Beiträge von Titus Germanicus Antias

    Antias schmunzelte dem Octavius anerkennend zu. Damit ließ sich doch was anfangen. Kein Wasserkopf, leider, dafür aber Silberblick und ein verkürztes Bein, da konnte man nicht meckern. Zufrieden griff er nach der Tabula, ergänzte die Notizen und drückte sie einem der Sardinier in die Hand. „Danke, Octavius Rufus, das wird uns weiterhelfen.“ Oder gab es da vielleicht noch etwas? Nein, wohl kaum. Nach einem prüfenden Blick in das offene Gesicht des jungen Burschen, war sich Antias sicher, dass der alles gesagt hatte, was ihm an dem geschwätzigen Kerl aufgefallen war. Noch weiter auf den Octavier einzudringen, machte nicht viel Sinn. Schlimmstenfalls würde er sich unter dem Druck irgendwelche zusätzlichen Details aus den Fingern saugen, nur um endlich in Ruhe gelassen zu werden.


    „Gut. Für mich war es das. Ob du gehen kannst, entscheidet der Optio. Nur noch ein gut gemeinter Rat auf den Weg ..“ Antias bedachte den Octavius mit einem ernsten Blick. „.. ich an deiner Stelle würde auch innerhalb der Stadtmauern keine Gerüchte weitertragen, wenn du verstehst, was ich meine.“ Schließlich wandte er sich zum Aemilier um und salutierte. „Optio Aemilius Classicus! Miles Germanicus bereit zum Abtreten!“

    „Zu Befehl, Optio Aemilius Classicus!“ bellte Antias, salutierte schneidig und fasste dann das bisher Erfragte für die stummen Sardinier noch einmal kurz zusammen. „Wir suchen einen eher heruntergekommen wirkenden Peregrinus mit südöstlichem Akzent, eventuell Syrer, entsprechend pechschwarzes Haar, mittleres Alter, mittlere Größe, schlank und was körperliche Gebrechen angeht ..“ mit erhobenen Augenbrauen wandte er sich wieder an den schweigenden Octavius, auf dem nun gleich zehn neugierige Augenpaare ruhten. Antias konnte nur vermuten, wie der junge Bursche sich bei alldem fühlte, aber ein besonderer Genuss war die Befragung sicher nicht. Höchste Zeit also, die Sache zu einem verwertbaren Ende zu bringen. „.. versuchen wir’s einfach nochmal. Sind dir irgendwelche Gebrechen oder andere körperliche Eigenheiten aufgefallen?“ Ein Wasserkopf wäre enorm hilfreich, fand Antias, oder ein fehlendes Bein, am besten gleich zwei.

    Der frische Lufthauch, der durch die halbgeöffneten Läden in den Schankraum drang, machte Antias langsam wieder wach und stimmte ihn milde. Er versuchte, Verständnis für die Lage der Wirtin aufzubringen, sah darüber hinweg, dass sie sich noch vor kurzer Zeit gebärdet hatte wie eine Furie, hörte ihr zu und begriff allmählich, dass nicht nur ihr Mann gebrochen war. Sie selbst war es auch. Gebrochen, verbittert und voll Hass auf ihr Schicksal und dessen Personifikation, die Christianer. All das konnte er durchaus nachvollziehen. Gerade deshalb zwang er sich zur Skepsis. Hass hatte die Eigenschaft, das Blickfeld schrumpfen zu lassen und Vermutungen in Tatsachen zu verwandeln. Zweifellos glaubte Mirjam, was sie da sagte, aber sie glaubte ja auch, dass der Umstand, Jude zu sein gleichbedeutend war mit Respekt vor dem Kaiser. Antias hatte schon als Junge die Schriften des Flavius Josephus gelesen. Er wusste sehr wohl, dass nicht die Christianer Rom jahrelang erbittert bekämpft und die Zwölfte bei Bethoron vernichtet hatten. Das waren die Judäer gewesen. Aber auch darüber konnte er letztlich hinwegsehen. Ob nun Jüdin oder Christianerin, Mirjam war Schlimmes widerfahren. Sie hatte es verdient, ernst genommen zu werden, also ließ er sie in Ruhe zu Ende erzählen und dachte dann einen Moment über das Gesagte nach, bevor er antwortete.


    „Ich verstehe, Mirjam. Diese Sarah und ihr Bruder sind also gefährlich.“ entgegnete er schließlich. So sah es zumindest die Wirtin. Gut möglich, dass die junge Christianerin in ebendiesem Moment genau die selben Vorwürfe gegen Mirjam erhob. Im Moment spielte das allerdings keine Rolle. „Du sagst, sie verhexen die Leute, nun gut, aber wie gehen sie dabei vor? Wie muss ich mir das vorstellen? Suchen sie nach Opfern, um ihnen den Willen zu rauben oder lauern sie auf ihre Beute wie die Spinne im Netz?“

    Etwa ein halbes Dutzend Atemzüge lang starrte Antias in strammer Haltung auf die Lippen des Optios, die jedoch schienen sich in absehbarer Zeit nicht mehr öffnen zu wollen. Ungewöhnlich war das nicht bei einem wortkargen altgedienten Veteranen wie Classicus, nur manchmal etwas verwirrend. Die Sardinier setzten sich und nahmen ihr angeregtes Schweigen ansatzlos wieder auf. Antias lauschte noch eine Weile dem anheimelnden Knacken der Kohlenbecken, räusperte sich, wartete ab. Erst als die Stille drohte, ihn einzuschläfern drehte er sich schließlich wieder zu dem jäh verstummten Octavier um. „Ähm .. ja .. wir waren bei den körperlichen Gebrechen. Ist dir dazu noch etwas eingefallen?“

    „Da isser doch.“ bemerkte Hispo müde, während Antias sich bereits anschickte, den inneren Torgang durch das Seitentor wieder zu verlassen. Fragend blickte er sich um und sah den Aemilier aus der Wachstube treten. Sehr gut, der Optio war also noch nicht wieder aufgebrochen. „Praefectus Iulius Licinus!“ vermeldete Antias erleichtert. „Der Wachoffizier ist dort drüben!“ Sprachs und verschwand eilig durch das Tor nach draußen. „Tor zu, Hispo!“


    Im Vorfeld des Stadttores wuchs die murmelnde Menschenmenge weiter an, verhielt sich aber noch immer einigermaßen friedlich. Bis auf einige Radaubrüder, die ihrem Unmut lauthals Ausdruck verliehen, waren die Reisenden größtenteils in angeregte Diskussionen vertieft, die freilich den Nährboden für weitere bizarre Gerüchte bildeten. Antias war es dennoch zufrieden. Mit den Schreihälsen würden Sulca und Pennus schon fertig werden. Dem Cluvier war ohnehin schon von weitem anzusehen, dass er sich allmählich auf Temperatur gefragt hatte, die eine oder andere Maulschelle würde ihn sicher bei Laune halten. Sollte die Menge doch noch energischer werden, blieb immer doch der Einfall, der Antias in der Wachstube in den Sinn gekommen war. Bis auf weiters allerdings beschränkte er sich darauf, wieder seinen Platz in den Reihen der Urbaner einzunehmen und der Dinge zu harren, die da noch kommen mochten. Lange brauchte er nicht abzuwarten. Eine große dunkle Frauengestalt näherte sich ihm anmutigen Schrittes. Dummerweise verstand er nicht, was sie sagte. Jamaste? Entweder war das ein Gruß in einer der unzähligen Sprachen, derer er nicht mächtig war oder schlicht ihr Name.
    „Salve.“ antwortete er neutral. „Kann ich dir helfen?“

    Der unaufhörlich auf das Dach prasselnde Regen, die schwüle Wärme im Schankraum, die nachlassende Anspannung, das endlose Hin und Her von Fragen und Antworten, all dies hatte Antias zunehmend schläfrig gemacht. Nach wie vor lauschte er angestrengt der Vernehmung, hatte aber hart mich sich zu kämpfen, ihr auch wirklich folgen zu können. Die Milites schienen diesen Kampf bereits verloren zu haben. Mit offenen Augen dösend lehnten sie an der Wand oder stützten sich gähnend auf den Tischen ab. Sogar das lauernde Grinsen des Cluviers war zu einer angeödeten Grimasse erstarrt. Allein Hispo und Antias bemühten sich weiterhin um Haltung, sie waren Tirones, da galten andere Regeln. Als der Optio die junge Frau und den dunklen Südländer schließlich gehen ließ, war Antias kurz versucht, Avianus zu fragen, ob er sie verfolgen solle. Nur stand ihm das zum einen nicht an und hätte zum anderen das Versprechen des Optios hinfällig gemacht. Also verharrte er weiter reglos im schweren Dunst seiner nassen Klamotten und mühte sich um Aufmerksamkeit.


    Erstaunlicherweise kam die junge Frau wieder zurück und gab vor, dem Optio eine vertrauliche Mitteilung machen zu wollen, was Avianus wiederum dazu bewegte, mit ihr in der Küche zu verschwinden. Sulca verdrehte vielsagend die Augen, Hispo glotzte blöde, Antias war es recht. Hauptsache, sie kamen hier irgendwann einmal zu einem befriedigenden Ende. Der Optio wusste schon, was er tat. Leise und völlig unerwartet wurde er plötzlich von der verbitterten Wirtin angesprochen. Eine Aussage? Ihm, einem Tiro? Unentschlossen blickte Antias in die Runde. In die Miene des Cluvius kehrte augenblicklich das verschlagene Blitzen geweckten Interesses zurück. Nein, den würde er nicht auf die Frau loslassen, der hatte sein enormes Feingefühl heute schon zu genüge unter Beweis gestellt.
    „Mirjam, richtig?“ entgegnete Antias nicht unfreundlich. „Wenn du etwas auszusagen hast, setzten wir uns am besten dort drüben an’s Fenster. Etwas frische Luft täte uns wohl allen gut.“ Mit einer aufmunternden Geste winkte er die Wirtin hinter sich her.

    Während der junge Octavier noch nachdachte betrat schließlich auch Optio Classicus die Wachstube. Die acht Sardinier standen schweigen auf und nahmen Haltung an, Antias legte die Tabula beiseite und tat es ihnen gleich.


    „Optio Aemilius Classicus. Gegen den Mann liegt nichts vor. Das ist der Zeuge von dem ich dir berichtet habe. Er war gerade dabei, mir einen Civis zu beschreiben, der draußen Gerüchte über den Tod des Princeps verbreitet.“

    Antias nickte resigniert. Natürlich. Die Tore. Angesichts der abgeriegelten Urbs musste selbst dem tumbesten Reisenden mittlerweile dämmern, dass sich Dinge von höchster Tragweite ereignet hatten. Der Tod des Princeps stellte dabei lediglich eines von nur wenigen realistischen Szenarien dar. Die einzigen glaubhaften Alternativen wären ein Aufstand, ein Putsch, ein bevorstehender Angriff oder ... Antias ließ ein feines Lächeln über seine Züge wandern. Oder etwas weit banaleres, das dem Volk alle anderslautenden Gerüchte schlagartig aus den Schädeln blasen würde. Zugegeben, ein recht drastisches Mittel, aber überaus zweckmäßig.


    „Und dieser Mann ..“ setzte Antias seine Befragung nüchtern fort. „ .. kannst du mir den beschreiben? Alter? Größe? Haarfarbe? Statur? Kleidung? Sprachfärbung? Römer oder Ausländer? Hat er noch alle Zähne im Maul? Reist er alleine oder in einer Gruppe? Irgendwelche sichtbaren körperlichen Gebrechen? Andere Besonderheiten? Versuch dich zu erinnern, Octavius Rufus, auch scheinbar unwichtige Kleinigkeiten könnten uns weiterhelfen.“

    Hispo rückte seinen Helm zurecht und glotze von Antias zum Praefectus. „Er war grade noch da.“ Völlig richtig. Nur brachte diese Aussage niemandem etwas. Antias warf einen forschenden Blick durch das halb geöffnete Seitentor. Die Menge war weiter gewachsen. Höchste Zeit, da raus zu kommen und das Tor wieder zu verrammeln.


    „Praefectus.“ vermeldete Antias sachlich. „Optio Aemilius befehligt die Wachmannschaften der drei nördlichen Tore. Neben unseren Einheiten hat er noch die Milites an der Porta Pinciana und der Porta Salaria zu kontrollieren. Wo genau er sich im Moment befindet, entzieht sich meiner Kenntnis. Du kannst also hier warten bis er zurück ist, was in spätestens einer Stunde sein wird, oder versuchen, ihn an einem der anderen Tore abzufangen.“ Um den Rest sollte sich Hispos’ Einheit kümmern, schließlich war das ihre Seite des Tores.

    „Verstehe.“ Antias machte sich ein paar Notizen. Hispania. Respekt. Eine beachtliche Wegstrecke hatte der junge Octavius da zurückgelegt. Ob er mit einem der wenigen Küstenschiffe gekommen war, die um dieses Jahreszeit noch verkehrten? Oder auf der Via Iulia die Ligurerküste entlang? Im Grunde spielte das keine Rolle, die Gerüchte konnte er nur in Italia aufgeschnappt haben, im günstigsten Fall in unmittelbarer Umgebung der Urbs. „Ein weiter Weg.“ nickte Antias anerkennend und blickte den Octavier dann eindringlich an. „Und wo hast du das Gerücht vernommen, der Kaiser sei tot?“

    Keine Bange, fest steht und treu die Wacht am Tor. ;)
    Um nicht missverstanden zu werden: Der Wachdienst selbst ist überhaupt nicht das Problem, das ist eben die Aufgabe eines Urbaners. Passt. Meinetwegen schieb ich da Wache bis zur Völkerwanderung.


    Ich möchte nur vermeiden, auch noch den fünfzigsten Einreisweilligen vor einem geschlossenen Tor auszubremsen, das mittlerweile längst wieder geöffnet sein sollte. Wär ja ziemlich peinlich. :)

    Antias sog leise lachend die kalte Abendluft ein. Ach, sein treuherziger Bruder. Sollte er ihm auf die Nase binden, dass er mit dem Häuflein Sesterzen für sie beide bezahlt hatte? Wozu? Ferox hatte im Grunde ja recht damit getan, die Eier und das Bier als Entschädigung für unaufmerksame Bewirtung zu betrachten. Jeder musste sehen, wo er blieb. Die kleine Griechin hatte sicher hehre Vorsätze für das Gasthaus, allein mit der Umsetzungen haperte es noch ein wenig. Trotzdem hatte Ferox ungewollt recht: Diese Taberna würde sich Antias tatsächlich merken. Nicht der Wirtin wegen, die zugegebenermaßen ausgesprochen hübsch war, auch nicht des Essens wegen, das wohl wirklich einen Genuss bot, für Leute, die etwas davon verstanden. Nein. Irgend etwas an dieser Caupona kam Antias seltsam vor. Nachdenklich hielt er an und drehte sich zu dem großen Gebäude um. Er wusste nicht was, aber etwas stimmte hier nicht. Diesen absonderlichen Hinkefuß hatte er auch nicht zu Gesicht bekommen, obwohl angeblich er es war, der die Taberna führte.


    Ach was! Mit einem unwilligen Schnaufen versuchte Antias seine nebulösen Verdächtigungen abzuschütteln. Der Dienst als Miles hatte ihn offenbar zu einer misstrauischen alten Unke gemacht. Fröstelnd zog er sich den Mantel hoch und packte seinen Bruder beherzt um die Schultern. „Siehst du, Ferox, es hätte nicht viel Sinn gemacht, heute noch zur Castra raus zu wandern. Die läuft dir nicht weg. Gönn dir noch die freie Zeit, genieß die Gastfreundschaft der edlen Senatoren, schau dir ein wenig von der Urbs an – bei Tag versteht sich – und verschwende vor allem keinen Gedanken an die Tauglichkeitsprüfung. Das kannst du machen, wenn es so weit ist.“


    Gemütlich plaudernd schlenderten die Brüder durch das Gassengewirr auf die Straße zur Tiberisbrücke zu. Wer sie sah, konnte nur glauben, sie hätten ihr ganzes bisheriges Leben miteinander verbracht.

