Beiträge von Sofian

    “Nein, meine Schwester ist keine Köchin im eigentlichen Sinne. Sie war nur für unseren Haushalt verantwortlich und natürlich hat sie auch für meinen Vater und mich gekocht,“, gab ich zur Antwort. Ich schmunzelte, während Sisenna berichtete, was sie mochte und was und nicht. Wie erwartet liebte sie Honig und berichtete in den schillersten Farben von dieser Speise. “Ich glaube, ich mag ihn genauso wie du!“, sagte ich dann und lächelte wieder. Doch mich wunderte, dass das Mädchen kein Fleisch mochte. Als sie allem Fleisch den Kampf ansagte nickte ich dennoch verstehend, doch ich kam nicht mehr dazu meine Gedanken zu äußern, denn die junge Frau, die mit auf dem Markt gewesen war, betrat zügig das Zimmer, schritt dabei an mir vorbei und setzte sich auf das Bett zu ihrer Tante. Dabei redete sie, als wäre ich überhaupt nicht im Raum, was ein wenig wütend machte, denn ich war es keineswegs gewohnt, dass man derartig über mich redete, obwohl ich doch daneben saß. Aber wie auch immer es war, gerade entschied sich für mich mein Schicksal, welches mich an diesem Abend noch ereilen würde. Wo ich essen und schlafen sollte war das Thema. “Mir ist alles recht,“ sagte ich dann und schaute Sisenna entgegen.

    In der Tat hatte ich das richtige Zimmer gefunden und Sisenna zögerte auch nicht damit einzutreten. Warum auch? Ich schmunzelte als sie in kindlicher Manier Anlauf nahm und jauchzend auf das Bett sprang. Es war wirklich ein langer Tag gewesen und ich musste gestehen, dass nun auch mein Magen vor Hunger grummelte. Dann zog ich wie geheißen den kleinen Beistelltisch heran, ganz nah an das Bett und holte mir den besagten Stuhl, um mich darauf nieder zu lassen. “Bisher haben wir vor allem gutes Brot gegessen und viel Fisch. Meine Schwester kann eine hervorragende Suppe aus Fisch und dem verschiedensten Gemüse kochen,“ sagte ich. “Das war auch immer mein Lieblingsessen gewesen.“ Wehmut wollte wieder über mich herfallen, doch ich ließ es nicht zu. “Was ich nicht mag sind Innereien, aber ich bin nie besonders wählerisch gewesen. Meine Schwester hat immer kleine Laibe Brot ausgehöhlt und sie als Suppenschale benutzt,“ erklärte ich. Es wurde im Allgemeinen gegessen was auf den Tisch kam oder was man sich in irgendeiner Garküche käuflich erwerben konnte. “Ich trinke auch gerne Wein, jedoch nur stark verdünnt, sodass man den Wein eigentlich nur noch gerade so heraus schmeckt. Aber ich liebe Honig!“, erklärte ich dann lächelnd. Auch, um Sisenna ein wenig zu schmeicheln, denn immerhin wusste ich ja jetzt, dass sie eine leidenschaftliche Bienenzüchterin war. “Gibt es etwas, was du nicht magst?“, wollte ich dann wissen, ehe es klopfte. Ich wendete meinen Kopf zur Tür und schaute dann wieder Sisenna an.

    Bei dem Wunsch, dass Sisenna auf dem Zimmer essen wollte, dachte ich mir nichts weiter dabei. Vielleicht war es in diesem Haus ja üblich, dass man das tun konnte. Also nickte ich und sagte nichts weiter dazu. Aber dann sagte sie etwas, womit sie durchaus recht hatte. Mein Haar war in er Tat noch nass und während sie es noch erwähnte, fuhr ich mir mit der Hand über meinen Schopf, aus dem noch ein wenig Wasser triefte und meine Schultern benetzte. Doch offenbar war die junge Herrin dergleichen gewohnt, da ich wohl nicht der erste mit langem Haar war. Ich grinste ein wenig, als sie mir zeigte, wo dieses Haar bei dem anderen zu finden gewesen war. “Danke,“, sagte ich dann auf das Lob hin. “Aber sie sind eigentlich nichts besonderes. Haare sind eben Haare.“
    Wir schritten hinaus auf den Gang und hatten dank der Tür wohl eine Sklavin aufgeschreckt, die sich nun entschuldigte und einige Befehle entgegen nahm, die die Essenwünsche Sisennas betrafen. Doch dann? Sollte ich wirklich den Weg zu ihrem Zimmer finden? Ich schaute in die Richtung, in die auch das Mädchen blickte, doch mir erschien es nicht wirklich so, als dass wir aus dieser Richtung hierher gelangt wären. Deshalb deutete ich in die entgegen gesetzte Richtung und marschierte dann drauf los. Die Bilder an Wänden und ihre Bemalung waren meine Wegweiser, denn diese hatte ich mir ja immerhin ganz genau angeschaut.

