Beiträge von Ygrid

    „Ja, Rom.“ Ygrid nickte mutlos. Rom – dieser Ort hatte immer wie ein drohendes Schwert über ihr geschwebt, welches sie verachtete, doch vor dem sie auch immer Respekt gehabt hatte. Und doch war dieser Ort so unendlich weit entfernt. Nie im Leben hätte sie jemals das Ansinnen gehabt, dorthin gehen zu wollen. Jemals den Limes zu überqueren und mit ihrem Bruder im besetzten Teil Germaniens zu leben, war immer das Höchste gewesen, was in ihrer Vorstellung möglich gewesen war. Einar, ihr Bruder war schon lange tot. Ebenso Arwid und all die anderen, die ihm gefolgt waren. Sie war das letzte Überbleibsel was von Arwids wahnwitzigen Unternehmen übrig geblieben war.


    Der Römer hatte ihr ihre Frage nicht beantwortet. Vielleicht weil er es nicht konnte oder es einfach nicht wollte. Ob er sie so einfach gehen lassen würde, wenn sie wieder richtig zu Kräften gekommen war? Und wohin sollte sie dann gehen? Etwa auch nach Rom? Oder zurück ins freie Germanien, um dort in den Wäldern zu hausen? Denn zurück in ihr Dorf konnte sie nicht mehr. Nicht nachdem, was passiert war!


    „Du lassen mich gehen?“, fragte Ygrid schließlich vorsichtig, um letztendlich auch zu erfahren, ob die nicht doch eine Gefangene der römischen Soldaten war.

    Offenbar kannte keiner der Männer Carbo. Alle zuckten sie mit den Schultern und sahen ratlos aus. Dabei hatte Ygrid geglaubt, dass sich in Mogontiacum alle Leute kannten. Zumal, wenn sie sich recht erinnerte, hatte Carbo ein Amt begleitet, wofür er zuvor gewählt worden war. Anscheinend aber war diese Stadt doch viel zu groß, so dass nicht jeder jeden kennen konnte.


    Doch dann schien der Anführer der Männer mit dem ewig langen Namen einen Geistesblitz zu haben. Norius Carbo. Genau so hatte er geheißen! Ygrid nickte eifrig. "Ja, Norius Carbo! Ich wohnen bei ihm. Aber dann gehen weg. Er auch weg. Jetzt." Nun zuckte auch sie mit den Schultern und die Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit stand ihr wieder im Gesicht. "Nicht wissen, wohin gehen jetzt", fügte sie resigniert hinzu.

    Die Trauer übermannte Ygrid. Lange Zeit hatte sie versucht, den Gedanken an ihre ausweglose Situation zu unterdrücken. Sie hatte sich immer wieder eingeredet, dass irgendwie alles gut werden würde. Carbo war sozusagen ihr letzter Strohhalm gewesen, an den sie gehofft hatte, sich anklammern zu können. Aber Carbo war fort. An seine Stelle waren nun diese Handvoll Soldaten gerückt, die sie gerettet hatten. Die Götter trieben schon ein seltsames Spiel mit ihr!


    Schluchzend wischte sie ihre Tränen fort, als der Soldat unsicher und fragend das germanische Wort für niemand wiederholte. Es war unwahrscheinlich, dass er oder die anderen verstanden hatten, was sie in ihrer Not gesagt hatte. Womöglich hatte er dieses eine Wort verstanden, wenn überhaupt. „Ja, niemand, schluchzte sie.


    Ygrid versuchte sich wieder zu konzentrieren, um zurück ins Lateinische zu wechseln. Natürlich brauchte es seine Zeit, bis sie die richtigen Wörter fand, die einigermaßen ihre Lage beschreiben konnten.
    „Ich kommen mit Bruder. … Vor zwei Jahr. … Bruder … tot. Niemand haben. …Carbo mir helfen. …. Carbo weg!“ Die lateinischen Worte gingen ihr nicht leicht über die Lippen, darum versuchte sie mit Gesten das Gesagte zu unterstützen.

