Beiträge von Plinia Chrysogona

    Chrysogona mochte die Verlegenheit des Hausherrn. Auf seine Gegenfrage musste sie allerdings verneinen.
    "Momentan habe ich mein Tablinium noch im Palast des Kaisers. Im Trakt mit den Privatgemächern der kaiserlichen Familie. Das ist nicht so einfach, dort Zugang zu bekommen. Tatsächlich wurde mir aber auch angeboten, mir eine Bleibe außerhalb des Palatin zu suchen. Wo ich arbeiten und nächtigen kann. Ich will allerdings zunächst einmal ein paar Wochen verstreichen lassen, meinen Aufgaben nachgehen und dann weiter überlegen, wie ich es mache. Ich kümmere mich ja auch ehrenamtlich um die Kranken, die den Askulapiustempel auf der Tiberinsel aufsuchen und um das von mir gegründete Heiligtum am Almo mit seinen Behandlungsräumen und Kuranwendungen. Wäre denn nicht eine Kur auch eine gute Sache für deinen Verwandten Varus? Ich meine nicht unbedingt am Alno. Da sind sehr viele schwer Kranke und hochgradig ansteckende Patienten untergebracht. Aber eines der ruhigen schönen Seebäder, wie Baiae, mit seinen Thermen und dem herrlichen Klima? Ich habe großartige Berichte davon gehört. Leider war ich noch nie dort. Was hältst du davon?"

    Als Plinia Chrysogona einige Tage später wieder in die Villa der Helvetier kam, trug sie eine Medizinschachtel mit einigen selbst hergestellten und gerollten Pillen mit sich. Die Mischung war ihr Geheimnis doch enthielt die Mixtur neben Safran und dem teuren und heiß begehrten Sylphium auch einige Scrupula Iriswurzel. Das ganze wurde pulverisiert und mit Essig und Rosenöl vermischt. Zu länglichen Pillen, so genannten Kollyrien gerollt, wurde die Arznei erneut getrocknet. Aufgelöst in Wasser, Wein, Essig oder Milch konnte die Medizin eingenommen werden und half gegen die Kopfschmerzen. Die teuren Ingredienzien sollten zudem die Rekonvaleszenz fördern.


    Als sie den Gang zum Cubiculum des Helvetiers betrat vermeinte sie zweistimmigen Gesang zu hören. Täuschte sie sich oder sang der Verwandte des Hausherren mit seiner Sklavin?

    Mit routiniertem Kopfnicken lauschte sie den Ausführungen des Kaisers. Erst die letzte Aussage entlockte ihr ein Stirnrunzeln. Fettes Essen und schmieriger Stuhl, der scharf roch...
    deutete sich da eine Leberfunktionsstörung an oder gar der Bauchspeicheldrüse?
    Die Medica musterte ihren Patienten genau. Nun, er war wohlgenährt, wie bei ihrem letzten Zusammentreffen. Sie suchte die Sklera des Auges nach Gelbfärbung ab - nichts.


    Während sie ihm bedeutete sich zu legen, damit sie ihn genauer untersuchen konnte, stellte sie weitere Fragen.
    "Ich nehme an, die Farbe der Ausscheidungen ist dir nicht bekannt?"


    Im Kopf sortierte sie. Grau bis aschefarben würde für eine unzureichende Sekretion gelber Galle sprechen, vielleicht sogar eine Anstauung von schwarzer Galle. Gelblicher Stuhl, der eventuell gar schaumig wurde für eine Insuffizienz der Bauchspeicheldrüse.
    "Wie ist es mit Übelkeit, Erbrechen, Blähungen? Hast du regelmäßig Ausscheidungen? Durchfall? Schmerzen in der Schulter oder das Gefühl nicht genug Luft zu bekommen?"


    Als der Kaiser lag, begann sie die Leber zu palpieren und ebenso die Galle. "Tut es hier weh?"
    Sie drückte tief in die Gallenregion.

    Das Tablinium im Erdgeschoss war sehr edel ausgestaltet. Marmorfußboden und Bücherregale. Ein Tisch mit Glasplatte. Das hatte nicht jeder. Natürlich fehlte die Prunkausgabe des Vitruvianischen Werkes nicht.
    Chrysogona sah Commodus mit einem beeindrucktem Nicken an.
    "Respekt, Commodus! Das hat Stil! Es gefällt mir. Wobei ich vermutlich wesentlich mehr medizinische Schriften und Gerätschaften in meinem Tablinium hätte, bzw habe. Aber für eine Architectus ist es sehr angemessen."

