf seinen Oberarm gebettet, kitzelten ihre Haare sein Gesicht, so dass er sie zärtlich beiseite schob. Den Arm um sie gelegt, nahm er ihre Hände und eine wohlige Gänsehaut überlief Alpinas Arme als er ihr mit sanfter Stimme ins Ohr flüsterte.


    Ob sie noch Schmerzen hatte? Sachte schüttelte sie den Kopf.
    "Der Weg in die Welt war für Ursi viel beschwerlicher als für mich. Und du wirst es kaum glauben, aber alle Schmerzen waren in dem Moment vergessen als ich ihr das erste Mal in die Augen gesehen habe."


    Alpina musste schlucken und sie bemühte sich, vor Sentimentalität nicht in Tränen auszubrechen. Das Erlebnis der Geburt ihres ersten eigenen Kindes hatte sich für immer in ihre Seele eingebrannt. Um nicht zu melancholisch zu werden, versuchte sie es mit einem kleinen Necken.
    "Dennoch wäre ich dir nicht böse, wenn du in den kommenden Tagen noch auf den Genuss von Mandragorawein verzichten könntest. Der Ausgang, durch den Ursi diese Welt betreten hat wird noch eine Weile nicht als Eingang dienen können... du darfst mich deshalb aber trotzdem gerne so in den Arm nehmen wie gerade eben... ich werde nicht um Hilfe schreien."

    Die Lustratio gab Alpina das Gefühl ein Stück weit zur Normalität zurückzukehren.
    Danach verfolgte die junge Mutter gebannt das Opfer der Ziege. Alles lief nach Plan. Und während Curio sich an die Begutachtung der Organe machte, bemerkte Alpina wie die Wolkendecke aufriss und die bunten Farben der sich im Wasser des Impluviums brechenden Sonne über Wände und Boden huschten. Ursi sah das fröhliche Farbenspiel und begann zu glucksen. Ein Lächeln huschte über Alpinas bislang ernstes Gesicht, wie es der Wichtigkeit des Rituals entsprach. Ihr Blick ging zu Corvinus, der ebenfalls über die Laute seiner Tochter schmunzelte.


    Als sie sich wieder dem Geschehen zuwandte, sah sie wie ein Lufthauch die Wasseroberfläche des Impluviums erneut sanft kräuselte. Wieder huschten Farben über die Teilnehmer des Opfers und das Heim der helvetischen Familie. Die Stimmung war erhebend, doch dauerte dieses Gefühl nur einen Augenblick, dann zogen sich die Wolken zu.


    Alpinas sorgenvoller Blick ruhte auf Curio. Er würde wissen, wie die Zeichen zu deuten waren und las noch immer in den Eingeweiden der Ziege. Was würde er für die Zukunft ihrer Tochter aus den göttlichen Zeichen lesen?