Beiträge von Decius Germanicus Corvus

    Ohne Zweifel lag in Marcellus' letztem Satz eine unverhohlene Drohung. Das verstimmte Corvus ein wenig, aber andererseits verstand er das Drängen des Aeliers, der tatkräftig mithelfen wollte seinem Onkel die Macht zu sichern.


    “Du kannst unbesorgt sein.“, antwortete er deshalb, auch wenn er nicht verhindern konnte dabei ein wenig gereizt zu klingen.
    “Natürlich werde ich die Wünsche des verstorbenen Kaisers respektieren. Es gibt keinen Grund an meiner Loyalität zu zweifeln! Ich werde seinem Nachfolger ebenso treu dienen, wie ich ihm gedient habe. Und was für mich gilt, dass wird auch für die von mir befehligte Legion gelten.“


    Und dann fügte er etwas versöhnlicher hinzu:
    “Dein Vater ist mein Patron, der neue Kaiser ist sein Bruder und es gibt eine alte und bewährte Freundschaft zwischen deiner Familie und der meinen. Ich bin Valerianus' Mann. Er kann auf mich zählen und du kannst mir vertrauen.“


    Tatsächlich hatte er gute Gründe für seine Worte. Er sprach es zwar nicht aus, aber es lag auf der Hand, dass er sich durch diese Verbindung zum neuen Kaiser auch persönliche Vorteile erhoffte. Was ihn dazu bewegte war also nicht nur Pflichterfüllung und Ehrgefühl, sondern auch ureigenes Interesse. Zudem deutete nichts darauf hin, dass es einen anderen Kandidaten für die Thronfolge gab. Zumindest keinen mit Aussicht auf Erfolg.



    “Aber zuerst werde ich meine Stabsoffiziere informieren.“

    “Das wird es ohne Zweifel ohnehin bald. Mehr als ein paar Tage werden wir diese Nachricht wohl nicht unterdrücken können. Das muss reichen und ich hoffe, dass Alexandria bis dahin ein Koinon hat, das ebenso besonnen ist wie das alte und Freundschaft mit Rom will.
    Um überall auf dem Lande Präsenz zu zeigen, reichen unsere Kräfte nicht aus. Ich muss momentan mit nur einer Legion auskommen und ein paar Auxiliareinheiten. Das Gros der Hilfstruppen und die XXIII. Legion sind im Krieg. Sollte es irgendwo Übergriffe geben, dann werde ich gezielt Truppen dorthin entsenden. Aber darüber hinaus müssen wir uns vor allem darauf beschränken, Alexandria und das direkte Umland unter Kontrolle zu halten.“

    Corvus überlegte kurz und entschied sich dann dafür, dass es in dieser Situation wohl klüger war, sich ein wenig bedeckt zu halten und eher zu wenig als zu viel zu sagen.
    “Nein, dass wird nicht nötig sein. Eine glückliche Rückreise wünsche ich.“, sagte er deshalb nur und verabschiedete die Boten.


    Dann kehrte er auf seinen Platz zurück, nahm den noch halbvollen Becher Wein und leerte ihn mit wenigen Zügen.
    Er stellte ihn – nun leer – ab und sagte zu Marcellus:
    “Vorerst bleibt das unter uns. Alexandria erlebt zurzeit Wahlen und ich will nicht, dass der Tod des Kaisers publik wird bevor sich ein neues Koinon konstituiert hat. Diese Nachricht könnte den Kräften in der Stadt Auftrieb geben, die unsere Präsenz hier ablehnen und diese Kräfte gibt es leider, auch wenn es nur Irrsinn sein kann, der sie antreibt.“

    “Du hast nichts dergleichen zu verlangen, Angeklagter, und über dein weiteres Schicksal entscheidet dieses Gericht am Ende dieser Verhandlung.“, entgegnete Germanicus Corvus barsch.


