Beiträge von Susina Alpina

    Mit einer langen, herzlichen Umarmung verabschiedete sich Alpina von Bunnhild. Noch einmal wiederholte die Germanin ihr Versprechen aus der Nacht, dass Alpina jederzeit willkommen wäre. Auch Brunnhilds Mann gab sie die Hand. Das Ehepaar hatte die Pelzhändler und ihre seltsame Reisegefährtin mit Provinat für die nächsten Tage versorgt. Dass ihr Othmar sogar mit einem Augenzwinkern ein wenig trockenes Brot für die Esel in die Hand drückte, ließ Alpina schmunzeln. Er schien den Vorteil der Bestechung verstanden zu haben.


    Wie immer wechselten sich Hrothgar und Alpina beim Führen der Esel ab. Mit dem Brot war diese Aufgabe deutlich leichter als am Tag zuvor, wo ihnen das Bestechungsgeld ausgegangen war. Als sie auf den flussnahen Pfad am Oberlauf des Visurgis einschwenkten, konnte Alpina einen ersten Blick auf den Fluss erhaschen. Die starken Regenfälle hatten ihn über die Ufer treten lassen und auch der Weg war feucht und matschig, nicht aber überspült, was das Wichtigste war. Auch wenn das Wasser braun vom mitgeschwemmten Erdreich war, faszinierte die Landschaft. Der mäandernde Fluss mit seinen Nebenläufen und Totarmen war atemberaubend schön. Mal durch Wiesen und Auen, dann wieder an sanften Hügeln vorbeiströmend war der Anblick wie Balsam für die Seele.
    Alpina genoss die immer wieder wechselnden Ausblicke und merkte so gar nicht wie die Zeit verging. Ihre mittägliche Rast nahmen sie in der Nähe einer kleinen Insel ein, die vom Wasser fast gänzlich überspült war. Ein paar versprengte Rinder eines nahen Gehöfts hatten sich auf den verbliebenen Teil der Insel gerettet. Vom dazugehörigen Bauern war weit und breit nichts zu sehen.


    Alpina sah Othmar fragend an. Sollten sie eingreifen und versuchen, die Rinder auf ihrer Seite des Flusses in Sicherheit zu bringen?

    Die Neuigkeiten, die die Ortsansässigen über die Unruhen unter den germanischen Völkern berichteten, waren nicht gerade geeignet, sorgenfrei in den Schlaf zu sinken. Dabei hatte Alpina in dieser Nacht sogar ein festes Bett zur Verfügung. Bedingt durch die Anstrengungen und die Übernächtigung der vergangenen Nächte mit wenig Schlaf, sank Alpina dennoch schnell in den Schlaf.


    Umso härter trafen sie die Alpträume, die sich wie meist kurz nach Mitternacht einstellten. Sie konnte gerade noch verhindern, dass sie schreiend hochfuhr. Heftig atmend versuchte sie Herrin ihrer Sinne zu werden. Dann schwang sie die Beine aus dem Bett und tastete sich im Dunkeln zur Tür. Sie schlich hinaus vor die Tür des Langhauses. Überrascht stellte sie fest, dass sie nicht die Einzge war, die in dieser Nacht nicht schlafen konnte. Eine Gestalt saß auf der Veranda des Hauses. Im Mondlicht, das zwischen den Wolkenhaufen hervorblitzte, erkannte sie Brunnhild. Die Alte hatte sich auf einer Bank unter dem Vorbau des Hauses niedergelassen. Sie nickte Alpina zu, als diese näher trat.


    "Komm, Kleine, setz dich zu mir", forderte sie Alpina auf.


    Alpina tat, wie ihr geheißen. Sie nahm neben der Germanin Platz.


    "Warum kannst du nicht schlafen?", fragte Brunnhild.


    EInen Augenblick lang war Alpina versucht, ihr die Wahrheit zu sagen, doch dann entschied sie sich für eine Notlüge. "Wolfhart schnarcht so laut."


    Brunnhild erwiderte. "Egbert auch", sagte sie. "Lassen dich die Männer wenigstens in Frieden?"


