Beiträge von Titus Germanicus Antias

    Schwül war es hier drin. Perplex griff er nach dem Becher, glotze ihn an, als hätte er noch nie zuvor einen gesehen, und setzte sich dann doch. Er wusste durchaus, dass sein Centurio mit einem schon fast spitzbübischen Sinn für kleine Späße gesegnet war, aber so perfide, Antias derart unverfroren eine Beförderung vorzugaukeln, war er nicht, nicht der Avianus, den er kannte.


    Noch immer blöde in den Becher starrend entwich ihm ein unwillkürliches „Zu Befehl, Centurio. Danke, Centurio.“ Als er aber zu Avianus aufsah, begann er sich recht schnell zu entspannen. Optio. Das Hastile. Verantwortung! Es war also kein Zufall, sondern eine Vorahnung, dass ihn dieser Begriff in den letzten Tagen so penetrant verfolgt hatte. War er dazu bereit? Ja, beim Iuppiter, das war er! „Du hast mich vorgeschlagen, Centurio?“ Was für eine saudumme Frage! Das hatte Avianus doch gerade gesagt, oder nicht? Ein Optio sollte verdammt nochmal etwas weniger rumeiern! „Wenn es sich so verhält, ist es mir eine ganz besondere Ehre, Centurio Iunius Avianus. Ich .. kann mich nur für dein Vertrauen bedanken und dir versichern, dass ich mich ihm würdig erweisen werde.“

    Auf die knappe Aufforderung des Centurios hin betrat Antias zackig dessen Habitatio, wo ihm erstmal nur der breite Rücken des Iuniers entgegen ragte . Etwas durcheinander hielt Antias inne, vernahm die nicht unfreundliche Anweisung, sich zu setzten und folgte ihr schließlich verdutzt. Kaum mit dem Hintern im Sessel fuhr er erschrocken wieder auf. Optio? Verwirrt blickte er sich um, nur er und Avianus waren zugegen.


    Götter! Der Centurio hatte augenscheinlich jemand anderen erwartet. Das war jetzt peinlich. „Ähem .. Centurio Avianus?“ fragte er zunächst so verlegen wie unmilitärisch in den Raum, wurde sich aber sofort seiner unwürdigen Darbietung bewusst und salutierte energisch. „Centurio Iunius Avianus! Miles Germanicus Antias wie befohlen angetreten!“

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    Iulius Tarquitius Molo
    Miles · Cohortes Urbanae


    Molo verzog die Mundwinkel zu einem müden Schmunzeln. Soso, nicht glücklich würde der hohe Herr sein. Klar. Sicher. Wer auch immer dem verdutzen Wagenlenker den Floh ins Ohr gesetzt haben mochte, die Aufgabe der Urbaniciani bestünde darin, hohe Herren glücklich zu machen, lag meilenweit neben den Fakten. „Hör zu, Kutscher ..“ knurrte Molo gedehnt, „.. ich steck meine Rübe nur ungern in dunkle Kisten, ohne zu wissen, was mich drin erwartet. Klar? Wenn der Bursche vorhatte, sich noch ein wenig zu zieren, konnte Molo auch problemlos veranlassen, die Kutsche um den schlafenden Reisenden herum Brett für Brett auseinander zu nehmen und den widerspenstigen Kutscher hernach dazu verdonnern, den übrig geblieben Holzhaufen schnellstens von der Straße zu räumen. Etwas Spaß konnte den Wachmannschaften nur gut tun. Allerdings würde das ein recht schweißtreibendes Vergnügen werden, also versuchte es Molo lieber noch einmal mit Güte und Höflichkeit. „Aussteigen oder umkehren!“


    Gerade als er dazu ausholte, gütig und höflich gegen den Karren zu donnern, lies sich eine quengelnde Mädchenstimme aus dem Innenraum vernehmen. Der Ledervorhang schob sich zur Seite, und ein übellauniges, wenn auch durchaus hübsches Gesichtchen funkelte ihm aus dem Dunkel entgegen.
    „Willkommen in der Urbs Aeterna, werte Dame.“ säuselte er grinsend. „Ich muss eure Schaukel nach Waffen durchsuchen. Wenn ihr vielleicht für einen Moment aussteigen würdet, es dauert nicht lange. Hoff ich zumindest.“

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    Iulius Tarquitius Molo
    Miles · Cohortes Urbanae


    Genüsslich an seinen geliebten Pinienkernen kauend nahm Molo die Menschenschlange in Augenschein. Er wusste wirklich nicht, was die Burschen von der Tagwache immer hatten. Sicher war hier grade ziemlich viel los, aber so schlimm wie es die Milites beschrieben, konnte es in den vergangenen Tagen vor dem Tor auch nicht zugegangen sein, oder? Leichen lagen jedenfalls keine rum, nicht mal Tierkadaver, und die Wartenden waren zwar sichtlich genervt, begehrten aber nicht auf. Schade eigentlich. Nach dem öden Kasernendienst hatte sich der Tarquitier von der Einteilung zur Nachtwache schon etwas mehr Nervenkitzel versprochen. Stattdessen wieder nur Ödnis und Routine, vor allem aber Lärm und Gestank. Karren mit Weinamphoren, Karren mit Gemüse, Karren mir Bauholz, Schweinehälften, Wildbret, Gewürzen und wusste der Henker was noch allem, gezogen von stinkenden Ochsen, Maultieren und Lastgäulen, die ihre dampfenden Dungspuren völlig ungeniert über das Pflaster verteilten.


    Immerhin vermochte eine heranratternde Reisekutsche wenigstens einigermaßen sein Interesse zu wecken. Da hatten sich offensichtlich ein paar bedauernswerte Cives in den stinkenden Transportverkehr verirrt. „Salve Civis.“ entgegnete Molo mäßig begeistert den Ausführungen des Kutschers, während er das Gefährt langsam umrundete. „Wenn du die Güte hättest, deine Passagiere zum Aussteigen zu bewegen.“

    Strammen Schrittes eilte Anitas die Lagergasse hinauf. Ganz wohl war ihm nicht in seiner Haut, was allerdings weniger der Order, sich beim Centurio zu melden, geschuldet war, sondern vielmehr dem Umstand, dass diese Order eigegangen war, als er sich gerade erst aus der Lorica geschält hatte. Nach einem langen anstrengenden Tag am Stadttor hätte ein kurzer Besuch in den Lagerthermen mehr als Not getan, nur hieß „umgehend“ bei den CU „jetzt sofort“ und nicht „bei Gelegenheit“. So hatte er sich also umgehend auf den Weg gemacht, in einer Tunika, die an Brust und Rücken mir großen dunklen Schweißflecken bedeckt war und nicht gerade nach Narzissen duftete. Gerne wäre er dem Centurio in ansehnlicherem Allgemeinzustand gegenüber getreten, aber je nach dem, was Avianus dazu bewogen hatte, den Miles zu sich zu beordern, würde er entweder soldatisch über die strenge Dunstglocke hinwegsehen oder ihn für Dinge zusammenstauchen, die mir Körperhygiene nicht das geringste zu tun hatten.


    Natürlich fragte er sich, was genau auf ihn zukommen würde, war sich aber bereits sicher, dass es nur mit dem Wachdienst am Stadttor zusammenhängen konnte. Sicher waren beim Praefectus mittlerweile verschiedenste Beschwerden von Reisenden eingegangen, die meinten, von den Urbaniciani zu harsch behandelt worden zu sein. Was das betraf, hatte sich Antias nichts vorzuwerfen. Vielleicht hatte sich auch einer der Kameraden beim Centurio darüber beschwert, dass er vor dem Tor vorübergehend das Kommando übernommen hatte, wenn ja, hatte garantiert der Cluvier seine Finger im Spiel. So oder so nütze alle Grübelei nichts, in wenigen Augenblicken würde er schlauer sein. An der Habitatio des Centurios angekommen, unternahm er einen letzen Versuch, die verschwitzte Tunika in Form zu zupfen und klopfte schließlich.