    Ein Aufenthaltsraum für die Sklaven. Chrysogona staunte tatsächlich. Es war nett dort. Man konnte sehen, dass der Helvetier wollte, dass sich die Sklaven wohl fühlten. Erinnerungsstücke aus ihrer Heimat. Dazu eine Landkarte, die die Heimatregionen und Orte der Diener zeigte. Neugierig betrachtete sie das Wandgemälde näher.
    "Du möchtest, dass deine Sklaven sich wohl fühlen, nicht wahr? Das ist ein schöner Zug von dir. Auch ich glaube, dass man weniger Scherereien hat, wenn man sie gut behandelt. Das Schicksal hat sie zu dem gemacht was sie sind. Man darf das nicht vergessen! Umso erstaunlicher dass eine deiner Sklavinnen einen Aufstand angeführt haben soll. Wie kam das? Was war sie für eine Frau?"

    Die Medica ließ die Sklavin Hannah rufen. Sie zeigte der verständigen Frau welche Übungen sie mit Varus machen sollte und leitete sie auch an mit ihm das Sprechen zu üben und zu singen.
    Zu Varus sagte sie: "Ich bin froh, dass es keine Infektion gegeben hat. Für so eine schwere Verletzung läuft die Heilung völlig normal ab. Mach dir keine allzugroßen Sorgen! Es hätte wahrlich schlimmer kommen können. Das wir beide uns so unterhalten können ist schon ein Glücksfall. Ich werde in ein paar Tagen wieder nach dir sehen. Vale bene, Helvetius Varus."

    Chrysogona begrüßte den Kollegen. Sie kannte Paracelsus und hielt ihn für einen fähigen Medicus wenn er auch der Fachrichtung der Pneumatiker angehörte. Diese postulierten, dass Pneuma, die Luft, der wichtigste lebenserhaltende Stoff sei. Dieses Pneuma kühle das Blut, das von der Leber gebildet und im Herzen erhitzt werde ab, um es dann durch den Körper zirkulieren zu lassen. Chrysogona fand diese Therorie sehr interessant und wusste, dass sich Paracelsus ebenfalls intensiv mit den Lehren der alten Ärzteschulen auseinandergesetzt hatte. Er verabreichte gerne Diätvorschläge, wie sie vernommen hatte.


    Sie stellte sich der Herausforderung nur zu gerne. Womöglich konnte sie von dem geschätzten Kollegen noch etwas lernen.
    "Sollen wir gleich beginnen mit der Untersuchung?" fragte sie und ließ sich auf der Bettkante nieder.


    Sie erwartete keine negative Erwiderung also nahm sie die Hand des Kaisers, fühlte den Puls und interpretierte ihn. Nebenbei befragte sie ihn nach Beschwerden mit dem Kreislauf, der Lunge, der Verdauung und des Bewegungsaparates. Nachdem sie sich die Zunge hatte zeigen lassen, Herz und Lunge abgehört und abgeklopft hatte, kam sie zu den letzten Befunden.
    "Wie ist die Beschaffenheit, Farbe und Geruch der Ausscheidungen, mein Kaiser?"


    Dann erwartete sie den Bericht über etwaige Beschweden.

    Verständnisvoll streichelte die Medica über Varus Unterarm.
    "Selbstverständlich kann ich es dir aufschreiben, aber ein Zeuge, der die Übungen sieht und anschließend mit dir üben kann wäre wohl besser. Wer soll die Übungen mit dir machen? Neoptolemus oder lieber die Sklavin mit der schönen Stimme?"

    Chrysogona lächelte feinsinnig.
    "Gerne sehe ich erst den Rest des Hauses. Ich wollte nur auf Nummer Sicher gehen, dass du mir nichts vorenthältst. Und ich wäre beleidigt, wenn du mir ausgerechnet den Hortus und das Peristylium vorenthältst, zumal bei dem schönen Wetter! Zu einem Ausklang mit einer Cena und einem netten Getränk würde ich nicht nein sagen, Commodus."


    Mit einem fragenden Gesichtsausdruck drehte sich die Medica um. "Wo geht es lang?"

    Commodus zog alle Register. Er war charmant, sehr sogar. Chrysogona spürte ihre Mundwinkel zucken, natürlich fühlte sie sich geschmeichelt.
    "Wo mein Makel ist? Oh, ich habe jede Menge Makel!" widersprach sie dem Helveiter. "Ich werde dir allerdings nicht jeden auf die Nase binden, Commodus. Du wirst sie über kurz oder lang kennenlernen, zumindest was meine charakterlichen Mängel angeht. Vorausgesetzt wir sehen uns nun häufiger."


