Beiträge von Ygrid

    Alruns Schreie wurden immer lauter und jämmerlicher. Die anderen Frauen, die mit ihr die Zelle teilten, litten still mit ihr. Im Stillen riefen sie Frija an und beteten für Alrun und ihr Kind.


    Die werdende Mutter hatte zwar keinerlei Erfahrung, aber innerlich spürte sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Die alte Gardis, die bei den Kämpfen getötet worden war, hatte sie noch vor wenigen Tagen beruhigt, ihr Kind hätte noch viel Zeit. Mindestens noch zwei Monde, hatte sie gesagt. Der Alten hatte sie geglaubt, da sie selbst im Laufe ihres Lebens zehn oder elf Kinder zur Welt gebracht hatte und unzähligen Frauen bei ihrer Niederkunft beigestanden hatte. Nun aber hatte sich alles geändert!


    Die Sklavin, die sich nun um sie kümmerte, hatte bereits eine Vorahnung, nachdem sie Alruns Bauch abgetastet hatte. Manchmal kam es vor, dass das Kind im Mutterleib nicht die richtige Position eingenommen hatte. Wenn sie sich nicht vollkommen irrte, war dies hier der Fall. Eigentlich konnte sie nicht viel für Alrun tun, da ihr für derartige Komplikationen einfach das Wissen fehlte. Sie konnte nur darauf hoffen, dass die versprochene Hebamme bald eintraf, bevor Alruns Kräfte endgültig schwanden.
    Da endlich! Es tat sich etwas. Der Römer erschien wieder und er war nicht allein!

    "Eine Hebamme? Oh ja, das wäre sehr hilfreich!", rief die Frau. Besser als gar nichts! Die Geburt konnte sich noch stundenlang hinziehen. Eine Hebamme wusste, was zu tun war, wenn die Kräfte der jungen Mutter schwanden oder sich Komplikationen bei dem Kind einstellten. Allerdings in Anbetracht dessen, dass die Frauen noch gar nicht wussten, welches Schicksal sie ereilen sollte, war dieser Hoffnungsschimmer irgendwie zwiespältig.


    Ygrid hatte das Ganze aus sicherer Entfernung beobachten können. Anfangs war auch sie verängstigt zurückgewichen. Inzwischen aber war sie wieder entspannter und verlor langsam das Interesse daran, was mit Alrun, der Sklavin und diesem Römer dort vor sich ging.
    Sie hatte ganz andere Probleme.

    Nicht nur die Strapazen des Tages hatten Alrun zugesetzt, auch die Angst um ihr Kind schwang mit. Ihr Kind hatte sich auf den Weg gemacht und es gab keinen Weg mehr zurück. Die Wehen wurden immer stärker und kamen bereits mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Alrun war noch sehr jung. Dies würde ihr erstes Kind sein, wenn alles gut ging.
    Als dann der Römer die Zelle betrat, entstand unter dem den Frauen eine Unruhe. Manche wichen ängstlich zurück, da sie den Mann nicht verstanden. Die Frau, die sich aber um Alrun kümmerte, hatte jedes Wort verstanden, da sie eine der Sklaven war, die von Arwid am Tag zuvor befreit worden war. Sie hatte zwar Erfahrung mit schwangeren Frauen, doch unter diesen Umständen war auch sie völlig hilflos.
    Das Angebot des Römers kam nun wie gerufen. Vielleicht hatte Alruns Kind doch noch eine Chance, zu überleben. "Hilfe wäre gut!", antwortete sie. Wobei sie nicht wusste, wie diese Hilfe aussah.

