Beiträge von Titus Germanicus Antias

    Antias griff nach der Tabula, klemmte sie sich unter den Arm und salutierte.
    „Zu Diensten, Miles!“


    Abteilung kehrt. Im Gleichschritt Marsch. Ab zurück ans Tor. Der Iunier besaß wenigstens Humor. Warum auch nicht, immerhin hatte er jemandem, der ihm schrieb. Im Gegensatz zu ihm selbst. Es gab manchmal Tage, an denen er sich fühlte wie eine Olive an einem Rebstock. Heute war so einer.

    Antias spürte deutlich, dass er dem Praetorianer lästig wurde, aber er hatte bislang nur einen Teil des Auftrages erledigt.
    „Ja Miles. Vor ein paar Minuten erst. Laut Überbringer wünscht der Absender, die Nachricht gegengezeichnet zurück zu erhalten.“


    Es war wohl nichts allzu erfreuliches. Den Unterton in der Stimme kannte er von seiner eigenen. Verdammte Leidenschaft! dachte er mitfühlend. Als ob der Dienst nicht schon hart genug wäre. Ob Praetorianer oder nicht, der Iunier war auch nur ein gebeutelter Soldat wie er selbst, ein armer Hund im schwarzen Panzer. Vielleicht bedurfte er etwas Aufmunterung?


    „Soll ich den Boten für dich kreuzigen lassen?“

    Immer die gleichen Spielchen, dachte Antias gelangweilt, der Miles blökt auf den Tiro ein, der Optio auf den Miles, der Centurio .. aber gut. Konnten sie haben.


    „Tiro Germanicus Antias. Dritte Centurie der zwölften Cohorte CU! Für Aulus Inunius Avianus ist eine Nachricht abgegeben worden.“ Antias nahm Haltung an und hielt die Tabula hoch. „Persönlich zu übergeben.“
    Und wenn ich persönlich sage, mein ich persönlich, du aufgeblasener Schmierlappen.

    In diesen Teil der Castra war Antias bislang noch nicht vorgedrungen. Neugierig marschierte er durch den ausgedehnten Kasernenkomplex der Praetorianer, salutierte vor Offizieren, befragte verschiedene Miles nach den Unterkünften der Sechsten Centurie oder direkt nach Iunius Avianus und stellte dabei ernüchtert fest, dass auch hier nur die übliche Schinderei und das allgegenwärtige Exerzierplatzgeschrei vorherrschten, ebenso wie drüben bei den Urbanern.


    Der einzig erkennbare Unterschied zu seinen eigenen Einheiten sprang allerdings sofort ins Auge: Die tiefschwarzen Rüstungen der Praetorianer. Wieder einmal war er hin und hergerissen zwischen Bewunderung und Erstaunen über die schimmernden Brustpanzer. Das machte schon was her, zweifellos. Nur fragte er sich, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn einem ein paar Stunden lang die Sommersonne auf das geschwärzte Metall geknallt war. Wer weiß, vielleicht würde er es irgendwann einmal herausfinden, vielleicht auch nicht.


    Nachdem er endlich bei den Unterkünften der Sechsten angekommen war und sich in mehreren Baracken nach Iunius Avianus erkundigt hatte, marschierte er stramm auf die ihm gewiesene Tür zu und wummerte energisch.


    „Aulus Iunius Avianus?“

    „Hach ja ..“ Antias starrte trübsinnig in den wolkenverhangenen Himmel über den Vorstadtdächern.
    Als man ihn zur Torwache eingeteilt hatte, war er noch dankbar gewesen für ein bisschen Ablenkung vom stumpfen Drill der Ausbildung. Mittlerweile war der Wachdienst allerdings zur Marter geworden. Hier zu stehen, einen Fuß in Freiheit auf der Straße zur Vorstadt und hinunter zur Subura – und den anderen unlösbar verkettet mit dem Dienstplan .. unerträglich. Zerstreut fiel sein Blick auf die massige Gestalt des Kelten, der ihn angesprochen hatte.
    „Was? Ach so .. ja.“
    Tabula. Inunius Avianus. Sechste Centurie. Zweite Kohorte. Empfangsbestätigung. Wenn's weiter nichts ist ..
    „In Ordnung. Wird erledigt.“ Bemüht diensteifrig schnappte er sich die Tabula, raunte seinem grinsenden Kameraden ein flüchtiges „Gleich wieder da.“ zu und stapfte durch das gähnende Lagertor die Principalis hinunter. Postbote, Mercurius gleich, warum nicht. Vielleicht eine wichtige Nachricht? Vielleicht ein süßes Geheimnis? Ein geschriebener sehnsuchtsvoller Ruf nach einem Stelldichein? Geht das schon wieder los .. reiß dich zusammen, Rindvieh!


    >>>

    Antias sog erleichtert die Luft ein und stieß sie bekümmert wieder aus. Da ging sie hin. Düster und kalt wurde es im Atrium. Der Sommer wich, die Herbststürme fegten das Laub aus den Eichen und schließlich erstarrte alles im eisigen Winterfrost.


    Wach auf, Idiot! Sie ist nicht fort. Sie ist in ihrem Zimmer und es geht ihr gut. Sie hat Morrigan, sie hat ihre kleine Welt und es geht ihr gut! Du siehst sie wieder. Du lässt sie nicht zurück, du trägst sie bei dir, also sei verdammt nochmal dankbar dafür und nimm deine Kraft zusammen für die Tage, an denen sie dich braucht. Du wirst sie wiedersehen, kapiert? Und hör auf, wie ein Schwachsinniger auf den leeren Türrahmen zu starren!


    Antias begann sich zu sammeln und sein Geist kehrte allmählich in den strammstehenden Tiro zurück, der inmitten seines Contuberniums die östliche Wand eines Lupanars bewachte. Sein Blick fiel besorgt auf den katatonischen Tribun, der Morrigans Fragen anscheinend gar nicht wahrgenommen hatte. Lebt der überhaupt noch? Vielleicht sollte mal irgendjemand rüber gehen und ihm den Puls fühlen.

    Im Dunkel hinter dem Vorhang knallte Antias schmerzhaft gegen ein Holzfass widerlich süsslich stinkenden Inhalts. Unverkennbar auserlesene Früchte vom Südhang des Vesuv. Angeekelt tastete er sich weiter. Noch ein Fass und noch ein Fass ..
    „Hispo?“ Nichts. Nur der gedämpfte Lärm aus der Schankstube und Sasernas kehliges Hecheln hinter einem weiteren Vorhang, durch den ein schwacher Lichtschimmer drang. Fluchend tappte er weiter, riss den Vorhang zur Seite und erspähte ihm flackernden Schein des Herdfeuers die schweißglänzenden Umrisse zweier rhythmisch zuckender Körper.


