Obwohl die Hochzeitsfeier verhältnismäßig früh zu Ende ging und Camelia nicht zu viel gegessen und getrunken hatte, sank sie nur in einen kurzen jedoch sehr tiefen Schlaf. Ob es die Stille war oder ob es von den Vögeln ausging, die schon bei Anbruch des Tages vor ihrem offenen Fenster jubilierten sei dahingestellt. Die junge Decima erwachte im Morgengrauen und fühlte sich ausgeruhter, als sie es die Wochen vorher in Rom jemals war.
Wahrscheinlich aber auch durch die Gewissheit heute unbedingt so zeitig als möglich auszureiten. Heimlich natürlich, einfach ungezügelt, ohne Sattel und vor allem mit offenem Haar und bloßen Füssen. Fast hätte sie laut aufgelacht, konnte sich gerade noch beherrschen nicht wissend ob sie dann nicht doch gehört werden würde und ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt sei. Schnell wurde der noch vorhandene Rest vom Haarknoten gelöst und die langen dunkelbraunen Haare wie eine Mähne durchgeschüttelt. Ein seltener Anblick, trug sie doch meist für ihr Alter eine recht streng wirkende Frisur. Um so mädchenhafter wirkte jetzt ihre Erscheinung und mit der kurzen Tunika ihre Figur fast knabenhaft. Nur die angedeutet fraulichen Rundungen verrieten ihr Geschlecht, bedingt verborgen unter dem dünnen Linnen.
Unbeschuht und in das etwas zu kurz geratene Gewand gekleidet, hüllte sich Camelia in ihren Mantel und stülpte sich die Kapuze über.
Leise und auf Zehenspitzen huschte die so getarnte Gestalt über das Grundstück und strebte, die letzten Meter rennend, den Stallungen entgegen und verschwand hinein.
Natürlich blieb es von den Pferden nicht unbemerkt und so leise sie sich auch in dem spärlich beleuchteten Gang vorwärts tastete, das Schnauben und Scharren nahm stetig zu. Nicht wissend, wer nebenan im Stroh nächtigen würde und ob überhaupt … sprach sie beruhigend auf die nervös wirkenden Tiere ein. Camelia wusste, allein der Klang ihrer Stimme und der Tonus der Worte waren wichtig, nicht was sie von sich gab. Oft genug konnte sie sich davon überzeugen, wie es wirkte und genau daran erinnerte sie sich gerade und begann leise zu Summen. Damit wollte sie gleichzeitig die Auswahl vorantreiben, um sich nicht zu lange aufhalten zu müssen. Immerhin konnte ihr Unterfangen ganz schnell scheitern, würde sie entdeckt werden.
Einige Boxen waren unbelegt und wurden schnell passiert. Andere waren mit stattlichen Rappen belegt, deren Faszination ihre Aufmerksamkeit fesselten. Ihr schwarzes Fell glänzte trotz der schummrigen Beleuchtung und ließen erahnen welches Feuer in ihren sehnigen Körpern brannte beim wilden Galopp durch die Albaner Berge.
Auch wenn die junge Decima eine gute Reiterin war, hielt sich ihr Leichtsinn in Grenzen. So gerne sie auf solch einem Heißsporn auch reiten würde, so sehr mäßigte sie sich in ihren Wünschen und ging weiter summend auf die Suche nach dem geeigneten Pferd. Bist du goldig! Und so glänzte auch sein Fell … goldfarben von einer Stallfunzel beschienen. Ein sehr sehnig wirkendes Tier mit erhobenem Kopf und großen dunklen neugierigen Augen. Camelia war verzückt und drückte sich an die Holzbohlen der Box. Meinst du wir beide verstehen uns? Startete sie ihren geflüsterten Monolog und näherte sich langsam an. Zuerst glitt die Hand sacht über den Rücken. Dabei war das nervöse Zucken unter dem Fell deutlich zu spüren. Ganz ruhig! Unbeirrt wanderten die Finger weiter über die Brust und den Hals, schließlich zum Beschnuppern vor die Nase. So ist es gut! Wurde das leichte Blähen der Nüstern kommentiert und endlich folgte ein entspanntes Lächeln auf den Lippen der Dunkelhaarigen.
Das Stallhalfter war nur lose in einem eisernen Ring vertaut und konnte problemlos zügig gelöst werden. Mit leichtem Druck gegen die Stirn des Pferdes dränge Camelia es langsam in den Rückwärtsgang, darauf bedacht es nicht zu scheuen und ihm langsam folgend bis beide den Gang erreicht hatten. Ein kurzes Tätscheln und lobendes Schnalzen folgte bevor der Weg zum Ausgang eingeschlagen wurde.
Endlich im Freien und ein paar tiefe Atemzüge später wurde der Pferderücken schwungvoll erklommen und noch bevor die Fersen den Druck in den Flanken verstärken konnten, preschte der goldfarbene Hengst auch schon mit seiner Reiterin davon.