Beiträge von Othmar

    Wieder genossen sie das Abendessen. Für einen Außenstehenden könnte es interessant zu beobachten sein, dass jeder genau wusste, welche Aufgabe ihm zukam. Während Othmar die Schlafstätte aus Stroh vorbereitete, half Wolfhart beim Kochen und Hrothgar hatte immer einen Blick auf die Umgebung und die Tiere. Fast jeder Handgriff saß und nur die Anwesenheit einer vierten ungewohnten Person brachte ein wenig Unordnung hinein. Doch stellten sich alle schnell darauf ein, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.


    Zum Abend hin hatten Regen und Wind eingesetzt und sich mehr und mehr zu einem Sturm aufgeschaukelt. Die Hütte war stabil genug und bot nicht viel Angriffsfläche für die Sturmböen, dennoch war sie nicht mehr die neuste und hatte viele Löcher, sodass einige Windzüge in die Hütte eindrangen, es von oben ein bisschen hineintropfte und der Wind über ihnen pfiff. Hrothgar hatte bereits die beiden Esel in die Hütte geholt, die nun aus allen Nähten platzte, und hatte vorher noch den Wagen gesichert. Nun saßen sie in der Hütte, eng an eng, Hrothgar versuchte die Pferde zu beruhigen, Wolfhart saß mit dem Rücken an der Tür, die sonst nur von einem Riegel gehalten wurde, und Othmar schaute immer wieder nach oben, ob das Dach hielt. Seine größteSorge war jedoch, wie die Pfade am morgigen Tag aussehen würden, denn eigentlich war es nur noch eine Tagesreise bis zu ihrem Zwischenziel. Je nachdem, wie die Pfade aussehen, müssten sie aber wohl unter Umstände eine weitere Zwischenstation einlegen. Daher fing er nach einiger Zeit an, eine Anrufung zu murmeln, die er immer wieder wiederholte.


    Thor, dein Hammer sei mir Zeichen, Unheil und Verderben müssen weichen!
    Hoch im Norden, dort wo Asgard liegt, Thor über das Unheil siegt!
    Im Osten die Sonne erwacht, Tag für Tag nach jeder Nacht!
    Der Hammer im Süden die Stätte weiht, heiliges Blót mit göttlich Geleit!
    Im Westen beginnt die Nacht, doch Heimdall stehts über uns wacht!
    Hört ihr hohen Götter, was ich von euch erbitte:
    Schutz und Weihe für unsere Mitte!

    Nachdem Othmar die Trinkschläuche gefüllt und Alpina auch keine Anstalten gemacht hatte, das Gespräch fortzusetzen, kehrten sie gemeinsam zurück zum Wagen. Wolfhart hatte die Radachsen komplett geprüft und Hrothgar war zumindest dieses Mal bei der Jagd erfolgreich, sodass es zum Abendessen einen Hasen geben würde. Zwar war dieser nicht allzu groß, doch würde er für alle vier reichen. Othmar legte die Trinkschläuche zurück auf den Wagen und Hrothgar spannte gemeinsam mit Alpina die Esel ein. Und schließlich gingen sie weiter gen Osten.


    Dieses Mal waren sie, so glaubte Othmar, gut in der Zeit. Und nachdem sie wieder einige Stunden schweigend gewandert waren und nur auf einen anderen Händler getroffen waren, der ihnen entgegen kam und nach Westen reiste, erreichten sie pünktlich zur Dämmerung eine kleine Hütte am Wegesrand. Diese wurde regelmäßig durch vorüberreisende Händler genutzt und war zur allgemeinen Erleichterung auch noch nicht belegt. Othmar blickte kurz hinein, es gab zwei Betten aber genug Stroh für einen weiteren Schlafplatz. Da ja mindestens einer von ihnen jede Nacht Wache halten musste, reichte dies also gut aus. Wolfhart war derweil damit beschäftigt Feuerholz zu suchen und Hrothgar kümmerte sich wie immer um die Esen. Othmar wiederum leerte den Wagen, nahm alle Geldbeutel und die überzähligen Felle mit in die Hütte und half dann beim Suchen nach Feuerholz und schließlich beim Anfachen des Feuers vor der Hütte

    Othmar ging in die Hocke, während er dir Trinkschläuche auffüllte. Er selbst hatte natürlich nie daran gedacht, die Esel mit Brot zu bestechen, dafür war ihm das Brot viel zu wertvoll, da er ja nie wusste, wann sie den nächsten Proviant bekämen. Dies Esel dagegen hatten immer die Möglichkeit, Gras vom Wegesrand zu essen, sodass ihre Versorgung in jedem Fall gesichert war.


    Ich glaube, da hast du recht.


    antwortete er auf ihre Behauptung mit dem Essen. Natürlich genossen auch die Männer das Essen, dass Alpina ihnen mit ihren Kräutern herstellte, war es doch etwas anderes, trockenes Brot zu essen oder etwas Kräuterdip dabeizuhaben. Auch die Suppe vom gestrigen Abend hatte gut geschmeckt, und war sicherlich auch besser, als wenn sie irgendwelche Beeren oder sonstiges hätten sammeln müssen.


    Dann hörte er ihrer Erzählung zum Hof ihrer Großeltern zu. Offenbar hatte auch sie vorher viel mit Tieren zu tun gehabt. Daher auch die Erfahrung. Othmar nickte verstehend, während er nun den zweiten Trinkschlauch mit Wasser füllte.