    „Schluss jetzt!“ Vollends entnervt marschierte Antias auf die bebenden Leiber zu, blieb mit dem Fuß an etwas hängen und schlug der Länge nach hin. Wüsteste Flüche ausstoßend griff er hinter sich und bekam die lederne Ferse einer Caliga zu fassen. Einer Caliga mit einem Fuß drin. Ein Fuß mit einem Bein dran. Ein Bein, das an seinem oberen Ende in einem äußerst nachlässig gewickelten Subligaculum verschwand und sich schließlich im behaarten nackten Oberkörper des Rekruten Hispo fortsetzte, der mit einem seligen Lächeln im Gesicht auf einem Haufen Streuspäne vor sich hin schnarchte.


    „Was zum ..“ Vom jähen Blitz der Erkenntnis durchflammt schnellte Antias' Blick zu der knarzenden Pritsche hinüber, auf der sich der Hausdiener gerade mit zitternd kontraktierten Gesäßmuskeln in Sasernas Kehrseite vorarbeitete. Ausdruckslos starrte er für einen Moment zu Antias hinüber und widmete sich dann wieder voll und ganz dem Anus der sich windenden Saserna, die mittlerweile nur noch das raue Krächzen einer aufgescheuchten Saatkrähe von sich geben konnte.
    Von unkontrollierbarem Grinsen heimgesucht blickte sich Antias nach einem Wassereimer um, wobei er sich nicht schlüssig war, wem er den kalten Guss angedeihen lassen sollte, dem schnarchenden Hispo, dem wild rammelnden Personal oder sich selbst. Müßige Gedanken, denn er fand keinen Eimer, nur angeschlagene Krüge mit Rufos ätzender Hausmarke und das konnte man nichtmal dem Hausdiener antun. Kichernd beugte er sich über den schlummernden Hispo.
    „Hispo!“ Ein Rülpser, ein Schnarcher, sonst nichts.
    „HISPO!“ Ein unwilliges Brummen und eine behaarte Pranke, die unter die lockeren Schichten des Subligaculum wanderte um sich ausgiebig zu kratzen. Von krampfartigen Lachanfällen geschüttelt suchte Antias Hispos Klamotten zusammen, beugte sich wieder über seinen Kameraden und holte tief Luft.


    „ALARM!“ brüllte er so laut es nur ging. Hispo riss entsetzt die Augen auf. „ANTRETEN!“ brüllte Antias weiter, „DIE PARTHER STEHEN AM TIBERIS!“
    In einer Wolke aufstiebender Späne zappelte sich Hispo hektisch auf die Beine. Von der Pritsche dröhnten plötzlich die panischen Schreie des Hausdieners:
    „GÖTTER! OH GÖTTER!“ Mit einem lauten Schmatzen schob er sich Saserna vom Schaft und rannte völlig aufgelöst und splitternackt aus dem Zimmer. „DIE PARTHER! OH GÖTTER!“
    „Heeee .. soll'n das du Aaasch!“ krähte Saserna ihm heiser hinterher, erblickte dann Antias und leckte sich die rissigen Lippen. „Ja hallooo Rekrut.“
    Antias überkam das dringende Bedürfnis, ihr deutlich zu machen, was er im Hinblick auf dreissig bezahlte Sesterzen von ihrer Auffassung des Preisleistungsverhältnisses hielt, aber dafür war jetzt keine Zeit. Der fliehende nackte Hausdiener hatte in der Taberna sicher bereits für Tumult gesorgt und Antias hatte wenig Lust auf fruchtlose Diskussionen mit irgendwelchen herbeigerufenen Patrouillen gleich welcher Einheit.


    Hispo hatte allmählich seine Fassung zurückerlangt und glotze Antias verwirrt an.
    „Wie Alarm? Ist doch 'n Scherz oder?“
    „Kann man nie wissen.“ grinste Antias. „Los, zieh dich an. Wir verduften!“
    Hispo zog sich grummelnd die von feuchten Spänen völlig verkleisterte Tunica über, schnallte sich den Gürtel um und warf noch einen letzten sehnsuchtsvollen Blick auf Saserna hinüber, die nun unter dem röchelnden Schnarchen totaler Erschöpfung kopfüber von der Pritsche hing.


    „Bei den Hoden des Hercules, was für ein Weib.“
    „Jetzt komm! Macro und die Jungs warten schon!“

    Antias und Macro spähten im Schummerlicht umher. Mit Pfiffen und wildem Gefuchtel gelang es ihnen schließlich, das restliche Contubernium wieder Tiro für Tiro zusammenzutreiben. Nur zu Fimbria gab es kein Durchdringen. Der war offensichtlich vollauf damit beschäftigt, sich mit seinen zartbesaiteten neuen Saufkumpanen alle Mühsal des Lebens von der Seele zu flennen.
    „Auch das noch.“ ächzte Antias. „Wirklich höchste Zeit, hier abzuhauen.“


    Wie zur Bestätigung dieser Feststellung ließ draußen der Regen hörbar nach. Das dumpfe Grollen wanderte langsam nach Osten ab und nur noch vereinzelt irrlichteten flackernde Blitze durch die Fenster herein. Wieder einmal teilte sich der Vorhang, doch anstatt Hispo stolperte nur Rufo sichtlich ermattet zurück in den Schankraum, begleitet von Sasernas heiserem Gebell, das allmählich in ein atemloses Stakkato überging. Mit leerem Blick und zerklüfteter Mine humpelte der Wirt auf Antias zu – und an ihm vorbei.


    „Rufo? Was ist jetzt?“
    „Ach leckt mich doch alle am Arf!“
    Sprachs und schob sich kraftlos zwischen den umherstehenden Gästen auf den Ausgang zu. Antias sah zu Macro hinüber und zuckte irritiert die Achseln.
    „Das glaub ich alles nicht.“


    Ratlos starrten sich die Rekruten über den Tisch hinweg an. Ihr Abstecher in Rufo's Elysium hatte mit dem Abhandenkommen des Wirtes nun definitiv der krönenden Endpunkt erreicht, so viel stand fest. Aber ebenso fest stand, dass sie keinen Kameraden jemals zurücklassen würden, egal ob im Einsatz oder zwischen den Schenkeln einer brünstigen Wirtsgattin.
    „Na gut, dann geh ich eben selber.“ brummte Antias genervt zu Macro gewandt. „Wenn du inzwischen versuchen könntest, Fimbria aus seinem Tal der Tränen zu hieven?“ Kopfschüttelnd blickte er auf die kleine Gruppe schluchzender Rekruten hinüber.
    „Aber bitte behutsam, nicht dass sein zartes Seelchen noch Schaden nimmt.“


    Geladen wie eine Balista stampfte Antias auf den Vorhang zu. Dreissig Sesterzen hin oder her, kein Mensch, schon gar nicht Hispo, konnte so egoistisch sein, die einzig verfügbare Stute vor den leidenden Ohren seiner geilen Kameraden in Grund und Boden zu nageln.

