Beiträge von Titus Germanicus Antias

    Seit den späten Morgenstunden hatte der Lärm von der Stadt her stetig an Lautstärke zugenommen. Gelächter, Sprechchöre, Gesänge, Trommeln, Flöten – das Volk von Rom gab sich hemmungslos der Feier Iuppiters und seiner Gemahlin hin. Der Dienst in den Kasernen war den Tag über zwar ungehindert weiter gelaufen, aber das unüberhörbare Treiben hatte sich den Soldaten allmählich auf's Gemüt gelegt. Während der anstehende Ausgang in Teilen der Urbaner ein debiles Dauergrinsen entfesselt hatte, stand dem leer ausgegangenen Rest der Einheiten der Missmut in tiefen Falten ins Gesicht geschrieben. Allein die Vielzahl der Pflichten und die verinnerlichte Disziplin hatten die Männer einigermaßen ausgefüllt durch den Tag getrieben.


    Nun begann es zu dämmern. Die Tore der Castra hatten sich lärmend geschlossen und der Appell war überstanden. Auf den Wehrgängen und an den breiteren Gassen wurden nach und nach die Wandfackeln entfacht. Von den wuchtigen Mauern zurückgeworfen mischte sich das abgehackte Stampfen von Soldatenstiefeln mit dem Gelärme der feiernden Römer, die erste Nachtwache rückte aus. Während sich in den Baracken der Urbaner schwatzende Soldaten um die Kochstellen drängten, waren Antias und Hispo vor den Unterkünften zurückgeblieben. Schweigend standen sie neben einem halben Dutzend widerlich stinkender Holzfässer und spähten konzentriert in den erlöschenden Abendhimmel.


    Beim Morgenappell hatte Antias endlich den mit Bangen und Hoffen erwarteten Tagesbefehl empfangen: Dienst wie gehabt. Keine Patrouille in der Stadt, keine Verstärkung der Wachen und natürlich schon gar kein Ausgang. Zunächst war er erleichtert darüber gewesen. Seine Szenarien für einen abendlichen Einsatz erschienen ihm – gelinde ausgedrückt – noch nicht vollkommen ausgereift und hatten ihn zudem in quälende Gewissensnöte gestürzt, denn die Vorstellung, seinen Posten während des Dienstes zu verlassen war ihm von Tag zu Tag unerträglicher geworden. Andererseits musste er sich eingestehen, dass auch die Nächte nicht völlig ihm gehörten. Dienstschluss hieß nicht Dienstende. Sein Dienst war ihm, wie er mit Erstaunen feststellte, in all der Zeit immer wichtiger, nahezu heilig geworden, und paradoxerweise hatte Apolonia einen erheblichen Anteil daran. Er hatte nur dieses eine Leben und sie stand nicht außerhalb davon, sondern mitten darin. Was an Rom mitsamt seinen unzähligen Bewohnern hätte er künftig leidenschaftlicher verteidigen können als sie? Hispo sah das mit völlig anderen Augen. Verstohlen blickte Antias zu seinem schweigenden Kameraden. Bei den Göttern, war der hochgegangen als er ihn eingeweiht hatte! Hispo hatte seinen Seitenblick bemerkt.
    „Willst du was sagen?“
    „Nein. Du?“
    „Hab ich schon. Nützt bloß nix.“


    Oh ja, hatte er. Die Leviten waren Antias gelesen worden wie seit den Tagen seiner Kindheit nicht mehr. Morgens, mittags, abends – in jeder freien Minute. Hinter einer vorgeschobenen Maske aus Sturheit hatte Antias den Tiraden durchaus aufmerksam gelauscht. Mit manch einem Argument würde er sich noch auseinandersetzen müssen. Viel Wahres war an Hispos Worten gewesen, wirklich verstanden jedoch hatte er Antias nicht, und doch half er ihm. Sogar mehr als das. Er hatte Antias' ohnehin schon wacklige Pläne noch um ein paar nicht minder wacklige Details ergänzt, hatte sich unter windigen Vorwänden in den Unterkünften sämtlicher Urbaner nach Ausgangsgenehmigungen und Krankenständen erkundigt und schließlich sogar angeregt, auch Fimbria einzuweihen.
    Der wiederum hatte Antias' Problem sofort verstanden. Als der Tagesbefehl schließlich ergangen war, und der entsprechende Plan zur Ausführung anstand, hatte Fimbria umgehend bei seinen neuen Sangesfreunden vom ersten Contubernium drei weitere Fischfässer organisiert, was freilich nicht allzu viel Überredungskunst erfordert hatte. Antias hatte es übernommen, den fauligen Inhalt des geplanten Transportfasses portionsweise in den Latrinen verschwinden zu lassen und den Rest der Fässer mit zwei Krügen Garum von den Zwillingen plus zwei Eimern Fäkalien aus der mit Fisch verstopften Latrine anzureichern. Eigentlich bereits genug Unterhaltungsprogramm für einen einzelnen Tag, aber es war eben nicht der Tag, auf den es ankam, sondern der Abend.


    >>

    Aaah ja. Antias' morgensteife Gehirnwindungen verkrampften sich um die eben erhaltene Anweisung und versuchten den Informationsgehalt herauszuquetschen. Salutieren, in Ordnung. Grüßen mit Rang und Namen, in Ordnung. Also kein allgemeines urbaniciani te salutant oder so was. Soweit klang alles logisch, so logisch, dass er eigentlich selbst hätte drauf kommen müssen. Nur, wen sollten sie grüßen? Optio oder Centurio? Beide?


    Er begann sich zu fühlen wie der letzte Bauerntrottel aus der Provinz, was er im Grunde auch war, obwohl es bislang noch nicht einmal zum Bauern gereicht hatte. Und zum Miles wird's auch nicht reichen, wenn das hier so weiter geht, sagte er sich ernüchtert, nicht wenn der Letzte Tiro mit der Befehlsausführung wartet, bis der vorletzte es ihm vorgemacht hat. Beim Iuppiter, bei dem Tempo würde er graue Haare bekommen, bevor die Ausbildung beendet war. Also beschloss Antias hier und jetzt, künftig lieber einen Fehler zu riskieren als sich passiv und anonym in den Reihen seiner neuen Kameraden zu verstecken. Schließlich war er nicht blöd und feige schon gar nicht. Aber mitunter verdammt unkonzentriert, wie er feststellen musste, denn ein Teil der Tirones hatten den Gruß bereits ausgeführt, während er seinen Gedanken nachgehangen war, asynchron zwar und zögerlich, aber ohne Zweife schneller als er. Mist!


