Beiträge von Plinia Chrysogona

    Mit dem Brief, den die Medica vor ihrer Abreise aus Alexandria von der Kaiserin erhalten hatte, stand Plinia Chrysogona nach dem unvorhergesehenen Aufenthalt in der Villa der Helvetier endlich vor dem Palasttor auf dem Palatin.
    Sie hielt dem wachhabenden der kaiserlichen Garde den Brief mit dem Siegel der Kaiserin hin.



    Salve Plinia Chrysogona,


    ich werde mich bald auf eine Reise nach Norden begeben. Ich hoffe, dass du deine Angeleigenheiten regeln konntest. Denn ich habe eine Bitte an dich. Finde dich bitte sobald als möglich wieder in Rom ein und kümmere dich um die Gesundheit meines Mannes und Sohnes. Ich weiß die Beiden bei dir in guten Händen und verbleibe in der Hoffnung, dass du meine Bitte erfüllen wirst. Mögen die Götter dich beschützen und immer mit dir sein.


    Vale VETURIA SERENA


    Augusta


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    Die Entscheidung fiel zu recht zu Gunsten des weichen Bettes aus. Man brachte den Bewusstlosen dorthin. Chrysogona überprüfte noch einmal die Vitalfunktionen, die Pupillenreaktion und den Sitz des Verbandszeugs. Dann verabschiedete sie sich für den Moment von Helvetius Commodus.


    "Ich denke es war wenig ehrhaft für mich, denn ich trage die Schuld am Zustand deines Verwandten. Doch wie du schon vermutest müssen wir wohl den Göttern anlasten, dass alles so geschehen ist wie es eben kommen musste. Ob ich Varus retten konnte liegt auch noch in der Hand der Götter. Er macht allerdings einen stabilen Eindruck. Ich hoffe das Beste. Nur deiner schnellen Hilfe und deinem Einsatz ist es zu verdanken wenn er überlebt, denn die Zeit spielt in solchen Fällen eine große Rolle. Sowohl bei der Rettung als auch leider dann in der Rekonvalszens. Varus wird sehr viel Geduld aufbringen müssen, fürchte ich."


    Sie lie sich zur Sänfte begleiten.
    "Besten Dank für alles Helvetius Commodus. Ich werde noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder hier sein, um nach Varus zu sehen. Vale bene"

    Helvetius Commodus fragte was er tun könne, um die Chancen seines Verwandten zu verbessern. Chrysogona überlegte einen Augenblick.
    "Nun, er sollte auf keinen Fall kopfabwärts gelagert werden und Ruhe haben. Natürlich wäre ein angenehmes Bett bequemer als die Kline hier. Ich habe ihm zwar einen Verband gemacht, doch weitere Nachblutungen sind durchaus möglich. Das musst du entscheiden."


    Die Vorstellung, dass eine Sklavin Varus etwas vorsingen würde gefiel Chrysgona, doch war sie nicht sicher wie sein lädiertes Gehirn das aufnehmen würde. Normalerweise empfahl man so wenig Reize wie möglich.
    "Hm, das ist so eine Sache. Für gewöhnlich würde ich sagen, dass der schöne Gesang einer Sklavin etwas der Gesundheit zuträgliches ist, aber nach so einem Eingriff benötigt das Gehirn Ruhe. So wenig Reize wie möglich. Dunkelheit, Stille und keine Beanspruchung mit Denkaufgaben wäre das Beste für seine Rekonvaleszenz."


    Sie schob eine weitere Empfehlung hinterher.


    "Sorge dafür, dass er so viel Ruhe hat wie möglich und lass eine kräftigende Suppe kochen. Aus Gerstengraupen, leicht gesalzen. Die mag er, wenn ihm danach ist zu sich nehmen. Und vielleicht etwas weiches Brot. Aber so sehr schnell wird ihm nicht nach Essen sein, fürchte ich. Und es kann sein, dass er gefüttert werden muss und nicht selbst essen kann. Die Sklavin zur Beobachtung ist also auf jeden Fall angebracht."

    Chrysogona beantwortete Commodus Scherz mit einem nicken und einem Lachen.
    "Ja, ich sollte die Jagd auf Bürger einstellen. Da hast du recht. Es bringt nur Kummer - allen Beteiligten. Und schmutzige Kleidung."