    Und dann bist du irgendwann in Mogontiacum gelandet und hast eine Taberna Medica eröffnet...


    führte er ihre Geschichte ein bisschen weiter. Zwar wollte er damit sicher nicht erreichen, dass sie ihm ihre ganze Lebensgeschichte erzählte. Aber nachdem er sie gestern so runtergeputzt hatte, war ihm jetzt dran gelegen, sie langsam wieder aufzubauen. Schließlich nutzte es niemandem, wenn sie sich komplett unnötig fühlte. Ganz im Gegenteil wäre sie eine größere Hilfe, wenn sie selbstbewusst an die neue Situation heranginge. Dass sie das konnte, hatte sie bei ihrem ersten Zusammentreffen klar gemacht. Allerdings wollte Othmar auch klargestellt wissen, dass Selbstbewusstsein alleine nicht ausreichte, um hier im freien Germanien zu überleben. Nicht umsonst war er ja auch nicht alleine unterwegs, sondern hatte immer ein bis zwei Begleiter bei sich.


    Dann hoffen wir mal, dass ihre Liebe noch mindest bis Meolcabus hält.


    sagte er dann, indem er ihr Lächeln erwiderte. als Tierführerin jedenfalls machte sie eine gute Figur und konnte ihnen dadurch auch durchaus nützlich sein.

    Auch die zweite lange Etappe gen Osten, immer weiter in Richtung Melocabus, wo sich die nächste Siedlung befand, war wieder lang. Othmar staunte, wie schnell sich Alpina an seinen Rhytmus und den seiner Leute gewohnt hatte. Das morgige Aufstehen klappte erstaunlich gut, ebenso die morgendlichen mittäglichen und abendlichen Vorgänge: Morgens das Einspannen der Tiere und die Vorbereitung des Wagens, mittags die kurze Rast an einem geeigneten Ort, wie einer Lichtung oder einer Schneise zwischen zwei Wäldern und am Abend das gemeinsame Abendessen, die Einteilung der Nachtwachen und das Anfachen des Feuers. auch gewöhnte sie sich offenbar an die Ruhe und das Schweigen der Händlergruppe, denn auch sie vermied es mehr und mehr Gespräche zu suchen. Bei dem Händler und seinen Begleitern hatte sich das eingebürgert, wenn neue Leute dazukamen, dauerte es immer ein bisschen, doch Alpina hatte sich erstaunlich schnell angepasst.


    Der heutige Tages führte sie nun weiter nach Osten. Der Wald wurde oftmals dichter und Othmar musste sich immer wieder anstrengen, den Stand der Sonne vernüftig auszumachen. Seine Begleiter hatten derweil ihre Augen zu den Seiten gerichtet, um auf mögliche Angriffe sofort reagieren zu können. Und Alpina hatte die Tiere so gut unter Kontrolle, dass sie kaum bockten oder unerwartet stehen blieben. Selbst wenn sie es taten, konnte die junge Frau sie immer wieder schnell dazu bewegen, weiterzuziehen. Othmar beobachtete auch das aufmerksam, denn dass sie dadurch viel Zeit einsparten, verstand sich von selbst.


    Als sich am Mittag die tägliche Pause anbot, stoppte die Gruppe an einem Bach, an die sie ihre Trinkschläuche auffüllen konnten. Hrothgar wiederum machte sich wieder an die Jagd von Kleintieren, während Wolfhart die Radachsen des Wagen kontrollierte. Othmar aber trat neben Alpina an den Bach.


    Du hast die Esel gut unter Kontrolle.


    sagte er, nicht ohne Anerkennung in der Stimme. Er hatte sie bislang nur als störrische, unberechenbare Lebewesen erlebt, die immer zu Unzeiten ihre Dickköpfe wiederentdeckten. Dass solche Aussetzer bislang ausgeblieben waren, erstaunte ihn deshalb auch.

    Hrothgar fand zuerst einen guten Platz. Auf der einen Seite abgeschirmt von einer umgestürzten Eiche, konnte der Wagen auf der anderen Seite weiteren Schutz geben. Nachdem genug Feuerholz gesammelt und das Feuer angefacht war, kochte Alpina eine Kräutersuppe, die allen sehr gut schmeckte. Natürlich war sie dünn, doch wärmte sie die drei Männer von innen.


    Sehr gute Suppe.


    sagte Othmar, während er seinen Teller auslöffelte. Kurz vor dem Einbruch der Nacht verteilte Othmar schließlich die Aufgaben der Nachtwache. Hrothgar sollte beginnen, und zur halben Nacht Othmar wecken, damit er ihn ablösen konnte. Während des ersten Teils der Nacht herrschte wieder Stille. Nur das leise Schnarchen Othmars und das etwas lautere Schnarchen Wolfharts schufen eine kleine Geräuschkulisse. Zwischendurch war ein Knacken zu hören, die Hrothgar und Stirn runzeln ließ, doch immer waren es nur Kleintiere, die durch das Unterholz huschten. Immer wieder wanderte Hrothgars Blick derweil zu Alpina, die immer noch zutiefst besorgt wirkte. Doch leistete sie ihre Aufgabe zum Nachlegen von Feuerholz vertrauensvoll und gewissenhaft. Zu gerne hätte er erfahren, woher ihre Angst käme, doch hatte sie schon ganz recht, damit nicht hausieren zu gehen.


    Etwa zur halben Nacht weckte er dannn Othmar, der sich hochrappelte, kurz innehielt, einen Schluck Wasser trank und dann seinerseits wachblieb, während Hrothgar sich zum Schlafen legte. Alpina legte sich derweil an den Wagen. Auch der Rest der Nacht war unspektakulär, es veirrte sich lediglich ein Uhu in der Nähe, dessen regelmäßiges Rufen durch den Wald schallte. Als schließlich die ersten Sonnenstrahlen des Tages durch die Baumwipfel zu sehen war, standen Hrothgar und Wolfhart praktisch von selber auf, während Othmar zum Wagen blickte, ob Alpina auch schon, oder vielleicht sogar noch wach wäre.