    Ich schaute noch einmal über meine Schulter zurück, um mich zu vergewissern, dass das Mädchen wirklich in diesem Moment nicht zu mir schaute. Das war aber nicht der Fall. Also erhob ich mich aus dem Wasser, drehte mich ein wenig weg und trockenete mich flüchtig ab, ehe ich mir das Tuch um die Hüften band. Dann war ich ganz aus dem Wasser heraus und hörte die Worte Sisennas. Offenabar war sie noch nicht so viel herum gekommen. In ihrem Alter war sich schon bis nach Athen gereist, was meinen Horizont ungemein erweitert hatte. Aber es war auch anstrengend gewesen. Vielleicht sollte ich noch nachfragen, warum sie immer in Rom bleiben musste, doch ich verkniff es mir im letzten Moment. Eigentlich ging es mich ja überhaupt nichts an. “Rom ist auch schön,“ stellte ich in den Raum, auch wenn ich mich noch nicht wirklich davon hatte überzeugen können. Meine Ankunft in dieser Stadt war nicht beste gewesen und auch der Marsch zu diesem Haus war nicht unbedingt aufschlussreich gewesen. Ich wusste nur, dass es viele Gassen und noch kleinere Gässchen gab, in denen man in Insulae wohnte. Wie auch in Ostia. Dieses Haus war natürlich eine Ausnahme. Ob es eine der wenigen war, würde ich erst noch herausfinden müssen. Ein Blick zu Sisenna sagte mir, dass sie offenbar nicht mehr still sitzen konnte. Sie kippelte und fragte, ob ich fertig sei. Schnell streifte ich mir die frische Tunika über und nickte bestätigend. “Jetzt bin ich fertig,“ erklärte ich, ehe ich hörte, dass der jungen Domina der Magen knurrte. “Zeit für das Abendessen?“, fragte ich lächelnd. Ich musste gestehen, dass auch ich inzwischen Hunger hatte und der Durst vom Markt quälte mich auch noch immer. “Ein ganz leerer Bauch schläft nämlich nicht allzu gut,“ sagte ich dann noch.

    Ich hoffte, mit meinen Worten das Kind, welches Sisenna ja war, zu beruhigen. Sie sollte sich wirklich nicht sorgen, dass ich von einem Tag auf den anderen verschwinden würde. Dabei aber konnte ich selbst noch nicht sagen, was ich tun würde. Immerhin musste ich meine Familie irgendwie retten. Doch würde ich dafür erst langsam einen Plan schmieden können und das würde heute auf keinen Fall mehr von statten gehen. Doch nun erzählte sie mir von den beiden Schwestern und dass sie selbst eigentlich deren Tante war. Tante? Ich horchte auf und musste dann grinsen. Tanten hatte ich mir eigentlich immer viel älter vorgestellt. Aber es gab noch viel mehr Mitglieder der claudischen Gens, welche ich treffen oder auch nicht so schnell treffen würde. Ich merkte mir die Namen gut. Dass das Haus auch viele Sklaven vorzuweisen hatte, dessen war ich mir vorher schon sicher gewesen. Denn wer sollte in dieser riesigen Villa für Ordnung, Sauberkeit und Essen sorgen?


    “Ich bin auch sehr gespannt, mit wem ich mich verstehen werde,“ sagte ich ein wenig wage. Dennoch hoffte ich, heute nicht mehr allzu vielen Menschen begegnen zu müssen. Ich fühlte mich trotz des warmen Bades noch immer ausgelaugt und über die Maßen erschöpft. Aber es war auch gut festzustellen, dass die Sorge nun nicht mehr dermaßen überhand über mich hatte, als in den letzten zwei Tagen. Vielleicht würde ja wirklich alles gut werden. Das wollte ich glauben im Moment und nichts anderes. Mit einer Hand angelte ich nach einem der trockenen Tücher am Wannenrand. Ich wollte mein Bad nicht unnötig in die Länge ziehen, auch wenn es recht angenehm war, mit Sisenna zu plauern. “Du darfst jetzt nicht gucken!“ erklärte ich und machte mich innerlich bereit, der jungen Domina den Rücken zu zu drehen, ehe ich mich erheben würde. War es eigentlich unschicklich, dass sie nun hier war? Darüber wollte ich mir nicht auch noch den Kopf zerbrechen. “Unternehmt ihr öfters lange Reisen?“, wollte ich dann wissen. Zum einen, um Sisenna ein wenig zu beschäftigen, zum anderen, weil es mich wirklich interessierte.