    Der Helvetier bedauerte, dass Chrysogona keinen Familienanhang hatte. Bislang hatte ihr nicht viel gefehlt. Sie war ja immer unter Menschen. Doch nach dem Tod ihre Vaters war ihr erstmals aufgefallen, dass es jetzt tatsächlich niemanden mehr gab, dem sie ihr Herz ausschütten konnte. Und wenn es nur brieflich war. Mit ihm hatte sie regen Briefverkehr gepflegt und sich über medizinische wie auch private Themen ausgetauscht. Das fiel nun weg. Chrysogona seufzte.
    "Ja leider ist niemandem das ewige Leben beschieden. Oder sagen wir so, es wäre auch nicht gut so, aber ich vermisse meinen Vater. Wollen wir Proserpina bitten, dass sie dir Varus lässt. Alleine sein ist für niemanden schön."


    Sie überlegte ihn zu fragen warum er keine Frau hatte. Er war offensichtlich wohlhabend und sah auch noch gut aus. Ausreichend Gründe für eine Familie sich ihn als Schwiegersohn zu wünschen. Warum das wohl nicht geklappt hatte?


    Das Angebot die Kleidung zu übernehmen lehnte die Medica dankend ab. Sie entschied sich doch in die Kleidertruhe der Cubicula zu sehen. Und tatsächlich hatte Simia einige Tuniken und Chitons in guter Qualität. Chrysogona entschied sich für einen cremefarbenen Chiton.
    "Besten Dank dafür. Ich werde in ein paar Stunden wieder hier sein. Wenn Varus vorher aufwacht wird er sehr viel Durst haben. Gib ihn nur wenig und langsam zu trinken. Das Schlucken klappt oft noch nicht gut und er könnte Wasser in die Lungen bekommen, wenn er sich verschluckt. Hoffen wir, dass er die Prozedur ohne große Schäden übersteht. Kopfschmerzen werden ihm von nun an aber sicherlich Begleiter sein."

    Die Medica nahm die Besorgnis des Helvetiers ernst. Er wollte wissen, was mit seinem Verwandten geschah.
    "Das Loch würde vermutlich nie ganz zuwachsen. Dafür ist es zu groß. Schon deshalb ist die Münze nötig. Aber es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich die Knochenränder mit den Rändern der Münze verbinden. Naja, es soll uns egal sein, solange er es überlebt und ihm niemand mit einem spitzen Gegenstand hinters Ohr piekt."


    Dann kam der Helvetier auf ihren Wunsch zu sprechen, zunächst in den Palatin zurückzukehren. Sie war lange nicht dort gewesen. Ein paat Stunden mehr oder weniger machten es tatsächlich nicht fett, aber sie war pflichtbewusst. Und die medizinische Versorgung der kaiserlichen Familie war ihre erste Pflicht.
    "Schuld? Nun hör mal, Helvetius Commodus. Meine Mietsänfte hat deinen Verwandten schwer verletzt. Das war doch das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Informieren musst du niemanden. Der Bote, der zum Kaiserpalast aufgebrochen war, kam nicht zurück. Man scheint ihm nicht getraut zu haben. Ich war lange weg, musst du wissen. Womöglich kennen mich die Wachen nicht, die jetzt Dienst tun. Einen Ehemann habe ich nicht und meinen einzigen Verwandten, meinen Vater, habe ich vor nicht allzu langer Zeit in Alexandria zur Ruhe gebettet."


    Commodus sprach ihre besudelte Kleidung an. Chrysogona sah an sich herab. Die teure Kleidung war eindeutich nicht mehr vorzeigbar im Kaiserpalast. Sie hörte sich seinen Vorschlag an. Hm die Sachen einer Cubicularia waren wohl kaum angemessen für einen Auftritt im Palatin.
    "Nun, vielen Dank. Ich fürchte, ich werde noch etwas angemessenes kaufen müssen. Aber für den Weg auf einen der Märkte wäre ein Kleidung der Cubicularia wohl passend. Wenn ich mich danach noch einmal hier reinigen und umziehen dürfte? Ich werde die Sachen selbstverständlich zurückbringen, wenn ich in ein paar Stunden nach dem Patienten sehe. Wäre das möglich?"

