Angesichts ihrer lädierten Füße entschied sich Alpina an diesem Tag nur bis in die Civitas Taunensium weiterzulaufen. Sie verabschiedete sich also mit einer herzlichen Umarmung von dem älteren Ehepaar und machte sich erneut auf den Weg. Es waren nur wenige Meilen und die Größe der Siedlung, die ein wichtiger Handelsplatz mit dem freien Germanien war, brachte es mit sich, dass viele Händler auf der Straße unterwegs waren. Die besinnliche Ruhe der vergangenen zwei Tage wollte sich also nicht einstellen.
Die Civitas Taunensium hatte für ihre Randlage im Imperium eine erstaunliche Größe erreicht. Es gab sogar ein Theater, wie Alpina überrascht feststellte. Gemächlich schlenderte sie durch die Straßen, betrachtete die Auslagen der Geschäfte und unterhielt sich mit den Händlern. Sie versuchte herauszufinden, ob jemand aus dem freien Germanien zum Handeln in die Siedlung gekommen war. Doch diejenigen, mit denen Alpina sprach, waren alle aus der Umgebung.
Alpina orientierte sich schell in der Siedlung. Bald fand sie auch eine Mansio an der Straße nach Norden. Der Wirt nickte auf ihre Frage nach einer Kammer für die Nacht. Er nahm Alpina mit und zeigte ihr eine kleine Kammer über dem Schankraum. Sie akzeptierte seine Bedingungen. Zurück in der Schänke, setzte sich Alpina an einen freien Tisch und bestellte einen Becher Posca. Als der Wirt das Getränk brachte, sprach sie ihn an.
"Ich möchte weitereisen ins freie Germanien. Dort ist ein Teil meiner Familie, die ich gerne besuchen würde. Welchen Weg würdest du mir empfehlen, wenn ich bis in die Gabelung der Visurgis reisen möchte?"
Der Mann musterte sie nachdenklich.
"Mädchen, das ist keine gute Ecke, um alleine dahin zu reisen. Und erzähl mir keine Märchen! Du bist keine Germanin. Das hört man. Was treibt dich ins Barbaricum?"
Alpina schluckte. So schnell war sie noch nicht durchschaut worden.
"Was soll ich sagen. Ich bin auf der Suche nach einer weisen Frau, einer Seherin. Ihr Name ist Osrun. Sagen wir einfach, es ist im Augenblick mein einziges Ziel im Leben und ich muss dorthin."
Der Wirt zog sich einen Stuhl her und setzte sich. Sein investigativer Blick ließ Alpinas Kehle eng werden. Sie konnte und wollte nicht hier in dieser Schänke ihr Innerstes nach außen kehren. Also wartete sie auf seine Fragen.
"Du kannst unmöglich alleine ins Barbaricum reisen. Seit Tagen hören wir hier immer mehr Nachrichten von überfallenen Dörfern. Es scheint sich da was zusammenzubrauen. Erst heute früh war ein Händler hier, der von einer Horde Germanen berichtete, die ein Dorf überfallen und dem Erdboden gleichgemacht haben. Die bekämpfen sich dort ständig gegenseitig. Das ist kein Ort für ein Mädchen wie dich!"
Alpina hielt dem Blick stand. Es ärgerte sie ein wenig, dass er sie als Mädchen bezeichnete. Sie war eine Frau, zumindest das war ihr in den vergangenen Monaten deutlich bewußt geworden. Mit allen Risiken, die damit verbunden waren.
"Gut", sagte sie. "Kennst du dann jemanden, mit dem ich reisen kann?"
Der Wirt kratzte sich am Kinn. "Hm, es gibt hier schon einige Händler, die regelmäßig ins Barbaricum reisen, um Waren einzutauschen. Wenn ich einen von ihnen sehe, sage ich dir Bescheid. Vielleicht kann ich was für dich tun."
Er stand wieder auf und ging hinter seinen Tresen zurück. Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf.