In stiller Erwartung weiterer umwerfender Neuigkeiten stapfte Antias mit Apolonia vor sich hin. Verdammt, warum konnte nicht alles so leicht sein, wie die wunderbare entlaufene Gazelle in seinen Armen? Ihre Liebeserklärung machte die Situation zwar nicht besser aber weitaus schöner. „Das will ich doch hoffen, Kleines.“ erwiderte er mit einem zärtlichen Lächeln, das sich angesichts der weiteren Erklärungen allerdings rasch wieder verflüchtigte. Apolionia war nicht die einzige entflohene Sklavin aus dem Personalstand des Lupanars. Da gab es noch Morrigan. Er erinnerte sich gut an die vermeintliche Geschäftsführerin des Bordells. Und Dracon? Richtig, der Glatzkopf. Sie beide teilten also Apolonias Schicksal. Im ersten Moment beruhigte ihn das sogar ein wenig, zumindest war sie da draußen nicht völlig auf sich allein gestellt. Dann wurde er sich plötzlich der Bedeutung dessen bewusst, was Apolonia über Morrigan gesagt hatte: Die selbstbewusste dunkle Frau war offenbar bereits geschnappt worden. Nur, von wem? Aber das spielte zunächst keine Rolle, viel wichtiger war, dass die Frauen nicht den selben Herren hatten. Vielleicht suchte Apolonias’ Besitzer tatsächlich nicht nach ihr, vielleicht war er einer von der Sorte, die einer geplatzten Investition nicht noch zusätzliche Summen für Nachforschungen mit offenem Ergebnis hinterher werfen wollte. Wo Geiz und Stolz sich duellierten, siegte in den gehobenen Kreisen meist der Geiz. Vielleicht, vielleicht.
Antias sah Apolonia kurz an und lachte glucksend auf. Vielleicht war dieser Menecrates ja auch froh, sie los zu sein. Es war Antias von Anfang an völlig klar gewesen, dass seine Geliebte auch ein ziemlich Früchtchen sein konnte, die einzig wahre Frau für ihn, ohne Zweifel. Das Lachen verhallte in einem langen Seufzer. Aber seine Frau konnte auf keinen Fall hier bleiben, und er konnte nicht mit ihr fort gehen, jedenfalls nicht jetzt auf der Stelle. Die Alternative, sie tatsächlich in’s Valetudinarium zu bringen, verwarf er gleich wieder. Aplonia wie ursprünglich geplant dort bis zum Ende der ersten Tagwache als Notfall unterzubringen, um ihr danach in Ruhe zuhören zu können, kam nicht mehr in Frage. Zu viel Argwohn, zu viele Fragen, zu gefährlich. Fieberhaft sah er sich nach einem Ort um, an dem er sie unbeobachtet absetzen und weiter mit ihr reden konnte, einen toten Winkel musste es doch geben, eine dunkle Ecke, einen schmalen Durchgang, zur Not irgendein Loch. Aber das waren die Castra, nicht Trans Tiberim. Hier gab es keine lauschigen Nischen, in denen man sich ohne weiteres hätte verkriechen können.
Wieder kamen sie an die abzweigende Lagergasse zum Lazarett. Antias warf nur einen flüchtigen Blick nach links und wollte schon weiter gehen, da sah er das Fuhrwerk stehen. Das war doch vorhin noch nicht da gewesen, oder? Völlig egal, jetzt war es da und versperrte die Sicht auf den östlicheren Teil der Gasse. Als Antias näher kam, erkannte er das Gespann: Der Handwerkerkarren, den Fimbria kurz zuvor hatte passieren lassen. Über die Vorderseite der breiten Ladepritsche stiegen blass die Atemwolken der Zugochsen empor, noch weiter vorn wurde gehämmert, gesägt und geschwatzt. Wie es den Anschein hatte, erneuerten die Handwerker Bohlengang und Vordach an einem der Magazine. Ihr Fuhrwerk hatten sie längs zum Gebäude abgestellt, unter dem niedrigen Dach war eine Wand aus Brettern und Schindeln aufgestapelt. Antias drehte sich noch einmal um, vergewisserte sich, dass ihnen von der Westmauer her niemand folgte und schlüpfte neben dem Karren vorbei unter das Vordach. Das aufgeschichtete Baumaterial entzog sie den Blicken der Handwerker, der Karren versperrte die Sicht auf die Gasse. Nahezu perfekt. Wäre mehr Zeit gewesen, sie hätten hier auch ... aber daran dufte er jetzt nicht einmal denken. „Siehst du, so gram können die Götter uns gar nicht sein.“ flüsterte er Apolonia lächelnd zu und stelle sie vorsichtig auf die Füße.
Einen Kuss lang gab er sich noch Zeit zur Sammlung, dann einen zweiten. Nach dem dritten Kuss war er dermaßen gesammelt, dass er ihr am liebsten die Kleider vom Leib gerissen hätte. Aber es half nichts, die Minuten verstrichen, ein gemeinsames Leben wollte erkämpft werden. „Das wird jetzt bitter, Dorcas.“ begann er leise. „Wenn du in deiner Wohnung noch einigermaßen sicher sein kannst, ist es momentan das vernünftigste, bis auf weiters dorthin zurück zu gehn.“ Er hasste, was er sagte, es klang als wolle er sie fortschicken, dennoch war das im Moment der einzige Weg, sie zu schützen, und er hoffte inständig, dass auch ihr das klar war. „Möglicherweise wirst du wirklich nicht gesucht, das wird sich herausfinden lassen. Wenn ich jetzt sofort mit dir gehe, bringe ich dich damit in noch größere Gefahr.“ Nein, Unsinn, lass uns gehen! wollte er sagen, aber sie würden nicht weit kommen, sie würden beide niemals frei werden, nicht auf diese Art. „Es gibt immer eine Möglichkeit, hier raus zu kommen. Zudem dauert die Grundausbildung nicht ewig, danach wird es einfacher. Du musst nur noch ein wenig durchhalten. Ich weiß, das klingt alles schrecklich nüchtern und selbstbezogen, aber ich kann als Urbaner einfach mehr für uns tun als ich es als Deserteur könnte, und wenn ich keine andere Lösung finde, geh ich mit dir fort, das schwöre ich.“ Ihre Blicke waren im Halbdunkel nicht wirklich zu deuten. Behutsam zog er sie an sich. „Du bist nicht mein Untergang, Dorcas .. aber ich darf auch nicht zu deinem werden. Was meinst du, schaffst du das?“