    Es tat unendlich gut, hier im warmen Wasser zu sitzen und ich spürte, dass nun ein kleines Bisschen der Anspannung von mir abfiel. Wohl zusammen mit dem Schmutz, den ich mir noch immer eifrig vom Leib rieb. Sisennas Worte bestätigen mir, dass sie mir gut zuhörte. Dabei musste ich schmunzeln, als sie nun aber doch den Kopf hob, um zu mir hinüber blickte. Dennoch schien ich sie ein wenig in die Nachdenklichkeit getrieben zu haben, denn sie wirkte ganz so, als würde sie nun etwas belasten. Dann erzählte sie, was ihr Onkel stets zu sagen pflegte. Es stimmte wohl, dass das Glück nicht immer den geraden Weg ging. Nun war es an mir, kurz inne zu halten und einmal tief nach Atem zu ringen. War ich wirklich noch auf dem richtigen Weg? Immerhin hätte es mich auf dem Sklavenmarkt auch noch schlimmer treffen können, als in ein reiches Haus zu gelangen, mit einer kindlichen Herrin.


    Dann jedoch wollte mir Sisenna ein Versprechen abringen. Ich sollte nicht weggehen und es auch versprechen. Noch auf dem Weg zur Villa hatte ich darüber nachgedacht einfach schnell in einer Seitengasse zu verschwinden, doch war ich dabei schon zu dem Schluss gekommen, dass es mir nichts bringen würde. Ich würde allein da stehen, ohne Hilfe und nach wie vor ohne meinen Vater und meine Schwester. Das war immer meine größte Schreckensvision gewesen, die nun Wahrheit geworden war, doch wahrscheinlich waren die Claudier diejenigen, die mir am ehesten würden helfen können. Also nickte ich. “Ich werde nicht weggehen,“ sagte ich schließlich. Der Anblick von Sisenna hatte schon etwas Herzzerreißendes. Sie wirkte so müde und betroffen. Ihre Stimme klang weinerlich und ihre Augen waren gerötet, als ob sie sogleich in Tränen ausbrechen würde. “Wo sollte ich auch hin?“, versuchte ich sie ein wenig aufzumuntern. “Ein schöneres Haus als dieses könnte ich mir gar nicht vorstellen. Ich glaube ich werde gar nicht wieder weg wollen.“ Aber für ein Versprechen war ich noch nicht bereit. Auch ich war erschöpft und meine Gedanken waren bei Weitem noch nicht sortiert. “Außerdem habe ich doch noch gar nicht alle getroffen, die hier wohnen.“ Kurz tauchte ich einmal unter Wasser, um mir auch den Dreck der Straße aus den Haaren zu spülen. Doch kaum war ich wieder aufgetaucht, blickte ich Sisenna wieder entgegen. “Die beiden anderen Frauen, waren das deine Schwestern?“, wollte ich dann wissen.

    Sie wollte also, dass ich die ganze Zeit planschte? Ob dieses Wunsches musste ich schmunzeln, doch ich nickte dazu. Offenbar war sie nicht mehr so ganz aufmerksam, denn immerhin fragte sie nach, was ich denn meinte. Doch schließlich löste sie sich von ihrem Standort und ging zu der Bank hinüber. Nun sollte ich mich entkleiden? Ich schaute Sisenna entgegen und stellte fest, dass sie ihren Kopf auf ihre angezogenen Beine gebettet hatte. Gehen würde sie wahrscheinlich nicht und ich musste mich damit abfinden, dass ich nun eine Zuschauerin hatte. Dennoch nestelte ich nun an meiner Tunika herum, peinlich darauf bedacht, ihr meinen Rücken zu zu kehren, falls sie doch den Kopf heben würde. “Ich kann dir gerne etwas erzählen,“ sagte ich, in der Hoffnung, dass mich dabei nicht wieder die Verzweiflung überkommen würde. Ich zog mir die Tunika über den Kopf, schaute über meine Schulter hinweg und legte schließlich auch meinen Schurz ab.