    Alpina nickte. "Ja, sie sind sehr umgänglich. Bislang hat keiner versucht, mir nachzustellen. Aber ich würde für keinen der Männer die Hand ins Feuer legen, wenn sie betrunken sind. Erst kürzlich musste ich erfahren, wie es ist, wenn sich ein Mann nicht unter Kontrolle hat."


    Brunnhild stimmte Alpina zu. "Ist er der Grund für deinen Weg zu Osrun?"


    "Nein, auch wenn es der endgültige Auslöser für meinen Weggang war. Ich trage schwer an einer Schuld. Meine Hoffnungen ruhen auf Osrun. Ich spüre, dass sie allein helfen kann."


    Die alte Germanin lächelte sanft. "Es würde mich freuen, wenn du auf deinem Heimweg wieder hier Station machst. Du sollst wissen, dass du hier immer willkommen bist."


    Alpina sah Brunnhild lange an. "Das ist lieb von dir. Ich weiß noch gar nicht, ob ich wieder "nach Hause" will. Das hängt von meinem Besuch bei Osrun ab..."


    Brunnhild sagte zunächst nichts mehr. Sie legte ihren Arm um Alpina und drückte sie an sich. "Dann bleibst du bei mir, Alpina!"


    Dankbar nahm Alpina die Umarmung an. Sie atmete tief durch und blickte noch eine Weile mit Brunnhild in den Nachthimmel. Schließlich stand sie auf.
    "Ich werde versuchen, noch ein wenig Schlaf zu bekommen. Gute Nacht, Brunnhild, und vielen Dank für dein Angebot. Ich werde gerne wieder herkommen."

    Othmars Antwort beruhigte Alpina. Natürlich waren die Tiere sicher solange die Männer an dem Baum arbeiteten, doch bald würde es dunkel werden, dann mussten die Männer ihre Arbeit einstellen und dann wären die Esel vor der Siedlung durchaus den wilden Tieren ausgeliefert.


    Alpinas Begleiter klopfte an die Tür des größten Hauses. Die Frau, die ihnen öffnete und die Othmar als Brunnhild ansprach war mindestens ebenso muffig wie ihr Mann und zudem das, was man in Raetia "an selten schiachen Nachtscherbn" (*) nannte. Sie war nie eine schöne Frau gewesen und das Alter ging nicht gnädig mit ihr um. Othmar stellte Alpina vor und betonte, dass sie keine Marserin sei. Alpina begrüßte die Frau höflich und folgte dann Brunnhild, die ihren Gästen das Quartier zeigte. Es war einfach, doch alle würden ein Schlaflager finden. Othmar und sie stellten ihre Sachen ab und während der Pelzhändler nach draußen ging, um den anderen beim Beseitigen des Baumriesen zu helfen, versuchte Alpina sich bei der Zubereitung des Abendessens nützlich zu machen.
    Brunnhild ließ sie zwar nicht mitkochen, doch überließ sie es Alpina, den Tisch zu decken. Wortkarg und mürrisch wie sie war, fiel es Alpina schwer, eine Konversation zu beginnen. Ihr brannte jedoch eine Frage so sehr auf dem Herzen, dass sie die Germanin schließlich doch ansprach.


    "Entschuldige, Brunnhild. Ich bin auf dem Weg zu einer Seherin mit Namen Osrun. Kennst du sie, hast du von ihr gehört?"


    Brunnhild sah von ihrer Arbeit auf.
    "Oja, das habe ich. Sie hat einen guten Ruf. Aber persönlich kenne ich sie nicht. Sie muss schon sehr alt sein. Bist du sicher, dass sie noch lebt? Schon lange habe ich niemanden mehr gesprochen, der bei ihr war."


    "Ist es noch weit? Muss ich noch weit gehen, um sie zu finden?"


    Die hässliche Germanin wog den Kopf.
    "Das hängt davon ab, was du als weit bezeichnest. So etwa zwei oder drei Tagesmärsche werden es schon sein. Und wenn die Marser dich erwischen, dann gnade dir Odin! Mit einem Mädchen wie dir gehen die nicht zimperlich um."
    Sie wandte sich wieder der Essenszubereitung zu. Währenddessen murmemelte sie "Meine Gunda haben sie auch verschleppt und nur die Götter wissen, was sie mit ihr gemacht haben..."