    Während Antias benommen vor sich hindämmerte, verflochten sich alle Geräusche langsam zu einem dicken weichen Klangteppich, der sich einlullend und dumpf um ihn legte. Alle Geräusche bis auf das verzückte Quieken Sasernas und seiner inneren Stimme, die ihm höchst vernünftiges einflüsterte. Da er sich nichtmal im Halbschlaf mit dem penetranten Lustgeschrei auseinandersetzen wollte, befasste er sich träge mit seiner inneren Stimme. Allerdings klang die nicht wie gewohnt. Seine eigene wäre weit aggressiver mit ihm ins Gericht gegangen. Das klang doch irgendwie nach Macro.


    Misstrauisch schlug er die Augen auf und stellte beruhigt fest, dass es wirklich Macro war, der mit ihm gesprochen hatte.
    „Oooh .. Macro.“ stöhnte er noch leicht benebelt. „Ich hab 'nen Geschmack im Maul als hätt' ich die Kohortenlatrine ausgeleckt.“ Gegen den Brechreiz ankämpfend schnappte er sich den nächsten Becher und schüttete sich den Inhalt verzweifelt in den klebenden Schlund.
    „Hhaaarghhh.“ Er hätte es besser wissen müssen.


    „Nächstes mal versuch ich's dann doch lieber mit der Kohortenlatrine.“
    Trotz aller Magenfolter wurde Antias so langsam wieder klarer im Kopf. Macro saß neben ihm und schaute ihn nur fragend an. Plötzlich fielen Antias Macros Sätze wieder ein.
    „Ja, klar, recht hast du. Wir sollten wohl wirklich hier verschwinden. Ist Rekrut Eisenschwanz schon fertig?“ Hochfrequentes Gewieher aus dem Hinterzimmer machte eine Antwort überflüssig.


    „Verdammt nochmal. RUFO!“
    Der Wirt schleppte sich schnaufend an den Tisch.
    „Herr?“
    „Geh nach hinten und sag unserem Deckhengst, er soll austraben. Das Contubernium räumt die Stellung.“
    „Naja, ich weif nicht, ob ich da ftören foll ..“
    „Besser wär's. Wenn du Hispo machen lässt, ist deine Gattin morgen reif für den Pferdemetzger!“
    „Fon gut.“ murmelte der Wirt verängstigt und trottete von dannen.
    Stöhnend drehte sich Antias zu seinem Kameraden um.
    „Das liegt daran, dass er kaum was getrunken hat. Ich schwör dir Macro, noch einen Krug von dieser Jauche und ich krieg keinen mehr hoch.“


    Sim-Off:

    Extrem erfreut dich zu sehn Macro!

    :dafuer:

    Oh verdammt! Verdammt! Da war Apolonia! Das machte alles auf eine widersinnig wunderbare Art noch viel schwerer. Antias schluckte ein paarmal vernehmbar an dem faustgroßen Stein, der ihm die Kehle zu blockieren schien, stützte sich mit verkrampften Fingern auf die Hasta und versuchte so verzweifelt wie vergeblich, seine Atemzüge flach zu halten. Vorsichtig und fast unmerklich erwiderte er ihr Lächeln. Und wieder sah er hervorleuchten, was vielleicht nur er an ihr wahrnehmen konnte. Verdammt!


    Er wusste, wer sie war. Er wusste, was sie war – und es war gut. Alles war gut. Alles war richtig so lange es richtig für Apolonia war. Sein Lächeln wurde noch etwas wärmer. Er entspannte sich zusehends und verlor offensichtlich gerade dadurch seine mühsam aufrechterhaltene Tarnung, denn neben ihm pfiff Hispo leise durch die Zähne und murmelte ein mitfühlendes: „Oooh Scheiße.“


    Antias hätte es nicht besser auf den Punkt bringen können. Wie blödsinnig grotesk das alles war. Die erstarrten Tirones an der Wand aufgereiht wie Mastenten am Bratspieß, der reglose Tribun offenen Auges lesend scheinbar dem Wachschlaf verfallen, Morrigan mit dem Offizier vertraulich ins Gespräch vertieft, sicherlich ihre Ware auf's wärmste anpreisend, darunter Apolonia. Apolonia, die scheu lächelnd dort drüben stand und der einzig wirklich freie Mensch im Raum zu sein schien. Ihr gegenüber Antias, der abwechselnd ein- und auszuatmen vergaß und inständig hoffte, Morrigan würde dem interessierten Nauarchus nicht hier und jetzt und vor seinen Augen Apolonia zur Probe anbieten. Es war ihr Leben und er respektierte restlos alles daran, aber Götter, nicht hier, nicht jetzt, nicht vor seinen Augen!


    „Jau, Scheiße.“ bestätigte er leise. „Allerdings.“

    Erleichtert darüber, die Öffentlichkeitsarbeit vom Hals zu haben, schob Antias Hispo mit dem Scutum vor sich her zum Schreibtisch hinüber. Wie seine Kameraden vor ihm trat er schließlich stramm vor den Tribun und machte Meldung.
    „Tribun. Alle rückwärtigen Gemächer kontrolliert. Nichts verdächtiges. Keine Waffen, kein Geld, keine Dokumente, keine Kunden.“


    Dann trat er neben Hispo zurück ins Glied, das sich zum etwaigen Empfang neuer Befehle oder zum Abmarsch an der Wand formiert hatte.
    „Was ist egentlich los mit dir in letzter Zeit?“ knurrte Antias halblaut zu Hispo hinüber, ohne den Kopf zu drehen.
    „Pfff“ anwortete Hispo trotzig. „Und mit dir? Was war da hinten in den Zimmern?“
    Antias blickte stur geradeaus, genaugenommen noch sturer als stur.
    „Gar nichts.“
    Hispo schnaubte verächtlich.
    „Hör doch auf. Als du zurückgekommen bist, hast du ausgeschaut als hättest du deine Leber rausgekotzt.“


    Antias erwiderte nichts und beide verfielen in bockiges Schweigen. Einerseits wäre Antias am liebsten zu Granit erstarrt um dieses Lupanar nicht mehr verlassen zu müssen, andererseits brannte er geradezu darauf, zurück ins Freie zu kommen, zu marschieren, sich zu schinden und zu verausgaben um endlich seine Gedanken wieder sortiert zu bekommen. Der Tribun allerdings machte noch keine Anstalten, abrücken zu lassen. Er war im Gegenteil so penibel ins Studium der Dokumente vertieft, dass es den Anschein machte als wolle er sämtliche Aufstellungen und Berichte auswendig lernen.