    “Ich bin zwanzig Jahre alt,“ erklärte ich während ich mit dem Fuß die Temperatur des Wassers testete. Es war recht warm, doch nicht so warm, dass ich mich nicht unverzüglich hinein begeben konnte. Dies tat ich auch, während ich weiter sprach. “Meine Familie und ich, wir kommen aus Palmyra in Syrien. Ursprünglich.“ Ich ließ mich im Wasser nieder und seufzte. Es war eine Wohltat. Natürlich gab ich mir auch Mühe, ein wenig mit den Händen im Wasser zu rühren, um ein planschendes Geräusch zu erzeugen. “Danach haben wir einige Jahre in Athen verbracht. So lange, bis wir nach Alexandria übergesiedelt sind. Mein Vater und ich, wir sind Maler. Doch ich würde lieber Bildhauer werden. Einige Erfahrungen habe ich schon sammeln können.“ Ich blickte zu Sisenna hinüber. “Ich könnte dich auch malen,“ sagte ich leise und rieb mir dabei den trockenen Schweiß und den Schmutz vom Leib. Einige Schrammen und blaue Flecke hatte ich davon getragen, doch es waren keine wirklichen Verletzungen dabei. Alles würde schnell heilen und keine einzige Spur würde zurück bleiben. “Unser größter Wunsch war es gewesen, hier in Rom gute Auftraggeber zu finden und hier unser Glück zu machen.“ Meine Worte klangen nun ein wenig wehmütig. Ich konnte nur hoffen, dass Sisenna das verstehen würde.

    Ich nickte, als sie nach den bösen Männern auf dem Markt fragte. Eigentlich waren jene, die uns überfallen hatten noch schlimmer gewesen. Sie waren in meinen Augen wie die Barbaren gewesen, denen man ja eindeutig nur die widerlichsten Eigenschaften zuschrieb. Sie hatten meine Schwester geschändet und meinen Vater und mich gefesselt in einem Kerker gehalten. Doch alles wollte ich Sisenna ja nicht in dieser Deutlichkeit sagen. Sie wisperte nur und hielt ihre Stimme sehr gedämpft. Offenbar verstand sie mich sehr gut. Als sie nun meinte, diese Männer anzeigen zu wollen, lächelte ich einseitig. Wenn das man nur reichte. Dennoch stieg dieses Kind ob jener Aussage sofort in meiner Achtung. Offenbar war sie durch Reichtum und Wohlstand bei Weitem noch nicht korrumpiert. Sie schien ein reines Herz zu haben und ich hoffte für sie, dass sie sich ein solches auch bis an ihr Lebensende bewahren konnte. Doch das Leben war meistens grausam. So wie ich es am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Also baden, essen, schlafen und essen. Wieder nickte ich und ich wollte so gerne glauben, dass wirklich alles gut werden würde. Man hätte Thierza und meinen Vater Zeki schon längst wieder auf ein Schiff verfrachten können. Hatte man das getan?


    Nun spielte sie mit einer meiner Haarsträhnen. Ich hatte es mir nicht zu Angewohnheit gemacht mein Haar kurz zu tragen. Im Gegenteil. Eigentlich mochte ich es so wie es war. Dann hörte ich, was sie weiter sprach. Das Bad war inzwischen eingelassen worden und alles war bereit. Für mich. Ich rang etwas tiefer nach Atem und musste letzten Endes doch schmunzeln. Offenbar wusste Sisenna nun nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte. Doch ich war ihr dankbar, dass sie angekündigt hatte, sich um meine Angelegenheit kümmern zu wollen. Vielleicht würde ich ja auch mit ihren Onkel sprechen können. Aber ersteinmal hieß es baden und das würde nur zu gerne tun.


    “Keine Sorge, kleine Domina,“ sagte ich dann, auch wenn mir das Wort ‚Domina‘ noch fast in der Kehle stecken bleiben wollte. Aber sie war so anrührend, wie so vor mir stand in ihrem Zwiespalt. “Ich werde nicht einschlafen und ich werde kräftig planschen, bis ich im Wasser bin.“ Ein ehrliches Lächeln stand mir ins Gesicht geschrieben. Vielleicht würden wir ja morgen wirklich aufbrechen und nach meiner Familie forschen. Ich hoffte es sehr, doch für heute musste selbst ich einsehen, dass es zu spät war, um noch irgendetwas unternehmen zu können. Also war ich dankbar für ein Bad, etwas zum Essen und ein wenig Bettruhe. “Aber wir können es auch so machen, dass ich dir sage, wenn du wieder gucken kannst.“ Ich erhob mich nun aus der Hocke und richtete mich wieder zu meiner vollen Größe auf. Bevor ich mich jedoch daran machte, mich meiner Tunika zu entledigen wartete ich darauf, dass Sisenna zu der Bank hinüber ging. Mir war unwohl dabei, dass mich nun ein kleines Mädchen beim Bekleiden beobachten würde, doch war dies wohl nur die geringste meiner Sorgen. “Was hälst du davon?“, fragte ich noch einmal nach, ehe ich mich in Bewegung setzte.

