Beiträge von Titus Germanicus Antias

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    Spurius Cluvius Sulca


    Kein Zweifel, das waren die beiden Christianerschlampen. Nun aber vorsichtig. Nicht direkt vor der Popina! ermahnte sich Sulca. Es gab immer irgendwelche Narren, die meinten, bedrängten Weibern beispringen zu müssen, und einen Tumult konnte er jetzt nicht gebrauchen. Einfach abwarten, bis er auf ihrer Höhe war. Gesenkten Hauptes ging er den Frauen langsam entgegen. Bislang war alles perfekt gelaufen. Wie erwartet hatten die beiden nicht den Weg nach Osten zum Tiberis eingeschlagen, sondern bewegten sich westwärts noch tiefer nach Trans Tiberim hinein. Er selbst wäre nicht anders vorgegangen, nur hätte er sich unter keinen Umständen vom Hauptstrom der Passanten gelöst. Hier an den Hauswänden, auf dem schmalen dunklen Gehsteig gab es nur einen Fluchtweg – zurück – und der war mit Tischen, Kisten und Fässern vollgestellt. Aber für eine Flucht war es ohnehin zu spät, er würde ihnen keine Zeit mehr dazu lassen. Mit dem Blick auf seinen Stiefeln ging er schlurfend weiter, hörte ihre leisen Stimmen näher kommen, sah unter dem Saum seiner Kapuze hervor, wie vier schmutzige zerkratzte Füße in durchweichten Sandalen an ihm vorbei strebten. Der Weg durch die Hinterhöfe hatte seine Spuren hinterlassen. Noch zwei Schritte geradeaus, dann zog Sulca den Pugio, drehte sich um und schnappte sich die Jüngere der Frauen scheinbar freundschaftlich an der Schulter. „Da sind ja meine Täubchen.“ Grob presste er die junge Frau an sich und ließ die Ältere einen entsetzten Blick auf den Pugio werfen. „Wenn du wegrennst, ist sie fällig! Hast du verstanden?“ Es kam keine Antwort, musste auch nicht. Er war sich ziemlich sicher, dass sie ihn volkommen verstanden hatte. Mit einem zufriedenen Nicken ließ er den Dolch wieder unter dem Mantel verschwinden. „Euren Freunden .. oder soll ich sagen Brüdern .. in der Taberne geht es gut. Noch. Aber wenn ich nicht schleunigst mit euch da auftauche, wird sich das ändern. Ihr habt es in der Hand. Also? Gehn’ wir?“

    „Nun .. äh .. Optio Iunius Avianus ..“ begann Antias zögernd. Was sollte er dem Optio denn sagen? Dass ihn der Cluvius zum Dank für seinen Beistand verhöhnt und aufgestachelt und danach allein mit dem bewaffneten Hitzkopf zurückgelassen hatte? Dass die Frauen nicht entkommen wären, wenn Sulca sie aufgehalten hätte, anstatt sich an einem privaten Schauspiel zu ergötzen? Dass es völlig einerlei war, was Antias zu berichten hatte, weil Miles Cluvius Sulca alles so lange drehen und wenden konnte, bis die Schuld letztendlich an ihm, dem unfähigen Tiro würde hängen bleiben? Natürlich war der Mistkerl hinter den flüchtenden Frauen her, was sonst. Sulca war weder so dumm noch so pflichtvergessen, sich einfach abzusetzen, ganz im Gegenteil. Für ein tollwütiges Raubtier wie den Cluvier waren die Christianerinnern nichts als fliehendes Wild, mit dem es sich trefflich spielen ließ, bevor es schließlich gerissen wurde. Was also sollte Antias schon sagen? Sein Blick glitt unsicher über den Hof und blieb maßlos erleichtert an einem hochgewachsenen rotblonden Burschen hängen, der gerade mit gezogenem Gladius aus der Hintertür stürmte. Wenigstens Hispo war wieder da. War die ganze Aktion in Schieflage geraten, weil er seinen Kameraden weg geschickt hatte, um den Optio zu suchen? War er doch an allem schuld? „.. Miles Cluvius hat beobachtet, in welche Richtung die Frauen geflohen sind. Also ist davon auszugehen, dass ein solch .. äh ..“ Ehrgeiziger Mistbock. Egoistisches Dreckschwein. „.. erfahrener Miles sich unverzüglich an ihre Verfolgung gemacht hat, Optio.“

    In Ordnung, die Beine kamen ihm nun schon etwas bekannter vor, nur die Lungen schienen sich noch nicht recht daran erinnern zu können, wozu sie gedacht waren. Keuchend nahm Antias Haltung an. Welche Schmach hatte er da eben auf sich geladen! Er war nicht nur gelaufen wie eine schwangere Kuh, nein, gegen Ende der dritten Runde war tatsächlich auch der breite Abruzzenbulle Fimbria an ihm vorbei gezogen. An besten, er strich diese drei Runden sofort aus seiner Erinnerung und versuchte, sich anderweitig zu profilieren. Wenn ihn der Optio angesichts seiner Laufleistung für körperlich unterbegabt hielt, ließ sich das im Moment ohnehin nicht ändern. Morgen war auch noch ein Tag. Immerhin hatte die Blutzirkulation so langsam sein Hirn erreicht. „Zu Befehl, Optio Iunius Avianus!“ bellte er eifrig. "Standardbewaffung unserer Infanterie! Der Gladius ist eine Hieb- und Stichwaffe für den Nahkampf mit einer beidseitig geschliffenen Klinge aus Norischem Stahl. Im Gegensatz zur längeren Spatha der Alae wird er an der rechten Seite getragen und in der Formation meist als Stoßwaffe eingesetzt. Das Scutum dient zum Schutz gegen Nah- und Fernkampfwaffen, wird im Nahkampf aber auch als Hiebwaffe eingesetzt. In geschlossener Reihe kann mit den Scuta die Testudo-Formation eingenommen werden!“ Außerdem konnte man sich wunderbar daran auflehnen, wenn keiner hinsah.

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    Spurius Cluvius Sulca



    Unwirsch schob er den jammernden Schuhmacher beiseite. „Aber Miles Cluvius .. wir hatten doch ..“ „Piss dich nicht an, Grates! Ich will hier nur durch!“ Ein erleichtertes Stöhnen drang durch die Werkstatt. Unbeeindruckt setzte Sulca seinen Weg fort. Freu dich nicht zu früh Sutor, dachte er sich amüsiert, über das Geschäftliche reden wir noch. Die schiefe Hintertür war geschlossen. Sulca trat sie splitternd auf, marschierte zielstrebig über nasse ausgelegte Lederstücke auf eine dichte Beerenhecke zu, schlüpfte hindurch und war bereits im nächsten Hinterhof. Ein Sprung über das Weidengeflecht eines Ziegengatters, wieder hinaus, auf einer glitschigen niederen Mauer bis zum benachbarten Hof und er erreichte schließlich einen schmalen Torbogen, der auf die Via Aurelia hinausführte. Zufrieden schöpfte Sulca Atem und sah sich um. Wenn die Christianerweiber nicht in Richtung Tiberis abgebogen waren, würde sie die nach Südwesten geschwungene Straße direkt in seine Arme führen. Forschend auf den Menschenstrom starrend zog er sich die triefende Kapuze über den Kopf. Gewiss, es gab in der wimmelnde Menge kaum jemanden, der es angesichts des strömenden Regens nicht eilig hatte, aber genau dieser Umstand würde alles noch leichter machen. Anstatt Gesicht für Gesicht zu prüfen, konnte Sulca sich auf diejenigen Passanten konzentrieren, die es entweder noch eiliger hatten als der Rest oder sich im Gegenteil übertrieben langsam und unauffällig bewegten. So wie die beiden Frauen, die gerade in etwa einem Actus Entfernung unter den tropfenden Markisen einer kleinen Popina entlang gingen. "Na, wer sagt's denn." Grinsend setzte sich Sulca in Bewegung.