    Antias deutete Hispo mit einem mordenden Blick an, sich gefälligst abseits zu halten. Zwar konnte Hispo bekanntlich eine Senatorentoga nicht von einem Wandteppich unterscheiden, aber dass es sich hier um einen Marineoffizier handelte, hätte selbst dem triebhaften Riesen nicht entgehen dürfen. In respektvollem Ton wandte sich Antias wieder dem offenbar dienstfreien Offizier zu.


    „Wer die Geschäfte wirklich leitet, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Jene dunkle junge Frau dort trüben ist jedenfalls mit der Verwaltung betraut. Ich bezweifle, dass etwas gegen das Lupanar vorliegt, meines Wissens führen wir hier nur eine Routinekontrolle durch. Die Verwalterin oder Tribun Iulius Dives dort am Schreibtisch können dir da sicher weiterhelfen.“

    Ein Blitz jagte den nächsten. Dumpfer rollender Donner tobte über die Dächer als würde die Vorstadt mit Onagern beschossen. Die Balken der Taberna ächzten bedenklich. Immer wieder rieselte Staub von der niederen Decke auf Tische, Krüge und Köpfe. Eine paar tauschinteressierte Tirones belagerten den Tisch und feilschten lautstark mit Antias' Kameraden um die überschüssigen Kleidungsstücke des Donativums. Am Nebentisch waren sich die Würfelspieler in die Haare geraten und brüllten wütend aufeinander ein. Weiter vorn an den Fenstern zur Gasse hatten sich einige melancholische Rekruten – darunter Fimbria – zu einem basslastigen Gesangskreis zusammengefunden und schmetterten wehmütige Weisen von verlorener Heimat, verlassenen Weibern und vergangenen Zeiten. Der einsetzende Platzregen hatte weitere schutzsuchende Soldaten in die Schenke getrieben, die nun ihrerseits versuchten, den Wirt zum Freiräumen von Sitzplätzen zu überreden.


    Antias saß zerknirscht am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt und völlig unberührt vom Getöse um ihn her. Er hörte zwischen den diffusen Lärmwolken allein Sasernas ekstatisches Gekreische im Hinterzimmer. Kurz dachte er darüber nach, sich draußen irgendeine Gassenhure zu schnappen, verwarf den Gedanken aber schnell wieder, weil es dort wie aus Bottichen schüttete. Seufzend starrte er auf den Vorhang hinüber. Mittlerweile hätte er auch fünfzig bezahlt.


    Der Wirt schlurfte erschöpft vorbei.
    „Rufo!“
    „Herr? Noch Wein? Oder Bier?“
    „Beides.“ Antias wies mit einer resignierten Geste zum Vorhang.
    „Das hättest du auch gleich sagen können ..“
    Rufo blickte ihn fragend an.
    „Waf, Herr?“
    „Na, dass man für die fünfundzwanzig Sesterzen gleich die ganze Nacht kriegt.“
    „Ef waren dreiffig.“
    „Ist doch scheißegal jetzt! Ich dachte, das wär für eine Nummer!“
    Rufo mahlte gereizt mit den zahnlosen Kiefern.
    „Ihre Entfeidung. Ich kaffiere, fie vögelt. Anfonften tut fie waf fie will.“
    „Na herrlich. Wenn du deinen ganzen Laden so im Griff hast wie deine Hausnutte ..“


    Völlig unerwartet klatschen Rufos fleischige Handflächen auf dem Tisch, der kahle Schädel schoss auf Antias zu.
    „DIE NUTTE IFT MEIN WEIB! Waf glaubt ihr grünen Piffer eigentlich! An den Kalenden, jaaa, da kommt ihr fum Faufen her, kotft mir die Ftube voll und ferdeppert mir die Einrichtung und wovon foll ich den Reft der Feit leben, hä?“
    Antias rutschte im Stuhl zurück und wischte sich fahrig die Spucke aus dem Gesicht.
    „Ist ja gut Rufo .. ich wollte ..“
    „GUT? Waf ift gut? Daff ich die kleine Flampe auf ihrer Kloake in der Fubura geholt hab und mir feither die Latfen für fie durchrenne damit fie nicht mehr auf der Gaffe fu arbeiten braucht! Dabei freffen mir fie und ihr gieriger Ftecher von Haufdiener die Haare vom Kopf und ich kann noch nichtmal waf fagen, weil wir daf Geld brauchen!“
    „Jetzt hör mal Rufo .. das konnte ich nicht ..“ Antias wäre gerne woanders gewesen, egal wo.


    „Und dann if fie euch auch noch fu teuer! Allef wollt ihr gefenkt! Waf krieg ich denn gefenkt? Waf die mich koftet, kannft du mit Geld gar nicht bepfahlen! Haft du gehört wie die mit mir redet! Haft du daf gehört!“
    Antias stemmte sich keuchend hoch.
    „RUFO! ES REICHT!“
    Tief über den Tisch gebeugt blinzelten Antias und der Wirt sich schnaufend an. Rufo war der Schweiß in die Augenwinkel geronnen, Antias Rufo's Spucke. Über dem fast erstorbenen Lärm in der Schankstube erhob sich hell und klar Sasernas glückseliges Freudensgejaule.


    „Tut mir leid.“ murmelte Antias gepresst.
    Rufo blickte abwesend auf die leeren Krüge und sammelte sie schließlich langsam ein.
    „Foll ich ef gleich draufen fufammenfütten, Herr?“
    „Äh .. das wäre nett. Danke.“


    Rufo schob ab und Antias ließ sich matt in seinen Stuhl zurückplumpsen. Die rührseligen Gesänge brandeten wieder auf. Der Streit am Nachbartisch ging weiter. Der Vorhang zum Hinterzimmer bauschte sich sanft in der feuchten Gewitterbrise, die von der Straße her durch die Taberna wehte.
    Heilige Scheiße, ist das Leben kompliziert dachte Antias schläfrig und als Rufo mit dem Weinbiergemisch zurückkehrte, war Antias bereits auf seinem Stuhl eingedöst.

