Beiträge von Plinia Chrysogona

    Leider fand sich kein Bohrer. Das würde bedeuten, dass die Behandlung für den Helvetier deutlich schmerzhafter weil langwieriger wurde. Sie wandte sich an Miyagenus.
    "Tja, dann müssen wir es wohl mit dem nadelförmigen Messer probieren. Ach ja, und eine Art von Beißholz wird vielleicht ganz sinnvoll sein."


    Der Sklave verließ den Raum. Die Plinia und der Helvetier waren alleine. Nun entschuldigte sich Varus für das Verursachen des Unfalls.
    "Hör zu, Helvetius Varus. Es war nicht deine alleinige Schuld. Glaub mir, ich weiß was für tumbe Charaktäre die Sänftenträger sind. Und der Lärm der Stadt, gerade in diesem Viertel am Fuße des Palatin macht es nur zu verständlich, dass du die Warnrufe überhört hast. Ich denke die schmerzhaften Folgen des Zusammenstoßes werden dir eine Lehre sein, nicht wahr?"


    Dann kam die Frage nach dem Bohrer. Plinia Chrysogona war eine Frau von schonungsloser Ehrlichkeit. Sie hielt nicht viel von Beschönigungen und um den heißen Brei reden.
    "Es tut mir leid, Helvetius Varus, aber es gibt nur eine Möglichkeit den Schmerz zu lindern. Wir müssen das Hämatom ablassen. Das wird den Druck wegnehmen und damit den Schmerz lindern. Es ist eine schmerzhafte Prozedur. Gerade wenn ich keinen Bohrer habe sondern nur eine Art von Nadel. Aber es muss sein. Du wirst sogleich die Entlastung spüren. Es wird eine ordentliche Sauerei geben und damit ist es leider auch noch nicht vorbei. Aber ohne wird es zu einer Quetschung der Nerven und Gefäße kommen."

    Chrysogona folgte ins hauseigene Balneum. Kurz darauf erschien der ältere Sklave mit einer Tasche, die ein ungewöhlich gut ausgestattetes Besteck für Erste Hilfe enthielt. Sie hob überrascht die Augenbrauen.
    Die Plinia besah sich den Zeh genauer. Er war dick geschwollen und der Nagel tiefrot bis livide angelaufen. Sie nahm den Zeh zwischen Daumen zu Zeigefinger und drückte von oben mit dem Daumen auf den Nagel.
    Ein Schmerzensausruf begleitet von einem erschreckten Zurückziehen des Fußes folgte. Die Medica nickte.
    "Es hat ordentlich unter den Nagel eingeblutet. Ich brauche einen kleinen Handbohrer."
    Mit dieser Feststellung sah sie den Sklaven an. "Heilkräuter eventuell später noch. Essig wäre sinnvoll. Wenn du mir den Bohrer gebracht hast, brauch ich vier starke Arme, die den Patienten festhalten, damit ich in Ruhe arbeiten kann."

    Die Medica rollte die Augen. Ein Mensch, der sein Gehirn nicht als wichtigstes Organ anerkannte war ihr von Grund auf suspekt. Und schon wieder faselte er von Wein. Der Mann, den ihre Sänfte über den Haufen gerannt hatte, schien ein ausgeprochener Trinker zu sein.
    An den Gärtner gewandt sagte Chrysogona.
    "Das Balneum erscheint mir als passender Ort. Dort wird es wohl eine Kline für die Massagen geben oder für das Nachruhen, nicht wahr? Außerdem kann ich dort leicht an Wasser kommen. Beides wird womöglich wichtig sein. Bringt ihn dorthin! Wie sieht es mit Verbandszeug aus?"

    Das Vestibulum war beeindruckend. Chrysogona sah sich neugierig um, während sie zusah wie man den Helvetier ins Innere brachte.
    Das Atrium mit den Säulen, die wirkten als wären sie aus Bronze, gefiel der Medica sehr gut. Die übrigen Räume streifte sie nur mit einem Blick, sie hatte ja vor so schnell wir möglich den Verunfallten zu versorgen.


