Myrsini schüttelte rasch den Kopf. Nicht zu schnell, als dass es hastig gewirkt hätte, vielmehr bemühte sie sich, in die ablehnende Bewegung eine sanfte Eleganz einfließen zu lassen. "Vergebung", begann sie daraufhin erneut und streckte nun ihre zweite Hand aus, öffnete die schmalen Finger und überreichte dem Soldaten die goldene Kette mit dem schimmernden, blauen Edelstein als zentraler Blickfang. "Meine Domina wünscht von Herzen, dass Du auch dies von ihr in Empfang nimmst." Erst jetzt war ihre Aufgabe wirklich erfüllt - gleichwohl sie keine Ahnung hatte, welchen Nutzen das fein gearbeitete Schmuckstück für den Optio besaß - und die Griechin spürte mit Erleichterung, wie die Last der Verantwortung von ihren Schultern glitt. Wahrlich, sie hatte weitaus zu viel Zeit zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigt und womöglich erwartete sie ob dem bei ihrer Rückkehr eine Standpauke, doch besaß sie ein reines Gewissen und die Sicherheit, dass Aulus Iunius Avianus ihr Zeuge war. "Ich danke Dir", fügte sie rasch hinzu und verneigte sich einmal mehr, in Erwartung der Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. "Mit Freuden werde ich meiner Domina Deine Grüße überbringen und breche sofort auf, so Du gestattest."
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Myrsini
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Was hätte sie sagen sollen? Oder sagen können? Ein ums andere Mal hatte Myrsini den Mund ein winziges Stück geöffnet, setzte zu einer Erwiderung an, um dem freundlichen Torwächter zu erklären, um welches Lied es sich handelte, doch sie schwieg. Wie konnte er auch ahnen, dass ihr seine Worte um das Atmen von Freiheit einen Stich versetzt hatten? Nicht so sehr, weil ihr Freiheit als Recht der eigenen Entscheidung fehlte - etwas, das sie ohnehin niemals kennen gelernt hatte -, vielmehr rief seine Frage Erinnerungen hervor, die Myrsini mit großer Mühe tief in sich vergraben hatte. Freiheit bedeutete nicht nur Verantwortung für sich selbst und dies galt gemeinhin als Definition des Begriffes, sondern Freiheit implizierte auch das Recht auf Ablehnung. Frei Atmen zu können trug in sich das Recht auf Furchtlosigkeit und dieses Recht war Myrsini nie zuteil geworden. Also schwieg sie, wenngleich ein Teil von ihr Bedauern darüber empfand und Mitleid hatte mit dem im Grunde herzensguten Raecius Fimbria. Nur mit ihrem Blick suchte sie dem Soldaten mitzuteilen, dass er keinen Grund hatte, eine Entschuldigung auszusprechen. Ob er ihre Botschaft indes verstand, vermochte sie nicht mit Gewissheit einzuschätzen. Irgendwo in der Griechin reifte derweil der vage Gedanke heran, noch einmal zu diesem Tor zurück zu kehren. An einem Tag, der von der Sonne beherrscht wurde und der Gelegenheit bot, sich zu bedanken, ohne dabei durch die immer präsente Pflicht gemahnt zu werden. Aus freien Stücken ... da war es wieder, das Wort.
Eine Soldatengruppe näherte sich, das Klappern ihrer Stiefel auf dem Boden war unverkennbar. Noch bevor Myrsini erblicken konnte, wer sich dort näherte, erschallte bereits die aufgeregte Stimme des Torwächters über den Platz und kündete von der Ankunft jenes Mannes, den zu treffen Myrsinis Aufgabe war. Hastig stellte sie den Becher Posca ab - dorthin, wo er von Raecius Fimbria leicht gefunden werden konnte - und zog ihre Tunika zurecht, löste sich aus dem groben Leinentuch. Sie vertrat nun ihre Domina, in offizieller Funktion und hatte einen würdigen Eindruck zu hinterlassen. Ungeduldig wartete die Griechin, bis die Gruppe heran war und sich bei dem Torwächter gemeldet hatte. Ein hochgewachsener Mann mit dunkelbraunem Haar und von athletischer Gestalt war der einzige Soldat, auf dessen harten Gesichtszügen ein Lächeln lag. Myrsini war durchaus in der Lage, den Rang eines römischen Soldaten zu deuten - dies empfahl sich als Sklavin einer gehobenen Dame - und so wusste sie rasch zu erkennen, wer von den Männern Aulus Iunius Avianus sein musste. Nachdem Raecius Fimbria ihr schließlich einen auffordernden Wink zuwarf, trat Myrsini mit raschen Schritten in den inzwischen seichter gewordenen Regen hinaus, den Brief in ihren Händen vor dem Nass geschützt und eilte gen der Soldaten, um sich - nicht ganz zufällig dicht neben Raecius Fimbria stehend - vor dem Optio ehrerbietig zu verneigen. "Ich bitte um Vergebung, Deine Aufmerksamkeit zu fordern, doch ich trage eine Nachricht von meiner Domina, Tiberia Lucia, die zu übergeben mir aufgetragen wurde."