    Hektisch rammte er sich die Faust gegen die Brust, streckte den Arm und pickte sich in seiner Verzweiflung den Offizier aus, der ihm am nächsten stand.
    „Salve, Optio Ovidius!“

    Antias erstarrte. Aus allem Geschrei und Gewisper der Stadt, aus allem vielzüngigen Getöse des Imperiums, selbst aus dem höllischen Fauchen des Cerberus hätte er ihre Stimme herausgehört, mochte sie noch so zaghaft und leise sein. Für einen schrecklichen Augenblick befürchtete er, die durchwachten Nächte hätten begonnen, an seinem Verstand zu nagen und ihn mit Trugbildern heimgesucht. Aber er hatte ihre Stimme gehört, deutlicher als zuvor noch seine eigene und die des Sklaven.


    „Sie ist?“ hörte er sich keuchen und bemerkte Babilas Fingerzeig und dessen unsicheren Blick zur Sänfte. Konnte das wahr sein? Ohne die Träger eines Blickes zu würdigen trat er langsam an den sanft wehenden Vorhang.
    „Apolonia?“ fragte er zögernd und kam sich unfassbar närrisch vor, mit einem Vorhang zu reden. „Bist du das?“
    Närrischer ging's nun wirklich nicht mehr, er spürte doch, dass sie es war.
    „Geht es dir gut?“ Oh bei allen Wassern des Lethe, Mädchen, sag irgendwas, egal was, oder ich fall dir hier noch tot vor die Füße. Nicht das schlechteste Ende, dachte Antias sehnsuchtsvoll und begann zu lächeln. Aber vielleicht etwas sinnlos und vorzeitig. So langsam bekam er sich wieder in den Griff.


    „Nun, was führt meine wunderbare Gazelle unter die Ochsen und Esel?“ fragte er lächelnd den Vorhang und hätte ihn am liebsten samt Kordeln und Ösen herausgerissen.

    „Alles gut .. kein Grund, nervös zu werden.“ versuchte Antias sowohl sich selbst als auch den Sklaven zu beruhigen. Man durfte Babila nicht überfordern, erinnerte er sich, die Nerven des armen Kerlchens schienen permanent in Fetzen zu hängen. Vorsichtig legte er Babila die Hand auf die Schulter und senkte die Stimme.


    „Ist mit Apolonia alles in Ordnung? Geht es ihr gut?“
    Was tust du hier? Hat sie die Nachricht erhalten? Lacht sie? Ist sie glücklich? Schläft sie tief? Atmet sie schnell oder langsam? Ruhig, verdammt! Eines nach dem anderen!
    „Nur ruhig, Babila .. erzähl einfach.“

    Wenn es stimmte, dass die Welt ein Dorf und Rom das Forum war, schien das Westtor die Latrine zu sein. Immer die gleichen Gestalten. Mit der Zeit hatte Antias sich die Gesichter der Laufburschen, Meldegänger und Lieferanten eingeprägt und festgestellt, dass neben wechselnden Besuchern und Patrouillen der stets gleiche Personenkreis zwischen Stadt und Castra zirkulierte. Das beschleunigte zwar einerseits die Abfertigung, barg aber andererseits die Gefahr, unaufmerksam zu werden. Im Grunde hatten die Wachen jedes Ochsengespann, jeden Handkarren und sämtliche Säcke, Fässer und Amphoren zu prüfen als wäre es ihr erster Tag am Tor, aber das hätte nur zu endlosen Warteschlangen geführt. Umgekehrt hatte die Routine allmählich dazu geführt, dass die Wachen von ihrer Stammkundschaft zunehmend als Personal betrachtet wurden, vor allem die Boten ließen so langsam deutliche Anzeichen von Überheblichkeit erkennen, allen voran der gallische Stoiker. Liebenswürdig und redselig wie immer hatte er Antias eine Tabula in die Hand gedrückt und sich grußlos wieder davon gemacht. Eine Nachricht für den neuen Optio. Wieder mal.


    Amüsiert blickte er zu Fimbria hinüber, der offensichtlich von einem elementaren Bedürfnis bedrängt mit auffallend vorsichtigen und behutsamen Bewegungen um einen Karren voll Bauholz schlich.
    „Na, kleine Pause gefällig?“ grinste Antias und hielt Fimbria die Tabula hin. „Eine Nachricht für Optio Iunius Avianus. Aber schlaf nicht auf der Latrine ein.“
    „Gepriesen sei Carna.“ presste Fimbria dankbar hervor, schnappte sich die Tabula und watschelte beherrscht davon.


    Also gut, mal sehen, was war das hier? Antias umrundete prüfend den Karren. Dachschindeln und Stützbalken, neue Arbeit für die Rekruten. Seufzend winkte er das Gefährt durch und wandte sich nach einem abschätzenden Blick auf die länger werdende Schlange den nächsten Lieferanten zu. Bei allen .. das war doch .. Antias' Blick schnellte hoch, irrte suchend umher und blieb schließlich an einem zuckenden Gesicht hängen. Er fühlte, wie seine Finger taub und sein Blut dünner wurde. Das war Babila!
    „Moment.“ keuchte er den ungeduldigen Lastträgern zu, überhörte geflissentlich deren Gemurre und ging mit schnellen Schritten durch die unruhige Menge der Wartenden zu dem nervösen Sklaven hinüber, der sich hinter der Sänfte eines Besuchers zu verstecken schien.
    „Babila! Was machst du hier? Ist irgendwas passiert? Jetzt red' schon!“

    Verdammt übellauniger Bursche, dieser Optio. Das konnte ja heiter werden. Antias versuchte, jede Sehne seines Körpers anzuspannen und den Blick möglichst stur ins Nirgendwo zu richten. Lange würde er das nicht durchhalten, dafür war er viel zu aufgeregt. Der erste Appell! Nach wenigen Augenblicken wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass still stehen und Stillstehen zwei völlig verschiedene paar Caligae waren. Ob es den anderen ebenso erging?