    Schon bei meiner Ankunft hatte ich die Größe des Anwesens als einschüchternd empfunden, doch das war nun von außen gewesen. Im Inneren jedoch merkte ich immer mehr, dass ich mich fühlte wie eine winzig kleine Made, wobei mein neuer Stand, mit dem ich mich bei Weitem noch nicht abgefunden hatte, noch einiges dazu beitrug. Doch hier neben mir, stand dieses kleine Mädchen, welches sich so viel Mühe gab erwachsen zu wirken und das mich nun ins Balneum geleitet hatte.


    In der Tat hatte sie sich mir noch nicht vorgestellt und hatte auch ansonsten keinen Namen aufgeschnappt. Doch dieses Manko sollte sich ändern. Sisenna hieß sie also und sie war eine Claudia. Anscheinend war sie hier so etwas wie ein Mündel, denn sie sprach von ihrem Onkel, der sich um sie kümmerte. Das merkte ich mir gut, auch wenn ich keinerlei Schlüsse ziehen wollte. Mein Denken war nicht so beständig wie noch vor zwei Tagen und mir schwirrte alles im Kopf herum wie ein Schwarm Insekten. Noch in diesem Moment glaubte ich, ich würde nie wieder klar denken können. Doch dann erwähnte sie ihre Freundin. Und die war niemand anderes als die Kaiserin? Meine Augen weiteten sich vor Überraschung. War ich wirklich in derartig einflussreichen Kreisen gelandet? Ich konnte es kaum glauben. Alles was wir jemals erträumt hatten war, für solche Menschen zu arbeiten. Doch nicht als Sklaven, sondern als Künstler und Handwerker, die damit gutes Geld verdienten. Allein der Gedanke daran trieb mir einen Stich in den Magen. Während Sisenna noch sprach, blickte ich ihr nun ungläubig entgegen. Ein kleines Mädchen war allein beim Aedil? Sie hatte Bienen, einen Ponyhof und sie züchtete Zierfische? Alles in allem gab ich meiner Sprachlosigkeit Raum, denn das was sie offenbar in ihren jungen Jahren hatte war mehr, als ich mir für mein ganzes Leben jemals hätte erträumen können.


    “Ponys und Zierfische! Sie zu sehen wäre wirklich wunderbar!“, entkam es mir trotz meiner Sprachlosigkeit. Ich nickte dazu verstehend. Doch dann erwähnte sie meine Familie. Allein bei dieser Erwähnung schwoll in mir wieder die Verzweiflung empor. Ich blickte Sisenna an und war versucht, ihr mein ganzes Herz auszuschütten. Am liebsten hätte ich ihr alles erzählt, von dem Überfall, den Schlägen, den Rohheiten und den Dingen, die man Thierza angetan hatte. Aber ich musste mich zügeln. Sie war nur ein Kind. Das musste ich mir ins Gedächtnis rufen. Ich überlegte kurz und ging dann vor Sisenna in die Hocke, da es mich dränge, mit ihr ungefähr auf einer Augenhöhe zu sein, während ich sprach. “Sie sind verschleppt worden. Von brutalen Männern, die uns vor zwei Tagen überfallen haben,“ versuchte ich so nüchtern wie möglich zu erklären. “Ich weiß nicht wo sie sind und mache mir große Sorgen, denn...“ Nun suchte ich wieder nach Worten, die ein Kind nicht allzu sehr erschreckten. “...die Männer waren wirklich sehr böse zu uns.“ Erwartungsvoll schaute ich ihr nun entgegen und hoffte, dass ich sie mit dem Gesagten nicht doch irgendwie überforderte. Ich hatte nicht viel Erfahrung mit Menschen dieses Alters.