    Wie sehr es einige der Soldaten beruhigte, als Ygrid das Wort „Chatti“ ausgesprochen hatte, konnte sie kurz darauf deutlich hören, als einer der Männer hörbar seinen angehaltenen Atem ausstieß. Ihr Blick schweifte kurz zu ihm. Wäre er ihr vor zwei Jahren begegnet, hätte er so wohl nicht reagiert. Denn dann hätte er vor ihr auf der Hut sein müssen. Doch inzwischen war aus der wehrhaften und selbstbewussten Schildmaid eine trostlose, jämmerliche und bettelarme Gestalt geworden, die nicht wusste, wie sie den nächsten Tag bestreiten sollte.


    Dem Anführer, der sie die ganze Zeit schon befragte, schien das Verhalten seines Mannes nicht so recht zu gefallen, was er mit einem mahnenden Blick deutlich machte. Umso mehr war die Germanin nun auf seine Reaktion ihr gegenüber gespannt. War auch er darüber erleichtert, eine Chattin vor sich zu haben? Vielleicht. Zumindest bohrte er nicht weiter, wie sie hierhergekommen war. Vielmehr wollte er von ihr über ihre möglichen Kontakte und Unterkunftsmöglichkeiten erfahren. Doch damit konnte sie überhaupt nicht aufwarten. Den einzigen Menschen, den sie in Mogontiacum kannte und der ihr hätte Unterkunft bieten konnte, war verschwunden. Aus diesem Grund war sie ja in diese fatale Situation geraten, aus der die Soldaten sie gerettet hatten.
    Ygrid zuckt nur traurig mit den Schultern als Antwort. Ihr fehlten schlicht die Worte, wie sie es ihm auf Latein hätte erklären können. Schließlich liefen ihr Tränen über die Wangen. „Es gibt niemanden, den ich hier kenne. Der, den ich kannte ist weg! Einfach weg! Ich bin allein! Ganz allein! Verloren. Ich habe niemanden mehr!“, brach es schluchzend in ihrer Muttersprache aus ihr heraus, ungeachtet dessen, dass wohl kaum einer der anwesenden Römer sie verstand.


    Sim-Off:

    kursiv = germanisch

    Sobald Ygrid das freie Germanien erwähnt hatte, konnte sie in den Gesichtern der Römer eine Nuance von Misstrauen feststellen. Das gleiche Misstrauen, mit dem sie jedem Römer begegnete, seitdem sie auf der linken Seite des Limes gestrandet war. Andererseits, wieso sollten sich diese Männer vor einem Mädchen, wie sie es war, fürchten? Befürchteten sie vielleicht, sie könnte eine Spionin sein? Doch für wen oder was hätte sie spionieren sollen? Alles was ihr wichtig war, war verloren.


    Der Soldat beließ es natürlich nicht bei der Frage nach ihrer Herkunft und ihres Namens. Als nächstes interessierte er sich für ihren Stamm. Dabei benutzte er einen Begriff aus ihrer eigenen Sprache. Er sprach langsam, so dass sie begriff, was er von ihr wollte. „Chatti“, antwortete sie und deutete dabei auf sich selbst. Vielleicht beruhigte diese Antwort wieder die Gemüter der Männer, denn die Römer und Chatten hatten vor einigen Jahren einen Bund miteinander geschlossen. Ob sich jedoch daran in der Zwischenzeit etwas geändert hatte, konnte sie nicht sagen.