    Vorsichtig wagte er aus den Augenwinkeln einen Blick auf die Reihen. Am vorangegangenen Abend hatte er versucht, sich die Gesichter seiner neuen Kameraden einzuprägen, jetzt sah einer aus wie der andere unter diesen verdammte Helmen. Kein Wunder, dass die Laune des Optio nicht berauschend war, wie auch, wenn einem Dienstjahr für Dienstjahr dieser beschissene Helm den Schädel zusammenquetschte?


    Wo ihr Gruß blieb? Welcher Gruß denn? Antias versuchte sich fieberhaft zu erinnern, welche Grußformeln er gestern auf seinem Weg durch die Kaserne aufgeschnappt hatte. Salve? Ave? Contubernium angetreten? Letzteres schien zumindest nicht völlig abwegig, aber solange von den Kameraden kein Ton kam, würde er tunlichst den Mund halten.

    Noch irgendwelche Fragen? Verdammt, und ob! Wie sah der Dienstplan für den Festtag des Iuppiter Liber aus? Antias biss sich auf die Zunge. Aufpassen! Schnauze halten! Der Vorteil schlaflos verbrachter Nächte bestand zweifellos in zunächst geschärften Sinnen, der Nachteil lag im schleichenden Nachlassen der Hemmschwelle Autoritäten gegenüber. Sachte, Junge .. ganz sachte!


    Immerhin, die Ansprache des neuen Optio war kurz und prägnant gewesen. Kein Vergleich zu den selbstherrlichen Vorträgen ihres alten Unteroffiziers, der sich beim Appell meist damit begnügt hatte, langatmig den Tagesbefehl zu erklären, um dann wieder zu verschwinden und erst Stunden später mit unverkennbarer Weinfahne sporadisch den Dienst zu kontrollieren. Antias starrte durch den sich lichtenden Morgennebel auf den Optio und wog eventuelle Vor- und Nachteile des Kommandowechsels gegeneinander ab. Die Bilanz fiel eindeutig zugunsten des neuen Offiziers aus.
    Mochte Inunius Avianus auch schlimmstenfalls etwas vom arroganten Dünkel der Praetorianer mit über die Principalis geschleppt haben, dem Dienst würde das kaum schaden, im Gegenteil. Die Rekruten mussten endlich wieder das Gefühl bekommen, dass es vorwärts ging. Sie alle wollten irgendwann einmal die Grundausbildung hinter sich wissen und gute zuverlässige Urbaner sein. Der bisherige Stumpfsinn der Ausbildung hatte dieses Ziel in eine nebulöse ferne Zukunft gerückt. Zeit, dass sich etwas tat. Egal was.

    Glücklich den abgestandenen Garumschwaden in den Unterkünften entronnen, wurden die Rekruten vor der Barracke vom scharfen Gestank der Fischfässer empfangen und von einem unbekannten Optio.
    Die Reihen schlossen sich rasselnd und die Augen der versammelten Tirones von der Dritten richteten sich neugierig auf den noch relativ jungen Offizier. Antias stutzte. Er kannte diesen Burschen doch irgendwoher. Richtig! Der Praetorianer, dem er erst neulich eine Nachricht zugestellt hatte. Nicht der unsympathischste Miles in seinem Haufen, erinnerte er sich, aber das war nach dessen Dienstschluss gewesen. Hier begann gerade erst der Dienst, und der Optio machte nicht den Eindruck als hätte er viel Zeit zu verplempern. Immerhin wirkte er nun nicht mehr wie ein überdimensionaler Mistkäfer im schwarzen Brustpanzer, sondern trug die Rüstung der CU. Veränderungen haben immer auch ihr Gutes, sagte sich Antias gespannt, also warten wir's ab.

    Hä, Stubenkontrolle? Scheiße, Stubenkontrolle! Antias stand aufrecht neben der Pritsche, noch bevor er es richtig registriert hatte. Als er sich gähnend in der Baracke umsah, stellte er befriedigt fest, dass es den anderen Tirones eben so erging. Die Automatismen hatten sich allmählich eingeschliffen. Sehr gut. Bloß, wer wollte da in aller Frühe die Unterkünfte kontrollieren? Die Befehlsstimme kam ihm nicht bekannt vor. Optio oder Centurio waren das jedenfalls nicht, schon deswegen, weil beide als ausgesprochene Morgenmuffel bekannt waren, die den Dienst keinen Augenblick früher zu beginnen pflegten als es die Regel war. Die Sonne war kaum aufgegangen und bis zum Morgenappell war es eigentlich noch eine Weile hin. Üblicherweise. Was auch immer da draußen vor sich ging, sie würden es gleich erfahren.


    Gehetzt und unter leisem Gefluche warfen sich die Rekruten in ihre Ausrüstung, schnappten nach Helmen, Schilden und Waffen und stürmten hastig hinaus vor die Baracke.

    Die Nacht war schon weit fortgeschritten. Von den Mauern herüber hallten die schweren Schritte der dritten Wachablösung. Hundegebell, gedämpfte Gesprächsfetzen, leichter Wind über den Barackendächern, ansonsten lähmende Stille, draußen wie drinnen.


