"Keineswegs, mein Freund. Du kommst genau zur rechten Zeit." er aß die Dattel in seiner Hand auf, sann einen Moment nach, fasste einen Entschluss und sah sich kurz prüfend im Raum um "Wir müssen, bevor wir dich offiziell aufnehmen, noch ein kleine, mhm, Formalität erledigen."
Von den Factionsoberen war nämlich nach wie vor nichts zu sehen. Der große Versammlungsraum der Veneta war dominiert von einem Hufeisen von Tischen und dazu gehörigen Stühlen. Sowohl Tische als auch Stühle waren filigran gearbeitet und im blau-goldenen Dekor der Factio gehalten. Florale Elemente, die einem neutralen Beobachter vielleicht etwas zu übertrieben vorkommen mochten - ebnefalls in blau und gold gehalten - verzierten Rahmen und Beine der Möbel.
Genau in der Mitte der horizontalen Tischreihe stand ein Stuhl dessen Lehne etwas höher war, als die der anderen. Der Sitz des Dominus Factionis, auf dem schon Konsuln und Senatoren Platz genommen hatten. Rechts daneben saß normalerweise der Vicarius Domini Factionis. Beide waren heute verwaist. Auf dem Stuhl des Dominus hatte schon seit geraumer Zeit keiner mehr gesessen. Mit beiden Positionen verkannt, war die Factio nicht wirklich handlungsfähig. Iulius Dives hatte in den letzten Jahren sein möglichstes getan, um die Geschäfte der Factio wähend der Abwesenheit von Germanicus Sedulus zu leiten. Fehlte nun allerdings auch der Iulier, gab es da gar niemanden mehr. Und das war kein Zustand.
Sein Cousin Vibius Victor war seinerzeit Vicarius gewesen. Einer, der eine gewisse Erdung zu seinen senatorischen, patrizischen und sonst wie reichen Kollegen gebracht hatte. Und die Valerier waren immer Anhänger der Blauen gewesen.
Warum also nicht? Der Stuhl in der Mitte war und blieb leer. Tiberius klopfte Aulus auf die Schulter, grinste "Pass auf". Gemessenen Schrittes umrundete er die Tische und trat hinter den Sitz des Dominus.
Mit leicht erhobener aber durchdringender Stimme (wenn man in der Basilica den ganzen Tag gegen allen möglichen Lärm anquasseln musste, war das eine gute Übung um sich Aufmerksamkeit zu verschaffen) sagte er zu dem versammelten Haufen: "Amici, vielleicht wäre es nun an der Zeit, so langsam die Tagesordnung hinter uns zu bringen? Sonst steht uns noch der Wein ab."
Überraschtes Schweigen trat ein. Dann antwortete Servius Galba, ein älterer Kollege mit geröteter Nase, der stets vor allem im angeregten Gespräch mit seinen Factionskollegen über Götter und die Welt den meisten Spaß hatte und dem solche mondänen Sachen wie offizielle Tagesgeschäfte entschieden das gesellige Beisammensein störten, meinte gelaunt: "Tiberius, wie stellst du dir das vor? Ich sehe hier keinen Dominus und keinen Vicarius. Haben wir nicht. Ohne die können wir nicht anfangen."
"Ach ja, richtig." antwortete Tiberius nachdenklich und wandte sich halb ab, als wollte er sich wieder unter die Menge mischen. Wie beiläufig legte er dabei eine Hand auf die Lehne des Sitzes und blickte Aulus Saturninus direkt an. Tiberius spekulierte darauf, dass sein Freund clever genug war, das Signal zu erkennen.