    Auch in diesem Raum schaute ich mich nun wie gebannt um und musste feststellen, dass er gar nicht so winzig war, wie ich vermutet hatte. Auch hier war alles sehr stilvoll gestaltet und hätte unter anderen Umständen mein Herz höher schlagen lassen. Doch war ein Bad nach so langer Zeit nicht freudiger Umstand genug? Aber ich würde wohl noch einen Moment warten müssen. Neben dem Mädchen an diesem Ort fühlte ich mich nun ein wenig fehl am Platz und ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Ein schlichtes und einfaches “Danke,“ entkam mir aber doch, als ich auf die Öle und anderen Dinge, die zu einem Bad gehörten, hingewiesen wurde. Dann senkte sich wieder meinen Blick, denn in diesem Moment wusste ich überhaupt nicht, wie ich mit meiner kleinen Besitzerin umgehen sollte. ‚Besitzerin‘. Dieses Wort gärte noch immer in mir, doch wie auch immer es war, ich hatte einfach nicht mehr die Kraft, mich damit auseinander zu setzen. Nicht heute, nicht in diesem Augenblick. Dann allerdings überraschte mich die junge Dame mit der Frage, ob wir uns etwas unterhalten wollten. Natürlich, damit wir nicht schlafend in uns zusammen sackten. Unwillkürlich musste ich grinsen. “Das können wir sehr gerne tun,“ erklärte ich und schaute der jungen Domina entgegen. “Ich kenne zum Beispeil deinen Namen noch nicht und weiß auch nicht, in welcher Familie ich denn nun… leben soll. Vielleicht könntest du mir darüber etwas sagen.“ In meiner Stimme klang keineswegs Dreistigkeit, sondern viel eher ein wirkliches Interesse. Wer konnte sich ein solches Haus, mit einem solchen kleinen Bad leisten? Und wie würde erst das große Bad aussehen?

    Das kleine Mädchen hatte sehr wohl mir ihrer Aussage recht, dass wir beide müde waren. In meinem Fall drückte die Erschöpfung bleischwer hinter meinen Schläfen und es war lediglich die Wuchtigkeit der Eindrücke, welche mich noch auf den Beinen hielt. Doch es sollte noch ins kleine Balneum gehen, was ich sehr begrüßen würde. Seit Tagen auf dem Schiff hatte es nur eine kleine Katzenwäsche gegeben und auch in Ostia hatten wir es nicht in eine Therme geschafft, da die Zeit so knapp geworden war. Beim Gedanken an das ‚wir‘ fühlte ich wieder einen straken Stich im Magen und einen Kloß im Hals. Doch jetzt und hier konnte ich rein gar nichts für meine Familie tun. Nur wenn ich mir zu viel Zeit ließ? Was wäre dann?
    Ich merkte, dass das Mädchen, nein, wohl eher die junge Dame auch nicht mehr so standfest war wie auf dem Markt. Aus ihrer Stimme tönte die Müdigkeit heraus und ich ließ mich einfach bei meinem kleinen Finger fassen und mich mitziehen. Im Gang wurde ich wieder los gelassen und folgte dem Kind.

    Während uns der Weg durch die Villa führte, betrachtete ich mir die Wände sehr genau, denn bis vor einigen Stunden waren solche ein bedeutender Teil meines Metiers gewesen. Und das würde sie auch wieder werden. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Meine Schritte setzte ich langsam und mit bedacht, während ich dem jungen Mädchen folgte. Immer wieder schaute ich mich staunend um. Wenn es nur in unserer Vergangenheit Auftraggeber wie diese gegeben hätte. Wir hätten früher oder später auch in einem beeindruckenden Haus gewohnt. Unter diesem Gedanken seufzte ich lautlos und folgte dann dem Wink, in das Zimmer, vor welchem wir angekommen waren, einzutreten. Auch hier schaute ich mich um, während ich vorsichtig hinein schritt. Irgendwie fühlte es sich an wie in der Höhle des Löwen und ich blickte zurück auf das Mädchen, welches mich käuflich erworben hatte. Erst jetzt wurde mir allmählich bewusst, dass sie rein rechtlich gesehen nun so etwas wie meine Besitzerin war. Und ich ein Sklave? Schnell schob ich den Gedanken wieder von mir. “Ein schönes Zimmer,“ sagte ich dann. “In einem beeindruckenden Haus.“ Wieder versuchte ich zu lächeln, während ich mich bemühte, mich an diese Situation so schnell es ging zu gewöhnen.