    Stöhnend trabte Antias los. Das würden ein paar verdammt harte Runden werden. Die Augen brannten, sein Kopf fühlte sich irgendwie geschwollen an und seine Beine waren nicht seine Beine. Mochten die Götter wissen, wem die Stelzen gehörten, auf denen er sich schleppend fortbewegte, ihm gehörten diese störrischen Schlegel jedenfalls nicht. Je verbissener er sich mühte, einen Rhythmus zu finden, desto zäher wurde sein Getrampel. Die Zwillinge hatten sich offenbar zu einem Wettrennen entschlossen und fegten glucksend davon wie von Bestien gejagt. Kindsköpfe! Hispo schnellte leichtfüßig heran, überholte ihn, ließ sich zurückfallen, schnitt eine alberne Grimasse und federte wieder von dannen, nur um sich erneut zurückfallen zu lassen und das Spielchen von vorn zu beginnen. Witzbold! Fimbria näherte sich mit schweren Schritten und schloss langsam zu ihm auf. Sogar Fimbria! Der berüchtigtste Morgenmuffel der ganzen Centurie! Grimassierend tänzelte Hispo herbei. „Wie wär’s mal mit schlafen Kleiner?“


    Genau das war der Punkt. Schlafen. Wenn es sein musste, kam Antias zwar eine Weile mit ein, zwei Stunden Schlaf pro Nacht aus, aber so ganz allmählich hatte er sich ein stattliches Defizit zusammen gewacht, dem er nicht mehr so ohne weiteres davon laufen konnte. Wieder hatte er die Nacht damit verbracht, im trüben Schein der Kochstelle über einem leeren Blatt Papyrus nach Worten zu grübeln. Vieles war ihm in den Sinn gekommen, von dem er glaubte, Apolonia unbedingt erzählen zu müssen, zu vieles. Er hatte nur dieses eine Blatt, erstanden beim sechsten Contubernium in Tausch gegen drei Lucanicae, und durfte es nicht nur für sehnsüchtige Liebesschwüre verschwenden, so sehr ihm auch danach war. Aber nicht nur die Suche nach Formulierungen hatte ihn wach gehalten, auch die Frage, wohin der den Brief schicken sollte, war nicht geklärt. In die Wohnung? Ins Lupanar? All dies geisterte noch immer durch seinen Schädel, als Fimbria schnaufend dazu ansetzte, ihn zu überholen. Götter! Nicht auch noch Fimbria! Unter Aufwendung der letzten Reserven an Stolz und Ehrgeiz gelang es ihm schließlich, der fremden Beine einigermaßen Herr zu werden. Noch zwei Runden. Als Letzter konnte er den Lauf nicht beenden, auch wenn ihm diese steifen Keulen danach abfallen würden!

    Das erste mal an diesem Tag empfand Antias so etwas wie Freude an seiner Arbeit. Der Cluvier hatte einen längst überfälligen Rüffel vom Optio erhalten, überdies bereitete es ihm eine gewisse Genugtuung, mit der Befragung des Jungen letztlich den richtigen Riecher gehabt zu haben, auch wenn er sich selbst über den Nutzen der Informationen bislang nicht ganz klar gewesen war. Es schien also doch von Interesse, was der Mörder bei sich getragen hatte und wer es jetzt bei such trug. Die Milites schwärmten aus, auch der Cluvius. Mit unübersehbarem Zorn in den Augen zwar, aber er fügte sich widerspruchslos. Führen zu wollen und führen zu können waren eben zwei völlig unterschiedliche Dinge, stellte Antias tief befriedigt fest.


    Noch etwas bleich im Gesicht schlurfte Hispo heran. „So, und wir gehen jetzt also einen silbergrauen Mantel und eine östliche Kopfbedeckung suchen, seh’ ich das richtig?“ Antias blickte sich forschend in der Menge um. Wo war Mustela jetzt? Verschwunden. Mit einem Kopfschütteln wandte er sich an Hispo. „Der Mantel ist zweitrangig. Wozu den Verfolger verfolgen. Wir beschränken uns auf den Orientalen. Der Junge hat mir genau beschrieben, wie der Kerl aussieht und wo er hin ist.“ Hispo stutzte. „Welcher Junge?“ „So eine kleine Gassenratte von der rotzfrechen Sorte.“ Antias grinste unwillkürlich. Ein Früchtchen fürwahr, aber ein verdammt pfiffiges. „So einer?“ Hispos’ lange Finger deuteten auf ein paar lachende Jungen, die den Stand eines Gemüsehändlers umschwärmten. Mustelas’ Freunde. „Genau. So einer.“ Hispo lachte dröhnend auf. „Und das glaubst du? Nimm’s mir nicht übel, aber du kannst manchmal ein solcher Trottel sein!“ Nein, er nahm es ihm nicht übel. Erstens hätte er selbst ebenso reagiert und zweitens hatte Hispo den Trottel betreffend vollkommen recht. Trotzdem glaubte er Mustela, ohne freilich genau zu wissen weshalb. „Mit der östlichen Kopfbedeckung lag er aber völlig richtig, und der Rest seiner Beschreibung war erheblich ausführlicher als das, was der Optio an Informationen rausgegeben hat.“ Hispos’ Lachen bekam einen sarkastischen Unterton. „Ach was? Ein Kind mit einer regen Phantasie? Ist nicht wahr, oder? Und das mit der östlichen Kopfbedeckung .. schau dich doch mal um!“ Das brauchte er gar nicht, er wusste auch so, worauf Hispo hinaus wollte. Auf den Märkten und Gassen der Stadt wimmelte es geradezu von Kopfbedeckungen jeglicher Form, Farbe und Herkunft, die allermeisten davon „östlich.“ Unzählige Variationen geschlungener Kopftücher von Syrern, Hebräern und Ägyptern tanzten da durch die Menge, groteske dakische oder skythische Spitzmützen, armenische und illyrische Rundkappen, Hauben, Schleier, Kapuzen, Filz, Wolle, Seide .... Hispo hatte eindeutig die besseren Argumente. Sicher, Mustelas’ Beschreibung ging über die Kopfbedeckung weit hinaus, aber auch ein mittelgroßer schlanker gepflegt wirkender bärtiger jüngerer Mann mit hellbrauner Hautfarbe würde ihnen in diesem Menschenmeer nicht gerade von alleine in’s Auge springen.


    Seufzend lenkte Antias ein. „Also machen wir gar nichts, oder was?“ Hispo schüttelte mit neu erlangtem Ernst den Kopf. „Das hab ich nicht gesagt. Aber wir machen auch nicht mehr als alle anderen, diesmal. Wir sind hier nur die Tirones, und wenn wir irgendwas für unseren Einsatz kriegen, dann höchstens auf’s Maul, schon vergessen? Wie geht’s deiner Hand?“ Antias war zwar nicht restlos überzeugt aber immerhin einsichtig. „In Ordnung, Hispo. Du hast recht. Dann folgen wir am besten dem Optio. Der geht zumindest in die Richtung, die der Junge mir beschrieben hat.“ „Nichts dagegen.“ Bemüht um einen gebührenden Abstand stapften die Tirones langsam durch die Marktgasse ihrem Optio hinterher.

