Beiträge von Titus Germanicus Antias

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    Caius Raecius Fimbria



    So langsam ließ der Andrang am Westtor wieder nach. Die Handwerker und Lieferanten waren durch, Boten und Meldegänger weitgehend ausgeschwärmt. Bis zum Ende der Wache würde es hier erfahrungsgemäß eher gemächlich zugehen. Kein Problem also, den dünnen Verkehrsstrom alleine abzuwickeln, aber langweilig. Wie lange war Antias jetzt schon weg? Nicht lange. Was aber, sollte Fimbria von einem jähen Bedürfnis übermannt werden? Schon der Gedanke daran verleitete seine Blase zu einem latenten Phantomreiz. Na toll. man kann sich seine Probleme auch herbei denken, dachte er kopfschüttelnd und zog es vor, sich von seinen diffusen Befürchtungen ab- und stattdessen dem jungen Burschen zu zu wenden, der offensichtlich nichts besseres mit seiner Freiheit anzufangen wusste, als sie dem Kasernenleben zu opfern. „Salve Civis.“ lächelte Fimbria gutmütig. „Also .. wer unseren Reihen beitreten will, meldet sich im Officium Conducendi. Wenn du vom Tor einfach immer geradeaus gehst, kommst du zur Principia. Die zweite Tür auf der linken Seite der Querhalle führt zum Rekrutierungsbüro.

    Während der Optio die Reihen abschritt um Ausrichtung und Halt des Schildwalles zu prüfen, konnte sich Antias ein warmes Gefühl des Stolzes nicht verkneifen. Was die Tirones mittlerweile an Befehlsumsetzungen ablieferten war sicher noch längst nicht perfekt, unterschied sich aber eklatant von den wackeligen Solodarbietungen der ersten Wochen. Allmählich, fast unmerklich, war der zusammengewürfelte Haufen von Individualisten zu einem vielgliedrigen Organismus verschmolzen, in dem jeder von ihnen seine Funktion gefunden und begriffen hatte. Ein junger Organismus, zugegeben, täppisch und noch etwas schwerfällig mitunter, aber lern-, leistungs- und zusehends überlebensfähig. Das folgende Kommando allerdings ließ Antias bei seinem kaum begonnenen Höhenflug schon wieder in’s Trudeln geraten. Oh je! dachte er finster und zog sich zwischen Hispo und Fimbria nach hinten zurück. Kaum des aufrechten Ganges mächtig sollte ihr zarter Organismus mit den ersten Tanzschritten glänzen, ihm schwante übles. Dumpf rasselnd schloss sie die Lücke vor ihm, die erste Reihe sackte nach unten weg. Antias rammt sein Scutum auf Fimbrias Schildrand und schob die Hasta zwischen sich und Tutor hindurch. Unfassbar, es schien zu funktionieren! Zu langsam natürlich und noch meilenweit entfernt von einem wirklich synchronen Automatismus, aber die Defensive stand. Darüber, wie lange ihr Panzer einer entschlossen vorgetragenen Kavallerieattacke standhalten würde, mochte er jetzt lieber nicht nachdenken, zur Abwehr eines panischen Wildschweinrudels würde es in jedem Fall reichen.

    In stiller Erwartung weiterer umwerfender Neuigkeiten stapfte Antias mit Apolonia vor sich hin. Verdammt, warum konnte nicht alles so leicht sein, wie die wunderbare entlaufene Gazelle in seinen Armen? Ihre Liebeserklärung machte die Situation zwar nicht besser aber weitaus schöner. „Das will ich doch hoffen, Kleines.“ erwiderte er mit einem zärtlichen Lächeln, das sich angesichts der weiteren Erklärungen allerdings rasch wieder verflüchtigte. Apolionia war nicht die einzige entflohene Sklavin aus dem Personalstand des Lupanars. Da gab es noch Morrigan. Er erinnerte sich gut an die vermeintliche Geschäftsführerin des Bordells. Und Dracon? Richtig, der Glatzkopf. Sie beide teilten also Apolonias Schicksal. Im ersten Moment beruhigte ihn das sogar ein wenig, zumindest war sie da draußen nicht völlig auf sich allein gestellt. Dann wurde er sich plötzlich der Bedeutung dessen bewusst, was Apolonia über Morrigan gesagt hatte: Die selbstbewusste dunkle Frau war offenbar bereits geschnappt worden. Nur, von wem? Aber das spielte zunächst keine Rolle, viel wichtiger war, dass die Frauen nicht den selben Herren hatten. Vielleicht suchte Apolonias’ Besitzer tatsächlich nicht nach ihr, vielleicht war er einer von der Sorte, die einer geplatzten Investition nicht noch zusätzliche Summen für Nachforschungen mit offenem Ergebnis hinterher werfen wollte. Wo Geiz und Stolz sich duellierten, siegte in den gehobenen Kreisen meist der Geiz. Vielleicht, vielleicht.


    Antias sah Apolonia kurz an und lachte glucksend auf. Vielleicht war dieser Menecrates ja auch froh, sie los zu sein. Es war Antias von Anfang an völlig klar gewesen, dass seine Geliebte auch ein ziemlich Früchtchen sein konnte, die einzig wahre Frau für ihn, ohne Zweifel. Das Lachen verhallte in einem langen Seufzer. Aber seine Frau konnte auf keinen Fall hier bleiben, und er konnte nicht mit ihr fort gehen, jedenfalls nicht jetzt auf der Stelle. Die Alternative, sie tatsächlich in’s Valetudinarium zu bringen, verwarf er gleich wieder. Aplonia wie ursprünglich geplant dort bis zum Ende der ersten Tagwache als Notfall unterzubringen, um ihr danach in Ruhe zuhören zu können, kam nicht mehr in Frage. Zu viel Argwohn, zu viele Fragen, zu gefährlich. Fieberhaft sah er sich nach einem Ort um, an dem er sie unbeobachtet absetzen und weiter mit ihr reden konnte, einen toten Winkel musste es doch geben, eine dunkle Ecke, einen schmalen Durchgang, zur Not irgendein Loch. Aber das waren die Castra, nicht Trans Tiberim. Hier gab es keine lauschigen Nischen, in denen man sich ohne weiteres hätte verkriechen können.