    Der stramme Marsch vom Auenwald bis hin zur Castra in Mogontiacum hatte den Gefangenen viel abverlangt. Besonders die, die nur leichte Verletzungen hatten und den Weg dorthin selbst laufen mussten, waren nun völlig erschöpft zusammengesunken. Besonders eine der Frauen, Alrun, hatten die Strapazen sehr zugesetzt, da sie schwanger war und es höchstens noch ein oder zwei Monate dauern sollte, bis das Kind kam. Kurz bevor sie Mogontiacum erreicht hatten, glaubte sie, dass ihre Wehen einsetzten. Doch die Legionäre nahmen auf sie keine Rücksicht. Erbarmungslos trieb man sie weiter.
    Nun, da sie in den Zellen saßen, versuchte eine andere Frau sich um sie zu kümmern und zu beruhigen. Wenn ihr Kind unter diesen Umständen zur Welt kam hatte es kaum eine Chance, zu überleben.


    Auch für Ygrid schien dieser Alptraum, der am Morgen begonnen hatte, kein Ende nehmen zu wollen. Gerne hätte sie darauf verzichtet, Mogontiacum noch einmal sehen zu müssen. Sie hatte vor Angst gezittert, als man sie und die anderen in die Castra geführt hatte.
    An ihrem rechten Fuß trug sie nun einen Eisenring, der mit einer Kette, die wenig Spielraum ermöglichte, an der Wand der Zelle befestigt war. In der Zelle war etwas Stroh ausgebreitet worden, damit sie nicht auf dem blanken Boden sitzen mussten. Sie war müde und hätte gerne geschlafen. Aber ihre Angst verhinderte das, denn diese Zelle bot keinerlei Sicherheit für die Gefangenen. Nichts schützte sie vor den Soldaten, die mehr oder weniger ungehindert die Zellen betreten konnten und vielleicht dann übergriffig wurden.

    "Nein, das darfst du nicht! Du darfst nicht sterben!", schrie sie entsetzt und klammerte sich an Arwid. Offenbar hatte sie den Ernst der Lage längst noch nicht begriffen, ebenso dass es vollkommen egal war, ob Arwid nun hier starb oder in Mogontiacum. Fakt war, er würde sterben, ob nun heute, morgen oder erst in ein paar Tagen! Aber auch ihr Schicksal war mehr als ungewiss. Vielleicht lag es ja an ihrer Jugend, dass sie diesen Aspekt völlig außer Acht ließ. Wie bizarr es auch klingen musste, doch diesen Moment ihrer Zweisamkeit hatte sie schon ewig herbeigesehnt. Nur sie und er!


    Wie eine Seifenblase zerplatzt ihr vermeintliches Glück, als Soldaten sie von ihm wegzerrten. Ygrid zeigte noch einmal, zu was sie fähig sein konnte, wenn man sie zu etwas zwang, was ihr gegen den Strich ging. Sie leistete erbitterten Widerstand. Am Ende jedoch war auch dies vergebens! Auch sie fand sich gefesselt und an die anderen Gefangenen angekettet wieder und wurde mitgezogen, als sich der Tross in eine unsichere Zukunft vorwärts schob.

    .Ygrid ließ es zu, als die Sklavin sich neben sie setzte. Sie ließ es auch zu, als Thula sie in den Arm nahm. Das gab ihr Halt und Trost. Langsam versiegten ihre Tränen. Ihr Blick ging wieder ins nichts. Die Stille ließ sie zur Ruhe kommen. Es hatte den Anschein, als würde damit auch der Schmerz ein wenig nachlassen.


    Die Ruhe war mit einem Mal vorbei, als sie einen weiteren Gefangenen zu ihnen brachten. "Arwid?", flüsterte sie, als sie den Mann erkannte. Die kurzen blonden Haare, die große Gestalt, die nun etwas gebückt wirkte, da er verletzt war. Er war verletzt? "Arwid!", rief sie nun entschlossen. Sie wandte sich aus Thulas Umarmung, stand auf und eilte zu ihm. "Arwid! Den Göttern sei Dank! Du lebst! Bist du schwer verletzt?" Die Frage erübrigte sich als ihre Augen den Körper des Germanen musterten, bis sie am blutgetränkten Verband an seinem Oberschenkel hängen blieben. Er brauchte dringend Hilfe, damit er nicht noch mehr Blut verlor.
    Sie sah sich nach etwas Nützlichem um, wurde aber nicht fündig. Thula sprang wieder in ihr Auge. Die Sklavin könnte vielleicht helfen. Sie konnte einen der Römer bitten, sich Arwids Wunde anzunehmen. Nicht ohne Arwid noch einmal zuzulächeln, wandte sie sich wieder zu Thula um und versuchte ihr klarzumachen, dass sie ihre Hilfe benötigte. Aber dann erschienen wieder Soldaten, die damit begannen, die Gefangenen zusammenzutreiben. Sie machten auch vor ihr nicht Halt.

