Beiträge von Susina Alpina

    Alpinas Sorge, was ihren Schlafplatz für die Nacht anging, war schnell ausgeräumt. Als sie die Kammer in Ranulfs Haus betraten, war ein drittes Schlaflager aus Stoh aufgebaut worden. Es machte den Raum zwar eng, war aber in jedem Fall eine gute Lösung. Alpina nickte Othmar zu. Sie war so müde, dass sie keine weiteren Diskussionen mehr anstellte. Scheinbar ging es ihren Begleitern auch nicht anders. In Kürze hatten sie sich geeinigt. Alpina schlief in ihren Umhang gewickelt auf dem Strohsack in der Mitte.


    Ob es am Bier oder an der Antrengung der Reise lag, für ihre Verhältnisse schlief Alpina erstaunlich schnell ein. Doch wie nahezu jede Nacht, suchten sie ihre Alpträume in erschreckender Realitätstreue heim. Vergleichbar den Wahnbildern am Abend, als die Schatten der Bäume die genarrt hatten, führ Alpina die Angst in die Knochen. Mit einen Schrei saß sie senkrecht und starrte in die Dunkelheit. Ihre Arme und Beine schienen unsichtbare Feinde abzuwehren.

    Es war nur zu offensichtlich, dass sich alle recht gut verstanden. Die Gespräche plätscherten dahin und Alpina tat sich zunehmend schwer, die verschiedenen germanischen Dialekte zu verstehen. Aus dem angestrengten Lauschen wurde Teilnahmslosigkeit. Hildrun schien das zu bemerken. Als Alpina sich satt zurücklehnte, bot sie ihr an, mit in ihr Haus zu kommen, um den wieder genesenen Wolfhart zu besuchen. Alpina nickte und stand auf. Hildrun entschuldigte beide bei der Tischgesellschaft und nahm Alpina mit sich.


    Sie überquerten den kleinen freien Platz vor dem größten Haus. Das Haus der Heilerin lag deutlich abseits der anderen, direkt am Waldrand. Eigenartige hölzerne Pfähle mit einfachen geschnitzten Gesichtern schmückten einen Weidenzaun, der ihr Grundstück umgab. Obwohl es schon dunkel war, erkannte Alpina neben dem Pfad, der zu dem einfachen Flechtwerkhaus führte, einige ihr bekannte Heilpflanzen. Über der Tür des Hauses baumelte ein Bund aus Heilkräutern und Blumen.
    Das Innere des kleinen Hauses erinnerte Alpina an das Langhaus ihrer Großeltern. Von den Dachbalken des schilfgedeckten Daches hingen zum Trocknen aufgehängte Kräuterbuschen, ähnlich dem vor der Tür, doch einzeln nach den verschiedenen Kräutern sortiert. Die Regale an den Wänden enthielten diverse Gefäße mit heilenden Substanzen. Fast wie in Alpinas Taberna medica.


    Erst beim genauen Hinsehen, erkannte Alpina, dass vor der Feuerstelle ein Mann saß. Er drehte sich neugierig um, als die beiden Frauen das Haus betraten. Geschwind sprang er auf. Vor dem roten Schein des Feuers hatte seine bärengleiche Statur etwas Dämonisches. Alpina erschrak, doch Hildrun schob sie lächelnd vorwärts.
    "Du brauchst keine Angst haben. Das ist Wolfhart. Er ist sanft wie ein Lamm, wenn man nichts im Schilde führt."


    Alpina schritt nun beherzt auf den Mann zu. Sie streckte ihm die Hand entgegen.
    "Heilsa, Wolfhart. Ich bin Alpina, Hebamme und Kräuterfrau aus Raetia. Hildrund möchte mir von deiner Heilung erzählen und ich hoffe, einiges von ihr lernen zu können. Ich hoffe, es macht dir nichts aus?"


    Wolfhart brummte etwas, das nach Zustimmung klang. Alpina und die Heilerin setzten sich. Dann erzählte Hildrun, dass Othmar und Hrothgar ihren Begleiter bei ihr abgeliefert hätten, weil er seit Wochen unter Verdauungsbeschwerden und Durchfall gelitten hatte. Er war zunehmend abgemagert und hatte an Kraft eingebüßt. Die beiden Pelzhändler hatten sich Sorgen um den Freund gehmacht. Hildrun hatte ihn untersucht und die Götter befragt. Dann hatte sie die Antwort erhalten, dass Wolfhart von Würmern befallen war. Sie hatte einen speziellen Sud aus Eibe hergestellt und dem Germanen zum Trinken gegeben. Tatsächlich war er schon bald von den Plagegeistern befreit gewesen. Doch um seine Widerstandkräfte aufzubauen hatte sie noch einge andere Tränke hergestellt.