    Othmar rief alle Mitreisenden wieder zusammen. Wolfhart rappelte sich hoch, klopfte seine Kleidung ab und stellte sich wieder hinter den Wagen, um ihm bei Bedarf Anschubhilfe zu leisten und Hrothgar kam, leider ohne Beute, zum Wagen zurück. Er merkte schnell, dass Alpina blass war und etwas unschlüssig neben den Esel stand. Da es jetzt los gehen sollte, nahm er die Zügel, drückte sie Alpina mit einem aufmunternden Blick in die Hand und gab den Eseln einen sanften Klaps, sodass sie sich erst langsam, dann etwas schneller in Bewegung setzten. Er hatte ihre Geschichte am Abend mitbekommen, doch war er längst nicht so abergläubisch, wie Othmar. Grundsätzlich glaubte er nicht an irgendwelche überirdischen Wesen, denn als er sie während seiner Gefangenschaft angerufen hatte, hatte ihm nie, nicht einmal, irgendeine von ihnen geantwortet. Seitdem war er ein Zweifler. Doch konnte er das ja leider niemandem mitteilen. Auch glaubte er nicht, dass Alpina sie in Gefahr bringen würde, aber auch das behielt er, gezwungenermaßen für sich.


    Othmar hingegen trottete wieder rechts am Wagen, blickte in den Wald hinaus und immer mal nach oben in die Sonne, um ihren Stand und die Zeit abzuschätzen, die ihnen noch blieb, bis die Dämmerung einbrechen würde. Wieder kam kein wirkliches Gespräch zustande. Stille bestimmte die gesamte Reise bislang und würde sie wohl auch noch besonders auf den langen Wegstrecken bestimmen. Einerseits konnte sowas belasten, andererseits erhielt man dadurch die Möglichkeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen oder vielleicht sogar das lästige Denken komplett abzustellen.


    Als die Dämmerung dann irgendwann einsetzte, verzog Othmar unzufrieden das Gesicht. Die Hütte, die er für heute angepeilt hatte, würden sie nicht mehr erreichen und würden daher die erste Nacht unter freiem Himmel verbringen müssen. Je länger sie gingen, desto deutlicher wurde ihre Lage, bis Othmar irgendwann das Wort an seine Begleiter richtete.


    Wir müssen nun langsam nach einem guten Platz für die Nacht Ausschau halten. Irgendwas Geschütztes. Also Augen auf!

    Othmar hielt Alpinas Blick stand. Problemlos. Er hatte schon zu viel gesehen und mit zu vielen Kunden gesprochen, dass er sich durch einen wütenden, fast schon kindlich-trotzigen Blick aus der Ruhe bringen ließ.


    Ich sage dir jetzt eines, Susina Alpina. Das freie Germanien ist komplett anders, als das gut ausgebaute römische Reisenetz. Du bist hier nicht mehr im Römischen Reich, sondern in einer Umgebung in der Dorf- oder sogar Stammeskämpfe vollkommen normal sind. Wer dazwischenkommt, muss entweder ein bekanntes Gesicht haben oder erfahren genug sein, mit solchen Situation umzugehen.


    Er seufzte und wandte sich wieder den Eseln zu. Die junge Frau mochte schon einiges durchgemacht haben, aber das, was sie hier machte, war etwas komplett anderes und neues. Hier gab es nicht hinter jeder Ecke eine Mansio und keine römischen Patrouillen römischer Soldaten. Hier waren nur sie und niemand anders. Zwar waren einige Dörfe durchaus freundlich gegenüber fremen, doch es gab mindestens genauso viele, wenn nicht sogar mehr, die sie für eine Spionin oder Diebin halten konnten. Und mit denen gingen die wenigsten freundlich um.


    Wie gesagt: Niemand wird dich abhalten, in den kommenden beiden Nächten den Nachtwachen Gesellschaft zu leisten. Was du daraus machst, liegt an dir.


    Dann wandte er sich wieder den Tieren zu und prüfte nun die Hufe des zweiten Tieres.

    Othmar war grade dabei, die Hufe der Esel auf Steine oder kleine Verletzungen zu prüfen, als Alpina ihn ansprach. Er erhob sich und blickte sie fragen an. Natürlich konnte er sich denken, was sie auf dem Herzen hatte, was sie ihm da aber grade anbot, ging natürlich weit über das hinaus. Er blickte in seine Hand, wo sich nun die kompletten fünfzig Sesterzen befanden und dann wieder hoch. Bevor er jedoch antwortete, griff er in den Wagen und schnappte sich eine leeren Geldbeutel, in den er die fünfzig Sesterzen steckte. Doch legte er ihn nicht zurück zu den übrigen Beuteln, sondern legte ihn seperat auf den Wagen, sofass er sich deutlich von den anderen unterschied. Dann blickte er wieder zu der jungen Frau.


    Erstens: Ich bin Geschäftsmann. Daher nehme ich kein Geld für eine Leistung, die ich nicht erbringe. Wir haben abgemacht, dass wir dich soweit ins freie Germanien begleiten und dich auch zu deinem Ziel bringen. Wenn das nicht möglich ist, kann ich dein Geld nicht annehmen.


    Er schüttelte den Kopf. Nein, sowas gab es nicht bei ihm. Wenn er einen Pelz verkauft, wollte er seinen Wert (plus eine Wegezugabe für die Einkaufsreisen) bekommen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und auch wenn er manchen römischen Kunden gerne mal erzählte, dass er die Tiere selber gejagt hätte, änderte das doch nicht an der Pelzqualität.