    Zitat

    Original von Thula
    Zu allem Übel entdeckte ich dann auch noch eine ‚alte Bekannte‘ unter den Gefangenen wieder – Ygrid! Na toll, dachte ich. Dieses kleine Miststück!
    Sie sah ja ganz schön mitgenommen aus. All das Blut an ihren Klamotten und in ihrem Gesicht. Ihre Augen sahen ziemlich verquollen aus. Etwas Furchtbares musste geschehen sein.
    Sicher, ich hätte mich von ihr fernhalten können. Nachdem sie versucht hatte, mich umzubringen. Aber wie sie da so zusammengekauert saß, konnte sie einem richtig leidtun! Daher entschied ich mich, zu ihr zu gehen und mich neben sie zu setzen. „Yigrid! Was ist passiert?“ Ich wusste ja, dass sie kein Wort, von dem was ich sagte, verstand. Aber vielleicht half es, wenn ich auf die Blutflecken auf ihrer Kleidung deutete.


    Aus der Ferne glaubte Ygrid ihren Namen gehört zu haben. Wie betäubt wandte sie sich um und erkannte - Thula! Ausgerechnet sie! Was wollte sie von ihr?
    Gestern noch hatte sie einen solchen Hass auf diese Frau empfunden, dass sie sie beinahe umgebracht hätte. An ihrer Schläfe konnte man noch deutlich die kleine Platzwunde sehen, wo die Sklavin sie mit dem Stein getroffen hatte. Im Nachhinein hatte sie sich schon gewundert, weshalb Thula sie nicht einfach ertrinken gelassen hatte. Nun stand sie hier vor ihr, statt die Germanin für das zu verachten, was sie ihr beinahe angetan hatte.


    Die Sklavin deutete auf den großen Blutflecken auf ihrer Tunika. Auch wenn Ygrid Thulas Worte nicht verstand, begriff sie schnell, was sie von ihr wollte. "Einar är död!", antwortete sie leise und schluchzte dabei herzerweichend. Die Tränen kullerten wieder stärker über ihr Gesicht. Alles was ihr lieb und teuer war, hatte sie verloren.
    Wahrscheinlich waren auch alle anderen Männer tot. Die meisten Gefangenen waren Frauen. Von den gefangenen Männern kannte sie niemand.
    Niemand war mehr da, der sie trösten oder in den Arm nehmen konnte. Thula war sicher die Letzte, von der sie das erwartet hätte. So konnte sie nur auf ein schnelles Ende hoffen! Was machten die Römer für gewöhnlich mit ihren Gefangenen? Sklaverei? Hinrichtung? Sie hatte davon gehört, wie schrecklich der Tod am Kreuz war. Doch besser tot, als Sklavin sein!

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    Mann, hast du niemand, der bei dir mal aufräumt? ! :D

    Unberührt dessen, was um sie herum geschah, gab sich Ygrid ganz ihrer Trauer hin. Verzweifelt klammerte sie sich an die tote Hülle ihres Bruders und jammerte herzzerreißend. Er war alles gewesen, was von ihrer Familie übriggeblieben war. Nun war sie auf sich allein gestellt. Mitleid von denen, die Einar getötet hatten, konnte sie aber nicht erwarten.