    Als man Helvetius Varus auf eine der beiden Marmorbänke gesetzt hatte, erschienen wie auf Kommando drei Leute. Ein muskelbepackter Jüngling, ein älterer Mann, den Chrysogona ob seines Geruchs als Gärtner identifizierte und eine junge Frau, die aus der wunderbar duftenden Curina kam. Natürlich wollte auch sie wissen, was dem Helvetier passiert war.
    Statt seiner antwortete die Medica.
    "Ein kleiner Zusammenstoß mit einer Sänfte", sagte sie knapp zu der Köchin.


    Dann sah sie den Helvetier an.
    "Hier auf der Marmorbank kann ich keine ordentliche Behandlung vornehmen!", knurrte sie.
    "Außerdem solltest du liegen, Helvetius. Des wertvollste Organ deines Körpers hat einen Schaden, es sollte Ruhe bekommen. Oder hältst du dein Gehirn nicht für dein wichtigstes Organ?", fragte sie provozierend und mit einem zuckenden Mundwinkel.

    Ganz offensichtlich war der Mann tatsächlich ein Mitglied des Haushalts oder eben ein Verwandter. Die Plinia trat neben den Helvetier.
    "Dieser Mann hier hatte eine Kollision mit meiner Sänfte. Er ist verletzt und nannte uns diese Adresse. Ich bin Plinia Chrysogona. Als Medica sehe ich es als meine Pflicht und Aufgabe an, ihn medizinisch zu versorgen und ließ ihn deshalb hierher bringen. Habt ihr Verbandszeug im Hause?"

    Sie sah den Ianitor fragend an.

    Energisch und mit stolz erhobenem Haupt schritt die Medica des römischen Kaisers in ihrem bodenlangen Gewand neben der gemieteten Sänfte einher in der ein verwirrter Mann lag, der sich als Titus oder Tiberius Helvetius Varus ausgegeben hatte. Gleich würde sich erweisen ob der Mann ein Helvetier war oder ein Ganove. Ob er wirklich an den Folgen einer Gehrinerschütterung litt, ein versoffener Taugenichts oder ein Verbrecher war.


    Die Träger setzten die Sänfte ab. Chrysogona näherte sich der Tür und klopfte.

    Nun war es Chrysogona, die konsterniert drein blickte. Zu zweit in einer Sänfte? Sie sollte sich zu einem wildfremden Mann in die Sänfte legen?


    Ohne es zu wollen lief die Medica hochrot an. Was sollten die Leute denken? Hier, direkt vor dem Palatin. Unmöglich!


    "Ausgeschlossen! Ich habe zwei gesunde Füße. Sehe ich so alt aus, dass ich nicht laufen könnte?", blaffte die Plinia die Sänftenträger an. "Ihr tragt den Helvetier und ich gehe zu Fuß! Los geht´s!"

    Der Mann war vollkommen verwirrt. Chrysogona hielt es für das Beste ihn in das Haus seines Verwandten bringen zu lassen und zwar auf dem schnellsten Wege. Sie hatte ihre Kiste mit den Instrumenten, dem Verbandsmaterial und den Medikamenten nicht bei sich. Er war bei ihren anderen Sachen, die getrennt von ihr zum Palatin gebracht wurden. Die Medica hoffte, dass der Haushalt des Helvetiers über die nötigsten Utensilien verfügte.


    Nun hieß es schnell handeln. Sie winkte die Sänftenträger herbei.
    "So, ihr zwei. Hebt den Mann vorsichtig in die Sänfte und bringt ihn in die Casa Helvetia in der Via Tusculana. Ich begleite euch zu Fuß. Und schaukelt ihn nicht zu arg. Er ist verletzt. Wenn er zu stark durchgeschaukelt wird, kann es sein, dass er sich erbricht. Sein Gehirn ist erschüttert und es ist eure Sänfte... also... "


    Welches Gehirn? fragte sie sich im Stillen. War da zuvor noch eines gewesen, oder hatte der Mann schon vor dem Unfall seinem Denkorgan durch reichlichen Weingenuss zugesetzt?


    Varus lächelte sie hingegen aufmunternd zu. "Keine Sorge, Helvetius. Das wird schon. Ich versorge dich, sobald wir am Haus deines Verandten sind."