    Zweitens: Ich glaube, dir ist nicht klar, worauf du dich da einlässt. Besonders in der Nacht kann so ein Wald schlimme Fratzen zeigen. Tiergeräusche, Windböen, Knacken im Unterholz, mit all dem must du klarkommen. Und sie vor allem von echten Gefahren unterscheiden können. Hinzukommt, dass du unsere Feuerstellen am Brennen halten musst. Außerdem: Wie stellst du dir das vor, einfach während der Nachtwache zu verschwinden, wenn du damit nicht klarkommst? Uns schlafend und schutzlos zurücklassen, weil du mit deinen Geistern nicht klarkommst? Ganz bestimmt nicht. Die Nachtwache ist eine der vertrauensvollsten Aufgabe und ich sage es ganz offen: Ich kenne dich nicht. Ich weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann. Das soll dich nicht davon abhalten, der jeweiligen Nachtwache Gesellschaft zu leisten, doch alleine? Ganz bestimmt nicht.


    Offensichtlich war ihr überhaupt nicht klar, was es hieß, unter freiem Himmel zu schlafen. Sie waren hier nicht mehr in einer warmen, gutbeheizten Casa in einer römischen Stadt, mit ihren Mauern, sondern im freien Germanien, mit Räuberbanden, aggressiven Kriegern und wilden Tieren, die alle nur nach Opfern suchten.


    Drittens: Natürlich verschwindest du nicht einfach, sondern sagst du Bescheid, wenn du alleine weiterreisen willst. Selbst falls wir dir doch mal die Nachtwache überlassen, kann, bei Heimdall immer etwas passieren. Wer sagt mir denn, dass du nicht von irgendeinem Tier gerissen oder von einem Räuber entführt worden bist. Verdammte Axt, Mädchen, ich habe mich verpflichtet für deine Sicherheit zu sorgen! Und bei Heimdalls scharfen Blick werde ich das solange machen, bis du mir sagst, dass ich das nicht mehr machen soll. So ist das Geschäft.

    Auch Othmar war vor dem Aufbruch noch kurz bei Hildrun gewesen, grade als sich die beiden Frauen verabschiedet hatten, war er an der Hütte angekommen, hatte gewartet bis Alpina den Weg zurück eingeschlagen hatte und war dann seinerseits zu der Kräuterfrau gegangen. Mit einer mehr als freundschaftlichen Umarmung und einem verstohlenen Kuss hatten sich auch die beiden voneinander verabschiedet. Eigentlich verband sie eine enge Beziehung, doch konnten sie diese kaum wirklich ausleben. Es schmerzte beide, doch war ihnen klar, dass Othmar weder im Dorf bleiben konnte, noch dasd Hildrun mit durch die Gegend ziehen wollte. Damit war die Entscheidung getroffen: Beide würden, wie immer ihrer Wege gehen und sich auf das nächste Zusammentreffen freuen. Nun war Othmar aber schon verdächtig lang von der Gruppe getrennt gewesen, sodass er nun schnell aufbrechen wollte.


    So zogen sie ihres Weges, doch waren sie jetzt zu viert und hatten sich wie gewöhnlich organisiert. Hrothgar deckte seine starke linke Seite ab, während Othmar auf der rechten Seite ging. Wolfhart bildete die Nachhut und trottete zwei Schritte hinter dem Wagen her. Wieder herrschte eine lange Stille. Bei den drei Männern gehörte das mittlerweile schon zur Routine. Sie kannten sich so gut, dass sie nicht mehr Worte als nötig miteinander sprechen mussten, zumal Hrothgar ja ohnehin nicht sprechen konnte. Auch wenn Othmar sich grade eben nch von Hildrun verabschiedet hattem, war seine Stimmung noch vom üblichen morgendlichen Unwillen bestimmt, während Wolfhart immer wieder durch die Gegend schaute, die Baumwipfel betrachtete oder den Tieres am Wegesrand nachblickte. Und selbst Alpina, die sonst immer die Gespräche begann, war äußerst schweigsam. Allzu verständlich, wenn man an die vergangene Nacht dachte, in der Othmar klargemacht hatte, dass er irgendwelche Geisterabenteuer weder suchte, noch tolerieren würde. Die junge Frau schien dies zu beschäftigen. In den kurzen Pausen, die sie an einzelnen Wegsteinen, Lichtungen oder Rastverhauen machten, sammelte sie Blumen und Kräuter vom Wegesrand, wahrscheinlich für das Abendessen.


    Irgendwann zur ebenfalls üblichen Mittagspause, die sie auf einer Wiese verbrachten, die komplett von der Sonne beschienen wurde, kam Alpinas Möglichkeit. Hrothgar hatte sich auf die Suche nach kleinen Tieren gemacht, die sie am Abend verspeisen könnten und Wolfhart saß, mit dem Rücken an ein Wagenrand, hatte die Augen geschlossen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Othmar wollte nach den Eseln schauen und stieß dabei auf Alpina, die sich wohl im Moment bei den Eseln wohler fühlte als in der Gesellschaft der drei Männer.

    Othmar nickte bestätigend und legte sich dann wieder schlafen, ebenso wir Hrothgar. Was diese Mädchen immer alles mit sich herumschleppen, ging es Othmar durch den Kopf. Da kommt ja kein vernünftig denkender Mensch mehr mit. Er würde in den nächsten Tagen ein besonderes Auge auf sie haben, denn glücklicherweise war ja ab morgen auch Wolfhart dabei, der die Sicherungsaufgaben an den Seiten von dem Händler übernehmen konnte. Am nächsten morgen würde er sie auf dem Weg nochmal darauf ansprechen. Zumindest nahm er sich das vor, bevor er wieder in das Reich der Träume hinabgleitete. Sein wunderschöner Traum mit Hildrun jedoch kehrte nicht zurück. Zu schade aber auch.