    „Seh ich aus wie ein Straßenschild?“ blaffte Hispo kurz angebunden. Zuerst ließ man ihn nicht in die Weibergemächer und dann wurde er auch noch schräg angequatscht.
    „Hispo!“ zischte Antias alarmiert als er zurück ins Atrium hastete. Offensichtlich war Kundschaft eingetroffen, für die Hispo sich nicht zuständig fühlte, zu recht. Antias legte seinem Kameraden besänftigend die Hand auf die Schulter und musterte den Fremden. „Entschuldige. Suchst du den Tribun?“

    Während sie auf die Bestellung warteten widmeten die Rekruten ihre gesammelte Aufmerksamkeit der zwischen Hispo und Fimbria eingekeilten Hure, die im lüsternen Fokus von acht Augenpaaren geradezu aufblühte. Hispo rutsche nervös auf seinem Stuhl herum, Fimbria wurde von einem Schweißausbruch heimgesucht und Antias musste unwillkürlich grinsen.


    Nun gut, das war heute bislang keine schöne Erfahrung gewesen, aber vielleicht die richtige Erfahrung zum richtigen Zeitpunkt. Sie alle standen noch ganz am Anfang ihrer Dienstzeit und in der militärischen Hierarchie kaum höher als Packesel, die die Ausrüstung schleppten – von ihrer gesellschaftlichen Stellung ganz zu schweigen. Das durften sie nicht vergessen.
    Natürlich war ihr Stolz allmählich gewachsen nach jedem überstandenen Tag an den Holzpfählen, die sie mit den schweren Übungsschwertern und Schilden so lange angegriffen hatten, bis die Holzschwerter Risse bekommen hatten und die zerhackten Pfähle ausgewechselt werden mussten. Jedes zusätzliche Pfund an Ausrüstungsgewicht, mit dem sie über Mauern und Holzverhaue geklettert und durch Becken, Gräben und Bäche geschwommen waren, hatte ihr Selbstvertrauen genährt. Ohne Zweifel befand sich jeder von ihnen in einem besseren körperlichen Zustand als jemals zuvor im Leben, und dennoch gab es für sie keine Abkürzungen und keinen schnellen Ruhm zu erringen.


    Antias sah sich unter den Kameraden um. Manch einer würde seine Dienstzeit einmal beenden, ohne auch nur eine Stufe weiter gerückt zu sein als ein Miles. Das musste ihnen klar sein. Alles darüber hinaus bedurfte nicht nur Ehrgeiz, Fleiß und einem gewissen Maß an Selbstaufgabe sondern vor allem Geduld und Beharrlichkeit. Aber heute war nicht der Abend, um über Erreichtes und Erreichbares nachzudenken, sie hatten ihren Nasenstüber erhalten, verstanden und gut. Es blieben ihnen noch etliche Stunden und jetzt ging es erstmal den Amphoren an die Hälse und ihrer dampfenden Tischgenossin an die Kurven.


    Der Wirt kam beflissen herbeigeeilt und stellte Weinkrüge, Becher und eine Schale mit dunkel glänzendem schwer definierbaren Allerlei auf den Tisch.
    „Fo, Früchte und Wein. Fonf noch Wünfe?“ Rufo blickte fragend in die Runde, die ihre Blicke wiederum noch immer größtenteils auf die hauseigene Jubelspalte geheftet hatten.
    „Alfo, ja .. daf ift Faferna, meine .. äh ..“
    „Faferna?“ fragte Hispo interessiert.
    „Saserna!“ prustete das Objekt des Interesses kelhlig auf. „Sssso isses.“


    Mit einem halblaut gemurmelten „Flampe.“ drehte sich Rufo beleidigt um und wandte sich wieder seinen anderen Gästen zu. Hispo machte ein paar schwülstige Bemerkungen bezüglich der Anmut von Frau nebst Namen, Antias griff grinsend zu den Früchten und erspähte gerade noch rechtzeitig zuckende Bewegungen auf der eingelegten Apfelscheibe, die er im Begriff war, sich in den Mund zu schieben. Misstrauisch zog er die Obstschale zu sich heran und entdeckte weiteres sich schlängelndes Kleinstgetier zwischen den Früchten. Angewidert schenkte er sich Wein in den Becher und stürzte ihn gierig hinunter.


    „Hhaaarghhh.“
    Ihm blieb die Spucke weg, damit hatte er nicht gerechnet. Wein hatte er eigentlich als trinkbare Flüssigkeit in Erinnerung. Hatte er da irrtümlich den Schierlingsbecher eines in Ungnade gefallenen Senatoren erwischt? Keuchend schob er den Becher weiter zu Hispo, der ihn sofort furchtlos an die Lippen führte.


    „Hhooaachhh.“
    Hispo hustete, Saserna kicherte, Antias fluchte.
    „RUFO!“


    Der Wirt wuselte schwitzend herbei.
    „Herr?“
    Antias deutete mit mordlüsternem Blick auf seinen Becher.
    „Was ist das?“
    „Daf? Unfer beliebtefter Rotwein auf der umbrifen Traube.“
    „So! Und das?“ Schnaubend hielt Antias dem Wirt die Obstschale unter die Nase.
    „Auferlefene Früchte von den Füdhängen des Vefuv.“
    „Auserlesen? Du meinst wohl aufgelesen .. na gut ..“ Ruhig bleiben. Ausgang, Entspannung, Genuss und Wolllust. „.. hast du Bier?“
    „Natürlich Herr, friff angeliefert.“
    „Da wett ich drauf. Dann bring mir einen Krug. Und nimm deine auserlesen Früchte mit, ich mag keine Würmer an der Tunica.“


    Der Wirt verschwand, Antias atmete zischend aus und spürte plötzlich einen Fuß an seinem Gemächt.
    „Das is aba kein Wurm da unten.“ hauchte ihm Saserna über den Tisch zu. Antias sank grinsend in seinem Stuhl zurück und wollte entsprechendes erwidern, aber im gleichen Moment grunzte Hispo wohlig. „Nein. Eher ein Aal. In Marmor gemeißelt.“