    Titus oder Tiberius? Was war jetzt richtig? Oder eventuelle keines von beidem? War es doch eine Falle? Wollte der Mann sie am Ende doch ausrauben und gab vorsichtshalber einen falschen Namen an? Die Plinia wurde vorsichtig.
    Er wohnte bei seinem Verwanten in seinem Haus oder in dessen Haus? Ja, was nun? Das Gestammel war eigenartig. Entweder hatte er tatsächlich eine derartige Matschbirne oder der Kerl tischte ihr ein Märchen auf.


    Plinia Chrysogona stemmte die Hände in die Hüften und sah den Verunfallten kritisch an.
    "Hör zu, Helvetius Varus. Wie auch immer dein Praenomen sein möge. Ich kann dich in dem Zustand unmöglich nach Hause humpeln lassen. Ich hoffe für dich, dass dich unter der genannten Adresse jemand kennt."


    Als der vermeintliche Helvetier über seine Übelkeit sprach, hob die Griechin die Augenbrauen. Eindeutig eine Comotio Cerebri! Vermutlich würde er sich gleich erbrechen müssen. Na toll! Und wenn es blöd lief dann kotzte er später noch in die angemietete Sänfte. Es war doch nicht zu fassen!
    Ihre Überlegungen ihn im Falle, dass ihn in der Casa Helvetia niemand kannte, in das Aesculapius-Heiligtum am Almo nahe der Via Appia bringen zu lassen, fielen damit gänzlich aus. Er würde das Geschaukel in der Sänfte wohl kaum aushalten können. Der Weg zur Via Tusculana war da schon eher zu erwägen.
    "Wie übel ist dir, Helvetius? Wirst du dich erbrechen müssen?", fragte die Medica besorgt.

    Er kam zu Bewußtsein. Immerhin war er ansprechbar. Doch was dann aus seinem Mund kam, war vollkommen wirr. Der Mann hatte ganz offensichtlich einen ordentlichen Dachschaden abbekommen. Er faselte was von Minerva, Bacchus und Wein.
    Wein? Es war noch helllichter Tag! War er etwa betrunken? Na, das könnte ein Grund dafür sein, dass er mitten auf der Straße stehen geblieben war und auch die Warnrufe der Sänftenträger überhört hatte. Die Plinia beugte sich über ihn. Sie nahm keine Weinfahne wahr.


    Der rechte Zeigefinger der Medica erschien im Gesichtsfeld des Dunkelhaarigen.
    "Hier, guter Mann. Beobachte bitte meinen Finger und folge ihm." Sie bewegte den Index langsam von links nach rechts und von oben nach unten und beobachtete seine Fähigkeit, dem Finger zu folgen.
    Soweit schien es möglich.


    Als der Mann schließlich versuchte auf die Beine zu kommen, erkannte die Plinia eine zweite Verletzung. Der große Zeh an seinem rechten Fuß. Scheinbar war die Sänfte daraufgefallen. Der Zeh war gequetscht und lief bereits dunkellivide an. Es zeigte sich ein heftiges Hämatom und der Nagel würde vermutlich nicht zu retten sein. Keine Frage, der Mann würde so nicht weitergehen können. Chrysogona dachte nach. Sie konnte ihn unmöglich mit in den Kaiserpalast nehmen, wo sie ihre Kammer hatte. Also blieb nur die Möglichkeit ihn mit der Sänfte in seine Wohnung bringen zu lassen und ihn dort zu verarzten.
    "Mein Name ist Plinia Chrysogona, ich bin Medica. Wie ist dein Name? Und wohnst du hier in Rom?"

    Die Plinia konnte den Grund der unsanften Landung im ersten Moment gar nicht erkennen. Sie sah wie sich die vorderen zwei der vier Sänftenträger zu etwas oder jemanden hinabbückten. Derjenige, der offenbar das Sagen hatte in dem Quartet zeterte und schimpfte nach wie vor.


    Chrysogona umrundete die beiden und erkannte dann einen Mann, der auf der Straße vor der Sänfte lag. Er hatte eine dicke Beule am Kopf, die sich schnell tiefrot färbte. Auch schien sein Bewusstsein einzutrüben. Comotio Cerebri - schoss es der Medica durch den Kopf. Sie schob die Sänftenträger beherzt beiseite.
    "Jetzt geht schon zur Seite! Was schimpfst du denn in einem Fort. Der arme Mann ist verletzt! Da ist eine Strafpredigt ja wohl wenig hilfreich, oder nicht?", fuhr sie den zeternden Sänftenträger an.
    Neben dem Kopf des Mannes ließ sich die Medica auf die Knie nieder. Sie tätschelte leicht die Wange des Dunkelhaarigen. "Hörst du mich? Bei Minerva, kannst du mich hören? Bitte sprich mit mir, wenn du mich hören kannst!"