    Kaum zurück von der Wachstube und noch nicht einmal richtig im Bilde über den Stand von Sulcas’ und Pennus’ Befragungen sah Antias schon das nächste Problem heran traben: Einen offensichtlich altgedienten Soldaten in polierter Jubelwanne, behangen mit den Insignien eines Praefectus, das ganze hoch zu Ross. Wenn der Mann nun auch noch vom Tod des Princeps anfangen würde, konnten sie die ganzen Sicherheitsmaßnahmen im Grunde gleich wieder vergessen. Das nächste große Standlager war Mantua. Sollten die Gerüchte bereits bis dorthin vorgedrungen sein, waren alle Versuche der Geheimhaltung für die Latrine. Warum waren Scheißtage nur immer so viel länger als normale Tage?


    Antias nahm Haltung an und salutierte.„Salve Praefectus Iulius Licinus! Die Torwache untersteht Optio Aemilius Classicus!“ Der war gerade noch da, hätte er hinzufügen können, tat es aber nicht.

    Beim Betreten der Wachstube wurde Antias von wohliger Wärme und fast schon aufdringlichem Schweigen empfangen. Das dritte Contubernium hatte Bereitschaft, die seltsamen Sardinier. Wortlos saßen die acht dunklen Gestalten um den Tisch herum, als lauschten sie voll Andacht den elegischen Versen eines Fidicens. Zu hören war allerdings nur das unregelmäßige Knacken in den Kohlenbecken. „Immer das gleiche mit euch.“ grinste Antias in die kontemplative Runde und nahm eine der ausliegenden Tabulae vom Tisch.“Wir frieren uns draußen das Gehänge ab und ihr feiert hier Orgien.“ Mit einem Blick auf den wartenden jungen Civis fügte er noch eine eben so kurze wie unnötige Erklärung hinzu. „Befragung des Reisenden. Dauert nicht lang.“ Einer der Männer, offensichtlich kein Insulaner reinen Blutes, ließ sich doch tatsächlich zu einer Reaktion hinreißen. „Quatsch nicht. Mach.“


    Amüsiert schnappte sich Antias einen Stilus und ging mit gezwungen dienstlicher Miene zu dem Reisenden hinüber. „Gut, Civis. Wie gesagt, du hast nichts zu befürchten. Nur ein paar übliche Fragen die Einreise betreffend.“ Ein kurzer forschender Blick an die Hüften des jungen Burschen. Keine Waffen. Das hatten die Milites zweifellos bereits kontrolliert. „Wenn ich das recht verstanden habe, bist du ein Octavius auf dem Weg zur Casa seiner Gens, richtig? Dann wüsste ich gerne noch deinen vollen Namen und woher du kommst.“

    Antias nickte ernst. Die Worte des Senators klangen ausgesprochen vernünftig, so vernünftig, dass Antias langsam zu begreifen begann. Sedulus’ Ausführungen klangen nicht nur so, sie waren vernünftig. Lange starrte er mit leerem Blick auf die Amazonenvase, ohne sie wirklich wahr zu nehmen. Wirklich viel wusste er von Germanicus Sedulus noch immer nicht. Gerne hätte er ihn gefragt, ob er Glück in seiner Ehe fand, und welchen Stellenwert er dem Glück an sich in seinem Leben einräumte. Das alles wusste Antias nicht.


    Eines allerdings wusste er: Der Senator hatte ihm noch nie einen halbherzigen oder gar schlechten Rat gegeben. Sedulus war kein selbstherrlicher Schwätzer, der sich mit seinen Argumenten nur einer unangenehmen Nebensache entledigen wollte, er nahm seinen Gesprächspartner ernst und bemühte sich aufrichtig um eine realistische Sichtweise. Natürlich hatte auch Antias seine Erfahrungen gemacht. Von Frauen verstand er durchaus etwas. Vom Leben selbst allerdings – zumal von einem Leben eingebunden in Verpflichtungen, Verantwortung und Rücksichtnahme – wusste er noch nicht all zu viel. Das erkennen zu müssen, war hart. Mehr als das, es war grausam.