    Nach einiger Zeit riss eine grobe Hand sie von dem Leichnam weg. Daraufhin schrie sie noch lauter und versuchte sich aus dem festen Griff herauszuwinden. Sie biss, kratzte und trat um sich. Aber all das half nichts. Man zerrte sie weiter von ihm weg. Ihr hysterisches Schreien und ihre Tränen beeindruckte niemanden. Dabei sah sie richtig furchterregend aus, denn ihr Gesicht und ihre Kleidung waren blutverschmiert. Das war alles, was ihr von Einar geblieben war.


    Der Soldat hatte sie ein ganzes Stück weit mit sich geschleift, weg vom Kampfgeschehen. Inzwischen schluchzte Ygrid nur noch kraftlos. Sie hatte auch ihren Widerstand aufgegeben. Er brachte sie zu jenen, die man eingefangen hatte. Ihre verquollenen Augen konnten hauptsächlich Frauen erkennen. Auch einige wenige Männer waren dabei, darunter waren Sklaven, die Arwids Männer am Tag zuvor befreit hatten. In ihren Gesichtern stand die Gewissheit geschrieben, was sie erwarten sollte, sobald der Kampf vorbei war. Ein leises Wehklagen und Stöhnen lag über diesem Platz. Einige der Gefangenen waren verletzt. Die Germanin ließ sich resigniert dort nieder, wo man es ihr angedeutet hatte. Still rannen ihre Tränen über ihre Wangen. Ihr Blick ging ins Nichts.

    Einar hatte sich wieder einigermaßen gefangen. Er war bereit zum Kampf, wobei seine Gedanken immer noch um seine Schwester kreisten. Sie nutzte hoffentlich die Gelegenheit, den Reitersoldaten zu entwischen. Ihm selbst war bewusst, dass dies sein letzter Kampf war und dieser für ihn auch tödlich enden würde.

    Er musste nicht lange warten, bis einer der Reiter von seinem Pferd abstieg und sich ihm stellte. Er war ebenso mit einem Schwert bestückt. Der Altersunterschied zwischen ihnen war nicht sehr groß. Sein Gegenüber war nicht älter als 25.
    Es gelang ihm, die ersten Schläge erfolgreich abzuwehren, doch schaffte er es nicht, sich aus der Defensive zu befreien. Schließlich begann er einen folgenschweren Fehler. Er hatte die Wendigkeit seines Gegners überschätzt. Als ihn der tödliche Streich traf, sackte er sofort leblos zusammen.


    Ygrid hatte den kurzen Kampf ihres Bruders beobachtet. Sie war nicht, wie ihr Einar es gesagt hatte, in den unwegsamen Wald hineingelaufen. Ein stieß einen schrillen Schrei aus, als ihr Bruder getötet wurde. Entgegen jeglicher Vernunft rannte sie zu ihm hin, ungeachtet der Reiter, die mit gespannten Bögen auf sie zielten. Vor Einars Leichnam sank sie in die Knie, beugte sich über ihn und begann jämmerlich zu heulen. Sollten sie sie doch auch töten. Es war ihr egal!

    Ygrid war weitergelaufen, so wie es ihr Bruder von ihr verlangt hatte. Doch dann blieb sie stehen, blickte sich nach ihm um und wurde Zeugin dessen, was mit ihm passierte. Mutig hatte er sich den Reitern entgegengestellt und war von einem von ihnen umgerissen worden. "Einar!", schrie sie aus lautem Hals. Aber Einar blieb liegen und regte sich nicht.
    Ygrid konnte ihren Bruder unmöglich dort alleine lassen, solange sie nicht sicher sein konnte, dass er nicht mehr am Leben war. Auch wenn es ihm nicht gefallen würde, was sie jetzt tat, lief sie völlig unbewaffnet zurück zu ihm. "Weg, ihr Schweine!", rief sie den Reitern in ihrer germanischen Muttersprache zu. Als die die gespannten Bögen der Reiter endlich wahrnahm, blieb sie auf halben Wege stehen. Diese Kerle konnten sie ohne mit der Wimper zu zucken auf der Stelle abschießen, wenn sie noch näher kam. Doch dort lag ihr Bruder! Was sollte sie tun.
    Doch da, ihr Bruder bewegte sich. Er war nur benommen liegen geblieben und öffnete nun die Augen. Schnell begriff er, was vor sich ging und sah auch seine Schwester, die wieder zurückgelaufen war. "Hau ab! Verschwinde, du Närrin!", rief er ihr zu, dann griff er nach seinem Schwert, das neben ihm am Boden liegen geblieben war und kam wieder auf die Füße.
    Ygrid blieb wie angewurzelt stehen, die Augen auf ihren Bruder gerichtet.