    Interessiert lauschte Alpina. Auch sie kannte die Eibe, doch hatte sie ihre Mutter immer wieder davor gewarnt, dass dieser Baum giftig sei. Alpina fragte Hildrun danach.
    Die Germanin lächelte weise.
    "Nun, wenn man ihn falsch einsetzt und die Götter nicht um Mithilfe bittet, dann mag der Sud durchaus Schaden anrichten. Die Eibenrune Ihwaz ist ein Schicksalsrune, sie stellt den Kontakt zum Reich der Hel her... doch wie du siehtst, richtig eingesetzt, wirkt die Eibe Wunder. Nun erzähle du mir, wie du Wolfhart geholfen hättest."


    Alpina versuchte die Informationen zu speichern. Sie dachte kurz nach.
    "Nun, ich hätte vermutlich Ulmenrinde benutzt oder aber einige Löffel Walnussöl."


    Hildrun lächelte. "Oh ja, Ulme ist gut. Die kenne ich auch. Hast du gute Erfahrung bei Würmern damit?"


    Alpina nickte. "Ja, schon. Und dann gibt es noch die Möglichkeit auf den Granatapfel zurückzugreifen. Aber das kommt hier im freien Germanien wohl kaum infrage. Selbst bei uns ist er nicht leicht aufzutreiben und dazu sehr teuer. Aber die griechischen Ärzte schwören auf seine Wirkung."


    Hildrun kannte den Granatapfel nicht. Sie konnte sich nicht vorstelllen, wie diese Frucht aussah, auch wenn Alpina geduldig versuchte, es ihr zu beschreiben.
    Die beiden Frauen fachsimpelten lange Zeit über die Verwendung von Baumrinden und Baumsäften in der Medizin. Alpina merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Erst als plötzlich Othmar und Hrothgar anklopften und das Haus betraten, um nach ihrem Freund zu sehen, wurde ihr bewusst, dass es sicher längst an der Zeit war, sich zu verabschieden. Sie bedankte sich bei Hildrun mit einer herzlichen Umarmung dafür, dass sie ihr Wissen mit Alpina geteilt hatte und versprach, vor ihrem Aufbruch noch einmal vorbei zu kommen. Dann folgte sie den beiden Männern in das Haus des Dorfältesten. Es galt noch eine Frage zu klären... wer würde wo schlafen?

    "Heilsa, Ranulf", begrüßte auch Alpina den Mann, den Othmar zuvor bereits als den Dorfältesten bezeichnet hatte. Er war eine imposante Erscheinung. Groß und mit enem langen Bart. Ein wenig erinnerte er Alpina an ihren Großvater Lasthe. Sein prüfender Blick störte sie weniger als die Aussicht darauf, dass nur zwei Betten zur Verfügung standen. Bei der Größe der beiden Germanen war davon auszugehen, dass sie sich wohl kaum ein Bett teilen würden und die Vorstelllung mit einem von ihnen ein Bett zu teilen, sorgte dafür, dass sich bei Alpina die Nackenhaare aufstellten. Sie mochte ihre Begleiter und war bisher mehr als zuvorkommend von ihnen behandelt worden, aber ... man sollte nicht mit dem Feuer spielen...
    Doch sie verdrängte den Gedanken schnell. Es war noch Zeit bis dahin und sie hätte überhaupt keine Probleme auf einem Fell am Boden zu schlafen, wenn es sein musste.


    Der große Wohnraum, der von einem Feuer erwärmt wurde, strahle Behaglichkeit aus. Mit hungrigen Augen betrachtete Alpina die aufgedeckten Köstlichkeiten. Vernehmlich knurrte ihr Magen. Das Angebot, sich zu setzen, nahm sie also nur zu gerne an. Auch wenn Alpina nie Bier trank, wollte sie nicht unhöflich sein. Sie nahm also den hingeschobenen Humpen dankbar an. Ungeduldig wartete sie darauf, dass die Tafel eröffnet wurde. Doch zunächst warteten sie auf die Frau des Dorfältesten und die Heilerin Hildrun. Alpina war gespannt auf ihre Berufsgenossin. Ihre einzige Sorge war, dass sie die Heilerin nicht verstehen würde. Zwar hatte sie sich inzwischen ein wenig in den germanischen Dialekt eingehört, dennoch fiel es ihr schwer einer ganzen Konversation zu folgen. Wie würde das wohl werden, wenn es auch noch um komplexere Themen ging?