    Die giftige Blüte der Panik begann in ihm aufzugehen. Er versuchte sie zu ignorieren, warf sich zurück ins Wasser, ließ sich etwas flussabwärts treiben, um den Strudel zu umrunden, zwang sich dann zu langen kraftvollen Schwimmzügen, erreichte die Landzunge, kämpfte sich durch die Strömung, ließ die Weidenkrone links liegen und schrie sich im Geiste Dinge zu, an die er selbst nicht recht glauben konnte. Aanet war einfach nur gegangen! Seine Prahlereien hatten sie gelangweilt! Sie war sicher schon auf dem Weg nach Norden, zurück in die Stadt! Außer Atem zog er sich ans aufgeweichte Ufer, kroch auf Händen und Knien über zerbröckelndes Wurzelwerk und niedergedrückten matschigen Schilf. Auf einem umgestürzten Baumstamm, nur zwei Schritte neben seinen achtlos hingeworfenen Kleidern sah er ihre weiche grüne Wolltunika liegen. Nicht akkurat gefaltet wie sie es sonst immer machte, aber ordentlich zusammengelegt. Noch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, fand er sich im Wasser wieder, keuchend zur Weide hinaus schwimmend. Er tauchte unter, zog sich am Stamm hinab bis auf das im Wasser wirbelnde Gestrüpp, tastete, wühlte, schlug um sich. Nichts. Nur Lehmbrocken, Grassoden und schlüpfriges Gesträuch. Die Panik wucherte sengend durch seine Eingeweide. Er suchte am falschen Ort. Er vertat wertvolle Zeit.


    Japsend tauchte er auf, starrte flussabwärts, hustete ihren Namen über das braune Wasser. Vergebens. Nur der Rhenus war vernehmbar. Mit brennenden Lungen pflügte er durch die schwappende Brühe zurück an Land, schleppte sich durch Dornbüsche und nieder hängendes Geäst das Flussufer entlang. Den Blick starr auf die Wasserfläche geheftet stürzte er, riss sich die Haut auf, taumelte blutend weiter, stürzte erneut, krabbelte, wühlte sich vorwärts und zwang sich schreiend wieder auf die Beine. In der Flussmitte trieben die abgerissenen Äste von Laubbäumen zwischen dunklen Wolken aus Moosen und Flechten. Antias wusste, dass es Äste waren, sah aber von jedem Stück Treibgut einen nassen blonden Haarschopf ins Wasser hängen. An Land kam er nicht voran. Der Fluss war schneller, der Fluss war stärker, und er wollte ihn, nicht sie.


    Außer sich vor Zorn brüllte Antias Rhenus Pater wilde Verwünschungen entgegen und stürzte sich wieder in den Strom. Der alte Bock wollte ihn haben? Er würde ihn bekommen. Antias achtete nicht mehr darauf, sich seine Kräfte einzuteilen, schräg in die Strömung hinein kraulte er auf die Flussmitte zu. Dort schwammen wirklich nur Äste, belaubte Äste, kahle Äste, nichts als Äste. Er musste zurück, in die Nähe des Ufers. Aber er schaffte es nicht. Mit jedem Zug wurden seine Arme unbeweglicher, seine eiskalten Beinmuskeln krampften. Sich mühsam über Wasser haltend trieb er den Fluss hinunter, vorbei am schweigenden Spalier von Schwarzerlen, Ulmen und Buchen, auf die sanfte Flussbiegung vor den ersten Siedlungen zu. Noch einmal keimte ein bittersüßes Gefühl von Hoffnung in ihm auf, ein letztes mal versuchte er, seine widerborstigen Glieder unter Kontrolle zu bringen. Mit der Oberströmung im Rücken ruderte er ungelenk der felsigen Landspitze entgegen, schluckte Wasser, hustete es aus, zappelte und quälte sich weiter in Richtung der gezackten Barrieren aus angeschwemmtem Astwerk. Als er das ruhigere Uferwasser schon fast erreicht hatte, sah er sie schließlich.


    Ihr blasser Rücken schimmerte silbern über den trüben Wasserspiegel, die Schultern umspielt vom wogenden Vlies ihres Haares. Ihr linker Arm hatte sich im Gewirr eines tropfenden Reisighaufens verfangen, der rechte hob und senkte sich leblos in den Wellen. Antias trieb brüllend an ihr vorbei. Rhenus Pater zog ihn unaufhaltsam von ihr fort, erstickte seine Schreie, drang ihm gurgelnd in Mund und Nase. Ein Reigen grellbunter Lichter begann Antias zu umkreisen. Je tiefer er sank, desto trockener fühlte sich das Wasser an. Unter Wasser fühlte er keine Nässe, Kälte schon, aber auch die war hier anderes als an der Oberfläche. Sie biss nicht, stach nicht, legte sich nur wie ein wallender Mantel um ihn und pflanzte Stille in sein Herz.

    Die einhellige Freude über das geöffnete Stadttor war schnell wieder abgeflaut, sowohl bei den Reisenden als auch bei den Wachmannschaften. In Antias machte sich allmählich Ernüchterung breit. Die Wirkung seiner, wie er fand, durchaus sinnstiftenden Ansprache hatte gerade einmal so lange vorgehalten, bis der erste Tross, ein eleganter Patrizier nebst Diener und Leibwächter, von Blandus durchgewinkt worden war. Ab diesem Moment hatten die Wartenden, nun endgültig des Wartens müde, begonnen, sich eher auf Körperkraft als auf das Organisationstalent eines klug daherredenden Miles zu verlassen. Wieder stauchte sich die Menge drängend vor den Urbanerreihen zusammen, wieder wurden Schwächere beiseite, teilweise sogar zu Boden gedrückt, wieder hätte es einer markigen Zurechtweisung bedurft, nur war Antias mittlerweile jegliche Lust an exponierten Auftritten vergangen, schon weil sie ohnehin nur seine Stimmbänder zu beeindrucken vermochten.


    Nein, keine Volksreden mehr. Stattdessen ließ er die drei angetretenen Contubernia ein nach Osten offenes Rechteck bilden, an dessen Längsseiten das Dritte und Sechste unter großzügigem Einsatz der Scuta die Masse einigermaßen geordnet auf die Kontrollposten zuleiten sollte. Es funktionierte. Seine Genugtuung darüber hielt sich allerdings in deutlichen Grenzen. Bis diese Menge an Reisenden auf üblichem Wege abgefertigt sein würde, mochte es Abend werden. Von wegen Ende der Doppelschichten! Sie würden hier erst wegkommen, wenn sich der schier unübersehbare Pulk wieder auf die gewohnt dünne Menschenschlange reduziert hatte. Antias spuckte fluchend aus. Es half ja alles nichts, die Routine hatte sie wieder. „Salvete Cives, woher kommt ihr, wohin wollt ihr, führt ihr Waffen mit?“ erkundigte er sich also sachlich bei der nächsten Reisegruppe, wohl wissend, dass er diese Fragen heute noch so oft stellen musste, bis sie ihm schließlich ganz von selbst aus dem fusselig geredeten Mund poltern würden.