    Alpina schluckte. Nun konnte sie verstehen, warum Brunnhild und ihr Mann so abweisend und mürrisch waren. Als sie mit den Essensvorbereitungen fertig waren ging Alpina noch einmal hinaus zu den Männern und dem Wagen vor der Siedlung. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass die Männer unmöglich weiterarbeiten konnten. Immerhin hatten sie den Baum soweit abtragen können, dass der Eingang zur Siedlung wieder halbwegs passierbar war. Alpina half Hrothgar die Esel auszuspannen und in die sichere Umwallung zu bringen.


    Mit sichtlichem Hunger stürzten sich alle auf die nahrhafte Mahlzeit, die Brunnhild auf den Tisch gestellt hatte. Die Männer unterhielten sich, unter anderem über die fragile Sicherheitslage und die Überfälle, die es in den letzten Wochen in der Umgebung gegeben hatte. Alpina lauschte. Inzwischen verstand sie die germanischen Dialekte schon ein wenig besser. Sie musste sich zwar noch konzentrieren, doch das Meiste dessen, was gesprochen wurde, konnte sie verstehen.


    Sim-Off:

    (*) "ein selten hässlicher Nachttopf"

    Zum Glück kam bald schon der Wall in Sicht, der die germanische Siedlung umgab. Doch auch hier zeigten sich die Zerstörungen, die der heftige Sturm in der Nacht angerichtet hatte. Ein Baumriese, einst sicher mächtig und schattenspendend war umgekippt und versperrte nun ausgerechnet die Schneise, die den Eingang zur Siedlung markierte. Einige Männer schienen bereits den gesamten Tag gearbeitet zu haben, um den Baum von seinen Ästen zu befreien und ihn dann hoffentlich beiseite räumen zu können. Auf einer Seite war ein riesiger Stapel aus den abgetragenen Ästen.


    Alpina hielt die Esel an. Othmar begrüßte einen der Männer, dessen wildes Aussehen Alpina mehr als nur Respekt einflößte. Er nannte ihn Egbert. Dieser freute sich über die dazugekommenen Arbeitskräfte und schickte Alpina mit Othmar zusammen in sein Haus. Nur ungern ließ sie die Esel vor der Siedlung, immernoch ins Joch eingespannt. Sie hatten keine leichte Aufgabe gehabt und eingespannt stellten sie für Raubtiere wie Wölfe bei Nacht eine leichte Beute dar. Vorsichtig fragte Alpina.


    "Meinst du, ich kann die beiden Esel später noch in die Siedlung holen? Ich habe kein gutes Gefühl sie über Nacht hier vor der sicheren Umwallung zu lassen."


    Während sie Othmar folgte, wartete sie auf seine Antwort.

    Während der mittäglichen Rast warnte Othmar Alpina, dass sie von nun an das Land der Chatten betraten. Sie erinnerte sich, dass Duccius Verus genau diesen Zwist zwischen den Marsern und den Chatten angesprochen hatte. Auch er hatte vor der Gefährlichkeit gewarnt. Doch was nutzte es, sie wollte, nein, sie musste weiter.
    Wie nah die Gefahr war, verschwieg ihr Othmar wohlweislich.


    Alpina hatte gar nicht wirklich gemerkt, dass es bereits dunkel wurde. Auf dieser Etappe beschäftigten sie die Esel zu sehr. Ständig blieben sie stehen. Als sie gerade wieder Primus am Führstrick an einem umgefallenen Baum vorbeizerrte, sah sie plötzlich einen erleichterten Gesichtsausdruck des Pelzhändlers. Sie schienen ihrem Tagesziel näher zu kommen. Ob sie die Nacht unter einem Dach verbringen würden? Vielleicht sogar in einer germanischen Siedlung, in der sie ihre Vorräte auffüllen konnten? Wenn es tatsächlich eine Siedlung war, konnten sie sicher auch erfahren, ob die verfeindeten Stämme gerade friedlich waren oder ob sie auf der verbleibenden Strecke noch vorsichtiger sein mussten. Vielleicht würde Alpina sogar schon etwas von Osrun hören und in Erfahrung bringen können, wie weit der Weg wohl noch für sie war.