    Antias reckte den Hals und sah Sasernas Hand unter Hispos Tunica umherwandern. Begabt, dachte er anerkennend, durchaus begabt. Während Sasernas Zehen ihn weiter zwickten, stellte Antias sachlich fest, dass sein Schaft wohl demnächst die Tischplatte samt Gedecken anheben würde und überlegte fieberhaft, wie er die Kameraden überreden konnte, ihn bei Saserna vorzulassen. Aus der Tiefe des Raumes stolperte der zusehends überarbeitete Rufo heran und knallte einen weiteren Krug auf den Tisch.
    „Fo! Bier!“
    Bemüht, seine Körperhaltung nicht zu verändern nestelte Antias seinen Lederbeutel vom Gürtel.
    „Was bekommst du?“
    Die Augen des Wirtes leuchteten auf.
    „Alfo .. fünffehn Affe daf Bier, fanfig Affe der Wein, Herr.“
    Antias nickte und machte eine Kopfbewegung zur anderen Seite des Tisches.
    „In Ordnung. Und Saserna?“
    Die Köpfe der anderen Rekruten fuhren herum, Saserna kicherte und Rufo holte hörbar Luft.
    „Fünfunfanfig.“
    „Asse?“
    „Fefterpfen.“
    Antias fuhr hoch, Sasernas Fuß rutsche ab.
    „Sesterzen? Bist du irre?“
    „Fünfunfanfig Fefterpfen.“ beharrte der Wirt.
    „Zehn!“
    „Na gut .. tfanfig.“
    „Was!?“ blökte Saserna und sprang ebenfalls auf. „Du zahnlosa alta Teigschwanz!“
    „Zehn!“ wiederholte Antias stur.
    „Dreissig!“ brüllte Saserna und funkelte ihn angriffslustig an.
    „Gekauft!“ rief plötzlich Hispo, zog Saserna auf den Stuhl zurück und klatsche seinen Geldbeutel auf die Tischplatte.


    „Na alfo, warum fo komplipfiert?“ seufzte Rufo müde und sah Antias fasziniert dabei zu, wie der sich wieder setzte, den Wein mit dem Bier zusammengoss und einen tiefen Zug direkt aus dem Krug nahm.
    „Hhaaarghhh.“
    „Besser?“ fragte Hispo fürsorglich.
    Antias schüttelte energisch den Kopf.
    „Stärker.“


    Nachdem das Finanzielle geregelt und Hispo breit grinsend mit Saserna im Hinterzimmer verschwunden war, starrten die übrigen Rekruten belämmert in ihre Becher.
    „Na kommt ..“ versuchte Antias die Kameraden aufzumuntern. „.. wir haben noch Zeit genug. Nicht mal Hispo braucht ewig.“ Keine Reaktion. Ewig nicht, dachte er resigniert, aber lange auf jeden Fall.

    Die überwiegende Mehrheit des Contuberniums fand wenig Gefallen an der Vorstellung, für den Angriff auf einen Centurio im Carcer zu landen oder schlimmeres, also machte die Kolonne missmutig kehrt und schlurfte zurück in Richtung Castra.


    Entgegen ihren Befürchtungen hatte sich das ziellose Gewimmel im nordöstlichen Viertel zwischenzeitlich erheblich ausgedünnt. Vereinzelte Gruppen ausgelassener Rekruten drängten sich vor den Verkaufsständen von Händlern, Fleischern und Glücksspielern oder feilschten angeregt mit Huren und Lustknaben. Einige Tirones hatten augenscheinlich bereits ihren maximalen Füllstand erreicht und dösten nun an die Hauswände gelehnt vor sich hin. Ansonsten hatte sich das Leben unüberhörbar in die Häuser verlagert. Aus zahllosen Fenstern und Türen drang lautstarkes Lachen, Geschrei und Gestöhne auf die Gassen, umweht von den Düften sauren Weins, geschmorten Fleisches und verbrannter Gewürze. Als die Männer schließlich auf Höhe einer ganz manierlich anmutenden Taberna vor einem jähen Blitz zusammenschraken, war das Antias Zeichen genug,


    „Vielleicht sollten wir da ..“ – aber die Aufforderung erwies sich als überflüssig, denn Leitbulle Fimbria hatte bereits die Initiative ergriffen und stampfte ohne Zögern auf die Schenke zu. `Rufo's Elysium`las Antias über der Tür.


    In der Taberna war es nur unwesentlich heller als draußen auf der Straße, dafür aber wesentlich stickiger. Ein halbes Dutzend grob gezimmerter Tische wurde im Zwielicht erkennbar, eng besetzt von rülpsenden Rekruten in den unterschiedlichsten Stufen der Weinseligkeit. Einige waren ins Würfelspiel versunken, andere diskutierten mit schwerer Zunge oder starrten nur benebelt vor sich hin. Im hinteren Teil des Schankraums wurde der Vorhang zu einem Nebenzimmer zur Seite geschoben und ein untersetzter Glatzkopf eilte mit zahnlosem Lächeln auf das Contubernium zu.


    „Oh, herrje .. heut feinen ja die gefamten Cohorten auf den Beinen fu fein. Ich bin Rufo, der Wirt.“
    Rufo blickte mit übertrieben bekümmerter Mine auf die umstehenden Tische.
    „Fu meinem Bedauern find fon alle Tiffe befetft, meine jungen Freunde.“


    Die Laune der Männer machte sich in einem mehrkehligen Aufstöhnen Luft. Antias sah sich brummend im Halbdunkel der Wirtsstube um. An der rückwärtigen Wand gleich neben dem Durchgang zum Hinterzimmer stand ein langer Tisch von dem sich das Leben bereits weitgehend verflüchtig hatte. Die Soldaten – ebenfalls ein vollzähliges Contubernium – hingen entweder schlaff in ihren Stühlen oder mit dem Kopf direkt auf der Tischplatte. Einer wurde noch mühsam von der obligatorischen Haushure gestützt, aber es war unübersehbar, dass hier der Abend gelaufen war.


    „Was ist mit dem Tisch da?“
    Der Wirt folgte Antias Blick auf die völlig abgefüllten Tirones und zuckte resigniert die Achseln.
    „Ihr feht ef ja felbft ..“
    „Jetzt hör mal! Wir sind noch nüchtern, haben Durst und vor allem haben wir noch Geld. Im Gegensatz zu deinen geplünderten Gästen da.“


    Rufo kratzte sich unentschlossen am haarlosen Schädel, sah von Antias auf den Tisch und setzte sich schließlich nickend in Bewegung. Auf einen kurzen Ruf des Wirtes trat ein breitschultriger Hausdiener aus dem Hinterzimmer und machte sich gemeinsam mit Rufo und der Hure daran, die sturzbesoffenen Rekruten zum Aufbruch zu animieren. Überraschend friedlich weil keines koordinierten Widerstandes mehr fähig setzte sich einer nach dem anderen schwankend in Bewegung und trottete dümmlich grinsend zur Tür. Antias sah ihnen mit leichtem Bedauern nach. Es lag ihm fern, Kameraden den Ausgang zu verderben, aber die Burschen hatten ihren Spaß gehabt und waren nun auf ihren Pritschen zweifellos besser aufgehoben, auch wenn sie die restliche Nacht brauchen mochten, um zu den Castra zurückzufinden.