    Chrysogona nickte nachdenklich.
    "Ja, das kann alles passieren. Es kann sein, dass er stirbt, es kann auch sein, dass er Lähmungserscheinungen hat oder nicht mehr er selbst ist. Vielleicht ist er nicht einmal mehr das was wir gemeinhin einen Menschen heißen. Es gibt Zustände zwischen Himmel und Erde und manche, die wie er einen Fuß in die Unterwelt gesetzt haben, kehren nie wieder richtig in die Welt der Lebenden zurück. Wollen wir hoffen, dass es bei Varus nicht so ist. Unter Kallusbildung versteht man das Wachsen von neuem Knochen. Wie nach einem Bruch die beiden Bruchstellen zusammenwachsen so bildet auch der Schädel neuen Knochen und schließt im besten Falle die Münze ein."


    Sie sah lange und nachdenklich auf den Patienten. "Wollen wir das Beste hoffen!. Der Saft des Lactocuriums wird ihn noch einige Stunden schlafen lassen. Ich will sehen, dass ich wieder hier bin wenn er zu sich kommt. Aber nun muss ich unbedingt in den Palatin."

    Immerhin war sie nicht die einzige bei der man Blut auf der Kleidung sehen konnte. Allem Anschein nach war Commodus ein frommer Mann. Er schien auch wirklich einiges für seinen Verwandten übrig zu haben.
    Chrysogona begann zu berichten. Sparsam, denn aus Erfahrung wusste sie, dass man einem Laien nicht allzu viele medizinische Details zumuten durfte.


    "Es lief erstaunlich gut. Unter der Schädeldecke hat sich ein großes Hämatom befunden. Mit etwas Glück läuft kein weiteres Blut nach. Das Gehirn schein nicht stark anzuschwellen. Die Münze wird den Verlust des Knochenstücks ausgleichen. Ich habe es hier:" sie hielt Commodus ein gereinigtes kreisrundes Knochenstück hin. "Ich hätte es wieder einsetzen können, doch halte ich lieber die kleinere Münze dort für sinnvoller. Noch hat damit das Gehirn ein wenig Spiel, falls es doch noch schwillt oder weiter Blut nachläuft. Wenn die Kallusbildung einsetzt wird die Münzen festwachsen. Dann unterscheidet sich nichts mehr von dem Knochen. Ach ja, manche verwenden die entnommenen Knochenscheiben als Talismane. Sie löchern sie und tragen sie an einem Lederband um den Hals. Ich weiß ja nicht was dein Verwandter für ein Typ ist, aber wenn er stolz darauf ist, Proserpina noch einmal entkommen zu sein, könnte das was für ihn sein."

    Commodus brachte den Denar. Chrysogona besah ihn sich genau ob er Zeichen der Verunreinigung aufwies. Da er jedoch relativ neu und dazu noch mit Essig gereinigt worden war, nickte sie zufrieden.
    "Hervorragend. Ich brauch ihn als Verschluss für Varus Schädeldecke nach der Trepanation. Andernfalls bliebe ein Loch übrig, durch das das Gehirn bei Stößen Schaden nehmen könnte. Besten Dank, Helvetius Commodus. Dann will ich mal zur Tat schreiten."


    Als Commodus gegangen war und Ruhe einkehrte, machte sich Chrysogona an die Arbeit. Varus zuckte kaum, als sie die Haut halbkreisförmig mit dem Skalpell durchtrennte und die Schädeldecke hinter dem Ohr freilegte. Chrysogona klappte die Haut beiseite. Sie setzte den Bohrer an. Die Spitze piekte sich in den Knochen, die Sägezähne der zylinderförmigen Knochensäge begannen einen Kreis in den Schädel zu schneiden. Die Helfer hielten den Kopf fest. Sie brauchten jedoch keine Gewalt anzuwenden. Varus bewegte sich nur wenig in seinem Rauschzustand.
    Chrysogona musste mehrfach den Sägevorgang unterbrechen und ein kühlendes Essig-Wasser-Gemisch über die Trepanationsstelle gießen. Es blutete erstaunlich wenig. Nach einiger Zeit verlangsamte die Medica den Bohrvorgang. Sie wollte das empfindliche Nervengewebe der Hirnhäute und das Gehirn nicht schädigen. Als sie ein Nachgeben fühlen konnte hörte sie auf und nahm den Bohrer weg. Mit dem stumpfen Ende einer löffelartigen Sonde hebelte sie sorgsam die Runde Knochenscheibe heraus. Ein Schwall Blul entleerte sich auf die Unterlage auf der Varus lag. Die verbliebenen Haare tränkten sich mit Blut.