    Jetzt fiel er, und während er fiel, begann er zu begreifen, dass dies alles nur ein Traum war. Sein aufgefressener und aufgelöster Körper, der Nachtvogelschwarm, der ihn über Felsen und Schlünde hinweg nach Nordwesten getragen und dann losgelassen hatte, der schimmernde Schlangenleib des Rhenus, der tief unter ihm dem nördlichen Meer zustrebte: Nur Traumgespinste. Das Fallen nahm ihm den Atem, trotzdem war er sich nun sicher, dass er nicht aufschlagen würde. Es war ein Traum. Keuchend öffnete er die Augen und erblickte entsetzt die Innenseite seiner geschlossenen Lider. Nur ein Traum! Wieder mühte er sich, die Augen auf zu bekommen, sah Fluss und Wälder auf sich zu jagen. Er schrie, wollte ein weiters Paar Lider aufzwingen, aber da war nichts mehr zwischen seinem wachen Geist und seinem scheinbar endlosen Sturz. Die Vögel stießen ein hämisches Kreischen aus, stoben auseinander und verschwanden lärmend in den dunklen Baumwipfeln. Er schrie. Seine Arme ruderten, seine Hände krallten sich in leeren Raum, die kalte Luft brüllte in seine Ohren, er schrie. Dann war plötzlich alles still und weich und dunkel. Sein Schrei erstickte in erdig schmeckendem Wasser, sein Blick verlor sich in grünlichem Zwielicht. Noch bevor er Aanet am westlichen Flussufer erkennen konnte, wusste er bereits, wo er war und was geschehen würde. Nicht nur den Ort erkannte er wieder, auch den Tag und die Stunde.


    Lang war der Winter gewesen, besonders trüb und sogar für germanische Verhältnisse ungewöhnlich schneereich. Bis in die Kalenden des Maius hinein hatten sich einzelne Altschneeflächen in schattigen Senken und auf dunklen Lichtungen gehalten. Erst an den Ludi Martiales war das Wetter schließlich umgeschlagen und hatte einen lauen Westwind die letzen Winterspuren aus den Flussauen lecken lassen. Der Himmel war weit, der Boden weich und der der Rhenus war breiter und mächtiger geworden als es Antias je zuvor erlebt hatte.


    Ohne lange zu überlegen hatte er sich an diesem luftigen Frühlingsmorgen in den Fluss gestürzt, um zur Krone der überspülten Weide hinaus zu schwimmen, in deren Schatten er mit Aanet die süßesten Tage des vergangenen Sommers verbracht hatten. Das Wasser war noch immer empfindlich kalt und vor der untergegangenen Landzunge, auf der die Weide stand, tobte der braune Strom in wütenden Strudeln vorbei. Aanet hatte ihn zurückhalten wollen, ihn gebeten, bei ihr am Ufer zu bleiben und vor dem augenscheinlichen Zorn des gehörnten Flussgottes gewarnt. Ihn aber hatte ihre Furcht nur noch mehr aufgestachelt. Mit einem überheblichen Grinsen war er in’s Wasser gesprungen, ein bisschen aus Trotz, ein wenig aus schierem Übermut, vor allem aber, um ihr zu beweisen, dass er aus anderem Holz geschnitzt war als dieser verliebte Zimmermannssohn Caepio und seine albernen Holzfigürchen, mit denen er bei Aanet Eindruck schinden wollte. Dieser Narr. Weder lesen noch schreiben konnte der, schwimmen schon gar nicht. Caepio verbrachte seine Tage in der wohlbeheizten Werkstatt seines Vaters, während Antias sich auch bei Schnee und Frost draußen herumtrieb. Caepio schnitzte Kühe, Schweine und Rehe für Aanet, Antias erzählte ihr von Achilleus, Hektor und Aeneas. Caepio hatte ihr neue Ruder für den Nachen ihres Vaters geschenkt, Antias hatte ihr das Schwimmen beigebracht. Caepio verehrte Aanet voll Sehnsucht, Antias liebte sie leidenschaftlich. Caepio war der ängstliche Sohn eines ängstlichen Vaters, ohne Feuer, vorsichtig und beherrscht. Antias hingegen war der stolze Sohn eines römischen Kriegers, impulsiv, mutig und verwegen. Selbst Rhenus Pater bot er die Stirn, wenn er dafür nur Aanet’s Bewunderung ernten konnte.



    Als er die Weidenkrone erreicht hatte, donnerte sein Herz gewaltig gegen die Brust. Eisig war das Wasser hier draußen und tückisch die Unterströmung, allein Antias machte sich weiter keine Gedanken darüber, er war ein hervorragender Schwimmer und er kannte den Fluss. Es war seiner. Die Sorge in Aanet’s blauen Augen wärmte ihn, das Wissen um seinen durchtrainierten sehnigen Körper schenkte ihm Kraft und Ruhe. Prustend hievte er sich in das schaukelnde grüne Astgewirr, blinzelte in die schrägen Strahlen der Morgensonne, lachte ihr zu. „Der alte Stier will mir nur Angst einjagen! In Wirklichkeit ist er zahm wie ein Ziegenkitz!“ Auch sie lachte. Hell wie ihre Haut, strahlend wie ihr goldenes Haar. Antias blickte glücklich auf den Fluss hinaus. Kaum ein Dutzend Schwimmzüge entfernt von der schmalen versunkenen Landzunge ragte die Nasenspitze des Flussgottes aus dem trüben Wasser. Rhenuszinken nannten sie dieses Steinriff etwas despektierlich. Im Sommer erhob sich der bemooste Fels weit über den Wasserspiegel und zeigte tatsächlich die unverkennbare Form einer gewaltigen leicht gekrümmten Nase. Der perfekte Platz, um sich auf warmem Stein von der Sonne trocknen zu lassen, stumm nebeneinander zu liegen, sich vom monotonen Gluckern des Stroms einschläfern zu lassen. Jetzt war von der Nase nur ein grauer Buckel zu sehen, träge umkreist von einem Kranz angetriebener Zweige. Jenseits des Rhenuszinkens wurde der Fluss tief und gefährlich. Nur Antias war es erlaubt, weiter hinaus zu schwimmen, Aanet war noch nicht so weit, vielleicht in diesem Sommer. Die Vorfreude stieg ihm prickelnd in die Glieder.


    „Schau Aanet, ich bring den Alten zum Niesen!“ Fröstelnd ließ er sich wieder ins Wasser sinken, strebte mit kräftigen Stößen der Felsspitze zu, geriet am Ende der Landzunge in einen kalten Sog, der ihn etwas nach Norden abtrieb, kämpfte sich frei, wechselte gelassen in Rückenlage und wurde plötzlich von einem dicken schwimmenden Ast gerammt. Rhenus hatte ganz offensichtlich die Absicht, es ihm schwer zu machen. Na schön! Schnaufend warf er sich den Wassermassen entgegen. „Ist das alles?“ schrie er trotzig gen Süden und schwamm unbeirrt weiter. Die Antwort erfolgte prompt. Keinen Passus mehr vom dunklen Steinriff entfernt, wurde er von einer wütenden Trift umspült und unter Wasser gezerrt. Der Wirbel packte ihn, zog ihn im Kreis herum. Antias ließ es geschehen, wartete mit angehaltenem Atem, bis der Strudel ihn wieder flussaufwärts gedreht hatte. Den Schwung ausnutzend tauchte von der saugenden Strömung weg auf die verschwommenen Felsschemen zu, bis er den breiten Nasenrücken des Rhenuszinkens unter seine Füßen spüren konnte. Sein Kopf schnellte aus dem Wasser. Schwer atmend und doch siegestrunken klammerte sich Antias an den rauen Stein, zog sich daran hoch und verharrte für einige tiefe Atemstöße in angespannter Umarmung. Das sollte ihm dieser blutleere Caepio erst mal nachmachen! „Aanet!“ brüllte er schließlich triumphierend über das Wasser, „Alles in Ordnung! Hier bin ich!“ Das Ufer jedoch war menschenleer, Aanet war nicht mehr zu sehen.