    - - -


    Am nächsten Tag wachte Othmar wie üblich als erster auf, zumindest glaubte er das, denn er ging nicht davon aus, dass Alpina die ganze Nacht kein Auge mehr zugetan hatte. Als er geräuschvoll und verdrängt hustend seine Beine aus dem Bett hievte, wurde Hrothgar natürlich auch wach. Im freien würden sie sich jetzt um ein bisschen heißes Wasser zum Aufwärmen bemühen, hier im bequemen Haus von Ranulf jedoch erhielten sie eine leichte Stärkung für den Tag und ein bisschen Proviant, um zumindest den nächsten Tag zu überbrücken. Die nächste Siedlung würden sie erst in zwei bis drei Tagesreisen erreichen, sodass sie schauen müssten, wie sie sich derweil versorgten. Zwar kannte Othmar die eine oder andere verborgene Hütte auf dem Weg, doch dass deren Besitzer auch tatsächlich da waren, war unklar.

    Langsam beruhigte sich die junge Frau wieder, doch schien sie selbst noch danach unruhig, fast getrieben zu sein. Die folgende Erklärung machte dann klar, was diese Mädchen so antrieb: Offenbar hatte sie irgendeine Seele auf dem Gewissen, warum und in welcher Art auch immer, und diese hatte Rachegeister auf Alpina angesetzt. Hrothgar schluckte und Othmar sah die junge Frau lange und sehr ernst an. Er hatte keine Ahnung, inwieweit diese Geister auch auf ihn oder seine anderen Begleiter überspringen konnten, aber das war seine größte Sorge. Grade erst hatte er einen Begleiter zurück, da er konnte er es sich nicht leisten, erneut einen aufgrund irgendwelcher böswilliger Geisterwesen zu verlieren. Der Händler blickte zu Hrothgar der nur die Schultern zucken konnte. Was hatten sie sich mit diesem Mädchen in die Gruppe geholt.


    Othmar atmete tief durch. Würde er sie jetzt zurücklassen, würde sie alleine weiterreisen. Und zwar in einer Situation, in der es vermehrt Überfälle gegeben hatte. Außerdem brauchten sie Schlaf, denn bis Chassella konnte er nicht mehr dafür garantieren, dass sie ein vernünftiges Dach über dem Kopf hatten.


    Ich habe keine Ahnung warum dich diese Geister verfolgen. Und ich habe auch keine Ahnung was du tun muss, um sie zu besänftigen. Doch dir muss eins klar sein: Die folgenden Tage werden hart und kraftraubend. Nicht immer werden wir unter einem festen Dach schlafen, ganz abgesehen davon, dass wir kaum durchschlafen können, da wir Nachtwache halten müssen. Wenn du dich nicht unter Kontrolle, gefährdest du uns alle, und glaub mir, Mädchen, mein Leben ist mir deutlich wichtiger, als irgendwelche Geistervertreibungsaktionen. Versuch also die Geister, die dich verfolgen, so gut es geht, im Zaum zu halten. Ansonsten ist unsere Abmachung vorbei. Ist das klar?


    Sein Stimme war nicht übermäßig wütend. Nur die letzten Worte hatte er mit einer gewissen Schärfe ausgesprochen. Hinterher würden noch Räuberbanden auf sie aufmerksam und brachten sie um, oder wilde Tiere, die sich, durch Schreie aufgeschreckt, angegriffen fühlen konnten.

    So schnell wie Alpina das Schlaflager aus Stroh für sich beansprucht hatte, konnte Hrothgar kaum gucken. Er zuckte mit Schultern und legte sich dann in sein eigenes Bett. Der Anspruch Othmars auf ein Bett schien nicht in Frage gestanden zu haben, sodass auch er sich schnell hinlegte und, müde von dem langen Tagesmarsch, schnell einschlief.


    Der Traum, den Othmar in dieser Nacht hatte, war ein angenehmer, fast romantischer Traum. Er saß mit Hildrun an einem großen See, sie hielten sich die Hände und Hildruns Kopf lag auf Othmars Schulter. Gemeinsam blickten sie auf den See hinaus, über den sich eine neblige Dunstglocke schob. Plötzlich erschien ein Reh auf der rechten Seite, trippelte an den See heran und ließ den Kopf zum trinken nieder. So könnte er immer sitzen, ging es Othmar durch den Kopf...


    ... als er erneut von einem gellenden Schrei aus dem Schlaf gerissen wurde. Diesmal war der Schrei direkt neben seinem Kopf, sodass er die Augen aufriss und den Oberkörper ruckartig nach vorn schnellen ließ. Sein erster Griff ging an seinen Dolch, den er neben seinem Bett liegen hatte. Es dauerte einige Augenblicke, bis er sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Ein Blick nach rechts machte Othmar klar, dass auch Hrothgar bereits wach war. Doch gab es da: Nichts... Wenn er genauer darüber nachdachte, wäre es auch überraschend, da es hier im Dorf niemand wagen würde, nachts ins Haus des Ranulf einzudringen. Er sein zweiter Blick zu alpina machte klar, dass sie es gewesen sein musste, die geschrien hat. Er ließ seine Füße aus dem Bett gleiten und legte Alpina eine Hand auf die Schulter.


    Alles in Ordnung, Mädchen, alles in Ordnung. Das war nur ein Traum.


    Zumindest ging er davon aus, dass sie von irgendeinem schlechten Traum aus dem Schlaf gerissen wurde.

    Über den Gesprächen war es nun schon spät geworden und da Othmar am morgigen Tag nicht allzu viel Zeit verlieren wollte, durften sie nicht den halben Tag verschlafen. Daher verließen sie gemeinsam das Haus des Ranulf, um Alpina von Hildrun abzuholen und Wolfhart wieder zu sehen. Wie abgesprochen würde er noch eine Nacht in Hildruns Haus verbringen und morgen dann gemeinsam mit dem Händler weiter gen Norden ziehen. So klopften sie kräftig an die Tür und recht schnell wurde ihnen von Hildrun geöffnet, sie und Othmar warfen sich verstohlen einen Blick zu, während Hrothgar bereits schnell hineineilte, um Wolfhart mit einem Knuff in die Seite zu begrüßen. Der begrüßte seinen Freund mit einem fröhlichen Grunzen und blickte dann zu Othmar, den nun gemeinsam mit Hildrun ebenfalls dazugetreten waren.