    Sie hatte Recht behalten. Ein epidurales Hämatom. Eines der Gefäße, die sich zwischen Schädel und harter Hirnhaut befanden, war gerissen. Da die Medica die Stelle des Risses in der kleinen Öffnung nicht finden konnte, blieb ihr nur die Hoffnung, dass es sich von selbst schließen würde, vielleicht sogar schon geschlossen war und hier nur noch das Hämatom abblutete. Die Trepanation bot nicht nur eine Abflussmöglichkeit für das Blut, sie gab auch dem Gehirn ein wenig Platz um sich auszubreiten. Natürlich nicht viel bei der geringen Größe der Öffnung, aber besser als gar nichts. Varus war noch jung und er wirkte vital genug, dass er eine solche Verletzung und die Folgen der Operation überstehen konnte.


    Die Plinia wartete ab bis kein weiteres Blut kam. Der Blick auf die Dura mater ließ erahnen, dass keine übermäßige Schwellung des Gehirns vorlag. Mit etwas Glück waren die Symptome nur von dem raumfordernden Hämatom gekommen. Sie beschloss die Öffnung sogleich wieder zu verschließen und legte die Münze auf die Hirnhaut auf. Sie würde sich mit dem Knochen verbinden, wenn dieser erneut Callus bildete. Mit Akribie nähte sie den Hautlappen wieder fest. Es würde später nur eine hauchdünne rötliche Linie übrig bleiben. Gedeckt vom vollen Haupthaar des Helvetiers würde wohl niemand sehen können welch schwere Verletzung er davongetragen hatte. Vorausgesetzt er überlebte den Eingriff ohne Infektion.


    Noch immer schlief Helvetius Varus im Rausch des Giftlattichs. Chrysogona kontrollierte die Atmung und die Pupillenreflexe. Noch keine Veränderung was die ungleichmäßige Reaktion der Pupille anging. Doch für ein besseres Ergebnis war es zu früh. Sie begann ihn und den OP-Bereich zu reinigen. Dann ließ sie Commodus rufen.

    Die Plinia hatte gerade keine Nerven dafür welches Opfer für diesen Fall und für Asklepios am besten geeignet wäre. Sie dachte einen Augenblick nach. Geld schien für Commodus keine Rolle zu spielen. Also antwortete nicht ohne hintergedanken.
    "Stelle Asklepios ab besten ein Donatio in Aussicht. Für einen guten Zweck. Zum Beispiel für den Erhalt des Tempels auf der Tiberinsel oder für den Betrieb des neuen Tempels am Almo, der für diejenigen errichtet wurde, die ausgesondert werden müssen, weil sie ein ansteckende Krankheit haben. Ich denke, das wäre das Beste."


    Und nur einen Augenblick später war die Plinia wieder bei ihrem Patienten.
    "Nun zu den Helfern. Kraft wird nicht von Nöten sein. Verus schläft im Drogenschlaf. Miyangeus mag warten und eventuell noch ein oder zwei Sklaven nach deiner Wahl. Ich beginne jetzt. Denn es ist keine Zeit mehr zu verlieren."


    Die Medica zückte den Bogenbohrer und einen goldenen Einsatz. Sie steckt ehrfürchtig das Instrument zusammen. Dann legte sie das Operationsbesteck zurcht. Skalpelle, Wundhaken, Sonden, Nadel und Faden.
    Plötzlich stockte sie und wandte sich noch einmal an Commodus.
    "Ich könnte noch eine Münze brauchen. Eine Silbermünze von der Größe eines Denarius. Würdest du mir so eine Münze holen und mit Essigwasser reinigen?"

    Bedrückt hörte Plinia Chrsogona die Worte des Varus. Ja, es war leider nicht im Vornherein zu sagen, ob er den lebensgefährlichen Eingriff überleben würde. Nun ja, viel war es nicht worum er sich sorgte, konstatierte die Medica. Sie bereitete inzwischen alles vor.