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    Spurius Cluvius Sulca


    Nachdem der ohnmächtige Frischling von einem Artgenossen auf den Karren geworfen und die Lücke in den Reihen der Urbaner von Leavinus und Vargula weitgehend gestopft worden war, gönnte sich Sulca erst einmal ein paar labende Schlucke aus seiner Ampulla. Was das versammelte Dreckspack noch immer gegen die Soldatenkette trieb, war ihm nicht ganz klar. Die Delinquenten waren fachmännisch – wenn auch nicht durchgehend professionell – zerteilt worden, der Tiberius hatte dem Richtplatz bereits den Rücken gekehrt und der Carnifex war nur noch damit beschäftigt, seinen Gesellen Anweisungen für Entsorgung und Säuberung zu erteilen. Es gab hier nichts mehr zu sehen. Selbst der zerhackte Schädel des Tudicius war unter der schon geronnenen rotbraunen Blutkruste kein sehenswerter Anblick mehr. Es gab weit beschaulichere Ecken auf dem Forum als diese blutgetränkte Richtstätte. Der Janus Quadrifrons zum Beispiel, dort gab es immer Händler, denen man etwas abpressen konnte. Grinsend nahm Sulca noch eine Schluck. Feinster Falerner, Ausdruck der Dankbarkeit eines Weinhändlers aus Acerrae, dem Sulca eine ganze Menge vorher angedrohter Formalitäten hatte ersparen können. Das Leben eines Miles hatte auch seine angenehmen Seiten, wenn man es sich nicht durch übertriebenen Diensteifer oder scheinheilige Moralvorstellungen versaute.


    Gut gelaunt hakte er die Ampulla in seinen Gürtel und wandte sich wieder den Tirones zu, doch der kostbare Wein begann ihm noch in der Kehle sauer zu werden. Da hatte sich doch schon wieder eines dieser erbärmlichen Milchkälber flach gelegt! Nur eine knappe Pertica von ihm entfernt! Das war nicht nur eine unfassbare Frechheit, das würde für dieses faule Stück einem Selbstmord in Raten gleichkommen! „Da sollen mir doch die Eier scheibenweise abfallen!“ brüllte der Cluvier aus saurem Schlund. „Auf die Beine mit dir, du Scheißhaufen!“ Der Rekrut gab kein Lebenszeichen von sich. Zähneknirschend legte Sulca Hasta und Scuta beiseite, beugte sich zu dem gefällten Hänfling hinab und zerrte ihm den Helm herunter. Verdammte Sauerei! Das war der Decimus! Nicht der auch noch! Trübe starrte Sulca auf das leblose Gesicht des jungen Burschen. „Et tu, Decime?“ Recht zügig fand er seine Fassung wieder und schrie auf die breiten Rücken Leavinus’ und Vargulas ein. „WER WAR DAS? Bringt mir das Schwein!“ Levianus reagierte überhaupt nicht, Vargula ließ den Blick nicht von der Menge, grunzte aber leicht gereizt über die Schulter: „Reg dich ab, Cluvier, das warst du selber! Idiot!“


    Sulca musste nachdenken. Wie, er? Wann denn? Dann erinnerte er sich plötzlich an den ungewohnten Widerstand und das verdächtige Knirschen beim Ausholen. Mist! „He, Junge! Guck mich mal an.“ Der Decimer guckte nicht. Fluchend klatschte er dem blassen Tiro auf die Wangen. „Na, komm schon, das wird wieder!“ Was musste der Bengel seine Rübe auch so weit vorstrecken! Eher widerwillig nahm der Cluvier schließlich die Ampulla vom Gürtel. Schade um den edlen Tropfen, aber der regte das Hirn an und kitzelte das Herz. „Nimm mal nen kräftigen Schluck, Junge. Du fährst mir nicht auf dem Blutkarren zur Castra zurück. Du nicht!“

    Misstrauisch schnüffelte Antias an den dünnen Dampfwolken, die aus dem kleinen Kupferkessel aufstiegen. Roch säuerlich und etwas bitter. Wie erwartet, das absehbare Ergebnis, wenn man ein Säckchen voll Kräuter in Wein aufkochte. Ferox hatte ihm zwar zu einer anderen Zubereitungsform geraten, jedoch waren Hispo und Fimbria für heißes Wasser ebenso wenig zu begeistern gewesen wie für heiße Milch. Marullus, dem der Aufwand in erster Linie galt, war sowieso alles einerlei. Also hatte Antias eben einen halben Schlauch Rotwein genommen. Eine milde Gabe aus Fimbrias’ wachsendem Naturalienkonto für handwerkliche Nebentätigkeiten. Dass der edle Spender sich dafür einen großen Becher des dunklen Gebräus erwartete, verstand sich von selbst, wenngleich Fimbria nun wirklich der einzige Miles in der ganzen Centurie sein durfte, dem Phänomene wie innere Angespanntheit und Schlaflosigkeit völlig unbekannt waren. Hispo hatte mit dem Schlaf an sich auch keine größeren Probleme, bei ihm galt es eher gewissen Erregungszuständen entgegenzuwirken, die Antias – wenn auch indirekt – ebenfalls zusehends um die Nachtruhe brachten. Einzig Marullus hatte die kräftigende Wirkung einer entspannten Nacht in Somnus’ Schoß bitterlich nötig. So war der Zwilling denn auch der erste, dem Antias den Becher füllte.


    Vorsichtig, um nichts vom heißen Sud zu verschütten tappte er nach hinten zu Tutors Pritsche. Marullus lag da wie gewohnt, mit aufgerissenen Augen und verschlossenem Blick. Wie immer. Wie tot. Für ihn gab es nur noch bewusstlose Pflichterfüllung und ohnmächtiges Dahindämmern, nichts dazwischen. Keine Gespräche, kein noch so kleiner privater Moment unter Kameraden, kein Gang in die Thermen, nichts dergleichen. Nach Ende des Dienstes fiel er auf das Lager seines toten Gefährten, manchmal ohne sich auch nur die Caligae auszuziehen. Antias reinigte, schliff und pflegte seine Waffen, Hispo rieb ihm den Schmutz aus der inzwischen unangenehm speckig riechenden Tunika und säuberte Mantel und Lederteile, Fimbria kümmerte sich um Lorica, Cassis und Orcae. Das alles war umständlich und mühsam aber durchaus machbar, eine Lösung war es nicht.


    „Trink das, Marullus .. ist von meinem Bruder.“ Marullus sah nicht auf, starrte weiter in’s Nirgendwo. „Trink Tadius!“ befahl Antias barsch, und Marullus trank, soff, drückte sich den heißen Kräuterwein in langen verbissenen Schlucken den Schlund hinab. Ein ersticktes Gurgeln entrang sich seiner Kehle, von seine Mundwinkeln rannen dunkelrote Bäche, feine hellrote Schlieren überzogen seine ohnehin schon verschleierten Augen. Antias kannte das bereits, trotzdem schockierte es ihn jedes mal auf’s Neue. Morgen würde er etwas unternehmen müssen. Eine Nacht noch sollte Marullus die Möglichkeit haben, sich im Kreis der Kameraden zu erholen, vielleicht würde Ferox’ Kräutermischung ihm ja dabei helfen, aber einen weiteren Tag konnten sie ihn nicht mehr hier behalten, nicht in diesem Zustand. „Versuch, zu schlafen.“ sprach Antias in ein leeres Gesicht, nahm Marullus den tropfenden Becher aus der Hand und ging wieder nach vorn an die Craticula, wo Hispo und Fimbria schweigend in den Kupferkessel stierten.


