Charmant war dieser Musca, das musste Chrysogona ihm lassen. Nicht, dass sie dafür besonders empfänglich gewesen wäre, doch seine Komplimente gingen runter wie bestes Olivenöl. Als er dann jedoch statt einer Antwort ein Schreiben aus den Falten seines Gewandes zauberte, hob Chrysogona überrascht die Augenbrauen. Sie nahm es ihm ab und las. Zeile für Zeile las sie, was dort stand, zunächst noch halbwegs gefasst, dann jedoch mit zitternder Hand.
Es war ein Schreiben des Tribuns der Prätorianergarde. Faustus Decimus Serapio hieß er. Der Kaiser hatte den Tribun damit beauftagt einen Leibarzt für den Kaiser zu finden und dabei war die Wahl auf sie gefallen. Und tatsächlich war es ihr eigener Vater gewesen, der den Vorschlag unterbreitet hatte! Der Tribun der Garde bot ihr sogar seine Gastfreundschaft an, während sie beim Kaiser vorstellig wurde.
Chrysogona atmete tief durch. Sie ließ den Brief sinken und sah den Boten fragend an. Ihr war bewusst, dass dies noch keine Garantie auf eine Stellung als kaiserliche Medica war, doch es war eine ungewöhnliche Auszeichnung, dass man gerade an sie gedacht und nach ihr geschickt hatte.
Vermutlich war es unglaublich unhöflich nicht sofort zuzustimmen, doch Chrysogona jagten tausend Gedanken durch den Kopf. Sie hatte eine sichere Stellung am Asklepieion von Kos, hatte sich dort einen herausragenden Ruf erworben und glaubte noch lange nicht ausgelernt zu haben. Lernte man überhaupt jemals aus? Vermutlich nicht. Gerade die Medizin war ein so weites Feld, dass man wohl nie im Besitz der einzig richtigen und heilversprechenden Therapiemethode war.
Was würde sie erwarten in Rom? Eine Gästezimmer in der Casa Decima Mercator auf dem Mons Caelius. Das sagte Chrysogona überhaupt nichts. Sie wusste wohl, dass Rom auf sieben Hügeln erbaut war, das war Allgemeinwissen. Sie hätte vermutlich auch alle sieben Namen aufsagen können, aber was bedeutete das? Rom war der Nabel der Welt. Sie war in Alexandria aufgewachsen. Einer großen und bedeutenden Stadt. Aber was war Alexandria gegen Rom? Noch dazu lebte sie nun schon einige Jahre auf Kos, einer beschaulichen Insel, weit weg vom weltpolitischen Geschehen. Die Postition, die man ihr in Aussicht stellte, war heikel und faszinierend zugleich. Wenn sie genommen würde, wäre sie ganz nah dran an der wichigsten Person des Imperiums und seiner Familie. Diese Vorstellung war mehr als faszinierend auch wenn sie den Kaiser und seine Familie noch nicht kannte. Auf der anderen Seite barg die Rolle als Leibärztin auch große Risiken. Ihr Vater hatte erleben müssen, was es bedeutete, wenn man für die Gesundheit des ersten Mannes im Staate zuständig war. Man hatte ihm Vorwürfe gemacht, als der Kaiser einem Giftanschlag zum Opfer gefallen war. Nur mit Glück hatte er seine Haut retten können. Wollte Chrysogona dieses Risiko eingehen?
Sie sah Musca lange an. Dann antwortete sie.
"Bitte versteh mich nicht falsch, doch über die Antwort auf dieses Schreiben muss ich unbedingt eine Nacht schlafen. Es ist nicht irgendeine Aufgabe, die man mir in diesem Brief anbietet. Sie ist reizvoll aber auch riskant. Dazu kommt, dass ich hier etwas aufgeben müsste, das ich mir mit Fleiß erarbeitet habe. Ganz zu schweigen von der Möglichkeit mich im Kreise der besten Medici ständig fortzubilden. Ich würde also sehr viel aufgeben. Magst du mir die Möglichkeit geben, eine Nacht darüber zu schlafen? Dann will ich dir morgen eine Antwort geben."