    Wieder kamen sie an die abzweigende Lagergasse zum Lazarett. Antias warf nur einen flüchtigen Blick nach links und wollte schon weiter gehen, da sah er das Fuhrwerk stehen. Das war doch vorhin noch nicht da gewesen, oder? Völlig egal, jetzt war es da und versperrte die Sicht auf den östlicheren Teil der Gasse. Als Antias näher kam, erkannte er das Gespann: Der Handwerkerkarren, den Fimbria kurz zuvor hatte passieren lassen. Über die Vorderseite der breiten Ladepritsche stiegen blass die Atemwolken der Zugochsen empor, noch weiter vorn wurde gehämmert, gesägt und geschwatzt. Wie es den Anschein hatte, erneuerten die Handwerker Bohlengang und Vordach an einem der Magazine. Ihr Fuhrwerk hatten sie längs zum Gebäude abgestellt, unter dem niedrigen Dach war eine Wand aus Brettern und Schindeln aufgestapelt. Antias drehte sich noch einmal um, vergewisserte sich, dass ihnen von der Westmauer her niemand folgte und schlüpfte neben dem Karren vorbei unter das Vordach. Das aufgeschichtete Baumaterial entzog sie den Blicken der Handwerker, der Karren versperrte die Sicht auf die Gasse. Nahezu perfekt. Wäre mehr Zeit gewesen, sie hätten hier auch ... aber daran dufte er jetzt nicht einmal denken. „Siehst du, so gram können die Götter uns gar nicht sein.“ flüsterte er Apolonia lächelnd zu und stelle sie vorsichtig auf die Füße.


    Einen Kuss lang gab er sich noch Zeit zur Sammlung, dann einen zweiten. Nach dem dritten Kuss war er dermaßen gesammelt, dass er ihr am liebsten die Kleider vom Leib gerissen hätte. Aber es half nichts, die Minuten verstrichen, ein gemeinsames Leben wollte erkämpft werden. „Das wird jetzt bitter, Dorcas.“ begann er leise. „Wenn du in deiner Wohnung noch einigermaßen sicher sein kannst, ist es momentan das vernünftigste, bis auf weiters dorthin zurück zu gehn.“ Er hasste, was er sagte, es klang als wolle er sie fortschicken, dennoch war das im Moment der einzige Weg, sie zu schützen, und er hoffte inständig, dass auch ihr das klar war. „Möglicherweise wirst du wirklich nicht gesucht, das wird sich herausfinden lassen. Wenn ich jetzt sofort mit dir gehe, bringe ich dich damit in noch größere Gefahr.“ Nein, Unsinn, lass uns gehen! wollte er sagen, aber sie würden nicht weit kommen, sie würden beide niemals frei werden, nicht auf diese Art. „Es gibt immer eine Möglichkeit, hier raus zu kommen. Zudem dauert die Grundausbildung nicht ewig, danach wird es einfacher. Du musst nur noch ein wenig durchhalten. Ich weiß, das klingt alles schrecklich nüchtern und selbstbezogen, aber ich kann als Urbaner einfach mehr für uns tun als ich es als Deserteur könnte, und wenn ich keine andere Lösung finde, geh ich mit dir fort, das schwöre ich.“ Ihre Blicke waren im Halbdunkel nicht wirklich zu deuten. Behutsam zog er sie an sich. „Du bist nicht mein Untergang, Dorcas .. aber ich darf auch nicht zu deinem werden. Was meinst du, schaffst du das?“

    Götter, was waren diese Christianer doch für eine verstockte Bande! Voll Unverständnis verfolgte Antias die Befragung der Frauen, denen nun wirklich keiner der Soldaten irgend etwas zuleide getan hatte. Über die von Avianus erwähnte Razzia wusste Antias weiter nichts, konnte sich aber kaum vorstellen, dass Einheiten von CU oder CP ohne handfesten Grund oder offizielle Order irgendwo herum wüteten. Einige Mitglieder dieser sturen Sekte waren also im Carcer gelandet. Und? Bei Betrachtung des verbeulten Messerhelden, der da abwesend auf seinem Stuhl hing, konnte sich Antias die Gründe dafür lebhaft vorstellen. Für eigenmächtige Befehlsauslegungen war bei den Truppen kein Platz. Es sei denn – sein Blick fiel auf den Cluvier – es sei denn, einige Einheiten bestanden zum Großteil aus Mistsäcken wie Sulca oder wurden gar von derlei Subjekten befehligt. Die bloße Vorstellung, jemals in einen solchen Haufen zu geraten, ließ ihm das Ientaculum hochkommen. Besser, er konzentrierte sich wieder auf Avianus und seine Fragen, um zu lernen, wie man so was anging. Erstmal erklären, wer man war und was man wollte, nachvollziehbar. Dann versuchen, beruhigend auf die Befragten einzuwirken und die Anspannung zu lösen. Naja. Bei diesem braunhaarigen Idioten hatte das nicht gefruchtet, aber solchen Holzköpfen war verbal ohnehin nicht beizukommen. Immerhin, die Frauen schienen sich tatsächlich etwas zu entspannen. Spätestens jetzt hätte sich ein Mann wie Sulca in kalten Drohungen ergangen, Optio Avianus blieb weiter ruhig und sachlich. Bis zu dem Moment zumindest, als eine fast beiläufige Bemerkung ihres gebeugten Mannes die Wirtin zu einem plötzlichen Gefühlsausbruch drängte, der sich in wilden Vorwürfen gegen den Optio entlud. Nicht etwa, dass Antias bei Avianus irgendwelche auffälligen Reaktionen beobachten konnte, im Gegenteil, der Optio blieb gefasst. Seltsam gefasst. So demonstrativ gefasst, als hätte er insgeheim bereits mit einem derartigen Ausbruch gerechnet. Vielleicht täuschte sich Antias, vielleicht war die Frau einfach nur wirr, aber etwas an ihren Vorwürfen fügte sich nahtlos in das Bild des aufgelöst aus der Taberna hetzenden Optios. Sein Mädchen? Was war eigentlich aus der jungen Frau geworden, der Avianus nachgejagt war? Vergiss es, sagte er sich. Mochte der Optio ruhig seine Geheimnisse haben, Antias ging das nichts an. Er hatte seine eigenen.

    Antias grinste, Hispo pfiff anerkennend durch die Zähne, Fimbria strahlte wie ein Kandelaber. Da bahnte sich wohl eine innige Liebesbeziehung an. Die augenscheinliche Leidenschaft, die Fimbria seiner Waffe entgegenbrachte, versöhnte Antias ein wenig mit dem ungeliebten Stocher. Na schön, wenn die Hasta es vermochte, einen gestandenen Kerl derart zum Schwärmen zu bringen, wollte er mal nicht so sein und dem Ding eine Chance geben, nicht zuletzt, weil ihm sowieso nichts anderes übrig blieb. Erste zarte Annäherungsversuche wurden allerdings von Kommando des Optios unterbrochen. Die Reihen schlossen sich, die Scuta schnellten nach oben und schienen wie an unsichtbaren Ösen in Brusthöhe der Tirones einzurasten. Der Schildwall zog sich über den Platz wie eine Palisade, aus der nur Hispo ob seiner Größe als angedeuteter Wachturm leicht emporragte.