    Da war ja der Mantel. Antias machte einen Schritt auf den Durchgang zu. Richtig, er hatte ihn dort abgelegt, wie hatte er das vergessen können? Gleichgültig sah er an sich hinunter. Blut tropfte von seiner linken Hand auf den durchweichten Boden, die rechte hielt noch immer den Griff des Gladius umklammert. Mit ein paar tiefen Zügen sog er die feuchte Luft ein, steckte das Schwert in die Scheide und blickte den Optio nickend an. Die Hand verbinden. Ja, das war sicher nicht verkehrt. „Verstanden, Optio Iunius Avianus!“ presste er beherrscht heraus und fragte sich, womit. Müde wollte er nach seinem durchnässten Mantel greifen, als ihm jemand ein aufgewickeltes Stück Leinen vor die Nase hielt. Er drehte sich um, Vilius Carbo betrachtete ihn neugierig. Dankbar nahm Antias den Stoff entgegen, lehnte sich an einen nassen Bretterstapel und begann sich umständlich den langen blutenden Schnitt an der Innenfläche seiner linken Hand zu verbinden. Drüben an der Hauswand hievten Codes und Maso den schlaffen Peregrinus aus dem Dreck. Am liebsten wäre Antias noch einmal auf den sturen Ochsen losgegangen. Dieser von allen Göttern verfluchte Christianer! Warum hatte der Idiot nicht einfach nachgegeben? Er hätte jetzt tot sein können! Kopfschüttelnd schob er sich das ein Ende der Binde zwischen die Zähne und zog mit der rechten Hand den Knoten fest. Das musste reichen. Der Schnitt war nicht besonders tief, die Finger würden ihm schon nicht abfallen. Mit einem tiefen Seufzer stieß er sich von den Brettern ab und trat langsam zu den verbliebenen Männern hinüber. Optio Avianus und Miles Rubrius hatten sich den zweiten Christianr vorgenommen. Der allerdings schien schlagartig sein Gedächtnis verloren zu haben. Antias beneidete ihn fast um diese Eigenschaft, es gab Tage, die auch er am liebsten gleich wieder vergessen hätte, der heutige Tag beispielsweise rangierte in dieser Liste enorm weit oben. Wie und womit hatte dieses Schlamassel eigentlich angefangen? grübelte er angestrengt, wurde in seinen Überlegungen aber jäh von der Frage des Optio unterbrochen. „Der Mann lügt natürlich, Optio Iunius Avianus.“ antwortete er resigniert. „Der weiß genau, wovon du redest. Zwei Frauen waren bei ihm, denen er über diese Mauer dort in den Nebenhof geholfen hat, und er kennt mit Sicherheit auch ihr Ziel.“ Einen Moment überlegte Antias, ob er den Cluvier nicht einfach totschweigen sollte, entschloss sich dann aber, zumindest das preis zu geben, was für den Optio im Augenblick wichtig war. Alles weitere würde er mit diesem Stück Dreck persönlich regeln, irgendwann. „Miles Cluvius Sulca dürfte bereits die Verfolgung der Frauen aufgenommen haben, Optio.“

    Antias nahm das Geschrei des Christianers zunächst als gutes Zeichen. Die gebrüllten Vorwürfe waren immerhin ein Indiz dafür, dass er nachdachte, und so lange er das tat, würde er kaum angreifen. Aber was sollte Antias ihm entgegnen? Dass er nichts von verhafteten Freunden wusste? Dass der Kerl mit seiner selbstgefälligen Widerborstigkeit auf dem besten Wege war, seine noch verbliebenen Freunde ebenfalls in den Carcer zu bringen, wenn nicht gar Schlimmeres? Reglos starrte er seinen selbsternannten Gegner an. Die Stimme des Christianers zitterte vor Verbitterung, und doch sah Antias für einen kurzen Moment einen Schimmer der Hoffnung in seinen geweiteten Augen aufflackern. Dann flog krachend die Hintertür der Taberna auf. Optio Avianus drängte mit den Milites auf den Hof. Der Moment verging, die Hoffnung wich dem Schrecken und Antias hatte eine vielleicht einmalig günstige Gelegenheit zum Angriff verpasst. Eigentlich hätte er erleichtert sein sollen über das Eintreffen der Kameraden, aber er war es nicht. Ihre Anwesenheit änderte nicht das geringste an der Situation, verschärfte sie höchstens. Noch immer war er allein mit dem verzweifelten jungen Burschen. Wenn das Messer irgend ein Ziel finden würde, dann nicht den Optio, nicht einen der Milites, sondern ihn. Und dazu würde er es nicht kommen lassen. So langsam und behutsam es die angespannten Nerven zuließen verlagerte Antias sein Gewicht auf das rechte Bein, winkelte den Schwertarm leicht an und machte sich bereit.


    Plötzlich begann er es zu wollen. Aus seinen Eingeweiden stieg unaufhaltsam ein altbekanntes Gefühl auf. Der überwunden geglaubte Jähzorn flutete ihm gallig in den Rachen und breitete sich scharf und bitter in ihm aus. Die verängstigten Züge des Christianers schienen sich zu einer hämischen Grimasse zu verziehen, hinter der sich immer neue Gesichter abzeichneten, Gesichter von blasierten Patriziern, die ihn von ihren Sklaven verprügeln ließen, Gesichter von derben Legionären, die seine Mutter misshandelten, Gesichter von Schweinen wie Sulca. Der Christianer wollte ihm an’s Leben? Dieser dreckige wertlose Peregrinus hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen und sich dazu entschlossen, ihn zu töten? Tatsächlich? Antias würgte keuchend an seiner Wut. Die boshaften Mienen wechselten sich immer schneller ab, verschmolzen allmählich zu einer einzigen unmenschlichen Fratze, die stetig klarer und bedrohlicher wurde, bis er schließlich mit atemlosem Grauen in sein eigenes Antlitz starrte. „VERDAMMTER NARR!“ brüllte Antias außer sich, spannte sich an, schnellte nach vorn und schlug dem entsetzten Christianer den Schwertknauf über die Stirn. Seine linke Hand fasste in’s Messer, der Griff löste sich aus der Hand des stöhnenden Pereginus. Antias schlug noch einmal zu. Das Messer fiel klappernd zu Boden. „DU STURES ..“ Noch ein Hieb mit dem Knauf. „ .. SELBSTSÜCHTIGES ..“ Ein Schlag mit der blutenden linken Faust. „.. ARSCHLOCH!“ Mit rasselndem Atem packte der den zusammen gesunkenen jungen Kerl an den Haaren, zog seinen Kopf in die Höhe. Nein, es war nicht mehr sein eigenes Gesicht. Erschöpft ließ er los, trat das Messer beiseite und versuchte zitternd, seinen Gladius wieder in die Scheide zu bekommen, vergeblich. Seine Tunica klebte am Körper, die Haare hingen ihm in nassen Strähnen in die Augenwinkel. Es regnet ja, stellte er abwesend fest. Wo hatte er nur seinen Mantel gelassen?

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    Sextus Peducaeus Hispo



    Welch Verschwendung! dachte Hispo, während er sich wohlig grunzend an die ohnehin schon feuchte Mauer der Taberna erleichterte, jeder Fullone hätte an diesem Sturzbach seine wahre Freude gehabt, aber leider leider waren weit und breit keine Vase Curtae in Sicht gewesen als er dringend eine gebraucht hatte, selber schuld. Allerdings waren fehlende Pisspötte und verschwendete Flüssigkeiten seine zwar vordringlichste aber dennoch geringste Sorge. Antias war nicht am vereinbarten Platz, der Optio hatte sich ohne neue Befehle in die Taberna begeben und zu allem Übel regnete es auch noch in Strömen. Solche Situationen behagten Hispo nicht sonderlich. Grübelnd stand er im leeren Durchgang und plätscherte scheinbar endlos vor sich hin. Der Befehl lautete nach wie vor, die Schenke der Christianer zu beobachten, also würde er das einfach tun, wenn er hier fertig war. Andererseits musste es einen Grund dafür geben, dass Antias hier nicht wie ausgemacht auf ihn gewartet hatte. Ob er auch hinein gegangen war? Ohne Anweisung des Optio? Auf keinen Fall. Vielleicht hinten beim Cluvier? Unsinn, wer gab sich schon freiwillig mit diesem knurrigen Mistsack ab.


    Gerade als es Zeit wurde abzuschütteln, ließ ihn ein Geräusch vom hinteren Ende des Ganges aufschrecken und der Rest ging über die Caligae. Fluchend drehte Hispo sich zu Seite und sah besagten Mistsack über Gerümpel und Sträucher auf sich zu stampfen. Der Miles konnte doch wohl keine Gedanken lesen, oder? „Auch das noch!“ blaffte Sulca schon von Weitem. „Geh’ mir aus dem Weg, verdammt!“ Hispo fingerte sich hektisch die Kleidung zurecht. „Sofort, Miles. Hast du vielleicht Tiro Germanicus gesehen’?“ Der Cluvius wartete nicht ab, bis Hispo sich vollends geordnet hatte, unsanft schob er den Tiro vor sich her auf die Gasse hinaus. „Seh ich aus wie eine Milchamme? Irgendwo wird er schon stecken.“ Ohne den Rekruten oder das Wirtshaus auch nur eines Blickes zu würdigen marschierte Sulca ein Stück die Gasse hinunter auf den Laden eines Schuhmachers zu. Hispo gefiel das alles nicht, stur blieb er dem Cluvier auf den Fersen. „Wir haben Befehl, die Taberna zu beobachten, Miles.“ gab er zu bedenken. Sulca lachte bitter auf. „Der Schuppen leert sich gerade, du kannst dich verziehen.“ Hispo verstand nicht. „Aber der Optio hat ..“ Sulca fuhr zornig herum. „Der Optio hat WAS? Seine Beute seelenruhig durch die Hintertür entkommen lassen! DAS hat der Optio! Und jetzt sammle deinen Freund ein oder tu was du willst, aber lass mich meine Arbeit machen!“ Hispo blieb stehen. Beute? Entkommen? Seinen Freund einsammeln? Nein, das gefiel ihm alles ganz und gar nicht! Verwirrt sah er den Cluvier im Geschäft des Schuhmachers verschwinden, schickte ein halblautes „Arschloch“ hinterher und rannte dann beunruhigt die Gasse wieder hinauf durch die offene Wirtshaustür direkt in den Schankraum.