    Antias lag hellwach auf seiner Pritsche und starrte gedankenverloren ins Dunkel. Zum hundertsten mal ging er die Fakten durch. Also nochmal: Was geht raus, was kommt rein? Lieferanten gingen raus, Patrouillen, Boten, Soldaten mit Ausgangsgenehmigung, Offiziere, Lagernutten, aber das alles bei Tag. Nachts war das Haupttor geschlossen, und die wenigen Passanten, meist Eilboten oder Heimkehrer, wurden an den schmalen Durchgängen kontrolliert, die zu beiden Seiten der Tore die Mauern durchschnitten. Und was kam rein? Ebenjene Boten und Heimkehrer, das war's. Nachtpatrouillen zogen nur selten aus den Castra, dafür waren die Einheiten der Vigiles zuständig. Die Urbaner rückten nachts meist nur bei Unruhen aus oder wenn die Vigiles Verstärkung anforderten. Zumindest an normalen Tagen war das so. An höheren Feiertagen, Weinfesten zumal, sah das ganze schon etwas anders aus. Zu solchen Anlässen war das Volk in rauen Massen auf den Beinen bis tief in die Nacht, darunter Diebe, Betrüger, Totschläger, Aufrührer, die ganze Palette an lichtscheuem Gesindel, mit der eine Stadt aufzuwarten hatte. Hinzu kamen die schlicht Besoffenen, vom Wein übermütig oder ausfallend geworden, die unberechenbaren Prozessionszüge und die obligatorischen Sektierer. Zudem wurde an den weinseligen Festtagen sträflich leichtsinnig mit Herdfeueren und Fackeln umgegangen, was in der Summe dafür sorgte, dass die Vigiles bereits am Nachmittag mit ihren Aufgaben heillos überfordert waren. Antias kannte das alles aus Mogontiacum und mit welchen Ausmaßen musste da erst in Rom gerechnet werden? Er konnte also mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass am Abend des Iuppiter Liber Truppen der CU in die Stadt ausrücken würden, und es war nichtmal so unwahrscheinlich, dass es auch die Tirones der Dritten Centurie erwischen konnte. Immerhin gehörte ein derartiger Einsatz zu den eher unbeliebten Pflichten, da Mannschaften und Offiziere an Festtagen in erhöhter Zahl Ausgang zu beantragen pflegten oder nachts nur einfach ihre Ruhe haben wollten.


    All dies war von ihm bedacht worden, als er Babila mit Datum und Zeitpunkt zu Apolonia zurückgeschickt hatte. Nur, wie genau er diese Umstände für sich nutzen konnte, war ihm noch nicht so ganz klar. Mist, verdammter! Wenn er wenigstens Dienstplan und Tagesbefehle für den Festtag des Iuppiter Liber hätte in Erfahrung bringen können, aber die waren vielleicht noch nicht einmal festgelegt worden. Außerdem reichte ein Plan allein nicht aus. Sogar wenn Antias zum Einsatz kommen würde, er konnte nicht ohne weiteres das Glied verlassen und sich in die Gassen schlagen.


    Zerknirscht setzte er sich auf und blickte fast neidisch auf seine Kameraden, die im fahlen Schein der Herdglut friedlich vor sich hin schnarchten. Natürlich musste er sie früher oder später einweihen, und ihm war jetzt schon klar, was die ihm erzählen würden. Aber immer eins nach dem anderen. Seufzend stützte er den schwirrenden Kopf in die Hände. Also gut, und gleich nochmal: Was geht raus, was kommt rein?

    Kaum über der Schwelle wurde er von infernalischem Gestank fast von den Beinen gerissen. Hinter der gemauerten hüfthohen Trennwand zur Kochstelle stiegen ekelerregende Dampfschwaden auf und zwei schemenhafte Gestalten stampften und rührten jeder über einen brodelnden Kessel gebeugt. Die Zwillinge. Marullus und Tutor, zwei schweigsame junge Burschen aus den Lepinischen Bergen, die durch keinerlei Blutsverwandtschaft verbunden waren und sich doch glichen wie ein Weizenkorn dem anderen. Die Ähnlichkeiten in Aussehen und Wesen und der Umstand, dass sie permanent zusammenhingen hatten in Antias schon des öfteren den Verdacht aufkommen lassen, dass die beiden über ihre genaue Herkunft möglicherweise nicht restlos im Bilde waren. Aber wer – außer vielleicht den Patriziersöhnen – war das schon?


    Antias kapitulierte. Hustend trat er an seine Pritsche, legte Helm, Schild und Waffen ab und zerrte sich keuchend die Rüstung herunter. Die würden schon wissen, was sie tun, denn wenn sie den Puls anbrennen ließen, mussten sie damit rechnen, das ganze hungrige Contubernium am Hals zu haben. Allerdings konnte es schwerlich der Puls sein, der da so stank. Getreide, Öl, Zwiebeln, Speck, nichts davon konnte einen solch abartigen Brodem verbreiten.


    Die anderen kamen nach und nach in die Baracke und kramten nach ihren Kupfernäpfen. Hispo ließ sich neben Antias auf dessen Pritsche fallen und meinte genießerisch: „So … Puls scheint so weit zu sein … und die Lukanischen Würste, wie die duften.“
    Duften? Antias roch nur die stechenden Ausdünstungen der Unterwelt. Er blickte auf, spähte zur Kochstelle und sah Marullus die Kelle in den ersten Kessel tauchen, offenbar tatsächlich Puls. Und der zweite Kessel? Der von dem die widerlichen Wolken aufstiegen?


    „Hispo .. bitte .. was machen die da?“
    „Garum.“
    Antias schnupperte widerwillig. Garum, das konnte hinkommen. Eins musste man den Zwillingen lassen, an Kreativität mangelte es ihnen nicht. Nur wer um alles in der Welt brauchte so viel Fischsoße?
    „Gar nicht so blöd. Aber die wollen hier doch nicht ernsthaft zwei Fässer Fisch verkochen?“
    „Jetzt vergiss doch mal den Fisch.“ lächelte Hispo aufmunternd. „Komm, essen fassen.“
    „Na schön .. mit leerem Magen kotzt sich's schlecht.“


    Müde stemmte er sich hoch, und stellte sich mit den Kameraden bei den Zwillingen an. Marullus klatschte ihm wortlos eine großzügige Portion Puls in den Napf, fischte vorsichtig eine fettglänzende Wurst von den heißen Rippen der Craticula und drapierte sie umständlich auf dem gerösteten Getreidebrei. Tutor rührte noch immer schweigend in der zähen dunklen Brühe, schnüffelte gelegentlich und verfiel wieder abwesend lächelnd in kontemplatives Rühren. Einen leichten Riss in der Melone haben die beiden ja schon, dachte sich Antias und trug sein Essen zur Pritsche.