    Bei den Arschbacken der Aeternitas, das waren ja mal Neuigkeiten! Antias geriet aus dem Tritt, packte noch fester zu, um Apolonia nicht fallen zu lassen und stakste mechanisch weiter. Sie meinte ernst, was sie sagte, da gab es kein vertun. Und er hatte ihre Beziehung für kompliziert gehalten? Sie war eine beschäftigte Lupa, er ein Tiro ohne Ausgang, etwas kompliziert, zugegeben. Darüber hinaus war sie eine Sklavin, das komplizierte die Angelegenheit in der Tat beträchtlich, zudem noch eine entlaufene Sklavin, kompliziert war das nicht mehr, sondern nichts weniger als kompletter Irrsinn. Er wollte nicht lachen, es kam von alleine. Manchen Situationen war mit kühler Ratio nur noch schwer beizukommen. Leise vor sich hin kichernd trug er sie weiter. Die Konsequenzen all dessen stiegen nach und nach vor seinem geistigen Auge auf, entzogen sich jedoch noch immer einer ernsthaften Betrachtung. Das war einfach zu verrückt, es änderte alles und doch nicht das geringste. „Ich hatte schon befürchtet, es sei was Schlimmes.“ grinste er kopfschüttelnd zu Apolonia hinab. „Entschuldige Liebes, ich muss das erstmal ... gib mir ein paar Augenblicke, ja?“


    Um zum Valetudinarium zu gelangen, musste er an der nächsten Ecke rechts, er ging weiter geradeaus. Möglicherweise war es angesichts der neuen Faktenlage gar nicht allzu ratsam, Apolonia tiefer in die Castra hinein zu bringen. Andererseits befand sie sich draußen wohl in größerer Gefahr als hier. Das Aufgreifen entflohener Sklaven oblag privat angeheuerten Kopfjägern, die CU waren dafür nicht zuständig. Ein schwacher Trost. Sicher war sie weder hier noch irgendwo anders. Verstecken konnte er sie in den Castra auch nicht, die wenigen Milites, denen sie begegneten, begafften sie bereits argwöhnisch genug. Im Valetudinarium würde man sich, wenn auch zähneknirschend, erstmal um sie kümmern, krank genug sah sie ja aus. Nur, welche Geschichte sollte er den Stabsärzten auftischen? Salve, werte Medici, wenn ihr euch bitte meiner geliebten Lupa annehmen könntet, bis ich verdaut habe, dass sie eine entflohene Serva ist? Das Grinsen drängte sich schon wieder nach oben, diesmal allerdings schluckte er es wieder hinunter. Man konnte so einiges mit Humor nehmen, aber das hier war verdammt nochmal kein Spaß. Es blieb nicht die Zeit, alles in Ruhe zu verarbeiten, er musste sich der neuen Situation stellen. Jetzt. Verdutzt blieb er stehen. Sie hatten die Nordmauer erreicht. Antias machte fluchend kehrt und sah lange in Apolonias blasses Gesicht. Am Besten, er ließ sie einfach nicht mehr los, trug sie aus den Castra, aus der Stadt, hinauf in die Berge oder hinunter an einen der Häfen. So wie es etwas hinter allem gab, gab es auch eine Welt außerhalb der Welt. Das Imperium war riesig, endlos war es nicht. Wie weit würden sie kommen? „Hör zu, Dorcas .. eines gleich vorweg.“ brach er heiser das Schweigen. „Ich liebe dich und denke gar nicht dran, dich zu vergessen.“ Die Abzweigung zum Lazarett kam wieder näher, so langsam musste er sich wirklich klar darüber werden, wohin er sie zu schleppen gedachte. „Aber wir haben ein gewaltiges Problem und nicht mehr viel Zeit. Ein paar Dinge muss ich unbedingt wissen, um dir und uns helfen zu können. Bist du untergetaucht? Wenn ja, ist es da für den Moment sicher? Wem bist du davon gelaufen und wann? Gibt es irgendwelche Anzeichen dafür, dass dein ... Besitzer ... nach dir suchen lässt?“ Wie kannst du so unvorsichtig sein, am helllichten Tag hier aufzutauchen? wollte er am liebsten nachwerfen. Was hat dich auf die unbegreiflich kurzsichtige Idee gebracht, dich ausgerechnet in einem Lupanar zu verstecken? Aber Vorwürfe waren hier wenig hilfreich. Zum einen war sie schon verwirrt genug und zum anderen hatte er selbst schon Dinge getan, die noch weit unbegreiflicher waren.

    Er hatte diese Stimme so sehr vermisst, dass er zunächst nur ihren Klang auskostete. Die Worte selbst fanden erst mit einiger Verzögerung sein Bewusstsein, schlugen dann aber ein wie Wurfgeschosse. Schaudernd nahm er ihre kalten Hände an seinen Schultern wahr. Was? Sein Untergang? Sie vergessen? Die Welt von ihrem Dasein erlösen? Wieder versank die Urbs in Trümmern, nur dieses mal würde ein Kuss nicht reichen, um sie wieder aufzurichten. Vergeblich forschte er in ihren verschatteten Augen nach einer Erklärung. Wollte sie es einfach nicht mehr? War es nur das? Wollte sie ihn nicht mehr? Wenn ja, hätte er es sogar verstanden, verstehen müssen. Sein Dienst, die Einschränkungen der Grundausbildung, die gestohlenen Augenblicke, all das komplizierte ihre Beziehung sicher weit mehr als er Apolonia abverlangen durfte. Aber wenn es allein darum ging, warum quälte sie sich so? War sie verheiratet? Vergeben? Schwanger? Nichts von alldem konnte diese Verzweiflung rechtfertigen, mit der sie Antias ansah. Beichten? Also war da etwas elementares, das sie ihm bislang verschwiegen hatte. Na und? Es gab vieles, was er noch nicht von ihr wusste, aber das war nicht ihre Schuld sondern seine eigene. Anstatt sich in jener Nacht in aller Ruhe und Vertrautheit mit ihr zu unterhalten, war er schwach geworden und hatte sich von seiner überquellenden Leidenschaft mitreißen lassen. Wenn sie ihn wirklich noch liebte wie sie sagte, musste sie doch wissen, dass es nichts gab, was sie ihm zu verschweigen brauchte.