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"Die Wichtigkeit meiner Aufgaben zu bewerten obliegt nicht mir", gab Myrsini erklärend zurück und nutzte diese Gelegenheit zugleich, dem Römer unmissverständlich darzulegen, an wen - oder was - er seine Worte richtete. Womöglich würde dieser kleine Wink ein wenig Klarheit mit sich tragen: "Meine Handlungen sind nur Ausdruck eines höheren Willens, dem meiner Domina." Myrsini ließ den Blick ihrer braunen Augen auf dem Soldaten ruhen, bis sie der zahlreichen Regentropfen gewahr wurde, die in feinen Fäden über seinen glänzenden Helm liefen. Zunehmend begann die Griechin zu vermuten - so unwahrscheinlich dies auch sein mochte -, dass Raecius Fimbria tatsächlich von reiner Höflichkeit - oder Freundlichkeit - angetrieben wurde. Jedes andere Motiv, sei es Lust oder Langeweile, hätte sie gleichwohl weitaus besser nachvollziehen können, weshalb die Situation ihr in gewissem Maße Unbehagen bereitete. Nicht so sehr aus Sorge um ihre Sicherheit, als vielmehr ob der Unwissenheit, was sie nun tun sollte?
Das Gewicht des Bechers in ihrer Hand gab ihr schließlich die Antwort und Myrsini entschied, sich für die Posca mit einer kleinen Geste zu revanchieren, indem sie beinahe demonstrativ zur Seite trat und somit genug Raum unter dem Vordach des Seitenflügels schuf, dass der Torwächter sich unterstellen konnte, ohne ihr zugleich in die Arme zu fallen. "Ist es Dir verboten, vor dem Regen Schutz zu suchen? Sicher leidet doch Deine Rüstung darunter?" -
Die letzten Takte der leisen Melodie verklangen und Myrsini hielt inne. Es war ihr nicht entgangen, dass der Torwächter sich einmal mehr bis auf wenige Meter angenähert hatte. Jedoch schien er den Abstand zu wahren, beschränkte sich einzig darauf, sie zu beobachten ... oder ihrer Stimme zu lauschen. Er musste über ein außergewöhnlich gutes Gehör verfügen, wenn ihr Summen ihn trotz des sie umgebenden Lärms einzufangen vermochte. Lag in dem stillen Abwarten auch Höflichkeit verborgen? Allmählich begann der Soldat in Myrsinis Augen ein geradezu groteskes Verhalten zu zeigen, denn sein ganzes Auftreten geziemte sich nicht für einen Römer nach ihrer Vorstellung. Für einige Herzschläge schwankten ihre Empfindungen zwischen angenehmer Dankbarkeit ob seiner Zurückhaltung und bloßer Angst über seine möglichen Motive, bis sie den Becher Posca anhob und sich selbst mit dem Gebräu abzulenken versuchte. Von Erfolg gekrönt war der Versuch hingegen nicht.
Myrsini ließ den Blick ihrer braunen Augen über die jenseits gelegene Straßenseite wandern, entlang der Häuserfront und vorbei an den zahlreichen Fußgängern sowie den vereinzelten, mitunter schwer beladenen Wagen, um schließlich Fimbria direkt anzusehen. Den Augenschlag hielt sie weit genug gesenkt, wie man es von einer Sklavin verlangen konnte, und verharrte zunächst in Schweigen. Sie konnte spüren, dass der Soldat auf eine Reaktion von ihr wartete; - oder dies zumindest erhoffte. Wenn es dies war, wonach es ihm verlangte, so sollte er seinen Wunsch erfüllt bekommen: "Deine Aufgabe erscheint mir sehr wichtig zu sein, Raecius Fimbria", begann Myrsini, "als Wächter über diese Porta die Castra zu schützen." -
Myrsini nahm den tönernen Becher mit ihrer freien Hand von dem Torwächter entgegen und warf einen prüfenden Blick hinein. Der Duft von Posca stieg ihr augenblicklich in die Nase und trotzdem er vergleichsweise dezent war - gegenüber so manch anderem der wenig betörenden Düfte Romas -, glaubte sie den vehementen Protest ihres Gaumens gegen den bevorstehenden "Genuss" spüren zu können. Doch sie hatte das Angebot angenommen und es wäre äußerst vermessen, jetzt einen Rückzug zu machen. Sie formte ihre Lippen zu einem sanften Lächeln, dem gar eine Spur Ehrlichkeit anhaftete, und nahm einen kleinen Schluck. Die Posca breitete sich über ihre Zunge aus und nötigte Myrsini einen Anflug von Überwindung ab, um das Getränk hinunter zu schlucken. Unauffällig atmete sie aus, tarnte die Bewegung als Ausdruck des Wohlbefindens und wandte sich schließlich wieder Fimbria zu, doch der Soldat hatte sich bereits von ihr entfernt. "Danke sehr", sagte die Griechin dennoch und wohl laut genug, dass es gehört werden würde. Es galt nun, sich auf eine längere Wartezeit einzurichten und in Ermangelung einer Beschäftigung begann Myrsini ein leises Lied aus ihrem bescheidenen Repertoir zur Unterhaltung ihrer Besitzer zu summen, um sich von dem allgegenwärtigen Lärm der Stadt abzulenken.