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    Spurius Cluvius Sulca


    Cluvius Sulca beobachtete gespannt wie der Christianer ein langes Küchenmesser aus der Tunica zog. Einen kurzen Augenblick befürchtete er, der Bursche würde das Messer tatsächlich fallen lassen, aber wie erwartet hatten sie es hier mit einem besonders dummen und lächerlich stolzen Peregrinus zu tun, der einen Ausweg nicht einmal erkannte, wenn man ihn hineinstieß. Verschwinden sollten sie? Aber natürlich, gern. So machten das die Urbaner doch immer, wenn man sie höflich darum bat, nicht wahr? „Sieh da, ein Lanius.“ lachte Sulca herablassend, steckte den Gladius rasselnd in die Scheide zurück und machte einen weiteren Schritt auf die angespannten jungen Kerle zu. „Wolltest mich damit schlachten wie eine Sau, ja?“ Das Küchenmesser schimmerte fahl und bedrohlich im regnerischen Zwielicht. Und was tat der Tiro? Nichts! Spätestens jetzt hätte er den Christianer guten Gewissens niederstechen können. Aber nein, der Rekrut starrte nur verkniffen auf sein Opfer und vergaß bei aller Konzentration zu handeln. „Schon gut, Tiro .. ich bin ja da.“ höhnte der Miles mit scheinheiligem Tonfall. „Mach ihn einfach kalt. Zeit, sich ein bisschen Respekt zu verdienen.“ Enttäuscht musste Sulca feststellen, dass seine Aufforderung scheinbar ungehört verhallte. Missmutig stemmte er die Arme in die Seite und funkelte den Schlappschwanz wütend an. Soso, der Germanicus ließ sich also nicht so leicht provozieren wie angenommen, oder war er einfach nur völlig starr vor Angst? Wohl eher letzteres. In dem Fall würde der Tiro bei den CU ohnehin nicht lange überleben. Unfassbar, welch menschlicher Müll mittlerweile bei den Urbanern unterkriechen durfte. Aber gut, wenn der eine zu keiner Regung mehr fähig war, konnte das dem anderen ja nur recht sein. „Tja, Christianer .. das war’s dann wohl für dich.“ wandte er sich grinsend an den braunhaarigen Burschen. „Das Jüngelchen wird dich gleich abstechen, weil er gar nicht anders kann. Es sei denn, du bist schneller. Unwahrscheinlich, aber immerhin möglich. Er ist nur ein Tiro, was bist du?“ Aus dem Hinterhof des Nebengebäudes hallten sich entfernende Schritte herüber. Die Pflicht rief. Brummend zog Sulca den Mantel enger und machte sich gelassen auf den Weg zum Durchgang. „Du bringst das besser schnell hinter dich, Rekrut ..“ raunte er dem Tiro im Vorbeigehen zu. „.. oder du hast bei den Urbanern nichts verloren.“



    ***



    Antias registrierte Sulcas’ hämische Kommentare, wie er den Regen registrierte, beiläufig und reglos. Der Cluvier hatte mit alldem nichts mehr zu tun. Er war nicht mehr der Kamerad, den es vor einem unerwarteten Angriff zu schützen galt, er war gar nichts mehr. Miles Cluvius Sulca hatte aufgehört zu existieren lange bevor er im Durchgang verschwand. Von dem Moment an, als Antias den Gladius gezogen hatte, war er alleine gewesen mit diesem erregten Kerl und seinem Küchenmesser. Sein Blick war starr auf die unruhigen Augen des Christianers gerichtet. Nur ein einziger beherzter Stoß, eine knappe flüssige Bewegung aus der Hüfte über die Schulter in den Arm, und die Anspannung würde von ihm abfallen wie Herbstlaub. Oder doch nicht? Der Regen schwemmte ihm den Schweiß in die Augen, wie lange stand er nun schon hier? Stunden? Tage? Vielleicht hatte er wirklich nichts bei den Urbanern verloren, vielleicht fehlte ihm einfach diese Essenz von Wahnsinn, die in altgedienten Milites wie Sulca gärte. Natürlich hätte er den Christianer töten können. Er hätte auch Sulca töten können, oder Hispo oder den Kaiser oder sich selbst. Es zu können war nicht der Punkt. Völlig unerwartet überkam ihn eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Apolonia. Ausgerechnet jetzt. Hätte er auch sie töten können? Das Küchenmesser zitterte, der Gladius nicht. Das also ist die wirkliche Macht, dachte er ernüchtert, zu entscheiden, wen man tötet und wen nicht. Ohne das Schwert zu senken trat Antias langsam und vorsichtig einen Schritt zurück. „Wenn du sterben willst, ist das deine Sache.“ seufzte er müde. „Wenn nicht, lass endlich dieses Scheißding fallen. Ich bin nicht gekommen, um dich zu töten.“ Der Regen wurde immer stärker, ein kalter Wind wehte durch den Hinterhof und zerrte eisig an seiner völlig durchweichten Tunica. „Grundgütiger! Jetzt mach schon!" zischte er den starren Christianer ungehalten an. „Wir sind nicht mal hier, um irgend jemanden zu verhaften, verdammt nochmal! Komm endlich zu dir!

    Warum hatte er nicht gleich den Mund gehalten! Die neuen Kameraden schwiegen noch immer, und dieser verdammte Helm störte ihn beim Nachdenken.
    Die Zusammensetzung einer Legion hätte er herunterbeten können. Sein Vater hatte immer großen Wert darauf gelegt, seinem Sohn die Strukturen ihrer übergeordneten Gemeinschaft nahe zu bringen: Acht Mann gleich ein Contubernium. Zehn Contubernia gleich eine Centurie gleich achtzig Mann. Sechs Centuries gleich eine Cohorte gleich vierhundertachtzig Mann. Neun Cohortes gleich Viertausenddreihundertzwanzig Mann. Plus fünf Doppelcenturies der ersten Cohorte, also achthundert Mann, gleich fünftausendeinhundertzwanzig Mann. Dazu Alae in der Stärke von vier Turmae, also fünftausendzweihundertachtundvierzig Mann. Plus Offizierstab und Tross, also rund zweihundertfünfzig Mann, ergibt eine Gesamttruppenstärke von etwa fünfeinhalbtausend Mann. So hatte es sich in seine Eriinnerung eingebrannt. Nur nutze ihm das jetzt nicht das geringste. Natürlich hatte er sich über die CU informiert, bevor er ihnen beigetreten war, allerdings war sein Wissen bislang eher rudimentär geblieben. Er war einfach dem Rat des Senators gefolgt und hatte sich darauf verlassen, dass man ihm das nötige schon beibringen würde. Ganz sicher war er seiner Sache nicht, aber Centurio und Optio blickten ihn immer noch herausfordernd an, und von den anderen schien sich nach wie vor keiner zu einer Antwort berufen zu fühlen.
    „Zu Befehl Optio Ovidius Mento. Wenn ich recht informiert bin ...“ gab er unsicher Auskunft. „.. bestehen die CU in Roma momentan aus vier Cohortes, der Zehnten, Elften, Zwölften und Vierzehnten zu je sechs Centuries, die sich wiederum aus jeweils zehn Contubernia zusammensetzen. Das ergibt eine theoretische Truppenstärke von eintausendneunhundertundzwanzig Mann in der Hauptstadt.“