    Noch immer zu keiner Entgegnung fähig, strich er ihr die geliebte Haarsträhne aus der geliebten Stirn. Ich komme zu dir, wollte er ihr sagen, so bald ich kann, ich hab es einmal geschafft, ich werde es wieder schaffen. Aber er spürte, dass dafür keine Zeit mehr blieb. Langsam nickend wandte er sich ab. Sein Blick schweifte ziellos über die Mauern der Castra, das Tor, den Platz, die wartenden Menschen, die Dächer der Vorstadt und schließlich zurück zu Apolonia. Tief sog er die feuchte Herbstluft in sich ein, riss dann kurzerhand die Tür der Sänfte auf, fasste Apolonia um Hüfte und Beine und hob sie heraus. „Schließ die Augen, Dorcas und beweg dich nicht.“ Die Träger starrten sich verwirrt an, Babila wuselte stöhnend hinter der Sänfte hervor, die Augen vor Entsetzen geweitet. „Ihr bleibt in der Nähe, klar?“ zischte Antias mit Nachdruck. „Auch wenn es bis zum Abend dauert!“ Apolonia fest an sich gedrückt bahnte sich Antias seinen Weg zwischen glotzenden Boten und Lieferanten hindurch zum Tor. „Geht beiseite! Die Frau ist krank!“ Fimbria sah erschrocken von einem Passierschein auf. „Was ist los?“ Antias bedachte seinen Kameraden mit einem vielsagenden Blick. „Sie ist ohnmächtig. Ich bring sie in’s Valetudinarium. Kommst du hier noch ein paar Minuten allein klar?“ Fimbria nickte mit dem schwachen Lächeln aufkeimender Erkenntnis. „An mir soll’s nicht liegen. Gute Besserung.“ Dafür hast du zwanzig Latrinengänge gut, Kleiner, dachte Antias dankbar und trug Apolonia mit festen Schritten durch’s Lagertor. Nach ein paar Perticae auf der Principalis bog er nach Norden ab. Hier herrschte weniger Betrieb und vor allem verschaffte der Umweg ihnen etwas Zeit. „Vertrau mir Dorcas.“ sagte er leise ohne den Blick vom Weg abzuwenden. „Wenn es wirklich so viel zu sagen gibt, fängst du vielleicht einfach mal an, hm?“

    Kaum hatte sich Antias am Arbeitsplatz des Scribas richtig umgesehen, wurden sie auch schon vorgelassen. Das Officium des Tribuns unterschied sich in seiner kühlen Zweckmäßigkeit nur unwesentlich vom Vorzimmer. Die einzigen Zugeständnisse an die orgiastischen Phantasien der Rekruten bestanden in einer kleinen mit zweifellos hochwertiger Flüssigkeit gefüllten Amphore und einer Obstschale, ansonsten war auch dies kein Ort, an dem man seine freien Tage verbringen wollte. Instinktiv auf den üblichen gebellten Gruß verzichtend, salutierte Antias nur stumm, überließ Avianus die Meldung und verharrte schweigend neben dem Optio, weitere Anzeichen physischer Präsenz tunlichst vermeidend. Unauffällig musterte er den Iulier. Nicht ohne Sympathie erinnerte er sich daran, dass es Dives gewesen war, der den Rekruten ihren ersten Außeneinsatz ermöglicht hatte. Im Grunde hatte er es dem Tribunus zu verdanken, auf Apolonia getroffen zu sein. Er stand also in Dives’ Schuld, ohne dass dieser auch nur eine Ahnung davon haben konnte. Wie er wohl auf die Gerüchte reagieren würde? Möglicherweise gar nicht. Als Iulier in exponierter Position war der Tribun verbale Dreckschleudereien vermutlich schon gewöhnt.

    Das obligatorische `Äh’ hatte Antias erwartet, den von einem gezischelten `da` begleiteten Fingerzeig auf eine abseits wartende Sänfte sehnlichst erhofft, dass der Sklave allerdings derart verschreckt davonstob, war sogar für Babilas’ Verhältnisse alarmierend. Götter, es musste doch irgend ein Kraut geben, das dieses Nervenbündel zu sedieren vermochte! Ein paar Schritte rannte Antias dem kopflosen Burschen nach, riss sich dann aber zusammen und marschierte geschäftsmäßig federnd auf die Sänfte zu. So sehr ihn die Freude auch überflutete, vor dem wartenden Volk hatte er als Urbaner gefälligst Haltung zu bewahren, zumindest so viel Haltung sein hämmerndes Herz zuließ.


    Ohne sich lange mit vorgetäuschten Floskeln aufzuhalten schob er den dünnen Vorhang zur Seite, sah sie, brannte vor Glück, beugte sich zu ihr hinunter und zog sie sanft an sich. „Ach, Apolonia .. mein Augenlicht.“ Seufzend vergrub er das Gesicht in ihrem Haar, das ihn umfing wie ein schattiger Frühlingswald, durchweht von Sandelholz, Narde und etwas neuem unbekannten. „Du ahnst nicht, wie sehr du mir gefehlt hast.“ hauchte er mit rauer Stimme. Seine Hand strich zärtlich über ihre Wange, seine Augen suchten die ihren. Meergrün. Endlos. Ewig. Er küsste sie, sah sie an, küsste sie noch einmal, nahm lächelnd ihre zarte Hand. „Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung?“ Ihre Hand war eiskalt. Über die leuchtenden Quellen ihrer Augen zuckte ein feiner Schatten. Jetzt erst erkannte er den feinen fremden Hauch, der sie umgab. Angst. Gar nichts war in Ordnung. Sie war leichenblass, ihr Blick schimmerten aus tiefen Höhlen zu ihm herauf. Stechend ballte sich sein Herz zu einer heißen pumpenden Faust. „Dorcas? Was ist passiert?“