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    Einar


    Reiter! Es waren Reiter, die sie verfolgten. Wenn Einar richtig gezählt hatte, waren es mindestens zehn berittene Soldaten. Gegen diese Übermacht hatte er keine Chance! Der einzige Weg, wie er und Ygrid hier lebend herauskommen konnten, war noch tiefer in den unwegsamen Wald hineinzulaufen. Denn dort hinein konnten ihnen die Reiter nicht so einfach folgen. Daher drängte er seine Schwester, noch weiter zu gehen, möglichst in die Hecken. Doch ausgerechnet jetzt gewann Ygrids hitziges Temperament wieder die Oberhand "Nein, lass uns hier weg! Du blöder Idiot! Merkst du denn nicht, dass sie uns in eine Falle treiben wollen?" Ygrids Einwand war höchstwahrscheinlich sogar berechtigt, denn im Wald musste es bereits nur so von Soldaten wimmeln.
    "Nein! Verdammte Axt! Du tust jetzt, was ich die sage!" Um ihr zu verdeutlichen, wie ernst es ihm war, schob er sie grob mit der Hand weiter vorwärts. Wieder sah er sich um. Die Reiter waren inzwischen ganz nah. Der Germane stellte sich seinen Feinden und hielt dabei sein Schwert drohend vor sich. Noch einmal wagte er einen versichernden Blick zurück zu seiner Schwester. Sie hatte endlich seine Worte befolgt. Wenn er schon sich nicht retten konnte, doch dann wenigstens seine Schwester!

    Zitat

    Original von Arwid
    Einar
    ...
    Er streifte weiter durch den Wald und rief dabei mehrmals Ygrids Namen. Doch niemand antwortete ihm. Plötzlich blieb er abrupt stehen. Ihm war, als hätte er etwas gehört. Tatsächlich! Ein Geräusch drang an sein Ohr, welches er nicht genau einzuordnen vermochte. Als er sich dem Waldrand näherte, erkannte er in dem Geräusch das Gestampf von hunderten römischer Legionäre und deren Rufen. Wenige Schritte weiter konnte er sie erspähen. Zunächst gebannt von diesem Anblick, beschloss er, das Lager zu waren. Doch dann entdeckte er seine Schwester. „Ygrid!“ rief er und rannte zu ihr.


    Einar hatte seine Schwester fast eingeholt. Ygrid war zurück in den Wald gerannt. Beinahe wäre sie über eine Baumwurzel gestolpert, konnte sich aber gerade noch an einem starken Ast festhalten. Sie sah sich um und erblickte ihren Bruder, der ihr gerufen hatte und nur noch wenige Schritte hinter ihr war. "Wir müssen zurück, die anderen warnen!", rief sie mit gehetzter Stimme. Kaum hatte sie das gerufen, musste sie feststellen, dass die Römer ebenfalls den Weg hinein in den Wald genommen hatten und ihnen bereits ganz dicht auf den Fersen waren und sie sie direkt vor sich hertrieben. Einar griff nach dem Arm seiner Schwester und riss sie mit sich. "Nein! Komm mit!", rief er. Ausnahmsweise folgte diesmal seine Schwester und widersetzte sich seinem Wort nicht, wie sie es sonst so gerne tat.
    Sie mussten einen Unterschlupf finden, wo die Römer sie nicht fanden, um dann zu versuchen, aus dem Wald zu fliehen, wenn die Soldaten sich das Lager vornahmen. Er hoffte nur, die anderen hatten noch rechtzeitig das Lager verlassen können. Sonst waren sie verloren! Gegen diese Übermacht der Römer hatten sie keine Chance.
    Einar schob sie vor sich her. Seine rechte Hand umklammerte sein Schwert. fest entschlossen, das Leben seiner Schwester zu beschützen. Immer wieder sah er sich um, ob ihnen jemand folgte.