    Es dauerte einige Zeit bis die Frau des Ranulf zurückkehrte. Im Schlepptau hatte sie eine Frau von unbestimmbarem Alter. Sie war nicht mehr jung, aber noch immer schön. Von ihr ging eine geradezu ehrfuchtgebietende Aura aus. Alpina verschlug es den Atem.



    Wie selbstverständlich machten die Männer ihr Platz. Sie setzte sich gegenüber von Alpina auf einen freien Stuhl. Mit sanfter Stimme begrüßte sie Othmar und Hrothgar beim Namen. Dann traf ihr Blick Alpina. Ein feines Lächeln legte sich auf ihre Lippen.
    "Heilsa", begrüßte sie Alpina. "Wir kennen uns noch nicht."
    Beglückt stellte die Raeterin fest, dass Hildrun so langsam und deutlich sprach, dass sie verstehen konnte was die Heilerin sagte.


    "Heilsa. Mein Name ist Alpina", antwortete sie. "Ich bin Hebamme und Kräuterfrau aus Raetia. Seit ein paar Tagen begleite ich Othmar und Hrothgar auf dem Weg zu einer Seherin mit Namen Osrun. Hast du von ihr gehört?"


    Hildrun schüttelte den Kopf. "Es ist weit nach Chassela. Ich war noch nie dort. Doch ich bin sicher, dass du sie finden wirst, wenn du mit dem Herzen nach ihr suchst."
    Ihr feines Lächeln machte Alpina Mut.
    "Es freut mich, dass wir uns kennenlernen. Wenn du möchtest, werde ich dich nachher mit zu mir nehmen. Dann kann ich dir erzählen, wie ich Wolfhart heilen konnte. Es interessiert mich auch, was du an meiner Stelle für Heilkräuter benutzt hättest."


    Alpina lächelte. Dankbar nickte sie. Dann eröffnete Ranulf die Tafel und alle durften sich endlich stärken.

    Die Begrüßung fiel alles andere als freundlich aus. Der mit einem Speer bewaffnete junge Germane, der ihnen in den Weg trat, machte keinen Hehl daraus, dass sie in seinen Augen zu so später Stunde nicht erwünscht waren.
    Angesichts der Drohgebärden versteckte sich Alpina so gut es ging hinter Hrothgar. Othmars weitere Ausführungen ließen Alpina dann aber doch aufhorchen. Er war in dieses Dorf gekommen, um seinen Begleiter Wolfhart von einer Kräuterfrau abzuholen? Eine germanische Kräuterfrau? Alpina griff unwillkürlich nach dem Stein mit der Naudhiz-Rune. Die Götter hatten ihren Wunsch erfüllt, eine germanische Kräuterkundige zu treffen. Womöglich würde sich hier die Möglichkeit bieten, ein paar von den Heilmitteln der germanischen Stämme kennenzulernen.


    Doch was war, wenn der junge Wächter sie nicht passieren ließ?
    Die Furcht war unbegründet. Ein weiterer Germane kam. Er war älter und erkannte offenbar die Pelzhändler wieder. Nach einem kurzen Wortwechsel der beiden Dorfbewohner konnten sie mit dem Wagen in das Dorf einfahren.


    Alpinas Erschöpfung und Müdigkeit war der Neugier gewichen. Sie war gespannt auf die Heilerin Hildrun und den weiteren Begleiter, der wohl zukünfig auch ihr Reisegefährte sein würde. Vor allem aber wollte sie wissen, weshalb er hier behandelt wurde. Welcher Art war seine Erkrankung? Was würde sie lernen können?

    Alpina erschrak zunächst heftig, als jemand sie am Unterarm anfasste und nach hinten zog. Sie schie sogar kurz auf. Doch dann erkannte sie trotz ihrer angespannten Nervenlage den stummen Hrothgar. Es gelang ihr, sich zu beruhigen.