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"Myrsini", gab die Griechin dem Torwächter nach kurzer Überlegung zur Antwort. Nicht, dass der Soldat danach verlangt hätte, doch sein Verhalten ließ sie annehmen, er wünsche sich eine Antwort. "Ich danke Dir für Deine Güte, Raecius Fimbria", fügte sie hinzu und verneigte sich dezent, um sodann unter dem angepriesenen Vordach des Seitenflügels Schutz vor dem wieder einsetzenden Regen zu suchen. Darauf bedacht, weder den Brief noch die Kette allzu offensichtlich zu präsentieren, schüttelte sie das Leinentuch aus und legte es sich erneut um die Schultern. Sorgsam achtete sie zugleich darauf, dem Torwächter nicht zu nahe zu kommen, denn der Mann - obschon er sehr freundlich war - erschien ihr merkwürdig. 'Welcher Römer entschuldigt sich bei einer Sklavin?' Einzig die Erklärung, dass er ihren Stand nicht erkannte, vermochte sich Myrsini vorzustellen, indes erachtete sie dies als nicht sonderlich wahrscheinlich. Die Situation war seltsam und so entschied sie, Vorsicht walten zu lassen. 'Ob meine Domina dahinter steckt?'
"Ich danke Dir für das Angebot und nehme gerne einen Krug Posca." Myrsini könnte das Gesöff nicht ausstehen, andererseits war es gut, den Soldaten beschäftigt und bei Laune zu halten. Wer wusste schon, wie er eine (erneute) Ablehnung aufnehmen würde? -
Ein Ausdruck der Irritation glitt über Myrsinis Gesichtszüge, da der gerüstete Torwächter sie als "Anmut in Person" bezeichnete. Wenngleich Myrsini jede Eitelkeit weit von sich zu weisen vermochte, konnte sie ihre körperlichen Attribute recht realistisch einschätzen und hielt das Kompliment daher für ein wenig übertrieben. Maßgeblich jedoch - so erkannte sie erst nach einer Weile - war sie eine solche Hofierung nicht gewohnt, schon gar nicht von einem Römer. Misstrauen erfasste die Griechin, denn wer allzu freundlich auftrat, tat dies selten ohne die Erwartung einer Gegenleistung. Sie unterdrückte jede Anwandlung von Anrührung und hielt ihre Lippen frei von einem Lächeln. Offenbar schien der Soldat ihre Reaktion richtig zu deuten, denn sein Tonfall wurde förmlicher und seine Worte bezogen sich nurmehr auf ihr eigentliches Begehren.
"Mhm, nein, eine solche Genehmigung habe ich nicht", gab Myrsini zunächst zur Antwort und schüttelte sogleich darauf den Kopf. "Ich bitte um Vergebung, Dein großzügiges Angebot ausschlagen zu müssen, doch es ist mir strengstens untersagt, die Nachricht in anderer Hände zu legen als in jene des Empfängers persönlich." Verlockend war diese Möglichkeit natürlich schon, andererseits wagte Myrsini sich nicht einmal auszumalen, welche Bestrafung ihr drohte, sollte Tiberia Lucia auch nur den Verdacht hegen, sie habe ihrer expliziten Anweisung zuwider gehandelt. Sie zog die braunen Augen ein wenig zusammen - nur soweit, dass es nicht merklich auffiel -, als der römische Soldat um die richtigen Worte zu ringen schien. 'Was soll ich tun? Kann ich umkehren und melden, dass Aulus Iunius Avianus nicht erreichbar ist? Ausgeschlossen! Ich brauche einen Erfolg und sei er noch so banal.' Auf die Gedanken folgte ein Entschluss: "Darf ich erfahren, wann mit einer Rückkehr zu rechnen ist?", erkundigte sich Myrsini und ihr Tonfall verriet, dass sie zu warten bereit war. -
Das Gespräch - oder besser die Auseinandersetzung - zwischen dem offensichtlich unfreiwilligen Paar erreichte einen Siedepunkt und Myrsini entschied, das Einzige zu tun, was ihr in dieser Situation angemessen erschien. So unauffällig es ihr nur möglich war, zog sie sich zurück, nahm sich selbst aus dem Fokus der Ereignisse, indem sie ihre Füße in winzigen, kaum merklichen Schritten rückwärts bewegte, jenseits der Wahrnehmung von Titus Duccius Vala und Tiberia Lucia; - das hoffte sie zumindest. Ob dies eine kluge Entscheidung war, wusste sie nicht mit Sicherheit. Die alte Hexe neben der Römerin mochte sie darüber hinweg schlecht beurteilen, doch zwischen die Fronten zu geraten konnte Myrsini in keiner Weise zuträglich sein. Insbesondere nicht eingedenk dessen, dass ihre Übergabe der Auslöser für all den Zwist war.