    Dann wandte er sich einmal mehr an den Ankläger und sagte: “Ich denke, wir können damit die Beweisaufnahme schließen. Die Fakten und der Leumund der Angeklagten scheint ausreichend geklärt. Ich bitte deshalb jetzt um das Resümee der Anklage.“

    Selten hatte Germanicus Corvus einen Mann gesehen, der sich im Angesicht seiner nahen Verdammnis dermaßen um Kopf und Kragen redete.
    Äußerlich blieb er gelassen und angesichts der getroffenen Vorkehrungen, konnte er das vielleicht auch sein. Er blickte in das Publikum, ob sich dort irgendwo Zustimmung für den Angeklagten regte. Seine Männer würden bereit stehen, jeden Aufruhr im Keim zu ersticken und dazu wartete eine Abteilung Reiterei nur darauf einzugreifen, wenn es nötig war. Nein, die Worte dieses Mannes schreckten ihn nicht.


    “Das genügt, Angeklagter!“, war alles, was der von ihm zur Antwort erhielt.


    Dann sah er zum Ankläger und fragte: “Nikolaos Kerykes, hast du noch weitere Fragen an diese Männer?“

    Germanicus Corvus kannte diesen Valerianus nicht und war ihm nie begegnet. Aber er wusste, dass er vom verstorbenen Kaiser adoptiert worden und von Geburt her der leibliche Bruder seines Patrons Aelius Quarto war, und der wiederum hatte den Iuridiculus Aelius Claudianus Marcellus als seinen Sohn angenommen, also eben genau den Mann, der hier in seinem Officium saß. Valerianus war, wie man allgemein hörte, ein bei seinen Männern beliebter Legionskommandeur und hatte seine Fähigkeiten als Feldherr damals bewiesen, als er zusammen mit anderen den Aufstand des Porcius Laeca nieder schlug. Als vom Kaiser rechtmäßig ernannter Nachfolger und bei den Legionen geachteter General würde er bei der Thronbesteigung kaum auf keinen großen Widerstand stoßen – so glaubte Corvus zumindest.
    Bestimmt würde ihn auch sein Bruder nach Kräften unterstützen, der ja, wie gesagt, Corvus' Patron war, und darum hatte er keinen Grund, diesem Mann seine Gefolgschaft zu versagen.
    Also antwortete er beflissen: “So soll es sein.“


    Mehr wollte er in Anwesenheit dieser Männer nicht sagen, denn bestimmt waren das nicht einfach nur Boten, sondern auch Spitzel.
    Stattdessen fragte er nur: “Gibt es sonst noch etwas?“

    Die beiden Helfer hielten das Lamm mit geübtem Griff fest, während die alte Priesterin das Tier mit Wein der Göttin Iuno weihte. Anschließend reichte der hässliche Schlächter Corvus das Opfermesser. Er nahm es und strich dem zitternden Geschöpf mit der flachen Seite der Klinge einmal vom Kopf, über den Rücken bis zum Hinterteil, womit er es symbolisch 'entkleidete'. Danach gab er das Messer dem cultrarius zurück.


    Die Priesterinnen strecken die Hände vor, so dass die offenen Handflächen gen Himmel zeigten und die Älteste von ihnen begann ihr Gebet an Iuno:
    “O ewig Junge, o Hüterin der Ehe und des Viehs von kleiner Gestalt, o Gemahlin des Iuppiter, die du deine schützenden Hände über unsere Familien hältst, o Iuno; wir bitten Dich in Ehrfurcht und demütiger Anbetung deiner strahlenden Göttlichkeit; nimm dieses reine Tier als unser Opfer an dich und erhöre uns und unsere Gebete.“


    Als sie geendet hatte erfolgte das Trankopfer und gleich darauf trat der Opferstecher vor und hielt sein Messer an die Kehle des Lämmchens. Es war eine Opferung nach römischem Ritus und darum fragte er auch auf Latein “Agone?“ – 'Soll ich das Opfer vollziehen?' – und die Priesterin antwortete ebenso auf althergebrachte Art: “Age!“ – 'Tu es!'
    Er stieß dem Tier sein Messer in den Hals, hellrot schoss das Blut aus der tödlichen Wunde, die Helfer ließen es los und das Lamm brach zusammen. Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden galt nun dem roten Fleck, der sich auf dem Boden ausbreitete. Je größer, desto besser, denn es galt als schlechtes Omen, wenn nur wenig Blut bei der Opferung floss...