    Wolfhart, mein Bester!


    grüßte nun auch der Händler seinen bärenhaften zweiten Begleiter und blickte dann zu Alpina, die offenbar vollständig in die Kräuter, Tränke und Salben vertieft war, die in der Küche Hildruns standen.


    Wir müssen nun leider wieder zu Ranulf, Mädchen. Morgen geht es wieder weiter.


    So verließen Hrothgar und Alpina das Haus der Hildrun, während Othmar noch bei Hildrun zurückblieb und sich über Wolfharts Gesundheitszustand erkundigte. Das war jedoch nicht der einzige Grund dafür. Bevor Othmar hinausging, hauchte Hildrun ihm einen Kuss auf die Wange und Othmar strich ihr leicht über die Schulter. Dann jedoch verabschiedete auch er sich und Othmar ging mit Hrothgar und Alpina zurück in Ranulfs Haus. Dort angekommen wurden sie von Ranulfs Frau in das Gästezimmer geführt. Während die drei bei Hildrun gewesen waren, hatten sie und Ranulf bereits ein paar Strohsäcke auf den Boden gelegt, um ein drittes Nachtlager herzurichten. Der Raum war dadurch nahezu komplett ausgefüllt. Othmar blickte ins Zimmer, nickte Ranulfs Frau dankbar zu und trat als erster komplett ins Zimmer.

    Das Essen war reichhaltig und das Bier süffig. Othmar genoss mal wieder die etwas bequemere Unterkunft bei dem Dorfältesten, den Othmar schon lange kannte. Othmar erzählte von seinen jüngsten Erlebnissen jenseits des Limes und Ranulf erzählte von den aktuellen Entwicklungen in und um das Dorf. Othmar hörte bei diesen Erzählungen immer ganz besonders gut zu, da dabei auch immer Informationen für die nächsten Tage bei rumkamen. Irgendwann verabschiedeten sich Hildrun und Alpina und gingen hinüber zu Hildruns Hütte, während Othmar und Hrothgar bei bei Ranulf blieben.


    Grade schnitt sich Hrothgar ein gute Kante Brot ab, als Ranulf auf ihre junge Begleiterin zu sprechen kam.


    Sag mal, Othmar, was ist das denn für ein Mädchen, mit dem du unterwegs bist?


    Der Händler blickte von seinem Bierkumpen hoch, aus dem er grade einen Schluck gemacht hatte.


    Ich habe sie nahe des Limes getroffen. Es ist ein kleiner Nebenverdienst für mich und sie bekommt ein bisschen Sicherheit. Ansonsten wäre sie wohl alleine losgezogen und ich muss dir nicht sagen, dass sie dann verloren gewesen wäre.


    Ranulf nickte nachdenklich. Die Frauen des Dorfes waren selten alleine unterwegs, wenn sie weiter weg wollten. Doch kannte er seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass er verlorene Menschen nur selten alleine weiterziehen ließ.


    Du und dein gutes Herz, Othmar.


    sagte er daher lachend und prostete ihm erneut mit seinem Humpen zu.

    Von dem Trappeln der Esel wurden einige Dorfbewohner auf die Neuankömmlinge aufmerksam. Einige grüßten Othmar freundlich, andere schauten nur kurz aus ihren Türen oder Fenstern und verschwanden dann wieder in ihren Häusern. Beim größten Gebäude angekommen öffneten sich auch dessen Türen und es trat ein älterer Mann, ungefähr so groß und alt wie Othmar und mit einem langen Bart, aus dem Gebäude. Seine gerunzelte Stirn wich schnell einem freudigen Gesichtsausdruck, während Othmar auf ihn zu trat.


    Othmar, du bist also zurück!


    begrüßte er den Händler in germanischer Sprache mit einem festen Händedruck. Dann blickte er zu Hrothgar, den er ebenso wie den Händler freundlich ansah, bevor sein Blick an alpina hängen blieb. Er musterte die junge Frau von oben bis unten und blickte dann fragend zu Othmar.


    Heilsa, Ranulf! Ja, ich bin wieder hier. Das ist übrigens Alpina, sie begleitet und nach Chassela.


    erläuterte er kurz und fuhr dann fort.


    Ich möchte Wolfhart wieder abholen und bitte um eine Nacht Unterkunft bei euch.


    Ranulf blickte die drei freundlich an und bat seine Frau, rüber zu Hildrun zu gehen, um ihr bescheid zu sagen.


    Eine Nacht? Kein Problem Allerdings kann ich euch nur ein Zimmer mit zwei Betten anbieten. Mehr Platz haben wir nicht.


    Othmar nickte. Für eine Nacht dürfte das ausreichen, doch müssten sie sich absprechen, wer wie und wo schlafen würde. So wie er Hrothgar kannte, ging er aber davon aus, dass er zugunsten Alpinas auf einem Strohbett liegen würde.


    So traten sie in den großen Wohnraum. Im Kamin flackerte ein Feuer, das den Raum wärmte, auf einem großen Tisch standen Brot, Fleisch und zwei Humpen Bier. Schnell stellte Ranulf drei weitere Humpen dazu und füllte sie mit Bier. Danach bot er allen an, sich zu setzen.

    Als die kleine Gruppe durch die Schneise traten, kam sofort ein junger Mann auf sie zu, groß, bärtig, einen Speer in der Hand. Er hatte heute die Aufgabe, den Dorfeingang zu bewachen, was ihm, wie sein Gesichtsausdruck verriet, nicht unbedingt passte.