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Sim-Off: Ausgangspunkt der Handlung: Eine nette Abwechslung
Weshalb ihre Domina - Tiberia Lucia - an diesem Tage nur wenig gewillt war, ihre behaglichen Gemächer in der Villa Tiberia zu verlassen, leuchtete Myrsini völlig ein. Der Himmel war von grauen, tief liegenden Wolken bedeckt und vereinzelt ergoss sich der Regen über die Stadt, wenngleich er auch nicht genug Kraft besaßen, um als wirklicher Schauer bezeichnet zu werden. Vielmehr trafen nur einsame Tropfen Myrsinis Tunika und das grobe Leinentuch, dass sie sich zum Schutz gegen die Witterung über die Schultern geworfen hatte. Die Wärme der vergangenen Vortage hatte sich zugleich noch in den Steinen und Mauern Romas erhalten, sodass die Straßen von einer klammen Feuchtigkeit ergriffen wurden, während lichter Nebel um die sieben Hügel waberte und durch die Türschwellen bis in die Häuser kroch. 'Diesig ist die richtige Bezeichnung für dieses Wetter', ging es Myrsini durch den Kopf, als sie endlich das Tor zur Castra Praetoria erreichte. Wahrscheinlich war es für jemanden mit Ortskenntnis ein Leichtes, diese Heimat der berüchtigten Prätorianer zu finden, für die Griechin indes hatte es sich als wahre Herausforderung erwiesen. Bisher hatte sie lediglich die Villa Tiberia und die Casa Accia kennen gelernt, sah man von einigen unbedeutenden Nebenstraßen dieser großen Stadt ab. Und gegenüber Sklaven zeigten sich die Bürger Romas wahrlich nicht allzu auskunftsfreudig, erst ein älterer Sklave erwies sich als freundlicher Helfer, indem er ihr für ein warmes Lächeln die richtige Richtung gewiesen hatte. Dennoch konnte sich Myrsini des Eindrucks nicht erwehren, bereits viel zu lange unterwegs zu sein und ohne Zweifel hatte sie sich mehrfach verlaufen.
Nun aber stand sie vor dem Tor, den Brief und die Kette in der Hand, beides sorgsam unter der Decke verborgen - ein weiterer Grund, sie mitgenommen zu haben - und überlegte, worin ihr nächster Schritt bestehen sollte. Die Antwort auf diese Frage war hingegen ein Leichtes, denn im Grunde blieb ihr nur eine Wahl. Zunächst zögerlich, dann jedoch im Bewusstsein, dass ihr kaum mehr widerfahren könne als eine verbale Abfuhr, trat Myrsini auf die gerüsteten Torwächter zu und verneigte sich ehrerbietig: "Ich trage eine Nachricht für Aulus Iunius Avianus bei mir und bin von meiner Domina, Tiberia Lucia, angewiesen, diese persönlich zu übergeben." Kaum, da sie ihren Satz ausgesprochen hatte, regte sich in Myrsini der Zweifel darüber, ob es tatsächlich so einfach werden würde. -
Eine beiläufige Handbewegung der Tiberia gestattete Myrsini schließlich, sich aus den privaten Gemächern Lucias entfernen und mit der Erfüllung ihres soeben erhaltenen Auftrages beginnen zu dürfen. Die ersten beiden Schritte ging die Griechin rückwärts, das Haupt unablässig gen Boden gerichtet und wandte sich sodann flugs herum, um durch die offene Tür auf leisen Sohlen zu entschwinden. Myrsini brachte zunächst einigen Abstand zwischen sich und ihre Domina, bevor sie sich gegen eine der reichlich verzierten Wände lehnte. Für mehrere Sekunden schloss sie die Augen und begann mit bewussten, tiefen Atemzügen. Ihre Gedanken rasten, z.T. von Furcht erfüllt, und nur langsam fand wieder sie zu jener Konzentration, die sie zur Erfüllung der vor ihr liegenden Aufgabe benötigte. Zögerlich, als wäre selbst darin eine Gefahr zu vermuten, richtete Myrsini ihren Blick auf die Schriftrolle und zwang sich, ihre Finger nicht noch fester um das empfindliche Pergament zu pressen. 'Aulus Iunius Avianus, Cohortes Praetoria', ließ sie den Namen des Empfängers mehrmals durch ihren Kopf schwirren und bewegte dabei lautlos ihre schmalen Lippen.