    Es wurde angenehm ruhig in der Baracke. Die Zwillinge kratzen und stocherten gedämpft in den Kesseln, das Feuer knisterte, die Rekruten kauten unter wohligem Grunzen. Antias biss in die Wurst und unterdrückte trotzig einen entzückten Seufzer. Nicht einmal unter der Folter hätte er es zugegeben, aber die Lucanica schmeckte fantastisch. Auch der Puls war Marullus tadellos gelungen, würzig, bissfest und trotzdem sämig. Das Essen hätte perfekt sein können. Wäre da nicht dieser Pesthauch gewesen, der alle Wohlgerüche überlagerte.
    „Kann man aus Fisch Würste machen?“ brach Fimbria schmatzend das Schweigen, und sie waren wieder beim Thema.


    Antias knetete betont missmutig in seinem Getreidebrei.
    „Wie auch immer, wir müssen das Zeugs da draußen loswerden. Ist mir völlig egal, was die anderen Contubernien mit ihrer Fischzuteilung machen … äh, moment ... was machen die damit?“
    Hispo bließ die Backen auf.
    „Tja, also das Vierte drüben kann da auch nix mit anfangen. Das Dritte frisst den Fisch roh, wenn ich recht gesehen hab .. „ Hispo verdrehte vielsagend die Augen. „ .. diese merkwürdigen Sardinier eben. Was das Erste und Zweite damit macht, keine Ahnung.“
    Antias schob sich stöhnend einen klebrigen Pulsklos in den Mund.
    „Und die anderen?“
    „Die haben keinen.“
    „Wie .. die haben keinen?“
    „Für das Sechste und den Rest hat's nicht mehr gereicht, bei uns war Schluss.“
    Antias hörte abrupt auf zu kauen und starrte Hispo an, der glotze bemüht geradeaus.
    „Na, da haben wir ja nochmal GLÜCK GEHABT!“
    Hispo versank eingeschnappt hinter einer mäßig glaubhaften Unschuldsmine.
    „Dafür haben die aber auch keine Würstchen!“
    „Oh, beim Neptun .. die armen Schweine!“


    Na fein. Wenn das so war, musste er doch unbedingt noch eine von diesen hirnverbrannt teuer erstandenen Würsten verspeisen. Kein Wunder, dass die so vorzüglich schmeckten, mussten sie ja, aufgewogen gegen zwei Fässer voll fauligem Fisch! Fluchend schnappte er sich eine von den heißen Lucanicae vom Rost und ging mit nur noch mühsam aufrecht erhaltener schlechter Laune zu seiner Pritsche zurück, wo Hispo gerade von einem stillen Lachen geschüttelt vor sich hin gluckste.


    „Was ist daran so witzig?“
    Hispo fasste sich kichernd an die Stirn und schüttelte den Kopf.
    „Erst tagelang nix als Wasser .. dann der Fisch .. ich sag's doch, wir sind bei der Marine.“
    Antias versuchte krampfhaft, seine Mundwinkel unter Kontrolle zu bringen, aber es misslang. Ein unbeherrschbarer Lachreiz krabbelte ihm kitzelnd vom Bauch durch die Brust über die Kehle, und brach in einem lauten Prusten aus ihm heraus. Hispo gackerte hysterisch vor sich hin und steckte den Rest des Contuberniums an; sogar die maulfaulen Zwillinge wieherten schallend in ihre Kessel. Idiotisches Gelächter, dachte Antias japsend, eine Baracke voller Idioten!


    Fimbria versuchte sich an ein paar Seemannsliedern, Marullus zog den leeren Kessel vom Rost und Tutor deckte den blubbernden Sud endlich gnädig mit einem Holzdeckel ab. Die Tirones, satt und zufrieden, summten leise zu Fimbrias Melodien oder hingen mit wolkigen Blicken ihren Gedanken nach. Antias gab sich dankbar der friedlichen Stille hin, die der Kreis seiner Kameraden in ihm aufsteigen ließ. Langsam, schleichend fast, hatte er sie in sein Herz geschlossen. Jeden einzelnen. Der gemeinsam vergossene Schweiß, die Schinderei, Mühsal und Entbehrungen, all das hatte die einst haltlos schwankenden Halme mit der Zeit zu einer festen starken Garbe geflochten. Und doch .. Die Vertrautheit unter den Rekruten senkte zwar einen wärmenden Schleier über die Blöße ihres Daseins, dämpfte die rissigen Klüfte auf ihrem Weg, war aber dennoch nur ein sanfter Widerschein der glühenden Ahnung von Ganzheit, mit der Apolonia in ihm loderte. Sie riss die verklärenden Schleier von allen Dingen und gab die Sicht frei auf die Welt, so wie sie war, wild und tosend und in sich ganz.


    Antias warf einen langen warmen Blick in die Runde. Noch eine Hora vielleicht, still verbracht mit alltäglichen Verrichtungen, dem Reinigen der Näpfe, dem Waschen ihrer verschwitzen Körper, und sie alle würden erschöpft auf ihre Lager fallen und in einen erfrischenden Schlaf gleiten. Nur er nicht. Er würde diese Nacht mit Plänen ringen. Diese Nacht und die morgige und vielleicht alle kommenden Nächte bis zum Festtag des Iuppiter Liber.

    Als Antias und Fimbria am Abend vom Wachdienst zurückkehrten, empfing sie schon von weitem ein recht eigentümlicher Geruch, der an Penetranz zunahm, je näher sie den Unterkünften kamen. Vor den Baracken der Urbaner herrschte rege Betriebsamkeit. Unter ausgelassenem Geplapper wurden Fässer unter die Vordächer gewuchtet, Säcke geschnürt und Amphoren verkorkt. Die Rationen waren endlich ausgegeben worden. Keinen Tag zu früh, denn sogar die letzten vertrockneten Brotfladen waren im feuchten Dunst der vergangenen Regentage zu grün gesprenkelten Schwämmen aufgequollen, die nichtmal ein halbverhungertes Mastschwein mehr angerührt hätte. Befriedigt stellten die Heimkehrer fest, dass aus dem Abzug ihrer Unterkunft bereits dicke Rauschwaden wehten.