    Nach dieser unruhigen und ereignisreichen Nacht, setzten sie ihren Weg am kommenden Morgen in der gewohnten Stille und Gelassenheit fort. Natürlich waren der heftige Sturm und die Regengüsse der Nacht nicht spurlos an ihrem Weg vorübergegangen. Überall bedeckten abgerissene Zweige und Äste den Weg und zwei Mal mussten sie gar mit vereinten Kräften einen umgestürzten Baum aus dem Weg befördern. Das kostete Zeit.


    Wie schon erwartet, fiel deshalb die mittägliche Rast kürzer aus. Othmar schien ein Ziel zu haben, das er an diesem Tag erreichen wollte. Da sich Alpina nicht auskannte und sich auch nicht traute, den schweigsamen Pelzhändler danach zu fragen, kümmerte sie sich einfach wieder um die Esel. Deren Laune war am heutigen Tag auch nicht so gut wie die Tage zuvor. Vor allem wenn es darum ging an großen heruntergefallenen Ästen oder querliegenden Baumstämmen vorbeizulaufen, stemmten sie sich immer wieder mal mit den Hufen in den Boden und verweigerten die Mitarbeit. Die ungewohnten Hindernisse schienen ihren Unwillen zu erregen. Mit Engelszungen redete Alpina auf Primus und Secundus ein und wenn das gar nicht half, dann erinnerte Hrothgar die beiden mit einem Klapps daran, dass sie weiterlaufen mussten.

    Der Sturm steigerte sich noch immer. Regen peitschte das Dach der Hütte. Zunächst fand es Alpina nur ungemütlich, doch je lauter der Sturm wütete, desto unheimlicher wurde es. DIe Esel waren nervös, Hrothgar hatte sie ins Innere der Hütte geholt. Alpina versuchte sie durch sanftes Streicheln und beruhigende Worte zu besänftigen.


    Als Othmar begann leise eine Anrufung an seine Götter zu murmeln, bekam es Alpina mit der Angst. Sie war sehr abergläubisch. Dass ausgerechnet Othmar, der immer so kühl und distanziert wirkte, ein Gebet an Thor und die anderen Götter des germanischen Pantheons anstimmte, versetzte sie in Panik. Spätestens jetzt würde er vermutlich glauben, dass sie ihnen ihre Geister auf den Hals gehetzt hatte...


    Und dann geschah das Unglaubliche. Der Sturm ebbte ab und auch der Regen ließ nach. Beeindruckt sah Alpina zu Othmar hinüber. Er schien einen direkten Draht zu den Göttern seines Volkes zu haben. Alpina wusste ja nicht, dass sie die Beruhigung der Elemente dem Eingreifen Mercurs und dem Opfer und innigen Gebet von Runa und Curio zu verdanken hatte. Hätte sie es gewußt, hätte sie mit Sicherheit dem Gott der Händler, Reisenden und DIebe ein großes Opfer versprochen. Doch so glaubte sie daran in Othmar einen großen Magier vor sich zu haben. Ehrfürchtig beobachtete sie seine Erscheinung im Licht des Feuers.

    Erleichtert stellte Alpina fest, dass sie die kommende Nacht nicht unter freiem Himmel nächtigen mussten. Es war windig und regnerisch - alles andere als gemütlich für eine Nacht im Freien.


    Alpina vermied die Frage nach der Nachtwache. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Stattdessen versuchte sie sich beim Zubereiten des Abendessens nützlich zu machen. Sie zog dem Kaninchen das Fell ab, säuberte das Fleisch und holte ein paar übrige Zwiebeln aus den Vorräten. Viel war inzwischen nicht mehr von ihren Vorräten übrig. Alpina traute sich nicht zu fragen, doch sie hoffte sehr, dass es bald wieder irgenwo eine Siedlung gab, in der sie Nahrungsmittel einkaufen oder eintauschen konnten. Sonst würde sie in den nächsten Tagen noch mehr Zeit mit der Suche nach essbaren Wildkräutern verbringen müssen.


    Als die Nacht hereinbrach nahm der Wind zu, er steigerte sich bis hin zu einem heftigen Frühlingsturm. Die Hütte erwies sich als zugig, durch zahlreiche Spalten zwischen den Holzstämmen pfiff der Luftstrom, sang in ihren Ohren und sorgte dafür, dass nicht nur Alpina und die Nachtwache kaum ein Auge zumachten.