    Antias zuckte leicht die Achseln. Er hätte dem Optio ja gerne die Freude gemacht, aber mit weiteren Informationen zu dem dicken Stecken konnte er einfach nicht aufwarten. Er fühlte sich mit Gladius und Scutum bereits bestens ausgerüstet und hatte insgeheim gehofft, mit der Hasta nicht so schnell behelligt zu werden. Wie er auf diesen albernen Gedanken gekommen war, erschloss sich ihm allerdings selbst nicht so recht. Wie erwartet mit Antias’ Antwort nicht annähernd zufriedengestellt wandte sich der Optio an Fimbria, der versonnen an der Hastaspitze herumfummelte und angesichts des plötzlicher Zuwendung schnaufend zusammenfuhr. „Zu Befehl Optio Iunius Avianus! Die Hasta ist ein Speer!“ brüllte er durch die zarte Morgenstille, während seine Finger immer wieder tastend über die glatte Schneide glitten. Mit einem anerkennenden Nicken drehte er den Spieß um und besah sich den spitzen Beschlag am unteren Schaftende. Jenseits der Mauern bellte ein Hund, ein paar Schwalben schnitten rauschend durch die kühle Luft, Fimbria glotze stumm auf den Spieß bis Antias vermeinte, seine eigenen Barthaare sprießen zu hören. Der bullige Tiro aus den Abruzzen war ein verdammt feiner Kerl, keine Frage, aber er hatte so seine Eigenheiten. Als das Schweigen allmählich ohrenbetäubend zu werden drohte, blickte Fimbria schließlich auf und fuhr erneut zusammen. „Ein Speer!“ setzte er lautstark nach. „Einst Standardstoßwaffe mit langer Tradition in den Reihen der glorreichen römischen Legionen! In abgewandelter Form bereits bei den Hopliten in der hellenischen Phalanx bewährt! Die blattförmige eiserne Speerspitze ist beiderseits geschliffen und nicht im Schaft versenkt und vernietet wie beim Pilum, sondern mit einer gedengelten Eisenblechmanschette am Schaft befestigt! An der Kehrseite des Schaftes befindet sich ein kurzer Eisendorn, durch den die Hasta als Abwehrrwaffe in den Boden gerammt werden kann! Die verschiedenen Ausführungen der Hasta variieren in Gewicht und Länge, so dass sie auf kürzere Distanz für Angriff und Abwehr von Infanterie gleichermaßen geeignet ist wie in längerer Version für die sehr effektive Verteidigung gegen Reiterei!“ Draußen hatte sogar der Hund aufgehört, zu bellen. Spätestens jetzt war Antias vollends wach und halb taub dazu.

    Selbst in seinen optimistischsten Träumen, die freilich so selten waren wie redliche Straßenhändler, hätte er sich niemals vorstellen können, dass ihm die allmorgendliche Schinderei einmal so etwas wie Lust bereiten würden. Völliger Irrsinn, aber so war es gekommen. Der Lauf um den Exerzierplatz wehte ihm die trüben Traumgespinste der Nacht aus dem Schädel, Liegestütze, Knie- und Rumpfbeugen brachten seine steifen Gelenke wieder in Stellung und machten Muskeln und Sehnen geschmeidig, alle Einheiten zusammen genommen trieben ihm die prickelnde Morgenluft erfrischend in die geweiteten Lungen. Irgendwie befremdlich, welch entspannende Wirkung Anspannung entfalten konnte, wenn ihr Grad richtig gewählt war, und dafür besaß Optio Avianus ein untrügliches Gefühl, das Mento völlig abgegangen war. Wie oft hatte der alte Optio die Tirones bereits beim Aufwärmen derart durch den Wolf gedreht, dass an eine korrekte Ausführung der Exerzierkommandos erstmal gar nicht zu denken gewesen war. Avianus dagegen kannte die körperlichen Grenzen der Männer, brachte sie für kurze Zeit darüber hinaus, ließ ihnen dann aber immer noch so viel Atem, um sich anschließend auf den eigentlichen Ausbildungsinhalt konzentrieren zu können, und der bestand heute aus dem Umgang mit der Hasta, wie Antias betrübt festellen musste. Er konnte diesem unhandlichen Spieß einfach nichts abgewinnen. Sein Vater hatte ihn das Pilum werfen lassen, unzählige male. Völlig unnütz verplemperte Zeit für einen Urbaner, bei den CU würde er mit diesem plumpen Prügel vorlieb nehmen müssen. Dass der Optio nun ausgerechnet seinen Kenntnisstand abfragte, entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Mit mehr Eifer als Begeisterung in der Stimme brachte Antias sein überschaubares Wissen zu Gehör: „Die Hasta ist eine Stoßwaffe für den Einsatz in Nahkampf und Halbdistanz. Ein- oder beidhändig benutzbar wird sie nicht wie das Pilum geworfen, sondern dient sozusagen als Verlängerung des Gladius.“

    So sahen sie also aus, die sagenumwobenen Tiefen der Principia, jenes wuchtigen zentralen Komplexes, von dem gemeine Rekruten für gewöhnlich nie mehr zu Gesicht bekamen als Fahnenheiligtum und Zahlstelle. Fast schon enttäuscht hatte Antias auf dem Weg durch die Flure das Fehlen jeglicher Form von Luxus registriert. Keine erlesenen Wandbehänge, keine vergoldeten Standbilder, kein Pomp und kein Protz. Stattdessen schlichte schmucklose Gänge, in die ebenso schlichte und schmucklose Officia mündeten. Es war also wenig dran an den Legenden, die sich die Tirones am abendlichen Herdfeuer gerne zusammen phantasierten. Hier lümmelten die Offiziere nicht kauend auf Elfenbeintriclinia herum und kippten sich edelsten Falerner in den Rachen, es wurde einfach nur gearbeitet. Diese langweilige Tatsache würde den Kameraden gar nicht schmecken. Der Optio schien sich in den steinernen Lebensadern der CU bestens auszukennen. Gesammelt und zielstrebig war er durch die langen Gänge marschiert, gefolgt von seinem schweigenden Trabanten, der sich nun im Vorzimmer der Tribunus so still und stumm wie nur möglich schräg hinter Avianus in Stellung brachte. Antias wusste nicht einmal genau, was er hier sollte, dafür war ihm völlig klar, was er hier nicht sollte: Das Maul aufmachen, ohne gefragt zu werden.