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    Zitat

    Original von Centurio Legionis II


    Ygrid musste sich irgendwann eingestehen, dass sie die Spur der Sklavin verloren hatte, wenn sie sie denn überhaupt gefunden hatte. Inzwischen hatte sie sich vollkommen verirrt. Sie konnte auch nicht mehr abschätzen, welche Richtung sie einschlagen musste, um ins Lager zurückzukommen. Ernüchtert blieb sie stehen. Dabei drang ein seltsames Geräusch an ihre Ohren, welches sie nicht genau zuordnen konnte.
    Wie eine Motte, die vom Licht angezogen wurde, folgte sie diesem Geräusch. Bald begriff sie, dass der Krach von Menschen stammen musste, Von sehr vielen Menschen. Ygrid durchstreifte weiter den Auenwald bis sie an dessen Rand gelangte.


    Unweit des Waldrandes verlief eine Römerstraße. Ihre Augen begannen sich zu weiten, als sie erkannte, was dort im Anmarsch war. Unzählige genagelte Sohlen von Legionärsstiefeln vermischt mit einem fremdartigen Gesang verursachten das Geräusch, was sie hierhergeführt hatte.
    Ygrid war wie versteinert und riskierte damit, dass sie entdeckt wurde. 'Renn Mädchen, renn!' spornte sie eine innere Stimme an, die sie fast schon zu spät erreichte. Endlich rannte sie davon. Sie musste ihren Bruder, Arwid und all die anderen warnen!

    Als Ygrid wieder das Bewusstsein erlangte, begann sie heftig zu husten. Ihr Kopf hämmerte so stark. Sie war kaum fähig, darüber nachzudenken, was passiert war und wo sie und dieses Miststück war. Ihre Finger hatten eine blutende Wunde an ihrer Schläfe ertastet. Das war es also. Etwas Hartes hatte sie am Kopf getroffen. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, was es war.


    Sie blieb noch lange am Ufer des Flusses liegen, da ihr immer wieder die Augen zufielen und sie sich nicht im Stande fühlte, aufzustehen. Aber sie musste aufstehen, sie konnte nicht hierbleiben! Alleine schon wegen der verdammten Sklavin, die ihr entwischt war. Sie sah sich nach ihren Sachen um. Sie lagen noch dort, wo sie sie zurückgelassen hatten. Die Germanin robbte dorthin und begann, sich ihre Tunika und die Hose wieder anzuziehen. Zu mehr war sie nicht mehr fähig.


    Die Sonne ging unter, die Nacht brach herein und ein neuer Morgen brach an. Yigrid wurde von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Wenn der neue Tag etwas Gutes gebracht hatte, dann war es die Tatsache, dass ihr Kopf nicht mehr so stark dröhnte. Auch der Schlaf hatte ihr geholfen, wieder neue Kräfte zu sammeln. Noch etwas wacklig auf den Beinen begann sie sich umzusehen. Sie musste sich erst wieder orientieren, da sie nicht mehr wusste, wie sie hierhergelangt war. Bevor sie sich aber wieder unter Arwids Augen wagen konnte, musste sie Thula wiederfinden. Sie versuchte Spuren zu finden, die die Sklavin vielleicht hinterlassen hatte. Dabei lief sie weiter in den Wald hinein.