    „Ich danke dir, Senator Germanicus Sedulus.“ brachte er endlich rau hervor. „Ich versichere dir, deine weisen Worte werden mich eine weise Entscheidung finden lassen. Als ich in jenem Sommer hier angekommen bin, hatte mein Dasein keinerlei Richtung, wie du weißt. Dass ich ganz allmählich ein Gespür für meinen Platz im Leben zu entwickeln beginne, habe ich zum allergrößten Teil dir zu verdanken. Ich werde mir dessen stets bewusst sein.“


    Ein dankbares Lächeln begann seine Mundwinkel zu umspielen, erst zaghaft, dann herzlich. In straffer Haltung reichte er Sedulus die Hand. „Nochmals danke für alles, Senator. Es wäre mir eine wirklich große Freude, dich wieder einmal besuchen zu dürfen. Seltsam ..“ Versonnen blickte Antias noch einmal in der Bibliothek umher. „.. aber ich habe irgendwie das Gefühl, in diesen Mauern klarer denken zu können als anderswo.“

    Satt und faul hing Antias in seinem Stuhl, pulte ein paar Fleischreste zwischen den Zähnen hervor und hielt dabei müde nach seinem Bier Ausschau. Vergeblich. Der abgrundtiefe Schlund der Küche hatte die lächelnde Griechin offenbar gierig eingesogen und schien nicht bereit, sie jemals wieder auszuspucken. Wie war das gewesen? Wonach auch immer euch gelüstet, werte Herren, lasst es mich wissen? Nun, die Brüder gelüstete es lediglich nach zwei Humpen Bier und das hatten sie die Wirtin bereits wissen lassen. Wenn es schon daran gebrach, sah Antias für die Befriedigung weiterer Gelüste ziemlich schwarz.


    „Tja Ferox ..“ grinste er träge zu seinem schläfrigen Bruder hinüber. „.. wie’s aussieht ist unsere kleine Lächlerin wohl grade damit beschäftigt, neuen Nagerbraten in den Schlaf zu wiegen.“ Gähnend fummelte Antias nach seinem Geldbeutel und knallte ihn auf den Tisch. „Damit rumzuwedeln wirkt normalerweise Wunder.“ Ferox indes machte nicht den Eindruck als könne ihn ein Wunder noch einmal dauerhaft senkrecht stellen. Auf ihn wartete in der Casa Germanica ein weiters Abendessen und an dessen Ende der bärentiefe Schlaf des Gerechten. „Hast recht, Bruder. Es war viel für dich heute, verdammt viel.“ Mit einem warmen Lächeln zählte Antias einen großzügigen Haufen Sesterzen auf den Tisch und zwinkerte Ferox dann aufmunternd zu. „Die Pflaumen werden nur noch saftiger, je länger man sie liegen lässt. Komm, wir gehen Luft schnappen."

    Mit widerstreitenden Gefühlen blickte Antias dem Senator und seinem Sohn hinterher. Einerseits hatte er wahrlich keine hohe Meinung von den Angehörigen des Ordo Senatorius, die Senatoren der Germanici natürlich ausgenommen, andererseits gab es wohl auch unter den aufgeblasenen Togaträgern anständige Männer, deren übliche Blasiertheit ihre edle Gesinnung nicht vollständig zu kaschieren vermochte. So oder so hatten sie alle – Milites wie Senatores – ihren Platz im empfindlichen Räderwerk des Imperiums. Das Donnern des sich wieder schließenden Nebentores riss ihn schließlich aus seinen Gedanken. Keine Zeit für philosophische Betrachtungen, er hatte zu tun. Meldung an den Optio, eventuell die Befragung des Reisenden und danach nichts wie wieder raus zu den Kameraden vor die Mauern.


    „Optio Aemilius Classicus!“ begann er in strammer Haltung. „Vor dem Tor soweit alles unter Kontrolle! Ein Reisender wurde sicherheitshalber in Gewahrsam genommen, da er offensichtlich Kenntnis von ebenjenen Gerüchten hat, deren Verbreitung es unbedingt zu verhindern gilt. Wo und von wem er dieses Gerüchte aufgeschnappt hat, ist noch zu hinterfragen. Er befindet sich momentan in der Wachstube. Wenn es dir recht ist, werde ich ihn kurz dazu befragen. Ansonsten hat der Mann sich nichts zuschulden kommen lassen.“