    Ein kecker Augenaufschlag folgte. Dann bemühte sich Chrysogona wieder um Neutralität.
    "Sag´, kann ich auch einen Fuß in den Hortus und das Peristylium setzen?"

    Chrysogona musste unwillkürlich lächeln als Commodus vorschlug mit der Sklavin mit der schönen Stimme mitzusingen.
    "Ich hatte leider noch nicht das Vergnügen ihrer schönen Stimme zu lauschen. Aber ich bin sicher, dass sie dir gut tun wird. Das ist eine hervorragende Idee!"


    Sie verstand auch nur zu gut den Wunsch des Winzers, zu seinen Reben zurückzukehren.
    "Ich bin sicher, dass du wieder als Winzer wirst arbeiten können. Nur Mut und vor allem Zuversicht! Üben, üben, üben, mein lieber Varus! Praxi facit perfectam!"


    Die Medica setzte sich an die Bettkante und zeigte dem Helvetier Übungen für die Finger, den Ellbogen und den gesamten Arm. Neben feinmotorischen Übungen wie Daumen gegen Zeigefinger, dann Mittel-, Ring-, und kleinen Finger auch Streckübungen der Finger, das Abspreizen und den Faustschluss. Sie riet ihm einer Sklavin zu befehlen eine Socke mit Mehl zu füllen, damit er diesen kleinen "Sandsack" kneten konnte, riet ihm zu Handbädern im warmen Sand und Übungen im Bad. Chrysogona erhoffte sich, dass diese Übungen Varus motivieren konnten und ihm neuen Lebensmut gaben.

    Der Kaiser hatte sie rufen lassen. Chrysogona erschien wie gewünscht am Morgen nach ihrer Rückkehr im Cubiculum des ersten Mannes im Staate. Mit gesenktem Kopf hauchte sie ein.
    "Salve, mein Kaiser! Du hast rufen lassen? Ich hoffe es ist nichts Ernstes? Meine Reise nach Alexandria hat sich leider länger hingezogen als ich erwartet hatte. Die Regelung des Nachlasses meines Vaters hat einige Zeit in Anspruch genommen."


    Sim-Off:

    Sorry für die Verspätung. Ich habe es heute erst gesehen.

    Commodus war ein Charmeur! Chrysogona errötete nun endgültig als er sie mit einer Göttin verglich.
    "Das hat wirklich noch niemand zu mir gesagt. Du bist ein Schmeichler, Helvetius Commodus!"
    Er schwärmte vom Werk der Künstler. Praxiteles war ein Meister gewesn, fraglos. Und auch die anderen Statuen waren ausgesprochen schöne Beispiele der alten griechischen Kunst.


    Das Mosaik war ebenfalls äußerst beachtenswert.
    "Du verehrst Vitruvius sehr, nicht wahr? Ich kann das verstehen, wenn ich auch zugeben muss, dass ich sein zehnbändiges Werk nur "angelesen" habe. Ich bin allerdings sicher, dass er ein Kenner der Materie ist und wohl kaum einer seinem Wissen über Architektur auch nur annähernd das Wasser reichen kann. Seine Kenntnisse um die Proportionen zeigen welch gute Beobachtungsgabe er hatte. Allerdings musst du zugeben, dass kaum ein Mensch dem Ideal entspricht, welches er uns hier darstellt. Es gibt kaum ein Wesen, das die Natur perfekt symmetrisch geformt hat: eine schiefe Nase, ein kleineres Auge, eine hochstehende Schuler, eine verkrümmte Wirbelsäule oder O-Beine. Fast jeder hat einen kleinen Makel und vielleicht ist es gerade das, was uns so besonders macht? Stell dir einmal vor, wir alle wären perfekt? Würde das nicht langweilig sein? Wahrscheinlich würden wir uns dann gar nicht so lang und ausgiebig gegenseitig mustern. Schließlich sähe das Gegenüber ohnehin immer perfekt aus. Wie langweilig, oder nicht?"

    Chrysogona legte halb beruhigend halb warnend die Hand auf Varus Unterarm.
    "Leider wirst du noch eine Weile liegen müssen. Wenn du möchtest, kannst du am Vormittag und am Nachmittag für jeweils eine Hora aufrecht sitzen. Aber nicht länger. Und du darfst jeweils eine halbe Hora lang Übungen machen. Vor allem deine Finger und den Arm üben."