    Vor ihnen veränderte sich das Dunkel des Waldes. Die dichte Phalanx der Bäume wich einer Lichtung. Ein Erdwall kam in Sicht. Über eine Schneise konnte die germanische Siedlung betreten werden. Alpina hielt sich bewusst nah an Hrothgar. Hatte sie doch keine Vorstellung davon, was sie im Inneren des Walls erwarten würde. Im Augenblick war sie nur froh den Fratzen der Waldschrate entkommen zu sein.

    Sie betraten das freie Germanien. Natürlich änderte sich nicht schlagartig alles, doch schon wenige Meilen hinter dem Limes rückte der Wald dichter an die Straße, die zunehmend zu einem Feldweg wurde. Schlaglöcher und schlammiger Grund erschwerten nicht nur dem Wagen und den Eseln das Vorankommen. Alpina musste feststellen, dass sie die Schritte gezielt setzen musste, damit es ihr den Schlamm nicht zwischen den Lederriemen ihrer Sandalen durchdrückte. Als die Bäume näher an den Weg rückten wurde es auch zunehmend dunkler. An manchen Stellen traf so wenig Sonnenlicht den Boden, dass klumpige Schneereste als späte Botschafter des eben erst vergangenen Winters auftraten.


    Alpina stapfte voran, den Esel Primus am Halfter haltend. Ab und an warf sie einen verstohlenen Blick auf Othmar. Gerne hätte sie ihn gefragt, wo sie heute nächtigen würden. Wie hieß wohl die Siedlung, auf die sie zuhielten? Doch was würde es bringen? Sie kannte sie ohnehin nicht, wusste nicht wo sie waren. Ihr Ausgeliefertsein drückte auf Alpinas Stimmung. Sie ließ die Schultern hängen.


    Es wurde schön dämmrig. Mit angstvoller Miene betrachtete Alpina die seltsamen Erscheinungen des Waldes. War da nicht eine Fratze gewesen? Ein Gnom, ein Waldschrat? Sicher! Da! Wieder ein verzerrtes Gesicht in einer alten Eiche. Es grinste hässlich. Es schien seinen Kumpanen zuzurufen, dass es bald fette Beute gäbe. Die Tannenhexe schien zu lachen und sie zu locken... Alpina dachte an die nächtlichen Erscheinungen der Furien. Hatten sie es geschafft, hatten sie Alpina endgültig mit Wahnsinn geschlagen? Ihr Blick wanderte wie getrieben nach rechts und links. Sie war umgeben von Schatten. Alle hatten nur darauf gewartet, dass sie kam. Die Furien hatten Alpina hierher gelockt... damit sie wahnsinnig würde...

    Alpina hatte Glück. Othmar hakte nicht nach und außerdem kam schon kurze Zeit später das Limeskastell in Sicht, das den Übergang zwischen dem Imperium Romanum und dem freien Germanien sicherte.
    Fasziniert besah sich Alpina die hölzernen Palisaden und den Wachtturm der Grenzbefestigung. Dieses Bauwerk signalisierte weithin, wo der römische Machtbereich endete und das "Barbaricum" begann. Und eines war ihr nun auch klar. Alles, was sie jenseits dieses Walls erwartete, würde so gänzlich anders sein als das was sie kannte. Alpina hatte noch nie das Imperium verlassen, sie sprach die Sprache der Germanen nicht. Sollte sie von ihren Begleitern getrennt werden, war sie verloren. Dort drüben gab es weder ein gut ausgebautes Straßennetz noch Verwaltungszentren oder einen Cursus Publicus über den man Nachrichten versenden konnte.


    Alpinas Herzschlag beschleunigte sich als sie auf das Grenztor zugingen. Es gab kein zurück mehr!

    Nachdenklich betrachtete Alpina den Brukterer. Glücklich schien er nicht zu sein. Die Einsamkeit war offensichtlich nicht freiwillig gewählt. Gerne hätte sie etwas Tröstendes gesagt, doch was sollte sie darauf schon erwidern? Ein "das wird schon wieder" wäre mehr als zynisch.


    Alpina schluckte heftig, als die gefürchtete Frage nach einem Ort kam, an dem sie sich zuhause fühlte.
    Ihre Stimme wurde leise, ihr Blick war starr auf die Straße vor ihr gerichtet. Sie schien die Kieselsteine der obersten Straßenschicht zu zählen während sie antwortete.