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    Caius Raecius Fimbria





    Schon komisch, dachte sich Fimbria, vor ihm standen lauter erwachsene Männer, die auf sich selbst aufpassen konnten, noch dazu bewaffnet, und trotzdem hatte er sich Sorgen gemacht. Nicht zum ersten mal fragte er sich, ob sein Gemüt wirklich die optimalen Voraussetzung für ein Leben als Urbaner bot. Er redete zu viel, er dachte zu viel nach, und dann auch noch über die falschen Dinge. Egal. Sie waren alle wieder wohlbehalten zurück, wenn auch mit teilweise sichtbar mieser Laune.
    „Salve Optio Iunius Avianus!“ salutierte er eifrig. „Bei der Torwache keine besonderen Vorkommnisse so weit. Die .. äh ..“ aufmunternd winkte er Myrsini heran. „.. Serva hat eine Nachricht für dich, Optio. Nur persönlich zu übergeben.“

    Antias war äußerst erstaunt. Anstatt ihn wie befürchtet mit sämtlichen wilden Spielarten kindlicher Phantasie zu überschütten, gab Mustela eine prägnant detaillierte Schilderung dessen ab, was er selbst oder seine kleinen Freunde beobachtet hatten. Zwar machten die Informationen das Bild von Motiv und Hintergrund der Tat kein bisschen klarer, aber dafür konnte der Junge nichts. Aufgewecktes Kerlchen, dachte Antias beeindruckt, vielleicht sollte ich ihm wirklich meinen Helm geben und verschwinden. Der Bengel würde mit seinen Begabungen einen hervorragenden Urbaner abgeben: Scharfe Augen, wacher Geist und ein untrüglicher Blick für das Wesentliche. Zudem schien Mustela über einen ausgeprägten Orientierungssinn zu verfügen, der im chaotischen Gassenwirrwarr der Stadt nicht mit Gold aufzuwiegen war. Nachdenklich betrachtete er die Jungen. „Ich bin Tiro Germanicus Antias.“ sagte er schließlich. „Wo die Urbaner stationiert sind, weißt du ja.“ Mustela blickte mit unverhohlener Enttäuschung zu ihm auf. „Ein Tiro?“ „Ja, Kleiner, nur ein Tiro.“ lächelte Antias bitter. „Aber einer, der dir vielleicht eine Crista besorgen kann ... und für Burschen wie euch möglicherweise irgendwann mal ein paar lohnende Aufgaben haben könnte.“ Mustela zog einen Flunsch. „Jaaa, jaaa .. vielleicht .. möglicherweise .. irgendwann mal .. wann krieg ich den Helm?“ Tja, wann? Vor allem wie? Um Zeit zu gewinnen sah Antias sich nach den Kameraden um. Hispos’ käsiges Gesicht wippte verbissen über die Köpfe der Passanten, die lethargischen Miles hatten sich endlich dazu aufgerafft, den Strom der Menge mithilfe ihrer Scuta eher schlecht als recht zu kanalisieren, der Optio stand sichtlich angespannt am Leichenkarren und hielt die verstümmelte Hand des Syrers in die Höhe. Höchste Zeit, die Zeugenvernehmung zu beenden. „Wird ‚ne Weile dauern.“ wandte er sich knapp an Mustela. „Kannst ja mal am Tor nachfragen, ich muss weg.“


    Kopfschüttelnd arbeitete er sich durch die Menge auf den Optio zu. Eine Crista für den Jungen, hatte er den Verstand verloren? Optio Avianus forderte gerade in ausgesprochen übellaunigem Tonfall eine Erklärung für die verschwundenen Finger des Händlers. Der Cluvier stand ein wenig abseits und verzog keine Mine. Antias mahlte wutentbrannt mit den Backenzähnen, blutverschmiert wie er war, würde man am Ende noch ihn selbst verdächtigen, der Leiche die Finger abgeschnitten zu haben. Aber immer eines nach dem anderen, irgendwann würde er sich diese elende Ratte von Miles vorknöpfen.
    „Optio Iunius Avianus!“ machte er verkniffen Meldung, „Einige Augenzeugen befragt! Über den Hergang selbst nichts Neues! Die Ringfinger des Opfers ...“ Einen unmerklich kurzen Augenblick sah er zu Sulca hinüber. Im Gesicht des Miles stand nun eine Mischung aus Neugier und Belustigung. Natürlich würde das miese Schwein alles ableugnen und sein Wort gegen das eines unbedarften Rekruten stellen. Wem von beiden man in diesem Fall Glauben schenken würde, stand außer Frage. „ .. da scheint sich ein gewissenloser Straßendieb im Schutz der Menge bedient zu haben.“


    ***


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    Sextus Peducaeus Hispo



    Bedeutend wohler war Hispo nach wie vor nicht zumute. Immerhin hatte der Tadel des Optio wenigstens wieder etwas Leben in ihn gebracht, auch wenn ihm der Befehl, die Leute zu vertreiben, beunruhigend kryptisch in den Ohren hallte. Die Menge auflösen? Auf einem Markt? Mitten in Rom? Eben so gut hätte man ihm befehlen können, mit einer Schaufel voll Sand den Tiberis aufzustauen. Aber was befohlen wurde, musste irgendwie auch ausführbar sein, oder nicht? Missmutig begann er damit, die Schaulustigen vom Karren abzudrängen, kaum hatte er allerdings etwas Platz hinter sich geschaffen, strömten neue Gaffer in den freien Raum nach, da waren die restlichen Milites mit ihren aufgestellten Scuta auch keine große Hilfe. Endlich kam ihm eine Idee. Mit gewichtigem Blick und Dringlichkeit in der Stimme mahnte er die herbeiströmenden Gaffer: „Vorsicht! Haltet Abstand! Es besteht Ansteckungsgefahr!“ Das wirkte schließlich, und je lichter es um den Karren wurde, desto freier konnte Hispo durchatmen. Die Übelkeit legte sich zusehends, stattdessen beschlich ihn der dumpfe Verdacht, dass es nicht das Blut gewesen war, was ihn fast umgeworfen hatte, sondern die schiere Menge der drückenden schiebenden Leiber um ihn her.

    Das Interesse an dem blutigen Zwischenfall hatte sich schnell wieder gelegt. Laut und träge wie zuvor schob sich der bunte Menschenstrom weiter, nur vereinzelt blieben Passanten kurz am Karren stehen, starrten teilnahmslos auf die Toten, und gingen kopfschüttelnd weiter. Da Antias bei den Leichen nicht mehr viel ausrichten konnte, quetsche er sich unsanft zum Stand des Händlers durch, um Scutum und Hasta wieder an sich zu nehmen. Der Warenvorrat des Syrers war inzwischen deutlich zusammengeschmolzen. Außer einigen Stoffballen, die der Händler in weiser Voraussicht schwer erreichbar unter den Tisch gestopft hatte, waren nur noch die blutbespritzen Kleidungsstücke übrig, und selbst die wurden von wenig wählerischen Interessenten Teil für Teil davon geschleppt. Eigentlich hätte er dem Treiben Einhalt gebieten sollen, aber wozu? Der Großteil der Ware war bereits verschwunden, zudem gab es keinen Eigentümer mehr, der seines Schutzes bedurft hätte. Es war ihm völlig klar, dass auch die Ballen binnen kürzester Zeit neue Besitzer finden würden, und seien es die eigenen Kameraden oder eine paar Vigiles. Natürlich hätte er sich auch selbst bedienen können, niemand hätte daran Anstoß genommen. Allerdings konnte er mit Stoffballen nicht das geringste anfangen und außerdem war ein Tiro in diesem Fall der letzte in der Verteilungskette.