    Sie sah ihm zu wie er mühsam und noch unkoordiniert mit der oberen Extremität übte. Es würde noch lange dauern bis er wieder die alte Koordination und Schnelligkeit hatte.
    "Ja, ich glaube dir, dass es unangenehm ist. Allerdings wird es nur durch regelmäßige Übung besser. Leider darf ich dich aber noch nicht viel und lang üben lassen. Anstrengung ist Gift für deinen Kopf. Vielleicht können wir in der nächsten Woche damit beginnen, dich in einer Sänfte oder einem Tragestuhl bewegen zu lassen. Aber das ist das höchste der Gefühle für noch mindestens zwei Wochen", beschied ihm die Medica.


    Sie hörte auch die verwaschene Aussprache und beobachtete genau woran es lag. Zum Glück war es nicht wirklich eine Lähmung wohl aber ebensolche Koordinationsstörungen der Motorik wie beim Arm. Mit etwas Glück legte es sich bald.
    "Die verwaschene Sprache hat vermutlich dieselbe Ursache. Ein Koordinationsproblem der Muskulatur. Übe zu sprechen! Kennst du Gedichte? Lieder? Dann rezitiere oder singe. Gerade die Rhythmik der Musik hilft oft Wunder! Manche, die nicht mehr gehen konnten, lernten mit Hilfe eines Liedes, das sie summten wieder laufen."

    Die Antworten kamen zwar langsam und vorsichtig, aber Helvetius Varus schien zumindest einigermaßen orientiert zu sein.
    "Du hast recht. In allem! Es ist der fünfte Tag und ich war gestern auch da. Dazu stimmt es, dass ich dich operiert habe. Ich musste es. Keine schöne Sache. Ich bin froh, dass es dir den Umständen entsprechend gut geht."


    Sie leuchtete ihm mit der Lampe, die auf dem Nachttisch stand in die Augen. Die Pupillen waren inzwischen nahezu seitengleich und wieder rund. Auch reagierten sie wieder zeitgleich auf den Lichteinfall. Ein großer Fortschritt!
    "Kannst du deinen linken Arm bewegen? Und wie ist es mit den Fingern?"

    Beeindruck bestaunte Chrysogona das Triclinium. Es war groß genug eine ganze Festgesellschaft aufzunehmen. Der Boden war sehr schön und auch mehrere Fenster öffneten sich zum Hortus und dem Peristyl hin. Die Medica liebte es wenn viel Licht in die Räume flutete.


    Lächelnd zeigte Chrysogona auf Hygieia. "Die gefällt mir besonders gut. Ich habe mich ihr immer nah gefühlt. Sie ist die Tochter des Asklepios und da auch mein Vater Medicus war, fühle ich mich zu ihr besonders hingezogen. Eine Heilgöttin als Tochter des größten Heilgottes. Was für ein schöner allegorischer Bezug!"


    Bacchus war auch zugegen, kein Wunder, da die Familie wohl einige Weinberge besaß. Die Skulpturen waren schön verteilt zwischen den Fenstern und den Wandgemälden. Der Ruhende Satyr entlockte Chrysogona ein leichtes Erröten. Schließlich präsentierte sich der Satyr in nackter Schönheit allen, die ihn bewundern wollten. Nach und nach wanderte die Griechin an der Aphrodite von Knidos und auch der verkleinerten Abbildung der berühmten Nike von Samothrake vorbei.


    "Du hast Geschmack, Commodus!" bekrägtigte sie. Ohne es auszusprechen dachte sie dabei und Geld! Denn sonst könnte er sich solche Kunstschätze nicht leisten.
    "Das alles gefällt mir sehr gut. Protzig ist solch hohe Kunst eigentlich nie. Man muss nur sehen, dass ein Raum nicht überladen wirkt, finde ich. Aber das alles hier gefällt mir ausnehmend gut."

    Helvetius Varus litt als Folge seiner Commotio cerebri unter einer deutlichen retrograden Amnesie. Er empfing die Medica vor allem in den ersten Tagen nach dem Unfall und der Operation mit Ungeduld und Unverständnis, warum sie sich nicht um ihn kümmere und ihn untersuche. Dabei war sie täglich bei ihm und überprüfte den Genesungszustand. Sein Gehirn war nur so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass er sich nicht an diese kurzen Besuche erinnerte.


    Auch am fünften Tag nach der Operation erschien die Medica wieder bei ihrem Patienten.
    "Salve, Helvetius Varus. Wie geht es dir heute?", fragte sie und schob zur besseren Einschätzung des Zustandes seines Denkorgans gleich eine weitere Frage hinterher.
    "Kannst du mir sagen welchen Tag wir heute haben? Wie lange ist dein Unfall her und wie oft war ich schon bei dir?"