    "Nun, ähnlich wie du habe ich die letzten Jahre nicht in meiner Heimat verbracht. Ich bin Raeterin, aufgewachsen in einem kleinen Haus in Augusta Vindelicum. Mein Vater war ein römischer Soldat, meine Mutter Peregrina. Wie schon meine Großmutter, übte sie den Beruf der Hebamme aus. Ich half ihr sobald ich alt genug dafür war. Dann eröffnete uns mein Vater, dass er vesetzt würde, nach Mongontiacum. Meine Mutter und ich zogen hinterher, mussten aber feststellen, dass er dort nie angekommen ist... vermutlich hat er es nur als Vorwand benutzt, meine Mutter und mich zu verlassen... "


    Sie atmete tief durch.


    "Meine Mutter ist nach Raetia zurückgekehrt, ich blieb, um mehr über die Umstände von Vaters Verschwinden zu erfahren - erfolglos. Ich fand eine Unterkunft, ein paar Freunde und konnte sogar eine eigene Taberna Medica eröffnen. Mein Kräutergarten war mein ganzer Stolz!"


    Bei diesen Worten lächelte Alpina Ohtmar an. Dann aber wendete sie den Blick erneut zu Boden. Sie fühlte sich nicht in der Lage, die Ereignisse der vergangenen Monate emotionslos vorzubringen. Deshalb griff sie auf eine ausweichende Formulierung zurück.


    "Wenn du die römische Göttin Fortuna kennst, dann weißt du, dass sie mit dem Rad dargestellt wird. Diese Erlebnisse fanden auf der Seite statt auf der das Glück zum Himmel steigt... doch dann kam die andere Seite... "


    Sie brach ab, presste die Lippen aufeinander und konzentrierte sich auf die Kieselsteine, die sie durch den Tränenschleier, der sich auf der Oberfläche der Augen gebildet hatte, nur noch unscharf zu sehen waren. Sie hoffte inständig, dass Othmar nicht weiter nachhaken würde.

    Schon oft.


    Das klang nicht wirklich beruhigend. Alpina beobachtete die beiden Germanen schweigend.


    "Darf ich fragen wo ihr eigentlich herkommt? Also welchem germanischen Stamm ihr angehört?"


    Ihr wurde klar, dass sie eigentlich gar nichts von den beiden wusste.


    "Ich meine, gibt es für euch einen Ort, den ihr Zuhause nennt?"


    Sie dachte daran, dass sie wirklich gehofft hatte, in Mogontiacum und in der Casa Atia ein Zuhause gefunden zu haben, bis... naja, so schnell änderten sich die Dinge. Plötzlich konnte man den Menschen, die einem etwas bedeuteten, nicht mehr unter die Augen treten.
    Im Prinzip war ihre Reise eine Flucht, auch eine Flucht vor der unangenehmen Wahrheit, die sie selbst noch lange nicht verarbeitet hatte. Sie hatte fast zwanghaft Nähe und Anerkennung gesucht und war böse auf die Nase gefallen dabei. Zunächst hatte sie übersehen, wie wichtig auch in Mogontiacum die Standesunterschiede waren. Sie hatte diese Realität einfach ausgeblendet, so sehr hatten sie Marcellus Komplimente blind gemacht.
    Ihr zweiter Fehler war ungleich schlimmer. Denn Marcellus konnte sie aus dem Weg gehen. Ihre Wege kreuzten sich nicht so häufig. Curio und Corvinus hingegen... solange die beiden kein eigenes Haus bewohnten, sah sie Curio täglich. Sie hatte seine Anwesenheit immer sehr genossen, seine Ruhe und Bescheidenheit taten ihr gut.
    Doch auch sein Bruder kam häufig ins Haus, um Curio zu besuchen. Wie hätte sie in Zukunft mit diesen Besuchen umgehen sollen? Hätte sie einfach so tun sollen, als sei nichts gewesen? Eine Nacht im Rausch... was war das schon? Hätte sie es achselzuckend abtun sollen und weitermachen wie zuvor? Curio hatte sich ihr gegenüber nicht über seine Einschätzung der Vorgänge an diesem folgenreichen Abend geäußert, sie hatte ihm auch keine Gelegenheit gegeben... aber allein die Vorstellung, dass er es missbilligen würde, reichten aus um die Flucht anzutreten. Seine Freundschaft war ihr wichtig, einen Bruch derselben, weil sie Corvinus nicht vehement genug abgewehrt hatte, wollte sie nicht hinnehmen. Alpina hoffte zwar, dass Corvinus seinem Bruder klar gemacht hatte, dass sie kein Flittchen war, das mit jedem ins Bett stieg, aber wenn nicht... konnte sie doch nicht so weiterleben als wäre nichts passiert.
    Und es bedeutete auch, dass sie nicht einfach zurückkehren konnte, selbst wenn sie eine Entsühnung erreichen konnte. Selbst wenn der Besuch bei Osrun ihr helfen würde. Dann war nur eines ihrer Probleme gelöst... ein drängendes... gewiss, aber eben auch nur eines.