    Hispo rammte das letzte herumstehende Fass gegen die Barackenmauer und grinste ihnen breit entgegen. „Na, ihr faulen Säcke? Jetzt kommt ihr, wo die Arbeit erledigt ist.“
    „Ist da auch was Frisches bei?“ fragte Fimbria misstrauisch schnuppernd.
    „Teilweise.“ Hispo wischte sich den Schweiß von der Stirn und roch mit schiefem Blick an seinen Fingern.
    „Das Korn ist trocken, keine Sorge. Und ihr werdet's nicht glauben ... es gibt rauchfrische Lucanicae! Ansonsten Eier, Milch, Traubenessig, Öl, Dörrfrüchte, Obst, eingelegter Ziegenkäse, geräucherte Speckseiten und vor allem .. naja .. schuppige Grüße aus dem Tyrrhenischen Meer.“
    „Hä?“
    „FISCH?“ platzte Antias heraus. Hispo nickte bedeutungsvoll.
    „Zwei Fässer, randvoll.“
    Das musste ein Scherz sein. Antias löste den Deckel eines Fasses, hob ihn hoch und knallte ihn sofort wieder drauf.
    „Seid ihr dämlich oder was? Der stinkt ja jetzt schon!“
    Hispo zuckte entschuldigend die Achseln.
    „Wenn wir den Fisch nicht genommen hätten, hätten wir die Würste nicht gekriegt.“
    Antias konnte es nicht fassen. Es war Sommer! Immer noch! Und der Fisch war nicht mal eingesalzen!
    „Wie kommen die auf so was?“ fragte Fimbria kleinlaut.
    Hispo wusste nicht, was er mit seinen müffelnden Fingern anfangen sollte und streckte die Hände von sich wie ein flügellahmer Reiher.
    „Die Miles von der Zuteilung haben gesagt, der Sturm draußen auf See hätte wie's scheint die ganzen Fanggründe durcheinandergebracht. Jedenfalls ersaufen die Märkte von Ostia grade im Fisch. Also isser billig.“
    „.. und wertlos.“ brummte Antias.
    „Vielleicht wenn man ihn trocknet?“ schlug Fimbria vor.
    „Nur zu..“ ätzte Antias zurück. „..du kannst ja jeden einzeln mit der Tunica abrubbeln.“
    „Nee .. auslegen.“
    „Wo denn? Hmm .. vielleicht räuchern.“
    „An der Kochstelle in der Baracke? Nur über meine Leiche!“


    Inzwischen hatte sich das gesamte Contubernium ratlos um die miefenden Fässer versammelt; mit Ausnahme der Zwillinge, die Kochdienst hatten und in der Unterkunft vor sich hin werkelten. Antias ging zu Macro hinüber und überbrachte ihm die Nachricht seiner Schwester. Dann starrte er wieder grübelnd auf die Fischfässer. Das Zeug musste hier weg, egal wie. Aber vielleicht nicht unbedingt sofort.
    „Könnten wir die Angelegenheit vielleicht auf später verschieben? Ich hab Hunger. Trotz allem.“ Antias seufzte auf und marschierte hoffnungsfroh zur Barackentür. Hispo eilte ihm hastig nach.
    „Bevor du da reingehst .. also ..“ Das klang nicht ermutigend.
    „Was?“
    „Naja .. die Zwillinge haben sich auch so ihre Gedanken über den Fisch gemacht, und ..“
    „Sag nicht es gibt Fisch!“
    „Nein, nein .. Puls und Würstchen .. aber ..“
    „Götter!“ schnitt Antias Hispo das Wort ab und riss entnervt die Tür auf.

    „Ja natürlich .. ich werd's ihm ausrichten.“ entgegnete Antias versonnen, während er langsam wieder zu Fimbria hinüber schlurfte. Macro hatte eine Schwester? Eine Schwester mit einem Diener, der Nachrichten für eine Praetorianer zu übermitteln pflegt? Warum nicht, viele Menschen haben Schwestern, oder? Und Diener. Und überhaupt, hatte er keine anderen Sorgen? Oh doch, beim Iuppiter, die hatte er.


    „Ziemlich was los heute.“ stellte Fimbria taktvoll fest.
    „Äh .. ja .. ziemlich was los.“

    Zitat

    Original von Iulia Torquata
    "He, sag mal kennst du einen Servius Iulius Macro?"[/B], fragte er den Jungen und erhoffte sich ein 'ja'.


    „Iulius Macro?“ Was war das denn heute? Als ob sein Contubernium das einzige in den gesamten Castra wäre. Offensichtlich waren sie hier doch nicht ganz so verloren und vergessen wie es manchmal den Anschein hatte.
    „Ja. Kenn ich.“ antworte Antias ausgesprochen sanft gestimmt. „Macro ist ein guter Kamerad von mir. Wieder eine Tabula?“

    Zitat

    Original von Apolonia
    2Apolonia schickt mich mit dieser Nachricht.2


    Sein Herz blieb stehen. Für die Zeitspanne, die eine Schwalbe brauchte, um von den Mauern der Castra über den Platz hinweg auf die Vorstadtächer hinauf und wieder in die Gassenschluchten hinab zu segeln blieb es einfach stehen. Apolonia? Er hielt die kleine Schriftrolle in der Hand, wagte nicht, sie zu öffnen, sah die geweiteten Augen Fimbrias, sah den unruhigen Blick des Sklaven und hörte sein Herz nicht schlagen. Dann setzte es wieder ein, bäumte sich brüllend auf, wütete, trat mit glühenden Hufen gegen sein Sternum. Der Atem brandete wie eine Sturmflut in seine Brust. Seine Stimme klang fremd und gepresst:
    „Gut Fimbria. Ich übernehme das hier.“