    Drei Becher tauchten in den Kessel, drei Nasen schnupperten, ein Bass begann zu brummen. „Nimm’s mir nicht übel .. aber irgendwie ist mir der Durst vergangen.“ Seufzend stellte Fimbria den Becher ab und warf sich auf seine Pritsche. „Wenn ich Marullus so angucke, wird mir erst klar, wie gut ’s mir geht. Ich brauch keine Medizin.“ Auch Hispo betrachtete das Getränk nun eher mit Argwohn. Als Fimbria jedoch eine seiner wehmütigen Weisen anstimmte, schüttete sich der Rotschopf den Becher in einem Zug hinunter. „Da sauf ich mich doch lieber besinnungslos als mir das Gejaule schon wieder anzutun! Gib mir seinen Becher!“ Antias kostete selbst. Bitter. Sogar extrem bitter. Hustend nahm er Fimbrias’ Becher und schüttete den Inhalt in den Kessel zurück. „Einer muss reichen, Hispo. Ich bin zwar kein Kräuterkundiger, aber das Zeug scheint mir schon stark genug zu sein. Wir müssen morgen alle früh raus.“ Mürrisch kratzte sich Hispo am Gemächt. „Also, wenn das entspannend sein soll .. ich merk noch nix. Da geh ich lieber nochmal auf die Latrine .. sicherheitshalber.“ Antias trank aus und zuckte die Achseln. „Wie du meinst. Viel Erfolg.“ Hispo verschwand, Antias spülte noch die Becher aus und ließ sich dann seufzend auf sein Lager fallen. Verantwortung, flüsterte ihm eine tonlose Stimme immer und immer wieder zu, Verantwortung. Fimbrias’ tiefer Gesang tat schroffe Brüche in ihm auf, in die das Flüstern hineinsickerte wie Regenwasser in den Karst.



    Er war eine dunkle Insel unter blauschwarzem Firmament, eine gewaltige Landmasse, von Schluchten zerfurcht, von Seen durchlöchert, bedeckt mit endlosen Wäldern voll von wispernden Wesen. An allen Ufern leckte die gierige Brandung seiner Atemstöße, überspülte langsam seine Küsten, weichte ihn auf, nagte an ihm, riss ganze Landschaften aus seinem schweren Körper, trug sie auf das offene Meer hinaus. Er begann, unterzugehen. Der lichtlose Himmel war erfüllt vom Flattern tausender Flügel und gesprenkelt von gelben kleine Augen voller Hohn. Irgendwo weit draußen an den fernen Gestaden seines Bewusstseins hörte er die Barackentür, registrierte unbeteiligt Hispos Rückkehr und sank immer noch tiefer in das wirbelnde Meergrün hinab. Die Nachtvögel tauchten mit ihm unter, umkreisten ihn in dichten Schwärmen, fraßen die Wälder von seinem Leib, zerbissen den Fels und verschlangen die Erde. Antias wollte sich wehren, die schwimmenden Vögel packen, sie töten, vernichten, aber er war nur noch ein nackter Klumpen Ton, der sich zersetzte und von einer übermächtigen Flutwelle die Flüsse hinauf geschwemmt wurde. Das Dröhnen seines Atems wurde allmählich leiser und verlor sich in unzähligen Wasserstimmen, von denen er einige sogar kannte. Das dumpfe Gluckern des Tiberis unter dem Pons Cestius, das träge Murmeln des Padus bei Placentia, wo die Claudia Augusta auf die Aemilia traf, das helle Glucksen namenloser Gebirgsbäche und schließlich das sanfte Knistern der Wolken, die sich an den Steilhängen stauten. Gänzlich entkörpert schwebte er über verschneiten Felsen, sah im Süden die kultivierte Welt seines Vaters zwischen den Meeren liegen, lieblich, fruchtbar und strahlend wie Apolonia, und erblickte gleichzeitig im Norden die raue Welt seiner Mutter unter den Baumkronen, düster, schattig und geheimnisvoll wie Aanet. Unter ihm entfernten sich die Gipfel, über ihm kreisten die Nachtvögel, und er erkannte plötzlich, wohin sie ihn bringen würden.

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    Sextus Peducaeus Hispo


    Hispo erschrak sich fast am unerwarteten Organ des Optios. Die Freude über das baldige Ende der Doppelschichten hatte ihn etwas unaufmerksam gemacht. Schneidig fuhr er herum und salutierte.
    "Optio Aemilius Classicus! Das war ich! Der Meldegänger hat von der Castra Order überbracht, die Tore nach dem Passieren der berittenen Boten offen zu halten! Angeordnet von Consul Duccius und ausgewiesen durch Senatssiegel." Einen kleinen Anflug von Erleichterung konnte er sich dennoch nicht verkneifen. "War auch höchste Zeit, Optio".

    Apolonia schien sich wirklich zu freuen, und das wiederum machte Antias glücklich. Lächelnd und etwas verlegen angesichts ihrer Tränen zog er sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Was war schon diese Kette, verglichen mit alldem, was sie ihm schenkte. Liebe, Leidenschaft, Lebenssinn. Vor allem, was war der Schmuck verglichen damit, was Apolonia eigentlich verdient hätte. Ein Leben in Freiheit, ohne Furcht, ohne Not. Die Vergangenheit ließ sich nicht ändern, ihre eben so wenig wie seine, aber was die Zukunft betraf, wollte Antias einfach nicht daran glauben, dass die Götter für sie alle bereits eine unauslöschliche Kerbe in den Sockel der Geschichte gemeißelt hatten. Sie waren beide gerade einmal im Frühling ihrer besten Jahre angekommen. Vielleicht würden sie eines Tages doch vor den Konventionen kapitulieren müssen, wer wusste das schon, aber jetzt noch nicht, noch lange nicht.


    „Aber Dorcas .. wer wird denn weinen ..“ lenkte er sich mit gezwungener Leichtigkeit von derlei Gedanken ab, „.. so scheußlich ist sie doch auch wieder nicht, hm?“ Schmunzelnd strich er ihr die dunkle Flut ihrer Haare aus dem Nacken und legte die Kette an. Nach überraschend kurzem Gefummel bekam er tatsächlich die Öse in die Schließe. „Schau mal, wenn man sie um hat, sieht man sie selber gar nicht mehr.“ Fast schon stolz über seine unerwartete Fingerfertigkeit fasste er Apolonia an den Schultern, betrachtete Frau und Kette voller Wärme. Der Stein passte zu ihren Augen, ohne freilich auch nur ansatzweise an ihr tiefes Meergrün heran strahlen zu können. Behutsam griff er nach dem Anhänger, fuhr mit dem Finger noch einmal die Gravur nach und ließ ihn dann unter Apolonias’ Tunika gleiten. Dort würde er ihre Wärme aufnehmen, zwischen den sanften Ausläufern ihrer Brüste würde er leuchten, vor den Blicken aller Welt verborgen. Seufzend umschlang er sie, hielt sie einfach nur fest, strich gedankenverloren durch ihr dunkles warmes Haar, den Blick haltlos in’s Dunkel gerichtet. „Was mach ich nur mit dir, Liebes? Wie bei allen Göttern bekomm ich dich frei?“

    Zitat

    Die drei Gestalten, die da gelangweilt vor dem Kulissenlager herumlungerten, waren in der Tat bullige Silhouetten. Doch auf ihren Stirnen stand nichts geschrieben, und sie hätten sich wohl sehr gewundert zu erfahren, dass der findige junge Bursche, der da herannahte, auf ihnen die Worte "Lohnleibwächter der mittleren Preisklasse" zu lesen vermochte.
    "Kein Zutritt." raunzte der erste.
    "Keine Ahnung." der zweite.
    Und "Ne. Verzieh dich." der dritte, wobei er seine Muskeln spielen ließ.