    Neben den Damen stapfte ich voran, wobei ich nicht verhehlen konnte, dass ich mich immer wieder nach den Seitengassen umschaute. Wie es wohl wäre, einfach und schnell in einer von ihnen zu verschwinden? Doch wenn ich es täte, wer würde mir helfen meine Familie wieder zu sehen? Hier in Rom wäre ich allein auf mich gestellt und außer der inzwischen verschwitzen und schmutzigen Tunika besaß ich nichts. Nicht einmal ein einziges As. Sollte ich mich durch die Straßen betteln oder vollkommen mittellos nach Ostia zurück kehren? Nein, ich verwarf diesen Gedanken ganz schnell und machte mir bewusst, dass dieses Mädchen und ihre Verwandten nun alles waren, was ich hatte.
    Bei der Villa angekommen, staunte ich nicht schlecht. Es musste sich in der Tat um eine der reichen Familien Roms handeln. Und das sollte nun mein Zuhause sein? Einen Moment lang öffnete ich erstaunt den Mund, nur um ihn unverrichteter Dinge wieder zu schließen. Dann schaute ich zum Seiteneingang hinüber, der gerade erwähnt wurde und dann blickte ich besagten Marco an. Das Muskelpaket, welches offenbar zum Schutz der Damen fungierte. Ich nickte schwach und bemühte mich wieder um ein Lächeln.Die Sache mir der frischen Kleidung klang gut und auch einem Essen wäre ich nicht abgeneigt. In der Tat hatten die vergangenen zwei Tage an meinen Kräften gezehrt und ich war vollkommen übernächtigt und verausgabt.
    Nun sollte ich mit dem Mädchen auf ihr Zimmer gehen? Ich blickte skeptisch drein, nickte aber schließlich. Mir würde ja doch keine andere Wahl bleiben als mich zu fügen. Dabei war ich gespannt, was mich erwarten würde. Weise Worte eines Kindes? Eine Einweisung in mein zukünftiges Leben? Ich vermochte es nicht zu sagen und ging einfach widerstandslos mit.

    Ich brauchte also nicht mehr traurig sein? Ich ließ ein etwas träges Lächeln erstrahlen, während ich mich bemühte mir vorzustellen, dass wirklich alles besser werden würde. Meine Wünsche wollte ich an dieser Stelle allerdings nicht mehr aussprechen. Das Mädchen wirkte erschöpft und ich war es auch. Nein, ich würde alles auf später verschieben, auch wenn die Sorgen in mir noch immer brodelten. Ohne ein weiteres Wort zu sprechen folgte ich also den Damen und machte mich mit ihnen gemeinsam auf den Weg.

    In meinen Ohren schrillte noch das Kreischen des jungen Mädchen, welches auf mich geboten hatte. Doch wahrscheinlich war es zu spät und ich hatte bereits einen blauen Fleck davon getragen. Wenn nicht gar mehrere von den vergangenen Tagen. Meine Seite, die ich mir noch einen Moment lang hielt, schmerzte noch, doch ich ließ mir nichts weiter anmerken. Außer dass ich da stand und hoffte, dass es bald zu Ende war, tat ich gar nichts mehr. In meinen Gedanken stand noch immer der Wunsch herauszufinden, wo meine Familie war, damit ich sie schnellstmöglich wieder in die Arme schließen konnte. Am liebsten sofort.
    Die Aufpasser des Händlers zogen sich jedoch nicht zurück, doch unternahmen sie auch nichts mehr. Ich würde ihnen auch keinen Grund mehr dazu bieten. Dennoch linste ich vorsichtig zu dem Mädchen und ihrer weiblichen Begleitung. Dann blieb mein Blick auf dem Muskelprotz liegen, der hinter ihnen stand. Ich atmete tief durch und hoffe sehr, dass sich dieses Missverständnis klären würde, welches mich auf dieses Podest gebracht hatte. Schließlich war es der Händler, welcher nun ein wenig frustriert die gebotene Summe bestätigte und einforderte. Doch das alles rauschte an mir vorbei. Erst als die Stimme des Mädchens meinen Namen rief, schaute ich wieder auf und nickte dann. Noch einmal sah ich mich zu dem Händler und seinen Schergen um, dann nahm ich das kleine Treppchen, welches man an den Block gestellt hatte, um auf die Damen zu zu gehen. Irgendwelche Habseligkeiten, welche ich noch hätte mitnehmen können, besaß ich zu meinem Leidwesen nicht mehr. Nicht einmal mehr Mutters Truhe. Das letzte Erinnerungsstück an sie. Vor dem Mädchen und den Damen blieb ich nun stehen und schaute ihnen allen entgegen.