Erst der Klang von Schritten auf dem steinernen Boden zog Myrsini zurück in die Gegenwart und mit einem Ruck - einem ertappten Kind nicht unähnlich - löste sie sich von der Wand. Sie glaubte, den Rücken der jungen Sklavin Arsinoe erkennen zu können, bevor die Schritte jenseits einer Ecke verschwanden, doch sicher war sich Myrsini darin keinesfalls. Gleichwohl verstand sie es als unausgesprochene Mahnung, nicht länger in Untätigkeit auf dem Flur zu verharren, sondern sich auf den Weg zu den Kasernen zu machen. Noch einmal sog sie die Luft durch ihre Lungen, fand darin - ein wenig - neue Entschlossenheit und eilte zu den Unterkünften der Sklaven, um sich für ihre Aufgabe zu rüsten ...Sim-Off: Fortsetzung der Handlung: Im Namen von Tiberia Lucia - Die Briefträgerin
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"Aulus Iunius Avianus", wiederholte Myrsini den Namen des ihr unbekannten Soldaten, in dessen Hände sie den Brief und das Schmuckstück übergeben sollte. "Cohortes Praetoria", ergänzte sie sodann und fügte der Vollständigkeit halber den vermutlich wichtigsten Teil der Aufgabe hinzu: "Ausschließlich ihm sind der Brief und die Kette zu übergeben, niemandem sonst. Ich habe verstanden, Domina." Anders als die Römerin legte Myrsini keine besondere Betonung in ihre Worte, denn dies hätte man allzu leicht als subtile Verhöhnung des ein wenig überdeutlich vorgetragenen Befehls missverstehen können. Und trotzdem ein seichtes Lächeln über Lucias weiche, ebenmäßige Gesichtszüge wanderte im Zusammenhang mit Myrsinis Erkundigung nach dem Empfänger, fühlte sich die Griechin nicht im Mindesten sicherer als nur Augenblicke zuvor. Noch immer konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, mit einer kaum zu meisternden Prüfung konfrontiert zu werden. Die exakten Instruktionen der Tiberia verstärkten diesen Eindruck, trotzdem Lucia womöglich lediglich Vorsicht walten ließ im Angesicht eines vielleicht brisanten Inhaltes der Schriftrolle. Unwillkürlich gemahnte sich Myrsini, über dergleichen nicht mehr als notwendig nachzudenken, stattdessen verneigte sie sich ergeben: "Wenn Du gestattest, Domina, entferne ich mich, um Deinen Auftrag sofort auszuführen."
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Die Arme in Bauchhöhe angewinkelt und die offenen Handflächen vor sich ausgestreckt nahm Myrsini von Arsinoe den Brief sowie die goldene Kette entgegen. Beides wog schwerer, als sie zunächst erwartet hatte und nur langsam wurde ihr bewusst, dass sie die Last der Verantwortung auf die eigentlich harmlosen Gegenstände projizierte. Das sanfte Lächeln der jungen Sklavin Arsinoe konnte Myrsini nicht darüber hinweg täuschen, dass Tiberia Lucia sie mit einer Aufgabe konfrontierte, die ihre Treue unweigerlich auf die Probe stellen musste. Sie zu erfüllen würde ihr nicht schwer fallen, sofern es sich nicht um eine Falle handelte und damit um eine willkommene Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen. War Lucia dieses Maß an Verschlagenheit zuzutrauen? Myrsinis Gefühle verneinte dies, doch ihre Erfahrung mit den Römern widersprach. Die Griechin schloss ihre schlanken Finger unwillkürlich um den weichen Papyrus der unversiegelten Schriftrolle, als wolle sie zwanghaft vermeiden, auch nur eines der niedergeschriebenen Worte zu erblicken. "Wie Du wünschst, Domina", bestätigte sie sodann mit fester Stimme und ließ einige Atemzüge verstreichen, bis das Schweigen im Raum sich gleich einer schweren Decke über sie legte. Erst dann fügte sie hinzu: "Darf ich erfahren, in wessen Hände der Brief und die Kette gelangen sollen, Domina?"
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Das Gespräch entfernte sich allmählich von ihr und gab Myrsini somit Raum zur Ordnung der eigenen Gedanken. Die Zusammenhänge dessen, was Vala mit seiner künftigen Braut zu besprechen hatte, vermochte sie ohnehin nicht zu verstehen, weshalb sich die Griechin auf die vermeintlich schwere Aufgabe zu konzentrieren begann, die nun vor ihr lag. Man würde sie beobachten. Jeden ihrer Schritte, jeden Atemzug. Ein falscher Blick - etwa in Valas Richtung während einer der sicher bevorstehenden und unvermeidlichen Besuche - mochte als Zeichen des Verrats gedeutet werden. Sie musste vorsichtig sein, dessen war sich Myrsini gewiss. Ebenso wie des Umstandes, dass sich nur auf sehr lange Sicht Vertraute unter den übrigen Sklaven des Haushaltes der Tiberia würden finden lassen. Im Allgemeinen neigten Sklaven dazu, sich in der Ausweglosigkeit ihrer Situation einander anzunähern, doch wagte Myrsini noch nicht abzuschätzen, welches Maß an Hingabe Lucias Sklaven gegenüber der Römerin pflegten. Wenn man diese alte Frau zum Beispiel nahm, aus der die Verachtung förmlich hervor brach, so mochten sie sich wahrscheinlich ungewöhnlich stark mit den Belangen ihrer Herrin identifizierten.