    Dann wandte sie sich den Fragen des zweiten Helvetiers zu.
    "Ich bete zu Asklepios oder Aesculapius, wie ihr Römer sagt. Das ist sicherlich auch die passende Gottheit für so ein Problem. Ich werde nicht mehr viel benötigen, ein oder zwei Gehilfen, die ich im Notfall auch zu dir schicken kann. Wasser und Verbandsmaterial habe ich ja."


    Sie wirkte hochkonzentriert.

    Natürlich unterschrieb die Medica die Vollmacht, die den Zutritt zu ihren Räumen im Palatin ermöglichte. Dennoch ahnte sie, dass man den Boten nicht ohne weiteres vorlassen würde. Die kaiserliche Garde besah sich diejenigen ganz genau, die in den Palast vorgelassen werden wollten. Eine ausgiebige Befragung inklusive.


    Die Plinia musste sich auf die Lippen beißen als sie die Verzweiflung des jungen Helvetiers bemerkte. Ja, es war nicht schön zu spüren wenn Persephone anklopfte. Sie ließ geschehen, dass die Sklavin den Helvetier abtupfte. Sein Bewusstsein war noch klar. Zumindest meistens. Ab und an dämmerte er weg, wenn sie dann jedoch seine Augenlider hob um die Pupillenreflexe zu testen, zeigten sich die Befunde unverändert. Die linke Pupille war weit und zeigte sich träge in der Reaktion. Die rechte reagierte prompt. Noch kein Zeichen einer drohenden Einklemmung des Hirnstamms.


    Dann ging alles sehr schnell. Commodus, der nur noch eine einfache Tuinka trug kam mit einem vollständigen Trepanationswerkzeug zurück. Mehr noch. Er hatte die beste Qualität besorgt. Besser als das der kaiserlichen Medica. Die Boten, die in den Palatin geschickt worden waren, hatten sich noch nicht wieder eingefunden, also musste die Medica mit dem Giftlattich Vorlieb nehmen. Der Milchsaft der Pflanze war ein recht gutes Schmerzmittel. Sie nahm zwar lieber Opium aber der Lactocurium war immerhin eine Hilfe.
    "Besten Dank, Helvetius Commodus für dein schnelles Handeln und die Investition. Nun bete zu den Manen deiner Familie, dass sie noch eine Weile auf Varus verzichten mögen."


    Chrysogoga ging wieder zu ihrem Patienten. Sie hob ihm sanft den Kopf an und hielt ihm einen kleinen Becher mit Wein gemischt mit dem Giftlattich an die Lippen.
    "So, Helvetius Varus. Ich werde gleich beginnen. Zuvor trink das hier. Es wird sich nicht verhindern lassen, dass das Scheiden der Haut schmerzt. Auch das Sägen des Knochens ist schmerzhaft, da die Dura Mater, die harte Hirnhaut dem Knochen direkt anliegt. Wir werden dich festhalten müssen während ich ein Loch in deinen Schädel bohre um deinem Gehirn Platz zu geben. Eventuell wird Blut fließen. Wir müssen sehen. Wenn die Götter wollen, wirst du deine Weinberge noch viele Jahre pflegen können. Doch vielleicht magst du, nur für den Fall, dass die Manes entscheiden, dass du bereits jetzt ihre Gesellschaft teilen sollst, ein paar Sätze zu deinem Verwandten sagen. Wir sind deine Zeugen, wenn du ein Testament machen willst"

    Chrysogona dachte einen Augenblick nach. Sie durften keine Zeit verlieren.
    "Nun, es gibt tatsächlich in der Nähe des Forums einen Händler, der medizinische Instrumente und andere interessante Gerätschaften verkauft. Er hat sicher auch einen Bogenbohrer. Aber es muss schnell gehen. Ich gehe inzwischen wieder hinein und kümmere mich um Varus. Und schicke zudem einen Sklaven auf den Palatin. Ich brauche auch meine Medicamente. Er wird Schmerzmittel benötigen. Vielleicht nicht sofort aber zumindest sobald wie möglich."


