Zunächst sagte keiner ein Wort. Hispo hatte den wenigstens Anteil an den Geschehnissen, Antias fühlte sich als Tiro nicht dazu berufen, das Wort als erster zu ergreifen und Sulca war es wohl lieber, die anderen Versionen bereits zu kennen, um sich auf die seine besser einstellen zu können. Pech für ihn, dass er im Trio der einzige Miles war und es ihm daher anstand, als erster Meldung zu machen. “Nun, Optio ..“ erklärte Sulca mit geschwellter Brust. „.. zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass ich nicht einfach verschwunden bin, sondern meine Arbeit erledigt habe. Aber der Reihe nach. Um die Rückseite der Taberna abzusichern, habe ich mich im Hinterhof postiert. Nach einiger Zeit konnte ich die bereits bekannten Subjekte bei der Flucht aus dem Hintereingang beobachten. Zwar gelang es mir, die Männer aufzuhalten, da ich aber vom plötzlichen Erscheinen des Tiros abgelenkt wurde, ist den Frauen zunächst die Flucht über die Mauer geglückt...“ „Was?“ entfuhr es Antias. Seine hinter dem Rücken verschränkten Hände ballten sich zu Fäusten. Er hatte durchaus mit einer verzerrten Darstellung der Vorgänge gerechnet, aber was diese Ratte da präsentierte durfte er nicht einfach so hinnehmen, dann eben in den Carcer! Ein so unauffälliger wie heftiger Tritt von Hispos rechter Caliga brachte ihn gerade noch rechtzeitig zur Besinnung. Wenn er dem Miles jetzt und hier an die Wäsche ging, brauchte er seine Version gar nicht mehr vorzutragen. Mit verkrampften Muskeln zwang Antias sich, Haltung zu bewahren.
„Ja nun, die Wahrheit tut eben weh.“ fuhr der Cluvius großspurig fort. „Wie auch immer, nachdem ich die Bewachung der Männer dem besagtem Tiro übertragen hatte, war es mir durch meine Ortskenntnis möglich, den Fluchtweg der Frauen abzuschneiden und sie auf der Via Aurelia schließlich dingfest zu machen. Warum der Rekrut seinen Gladius nicht in der Scheide halten konnte, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.“ Lähmendes Schweigen bemächtigte sich der Unterkunft des Optios. Äußerlich ruhig drehte Antias langsam den Kopf. In einer Mischung aus Unglauben und bitterer Belustigung starrte er den Miles an. Der Cuvier hatte sich soeben sämtliche Rippen gebrochen und schien sich darüber noch nicht einmal im Klaren zu sein. Antias hatte Mühe, nicht in zynisches Gelächter auszubrechen. Ach, so war das alles abgelaufen? Na dann. Wenn Miles Cluvius Sulca das sagte, konnte es ja nur stimmen, nicht wahr? Was sollte er da noch hinzufügen? Andererseits widerstrebte es ihm zutiefst, Sulca mit fatalistischem Schweigen ungewollt und vor allem völlig unverdient ins Recht zu setzen.