    Und dann bist du irgendwann in Mogontiacum gelandet und hast eine Taberna Medica eröffnet...


    Alpina nickte. Sie hoffte, dass Othmar nicht weiter nachhaken würde. Mit Sicherheit würde sie in Tränen ausbrechen, wenn sie mehr von sich erzählen müsste. Und das wollte sie bestimmt nicht. Sie wollte nicht schon wieder Schwäche zeigen, schon gar nicht vor Othmar, der sie offenbar ohnehin nicht für voll nahm.
    Zum Glück beließ es der germanische Pelzhändler dabei und schenkte ihr sogar so etwas wie ein Lächeln. Das erste seit sie gemeinsam unterwegs waren. Ein erster Schritt, ihr angespanntes Verhältnis zu bessern.


    Alpina zog die Schuhe wieder an und half Hrothgar die Esel einzuspannen. Es konnte weitergehen.

    Wieder eine mittägliche Rast, wieder das Tränken der Esel. Alpina setzte sich neben die beiden Esel an den Bachlauf, zog die Sandalen aus und ließ die Füße vom Wasser umspielen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Othmar zu ihnen getreten war. Erst als Secundus den Kopf hob und irritiert zu dem Pelzhändler guckte, nahm Alpina den Germanen wahr.


    Du hast die Esel gut unter Kontrolle., sagte er.


    Alpina sah ihn von unten her an. Es schien ein verstecktes Lob zu sein. Was sollte sie darauf sagen? Sie hatte die beiden Esel bislang als sehr willige und unproblematische Zugtiere erlebt. Auch sie wusste, dass Esel durchaus störrisch sein konnten, wenn ihnen etwas nicht passte. Mit Sicherheit war es nicht ihr Verdienst, dass Primus und Secundus so brav waren.


    "Ich glaube, sie mögen mich, weil ich sie von Anfang an mit Brotstücken bestochen habe", vermutete die Raeterin. "Bei Eseln, wie bei vielen anderen Lebewesen, geht die Liebe durch den Magen."


    Diese Aussage mochte Othmar auslegen wie er wollte, doch ihr war durchaus aufgefallen, dass die drei Männer nicht undankbar waren, wenn man ihnen ab und an mit einer kulinarischen Kleinigkeit den Alltag erleichterte.


    "Habe ich erzählt, dass meine Großeltern einen Hof mit Pferden, Hühnern und einem Hofhund hatten? Wenn ich den Sommer dort verbracht habe, gab es genügend Gelegenheiten, mich nützlich zu machen und die Tiere zu versorgen. Aber sei dir nicht zu sicher, dass die Esel immer auf mich hören werden. Sobald sich der Vorrat an Brot dem Ende neigt, wird auch ihre Liebe zu mir deutlich nachlassen."


    Alpina versah den letzten Kommentar mit einem sanften Lächeln.

    Die Nacht war gut und ruhig gewesen. Selbst Alpinas Alpträume hatten sich bedeckt gehalten und ihr eine erholsame restliche Nacht beschert.


    Die Etappen hatten inzwischen eine gewisse Gleichförmigkeit bekommen. Jeden Morgen das Vorbereiten des Wagens, das Anspannen der Esel, die Vormittagsetappe in Stille und Kontemplation. Bei der mittäglichen Pause vielleicht ein kurzes Gespräch, dann der nächste Streckenabschnitt.
    Alpina begann jegliches Zeitgefühl zu verlieren. Wie lang waren sie schon unterwegs? Wo waren sie wohl? Wie lang würde ihre Zwangsgemeinschaft mit den germanischen Händlern noch dauern? Selbst ihrem Körper schien der übliche Rhythmus abhanden gekommen zu sein. Er hatte einen gewissen Reisemodus eingenommen. Der Neumond war vorüber, die monatliche Blutung aber ausgeblieben. Die Strapazen der Reise, Müdigkeit und Erschöpfung waren sicherlich ursächlich dafür. Alpina war es recht. Sie vermisste diesen unangenehmen Teil des Frau-seins kein bisschen.


    Mit dem Führstrick in der Hand achtete sie auf ihre Schritte, sicher dass auch dieser Tag ein Ende haben würde, wo auch immer und wann auch immer...