    Die Auskunft der drei Brecher – die für Antias nunmal den Anschein machten, als seien es Lohnleibwächter der mittleren Preisklasse – fiel so höflich und beredt aus wie erwartet. Obwohl sich angesichts der miesen Stimmung, die ihm hier entgegen schlug erste Anzeichen von Ermüdung bemerkbar machten, verzichtete er für’s erste darauf, die eloquenten Aufpasser einen Blick auf seinen verborgenen Gladius werfen zu lassen. Er war schließlich nicht hier, um den todesmutigen Heroen zu geben, sondern um sich auf eine möglichst zivilisierte Art und Weise nach einem Civis zu erkundigen, der nichts schlimmeres von den Urbanern zu erwarten hatte, als eine Befragung auf ebenso zivilisierte Art und Weise. Wenn es sein musste, aber nur dann, würde er sich durchaus auf ein Kräftemessen mit den Brummbären einlassen, die beengten Verhältnisse in diesem Gang würden es den Burschen schwer machen, ihre Überzahl auszuspielen. Dennoch war er nicht übertrieben scharf auf unnötige Händel.
    „Verstehe.“ entgegnete er vergleichsweise höflich. „Also, ich hab ihn jedenfalls hier reinspazieren sehen. Mag sein, er ist da drin?“ Ohne einen Anflug von Hektik wies er auf die Tür, hinter der er dir Stimmen vernommen hatten. „Es wäre sicher zu viel verlangt, euch zu bitten, da mal anzuklopfen, seh’ ich ein. Dann werd’ ich einfach hier warten und niemandem im Weg rum stehn.“ Das würde den Kerlen sicher eben so wenig gefallen wie der Umstand, dass er überhaupt hier war, aber auf die Befindlichkeiten dreier muffliger Knochenbieger einzugehen, überstieg seinen Langmut denn doch um ein Weniges. Sollte ihm das reizende Trio dumm kommen, konnte er sich immer noch als Urbaner zu erkennen geben. Indes, soweit kam es nicht.


    Im gleichen Moment, als sich die bewusste Tür öffnete, hörte Antias genagelte Stiefel heran stampfen. Ein edel geschnittenes Gesicht unter dunkelbraunen Haaren zeigte sich im Türspalt, ein weit weniger edel geschnittenes Gesicht unter roten Haaren schnellte schwitzend um die Ecke. Worauf zuerst reagieren? Schon den Leibwächtern zum Trotz trat Antias einen kleinen Schritt auf die Tür zu. „Salve Civis. Entschuldige die Störung. Ich bin auf der Suche nach einem gewissen Serapio.“ Wetten dass er das war. „Ein Freund von ihm, ein Tempelmusiker namens Castus hat mir gesagt, dass ich ihn hier vielleicht finden könnte.“ Er wollte noch hinzufügen, wer er war, wurde aber von der sehr berechtigten Frage seines nun ebenfalls um die Ecke gekommenen Optios in Anspruch genommen. „Nein, Optio Iunius Avianus! Kein Problem soweit!“ vermeldete er stramm. „Ich glaube, wir haben den Initianden Serapio gefunden.“

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    Cossus Orbius Blandus


    Nachdem sie den Boten eine Bresche in die Masse gedrückt hatten, schlurften die Sardinier gemächlich wieder in’s Glied zurück und verfolgten dort amüsiert den kläglich scheiternden Versuch des Germanicus, die in Bewegung geratenen Reisenden für seine Ansprache zu begeistern. Auf den Fingern zu pfeifen mochte bei einer Schafherde hinhauen, bei einer aufgebrachten Menge Cives war es hoffnungslos. Schafe waren immerhin kluge organisierte Wesen mit sozialem Verantwortungsgefühl. Blandus ließ eine diesbezügliche Bemerkung fallen, wischte sich mit dem Handrücken eine paar Schweißtropfen von der Stirn und betrachtete sie fasziniert. Sowas hatte er lange nicht mehr gesehen.


    Die nun folgenden Schlachtkommandos überraschten ihn dann aber doch etwas. Der Germanischer mochte zwar ein unverbesserlicher Anhänger des gesprochenen Wortes sein, kam aber mitunter auf recht unterhaltsame Ideen. Zögernd legten die Sarden ihre Hastae ab und beteiligten sich an der lärmenden Darbietung. Es funktionierte. Die aufgewühlte Menge begann eingeschüchtert zurückzuweichen. Nur dieser ungeschickte Domestik des Flaviers stand noch immer bockig vor den Urbanerreihen. Wollte er sich den ersten seiner hochverdienten zehn Stockschläge vom Profi abholen oder war das nur eine trotzige Zurschaustellung ohnehin nicht vorhandener Würde? „Was glotzt du? Noch nie `n offenes Stadttor gesehn ?“ Der Servus indes geruhte nicht, zu reagieren. Eigentlich hätte Blandus ihm das Scutum auf die hoch getragene Nase knallen sollen, aber ein eigenartiger Gefühlsanflug hielt ihn davon ab. Fühlte sich fast an wie gute Laune.


    „Also schön. Sag deinem Herrn und Meister, dass sein Schreiben ein paar wichtige Ärsche in Brand gesetzt und dem sicher unfassbar dankbaren Volk schließlich die Tore geöffnet hat. Wenn seine polierten Ebenholzständer nicht zu lange rumtrödeln, kann er selbstverständlich als erster passieren. Und jetzt Abmarsch, offener wird’s nicht!“ Doch, es musste gute Laune sein, so viel Zusammenhängendes hatte er seit Jahren nicht mehr von sich gegeben.

    Die traurige Wirtin war ruhiger geworden, sanfter, vielleicht sogar milder. Antias registrierte ohne große Genugtuung, dass er sich nicht in ihr getäuscht hatte. Mirjam war keine von Bitterkeit und Missgunst zerfressene Denunziantin. Sie versuchte nur verzweifelt, das Richtige zu tun, und wusste dennoch, dass es das einzig Richtige nicht geben konnte. Nicht in ihrer Situation. Die starren Vorbehalte, die er anfangs gegen alle Anwesenden gehegt hatte, waren zu vielen kleinen Einzelteilen zerbröckelt. So klar getrennt in richtig oder falsch, wie es manchmal den Anschein hatte, war das Leben leider nicht.


    Als er plötzlich Mirjam’s kühlen Händedruck spürte, wurde ihm die Kehle eng. Schluckend sah er auf ihre Hand hinunter. Sie fühlte sich seltsam fest an, rau, trocken und doch weich. Die Hand einer Mutter, die sich für harte Arbeit nie zu schade gewesen war. Ein verlegenes Lächeln schlich um seine Mundwinkel. Was sagte sie da? Er ein guter Mensch? Nein, das war er nicht. Gewiss nicht. Er hatte schon hart genug zu ringen, kein schlechter zu sein. Mit einem kurzen Räuspern bezwang er seine Rührung und lauschte weiter schweigend ihren Worten. Was sie sagte, klang plausibel. Ein fester Versammlungsort würde die Christianergemeinde nur angreifbar machen, ebenso wie öffentlich zugängliche Rituale. Um mehr zu erfahren, mussten die Urbaner entweder eigene Leute einschleusen oder das eine oder andere Sektenmitglied auf ihre Seite ziehen. Vielleicht diese Sarah?


    Das Knarren der Küchentür ließ Mirjam jäh verstummen. Alarmiert fuhr Antias herum und stellte erleichtert fest, dass lediglich der Optio in den Schankraum zurückkehrte, begleitet von ebenjener Sarah. Wie es schien war die Befragung für Avianus nicht unbefriedigend verlaufen. Um so besser. Die eben noch dösenden Milites sprangen schuldbewusst auf und nahmen Haltung an. Selber schuld. Kopfschüttelnd wandte sich Antias wieder zur Wirtin um. Sie wusste wohl wirklich nicht mehr und er würde auch nicht weiter auf die leidende Frau eindringen, hielt sich ihn doch für einen guten Menschen. Möglicherweise sogar deshalb weil sie im Grunde selber einer war. Wie beiläufig legte er seine andere Hand auf die ihre und drückte sie verstohlen. „Wer im Leben noch keinen wahren Verlust erlitten hat, kann leicht den guten Menschen spielen, Mirjam. Das mit deiner Tochter tut mir sehr leid. Du allein kannst wissen, was sie sich von dir gewünscht hätte. Eine Mutter die vor ihrem ungerechten Schicksal kapituliert oder eine Mutter, die weiter kämpft, um ihrer Tochter ein würdiges Andenken zu bewahren? Was auch immer es sei, du würdest ihren Wunsch sicher erfüllen. Nicht wahr?“ Mit einem letzten warmen Lächeln löste er langsam seine Hände und erhob sich.