    Der Hausdiener hatte sich wieder nach hinten verzogen. Rufo wischte mit einem schmierigen Lappen über die Tischplatte und wies einladend auf die freien Plätze.
    „Willkommen in Rufof Elyfium Soldaten. Bittefön.“
    Erleichtert setzte sich das Contubernium an den Tisch zu der freudestrahlenden Hure, die keine Anstalten machte, sich von ihrem Platz zu erheben.


    „Wein, die Herren?“
    „Ja, Wein. Und eine Kleinigkeit zu essen, vielleicht irgendwas süßes.“
    „Kandiertef Obft? Eingelegte Früchte?“
    „Egal, her damit.“

    Zitat

    Original von Apolonia


    Was war nur los? Apolonia verstand nicht was mit ihr geschah. In ihren Ohren rauschte es, ihr Herz hämmerte wie wild und sie hatte das Gefühl, dass es gleich zerspringen würde.
    Seine Stirn berührt mich, dachte sie bevor seine Worte nur noch aus weiter Ferne zu ihren Ohren drangen. Wie durch einen riesigen Wust aus Kissen abgedämpft, von dem jetzt langsam Kissen für Kissen abgetragen wurde und das was er sagte deutlicher zu hören war. Wenn keiner an dich denkt, ich tue es. Innerlich wiederholte sie den Satz. Dann hörte sie den letzten Teil zum schnellen Rhythmus ihres Herzschlages. Ich tue es - ich tue es - ich tue es.
    Dieser flüchtige zarte Kuss riss ihr fast den Boden unter den Füßen weg. Unwillkürlich schaute sie zu Boden. Als sie den Kopflangsam anhob konnte man das leuchten in ihren Augen sehen. Ein tiefer Seufzer von einem „Ja“, gefolgt, ein Kopfnicken um zu antworten. „Ja, heben wir beide sie auf und machen daraus gemeinsam den schönsten Krug der Welt.“
    Vorsichtig, fast als wenn sie Angst hätte, sie könne mit ihrem Berühren ein Traumbild zerstören, trat sie dich an ihn heran und schmiegte sich einfach nur an ihn.



    Antias hielt Apolonia schweigend in den Armen, atmete ihre Wärme durch jede Pore, fing ihren Herzschlag mit jeder Faser seines Körpers ein wie schwingende Saiten einer Lyra.


    Unzählige Bilder trieben durch seinen sturmgepeitschten Geist: Der erste zaghafte Austausch von Berührungen mit Aanet, der Tochter eines germanischen Rhenusfischers. Aanets Tränen unter den langen Weidenästen am Fluss, als er sich schließlich in sie vorgewagt hatte. Seine Bestürzung über ihren Schmerz und seine unbeschreibliche Erleichterung über ihr Lachen, das durch die Tränen geflackert war. Atemloses Ineinanderkrallen, elysische Ermattung. Das warme wissende Lächeln im jungen Gesicht seiner Mutter. Die bleichen erloschenen Züge Aanets. Tage ohne Licht, Nächte ohne Trost, Winter unter schwarzem Schnee. Das aufmunternde Winken seines Vaters am Lagertor, endlose Tage und Nächte des Wartens. Die erstickende tosende Leere, die sich aus dem Fluss erhoben hatte. Die dumpfe Trauer im alternden Gesicht seiner Mutter. Die undeutlich gewordenen Schemen von jungen Frauen zogen an ihm vorbei. Gleichgültiges Zucken schweißgetränkter Leiber. Die spitzen kehlige Schreie von Mägden und Sklavenmädchen unter ihm, die spitzen kehligen Schreie seiner Mutter aus dem Nebenraum. Weinnebel. Ekel. Leere. Die dunklen Male am Hals seiner Mutter, die zerschmetterten Kiefer unrasierter stinkender Legionäre. Wut. Hass. Leere. Der stetig wachsende Eispanzer in seiner Brust, Samen, Blut, Schleim. Das ersterbende qualvolle Lächeln im greisen Gesicht seiner Mutter. Verschwendete Jahre, verschwendetes Leben ….


    Doch bei jedem Atemzug, der sich von Apolonias Brust in seine übertrug verloren all die Bilder nach und nach ihre Bitterkeit und wurden durchdrungen von Wärme, die sich in den Schatten löste wie Waldhonig in saurem Wein. Mochten die Jahre auch für immer verschwendet sein, alles was geschehen war, hatte ihn dennoch hierher geführt.


    Still war es in ihm geworden und als sie beide dort eng umschlungen im Raum standen, hatten sie für ein paar Augenaufschläge den mahlenden Strudel der Zeit verlassen. Aber allmählich begann die Wirklichkeit, ihn zurückzufordern. Gesprächsfetzen von draußen wehten an sein Ohr, das dumpfe Poltern genagelter Militärstiefel drang vom Flur und der rückwärtigen Treppe her ins Zimmer. Die Urbaner kehrten von der Durchsuchung in's Atrium zurück. Seufzend und sacht löste sich Antias von Apolonia und grinste warm zu ihr hinunter.
    „Wenn du mir vielleicht sagen könntest, warum ich hier bin .. ich hab's vergessen.“


    Dann wurde er ernst, nahm ihren Kopf in beide Hände und sah sie eindringlich an.
    „Ich muss jetzt gehn', Apolonia. Aber ich werde trotzdem bei dir sein. Und nochmal: Was auch immer du tust, es ist ehrenhaft! Mach dir keine Gedanken darüber, ja?“


    Mühsam gefasst hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn, ging zur Tür, nahm Hasta und Scutum auf und trat in den Flur hinaus. Nach ein paar tiefen Atemzügen drehte er sich noch einmal zu Apolonia um, lächelte ihr zu und schloss dann die Tür.

    Antias sah Apolonia lange an. Endlos lange. Sie war noch so jung und trotzdem
    konnte er die kalten Winde des Schicksals fühlen, die bereits an ihr gezerrt hatten. Auch er war noch jung und hatte ihn seine Jugend vor den scharfen Klingen der Jahre verschonen können? Nein.
    Die Welt war ein gefräßiger Ort und er wie auch sie mussten auf sich acht geben, um nicht zerbissen, verdaut und wieder ausgewürgt zu werden, noch bevor sie die Zähne wirklich bemerkt hatten. Auf sich und auf einander mussten sie acht geben. Er war nicht in irgendeinem Rausch gefangen, ihm war im Gegenteil völlig klar, wie irrsinnig und irrational sich die Situation darstellte. Aber ebenso klar war ihm, dass sein Lebensfaden in dem ihren verfangen war seit dem Moment als er die Hand nach ihrer Haarsträhne ausgestreckt hatte.
    Nur Esel und Kelten kommen verliebt aus einem Bordell, er kannte diesen Spruch. Aber war er verliebt? War es das? War das so? War er das jemals gewesen?
    Oder machte er nur einen überdimensionalen Esel aus sich? Und wenn schon. Er hatte Esel immer recht gern gehabt.