    Das kalte Wasser des Flusses machte Ygrid nichts aus. Sie war es gewohnt, sich mit kaltem Wasser zu waschen. Ein wenig überrascht war sie schon, als die Andere ihr nachkam.
    Die Germanin watete immer weiter hinein, bis ihr das Wasser hüfthoch stand. Dabei wirkte sie beinahe ausgelassen. Sie lachte und rief Thula zu, wie herrlich das Wasser sei. Nichts deutete darauf hin, was ihre wahren Absichten waren und dass ihre Fröhlichkeit nur gespielt war. Sie winkte Thula, damit auch sie sich noch weiter hineinwagte.


    Ygrid tauchte ein zweimal hinunter ins Wasser. Das kühle Wasser schärfte ihre Sinne, sie war hellwach und wusste genau, wie sie vorgehen musste. Sie ließ sich Zeit, viel Zeit. Dabei tat sie so, als wüsche sie sich. Sie musste einfach nur warten, bis die Andere näherkam.
    In einem Moment der Unachtsamkeit schlug sie zu. Blitzschnell packte sie Thula im Nacken und drückte sie mit aller Kraft unter Wasser. Wie lange noch leistete sie vergeblichen Widerstand, bis ihre umherwirbelnden Arme erschlafften? Wie lange dauerte es, bis das Leben aus entwichen war?

    Zitat

    Original von Thula


    Ygrid hatte gewartet. Stunde um Stunde. Dabei hatte sie wieder mit sich selbst gehadert. Wie gerne wäre sie am Morgen mit den Männer fortgeritten. Aber nein, sie musste ja auf dieses Weibsbild aufpassen. Sie hatte am Abend zuvor genau beobachtet, wie sie Arwid Stück für Stück um den Finger gewickelt hatte. Als er sie schließlich in seine Unterkunft getragen hatte, hätte sie am liebsten schreien wollen. Dieses römische Flittchen nahm sich einfach alles! Ausgerechnet sie sollte jetzt auf sie aufpassen? Nur weil es Arwid verlangte? Wahrscheinlich hatte er es von Anfang an so geplant, sich von Thula verführen zu lassen. Aber was war mit ihr, warum sah er sie denn nicht? War sie nur Luft für ihn? Dabei hatte Ygrid ihm doch schon lange genug Signale gesandt, dass er es war, den sie begehrte! Ihre Eifersucht wuchs und allmählich erwuchs daraus ein wahrhaft perfider Plan.


    Als Thula endlich aus Arwids Hütte kam, fing sie sie kurz darauf ab. „God morgon, slyna! Kom , jag ska visa dig var du kan tvätta!“* Ygrids freundliches Gesicht verschleierte ihre wahren Absichten. Sie bedeutete der Sklavin, ihr zu folgen und gab ihr durch Gesten zu verstehen, dass sie sich waschen sollte. Keiner der Männer, die das Lager bewachen sollten, hielt Ygrid auf, als sie immer weiter in den Auenwald hinein lief. Hin und wieder sah sie sich um, ob ihr Thula auch noch folgte. Sie führte die Sklavin zu einem der Altwasser, welches gemächlich vor sich hin plätscherte. In Ufernähe war es nicht tief. Doch tief genug, um zu ertrinken, wenn man nicht aufpasste - oder geschupst wurde. Als sie längst schon außer Sicht- und Hörweite des Lagers waren, begann sich Ygrid ihrer Kleidung zu entledigen und bedeutete Thula, es ihr gleich zu tun. Dann wagte sie sich vorsichtig in das kühle Wasser des Flusses vor.

    * Guten Morgen, Schlampe! Komm, ich zeige dir, wo du dich waschen kannst!