    Gut, kein Geschrei mehr, das kam Antias entgegen. Andererseits war es möglicherweise gar keine schlechte Idee, sich die Stimmbänder aus dem Schlund zu brüllen. Unverständlich gekrächzte Antworten würde den Optio vielleicht auf den Gedanken bringen, einen der anderen Tirones mit seinen Fragen zu löchern. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Folgsam ließ sich Antias auf die Hände fallen und begann zu pumpen. Immerhin, mit Liegestützen konnte er durchaus leben, kannte er, konnte er, machte er. FÜNF. Jetzt hatte er auch den Sinn der Plackerei erkannt, das war nicht die Strafe für richtige Antworten .. ZEHN .. das war die Belohnung. Was mochte der Ovidius sonst noch an Belohnungen im Programm haben? FÜNFZEHN. Reiten, Schwimmen, Klettern? Reiten konnte er nicht, versuchen würde er es trotzdem. ZWANZIG. Schwimmen konnte er, würde er aber nicht machen. Klettern? FÜNFUNDZWANZIG. Warum nicht? Machte irgendwie Sinn. So würden es die Rekruten wenigstens über die Mauer schaffen, wenn es ihnen hier zu bunt wurde. DREISSIG. Warum roch hier der Boden so penetrant nach schlechter Garküche? Oder war er das selber? Wo befand sich nochmal die Lagertherme? FÜNFUNDDREISSIG. Was machte eigentlich ein Optio, wenn er sich heiser gebrüllt hatte? Ließ er einen Miles für sich weiterschreien? Oder wurde er einfach ausgewechselt? VIERZIG. So, und jetzt schön die Zunge raushängen lassen und ein gebührendes Maß an Erschöpfung simulieren. Das würde Mento doch sicher beglücken. Oder nicht?

    Die Sonne tat sich schwer an diesem Morgen. Was der Regen des vergangenen Nachmittags an Herbstwärme mitgenommen hatte, wollte nicht wieder zurückkehren. Kalt und zugig war es am Westtor. Gerissen hatte sich Antias um die Torwache nicht gerade, aber immerhin waren Fimbria und er beim Wachwechsel in den Genuss eines durchgefroren davonschleichenden Cluvius Sulca gekommen, sowas war einem nicht alle Tage vergönnt. Nach diesem kurzen aber besonders strahlenden Lichtblick hatten sich die Tirones befriedigt der sich endlos abspulenden Wachroutine zugewandt. Mit Ausnahme einiger neuer Boten und Sklaven waren mal wieder die üblichen Verdächtigen unterwegs. Bekannte Gesichter. Bekannte Waren. Bekannte Ausreden. Während Fimbria auf der anderen Straßenseite Urlaubs- und Lieferscheine studierte, machte sich Antias seufzend an die Kontrolle eines alten Bekannten. Ein dürrer Tischler saß mit seinem Gesellen auf dem Bock eines Maultiergespannes, das mit Holzgestellen, Brettern und Streben völlig zugerümpelt war.
    „Salve allerseits. Pritschen und Spinde. Abladen und Aufbauen.“
    „Genehmigung?“
    „Äh .. also .. das ist folgendermaßen ..“
    „Verstehe. Umkehren!“
    „Was? Wieso?“
    „Wie oft soll ich’s dir noch sagen? Nach Tagesanbruch keine Gespanne!“
    „Aber als ich mich angestellt habe, war’s noch ganz dunkel!“
    „Red keinen Blödsinn. Hol dir eine Genehmigung.“
    „Hab ich schon beantragt, bekomme ich morgen.“
    „Ja, sicher. Das hast du die letzten male auch behauptet. Jetzt ist Schluss, mach Platz!“
    „Aber ich hab bis in die Morgenstunden an den Pritschen gearbeitet!“
    „Nicht mein Problem. Dein Karren verschwindet hier, klar?“
    „Ohne das Fuhrwerk brauch ich Träger! Die sind teuer!“
    „Du brauchst keine Träger, du brauchst eine Genehmigung!“
    „Überleg doch mal, Soldat .. wenn ich schonmal hier bin .. und mit dem Gespann eigentlich sowieso nicht mehr zurückfahren darf, könnte ich doch auch gleich ..“
    „Verdammt, du hast recht. Stell den Karren da rüber. Nach Sonnenuntergang kannst du ihn wieder abholen.“
    „Was?“
    „Entweder das, oder du kehrst um.“
    Der Lignarius zog letzteres vor. Unter gutturalem Gemaule, von dem Antias nur Fragmente wie Willkür, Beschwerde und Praefectus Urbi verstehen konnte, wendete der Tischler schließlich umständlich das Fuhrwerk. Immer das gleiche mit diesem verstockten Hobelschwinger.


    Nachdem Fimbria einen Ochsenkarren mit Handwerkern nebst Werkzeug – offensichtlich mit Genehmigung – durchgewinkt hatte, kam er verschmitzt lächelnd zu Antias herüber. „Sieh mal, da drüben ist wieder das hektische Wiesel von neulich.“ Antias verstand nicht. „Wiesel?“ „Ja, dieser zappelige Kälberschwanz, der dir den Brief überbracht hat.“ Kälberschwanz? Brief? Das klang verdächtig nach ... tatsächlich! Unscheinbar wie ein staubiger Grashalm stand Babila im lichter werdenden Morgendunst und zappelte sich warm. „Äh Fimbria .. machst du bitte kurz weiter .. ich ..“ „Schon klar.“ grinste Fimbria verschwörerisch. Babila war doch nicht zufallig hier, oder? Unsinn. Zufälle gab es nicht! Nicht an diesem Morgen! Mit freudigem Lächeln eilte Anias auf den zuckenden Sklaven zu. „Babila! Alte Zitterpappel! Hat sie dich geschickt? Wo ist sie? Wie geht’s ihr? Jetzt sag schon!“ Dann wurde ihm wieder klar, wen er vor sich hatte. „Freut mich, dich zu sehn’ Babila ..“ sagte er langsam und schmeichelnd. „.. hast du Nachricht von Apolonia?“