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Abwartend stand Myrsini in den privaten Gemächern ihrer Domina, Tiberia Lucia, hielt den Blick demütig gesenkt, betrachtete ihre bloßen Zehen und ließ ihre Eindrücke vom Haushalt der Villa Tiberia Revue passieren; - zu ihrer großen Erleichterung hatte man sie ungewöhnlich gut behandelt, auch wenn diese alte Frau mit Namen Sekunda sie beobachtete wie ein Adler seine Beute. Zugleich übte sich Myrsini in schier grenzenloser Geduld, während die Römerin am Tisch ohne Hast einen Brief aufsetzte und demonstrativ jede Kenntnisnahme ihrer Anwesenheit verweigerte. Nicht, dass dies unüblich war, denn viele Damen - und auch Männer - ihres Standes schenkten einer Sklavin kaum mehr Aufmerksamkeit als etwa einem Möbelstück. In diesem Fall jedoch war das im Raum schwebende, unausgesprochene Misstrauen ihr gegenüber beinahe körperlich greifbar. Und so tat Myrsini, worin sie in den vergangenen Tagen eine gewisse Perfektion erlangt hatte: Sie verhielt sich unauffällig und gab außer ihrem leisen Atem keinen Laut von sich.
Erst als die Tiberia sie direkt ansprach, begann Myrsini sich zu regen, hob den Kopf und richtete den Blick ihrer braunen Augen gen ihrer Herrin. Die Frage war direkt und unwillkürlich kamen in der Griechin Zweifel darüber auf, ob es eine richtige Antwort gab. Es wäre Wahnsinn, ihre eigene Glaubwürdigkeit zu unterminieren, doch ebenso konnte jede Bestätigung ihrer Treue von Lucia als Lüge begriffen werden. Einzig die Furcht vor der Strafe, die ihr bei Aufdeckung einer Lüge drohte, mochte Myrsini aus der Perspektive der Römerin zur Wahrheit verleiten. Sorgfältig erwog sie daher ihre Worte, zögerte indes auch nicht zu lange, als das es auffällig gewirkt hätte: "Ich bin Dein Wille, Domina. Ich kann Deinem Wunsch ebenso wenig zuwiderhandeln, wie Deine eigene Hand es vermag." -
Ein Wechselspiel der Gefühle stürmte auf Myrsini ein - und nichts davon trug zu ihrem Wohlbefinden bei -, während sie dem Gespräch zwischen ihrem Dominus und ihrer künftigen Domina angespannt lauschte. Dass sie den Besitzer bald wechseln würde, stand für die Griechin nun mit Gewissheit fest. Denn wie tief empfunden die Abneigung der schönen Römerin gegen das Geschenk auch sein mochte, ihr Widerstand war nicht entschlossen genug, um sich gegen die Eloquenz von Titus Duccius Vala zu behaupten. Trotzdem Myrsini sich bewusst machte, dass sie es noch weit schlechter hätte treffen können - etwa in Germania oder in einer dunklen Mine - konnte sie nicht vermeiden, von Furcht ergriffen einfach nur dazustehen. Selbst wenn es ihr gestattet worden wäre, die Tiberia und ihre Begleiterin anzusehen, so hätte sie es doch nicht gekonnt, um sich keine Blöße zu geben und damit den guten Eindruck über ihre durchaus vorhandenen Fähigkeiten in Zweifel zu ziehen; - soweit es hierfür nicht ohnehin bereits zu spät war. Ohne dass es der Griechin auffiel, spielten ihre Finger mit ihrer umschlossenen Hand, ein unbewusster Reflex in Zeiten der Nervosität.
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Myrsini trat auf leisen Sohlen einen halben Schritt vor und zugleich beinahe unmerklich zur Seite, um für die Tiberia besser ersichtlich zu sein. Der Augenblick war gekommen, da ihr Dominus sie als Geschenk überreichte und gleichwohl er mit seiner Beschreibung zwar nicht maßlos, aber dennoch offensichtlich übertrieb, wusste die Griechin sich angemessen darzustellen und so im Sinne Valas zu handeln. Ihr Unterbewusstsein spürte den musternden Blick der zukünftigen Braut auf sich ruhen, der jedoch weit nicht so unangenehm war wie die stechenden Augen ihrer deutlich älteren Begleiterin. Und dieses Stechen schien sich weiter zu verschärfen, wandelte sich schließlich in blankes Misstrauen, was die Situation für Myrsini endgültig zu einer Qual machte. Krampfhaft hielt sie den Kopf demütig gesenkt und die Hände vor dem Schoß zusammengefaltet ... ein Abbild der Unterwerfung und Hingabe.