    „Optio Iunius Avianus! Tiro Germancius meldet: Zeugenbefragung abgeschlossen!“

    Mit dem Säckchen in der Hand und einem versonnenen Lächeln im Gesicht sah Antias Ferox hinterher. Sein Bruder. So dünn das Fell, so groß das Herz. Was mochte wohl aus ihm werden in den Reihen der CU? Was konnte aus ihm werden? Wie konnte Antias auf ihn acht geben, ohne ihn zu sehr zu bemuttern? Sein Fell würde dicker werden, das war noch bei jedem Soldaten so gekommen. Aber was würde im Lauf der Jahre mit seinem großen mitfühlenden Herz geschehen? Würde es Schwielen bekommen und Hornhaut ansetzen wie seine Hände? Würden aus ihnen allen eines Tages hartherzige zynische Eisenfresser werden wie der Cluvier einer war? Welch Verschwendung.


    Auch als die breitbeinige Gestalt des Bruders längst in der nächsten Quergasse verschwunden. war, stand Antias noch sinnierend im Flockenwirbel, schnupperte ab und zu am Kräutersäckchen, ließ alles Gesagte noch einmal an sich vorbei ziehen und versuchte, ein kleines Stück in die Zukunft zu blicken. In die seines Bruders, in die seiner Geliebten, in die seiner Freunde und in seine eigene. Verantwortung. Immer wieder stieß dieser mächtige Begriff aus dem dunklem Himmel auf ihn nieder wie ein monströser schwarzer Nachtvogel. Verantwortung. Er fühlte sich zurückversetzt in die ersten Wochen seiner Grundausbildung. Wie widerwillig hatte er sich allmorgendlich in die Lorica gezwängt. Wie starr und unnatürlich hatte sie sich angefühlt. Wie hatte er sie gehasst. Als ihm aber endlich klar geworden war, dass weder Trotz noch Widerstand den Panzer auch nur um ein Granum leichter machen würden, hatte er begonnen, in ihn hinein zu wachsen. Heute trug er ihn mit Stolz, und wusste sich darin zu bewegen. Noch immer spürte er das Gewicht, empfand es aber längst nicht mehr als Last. So lange er ihn trug war er Teil seiner selbst, was die Wohltat, ihn am Abend abzulegen dennoch nicht schmälerte. So in etwa verhielt es sich wohl auch mit der Verantwortung. Er hatte sie noch nicht eingetragen. Sie drückte, zwickte ,scheuerte, lag schwer und ungewohnt auf ihm, und würde doch zu einem Teil seiner selbst werden, wenn er sich nicht trotzig dagegen aufbäumte.


    Schniefend zog er sich den Mantel enger und machte sich auf den Rückweg. Ferox dufte seine Gaben nicht im Stumpfsinn des Wachdienstes verschleißen. Er würde einen hervorragenden Miles Medicus abgeben und eines Tages vielleicht einen nicht minder hervorragenden Optio Valetudinarii. Sollten seinem Bruder immer noch die Praetorianerflausen im Kopf umgehen, lag es in Antias` Verantwortung, Ferox zumindest ein paar Alternativen an’s Herz zu legen. Aber immer eines nach dem anderen. Zunächst wollte erst einmal die Grundausbildung hinter sich gebracht werden, und so lange konnte Antias seine Verantwortung auf die Kameraden ausdehnen. Zu dumm, dass er Ferox nicht gefragt hatte, in welcher Dosierung er den Sud verabreichen sollte. Egal. Vermutlich war es bei den Kräutern wie beim Wein: Viel half viel.

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    Sextus Peducaeus Hispo


    Hispo rann der Schweiß von den Schläfen. Ohne die entsprechend breiten Schultern konnte Körpergröße ein Fluch sein, vor allem, wenn man sich durch eine träge Menschenmenge ackern musste. Man sah genau, wo man hin wollte, kam aber kaum vorwärts. Nervös vor sich hinschimpfend zwängte und drängte er, schob und zog, rempelte und rammte, bis er endlich zu Avianus durchgedrungen war. Zunächst außer Atem versuchte er es mit dem Ansatz einer Ehrenbezeigung, besann sich dann aber des verdeckten Charakters ihrer Mission und zog es daher vor, seine Meldung ächzend herunter zu pumpen. „Optio .. Optio Iunius .. Avianus! Wir haben den Initianden .. also diesen Serapio .. jedenfalls höchst wahrscheinlich. Miles Germanicus ist in den rückwärtigen Räumen hinter der Bühne und geht der Sache weiter nach. Ähm .. mit Verlaub .. man sollte ihn da wohl nicht so lange alleine rumschnüffeln lassen ... man kann ja nie wissen ..“

    Verwundert wandte sich Antias von der stolzen Südländerin ab dem ächzenden Stadttor zu. Dafür, dass es eigentlich für jedermann strikt verschlossen bleiben musste, ging es heute morgen erstaunlich oft auf und zu. Erst für den Sardinier mit seiner Tabula und für wen jetzt? Dass Hispo nicht wie erwartet miesepetrig herum schimpfte, sondern im Gegenteil ein launiges Gebrüll erschallen ließ, trug auch nicht gerade zur Klärung der Situation bei. Eilige Jungs? Was für eilige Jungs? Um eben dies herauszufinden stapfte Antias gespannt zum Tor hinüber, wo er sich abermals vor einer plötzlich daher jagenden Reiterschar in Sicherheit hechten musste. Der Witz wurde so langsam öde. Fluchend kämpfte sich Antias wieder auf die Beine und sah die prall gefüllten Ledersäcke auf den Pferderücken. Die schickten die Boten raus! Das konnte doch eigentlich nur eines heißen ..


    Unter den Reisenden begann es zu gären. Erfreutes Gelächter, Einlass fordernde Rufe und zorniges Raunen wurde laut, als sich die Boten unterstützt vom Sardencontubernium durch die Menge arbeiteten. „Ist das offiziell? Bleibt das Tor offen?“ rief Antias dem grinsenden Hispo durch den sich hebenden Lärmpegel zu. „Die Boten schickt der Senat!“ blökte Hispo freudig zurück. „Und laut Meldegänger von der Castra bleiben die Tore offen wenn die Reiter erst durch sind!“


    Antias gönnte sich einen Moment der Erleichterung. Ein Stück Normalität war also dabei, in die Urbs zurück zu kehren. Keinen Tag zu früh. Möglicherweise würde schon bald ein neuer Kaiser ausgerufen. Vielleicht wurde ja auch die Urlaubssperre demnächst aufgehoben und damit seinen Kameraden der wohlverdiente Ausgang ermöglicht. Aber so weit war es noch nicht, wahrscheinlich noch lange nicht. Zuallererst galt es mal, die in Bewegung geratene Menge zu kanalisieren, sonst würde hier doch noch das Chaos ausbrechen, welches die Urbaniciani bislang hatten verhindern können.


    Als Antias die Reihen der Kameraden wieder erreicht hatte, waren die Boten schon hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. Immerhin, das war wenigstens glatt gelaufen. Die zunehmenden Aktivitäten unter den Wartenden verhießen allerdings nichts gutes. Langsam aber unaufhörlich wogte die murrende Menge ungeordnet dem Tor zu. Ganze Menschentrauben wurden in die Büsche gedrängt, Sänften wurden umgeworfen, schwächer gebaute Reisende einfach zu Boden gedrückt. Ohne all zuviel Zuversicht pfiff Antias drei mal gedehnt auf den Fingern und versuchte sich winkend, Gehör zu verschaffen. „CIVES! HERHÖREN!“ Die Cives hörten aber nicht her, die dachten gar nicht daran, herzuhören.