    HALT!


    rief er in germanischer Sprache, die stark geprägt vom Dialekt seines Dorfes war. Er schritt direkt auf Othmar zu, der als ältester der Gruppe von ihm als Anführer ausgemacht worden war.


    Wer seid ihr und was wollt ihr hier?


    fuhr er dann ernst, fast drohend fort, denn normalerweise waren zu dieser späten Stunde alle Einwohner in ihren Hütten und nur Fremde, das heißt Leute von außerhalb wollten noch ins Dorf. Ihm wurde eingeschärft, dass zu dieser Zeit überhaupt nur bekannte Gesichter Zutritt zum Dorf erhalten sollten und alle anderen abzuweisen seien. Da der junge Mann den Händler aber nicht kannte - oder, was Othmar eher vermutete, aufgrund seiner schlechten Laune nicht kennen wollte - tat er vorerst keinen Schritt zur Seite, sondern versperrte ihnen störrisch den Weg hinein.


    Mein Name ist Othmar und ich bin Pelzhändler. Dies sind meine Begleiter Hrothgar und Alpina. Ich war schon oft hier und möchte zu Hildrun und eine Unterkunft in eurem Dorf.


    antwortete Othmar ebenfalls in germanischer Sprache, allerdings mit deutlich zu erkennendem anderen Dialekt. Dieser ließ den Wächter umso misstrauischer werden. Sein Gesicht verfinsterte sich.


    Das sagst du, Kerl! Aber ich kenne dich nicht. Und woher weiß ich, dass ihr keine Räuber, Diebe oder Spione seid?


    Othmar seufzte laut auf. Diese Junge schien offenbar regelrecht Streit zu suchen und hatte heute dafür die denkbar beste Aufgabe abbekommen. Der Händler setzte sein bestes Verkaufsgesicht auf, blickte kurz zu seinen Begleitern und dann wieder zum Wächter.


    Mein lieber Freund, wir sind die letzten die euch Ärger machen wollen. Wir wollen nur unseren Begleiter Wolfhart bei der Kräuterfrau Hildrun abholen und erbitten dafür für eine Nacht Unterkunft bei euch. Wenn du mir nicht traust, hol Hildrun selber. Oder euren Dorfältesten Ranulf.


    Der junge Mann staunte nicht schlecht, dass sein Gegenüber so gut über ihr Dorf informiert war. Natürlich wusste er von dem Fremden, der bei Hildrun verarztet wurde und natürlich hatte er auch mit Ranulf recht. Doch ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen.


    Ich bin nicht dein Freund! Außerdem kann das jeder wissen! Sowas spricht sich herum!


    antwortete er unbeirrt, als von rechts ein weiterer Wächter mit Speer heranschlurfte. Dieser war deutlich älter, und auf seiner rechten Wange war eine diagonal verlaufende Narbe sichtbar. Er blickte zum Händler und nickte ihm freundlich zu.


    Mach kein'n Mist, Junge, un' lass Othmar rein.


    warf er dann nuschelnd, natürlich ebenfalls in germanischer Sprache, ein. Nun war der junge Mann komplett verwirrt. Er blickte von seinem Mitwächter zum Händler und wieder zurück


    Aber... äh... die Zeit... ich...


    stotterte der junge Mann, doch der ältere Wächter unterbrach in sofort.


    Wennu sie nicht reinlässt, tritt dir Ranulf innen Arsch. Also?


    Endlich trat der junge Mann beiseite, während der ältere Wächte sie durchwinkte. Dann schüttelte er spöttisch über die Übereifrigkeit und die Streitlust des jungen Mannes den Kopf. Othmar führte den Wagen zum größten Gebäude des Dorfes.

    Langsam wurde es dämmrig und Othmar befürchtete, dass sie doch erst nach dem Anbruch der Dunkelheit in Mattiacum ankommen würden. Hinzu kam, dass ihre Begleiterin offenbar mit ihren Nerven kämpfte, denn die Dämmerung hatte schon vielen Menschen einen bösen Scherz gespielt. Othmar und Hrothgar wussten, dass das alles nur Naturerscheinungen waren, die ihn nicht gefährlich werden konnten. Ihre junge Begleiterin wusste das aber nicht. Sie wurde sichtlich nervös, blickte sich immer wieder um und ihre Unruhe drohte auf die Tiere überzuspringen. Daher blickte Othmar zu seinem Begleiter, übernahm selber die Zügel der Esel. Hrothgar griff Alpina derweil vorsichtig an Unterarm und zog sie von den Tieren ein bisschen nachhinten, sodass sie nun vom Wagen einerseits und Hrothgar andererseits flankiert wurde. Nur konnten sie natürlich nicht das Rascheln im Dickicht oder die Tiergeräusche abstellen.


    Endlich erblickte Othmar jene Lichtung, die ihn darauf hinwies, dass sie kurz vor der Siedlung waren. Etwa in einer Viertelmeile entfernt, konnte man nun, wenn man genau hinsah, einen Erdwall erkennen. Auf diesen steuerte Othmar nun zu und Hrothgar, der Alpina immer noch am Unterarm hielt folgte ihm langsam. Auch er hatte die Zeichen gesehen und wusste, dass sie bald in Mattiacum sein würden. Die kurze Entfernung legten sie recht schnell zurück und fanden sich nun an einer Schneise wieder, die den Eingang zur Siedlung markierte.