Man konnte nicht behaupten, dass Myrsini die Antwort von Tiberia Lucia nun noch überraschte, denn im Grunde war es nach den Enthüllungen ihres Dominus zu erwarten gewesen. Über die genauen Motive für die - wenn auch zögerliche - Ablehnung spekulierte Myrsini indes nur beiläufig, letztlich war es für sie nicht von Belang. Womöglich erwies es sich gar als Vorteil, nicht in einem Haushalt leben zu müssen, wo ihr nur Verachtung und Herablassung begegnen mochten. Ein lautloses Seufzen glitt durch Myrsinis Körper, während sie der Dinge harrte, die kommen mochten. -
Myrsini erblasste, als sie die Worte ihres Dominus vernahm. Eigentlich hätte sie Dankbarkeit empfinden müssen, denn eine Sklavin über ihre weitere Verwendung oder gar die Zusammenhänge aufzuklären war keinesfalls üblich ... dennoch, im Lichte der Offenbarung, das Geschenk für eine Braut wider Willen zu sein, wurde der Griechin abwechselnd heiß und kalt. Selbstverständlich war ihr vom ersten Augenblick an bewusst gewesen, dass sie eine Botschaft für Tiberia Lucia verkörperte, doch hatte sie vermutet, sie wäre ein Zeichen der Liebe oder zumindest des Respekts. Nun aber würde sie für die Römerin eine tägliche Erinnerung an das ihr bevorstehende Schicksal darstellen und Myrsini empfand wenig Zweifel daran, wer zum Ziel ihres Zorns und ihrer Frustration werden würde. Ein winziger Teil Myrsins empfand dafür sogar Verständnis, ausgehend von der Überlegung, wie sie selbst in einer solchen Lage reagieren würde. Doch wurde dieser Teil von Furcht verdrängt, worin sich zu allem Überfluss ein gehöriges Maß an Unbehagen mischte. Denn trotzdem die Griechin ihren Blick gesenkt hielt, spürte sie die Musterung der alten Frau und das Stechen ihrer schmalen Augen wie das Tippeln unzähliger, kleiner Beine auf ihrer Haut, während sie einen Fingerbreit um den anderen bewertet wurde.
Schließlich zwang sie eine stumme Aufforderung, den Kopf zu heben und das Starren der alten Frau zu erwidern. Nicht für lange und ohne die braunen Pupillen auch nur in die Richtung der Römerin zucken zu lassen. Was immer die alte Frau herauszufinden gedachte, mehr wagte Myrsini nicht zu zeigen. Nicht ohne Aufforderung ihres Dominus, der in einem Gespräch mit seiner Zukünftigen stand. Einen eigenwillig Verlauf nahm dieser Austausch von Höflichkeiten, gleichwohl schien er ganz die Situation zweier Menschen widerzuspiegeln, die von höheren Mächten - so glaubte es Myrsini - in ihre unfreiwillig gewählte Zukunft getrieben wurden. Allerdings hatte sie weit zu wenig Kenntnisse, um auch nur ein angedeutetes Urteil zu fällen und so spitze sie lediglich die Ohren. Zudem war es eine willkommene Ablenkung von der Vorstellung, womöglich in eine dunkle, abgelegene Kammer gesperrt zu werden, auf das sie der Tiberia als Mahnmal ihres Schicksals nicht unter die Augen kommen konnte. -
Eine so ereignisreiche wie anstrengende Woche lag hinter Myrsini, denn nachdem das Spiel des Sklaven Sirius - sein Name war zwischenzeitlich an ihr Ohr gedrungen - enttarnt worden war, hatte man sie zur Prüfung ihrer Fähigkeiten in die Obhut des Haushaltes von Titus Duccius Vala übergeben. [1] Die ersten Stunden ihres Aufenthaltes in der Casa Accia sollten sich indes zu einer Art irdischen Paradies gestalten; - zumindest in Myrsinis Maßstäben. Es wurde ihr erlaubt zu baden - in kaltem Wasser, aber welche Rolle spielte dies? - und die fast in Auflösung begriffene Tunika durch frische Kleidung zu ersetzen. Sie erhielt Gelegenheit ihre Haare zu waschen und sich vom Schmutz der langen Reisen nach und von Germania zu befreien, der wie eine zentnerschwere Last auf ihrer Haut gelegen hatte. Sogar Schuhe hatte man ihr angeboten, doch die Griechin verzichtete zunächst. Zu sehr war sie daran gewöhnt, den Boden direkt unter ihren Füßen zu spüren, gleichwohl hob sie die Sandalen auf für einen Tag wie den heutigen.