    Alpina ergab sich in ihr Schicksal. Sie ließ sich von Hrothgar die Zügel in die Hand drücken und trottete los. Die Gleichmäßigkeit des Gehtempos und die Stille führten dazu, dass sie nicht mehr grübelte. Sie setzte einfach Schritt vor Schritt.


    Erst als Othmar anmahnte, dass ein Lagerplatz gesucht wurde, stieg ihre Nervosität wieder. Sie würden tatsächlich unter freiem Himmel nächtigen müssen.
    Als ein geeigneter Platz gefunden war, half Alpina Hrothgar beim Ausspannen und Tränken der Esel. Dann machte sie sich daran für alle eine 9-Kräutersuppe herzustellen. So bekamen sie sogar in der Wildnis ein warmes Abendessen. Natürlich war die Suppe dünn, viel hatte sie ja nicht dabei, aber mit dem Brot, das sie als Wegzehrung eingepackt hatten, wurde es doch eine vernünftige Mahlzeit.


    Mit sorgenvoller Miene beobachtete Alpina, wen Othmar für die erste Nachtwache einteilen würde. Zum Glück war es Hrothgar. Sie wartete also ab, wo sich der stumme Germane niederlassen würde und wickelte sich nicht weit von ihm sitzend in ihren Fellmantel.


    Ein paar Mal ließ ein Knacken in der Dunkelheit ihren Puls hochschnellen. Doch konnte die Ursache des Geräusches in der Regel als ungefährlich enttarnt werden. Mehrmals legte Alpina Feuerholz nach, um die Lagerfeuer vor dem Verlöschen zu bewahren. Als Hrtothgar schließlich Othmar für den zweiten Teil der Nachtwache weckte, zog sich Alpina in den Schutz des Wagens zurück. Sie versuchte noch ein wenig zu schlafen. Um zu vermeiden, dass sie die anderen gefährdete, falls sie im Schlaf schrie, zog sie sich den Fellumhang über den Kopf. Er würde hoffentlich den Schall dämpfen.

    Resigniert ließ Alpina die Schultern hängen. Othmar war es gelungen, ihr klarzumachen, wie hilf- und nutzlos sie war. Nicht nur das. Sie war eine Belastung für die Gruppe und der Germane ließ auch keinen Zweifel daran, dass ihre Hilfe unnötig, wenn nicht gar unerwünscht war. Alpina hatte gehofft, ihren Beitrag zum Gelingen der Reise leisten zu können...


    Vermutlich war Othmar nicht bewußt, dass er mit seiner harten Haltung Alpinas ohnehinschon angegriffenes Selbstbewußtsein endgültig ausradierte. Ihre Selbstzweifel wurden mit jedem Mal stärker. Was gab es überhaupt noch für einen Grund für sie, diese Reise fortzusetzen? Was sollte aus diesem Leben noch werden? Sie hatte so dringend eine Aufgabe gesucht und eine Zeit lang schien es so, als habe sie auch die Richtige Lebensaufgabe gefunden, doch dann kam ein Schlag nach dem anderen und jeder von ihnen nagte ein kleines Stück ihres Selbstbildes fort. Sie hatte anderen helfen wollen und nun waren es die anderen, die ihr halfen. Curio, der immer für sie da gewesen war, wenn sie ihn gebraucht hatte. Nie hatte er sich darüber beschwert, dass sie wieder und wieder seine Hilfe in Anspruch genommen hatte. Nicht einmal hatte sie sich revanchieren können... und sein Bruder... sie hatte ihm helfen wollen, seine Trauer zu verarbeiten und was hatte sie damit angerichtet? Sie hatte alles nur noch schlimmer gemacht...
    Im Prinzip war es egal ob sie diesen Weg fortsetzte oder nicht.


    War es das, was sie auf dieser Reise lernen sollte? Die Sinnlosigkeit des eigenen Daseins zu akzeptieren? Den Widerstand aufzugeben, der sich immer noch in ihrem Verstand regte? Den innigen Wunsch nach einem Sinn des Lebens ad absurdum zu führen?
    Das sich nun einstellende Gefühl der Leere schien sich sanft wie ein Mantel über Alpinas Seele zu legen. Es dämpfte den Schmerz.