    Sie betrat erneut das Balneum. Chrysogona ging auf Varus zu und sprach beruhigend mit ihm. Erklärte ihm, dass sie jemanden geschickt hatte ihre Medikamenten- und Instrumententasche zu holen. Sie ließ sich einen Eimer sowie Wasser und Tücher für Umschläge bringen. Kühlen war vorübergehend alles was sie tun konnte.
    "Du hast nicht nur eine Platzwunde, die genäht werden muss sondern vermutlich hat sich bei dem Unfall auch ein Gefäß im Kopfinneren geöffnet. Ich werde also für Druckentlastung sorgen müssen. Falls du dich übergeben musst, ist hier ein Eimer. Und jetzt dreh dich bitte auf die Seite. Ich werde die Haare entfernen müssen, die um die Wunde herumsind und auch hinter dem Ohr."


    Sie ließ offen, dass sie plante dort die Trepanation durchzuführen. Als er sich seitlich gedreht hatte, begann sie rund um die kleine Platzwunde am Hinterkopf die Haare mit einem scharften Messerchen aus dem Vorrat der Helvetier zu rasieren. Sie dehnte den Bereich auf den gesamten Hinterkopf und die Region hinter dem Ohr aus. Dort konnte man gut den Bohrer ansetzen. Die Schädeldecke war nicht zu dick und später würde man die Narben und das entstandene kreisrunde Loch nicht so sehen.
    Die Platzwunde war schnell verschlossen.

    Die Medica realisierte, dass nun tatsächlich ein Notfall vorlag. Das durfte doch nicht wahr sein! Der Mann, der ihr vor die Sänfte gelaufen war, schien tatsächlich sein Leben aushauchen zu wollen. Was für ein Skandal:
    Die Sänfte der kaiserlichen Leibmedica tötet harmlosen Fußgänger


    Sie musste etwas unternehmen! Aber wie ohne ihre Gerätschaften. Die Plinia drehte sich zu Helvetius Commodus um.
    "Helvetius Commodus, kann ich dich kurz sprechen? Komm bitte einen Augenblick mit vor die Tür."


    Chrysogona sagte es ruhig und sachlich, doch sie ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit.


    Vor der Tür sah sie den Verwandten des Verletzten ernst an.
    "Hör zu, Helvetius Commodus, ich habe die Befürchtung, dass dein Verwandter eine Hirnblutung hat. Der Schlag scheint eine Sickerblutung verursacht zu haben. Sie kann sich von selbst schließen - das wäre der beste Fall. Es kann aber auch viel mehr werden. In jedem Fall aber steigt der Druck im Schädel an. Man sieht es daran, dass die linke Pupille nicht mehr auf Licht reagiert. Auch Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit gehören dazu. Er wird vermutlich bald erbrechen müssen. Und da das durch die Blutansammlung schwellende Gehirn sich nicht im festen Knochenhelm der Schädelplatten ausdehnen kann, klemmt es über kurz oder lang in der einzigen größeren Öffnung an der Halswirbelsäule ein. Das verursacht den Tod. Die einzige Überlebensmöglichkeit ist, den Schädel zu öffnen. Doch dafür brauche ich einen speziellen Bohrer mit Säge. Ich besitze einen entsprechenden Bogenbohrer. Allerdings bei meinen Instrumenten - auf dem Palatin. Es muss jemand ganz schnell dorthinlaufen und ihn holen! Es eilt sehr! Ich kann nicht versprechen, dass es überhaupt gelingen wird - aber es ist die einzige Chance!"

    Varus schien es nicht wesentlich besser zu gehen. Die Medica verband den Zeh mit einem dicken Verband was ihm ein ulkiges Aussehen gab. Als der Patient den starken Kopfschmerz angab, verwunderte sie das zunächst nicht. Sie hatte je schon festgestellt, dass er sich ordentlich den Kürbis beschädigt hatte. Nun aber besah sie ihn genauer. Sie lagerte ihm den Kopf ein wenig hoch und lechtete einmal von links und einmal von rechts in das jeweilige Auge während sie das andere zuhielt.