    Es war mir bewusst, dass ich wohl nun einen Fehler gemacht hatte, doch ich stand noch vollkommen unter dem Eindruck der vergangenen zwei Tage, welche einen furchtbaren Abschnitt in meinem Leben darstellten, welches wohl niemals wieder so sein würde, wie es einmal war. Doch das Bewusstsein darüber wollte ich von mir fern halten. Mir ging es wirklich um meine Familie, um die ich mich mehr sorgte als um mich selbst. Als ich meine Worte gesprochen hatte, sah ich, dass das Lächeln aus dem Gesicht des wohlhabenden Mädchens wich. Vielleicht wurde es zum ersten Mal mit dem Ernst des Lebens konfrontiert, doch darüber konnte ich natürlich keine wirklich Aussage treffen. Ich tat einfach, was mir in den Sinn kam und hörte die Antwort. Ja, Familie war wichtig, da hatte ihr Onkel wohl zweifelsohne recht. In meine Falle war sie alles gewesen, was ich neben meinen Wünschen und Hoffnungen noch hatte. Als sie dann sagte, dass sie meine Hilfe bräuchte, um sie zu finden, schlug mein Herz höher in meiner Brust und neigte mich, mit einem gebannten Gesichtsausdruck noch ein wenig weiter vor. “Mein Vater und meine Schwester,“ sagte ich dann rasch, da ich sah, dass die Gehilfen des Händlers nun eilig auf das Podest traten. “Wir sind getrennt worden und sie wurden….“ Im Moment könnte ich nicht mehr weiter sprechen, denn ich wurde gepackt und wieder auf die Beine gerissen. Einer der Schergen grunzte mir mit nach Zwiebeln stinkendem Atem eine weitere Warnung ins Ohr, während der andere mich in die Seite boxte, dass mir fast die Luft wegblieb. Dann sagte ich nichts mehr. Meine Lippen pressten sich zusammen und senkte meine Blicke wieder auf die Bohlen zu meinen Füßen. Ich wurde wieder los gelassen, doch blieben die beiden Männer wie zu meiner Ermahnung einige Schritte hinter mir.

    Vor dem Podest herrschte ein arges Gedränge, das konnte ich von diesem erhöhten Standpunkt aus gut überblicken. Nur wollte ich es nicht sehen. Immer wieder hatte ich zu den Aufsehern hinüber geschaut, die sich nun wieder zurück gezogen hatten, da ich schwieg und auch keine Anstalten machte einfach von der Bühne zu springen, um mein Heil in der Flucht zu suchen. Obwohl es mich sehr danach gelüstete. Nein, ich blieb einfach stehen und betrachtete mir die Holzbohlen zu meinen Füßen. Das Bieten unterdessen ging nicht weiter und schien ins Stocken geraten zu sein. Umso besser. Sollte der Sklavenhändler doch sehen, woher er sein Geld bekam. Ich wollte ihm dabei nicht weiter behilflich sein. Vor mir versammelten sich inzwischen immer mehr Frauen um das Kind, welches die Versteigerung als Spiel betrachtete. Allesamt wirkten edel gekleidet und schienen somit nicht unbedingt aus dem einfachen Volk zu stammen. Ich schloss noch einmal die Augen und lauschte den Wortfetzen, die durch das Gedränge der Menschen zu mir empor fanden. Dabei meinte ich auch zu hören, was das Mädchen sagte, nämlich dass sie sich sorgen und mich beschützen würde. Wieder trat ein gequältes Lächeln in mein Gesicht und blickte noch einmal zu den Schergen des Händlers, ehe ich mich in die Hocke gleiten ließ und das Kind direkt ansprach. “Würdest du auch meine Familie finden und dafür sorgen, dass es ihr gut geht?“, fragte ich mit deutlicher Stimme, die gerade laut genug war, dass die Menschen vor dem Podest mich verstehen konnten. Die Drohungen für Leib und Leben seitens des Tranquillus waren mir in diesem Moment egal und mir war bewusst, dass ich hier gerade etwas Infames tat. Doch in meinem Kopf war ich keineswegs ein Sklave. Ich war lediglich ein Opfer grausiger Umstände.

    Nein, dies war kein Spiel. Ganz sicher nicht für mich! In mir brodelten noch immer die Gedanken, die sich nicht zügeln lassen wollten. Auch Selbstvorwürfe waren dabei. Warum waren wir nur in der Dunkelheit durch die Gassen gewandert? Doch das alles war nicht mehr zu ändern. Da würde auch kein Aufstampfen mit dem Fuß mehr helfen. Doch was erwartete ich von einem Kind? Ich sah aus dem Augenwinkel heraus das aufmunternde Lächeln des kleinen Mädchens, doch ich selbst wollte kein Spielzeug sein. Dennoch lächelte ich flüchtig, geradezu sarkastisch. Woher sollte ein Kind wissen, was in mir vorging. Woher sollte es überhaupt jemand wissen. All diesen Menschen wünschte ich mit einem Mal, dass ihnen dasselbe widerfahren würde wie mir. Dass sie alles verlieren würden und in Sorge um die Liebsten vergingen. Das würde ihnen nur recht geschehen. Ich hörte gar nicht mehr auf die Gebote, sondern versank in meinen Emotionen, welche nicht unbedingt die besten waren, zu denen ich fähig war.