    Seufzend blickte er auf den sich leerenden Warenbestand. Wie Apolonia wohl dieses sanfte Grün stehen würde, träumte er vor sich hin, oder dieses dunkle Kupfer? Während er im Geiste Apolonias’ meergrüne Augen über den verschiedensten Stoffen leuchten sah, trat ihm jemand in die Wade und zerrte gleichzeitig an seinem Mantel. „Hee du Miles!“ erklang eine ungeduldige hohe Stimme hinter ihm. Antias drehte sich ungehalten um. Vor ihm stand eine Gruppe neugierig glotzender Knirpse, Schulkinder vermutlich, die ihrem Lehrer irgendwie abhanden gekommen waren. Einer der Jungen hatte die Hände herausfordernd in Seite gestemmt und grinste ihn unverfroren an. Da war wohl ein etwas strengerer Ton angebracht. Antias beugte sich mit glühenden Augen vor. „Tritt mich noch einmal, du kleiner Scheißer, und ich trete zurück! Was wollt ihr?“ Sichtlich unbeeindruckt ließ der Bengel zwei unvollständige Zahnreihen aufblitzen. „Ich weiß was, aber ich will was dafür.“ Antias fluchte. Für derlei Spielchen hatte er weder Zeit noch Nerven. „Das ist hier nichts für euch! Geht zu eurem Ludimagister zurück.“ Die Jungen brachen unisono in schrilles Gelächter aus. Erst auf den zweiten Blick erkannte Antias den leicht verwahrlosten Zustand der Kinder. Allesamt steckten sie in fleckigen teilweise zerrissenen Tunicae, hatten entweder gar keine Schuhe oder mehrfach geflickte Calcei an den Füßen und schienen schon seit geraumer Zeit keine Bekanntschaft mehr mit Kamm oder Strigilis gemacht zu haben, von der erzieherischen Hand eines Lehrers ganz zu schweigen. Was er da vor sich hatte war keine ausgebüxte Schulklasse, sondern eine halbverwilderte Bande diebischer Rotznasen, die eine Tracht Prügel nur so lange beeindruckte, bis der Hintern wieder abgeschwollen war. Entsprechend selbstbewusst trat der schwarzhaarige Wortführer noch einen Schritt näher. "Ich weiß, wo er hin ist, was krieg ich dafür?“ lispelte er durch die Zahnlücken. Antias lehnte sich gähnend auf sein Scutum. „Wo wer hin ist?“
    „Der flinke Orientale mit der geklauten Wachstafel. Was gibst du mir dafür?“
    Schau an, der Kleine hatte wohl wirklich etwas beobachtet, also stammten die Wachsplättchen an der Kleidung des Mörders tatsächlich von einer Tabula. Betont gleichgültig fragte Antias nach. „Dann hast du gesehen was passiert ist, oder?“
    „Vielleicht. Was krieg ich?"
    Bei den Titten der Fecunditas, war das Bürschchen hartnäckig! „Ich hab kein Geld dabei, tut mir leid.“
    „Macht nix, dann nehm ich deinen Helm.“
    „Meinen .... was willst du denn damit?“ lachte Antias schallend auf. „Drin baden?“
    „Brauchst gar nicht so blöd zu lachen!“ maulte der Kleine beleidigt. „So schön isser auch nicht. Eigentlich will ich nen Centuriohelm.“ Antias konnte sich vor Lachen kaum mehr aufrecht halten. Er malte sich aus, wie das Kerlchen mit schaukelndem Cassis blind durch die Menge tappte, den Busch der Crista bis über die Ohren hängend und die Wangenklappen waagerecht auf den schmalen Schultern balancierend. Wütend blickte der verhöhnte Rotzlöffel auf seine Freunde, richtete sich zu seiner ganzen eher geringen Größe auf und entgegnete großspurig: „Nun gut, Urbaner, wie du wünschst. Dann teil ich mein Wissen eben mit einem deiner Kameraden.“
    „Tu das.“ prustete Antias. „Aber ich fürchte, einen Helm wirst du trotzdem nicht kriegen.“
    „Aber vielleicht einen der Ringe." triumphierte der kleine Bandenführer, gab den anderen Jungen Zeichen, ihm zu folgen und setzte sich in Bewegung. Das Lachen blieb Antias jäh im Hals stecken. „Wartet mal!“ Die Burschen dachten gar nicht daran, geschickt schlängelten sie sich durch die Menge und drohten, ihn ihr zu verschwinden. Antias pflügte mit vorgehaltenem Scutum hinterher und bekam das Früchtchen schließlich an der Tunica zu fassen. „Welche Ringe?“ fauchte er den Kleinen an. Der zappelte und spuckte, was freilich wenig half. Die anderen Jungen waren nun ebenfalls stehen geblieben und starrten ratlos auf ihren Anführer. Offenbar galt es hier, vor den Gefolgsleuten Haltung zu bewahren, denn der zappelnde Bursche wurde plötzlich ruhig und nahm einen Gesichtsausdruck an, den er wohl für würdevoll hielt. „Welche Ringe?“ wiederholte Antias nun auch etwas sanftmütiger.
    „Na, die dein Kumpel da drüben dem dicken Händler abgenommen hat!“ Ein schmutziger kleiner Finger zeigte durch die Passanten zu einer Hauswand hinüber, an der kauend Cluvius Sulca lehnte. „Der ist sicher großzügiger als du! Und jetzt lass mich los!“ Antias ließ nicht los. Sulca. Natürlich. Der würde dem kleinen Gassenjungen seine Großzügigkeit zeigen, indem er ihn windelweich prügelte, so lange, bis der ihm bereitwillig alles erzählen würde, was er gesehen hatte. „Das wirst du schön bleiben lassen.“


    Götter! Was sollte er mit den Kindern anfangen? Schön, sie hatten also gesehen, dass jemand eine Tabula entwendet hatte. Na und? Es würde sicher keine Nachforschungen geben. Nicht eines gemeuchelten Händlers wegen, eines Syrers zumal, dessen Mörder noch dazu bereits tot neben dem Opfer lag. Andererseits war das Ganze so bizarr, dass er selbst gern mehr darüber erfahren hätte, der Optio vielleicht auch. „Wie heißt du, Junge? Oder kostet die Information auch schon was?“ fragte Antias gutmütig. Der Kleine schien ernsthaft über einen entsprechenden Preis nachzudenken, besann sich dann wohl eines besseren und presste bockig „Mustela.“ hervor. „Also, hör zu Mustela. Das mit den Ringen des Händlers vergisst du sofort! Hast du mich verstanden?“ Zaghaftes Nicken. „Gut. Was den Mann mit der Tabula angeht .. ich mach dir einen Vorschlag: Du erzählst mir genau, was ihr gesehen habt, und ich versuche, eine Crista für dich zu organisieren .. irgendwie. In Ordnung?“ Scheinbar nicht. Der Kleine glaubte ihm offensichtlich kein Wort. Antias glaubte ja selbst kaum, was er da erzählte. „Ich geb’ dir mein Wort.“ redete er trotzdem weiter geduldig auf Mustela ein. „Von den anderen bekommst du höchstens einen Arschtritt, davon hättest du auch nix, oder?“ Nach einigen Augenblicken des Nachdenkens fragte Mustela halb ungläubig halb hoffnungsvoll: „Und wie willst du das machen mit dem Helm?“ Ausgesprochen gute Frage. Antias hatte einfach kein Talent für ersonnene Geschichten. „Ich hab’ noch keine Ahnung.“ gab er stöhnend zu. „Überleg’s dir.“ Mustela blickte wieder seine Freunde an und kaute auf der Unterlippe. „Na gut. Also, ich weiß wie er aussieht und wo er hin ist.“