    Verflucht, warum musste dieser Germane so einen unglaublichen Sturschädel haben? Was sollte sie mit dieser Antwort anfangen? Sie war nahe daran ihm zu sagen, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Sie wollte nie so abhängig sein. Nie. Sie hatte nicht ohne Grund ihr eigenes Geschäft aufgebaut. Sollte sie umkehren? Sollte sie ihren Plan aufgeben? Alpina schwankte zwischen Wut und Verzweiflung.


    "Ich bin vor zwei Jahren mit meiner Mutter aus Raetia auch zu Fuß bis Mogontiacum gelaufen. Du brauchst nicht glauben, dass ich nicht weiß wie man ein Feuer in Gang hält und auch damals haben wir uns ab und an bei der Nachtwache abgelöst, wenn wir nicht bis zu einer Mansio gekommen sind, weil das Wetter umschlug. Gut. Du kennst mich nicht, du weißt nicht, ob du mir vertrauen kannst. Deshalb akzeptiere ich, dass ich zunächst nicht alleine eine Nachtwache übernehmen kann. Gib mir die Chance mich zu beweisen. Wenn ich feststelle, dass ich dem nicht gewachsen bin, werde ich dich morgen Früh von deinem Auftrag entbinden und alleine weitergehen."


    Sie war fest entschlossen, sich von ihm nicht wie ein Kind behanden zu lassen. Trotzig und beinahe ein wenig wütend, starrte sie ihm in die Augen.

    Als Alpina Othmar sah, fasste sie sich ein Herz und sprach ihn an.
    "Auf ein Wort bitte, Othmar. Es tut mir leid, dass ich für euch eine Belastung bin. Ich weiß das und ich würde es zu gerne ändern. Bräuchte ich eure Hilfe nicht, um noch tiefer ins Barbricum zu kommen, wäre ich längst auf eigene Faust unterwegs, glaub mir. Es liegt mir fern, euch in Gefahr bringen zu wollen."


    Sie atmete tief durch. "Ich habe lange über deine Aussage von heute Nacht nachgedacht und ich hoffe, ich kann dir einen Vorschlag machen, mit dem wir beide leben können. Da ich ohnehin in den meisten Nächten nur wenige Stunden schlafe, weil jede Schlafsequenz die Gefahr eines weiteren Alpitraums birgt ... kurz, weil dem so ist, ich biete dir an, einen Großteil der Nachtwache für die Gruppe zu übernehmen. Es würde mir reichen, wenn mich in den letzten Stunden vor dem Morgengrauen jemand ablöst, damit ich noch etwas Schlaf bekomme. Ich hoffe damit das Risiko für die mich verstörenden Bilder zu minimieren und Gefahr von der Gruppe fernzuhalten. Sollte ich feststellen, dass es mir nicht gelingt und ich eine Gefahr für euch darstelle, sei gewiss, dass du mich eines Morgens nicht mehr bei der Gruppe finden wirst."


    Sie griff in ihre Rückentrage und holte einige Münzen hervor.
    "Ich möchte dir jetzt die komplette vereinbarte Summe übergeben. Dann ist unsere Vereinbarung getilgt und ich muss mir keine Gedanken mehr darüber machen, dass wir nicht quitt wären, wenn ich eines Nachts feststellen muss, dass es besser für uns alle wäre, wenn ich alleine weitergehe..."


    Sie streckte die Hand aus und drückte Othmar die Münzen in die Finger.

    Natürlich ließ sich Alpina nicht anmerken, dass sie kein Auge mehr zugetan hatte. Als Othmar und Hrothgar aufstanden, schwang auch sie sich von ihrem Lager. Wie bei ihren Begleitern fiel auch ihre Reinigung notdürftig aus.
    Bevor sie die Siedlung verließen besuchte Alpina noch einmal Hildrun. Sie ließ sich noch einige Kräuter mitgeben und dankte der germanischen Heilerin erneut dafür, dass sie sie an ihrem Wissen teilhaben ließ. Mit einer herzlichen Umarmung verabschiedete Alpina sich.