    Die linke Pupille ragierte kaum während sich die rechte regelgerecht verengte. Die Plilnia atmete tief ein. Die erhobenen Befunde ließen auf eine intracranielle Blutung schließen. Das wäre nun wirklich eine Katastrophe.
    "Kannst du alles bewegen, Helvetius Varus? Ich meine, abgesehen vom Schmerz. Heb mir mal den rechten Arm und das rechte Bein an, wackel mal mit den Zehen und Fingern. Wie ist es mit Übelkeit und Schwindel? Verstärkt das Anheben des Kopfes oder des Beines den Kopfschmerz?"


    Für Commodus hatte sie in diesem Augenblick keinen Gedanken mehr. Die Anwesenheit der anderen hatte sie gänzlich ausgeblendet. Nun zählte nur noch der Patient und sein Problem.

    Drückten sich alle Helvetier so unverständlich aus? Er sprach ewig über Sänften um dann zu fragen welches Gerät sie benützen würde. Was sollte sie denken um was es ging?


    Chrysogona blitzte den Sklaven ein wenig von der Seite an. Commodus Einwurf bestärkte sie darin.
    "Ich habe nicht vor den Armen noch zusätzlich zu versengen. Die Flamme jedoch brauche ich um die Klinge zu reinigen."
    Was wusste ein Gärtner schon von Medizin ärgerte sich die Griechin.


    Sie hielt das Austernmesser über das Feuer. Dann griff sie sich den Zeh mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand im Zangengriff. Mit der Rechten begann sie, die scharfe und spitze Schneide drehend ein Loch in den Nagel zu bohren.
    Schon der Griff wurde mit einem kurzen Zurückzucken beantwortet. Danach jedoch hielt der Patient bemerkenswert still. Dass er litt konnte man nur am Gesichtsausdruck und den Schweißperlen auf der Stirn erkennen.


    In dem Moment als Plinia Chrysogona das Horn des Nagels perforiert hatte, spritze allen Umstehenden das Blut, das sich darunter gesammelt hatte um die Ohren. Das edle, cremeweiße Gewand der kaiserlichen Medica bekam ein interessantes Muster. Sie fluchte leise.


    Sogleich legte sie das Messer ab und ergriff ein Stoffstück um das Blut aufzufangen. Ein vorsichtiges Drücken entleerte das Hämatom vollständig. Die Medica nickte zufrieden.
    "Fühlt es sich schon besser an, Helvetius Varus?"

    Die Plinia bedankte sich für das Beileid bei Commodus. Seine Überlegungen zu Sänften und Sänftenträgern beschied sie jedoch mit einer wegwerfenden Handbewegung.
    "Ich bin ganz deiner Meinung und benutze auch nur selten eine Sänfte. Und, wie du siehst, wenn ich denn doch einmal die Sänfte nehme, weil ich auch noch weitere Dinge zu transportieren habe, die ich nicht gerne aus den Augen lasse, dann nehme ich eine Mietsänfte. Das war wohl auch das Problem. Ich hätte ohne Schwierigkeiten eine Sänfte aus dem Palatin anfordern können, doch wollte ich Zeit sparen. Die Sklaven des Kaiserpalastes sind in der Regel nicht ganz so minderbemittelt was Gehirnzellen angeht. Über geeignete "Geräte" kann ich dir jedoch keine Auskunft geben, Helvetius Commodus."


    In diesem Moment erschien der Sklave mit dem Austernmesser. Korkenzieher und Kellnermesser betrachtete die Medica kurz und verwarf dann jedoch ihre Vewendung. Ihre Wahl fiel auf das Austernmesser.
    "Wenn du gestattest werde ich mich jetzt dem Patienten widmen. Es ist an der Zeit, dass ich seine Schmerzen lindere."


    Chrysogona nahm ein Tuch und den Essig. Sie reinigte den Zeh, der in Sandalen gesteckt hatte vom Straßenstaub. Dann nickte sie den kräftigen Helfern zu, die Helvetius Varus festhalten sollten. Sie sah den Patienten mitleidig an.
    "Es wird jetzt ein klein wenig weh tun", log sie in der bekannten Manier der Medici, wenn sie verbrämen wollen, dass der Schmerz gleich sämtliche Farbe aus dem Gesicht des Patienten weichen ließ.