    Frustriert drehte er sich wieder zu den grinsenden Urbanern um. „Ziemlich unmilitärisch, dein Gepfeife.“ ließ sich der belustigte Sarde vernehmen. Antias begann ebenfalls zu schmunzeln. Der Insulaner hatte wirklich die Ruhe weg. Nun denn, dann würden sie eben etwas Spaß haben, schließlich hatten sie sich lange genug dem Gemaule der Masse aussetzen müssen. „Also gut, Kameraden, legt die Hastae ab. Machen wir uns ein bisschen wichtig. Milites! Gladius stringite! Scuta pulsate!“ Die Schwerter fuhren aus den Scheiden und donnerten unheilverkündend gegen die Schildränder. Einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Hämmern der martialischen Darbietung war die Menge endlich in’s Stocken geraten und glotze die Milites verunsichert an.


    „Macht ruhig noch weiter, das hat was.“ raunte Antias den Kameraden erheitert zu, und trat dann mit gezwungen ernster Miene erneut vor das Volk. CIVES! HERHÖREN! Wie ihr seht, sind die Tore wieder offen! Das bleiben sie auch, wenn ihr euch zusammenreißt! Nehmt eure Bündel, reiht euch ein und wartet bis ihr an der Reihe seid! Sollte das hier nicht reibungslos vonstatten gehn’, sind wir angewiesen, die Tore umgehend wieder zu schließen!“ Das war natürlich eine glatte Lüge, belastete sein Gewissen allerdings nicht erwähnenswert. Das dröhnende Stakkato der gegen die Scuta krachenden Gladii hallte noch immer über den überfüllten Vorplatz. Irgendwie hatte der Frühjahrstag plötzlich etwas leicht beschwingtes an sich.

    „Da rein?“ erkundigte sich Antias sicherheitshalber noch einmal. „Da rein.“ bestätigte Hispo lakonisch. Mit einem knappen Nicken tappte Antias voraus in’s Halbdunkel, hielt dann aber fluchend inne. „Einer von uns muss dem Optio Bescheid geben.“ Hispo schien von der Aussicht, alleine durch die Gänge zu schleichen, nicht gerade angetan. „Also .. ich kenn mich hier nicht so aus .. ich meine ..“ Antias grinste seinen Freund schief an. „Aber ich, oder was? Schon gut, schieb ab und mach Meldung.“ Wie erwartet zierte sich die lange Latte noch ein wenig. „Wir könnten auch draußen warten .. was rein geht, geht auch wieder raus .. ist doch so, oder?“ Sicher war es so. Fragte sich nur, wo genau wieder raus kam, was vorher rein gegangen war. Kaum fünf Schritte vor ihnen querte ein weiterer Gang, gut möglich, dass das nicht der einzige war. „Ich bin hier der Miles, Hispo. Betrachte es als Befehl.“ Hispo war beileibe kein Feigling, das wusste niemand besser als Antias, wenn es dem Freund an etwas gebrach, dann war das Motivation. Klar definierte Aufgaben erledigte Hispo äußerst gewissenhaft, keine Frage, weniger klare Definitionen legte er aber stets großzügig zu seinen Gunsten aus. Trotzdem, vielleicht gerade deswegen, war er ein patenter Bursche.
    „Ende der Diskussion! Mach hinne!“


    Hispo trabte davon. Antias folgte dem Gang zwar wachen Sinnes aber dennoch recht unbesorgt. Hispo sah die ganze Angelegenheit weit dramatischer als sie in Wirklichkeit war. Hinter den Theaterkulissen war nicht mit dem Angriff blutrünstiger Meuchler zu rechnen, schließlich war das hier kein nächtlicher Stoßtrupp über den Danuvius, sondern Teil einer mehr oder minder alltäglichen Ermittlung in einer erhabenen Stätte römischer Kultur. Wenn er der richtigen Spur folgte – und daran hatte er inzwischen kaum noch Zweifel, zu gut passte alles zusammen – dann würde er höchstens auf einen friedlichen Initianden und im Idealfall dessen östlichen Freund stoßen; beide keines Verbrechens schuldig.


    An der Ecke zum Quergang angekommen, vernahm Antias plötzlich das Geräusch einer knarrend aufschwingenden und dumpf wieder zuschlagenden Tür. Schritte näherten sich. Eine ihm durchaus bekannte Gestalt stapfte der Gang entlang und wie es schien tief in Gedanken versunken an ihm vorbei. Natürlich hatte Antias seinen Tribunus auch in Zivilkleidung sofort erkannt. Einen sehr kurzen Moment lang dachte er sogar daran, schneidig zu salutieren, aber Dives’ abwesende Miene ließ ihn davon Abstand nehmen. So wartete er einfach reglos, bis der Iulier am anderen Ende des langen Flures verschwunden war, und steckte dann den Kopf spähend um die Ecke.


    Vor einer der abzweigenden Türen standen drei bullige Brecher, Lohnleibwächter der mittleren Preisklasse wie es den Anschein hatte. Natürlich, es sollten ja auch keine Unbefugten hinter den Kulissen umher streunen. Antias selbst hielt sich allerdings mitnichten für unbefugt. Bemüht um eine unaufdringliche Haltung und einen seriös anmutenden Blick trat er aus dem Schatten in den Quergang. Noch während er gemessenen Schrittes auf die gedrungenen Wächter zumarschierte, konnte er Stimmen hören, die zweifelsfrei durch die Tür drang, vor der die Mietaufpasser herumlungerten. Die Stimmen einer Frau und eines Mannes. Eine Frau? Leise Zweifel begannen an Antias zu nagen. War er hier nur einem Stelldichein zweier völlig unbeteiligter Cives auf der Spur? Nun, das ließ sich relativ einfach herausfinden. Mit der Mahnung im Hinterkopf, den neugierigen Urbaner nicht allzu penetrant heraushängen zu lassen, blieb er lächelnd vor einem der Leibwächter stehen. „Salvete, die Herren. Ich bin auf der Suche nach einem Civis Serapio, ob ihr mir da wohl weiter helfen könnt?“

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    Sextus Peducaeus Hispo


    Endlich hatte Hispo Gelegenheit, auf andere Gedanken zu kommen. Mit der lähmenden Ruhe am Tor schien es vorbei zu sein. Kaum war der überspannte Capra in seiner neuen Rolle als Aushilfsbote gen Südosten davon gestakst, standen mit einem mal die Profis am Tor. Gleich eine ganze Handvoll. Als Hispo der schwer bepackten Gäule der berittenen Boten ansichtig wurde, begann ihm langsam zu dämmern, was deren Auftauchen letztlich zu bedeuten hatte. Wenn nun all diese aufgelaufenen Nachrichten in’s Reich hinaus gelangten, würde damit die Nachrichtensperre hinfällig, ebenso die Abriegelung der Stadttore und damit auch die endlosen Doppel- und Dreifachschichten der Wacheinheiten. Hispos’ Laune schnellte aus den tiefsten Schlünden in luftige Höhen empor, und nicht nur seine. Auch die Kameraden erstrahlten plötzlich in gleißender Zuversicht. Unverkennbar, es war das Siegel des Senats, das die Boten da vorzeigten.


    Eiligst wuchteten die erlösten Urbaniciani die schweren Sperrbalken aus den Eisenbügeln, lösten die Seitenriegel und zogen schließlich schwitzend die mächtigen Torflügel nach innen. Draußen strahlten in vorbildlicher Reihe die blank polierten Urbanerhelme in der goldenen Morgensonne, die schweren Mäntel wehten in der Brise, die Kameraden trotzen stolz und würdig den bunten Massen des wartenden Volkes. Welch erhebender Anblick! Was für ein wunderbarer Tag! „HE! ANTIAS!“ brüllte Hispo vergnügt in den Morgen hinaus. Da kommen ein paar eilige Jungs! Helft ihnen mal durch!“


    Schneidig salutieren die Wachen vor den Reitern. Ein markiges `bene eveniat`erhob sich aus den Reihen. Die Boten erwiderten knapp, gruben ihren Gäulen die Fersen in die Flanken und sprengten aus der Stadt.