    Fimbria konnte manchmal sprunghaft sein, missmutig und abwesend, aber er besaß einzigartig feine Nerven für die Gemütswelt seiner Kameraden. Nickend und ohne ein Wort zog er sich über die Lagerstraße zurück. Antias blickte auf seine zitternde Hand, die die Rolle hielt, dann in das zuckende Gesicht des nervösen Sklaven.
    „Jetzt beruhig dich mal, verdammt! Dein Gezappel macht mich wahnsinnig!“


    Mit unsicheren Fingern entrollte Antias die Nachricht und las … las die Zeilen einmal, las sie zweimal und ließ die Rolle schließlich sinken. Wann? Wie? Fieberhaft ging er den Dienstplan durch, entwarf Pläne und verwarf sie gleich wieder. Was, wenn etwas passiert war? Was, wenn sie ihn brauchte? Aber das hätte der Sklave nicht unerwähnt gelassen. Oder doch? Wieder taxierte er den überspannten Servus. Nein. Der hatte viel zu viel Angst vor den Konsequenzen. Antias' Gedanken strudelten durch seinen Schädel wie ein Wirbelsturm. Er wusste nicht, wann sie das nächste mal hier rauskommen würden, aber – moment mal. Es gab Anlässe, zu denen zumindest einem erheblichen Teil der Truppen Ausgang gewährt wurde, und die andererseits eine erhöhte Präsenz von Patrouillen erforderten. Irgendwas würde ihm dazu schon einfallen.


    „Hör zu Babila ..“ begann Antias ruhig und behutsam auf den Sklaven einzureden. „.. es ist leicht, du musst nur genau zuhören, ja?“ Der Kopf des Sklaven zuckte weiter, Antias nahm das für ein Nicken.
    „Am Festtag des Iuppiter Liber. Gegen Ende der ersten Nachtwache. Etwa zwei Stunden nach Sonnenuntergang. Wiederhol das.“
    Der Sklave tat es – völlig verdreht. Antias stöhnte, ließ es ihn nochmal wiederholen, und nochmal ..
    „In Ordnung. Du machst das gut. Und wenn sie nicht so lange warten will oder kann, kommst du wieder her, verstanden?“ Zucken.
    „Fein. Dann geh jetzt, Babila .. und sag ihr, dass ich .. dass ich sie .. grüße.“
    Antias wollte sich gar nicht ausmalen, welchen Wortsalat der Sklave Apolonia präsentieren würde.


    Sein Blick wanderte nachdenklich umher und blieb an einem breiten Kelten hängen, der lautlos herangetreten war. Von Diskretionsabstand hatte der Kerl wohl noch nichts gehört! Das Gesicht kam Antias bekannt vor. Ach nein, der Stoiker.

    Fimbrias Augen traten beeindruckend weit aus den Höhlen. „Ach ja?“ Mit einem langgezogenen Räuspern winkte er zu Antias hinüber. „Könntest du mal?“ Antias setzte sich seufzend in Bewegung. Was war jetzt wieder? Fimbrias miese Laune in allen Ehren, aber mit so einem Häuflein Elend musste ein Torwächter zur Not auch alleine klarkommen.
    „Probleme?“
    Fimbria setzte eine bedeutungsschwangere Mine auf, zeigte auf den Sklaven und raunte: „Der zittrige Kälberschwanz sucht einen Tiro Germanicus Antias.“
    „Ach ja?“


    Schweigen. Die Blicke des Sklaven zuckten gehetzt zwischen Antias und Fimbria hin und her, Fimbria wiederum starrte vom Sklaven auf Antias und wieder zurück. Antias blickte zweifelnd zuerst auf Fimbria, dann auf den Sklaven und beschloss schließlich, dem fruchtlosen Geglotze ein Ende zu machen.
    „Also gut, Freundchen … ich bin Tiro Germanicus Antias, und wer zum Orcus bist du?“

    „Was ähm?“ brummte Fimbria und musterte den verschüchterten Sklaven, der sich scheinbar nur verlaufen hatte. „Ham wir was auf 'm Herzen? Wenn nicht, verzieh dich.“


    Antias schüttelte grinsend den Kopf. Fimbria kam offensichtlich nicht darüber hinweg, dass der tagelange Regen vorüber und der Stubendienst zu ende war. Anstatt sich wie Antias an der wiedergekehrten Sonne zu erfreuen, vermisste der melancholische Bulle wohl die trüben Tage an denen er sich seiner Wehmut hemmungslos in bleischweren Gesängen hatte hingeben können. Dabei hatten sie beide noch verdammtes Glück gehab, denn just am Abend des Tages, an dem sie wieder zur Wache eingeteilt worden waren, hatten die endlosen Güsse nachgelassen. Tags drauf waren sie zwar mit noch immer klammen Klamotten in den Dunst getreten, aber im Laufe des des Vormittags war die Sonne langsam durch die Wolken gebrochen und hatte ihre dampfenden Mäntel allmählich getrocknet.


    Das Leben war auf den Vorplatz zurückgekehrt, der Dienst lief wieder wie gehabt und es gab für die Torwache genügend zu tun. Passierscheine mussten studiert- Warenlieferungen kontrolliert und Boten abgefertigt werden. Antias war froh darüber. Sein Hirn wurde hier immerhin so weit in Anspruch genommen, dass es der fliegenden Gedanken wenigstens einigermaßen Herr wurde. Nachdem er einen überflogenen Urlaubsschein mit wehmütigem Nicken zurückgegeben und einer ausrückenden Patrouille Platz gemacht hatte, spähte er amüsiert zu Fimbria hinüber. Der hatte sich mit vorgestreckten Hals vor dem Sklaven aufgebaut und harrte irgendeiner Reaktion desselben.