    Chrysogona sah sich das Treppenhaus genauer an, als Commodus erwähnte, dass es dekoriert gehörte. Bedauernd schüttelte sie den Kopf als er nach einem Mosaikleger fragte.
    "Damit habe ich mich noch nie befassen müssen, Commodus. Tepiche sind sehr schön, aber ich bevorzuge sie in privaten Räumen oder im Triclinium. Und für ein Mosaik ist dieser Raum vielleicht auch nicht passend. Die verwinkelten Wände lassen es womöglich nicht ordentlich zur Geltung kommen. Was hältst du von einer schönen Malerei? Was ich sehr schön finde ist die momentane Mode, in den Vordergrund eine Szene aus dem häuslichen oder privaten Bereich zu setzen und in den Hintergrund in zarten Pastelltönen eine Landschaft mit einem Tempelchen oder so."


    Sie sah ihn fragend an. "Kennst du solche Bilder?"


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    Es tat Chrysogona leid, dass Commodus so sehr unter dem Verlust seiner Schwester litt. Solch ein unerklärliches Dahinsiechen war allerdings auch schwer zu verstehen und umso schwerer zu verkraften.


    Sie kamen noch am Raum der Cubicularia vorbei, den Chrysogona bereits kannte. Der Helvetier fand sehr mitfühlende Worte für die Griechin, die den Tod ihres Vaters zu verdrängen suchte, so gut das eben möglich war. Ihre Methode damit umzugehen war das Verdrängen.


    Als er sie weiterführen wollte und erneut ihren Arm nahm, machte er ihr ein überraschendes Angebot. Sie sah ihn aus ihren dunklen Augen an. Ein solches Angebot hatte sie noch nicht bekommen und sie überlegte wie es wohl gemeint war. Was verstand der Helvetier darunter, ihr Vertrauen zu gewinnen? Was erwartete er von ihr? War Skepsis angebracht oder durfte Chrysogona ihm vertrauen? Sie kannten sich ja noch gar nicht.
    "Ich bin dankbar für dein Angebot, Commodus. Und ich bin sicher, dass sich Vertrauen entwickeln kann, wenn man sich besser und besser kennenlernt. Lass uns weitergehen!"

    Die Geschichte seiner Schwester stimmte Chrysogona traurig. "Die Arme! Was hat nur ihr Gemüt so zerrüttet? Was hat sie so melancholisch gemacht, dass sie die Reise nicht überlebte?"


    Vermutlich hatte er wirklich zu lang gewartet. Aber wer konnte das ahnen. Hätte die Ruhe der Insel Praxos sie wieder gesund gemacht? Chrysogona kannte einige Bespiele wo Menschen vor Gram und an der Melancholie gestorben waren. Der Einfluss der Psyche auf die Gesundheit des Menschen war noch lange nicht genug erforscht und wurde von den meisten Medici nicht wirklich ernst genommen. Von Studien dazu ganz zu schweigen.


    Sie kamen zu seinem Cubiculum. Verlegen wollte Commodus es auslassen. Chrysogona war neugierig. Aber sie wollte es sich nicht anmerken lassen. Zu gerne hätte sie einen Blick riskiert doch ihre erlernte Zurückhaltung ließ nicht zu, dass sie es äußerte.


    Sie erreichten das letzte Cubiculum im Obergeschoss. Der Hausherr fragte sie nach dem Leben als Einzelkind und die Erfahrung damit ganz alleine zu sein. Chrysogona sah ihn lange an ohne etwas zu erwidern.
    "Ich kenne es nicht anders. Wenn du es genau nimmst, war ich eigentlich meist alleine. Da waren viele Menschen um mich herum. Aber immer waren es Erwachsene. Mein Vater, die Amme, die Sklaven, die Studenten und die anderen Lehrer und Wissenschaftler des Museions. Kinder gab es keine außer mir. Und mit Straßenkindern spielen durfte ich nicht. Der Tod meines Vaters trifft mich hart. Er war nicht nur mein Vater und Lehrmeister sondern auch mein einziger Vertrauter. Niemandem außer ihm und der inzwischen verstorbenen Amme Ana konnte ich mein Innerstes anvertrauen. Ich muss ehrlich sein, dass ich noch nicht weiß, wie ich mit diesem Verlust zurecht komme. Wie ich diese neue Einsamkeit ertragen werde. Zum Glück hatte ich noch nicht viel Zeit mir darüber Gedanken zu machen. Auch dank deines Verwandten Varus."
    Chrysogona schloss ihre nachdenklichen Überlegungen zum Thema Einsamkeit mit einem Scherz und versuchte ein Lächeln.