    Kopfschüttelnd fasste er Apolonia behutsam im Nacken und zog sie langsam zu sich.
    „Hör zu.“ sagte er leise, beugte sich zu ihr hinunter und legte seine Stirn an die ihre.
    „Ein alter germanischer Sklave in Mogontiacum hat mir einmal erzählt, dass die Menschen als zersprungene Krüge zur Welt kommen, die den wahren Zweck ihres Daseins erst erfüllen können, wenn sie ihre unzähligen Scherben wieder zu einem Gefäß zusammengefügt haben. Da es aber unmöglich ist, wirklich alle der weit verstreuten Splitter wiederzufinden, bleibt ihnen nur eine endlose Sehnsucht nach dem einen Splitter, der sie ganz macht – oder wenn das Schicksal ihren Weg kreuzt – ein anderer zerbrochener Krug, der zusammen mit den eigenen Scherben und Splittern ein völlig neues und vollkommenes Gefäß ergibt, in das sich schließlich das Geheimnis des Lebens ergießen kann. Ich hatte den alten Germanen mitsamt seiner Geschichte über die Jahre längst vergessen. Bis heute. Bis jetzt.
    Du weißt, wo ich bin und ich weiß, wo du bist. Wenn du nicht allein sein willst, musst du es nicht. Wenn keiner an dich denkt, ich tu es. Wenn ich etwas tun kann, um dir Freude zu bereiten, werd ich es tun.“


    Dann küsste er sie endlich. Netzte ihre Lippen flüchtig und zart wie Tautropfen in der Morgendämmerung.
    „Was meinst du .. “ lächelte er sie an. „.. hier liegen überall Scherben rum, sollen wir mal anfangen, ein paar davon aufzuheben?“

    Er hätte es nicht tun dürfen, er hätte ihr die Strähne nicht aus der Stirn streichen dürfen. Er hatte es gewusst und trotzdem getan. Antias sah schweigend auf seine Hand, die eben noch Apolonias Lippen berührt hatten, dann sah er auf diese süßen Lippen und schließlich in ihre Augen. Nein, er hätte es nicht tun dürfen. Er hatte so lange standhalten können, bis er ihr das weiche Haar aus der Stirn gestrichen hatte. Bei allen Göttern, er hatte noch nie einer Frau das Haar aus der Stirn gestrichen! Und doch hatte es sich so richtig angefühlt. Ein paar kurze Augenblicke hatte er völlig vergessen, wo er war, wer er war und was er war. Das Lupanar, der Tribun, die Cohortes .. alles hatte sich aufgelöst bis nur noch diese Strähne übriggeblieben war und seine Hand, die nicht anders konnte als sie aus Apolonias Stirn zu streichen. Und er wollte es noch einmal tun. Er wollte seine Hände ihn ihrem Haar vergraben, sie zu sich heranziehen ....


    „Apolonia ..“ kam es brüchig aus ihm heraus. „.. ich kann nicht bleiben, das weißt du, hm?“
    Er strich ihr sanft über die Wange und versuchte ein Lächeln.


    „Bis ich wieder in den Castra bin, hast du mich längst vergessen, meine wunderbare Gazelle.“


    Es sollte heiter klingen, was es auch tat – aber vor allem tat es eins: weh.
    „Und .. weißt du was?“ Antias konnte trotz des bemüht leichten Plaudertons nicht aufhören sie zu streicheln.
    „Wenn du vielleicht mal jemanden brauchen solltest, der dir deine Strähnen aus der Stirn streicht ..“ Oder dir die Brauen küsst, oder .. oder .. dachte er schwermütig, riss sich aber schließlich zusammen und nahm lachend vor ihr Haltung an.
    „Tiro Germanicus Antias. Dritte Centurie. Zwölfte Kohorte. Ave Domina – stets zu Diensten.“


    Antias konnte nur hoffen, dass sein Lächeln nicht so schief aussah wie es sich anfühlte.

    Antias hielt ihrem Blick stand, versuchte das Licht in seinen Augen zu löschen, um die Sicht auf die Bergmassive zu verdunkeln, die sich in ihm in Bewegung gesetzt hatten. Ein Hang nach dem anderen war ins Rutschen geraten und donnerndes Geröll ging bebend zu Tal. Er hielt ihr stand. Obwohl sie ihm nun so nahe war, dass sich ihr Haar sanft in seinen Atemstößen wiegte.


    Etwas war hinter allem. Hinter all dem Schweiß, dem Dreck, dem Eisen, hinter allen Eiden und Pflichten. Hinter allem Ehrgeiz, hinter allem Streben nach Macht, und Anerkennung, sogar hinter aller Geilheit und allen kurzlebigen Sehnsüchten .. etwas war hinter allem und etwas davon blitze aus ihr wie Wetterleuchten am Maihimmel. Ob sie nur mit ihm spielte oder nicht, es machte keinen Unterschied. Aber er hielt stand. Seine Finger schlossen sich um die ihren und er senkte den Blick darauf.
    Er würde sie vermutlich nie mehr wiedersehn'. Was also sollte er ihr sagen? Dass er sie mehr achtete als jede gelangweilte Patrizierin? Dass er wusste, wie vieles die Jahre einem abverlangen konnten, dem Soldaten ebenso wie der Hure? Sie hätte ihn für schwachsinnig gehalten, und vielleicht war er das auch. Er drehte nur nachdenklich ihre Handfläche in der seinen und sah schließlich wieder zu ihr auf.
    „Du hast schöne Hände.“


    Verflucht! Was zum Orcus sollte das hier werden? Nach ein paar tiefen Atemzügen ließ er ihre Hand los und tat es schließlich doch: Vorsichtig strich er ihr eine braune Strähne aus der zarten Stirn.


    „Was du tust, ist ehrenhaft Apolonia, vergiss das nie.“ sagte er mit einem Lächeln. „Und – verdammt – gib auf dich acht, ja!“
    Das wars. Er hatte keine Order, das Personal im Atrium zusammenzutreiben und ansonsten hatte er nichts verdächtiges gefunden.
    „Wenn die Unterlagen der Domina in Ordnung sind, wird sich das hier schnell erledigt haben, keine Sorge.“