Gemeinsam mit ihrem Dominus stand sie nun in den lollianischen Gärten, sog den Duft der Blumen in sich auf und spürte das Kribbeln der Sonne in ihrem Nacken. Gerne hätte sie den Schatten gemieden, um sich ganz in der Wärme des Tages zu verlieren, doch ihr Dominus schien ungleich weniger erbaut von der Kraft der Mittagssonne und suchte seinen Weg von einer kühlen Ecke zur nächsten. Myrsini folgte ihm, stets in einem Schritt Abstand und leicht versetzt, auf dass er den Kopf nicht weiter als unbedingt nötig wenden musste, um sie anzusehen. Ihre Gedanken kreisten indes wieder um die vergangenen Tage. Man hatte sie gefordert und jeden ihrer Handgriff akribisch auf den Prüfstein gestellt, ob er wohl den Ansprüchen einer römischen Edelfrau genüge. Trotzdem sie häufig harsch kritisiert worden war, glaubte Mysini letztendlich doch, den hohen Erwartungen gerecht geworden zu sein, sei es nun in der Küche oder dem Bad ... oder anderswo. Zweifellos gab es noch immer viel zu lernen, dennoch unterschieden sich die Gepflogenheiten in Roma nicht so sehr von jenen in ...
"Athenae", antwortete Myrsini sofort, als die Stimme ihres Dominus sie aus den Gedanken riss und sie erwiderte den Blick seiner durchdringenden, grauen Augen für einen Moment. "Ursprünglich", fügte sie sodann hinzu. "Mein Weg führte mich von Griechenland in das ferne Germanien, mein Aufenthalt dort währte aber nur kurz, Dominus." 'Kurz' als eine Untertreibung zu bezeichnen wäre wohl angemessen, doch wenn ihr Dominus mehr zu erfahren wünschte, würde er mit Sicherheit nachfragen. Allerdings erhoben sich in Myrsini ernsthafte Zweifel darüber, ob sich diese Gelegenheit jemals ergeben würde, denn in diesem Augenblick trat eine junge Römerin, gefolgt von einer alten Frau, in ihr Blickfeld. So offen es ihr möglich war, ohne aufdringlich oder gar musternd zu wirken, betrachtete Myrsini jene Frau, in deren Besitz sie wahrscheinlich in Kürze übergehen würde; - als Geschenk. Sofort fiel der Griechin die seltene Kombination aus blonden Haaren und strahlend blauen Augen auf. Derlei mochte man in Germanien bisweilen häufiger erblicken, für eine Römerin hingegen besaß es die Seltenheit eines reinen Juwels. Als sie den Blick der Sklavin - für eine solche hielt Myrsini die Begleiterin von Tiberia Lucia - kreuzte, lief ihr unwillkürlich ein Schaudern über den Rücken. Misstrauen und Wut spiegelten sich darin und Myrsini kam nicht umhin sich zu fragen, ob sich diese Abneigung gegen sie richtete. Oder besser das, was sie unter Umständen verkörperte. So spannte sie sich an und senkte ihre braunen Augen zugleich gen Boden, sich ganz in Ergebenheit präsentierend. Überhaupt hatte sich Myrsini - nicht ohne Hilfe - Mühe gegeben, einen präsentablen Eindruck zu hinterlassen. Nicht wie auf dem Sklavenmarkt, rau und ungepflegt, sondern frisch gewaschen, eingehüllt in saubere Kleidung und die langen, dunkelbraunen Haare zu einer sehr einfachen, aber zierenden Frisur geflochten. -
Fragen über Fragen, doch Myrsini wagte es zunächst nicht, nur eine einzige zu beantworten. Ohnedies schienen die Fragen ihres Dominus mehr der rhetorischen Natur zu entspringen. Ein weiteres Zeichen für seinen sicheren Wahnsinn, wie Myrsini zuvor schon an seinem Ausdruck und seinem Auftreten zu erkennen geglaubt hatte. Möglich, gar sehr wahrscheinlich. Schließlich öffnete die Griechin aber doch den Mund und bestätigte, was sie bereits wusste: "Dein Mann Albin deutete an, ich könnte ein Geschenk sein, denn häufig sprach er von einer Domina, trotzdem Du offensichtlich ein Mann bist." In gewisser Weise klang diese Antwort nicht sehr klug, doch Myrsini hatte gelernt, dass die reine Bestätigung der Worte eines Herrn zumeist mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Menschen mochten die Zustimmung, darin unterschieden sie sich nicht, ob sie sich nun Kaiser oder Sklave nannten. Sie fügte dem Gesagten schließlich ein sanftes Nicken hinzu und fuhr beinahe ohne Pause fort: "Ja, Dominus, mir wurde Erfahrung im Umgang mit der hohen römischen Gesellschaft zuteil, wenn auch nur aus dem bescheidenen Leben in Athenae." So wie es klug war, Bestätigung auszusprechen, war es dumm, die Erwartungen von anderen bezüglich einem selbst über das nötige Maß hinaus zu heben. Keine Unsicherheit erklang daher aus Myrsinis Stimme, doch genauso keine Überheblichkeit. "Ich weiß, Du wirst richtig urteilen, ob ich noch der Einweisung in die örtlichen Gepflogenheit bedarf." Myrsini schob jede Verantwortung somit weit von sich, auch da sie vermutete, ihr Gegenüber würde erheblich besser wissen als sie, wie anspruchsvoll jene Tibera sich gestaltete.