    Der Weg vom Stadttor bis zum Palatin war weit. Chrysogona beobachtete durch den Vorhangspalt das Leben der Menschen in Rom. Sobald sie sich zurückgemeldet hatte und dem Kaiser und seiner Familie sowohl ihre Aufwartung gemacht als auch sie untersucht hatte, würde sie auf der Tiberinsel am Aeskulaptempel nach den Verhältinissen sehen. Sie hatte sich vor einiger Zeit dafür stark gemacht, dass die skandalösen und gefährlichen Zustände dort verbessert wurden. Hunderte Kranke und Versehrte suchten dort tagtäglich den Rat der Priester und den Segen des Heilgottes. Die Plinia hatte dafür gesorgt, dass dort immer geschultes Personal vor Ort war, das entschied ob die ankommenden Ratsuchenden eine Gefahr für die Stadtbevölkerung darstellten und hatte dafür gesorgt, dass außerhalb der Stadt ein kleines Heiligtum mit dazugehörigen Krankenquartieren errichtet wurde.


    Beiden wollte sie sobald als möglich einen Besuch abstatten.


    Plötzlich wurde Chrysogona doch recht unsanft aus ihren Gedanken gerissen. Einer der Sänftenträger stieß einen Warnruf aus und kurz darauf kam ihre Sänfte ordentlich ins Schauckeln, mehr noch sie kippte. Die Medica purzelte in den Kissen seitwärts. Krachend bekam der Rahmen der Sänfte Kontakt mit dem Boden. Der Sänftenträger, der die Warnung gebrüllt hatte, schimpfte nun wie ein Rohrspatz. Ein Tumult entstand. Weitere Stimmen mischten sich ein.
    Chrysogona beschloss selbst nachzusehen, was passiert war. Sie schlug den Vorhang beiseite und schwang die Füße aus der Sänfte.

    Da sie niemand näher befragte oder ihr den Zutritt zur Stadt verwehrte, betrat die Medica des Kaisers die Mauern Roms.


    Jenseits des Stadttores boten Sänftenträger ihre Dienste an. Der Kutscher des Reisewagens, der sie von Ostia nach Rom gebracht hatte, würde die Habseligkeiten der Plinia auf den Palatin bringen.
    Chrysogona winkte die erstbeste Sänfte zu sich her.
    "Salvete. Ich möchte zum Kaiserpalast auf den Palatin. In die Domus Augustana."


    Nachdem sie den Transport im Voraus bezahlt hatte, ließ sie sich in der Sänfte nieder. Natürlich nicht ohne die Kissen zuvor einer Sauberkeitsüberprüfung unterzogen zu haben. Chrysogona machte es sich bequem und zog die Vorhänge soweit zu, dass nur ein schmaler Spalt blieb durch den sie nach draußen sehen konnte, umgekehrt aber wohl von außen nicht erkannt wurde.

    Die Einfahrt in den Hafen von Ostia hatte inzwischen etwas beinahe Vertrautes. Chrysogona kehrte von einer Reise in ihre alte Heimat Alexandria zurück. Schon vor Monaten hatte sie ein Brief erreicht, der ihr den schlechten Gesundheitszustand ihres Vaters vermeltete. Der Medica war bewusst, dass es in seinem Alter schnell zu Ende gehen konnte und hatte deshalb den Kaiser um die Erlaubnis gebeten, nach Aegyptus reisen zu dürfen.


    Sie kam noch rechtzeitig um die letzten Tage an der Seite ihres geliebten Vaters verbringen zu können. Gelähmt und sprachlos nach einem Schlaganfall lag der berühmte Medicus darnieder, unfähig sich zu artikulieren und unfähig sich selbst zu versorgen. Ein Bild des Jammers. Und derjenige, der diesen Zustand am wenigsten tolerieren konnte, war er selbst. Seine Verfassung pendelte zwischen Unmut über sein Unvermögen und Agonie. Die noch kräftige Rechte hielt die Hand seiner einzigen Tochter umklammert und sein schief verzogener Mund versuchte Worte zu formen, die völlig unverständlich aus den Tiefen seiner Kehle kamen.