    Eine junge Tempeldienerin, fast noch ein Kind, trat an die älteste und ehrwürdigste der Priesterinnen heran. Das Mädchen hielt eine flache, irdene Schüssel mit Wasser in den Händen. Die Alte tauchte einen Bund weißer Federn hinein, zog ihn wieder heraus und bespritzte die Anwesenden. Corvus spürte den feinen Regen im Gesicht. Die Priesterin wiederholte den Vorgang, der dazu diente, alle Teilnehmer des Opfers symbolisch zu reinigen.
    Es dauerte, bis alle ausreichend durchnässt und sie zufrieden war. Sie schickte das Mädchen weg und krächzte: “Favete linguis!“ – was nichts anderes bedeuten sollte, als dass alle ihren Mund zu halten hätten, um das Opfer nicht zu ruinieren.
    Dann kam das Mädchen mit der irdenen Schüssel zurück und hinter ihr noch zwei weitere, die ebenfalls solche Schüsseln trugen. Sie gingen zu jedem Einzelnen und ein jeder benetzte die Hände und trocknete sie dann mit einem gereichten Tuch, dem malluium latum. Die Priesterinnen der Iuno legten wirklich großen Wert auf innere, wie äußere Reinheit.


    Als das erledigt war begannen die anwesenden Musikanten zu spielen und zwei männliche Helfer brachten das Opfertier. Es war ein fettes, weißes Lämmchen. Dahinter schritt der cultrarius, der 'Opferstecher', ein hagerer, überaus hässlicher Kerl mit kahlem Schädel und buschigen Augenbrauen...

    “Oh ja, es ist wirklich sehr schön und großzügig ist es auch. Der Palast wurde noch von den Ptolamaiern erbaut. Fragt mich aber nur nicht von welchem genau. Ptolamaios hießen sie ja wohl alle.
    Und von fast jedem Fenster aus kann man das Meer sehen, von der Seite dort drüben sogar den ganzen Hafen und den Pharos. Und dort drüben, gleich hinter dem Palast – das müsst ihr euch unbedingt ansehen – da ist das Mausoleum von Alexander. Ich meine, wer hat schon das Grab eines der größten Feldherrn aller Zeiten in seinem Garten, was? Ach, was sage ich Feldherr, sie verehren ihn hier als Gott und den Kaiser, den betrachten sie als wieder geborenen Alexander. Sie sind schon sehr eigen, diese Alexandriner.“


    All seine Beschreibungen unterstrich Corvus mit ausladenden Gesten. Mal zeigte hier, dann wieder dort hin und das mit wachsender Begeisterung. Er war wirklich sehr aufgeräumter Stimmung. Man erlebte ihn wirklich nicht häufig dermaßen munter drauf los plappernd.

    Das war wirklich eine wichtige Kunde und sie kam für Germanicus Corvus überraschend.
    Tausend Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Der Tod des Kaisers, unter dem auch er selbst seinen Aufstieg aus der Bedeutungslosigkeit als dritter Sohn eines einfachen Marineoffziers bis zum Statthalter einer Provinz genommen hatte, dieser Tod würde das Imperium verändern.
    Er sah kurz zu dem Iuridiculus, der es ebenfalls gehört haben musste und ihm wurde bewusst, dass er jetzt den Neffen des neuen Augustus vor sich sah.
    Das hieß, wenn dessen Thronbesteigung reibungslos verlief und allseits anerkannt wurde, und wenn der sterbende Iulianus die Erbfolge nicht im letzten Moment noch geändert hatte. Manche Männer neigten dazu, noch vom Sterbelager aus große Verwirrung zu stiften. Das war schon vorgekommen.


    “Eine schlimme Nachricht. Ihr seht mich zutiefst bestürzt.“, sagte er und bemühte sich gefasst und ruhig zu wirken, als er diese Frage an die Boten richtete: “Ich nehme an, der Caesar wird ihm nachfolgen, so wie es schon lange kaiserlicher Wille war?“