    Als er mit zerfaserten Gedanken wieder nach draußen trat, war Antias mehr als verwundert darüber, dass die Insulae alle noch am gleichen Fleck standen, der Himmel noch oben hing und sich keine abgrundtiefen Risse im Straßenpflaster aufgetan hatten. Es war noch immer die Subura, aber für Antias hätte selbst der Palatin nicht erhabener glänzen können.
    Der Tribun indes ließ den Männer keine Zeit für Träumereien und wies die Contubernien mit knappen Handzeichen an, sich zum Abmarsch zu sammeln. In Doppelreihe geordnet setzten die Tirones sich gen Osten in Bewegung und ließen das Lupanar, die Mitte der Welt, hinter sich. Hispo sah immer wieder verstohlen zu Antias hinüber, sagt aber nichts. Antias hielt Hispos Seitenblicken eine Weile stand, fuhr aber schließlich genervt herum.
    „Was?“
    Hispo betrachtete ihn mit einer Mischung aus Mitgefühl und Unverständnis.
    „Nur Esel und Kelten kommen ...“
    „Halt die Klappe!“

    Regen. Nun schon den vierten Tag in Folge. Nichts als Regen in all seinen Ausprägungen. Nieselregen, Platzregen, kalter Regen, warmer Regen, durchsetzt mit Hagelkörnern oder einfach nur nervtötend nass. Vier verdammte Tage hintereinander, und eine Änderung war nicht in Sicht. Immer neue Wolkenstrudel zogen aus Richtung Küste über die Stadt, wurden im Osten von den Monti Sabini wieder zurückgedrängt um sich in endlosen Strömen über das Latium zu ergießen. Auf den Castra lastete ein schier unerträglich schwüler Dunst, der klamm in die Wollkleidung kroch, Leder und und Holz zum Quellen brachte und Bronze und Eisen anlaufen ließ. Das Wetter war pures Gift für die Ausrüstung und nagte allmählich an den Gemütern.


    Die Rekruten schoben leichten Dienst. Witterungsbedingt. So lautete zumindest die irreführende offizielle Bezeichnung, denn leicht war der Dienst erst am dritten Tag geworden. Während die Miles sich in ihre Unterkünfte verzogen hatten, waren die Tirones damit betraut worden, schadhafte Rüstungsteile der Offiziere zu den Waffenschmieden zu schleppen, morsche Schindeln auf den Barackendächern auszuwechseln und die ständig wachsende Zahl von Pfützen auf den gestampften Durchgängen mit Sand und Schotter aufzufüllen. Am dritten Tag waren den Ausbildern dann endlich die Ideen ausgegangen und den Rekruten war gnädig gestattet worden, sich um ihren eigenen Kram zu kümmern. So saßen sie nun trübsinnig auf den Pritschen, ölten, fetteten, schliffen und flickten und lauschten dabei den wehmütigen Gesängen Fimbirias aus dem Halbdunkel der hinteren Baracke.


    Antias versuchte sich weitgehend vergeblich auf seine linke Caliga zu konzentrieren, die er mit der Sohle nach oben auf den Schenkel gepresst hielt, um ausgerissene Stollennägel zu ersetzen. Mit dem Dolchknauf hämmerte er abwesend auf die ovalen Nagelköpfe ein, traf dabei mehrmals seine Finger, nahm aber kaum Notiz davon. Fimbrias schwermütige Melodien züngelten unruhig an seinem Herzen und wehten seine Gedanken davon. Etwas war hinter allem. Hinter Fimbrias Liedern strahlte die blanke Schönheit. Hinter allem Geschwätz leuchtete reinste Poesie. Aus den wütenden Stürmen in seiner Brust erhob sich friedlich und klar Apolonia.


    „Bei den Klauen des Pluto .. der Kerl jammert mir noch das Mark aus den Knochen.“ knurrte Hispo von der Nebenpritsche und warf seufzend den Polierlappen in seinen Helm.
    „Wie wär's mal mit was erbaulichem? Ein Witz, ein Trinklied, ein paar launige Verse?“
    Antias hämmerte weiter auf seinen Fingern herum. Hispo, mein treuer Freund und Kamerad, etwas ist hinter allem, du hast es nur noch nicht kapiert. Versonnen legte er den Dolch beiseite und besann sich.
    ‚ .. dann vergehen die Sinne mir und die Farbe, dann schleicht heimlich ein Tropfen sich auf die Wang‘ und verrät den Brand, der mir langsam das Mark in den Gebeinen frisst ..“


    Hispo glotze nur blöde.
    „Horatius Flaccus. Tribun und Poet.“ klärte Antias ihn auf.
    „So? Klingt mir eher nach einem kastrierten Palastbarden. Ihr macht mich echt fertig, wisst ihr das?“ Schnaufend erhob sich sich Hispo, ging zur Barackentür und wagte einen forschenden Blick in die prasselnden Schwaden.
    „Elende Sauerei! Da hätt ich mich ja auch gleich zur Marine melden können!"

    Schon auf der Principalis waren ihm die ersten schweren Regentropfen auf den Helm geplatscht und als er nun wieder vor das Tor trat, ließen die tief hängenden Wolken alles fallen, was sie mühsam vom Meer herauf über die Stadt geschleppt hatten. Der kahle Vorplatz verschwand hinter einem rauschenden Regenschleier. Das Pflaster ließ die prasselnden Tropfen aufspringen und sorgte dafür, dass die Caligae ebenso schnell durchweichten wie Paenula und Tunica. Ein zynisches Grinsen schlich sich in Antias' nasses Gesicht. Wunderbar, heute passte wirklich alles perfekt zusammen. Es gab manchmal Tage, an denen …. aber das war ja nicht Neues.


    Fimbria hatte sich mit eingezogenem Genick hinter sein Scutum geduckt und starrte finster aus dem tropfenden Helm. Der gallische Bote stand völlig regungslos in einigen Metern Entfernung, nass wie ein Karpfen aber scheinbar völlig unbeeindruckt von den stürzenden Wassermassen. Schau an, ein Stoiker.


    „War was?“
    Fimbria schüttelte übellaunig den Kopf.
    „Nä. Was auch .. bei dem Wetter.“
    Nickend trat Antias auf den Gallier zu und hielt ihm die Tabula hin.
    „Du hast Glück, Kelte .. deine Kreuzigung ist verschoben worden. Hier. Gelesen und bestätigt. Guten Heimweg.“


    Fimbria schlurfte heran und glotze neugierig.
    „Na .. und wie isses bei denen drüben?“
    „Wie bei uns, nur schwärzer.“