    Wie schon die Tag zuvor kümmerte sich Alpina wieder um die Esel. Die Nähe der Tiere war ihr momentan weit lieber als die der Menschen. Vor allem Othmar versuchte sie aus dem Weg zu gehen. Er war wütend auf sie gewesen. Alpina verstand seine Gründe ja, doch hatte sie seine Wut an ihr letztes Erlebnis mit einem wütenden Mann erinnert. Alpina hegte keinen Wunsch Othmars Grenzen testen zu wollen.


    Wann immer sich ihr eine Gelegenheit bot, sammelte Alpina Kräuter am Wegesrand. Durch das warme Wetter der vergangenen Tage brach sich die Natur nun förmlich Bahn. Alpina pflückte Bärlauch, Scharbockskraut, Knoblauchrauke, Gundermann, Brennnessel, Taubnessel, Spitzwegerich und noch einige andere Kräuter. Sie hoffte aus den Kräutern am Abend eine Kräutersuppe für alle zaubern zu können. Vielleicht würde es ihr dadurch gelingen, die Gemüter etwas zu beruhigen. Außerdem war ihr eingefallen, wie sie die Not mit der Tugend verbinden könnte. Sie musste nur noch auf die Gelegenheit warten, bis sie Othmar darauf ansprechen konnte...

    Alpina verstand. Sie konnte Othmars Bedenken sehr gut nachempfinden. Er sorgte sich um seine Begleiter. Gerade dieses fürsorgliche Verhalten ehrte ihn. Und wer wusste besser als sie selbst, dass er sich mit ihr einen Risikofaktor in die Gruppe geholt hatte. Zu gerne hätte sie ihn beruhigt, ihm versprochen, dass es keine Probleme geben würde... doch sie wusste auch, dass das Augenwischerei gewesen wäre. Klar konnte sie ihm jetzt versprechen, ihre Dämonen besser im Zaume zu halten, doch wäre es gelogen gewesen. Mit jedem Tag den sie unterwegs waren, wurde Alpina mehr bewusst, dass sie die Kontrolle über sich verlor und mehr und mehr Spielball der sie heimsuchenden Träume wurde...
    Aber sie war nun schon so weit gekommen und sie brauchte Othmar um zu Osrun zu gelangen. Also schwieg sie. Sie würde den Rest der Nacht und den kommenden Tag Zeit haben, darüber nachzudenken, wie sie es für ihre Reisebegleiter sicherer machen konnte.


    Ihre Antwort fiel also knapp aus. "Klar."


    Sie rollte sich erneut auf ihrem Lager zusammen. An Schlaf war für sie ohnehin nicht mehr zu denken, doch ihre Begleiter wollte sie nicht länger davon abhalten.

    Die Angst ebbte ab. Alpina erkannte wieder wo sie war und die Anwesenheit der beiden Pelzhändler führte dazu, dass sie sich schneller als sonst wieder fing. Nun war es ihr peinlich, dass sie Othmar und Hrothgar geweckt hatte und vor allem, dass sie beide nicht vorgewarnt hatte. Schließlich hatte sie ja gewußt, dass es so kommen würde.


    "Entschuldigt bitte. Natürlich hast du Recht... es war nur ein Traum."
    Sie suchte nach Worten.


    "Aber das ist ja mein Dilemma, wisst ihr. Ich hätte euch vorwarnen sollen. Das passiert jede Nacht... seit Monaten - jede Nacht. Es sind die Rachegöttinnen oder die Larvae, sie suchen mich Nacht für Nacht heim... und es wird solange so sein, bis ich meine schwere Schuld abgetragen habe..."
    Sie unterbrach sich, schluckte, sortierte die Gedanken, die wild durch ihren Kopf rasten.


    "Das ist der Hauptgrund meiner Reise... ich muss eine schwere Schuld abtragen und einer umherschweifenden Seele Frieden geben... dafür brauche ich die Hilfe eben jener besonderen Frau... sie ist meine letzte Hoffnung. Der gefahrvolle Weg ist Teil meiner Buße... Verzeiht mir, dass ich euch geweckt habe!"

    Sorry, auch auf die Gefahr hin als Nervensäge zu gelten, aber ich fände es schon ganz schön, wenn der Wochenwechsel wenigstens Dienstagabend über die Bühne ginge. Sonst bleibt zum Wirtschaften für diese Woche einfach zu wenig Zeit, Leute. Leider ist dieser Termin für solche Kleinverdiener wie mich nicht unwichtig!