    Wieder redete Varus wirr. Chrysogona war sich inzwischen sicher, dass die Gehirnerschütterung doch intensiver ausgefallen war als erwartet. Wenn er sich normalerweise nur halb so geschliffen ausdrückte wie sein Verwandter Commodus musste es doch wohl ein heftiger Schlag gewesen sein.
    Die Frage nach ihren Trinkgewohnheiten entlockte der Griechin dann doch ein Grinsen.
    "Nun, ich bin zwar in Ägypten aufgewachsen, wo es keine eigenen Weinberge gibt und die griechische Tradition vorherrscht Wein zu würzen und zu harzen, doch trinke ich inzwischen auch gerne mal einen guten Tropfen von Bacchus Edelgewächs. Aber lass uns darüber verhandeln wenn meine Arbeit getan ist und du abschätzen kannst ob ich einen guten Tropfen überhaupt wert bin."

    Varus stammelte eine Entschuldigung. In Chrysogonas Augen völlig unnötig.
    "Ob du mich von Wichtigerem abhältst? Wohl nicht viel mehr als von der Untersuchung des Kaisers und seiner Familie nach einer langen Zeit der Abwesenheit, die ich wegen des Todes meines Vaters in Alexandria verbracht habe."
    Sie grinste. Wenn der Kaiser darniederliegen würde, hätte man sie vermutlich mit einer Eskorte am Hafen abgepasst. Nachdem das nicht der Fall war ging sie davon aus dass der Augustus sich bester Gesundheit erfreute und die Untersuchung somit noch Zeit hatte. Notfälle gingen vor und dieses war - wenn auch eine Bagatelle im medizinischen Sinn - so doch dringlicher als eine körperliche Routineuntersuchung.


    Als sich die Tür öffnete erwartete die Medica den Sklaven mit der Gerätschaft mit der Chrysogona das Hämatom ablassen wollte, doch stattdessen erschien ein weiterer Mann, der sich als Hausherr entpuppte. Marcus Helvetius Commodus. Die Plinia war ihm bislang nicht begegnet, wie auch keinem anderen Mitglied der Helvetier. Er stritt die Beteiligung seiner Familie an dem Sklavenaufstand rigoros ab. Chrysogona maßte sich keine Meinung dazu an. Sie war nicht in der Stadt gewesen während des Aufstandes und hatte im fernen Alexandria auch nur spärliche Nachrichten davon erhalten.
    "Salve, Marcus Helvetius Commodus. Dein Verwandter hatte das Pech meinen tumben Sänftenträgern in den Weg zu laufen. Selbstverständlich kümmere ich mich jetzt um seine Blessuren. Ich warte nur auf ein geeignetes Gerät zur Entlastung des Hämatoms am Zeh."

    Das typisch männliche Verhaltensmuster des Schmerz-verdrängens und Ignorierens unangenehmer Wahrheiten brach bei Varus voll durch. "Die anderen Male ging es auch so..."


    Die darauf folgenden Fragen zauberten der Medica ein fragendes Runzeln auf die Stirn.
    "Wer ich bin, Hevetius Varus? Ich bin Plinia Chrysogona. Geboren in Alexandria, wohnhaft in Rom. Ich bin die Leibmedica der kaiserlichen Familie. Du darfst also Vertrauen haben in meine Fähigkeiten. Und gleich vorweg. Jeder hat es verdient, behandelt zu werden. Ich habe den Hippokratischen Eid geschworen, der mich verpflichtet jedem zu helfen, unabhängig von Herkunft, Stand, Hautfarbe oder Geschlecht. Gibt es etwas, das ich über Tiberius Helvetius Varus wissen sollte bevor ich dich behandle?"

    Ungerührt sah die Plinia den Helvetier an.
    "Den Nagel wirst du ohnehin verlieren. Hier geht es darum, dass du nicht den ganzen Zeh verlierst."


    Wein war offensichtlich das Lieblingsthema des Helvetiers. Die Medica überlegte kurz ob sie ihm anbieten sollte, sich zuerst richtig einen hinter die Binde zu kippen, damit er den Schmerz nicht so wahrnahm bevor sie loslegte, entschied sich dann aber dagegen. Wenn sie ihre Arbeit getan hatte und wieder fort war, konnte er tun und lassen was er wollte. Er konnte sich vollaufen lassen und seinen Kopfschmerzen von der Comotio cerebri noch den Kopfschmerz eines Alkoholrausches hinzufügen. Jetzt aber musste ihm geholfen werden.