    Dass die Fragen nach ihrer Person und Herkunft nicht ausbleiben würden, hatte sich Ygrid schon gedacht. Zu fragen, wer sein Gegenüber ist, lag eben einfach in der Natur des Menschen. Dabei spielte es auch keine Rolle, ob derjenige Römer oder Germane war. Dem Römer gegenüber hatte sie noch immer einige Ressentiments, die die junge Germanin so einfach nicht ablegen konnte. Sicher, dieser Römer war nett und freundlich. Wenn er und seine Männer sie nicht gerettet hätten, dann wäre sie mit größter Wahrscheinlichkeit nun tot gewesen. Also war es ihm alleine schon aus diesem Grund nicht schon zu fragen gestattet, wen er denn da gerettet hatte? Außerdem hatte er ihr ja selbst auch seinen Namen offenbart. Wobei Ygrid mit der Bezeichnung ‚Tribun der Legio‘ recht wenig anfangen konnte, weshalb sie sie für einen weiteren Namen hielt. Diese Römer hatten ja die Unsitte scheinbar unendlich viele Namen zu tragen. Das hatte sie auch gelernt, seitdem sie auf der römischen Seite des Rhenus lebte.
    Nach einem kurzen Zögern, weil sie auch nach den rechten Worten suchen musste, antwortete sie schließlich: „Mein Name… Ygrid.“ So deutlich wie möglich sprach sie den für römische Ohren fremdklingenden Namen aus. Dabei deutete sie auf sich. „Ich kommen von andere Seite. Freie Germanien“, antwortete sie weiter und versuchte dabei so normal wie möglich zu klingen. Noch waren ihre Antworten recht unverfänglich. Letztendlich überquerten tagtäglich unzählige Menschen den Limes, um ihr Glück im römischen Imperium zu suchen. Manchmal scheiterten sie eben auch dabei.

    Noch ehe Ygrid wieder in die Kammer zurückweichen konnte, hatte man sie bereits entdeckt. Offenbar waren einige ihrer Retter in der Taberna geblieben und „bewachten“ sie nun. Einer von ihnen trat ihr entgegen und sprach auf sie ein. Die meisten seiner Worte verstand sie, so dass sie den Sinn dahinter ergründen konnte. Der Soldat freute sich offensichtlich über ihr Überleben. Weshalb, konnte sie sich nicht richtig erklären. Womöglich wollte er Rache nehmen für das, was sie und die anderen damals, vor über einem Jahr angerichtet hatten. Doch zunächst wollte er sie mit an seinen Tisch führen, an dem auch die anderen Soldaten saßen. Er glaubte, dass sie Hunger hatte. Und damit hatte er vollkommen Recht! Sie war hungrig. Und wie sie hungrig war! Vollkommen ausgehungert. Seit Tagen hatte sie nichts mehr Richtiges gegessen. Einen verschrumpelten Apfel und ein Stück trockenes Brot waren alles gewesen, was ihr der Bauer gegeben hatte, bei dem sie untergekommen war. Aber ihren Proviant hatte sie schon vor Tagen verbraucht.


    So ging Ygrid, wenn auch zögerlich, mit ihm, in der Hoffnung etwas zu essen zu bekommen. Der Anblick der Soldaten ließ sie immer noch erschaudern. Wieder glaubte sie, immer noch in ihrem Traum zu sein, in dem alles irgendwie verquer war. In dem römische Soldaten plötzlich Lebensretter waren und sie freundlich behandelten, ja sogar ihren Hunger stillen wollten.


    Als sie den Tisch erreichte und die Soldaten mit ängstlichen Blicken musterte, kam der Wirt mit einem Teller dampfenden und wohlduftenden Breis und stellte ihn vor ihr ab. Bei diesem Anblick lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie überlegte kurz, was sie tun sollte. Noch einmal sah sie fragend in die Gesichter der Soldaten. Dann entschloss sie sich zu setzen, nachdem kein Einwand gekommen war, begann sie den Brei mit einem Löffel hinunterzuschlingen obwohl er noch so heiß war.
    Nachdem sie beinahe die Hälfte gegessen hatte, fragte sie sich, was wohl der Preis dafür war. Sicher würden die Soldaten sie nicht einfach so wieder gehen lassen. Vielleicht wussten sie sogar bereits, wen sie vor sich hatten. Und wenn nicht, was sollte sie ihnen erzählen? Etwa die Wahrheit? Oder ein weiteres Lügengespinst, in dem sie sich heillos verheddern konnte. Eigentlich wollte sie nicht mehr weglaufen. Vielleicht würde man ja gnädig mit ihr sein.


    Nach dem letzten Bissen ließ sie satt und zufrieden den Löffel sinken und legte ihn in den leeren Teller zurück. „Danke für Essen!“, kam es leise mit starkem chattischen Akzent aus ihrem Mund.