    Ihre Gedanken waren abgeschweift. Energisch versuchte sie sich auf Othmars Antwort zu konzentrieren. Sie sah ihn erwartungsvoll an.

    Die erhöhte Wachsamkeit ihrer Begleiter führte dazu, dass Alpina regelrecht zusammenfuhr, als es plötzlich im Unterholz knackte. Die schnelle Bereitschaft der beiden Germanen auf jede Eventualität reagieren zu können, ließ ihren Puls hochschnellen. Alpina duckte sich hinter den Hals des Esels Primus, den sie am Halfter führte. Doch der Esel schien sich nicht im mindesten zu führchten. Er spielte mit den Ohren und wandte nur träge den Kopf in Richtung auf das Geräusch.
    Nun erkannte auch Alpina den Grund für das Knacken. Ein Reh sprang aus dem Dickicht auf und verschwand springend im Wald.


    Mit einem deutlichen Durchatmen versuchte Alpina sich wieder auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Verstohlen musterte sie ihre Begleiter.
    Nach einer Weile fragte sie Othmar.
    "Seid ihr schon einmal überfallen worden? Oder kommt es oft vor, dass ihr von Personen hört, die überfallen wurden?"

    Am kommenden Morgen war Alpina froh darum, dass die beiden germanischen Händler so schweigsam waren. Sie hielt sich sogar bevorzugt an den stummen Hrothgar, damit sie nicht über die vergangene Nacht reden musste. In seiner Begleitung versorgte sie die Esel, half beim Anschirren und Einspannen und ließ es sich auch nicht nehmen, Primus am Halfter zu führen.


    In der Früh war es noch kalt und frostig. Raureif lag auf den Wiesen und beim Atmen konnte man kleine Dampfwolken vor den Nüstern der Esel aufsteigen sehen. Alpina fröstelte und fand es deshab gut, dass Othmar und Hrothgar ein zügiges Tempo an den Tag legten. Es schien ihnen wichtig zu sein, flott voranzukommen und so fiel auch die mittägliche Rast kurz aus.


    Alpina hatte von dem arg zerknirschten Rodrik einen Laib Brot als Wegzehrung geschenkt bekommen. Den teilte sie nicht nur mit den beiden Männern, sondern überließ die harten Endstücke wieder den beiden Eseln, an denen sie wirklich einen Narren gefressen hatte.


    Als sich die Nachmittagsetappe besonders lang hinzuziehen schien, wagte sie es Ohtmar anzusprechen, der, wie ihr schien heute besonders aufmerksam die Umgebung sondierte.


    "Erwartest du unangenehme Überraschungen?"

    Danke für den Tipp. Das wusste ich schon. Es hat auch mich bisher immer wieder vor der Pleite gerettet! ;)
    Ich werde versuchen, bei guter Kassenlage in Zukunft einen gewissen Vorrat anzulegen, damit mir das nicht wieder passiert.


    Aber besten dank nochmal für den Tipp! :D

    Richtig, der Kerl auf dem Boden war der Stallbursche. Sie hatte ihn gesehen und wohl auch ein paar Sätze mit ihm gesprochen, als sie mit Hrothgar die Esel in den Stall gebracht hatte. Alpina atmete tief durch.
    Sie nahm die Entschuldigung Rodriks mit einem Kopfnicken an.


    "Wenn ich sicher sein kann, dass ich den Rest der Nacht ungestört verbringen kann, will ich niemanden länger als nötig vom Schlaf abhalten."


    Alpina erwiderte Othmars Blick halbwegs gefasst und bemühte sich das Zittern der Hände zu unterdrücken.


    "Schon gut. Gute Nacht allerseits."