    Chrysogona litt mit ihrem Vater und war dankbar, dass sie dieses Leid nur wenige Tage erdulden musste. Ihr armer Vater hatte es schon einige Zeit länger ertragen müssen. Ganz offensichtlich hatte der Altarzt auf die Ankunft seiner Tochter gewartet. Dass er ihr jedoch nicht mehr mitteilen konnte, was ihm auf der Zunge brannte, trieb ihn zur Verzweiflung. Chrysogona sprach beruhigend mit ihm, versuchte seine Stimme zu sein, die Worte zu erraten, die er bilden wollte. Ab und an behalf sich die Leibmedica des Kaisers mit Stilus und Tabula, um ihn die Worte aufschreiben zu lassen, die seine Zunge nicht mehr formen konnte.
    So verbrachten sie die Tage, bis Plinius Phoebus alles vermittelt zu haben schien, was er an seine Tochter weitergeben wollte. Als er sich schließlich in sein Schicksal ergeben konnte und Frieden mit dem nahenden Ende schloss, ging es schnell. Am vierten Tage nach Chrysogonas Ankunft schloss Gaius Plinius Phoebus für immer die Augen.


    Die Leibmedica des römischen Kaisers verbrachte noch einige Wochen in Alexandria, kümmerte sich um eine geregelte Übergabe der medizinischen Fakultät, die ihr Vater bis zum Schluss geleitet hatte, sichtete Bücher und Schriften, kümmerte sich um den Nachlass und die Verschickung der privaten Gegenstände, die sie nach Rom mitzunehmen gedachte. Dann schiffte sie sich erneut nach Ostia ein.


    Die Überfahrt war ohne große Vorkommnisse. Ein Gewitter, dass sie glücklicherweise nur gestreift hatte, verzögerte die Reise um einen Tag. Zufrieden erreichte sie die Gestade der ewigen Stadt und ließ sich für die Nacht in eine der Herbergen bringen. Am kommenden Morgen würde sie nach Rom aufbrechen.

    Endlich lief das Schiff in den Hafen Ostias ein. Chrysogona erinnerte sich noch zu gut an ihre erste Ankunft in Rom. Damals war sie nervös und neugierig gewesen. Voll der Hoffnung aber auch voller Unsicherheit, ob sie den Ansprüchen des Kaisers genügen würde. Dieses Mal kehrte sie als Leibmedica des Aquiliers nach erfolgreicher Weiterbildung in die Urbs aeterna zurück. Mit einem Lächeln auf den Lippen empfing die Griechin ihre neue Heimat. So sehr ihr der Besuch der Heimatstadt Alexandria gut getan hatte, so froh war sie darüber den Nabel der Welt wiederzusehen.


    Die Überfahrt war abenteuerlich gewesen. Mehr als einmal hatte sie Poseidon und seiner Frau Amphitrite geopfert als das Schiff von den Herbststürmen gebeutelt über Wellenberge und Täler pflügte. Erst als sie die thyrrenische See erreicht hatten, besserte sich das Wetter und bei der Einfahrt in den Hafen stahl sich sogar ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Chrysogona sah zu wie geschickt die Matrosen den Kai ansteuerten und verabschiedete sich anschließend von Kapitän und Mannschaft. Mit kritischem Blick verfolgte sie, wie ihre Reisetruhe von Bord gehoben wurde. Diese Nacht würde sie in Ostia verbringen, aber am kommenden Tag schon konnte sie endlich wieder in ihrem Bett auf dem Palatin schlafen. Wie herrlich.

    Ihren 30. Sommer hatte Chrysogona wieder in der Heimat, in Alexandria verbracht. Sie hatte den Kurs des angesehenen Medicus Herophilus von Samothrake sehr zum Stolz ihres Vaters mit einer Diploma abgeschlossen. Jede sich bietende Gelegenheit hatte sie genutzt um am Museion Gelehrte zu treffen, sich zu unterhalten und den Kollegen über die Schulter zu gucken. Chrysogonas Vater hatte die Anwesenheit seiner Tochter sehr geschätzt und es genossen sich mit ihr zu unterhalten. Glücklich darüber wie gut sich die Karriere seiner Einzigen entwickelte fiel es ihm nun schwer Abschied zu nehmen.