„Die Ausführungen des Miles beinhalten leider einige ... wesentliche .. Ungenauigkeiten.“ begann er so beherrscht es ihm möglich war. „Wahr ist, dass der Miles sich in den Hinterhof begeben hat um die Rückseite der Taberna zu observieren während Tiro Peducaeus und ich die Vorderseite beobachteten. Nachdem der vom Geschrei des Schmiedes aufmerksam gewordene Passant die Taberna betreten hatte, wurde Tiro Peducaeus wie du weißt von mir losgeschickt, um dich darüber in Kenntnis zu setzen. Ich selbst habe danach meinen Posten in den Durchgang verlagert, von wo ich mich durch laute Schreie alarmiert in den Hinterhof begeben habe. Wahr ist also auch, dass ich für Miles Cluvius unerwartet dort aufgetaucht bin. Von da an stimmt seine Geschichte allerdings hinten und vorne nicht mehr! Ja, er war dabei, die Christianer aufzuhalten, richtig. Aber alle, nicht nur die Männer. Auch die Frauen waren zu diesem Zeitpunkt noch bei den anderen. Ob es Cluvius Sulca schlicht entgangen ist, dass der braunhaarige Bursche augenscheinlich eine Waffe unter der Tunica trug, weiß ich nicht, jedenfalls hat der Miles ihm keine weitere Beachtung geschenkt und sich stattdessen mit gezogenem Schwert auf den Südländer konzentriert. Ich habe den Gladius erst gezogen, um Sulcas Flanke gegen einen Angriff des Bewaffneten zu decken. Der ist zunächst auch meiner Anweisung gefolgt, die Waffe langsam herauszuholen, hat sich dann aber trotz wiederholter Aufforderungen geweigert, diese fallen zu lassen. Erst in diesem Moment sind die Frauen entkommen, ohne dass der Miles irgendwelche Anstalten gemacht hätte, sie aufzuhalten. Irgendwann ist ihm dann wohl eingefallen, dass es womöglich doch besser wäre, sie wieder einzufangen, und er hat sich schließlich an ihre Verfolgung gemacht. Ich hingegen blieb mit den beiden Männern im Hof zurück, wobei der Südländer sich offenbar nicht entschließen konnte, ob er fliehen oder seinem Glaubensbruder beispringen sollte. Den Göttern sei’s gedankt, mir hat dieser eine sture Hund völlig gereicht.“ Sulca lachte leise vor sich hin. „Welche Waffe denn? Ich hab keine gesehen.“ In sonorem Brustton wandte er sich an den aufmerksam zuhörenden Avianus. „Optio. Einem bewaffneten Rekruten sollte es doch wohl zuzutrauen sein, ohne Hilfestellung mit zwei lächerlichen Bengeln fertig zu werden, sogar wenn tatsächlich einer davon bewaffnet gewesen sein sollte. Gladius und Pugio gegen ein Küchenmesser, das muss zu beherrschen sein.“ „Woher weißt du denn, dass es ein Küchenmesser war, wenn du’s nicht gesehen hast, hä?“ ätzte Antias angriffslustig. Sulca fuhr zornig herum. „Das .. das hast du mir vorhin selbst gesagt, Tiro!“ „Ach ja?“ zischte Antias kalt. „Du wärst der allerletzte, dem ich so was erzählen würde ... Miles!“ Die beiden funkelten sich an, der Raum heizte sich schneller auf als ein einzelnes Kohlebecken es vermocht hätte.
„Tatsächlich ..“ hob nun Hispo geistesgegenwärtig an. „.. habe ich von den Vorgängen im Hinterhof nichts mitbekommen, Optio.“ Antias und Sulca zogen es wieder vor, geradeaus zu starren. „Ich muss zugeben, dass ich im Durchgang von einem menschlichen Bedürfnis in Anspruch genommen war. Alles was ich mitbekommen habe, war Miles Cluvius, der sehr zielstrebig an mir vorbei auf die Gasse hinaus marschiert und weiter unten wieder in einer Schuhmacherwerkstatt verschwunden ist. Warum Tiro Germanicus und ich uns getrennt haben, wurde ja bereits erwähnt. Viel mehr kann ich zu alldem nicht sagen.“ Sulca schien das zu gefallen. „Da hörst du es, Optio. Ich habe nur meine Arbeit gemacht.“ strahlte er Avianus an. Jedoch, Hispo war mit seinen Ausführungen noch nicht gänzlich durch. „Ich möchte nur noch hinzufügen, dass mir der Miles auf meine Frage über den Verbleib von Tiro Germanicus geantwortet hat, er wisse es nicht.“ "Das ist gelogen!" brauste Sulca auf. "Irgendwo wird er schon stecken, hab ich gesagt!" Hispo lächelte zufrieden. "Ach, stimmt ja. So war's." Die Pfützen auf den Bodenbrettern begannen langsam zu trocknen, in der Unterkunft wurde es schwül.