    Sie traute sich nicht ihm zu sagen, dass sie lieber die Nacht in seinem und Hrothgars Zimmer verbracht hätte, als noch einmal in ihre Kammer zurückzukehren. Die beiden würden sie für mädchenhaft halten oder womöglich die falschen Schlüsse daraus ziehen. Es war an der Zeit, dass sie für sich selbst sorgte und sich nicht mehr so abhängig machte. Was war schon passiert? Nichts.
    Warum nur wollte das blöde Zittern der Hände und das wilde Klopfen ihres Herzens nicht aufhören?


    Alpina machte kehrt und schloss die Tür wieder hinter sich. Wie schon zuvor schob sie das Kästchen vor die Tür. Im Licht eines einfachen Kienspans säuberte sie den Dolch in der Wasserschüssel. Er hatte ihr erstmals gute Dienste geleistet und dabei waren sie noch nicht einmal im Barbaricum. Was würde wohl noch alles auf sie zukommen auf ihrem Weg...

    Alpina hatte den Dolch fallen lassen. Sie zitterte am ganzen Leib. Vor der Tür waren mehrere Stimmen zu hören. Unter anderem die wütende Stimme des Wirtes und das Fluchen eines Mannes in der Sprache der Germanen. Alpina war unfähig sich zu bewegen. Am liebsten hätte sie die Tür einfach wieder zugemacht. Sich eingeschlossen in der dunklen Kammer. Doch sie wusste, dass sie sich irgendwie würde rechtfertigen müssen, für das was sie getan hatte. Jemand klopfte zweimal. Es klang fordernd und Alpina wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hatte einfach nur Angst.


    Erst als sie Othmars Stimme direkt vor der Tür vernahm, schaffte sie es, aus ihrer Starre zu erwachen. Sie schob mit zittrigen Fingern das Kästchen von der Tür weg und öffnete sie. Ihr erster Blick traf den besorgten Othmar, dann Hrothgar, der daneben stand. Erst dann warf sie einen Blick auf den am Boden liegenden Mann und den wütenden Wirt. Alpina begriff, dass nicht Rodrik der Eindringling gewesen war.. ihr erster Verdacht war unbegründet.
    Sie sah wieder Othmar an und fand nun auch ihre Stimme wieder. Die Angst war der Wut gewichen.


    "Nun, wäre für dich alles in Ordnung, wenn sich um Mitternacht ein fremder Mann in dein Zimmer schliche?", fragte sie. Es war kein Vorwurf in ihrer Stimme, mehr eine Klarstellung der Verhältnisse.


    Sie sah den Mann am Boden kalt an, dann wanderte ihr Blick zu dem Wirt, der sich über die Ruhestörung beschwert hatte.


    "Wenn er sich nur in der Tür geirrt hat, tut es mir leid. Wenn nicht... tut es mir leid, dass ich ihm die Hand nicht mit dem Dolch auf dem Kästchen festgenagelt habe."

    Danke für dein Angebot. Es ist für mich immer wieder schwierig an die Rohstoffe für meine Arzneimittel zu kommen. Vor allem die Kräuter sind oft rar. Vielleicht ließe sich da was machen. Denn es ist sehr ärgerlich, wenn mir die Produktionskosten abgezogen werden, ich aber aufgrund von Rohstoffmangel nicht produzieren kann. Dann verfallen meine Produkionspunkte ungenutzt... so dicke hab ich es leider auch nicht... X(


    Vielleicht kann ja noch jemand einspringen?

    Zitat

    Hast du dir jetzt etwa doch ein kleines Sklavenmädchen für die kalten nächte zugelegt? Nicht, dass dich meine Mädchen als guten Kunden verlieren.
    Deine kleine Nymphe kriegt sogar ein eigenes Bett! Das wird sie doch aber bestimmt nicht brauchen.


    Die Kommentare des Wirtes hinterließen ein ungutes Gefühl in Alpinas Magengrube. Bislang hatten ihre Begleiter sich ja sittsam zurückgehalten und Alpina in keinster Weise mit anzüglichen Bemerkungen oder übertriebener Nettigkeit zu ködern versucht. Sie ging also davon aus, dass sie zumindest solange sie nüchtern waren, nicht viel von ihnen zu befürchten hatte. Zwei getrennte Kammern würden ihr übriges dazu tun.