    Es war schon dunkel als Antias mit frisch verbundener Hand die Unterkunft betrat. In der Kochstelle prasselte ein munteres Feuer, der aromatische Duft frischgerösteten Korns lag in der Luft, durch das warmen Halbdunkel drang melodisch Fimbrias’ tiefe Stimme. „Götter, wie idyllisch.“ murmelte Antias, zerrte endlich die feuchte Tunica herunter und ließ sich schwer auf seine Pritsche fallen. Kauend schlenderte Hispo heran. „Du hängst ja immer noch durch wie `n Ziegeneuter. Die ersehnte Einsamkeit scheint nix gebracht zu haben.“ Antias sah stumm auf den dampfenden Napf, den Hispo ihm vor die Nase hielt und winkte müde ab. Hunger hatte er noch immer nicht, dafür Durst, einen Durst, den auch zehn Amphoren Falerner nicht würden löschen können. Eine lähmende Trägheit überkam ihn. Der Tag war noch nicht am Ende, Antias schon. Immer dumpfer wurden die Geräusche um ihn her. Eine trockene Tunica sollte er sich anziehen, außerdem war an seinem Helm das Scharnier der rechten Buccula verbogen und überhaupt gab es noch einiges zu flicken, zu reinigen und einzufetten. Allein, er hatte nicht geringste Lust dazu. Fast schon im Halbschlaf stahl sich ein bitteres Grinsen auf sein Gesicht. Lust? Wer fragte hier schon danach? Als er die Augen aufschlug, stand Hispo noch immer neben dem Bett. Stöhnend richtete sich Antias auf und fummelte seine Ziviltunica aus der Truhe. Hispo schaute ihm kopfschüttelnd dabei zu. „Mann! Vergiss den ganzen Mist doch einfach.“ Welchen Mist meinte Hispo? Der Ärger mit Sulca und dem Optio? Wenn er diesen Mist meinte, den hatte Antias längst abgehakt. Schweigend zog er sich an. Die Tunica hatte ihm auch schon mal besser gepasst, seine Schultern waren breiter geworden in den vergangenen Wochen, eigentlich Zeit, sich neu einzukleiden. „Reden wir noch oder machen wir’s jetzt wie die Zwillinge?“ Antias lächelte kaum merklich, Hispo war ja nun wirklich nicht schuld an seiner Laune. „Wie geht’s deiner Familie?“ fragte Antias unvermittelt.
    „Was? Meiner Familie?“ Hispos Brauen hoben sich überrascht. „Gut, denk ich mal. Warum?“ „Wie viele Geschwister sind das nochmal? Drei, oder?“ „Scheiße, ja. Drei. Zwei Brüder und eine Schwester. Was ..“ „Fimbria hat sechs. Vier Brüder, zwei Schwestern. Das muss man sich mal vorstellen.“ Mit gerunzelter Stirn setzte sich Hispo auf seine Pritsche. „Nein, muss man nicht. Das sind sieben hungrige Mäuler, die es jeden Tag zu stopfen gilt, seine Eltern gar nicht mitgerechnet. Was glaubst du denn, warum er hier ist?“ „Warum Fimbria hier ist, weiß ich. Nun gib den Napf schon her.“ Hispo gab ihm den Napf. Der Puls war in Ordnung, für einen Soldaten mit entsprechendem Appetit mochte er sogar köstlich sein, Antias kaute nur gedankenverloren darauf rum. Dienst .. Zusammenarbeit .. Professionalität .. ging es ihm durch den Kopf.

    Dass der Cluvier am Ende seine Version der Vorfälle sogar gänzlich aufgab, nahm Antias eher beiläufig zur Kenntnis. Weit mehr Aufmerksamkeit brachte er den darauffolgenden Worten des Optios entgegen. Zusammenarbeit .. Professionalität .. nichts bei den Urbanen verloren .. Letzteres hatte er heute doch schon einmal gehört, von Sulca, in diesem verfluchten Hinterhof. Ob sie noch Fragen hatten? Nein, er jedenfalls nicht, zumindest keine, die ihm der Optio hätte beantworten können. Den anderen beiden schien es da ebenso zu gehen. Wortlos salutierten die nassen Soldaten und beeilten sich, die überheizte Unterkunft des Optio zu verlassen.


    Kaum aus der Tür drängte sich Hispo zwischen Miles und Tiro. „Tja, also das war dann wohl ein Scheißtag für alle Beteiligten.“ plapperte er leutselig. „Bis jetzt jedenfalls. Nun erstmal raus aus den nassen Klamotten. Nach `nem ordentlichen Abendessen sieht sicher alles schon ganz anders aus.“ Antias hatte keinen Hunger. Schweigend ging er neben Hispo über die Planken des vorgelagerten Gehwegs in den Dunst der Dämmerung hinaus. Ohne die Tirones auch nur eines Blickes zu würdigen stapfte der Cluvius brütend vor sich hin. Schließlich außer Hörweite der Offiziersunterkünfte versuchte Antias, seinen wohlmeinenden Kameraden abzudrängen. „He Cluvier! Wir haben da was zu regeln, oder?“ Sulca reagierte nicht, stattdessen wurde Hispo energisch. „Lass es! Heute nicht mehr!“ Wann denn dann? wollte Antias entgegnen, wusste aber, dass Hispo derlei knappen Argumenten momentan nicht zugänglich war. Sulca schien das alles nicht weiter zu kümmern, gemächlich marschierte er seiner Unterkunft zu. Antias wollte ihm folgen, wurde aber von Hispo an der klammen Tunica gepackt. Verdammt! Was wollte Hispo eigentlich? Warum ging er nicht einfach essen! „He Spurius!“ rief Antias dem davon schlurfenden Miles wütend nach. „Hier ist Platz genug! Oder hast du Angst, dich schmutzig zu machen?“ Endlich blieb der Cluvier stehen. Hispo stöhnte und packte noch fester zu. Langsam drehte Sulca sich um. „Ich kämpfe nicht mit Schwerverletzten. Geh und lass dir dein zartes Rekrutenpfötchen bandagieren.“ Dann machte der Miles wieder kehrt und ging davon. „Genau das werden wir jetzt auch tun!“ knurrte Hispo genervt, während er seinen Kameraden in Richtung Lazarett zerrte. Antias sah die dunkle Gestalt des Cluvius um die nächste Ecke verschwinden und riss sich fluchend los. „Nimm die Finger weg! Bis zum Valetudinarium schaff ich’s auch alleine!“ Hispo schüttelte den Kopf. „Nein, ich komm mit.“ Für heute hatte Antias die Nase gestrichen voll, allmählich hing ihm diese ganze Bevormundung meilenweit zum Hals raus. „Tust du nicht! Ich will einfach nur mal ein paar Minuten meine Ruhe haben, verflucht nochmal!“ Beleidigt ließ Hispo die Arme sinken. „Schon gut. Mach doch was du willst.“ Hervorragender Vorschlag, wirklich großartig! Ohne weiteren Kommentar und ohne sich umzublicken schlug Antias müde den Weg zum Lazarett ein.

    Och nein, was wollte der Kauz jetzt wieder? Antias fühlte sich bereits völlig damit ausgelastet, seine brennenden Lungen mit Morgenluft zu versorgen, die Frage des Optios kam ihm dabei etwas ungelegen. Verflucht nochmal, man hätte meinen können, die Centurie bestünde einzig und allein nur aus ihm. Abacus? Aha. Anscheinend gehörte der Ovidius zu der Sorte Menschen, die die Addition der Finger beider Hände bereits als Sternstunde des analytischen Geistes betrachteten. Antias hatte gute Lust, diesmal eine grottenfalsche Antwort abzuliefern, um endlich seine Ruhe zu haben. Allerdings, wer die Männer einer richtigen Antwort wegen um den Exerzierplatz jagte, würde sie für eine falsche womöglich dezimieren lassen. Vielleicht sollte er einen der schweigenden Kameraden bitten, ihm nach Dienstschluss vorsorglich die Zunge heraus zu reißen. „Zu Befehl Optio!“ brüllte Antias mit ersten Spuren von Heiserkeit in der Stimme. „Die CU schützen die Urbs vor inneren und äußeren Gefahren! Sie halten die Ordnung aufrecht, verschaffen den Gesetzen Geltung und ahnden sämtliche Vergehen gegen Leib, Leben und Eigentum der Cives!“ So, und was würde nun folgen? Hinrichtung oder Schinderei?