    Immer wenn sie zu ihr herübersah, versuchte Ygrid ihrem Blick auszuweichen. Als sie aber plötzlich vor ihr stand, war es zu spät, um ihr aus dem Weg zu gehen. Ygrid verstand, was sie ihr mitteilen wollte, schließlich kannte sie ja bereits ihren Namen. Aber aus ihre Gestik schloss sie, dass sie nun auch ihren Namen wissen wollte. Sie überlegte kurz, ob sie sich mit 'einer wie der da' abgeben sollte. Doch dann antwortete sie. "Ygrid." Yigrids Ausdruck hatte sie weder zu einem freundlichen Lächeln entwickelt, noch hatte es den Anschein, als lege sie großen Wert darauf, sich weiter mit Thula abgeben zu wollen. Bestimmt hätte sie einiges von ihr wissen wollen, zum Beispiel wie das Leben unter den Römern denn so war. Einige wenige Eindrücke hatte sie während ihres Aufenthaltes in der Römerstadt sammeln können. Aber das war nur ein kleines Steinchen in einem großen Mosaik. Als sie Thula zum ersten Mal gesehen hatte, waren ihre Haare ordentlich hochgesteckt gewesen. In ihren Kleidern hatte so typisch römisch ausgesehen, genauso wie sie sich immer die Römerinnen vorgestellt hatte. Nicht, dass ihr das gefallen hätte! Ygrid war froh, wieder ihre Hosen tragen zu können. Das unterschied sie von den anderen Frauen, die sich ihnen angeschlossen hatten. Was sie aber letztlich zurückhielt, sich mit Thula zu unterhalten, war die Sprachbarriere.
    Ygrid trank nun auch etwas Wasser. Sie reichte den Becher weiter an Thula. Kurzzeitig verzog sich ihr Gesicht zu einem flüchtigen Lächeln.

    Diese Fremde war ihr von Anfang an suspekt gewesen. Das lag nicht nur daran, dass sie nicht verstand, was sie sagte. Auch sonst empfand sie diese Frau als hochnäsig und eingebildet. Sie glaubte, sie sei was Besseres. Dabei war sie nur eine Sklavin! Umso mehr fiel Ygrid aus allen Wolken, als ihr Bruder ihr Arwids Wunsch vortrug, diese Frau nicht aus den Augen zu lassen. Warum ausgerechnet sie? Aber sie fügte sich, ohne Einar eine Szene zu machen. Sie tat es, weil Arwid es so wollte. Seitdem sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wollte sie ihm gefallen, damit er sie wahrnahm, als das, was sie war. Nicht als Einars kleine Schwester, nein als eine junge Frau, die dazu bereit war, ihm ihr Herz zu schenken. Vielleicht war das ihre Chance.


    Ygrid trat aus ihrer provisorischen Unterkunft heraus und sah sich nach der Fremden um. Sie hatte sich zu einigen Frauen gesellt, die noch dabei waren, die letzten Unterkünfte zu bauen. Missmutig machte sie sich auf den Weg dorthin. Sie hatte nicht ihr Zuhause verlassen, um hier nun mit den Frauen zu arbeiten. Aber sie hatte keine Wahl. Denn wenn sie da sein wollte, wo Arwid war, musste sie sich erst beweisen. Dann war es kein Traum mehr, sie würde an seiner Seite in den Kampf ziehen. Zuerst aber musste sie zum Schatten der Fremden werden. Ganz sicher würde sie ihr Bestes geben, wenn nur Arwid sie endlich bemerkte.


    Sie griff nach einigen Weideruten und flocht diese in die Streben. Bald entstand so eine weitere Wand für die Hütte. Immer wieder schielte sie zu der Fremden hinüber, die ihr Arbeitstempo gefunden hatte und voll bei der Sache war. Die Aufgabe, die ihr auferlegt worden war, widerstrebte ihr bereits jetzt schon. Dieses Weib hatte etwas, was sie nicht in Worte fassen vermochte. Etwas, dass auch Arwid nicht verborgen geblieben war. Wie er sie angesehen hatte, als sie sie entführt hatten. Dabei sah sie nicht mal besonders hübsch aus.