    Doch der Wirt ließ nicht locker. Nach der ersten folgte die zweite Bemerkung, und Alpina konnte sehen, wie Rodrik sie den ganzen Abend über unverholen musterte. Sie blieb bewußt in der Nähe der beiden germanischen Händler, bis es Zeit war, die Kammern aufzusuchen.
    Irritiert stellte Alpina fest, dass sich die Tür ihrer Kammer nicht mit einem Riegel von innen verschließen ließ. Es gab zwar einen Schlüssel für das Schloss, aber einen zusätzlichen Riegel würde sie nicht vorlegen können.
    Sie sah sich in der Kammer um. Diese war spärlich möbliert. Ein einfaches Bett und ein Kästchen mit einer Waschschüssel, einer Kanne mit Wasser und einem Becher. Kurzentschlossen schob Alpina das Kästchen vor die Tür.


    Wie recht sie mit ihrer Maßnahme gehabt hatte, bemerkte sie, als es in der Schankstube ruhig wurde. Wie immer hatte Alpina Schwierigkeiten in der Dunkelheit in den Schlaf zu finden. Die Erlebnisse der letzten Tage in der Casa Atia und die erste Etappe mit Othmar und Hrothgar hielten sie wach. Die Stunde der Furien näherte sich, eine Zeit die sie besonders fürchtete...


    Plötzlich vernahm sie Schritte, die direkt vor ihrer Kammertür stoppten. Alpina hielt den Atem an. Tatsächlich versuchte von außen jemand, das Schloss zu öffnen. Nach einigem Geklapper gab der Schließmechanismus den Weg frei.
    Alpina angelte nach ihrem Dolch. Er lag bei ihrer sauber zusammengelegten Kleidung neben dem Bett. Sie stand auf und schlich zur Tür.


    Das Kästchen verhinderte, dass die Person vor der Tür gleich frei Bahn hatte. Fluchend schob jemand von außen. Alpina hielt das Kästchen fest und drückte es gegen die Tür. Eine Weile konnte sie gegenhalten, dann aber überwand der Eindringling ihren Widerstand. Im Zwielicht der zum Spalt geöffneten Tür schob sich eine Hand nach innen, um nachzuforschen, warum die Tür nicht aufschwang.
    Beherzt stach Alpina zu. Ein gellender Schrei drang durch die Schwärze der Nacht...

    Die Aussage, dass beide keine Familien hatten, kommentierte Alpina schlicht mit einem Kopfnicken. Es war wohl auch besser so. Auf diese Weise saß nicht irgendwo eine arme, einsame Frau mit ihren zahlreichen Kindern und machte sich Sorgen. Was die Aussage für ihre Situation in Begleitung der beiden einsamen Männer bedeutete, wusste Alpina noch nicht so recht einzuschätzen.


    Dann erzählte Othmar Hrothgars traurige Geschichte. Alpina schluckte. Sie hatte Hrothgar einfach für eine schweigsame Natur gehalten. Die grausame Wahrheit sorgte für ein tief empfundenes Mitleid und die Gewissheit, dass sie nicht über ihr Los klagen brauchte. Sie schielte seitlich auf Othmar. Er schien ein weiches Herz hinter dieser ruppig-schnoddrigen Fassade zu besitzen. Alpinas Griff ging wieder zu ihrem Runenanhänger. Er schien ihr die richtigen Begleiter zur Seite gestellt zu haben.


    Bevor sie wieder aufbrachen teilte Alpina ihr letztes Brotstück, das "Scherzerl" wie man in Raetia sagte, mit Primus und Secundus. Unaufgefordert half sie Hrothgar beim Einspannen der Tiere. Inzwischen war es frühlingshaft warm geworden. Alpina warf ihren Umhang auf den Karren und stapfte dann weiter an der Seite der schweigenden Männer. Die Etappe war lang und Alpina spürte ihre Füße. Zum Glück hatte sich die Haut inzwischen an die Reibung der Schuhe gewöhnt. Dennoch schleppte sie sich die letzten Meilen mit schmerzenden Füßen verbissen voran. Endlich kamen das Castellum und die dazugehörige Mansio in Sicht.
    Alpina half Hrothgar wieder beim Ausspannen und sah zu, dass Primus und Secundus einen guten Platz im Stall bekamen. In der Schankstube ging es schon laut und feucht-fröhlich zu. Man kannte sich offensichtlich. Alpina hielt sich im Hintergrund und überließ Othmar das Reden. Wortlos hielt sie ihm ihren Geldbeute hin, damit er für ihre Unterkunft zahlte. Sie sehnte sich nur noch nach einem Stuhl.