    Der Messerstecher war ein ganz schöner Brocken. Ein armes Schwein, vielleicht, aber keinesfalls unterernährt. Antias ließ schnaufend die Füße des Mannes los, an denen er ihn durch den Dreck gezogen hatte. Ob sich einer der Kameraden dazu herablassen mochte, ihm beim Beladen des Karrens behilflich zu sein? Wohl eher nicht. Forschend blickte er sich um. Der Cluvier stöberte in der Ware des Händlers, Hispo stand etwas schwankend beim Optio, die restlichen Milites hatten sich regungslos zwischen den Schaulustigen postiert und glotzten kaum intelligenter auf die Szenerie als das umstehende Volk. Natürlich. Warum sich die Finger schmutzig machen, wenn man Tirones dabei hatte, dämliche Mistbande. Seufzend packte Antias den Toten unter den Schultern und wuchtete ihm mühsam auf den Karren. Während er die gefundenen Habseligkeiten in einen der Beutel stopfte, drängte sich schon wieder die Gaffer um den Karren. Derlei Verhalten war ihm schon immer ein Rätsel gewesen, man sollte doch annehmen, dass es in einem lebendigen Gesicht weit mehr zu bestaunen gab als in dem einer Leiche. „Kennt jemand den Mann?“ fragte er ohne große Hoffnung in die Runde. Wie erwartet: Aufgeregtes Gemurmel, keine Antwort. Man kannte das, jeder wusste genau, was passiert war, aber keiner hatte irgendetwas gesehen. „Dacht ich mir. Dann lasst mich wenigsten durch, verdammt nochmal!“ Fluchend schob er sich durch die Menge auf die Leiche des Syrers zu. Kein Wunder, dass Hispo so blass um die Nase war, der Händler schwamm geradezu in seinem Blut. Widerliche Sache das, ging es ihm durch den Kopf, und schwerer als der andere ist er auch, verflucht. Nach ein paar tiefen Atemzügen packte er den Syrer an den Fußknöcheln um ihn in einer breiten braunen Blutspur davon zu schleifen. Zurück am Karren trat unvermittelt Sulca hinzu, griff die Hände der Leiche und sah den Tiro herausfordernd an. Lieber hätte Antias den massigen Leichnam alleine auf den Karren bugsiert als sich von diesem Drecksack helfen zu lassen, aber Sulca schien fest entschlossen, dem Rekruten zur Hand zu gehen, warum auch immer. Mit vereinten Kräften schwangen sie den toten Händler zu seinem Mörder auf den Karren. Das war also erledigt. Den Karren würde er nicht alleine schieben, so viel stand fest. Um der unerwünschten Gesellschaft des Cluvius zu entgehen, machte er ein paar Schritte in die Menge und hielt nach Hispo Ausschau. Der stand noch immer bleich vor dem Optio und präsentierte seine Fundstücke. Gut, dann würde er eben warten, die Leichen liefen ja nicht mehr weg. Als er zurück an den Karren kam, war Sulca verschwunden. Antias atmete erleichtert auf und stellte im gleichen Moment fest, dass dem Syrer zwei Finger fehlten.



    ***



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    Sextus Peducaeus Hispo



    Hispo leckte sich einen unangenehmen Schweißfilm von der Oberlippe. Aus welchem Grund? Was genau wollte der Optio hören? Dass ihm sein Tiro jeden Moment über die Caligae kotzen würde? „Es würde nicht lange dauern, Optio .. mir .. ist nur etwas .. blümerant zumute.“ Hispo schluckte. „Da muss irgendwas im Essen gewesen sein .. ich, äh ..“ Er schluckte nochmal und war sich dabei erschreckend bewusst, dass es nicht mehr lange beim Schlucken bleiben würde

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    Sextus Peducaeus Hispo



    Götter! Was für eine verfluchte Sauerei! Mit spitzen Fingern löste Hispo den glitschigen Geldbeutel des Händlers vom Gürtel. Prall gefüllt. Ein kurzer Blick offenbarte Münzen in stattlicher Anzahl, fünfzig Sesterzen waren das mindestens. Der hier war also kein so armes Schwein gewesen wie sein Mörder. Tot war er trotzdem. Zum gefühlt hundertsten Mal wischte sich Hispo die blutigen Hände am Mantel ab und warf den Beutel zu den anderen Gegenständen, die er bei dem Toten gefunden hatte: Ein kurzes Schälmesser mit stumpfer Klinge, ein Faltmaßstab aus Holz, ein kleiner Drehschlüssel an einer Hanfschnur. Dazu kamen noch zwei Ringe, die Hispo auch beim besten Willen nicht von den blutverschmierten Wurstfingern bekommen hatte. Wer die Dinger haben wollte, musste die Finger dazu nehmen, und er war verdammt nochmal kein Metzger. Angewidert sammelte er die Fundstücke auf und erhob sich. Die Luft zwischen all den Schaulustigen schien plötzlich stickig geworden zu sein, ein paar Augenblicke drehte sich der Markt vor seinen Augen. Dann wurde es wieder besser und er erkannte die Kameraden in der Menge. Der Optio wurde von einer alten Matrone belagert, Antias war dabei, die Leiche des Angreifers zum Karren zu ziehen und Sulca wühlte am Verkaufsstand des Händlers herum. Mit etwas unsicheren Schritten stakste Hispo zum Optio, ließ den Redefluß der Alten verebben und machte schließlich mit belegter Stimme Meldung. „Optio Iunius Avianus! Leiche des Opfers durchsucht. Ein Beutel mit fünfzig bis sechzig Sesterzen. Ein Schälmesser. Ein Ellenmaß. Ein Schlüssel. Zwei versilberte Fingerringe .. äh .. festsitzend. Bitte kurz wegtreten zu dürfen.“

    „Verstanden, Optio!“ Antias lehnte Scutum und Hasta an den mit Blut bespritzen Stand des ermordeten Händlers und sah eine Weile unschlüssig auf die Toten hinab. Beide Männer starrten mit gebrochenem Blick aus verzerrten Zügen ins Leere, doch im Gegensatz zum syrischen Händler, dem der Ausdruck ungläubigen Entsetzens in die Mine gegraben war, wirkte das Gesicht des Angreifers unter der Maske des Schmerzes seltsam gefasst. Wie ein Irrer sah der Kerl jedenfalls nicht aus, aber irre musste man schon sein, um eine solche Tat zu begehen, oder? Stöhnend ließ sich Antias auf die Knie sinken. Wie auch immer, irre oder nicht, in erster Linie war der Bursche tot, und er würde sich jetzt mit seinem Blut besudeln müssen, mit Blut, das noch kaum geronnen war, den Göttern sei Dank. Das Blut einer frischen Leiche war ihm immer noch lieber als die Fäulnissäfte eines halbverwesten Kadavers, von den Ausdünstungen ganz zu schweigen. Hier vernahm er nur den sauren Geruch von Angstschweiß, Mord schien kein leichtes Geschäft zu sein. Vorsichtig zog er die blutigen Falten der schlichten weißen Wolltoga auseinander. Vom Hals des Toten hing an einem Lederband ein kleiner Phallus aus Walnussholz. Manneskraft und Fruchtbarkeit, dachte Antias bitter, wie sinnig für einen schwachen Charakter, der anderen und sich selbst das Leben nimmt.


    „So einen hab ich auch.“ hörte er plötzlich Hispo hinter sich sagen und fuhr erschrocken herum. Sein Kamerad stand mit geweiteten Augen über die Leiche gebeugt und beobachtete interessiert, was Antias da anstellte. „Was hast du auch?“ zischte dieser nervös. „So'nen Holzschwengel. Also .. als Amulett mein ich.“ Ja, so was passte zu Hispo wie der Arsch in den Holzeimer. „Billiger Krempel .. wirkt aber.“
    Das war ja hoch erfreulich. Schnaufend befasste sich Antias wieder mit der Leiche. Am Gürtel entdeckte er einen alten Lederbeutel, nahm ihn ab, öffnete ihn: Eine Handvoll Kleingeld, sonst nichts. „Armes Schwein .. da hab ja sogar ich noch mehr im Sack.“ kommentierte Hispo mitfühlend. „Kein Wunder, dass der so verzweifelt war.“ Antias ignorierte Hispos Geschwätz, riss das Amulett ab, legte ies neben den Toten und hob den Pugio auf. Keine sehr gute Arbeit. Der Griff war grob geschnitzt und die bluttriefende Klinge leicht schartig. "Für 'nen dritten Mann hätt's mit dem Ding nicht mehr gereicht.“ Das mochte sogar stimmen, dennoch war Antias der fachkundigen Kommentare aus der zweiten Reihe langsam überdrüssig. „Hispo! Bitte! Da drüben liegt noch einer. Wenn du die Güte hättest?“ Murrend schob Hispo ab und begann sich widerwillig am Leichnam des Händlers zu schaffen zu machen. Antias suchte unter der Toga weiter nach persönlichen Gegenständen des Angreifers, fand aber nichts bis auf ein paar dünne Wachsplättchen, die teils an der Innenseite der Toga, teils an der Tunica klebten. Hispo hatte recht behalten, das war zu Lebzeiten wohl wirklich ein armes Schwein gewesen. Aber ein durchtrainiertes armes Schwein, das genau gewusst hatte, wohin es seine Stiche setzten musste, um einen schnellen Tod herbeizuführen. Antias nahm die wenigen Habseligkeiten zusammen, stemmte sich hoch und ging zum Optio hinüber.
    „Optio Iunius Avianus! Leiche des Angreifers durchsucht. Ein billiges Amulett, Dutzendware. Ein lederner Geldbeutel mit fünf Sesterzen und drei Assen. Ein mäßig verarbeiteter Pugio, keiner von unseren. Und ein paar Plättchen Wachs, vielleicht von einer Kerze oder einer Tabula. Die Leiche des Händlers wird noch untersucht!“