    Chrysogona stand mit gepackten Truhen und Körben im Vestibulum des alexandrinischen Stadthauses. Sie breitete die Arme aus um den schmalen und zunehmend gebrechlich wirkenden Vater in die Arme zu schließen.
    "Vater", seufzte sie. Denn ihr - wie wohl auch dem Vater - war bewusst, dass es vermutlich das letzte Zusammentreffen war.
    Gaius Plinius Phoebus drückte seine erwachsene Tochter an die Brust. Länger als notwendig hielt er diese Umarmung. "Meine große Kore. Aus dir ist eine beeindruckende Persönlichkeit geworden. Unser Kaiser kann sich glücklich schätzen, dich an seiner Seite zu wissen. Ich wünsche dir eine gute Überfahrt. Und schreib mir bald."


    Die Medica rieb sich eine Träne aus dem Auge als sie sich löste.
    "Das werde ich, Vater. Und herzlichen Dank für die großartige Gelegenheit mich weiterzubilden und deine Gastfreundschaft. Bleib gesund! Vale bene!"


    Dann riss sich Chrysogona los und trat auf die Straße wo bereits die Sänftenträger auf sie warteten.

    Zitat

    Original von Herophilos: Ich meine natürlich die Iatromathematik, also die Bedeutung der Sternenkonstellationen für den Arzt. Denn wie der Mond das Meer bewegt, so bewegen auch die Sterne den menschlichen Organismus. Dabei entsprechen bestimmte Planeten bestimmten Funktionen des Körpers: Saturn steht für das Skelett Mars steht für die Muskeln Merkur für die Verdauung, die Atemwege und Nerven Iuppiter für die Ausscheidungen die Sonne für die Blutbahnen der Mond für die Lymphe und das Geschlecht Ebenso können bestimmte Körperpartien einzelnen Tierkreiszeichen und Planeten zugeordnet werden: Widder: Kopf Stier: Mund, Schlund und Speiseröhre, Hals und Nacken Zwillinge: Luftröhre und Lunge, Arme und Hände Krebs: Busen, Magen und Bauch Löwe: Herz, Blutkreislauf Jungfrau: Dünndarm Waage: Lendenregion, Nieren, Blase, Haut als Kontaktorgan Skorpion: Geschlechtsorgane, Dickdarm, Mastdarm Schütze: Hüft- und Oberschenkelregion, Leber Steinbock: Knochengerüst und Knie Wassermann: Unterschenkel, Knöchel Fische: Füße


    Fasziniert hörte Chrysogona zu, was der Dozent über die Astromedizin zu sagen hatte. Sie hatte bereits das ein oder ander zu dieser Medizintheorie gelesen und gehört, aber es faszinierte sie überaus und sie wollte gerne mehr erfahren. Eifrig schrieb Chrysogona mit. Sie nahm sich vor auch diese Vorgaben bei ihren zukünftigen Behandlungen zu berücksichtigen. Im Stillen hoffte Chrysogona, den Lehrmeister noch einmal persönlich zu diesem Fachgebiet konsultieren zu können. Die Griechin nahm sich vor, ihren Vater in der Sache einzuschalten. Seine guten Kontakte sollten es möglich machen, Herophilos von Samothrake womöglich zu einer Cena einzuladen, bei der man fachsimpeln konnte.


    Der Moment der letzten Vorlesung und des Abschieds nahte. Chrysogona war froh und dankbar, dass sie den weiten Weg aus Rom nach Alexandria gemacht hatte. Herophilos von Samothrake war wirklich ein herausragender Lehrmeister. Sie applaudierte begeistert. Als alle Akroatoi den Hörsaal verlassen hatten, trat sie an den Anatom heran und dankte ihm persönlich.
    "Vielen Dank, hochvererhrter Herophilos, deine Vorlesung und vor allem die Sektion haben mir viele neue Erkenntnisse beschert. Ich danke dir für diese Erweiterung meines Horizonts. Asklepios hat dich wahrlich gesegnet. Möge er dir auch in Zukunft gewogen. Vielleicht sieht man sich einmal wieder? Es würde mich sehr freuen."