    <<< Nun ließen sie den Limes hinter sich und die Wachtürme verschwanden hinter den Baumwipfeln der großen Wäler Germanias. Othmar hatte natürlich auch ein Ziel, nämlich einen weiteren Begleiter in einem Dorf abzuholen, das von den Römern Mattiacum genannt wurde. Dafür mussten sie zwar einen kleinen Umweg machen, doch hatten sie, als sie zuletzt hier waren, keine andere Heilerin oder Kräuterfrau gefunden. Othmar kannte die Wälder hier und ihre Gefahren gut, die größte Gefahr hier ging von wilden Tieren aus, Räuberbanden waren hier eher selten. Allerdings würde sich das ändern, wenn sie tiefer ins freie Germanien kommen würden. Dennoch waren Othmar und Hrothgar aufmerksam, denn hier war die Sicht durch die zahlreichen Bäume und Büsche eher gering.


    Für Neulinge konnte der Wald an sich schon recht unheimlich sein. Knacken im Unterholz, Tiergeräusche und hier und da das Flattern von Vögeln in Baumwipfeln und dazu das schummrige Licht, da die Sonnenstrahlen durch die Baumwipfel abgefangen wurden. Zudem erschwerten die wenig ausgebauten Wege das Fortkommen des Wagens ein bisschen. Auf dem Rückweg würde es zwar noch schwieriger werden, da der Wagen dann auch wieder voller wäre, doch mussten sie immer aufpassen, das keins der Räder oder gar eine Achse brach. So trappelten die Esel etwas langsamer und Othmar versuchte abzuschätzen, ob sie ihr Tagesziel noch vor dem Sonnenuntergang erreichen konnten. Als sie vorhin in den Wald einfuhren, hatte er sich den Sonnenstand gemerkt und war nun zuversichtlich, dass sie es schaffen würden.

    Am großen Grenztor angekommen hielt Othmar Ausschau ob einer seiner Bekannten heute Tordienst hatte. Er hatte eigentlich eine gute Beziehung zu den Torwächtern hier, einige kannte er schon seit einigen Jahren, einigen hatte er sogar schon Pelze verkauft, und der eine oder andere war zum Stammkunden geworden, sodass er auch dieses mal wieder auf dem Rückweg ins Römische Reich eine eintägigen Zwischenstop hier einlegen würde. Doch heutehatten sie wenig Zeit. Daher käme ihm ein Bekannter, der keine allzu strenge Kontrolle durchführen würde heute recht. Endlich erblickte er den Torwächter und der Gesichtsausdruck des Händler hellte sich auf.


    Marullus, alter Bärenliebhaber!


    grüßte er den Torwächter fast schon euphorisch und ging direkten Schrittes auf ihn zu. Der Torwächter schaute irritiert in ihre Richtung, doch auch sein Gesicht wechselte schnell in freudige Stimmung.


    Wenn das nicht Othmar ist! Was machen die Geschäfte?


    antwortete er, nickte Hrothgar freundlich zu, blickte kurz zu Alpina und widmete sich dann dem Wagen.


    Ach, du kennst das doch, Marullus. Mal gut, mal nicht gut.


    Der Soldat umrundete den Wagen einmal, lüftete kurz die verbliebenen Pelze, ließ sie aber wieder fallen, als er nur ein paar Beutel entdeckte. Dann jedoch blieb er vor Alpina stehen und musterte sie erneut.


    Das ist aber kein guter Ersatz für Wolfhart, oder?


    er grinste Othmar an, der lebhaft mit dem Kopf schüttelte.


    Nein, nein. Wolfhart holen wir morgen ab. Die Kleine will ins freie Germanien, wollte aber ein bisschen Schutz. Und du weißt ja, dass ich ein gutes Geschäft nicht ausschlage


    Othmar lachte laut und der Wachsoldat stimmte mit ein. Dann gab er ein Zeichen, das Tor zu öffnen.


    Gut, gut. Dann macht, dass ihr weiter kommt. Ich brauche übrigens wieder einen kleineren Pelz, vielleicht einen Hasen oder sowas.


    Othmar nickte verstehend.


    Ich schaue mal, was sich da finden lässt. Vale bene!


    verabschiedete sich der Händler abschließend bei dem Torwächter, gab Hrothgar ein Zeichen und schon setzte sich der Wagen in Bewegung. Raus aus dem Römischen Reich und rein ins freie Germanien. >>>

    Erneut herrschte ein längeren Schweigen. Othmar blickte weiter in die Umgebung und dachte über das nach, was Alpina grade erzählt hatte. Bereits früh von Schicksalsschlägen gebeutelt, musste sie wohl grade wieder auf dem Weg der Besserung gewesen sein, als sie erneut Tiefschläge einstecken musste. Die letzten müssen dann wohl dermaßen stark gewesen sein, dass sie sich auf die Reise direkt in eine der gefährlichsten Gegenden der Umgebung gemacht hatte. Für Othmar und seine Begleiter war diese Weg bekannt und seine Gefahren einigermaßen berechenbar. Für die junge Frau jedoch musste es sich um eine Reise direkt in die Unterwelt handeln, die sie nicht fürchtete, nein, die sie sogar ganz im Gegenteil suchte. Othmar traute ihr mittlerweile absolut zu, den Weg auch alleine gemacht zu haben, wenn sie keine Begleitung gefunden hätte.


    Kurze Zeit später erreichten sie eine größere Freifläche. Vor ihnen erhob sich das kleine Grenzkastell, wo eine Cohorte der römisches Execitus stationiert war. Dahinter sah man, wenn man nach links und rechts blickte, den Limes, den hohen hölzernen Wall, der die Grenze zum freien Germanien markierte. halbrechts sah man einen der Wachtürme, auf dem, von hier aus gesehen, zwei kleine Figuren in Rüstungen in Richtung Germanien blickten. Hier mussten sie erstmal nichts befürchten, sodass Othmar etwas entspannte, das Tempo verlangsamte und nun direkt auf das Kastell zusteuerte, wo sie sich das Grenztor befand.