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    Caius Raecius Fimbria


    Unwillkürlich brandete ein leises Lachen über seine Lippen. Die Sorge um den Zustand seiner Lorica war so ziemlich das letzte, was ihm als Argument eingefallen wäre. In der Tat war das Wetter seiner Rüstung nicht gerade zuträglich, allerdings traf das auf fast jede Witterung zu. In den Strahlen der Sommersonne wurden die Spangen glühend heiß und verformten sich, Kälte dagegen machte sie spröde und die Scharniere schwergängig, Feuchtigkeit ließ die Lederschlaufen quellen, und kroch in die Filzpolster. An manchen Tagen kam ihm das starre Gerüst lebendiger vor als er selbst. Heute jedoch nicht. Nicht in Myrsinis' Nähe. Verglichen mit ihrem Panzer erschien ihm der seine leicht und flüchtig. Er würde die schützende und zugleich einengende Last am Abend ablegen, Myrsinis' Rüstung war offenbar Teil ihrer selbst geworden. Es hätte ihrer unauffälligen Andeutungen nicht bedurft. Dass er es mit einer Serva zu tun hatte, war ihm von Anfang an klar gewesen, schließlich hatte sie ja selbst gesagt, in wessen Auftrag sie die Nachricht überbringen sollte. Ihre würdevolle Zurückhaltung rührte ihn an. Sie war eine Sklavin und sich dessen in jedem Augenblick bewusst. Er war kaum mehr als ein Sklave, konnte sich aber im Gegensatz zu ihr wärmenden Illusionen von einer fernen selbstbestimmten Zukunft hingeben.


    Natürlich war es ihm nicht erlaubt, sich während der Wache vom Tor zu entfernen, trotzdem kam das gar nicht so selten vor. Wenn er ihre Nachricht überbracht oder den Optio ans Tor geholt hätte, wäre Marullus ebenso wie jetzt eine Weile allein zurecht gekommen, erst recht bei einer solch tröpfelnden Mengen an Passanten. So lange Fimbria Tor und Vorplatz im Auge hatte und Marullus jederzeit mit einigen schnellen Schritten erreichen konnte, bestand durchaus die Möglichkeit für ein paar befreiende Atemzüge an Myrsinis' Seite. Mit einem dankbaren Schmunzeln trat er unter das Vordach, nahm den Krug vom Boden auf und goss sich etwas Posca in den Becher. Myrsini hielt sehr bewusst den ihr wohl geboten erscheinenden Abstand, was Fimbria mit einem warmen Lächeln registrierte. „Keine Sorge Myrsini, ich werde nur einen Schluck trinken und mich ein paar Minuten an deiner Gegenwart erfreuen, dann geh ich wieder.“ Ob sie das wohl verstand? Plötzlich wusste er nicht mehr wohin mit seinem Blick und sah verunsichert auf ihre Füße. „Es ist eben nur so .. du hast etwas an dir, das mir zu Herzen geht ..“ hörte er sich sagen, „ .. und ich kann freier atmen in deiner Gegenwart ..“ Bei den Göttern! Schon sein Vater hatte ihm immer orakelt, dass sein Hang, die Dinge auszusprechen ihm irgendwann das Genick brechen würde. Hastig nahm er einen Schluck Posca, räusperte sich und sah sie wieder an. Ihrer Mine war auf den ersten Blick nicht abzulesen, ob er Schaden angerichtet hatte. Erneut räusperte er sich und fragte in leidlich gefasstem Tonfall: „Und du, Myrsini? Was lässt dich freier atmen? Ein Lied vielleicht, wie das eben?“


    Myrsini schwieg. Natürlich tat sie das, was hatte er denn erwartet? Fimbria nahm beklommen einen weiteren Schluck. War er zu weit gegangen? Höchstwahrscheinlich, musste er sich eingestehen, aber das war es nicht alleine. Er war nicht nur zu weit gegangen, sondern hatte dabei einen Weg eingeschlagen, der meilenweit an Myrsini vorbei in’s Leere führen musste. Sie hatte ihre eigene Wege, die sich mit den seinen an keiner Stelle jemals kreuzen würden, und wenn er auch zu naiv gewesen war, das zu erkennen, Myrsini war sich dessen sehr wohl bewusst. Was nützte jede Offenheit, wenn man sein Gegenüber damit nur brüskieren konnte? Sie war ein instrumentum vocalis, und solange er daran nichts zu ändern vermochte, hatte er auch nicht das Recht, sie durcheinander zu bringen. „Tut mir leid, Myrsini ..“ sagte er leise mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme. „.. ich rede einfach zu viel.“ Traurig leerte er den Becher, sah sie kurz an und machte sich dann auf den Rückweg zum Tor. Kaum hatte er wieder bei Marullus Stellung bezogen, streckte sich der Zwilling, spähte über den Vorplatz und zeigte schließlich mit ausgestrecktem Arm nach Westen. Fimbria blickte an Marullus’ Arm entlang. Auf der Vorstadtgasse näherte sich ein Trupp Milites den Castra und nach wenigen Augenblicken zeichneten sich wohlbekannte Gesichter vor dem Regenschleier ab. Fimbria war erleichtert und erfreut, ihretwegen. Wenigstens hatte die faszinierende dunkle Serva nicht umsonst warten müssen. „MYRSINI!“ rief er lächelnd zum Vordach hinüber, „SIE KOMMEN! Ich werd’ dem Optio gleich Bescheid geben!“

    Mich schwitzen sehen? repetierte er im Geiste den Ausspruch des Optio, ohne dabei den lauernden Hispo aus den Augen zu lassen. Was glaubt der Kerl, was mir da von der Stirn tropft, Pisse? Aber gut, er soll seine Vorstellung haben. Antias wischte die Handflächen an der Tunica ab, machte sich klein, stürmte unvermittelt auf Hispos' Körpermitte zu und umschlang die Hüften des Riesen. Wie erwartet konterte Hispo den Angriff, in dem er seinen Gegner am Nacken packte und nach unten drückte. Antias zog sich schnell zurück und versuchte es auf's neue, zweimal, dreimal, Hispos lange Arme bekamen ihn immer wieder zu fassen und es wurde jedes mal kraftaufwändiger, sich aus den Griffen zu lösen. Nach dem vierten Versuch ging Hispo zum Gegenangriff über. Mit triumphierendem Grinsen schoss er heran und versuchte Antias' Schultern zu erwischen. Der hingegen wich einen Schritt zurück, schnappte sich beidhändig Hispos linken Arm und riss den Angreifer in einer Abwärtsdrehung auf die Knie. Den Arm immer noch fest umklammert schwang Antias das Bein über Hispos Rücken und hebelte dessen Arm so lange gegen die rechte Schulter, bis Hispo keuchend auf dem Gesicht landete und mit der verblieben freien Hand in den Staub schlug. Antias ließ los, Hispo kam schnaubend auf die Beine und sie umrundeten sich wiederum. Ein paar Finten folgten, zweimal knallten sie mit den Köpfen zusammen, dann stürzte Hispo wieder vor. Antias hatte mit einer erneuten Attacke auf Schultern und Nacken gerechnet, aber Hispo glitt seitlich vorbei, erwischte mit der Armbeuge Antias' Hals und schleuderte ihn mit dem Rücken voran auf den Boden. Mit klebrigem Staub in Mund und Augen versuchte Antias, sich zu drehen aber Hispo war bereits zur Stelle und presste ihm das Knie auf's Sternum. Antias hieb in den Dreck, Hispo ließ ihn hochkommen und das Spiel ging wieder von vorn los. Finten, Angriffe, Würfe, Hebel – so lange, bis sie verdreckt und verschwizt so glitschig geworden waren, dass sie sich kaum mehr zu fassen bekamen.