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    Spurius Cluvius Sulca



    Mit kaum verhohlenem Zorn ging der Cluvier seine Möglichkeiten durch. Hätte er doch wenigstens gewusst, was der Optio wusste. Hatte Avianus das Messer dieses sturen Hitzkopfes selbst gesehen? Hatte er sich vielleicht sogar so weit herabgelassen, die Christianer nach dem Hergang zu befragen? Wenn ja, stand Sulca nun ziemlich blöd da. Die Aussage des Germanicus einfach rundweg abzustreiten war also keine Option mehr. Dieses junge Pack, Optio samt Tirones, wollte nichts anderes als ihn fertig machen, so einfach war das! Ihn, Spurius Cluvius Sulca! Einen Miles, der weit mehr Dienstjahre auf dem Buckel hatte als die drei zusammen! Aber das half ihm jetzt nichts, einen Dienstjahresbonus wie unter Ovidius Mento schien es bei dem Iunier nicht zu geben. Wenn er nicht Gefahr laufen wollte, im Innendienst zu versauern, musste er Farbe bekennen. Immerhin hatte dieser vorlaute Halbgermane dem Optio noch nicht alles erzählt, würde er aber sicher nachholen, wenn Sulca auf seiner Version beharrte. Na gut, dann sollten sie ihren Triumph eben haben und ihn genießen, solange sie konnten. „Ganz wie du es für richtig hältst, Optio.“ knirschte Sulca schließlich durch die Zähne. „Allerdings .. nachgedacht habe ich bereits. Es ist korrekt, dass die Verantwortung der Vorkommnisse bei mir liegt.“ Einen Atemzug lang schien der Miles an weiteren Worten zu würgen, spie dann aber endlich hinterher: "Der Bericht des Rekruten entspricht also den Tatsachen."

    Antias sah sich schweigend um. Kein junger Mann mit gepflegtem Bart. Keine Tabula. Keine östliche Kopfbedeckung. Stattdessen ein östlicher Gott, der mit wissendem Blick aus marmornen Augen zu ihm herunter starrte. Zum Gefühlschaos, das Trans Tiberim in ihm hervorrief, gesellte sich nun auch noch ein nagendes schlechtes Gewissen. Wann hatte er das letzte mal einen Tempel betreten? Als Kind mit seinem Vater? Er konnte sich nicht erinnern. Hatte er sich nach der geglückten Rückkehr von Apolonia nicht vorgenommen, den Göttern zu opfern? Oh ja, hatte er, und zwar allen ihm bekannten Göttern. Dass Serapis nicht dazu gehörte, vermochte Antias nur mäßig zu beruhigen. Die kannten sich doch alle untereinander, oder? Wie hatte er sich nur zu solch einem Irrsinn hinreißen lassen können? Gerade ihm, den Göttern bislang fremd geblieben, war nichts gescheiteres eingefallen, als sie mit einem fahrlässigen Versprechen auf sich aufmerksam zu machen. Was zum Orcus sollte er überhaupt opfern und wie und wem zuerst? Als hätte er nicht schon genug Probleme zu lösen! Außerdem roch es hier irgendwie seltsam! Den anderen Milites schien der Geruch nicht weiter aufzufallen, vielleicht müffelte es ja in allen Tempeln. „Was riecht denn hier so komisch?“ flüsterte er Hispo zu. Der war allerdings zu versunken in der Betrachtung des Serapis, um sich zu einer Antwort herabzulassen. Na gut, auch egal. Sie waren schließlich weder zum Opfern noch zum Beten hier, sondern um zu ermitteln.

    Im Cluvier arbeitete es. Antias konnte geradezu spüren, wie das Hirn des Miles sich verkrampfte, um sich den gezielten Fragen des Optios irgendwie zu entwinden. Sulca würde den Aussagen der Tirones nie zustimmen. Einen Fehler einzugestehen, dazu durfte er gerade noch in der Lage sein, aber den verachteten Rekruten recht geben? Nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. In Sulcas Welt zählte das Leben eines unnützen Tiros weit weniger als die loyale Verschwiegenheit unter Kameraden. In dieser Beziehung konnte Antias den altgedienten Soldaten wenigstens ansatzweise verstehen. Für ihn allerdings hatte diese Loyalität ihre Grenzen. Einen Kameraden zu decken, der gar keiner war, und dies auch noch mithilfe gezielter Desinformation dem Optio gegenüber, ging ihm noch mehr gegen den Strich als sich dem klebrigen Verdacht des Verrates auszusetzen. Für Hispo wäre er wahrscheinlich bereit gewesen, zu schweigen. Aber Sulca hatte Blut sehen wollen. Nein, Antias würde Avianus nichts von Sulcas Aufstachelungen erzählen, aber der Tag mochte kommen, an dem der Cluvius noch einmal seine Hilfe benötigen würde.


    Die Stille, die der letzten Frage des Optios folgte, lastete schwer auf den angetretenen Soldaten. Am schwersten allerdings, das war Antias klar, lag sie auf dem Cluvier. Keine Antwort war auch eine Antwort. Irgendetwas musste der miese Sack jetzt sagen, und ein paar unumstößliche Tatsachen würde er dabei nicht leugnen können. „Nun .. also ..“ brach Sulca denn auch endlich das Schweigen. „Obgleich ich bezweifle, dass es unerfahrenen Tirones möglich ist, eine derart komplexe Situation richtig zu beurteilen .. könnte man die Darstellung der Ereignisse .. vom subjektiven Standpunkt der Rekruten betrachtet .. als .. ähm .. korrekt bezeichnen.“ Antias nahm Sulcas gequältes Eingeständnis ohne jedes Gefühl der Genugtuung hin. Der Cluvius war gedemütigt worden, zwar von sich selbst, aber das spielte keine Rolle. Wen er für seine Erniedrigung verantwortlich machte, stand außer Frage. Antias würde künftig auf der Hut sein müssen.