    Seltsam behutsam gingen sie mit ihr um, so hätte man sicher am ehesten das Verhalten der Soldaten beschreiben können. Ygrids Erfahrungen mit Militärangehörigen der römischen Armee hatten sich bisher nur auf kriegerische Auseinandersetzungen und deren Folgen für die Besiegten beschränkt. Sie bot ihre letzten Kräfte auf und ließ sich hinausführen. Alles um sie herum erschien ihr so unwirklich. Das mussten die Auswirkungen ihrer Unterkühlung sein! Am Ende träumte sie das alles nur und in Wirklichkeit lag sie noch immer draußen auf der Straße und erfror langsam. Nur so konnte sie es sich erklären, dass die Soldaten sie nicht aus der Taberna führten, um sie wieder in den Carcer zu sperren, sondern in eine warme Kammer, sie anscheinende extra für sie hergerichtet worden war. Die Frau aus dem Schankraum, die hinkende Bedienung, war auch dort. Sie half ihr aus ihren nassen Kleidern, trocknete ihren Leib und lächelte ihr freundlich ins Gesicht. Scheinbar wie aus dem Nichts hatte sie frische Kleidung gezaubert. So wie sie es von zu Hause gewohnt war. Germanische Kleidung! Nicht dieses römische Zeug.
    Der Geruch der sauberen Kleidung und die Wärme, die in der Kammer herrschte verschafften ihr etwas Linderung. Den Rest besorgte ein tiefer erholsamer Schlaf, in den sie recht bald fiel, nachdem man sie behutsam auf ein Lager bettete.



    Auf die Frage, wie lange sie denn nun geschlafen hatte, konnte sie keine Antwort geben. Ob es nur ein paar Stunden waren oder mehrere Tage waren. Die Erinnerungen jedoch, die sie an jenen Abend bei sich trug waren verschwommen und ganz unwirklich. Fakt jedoch war, dass Ygrid, als sie irgendwann aufwachte, sich in einer geheizten Kammer wiederfand, gekleidet in einfacher aber sauberer und intakter germanischer Kleidung. Es war also nicht alles ein Traum gewesen. Was aber hatte es mit den römischen Soldaten auf sich? Hatten sie Ygrid wirklich gerettet und wenn ja, weshalb?


    Kurzerhand wand sie sich aus den Decken heraus und versuchte aufzustehen. Noch fühlte sich Ygrid etwas schwach auf den Beinen, doch ihr Körper verlangte nach Nahrung. Vorsichtig und fast lautlos begab sie sich zur Tür und versuchte diese, erst einen Spalt und sie dann immer weiter zu öffnen, bis sich schließlich aus der Kammer hinausschieben konnte. Draußen hörte sie Stimmen – römische Stimmen.

    Inzwischen hatte Ygrid nahezu die ganze Aufmerksamkeit der Schenkenbesucher und des dort beschäftigten Personals auf sich gezogen. Dem einen oder anderen mochte es gleich sein, was mit ihr geschah. Schließlich war sie eine Fremde und ihrem zerlumpten Äußeren nach zu urteilen, womöglich eine entlaufene Sklavin oder noch Schlimmeres. Manch andere aber fieberten mit ihr, ob sie es schaffen würde.


    Der warme Würzwein löste dann doch noch eine Reaktion aus. Die sich ausbreitende Wärme holte Ygrid wieder von jenem Punkt zurück, an dem sie sich befunden hatte - zurück ins Leben. Vorsichtig öffneten sich ihre Augen einen Spalt weit, so dass das schummrige Licht hineinfallen konnte. Sie sah zunächst alles verschwommen, doch mit der Zeit zeichneten sich Gesichter ab. Gesichter von Fremden, Gesichter von Männern, die in der Sprache der Römer sprachen und deren Sinn sie im Augenblick noch nicht erfassen konnte. Sie gab ihrerseits einige unverständlich gemurmelte Worte von sich. Wenn man genau hinhörte, so konnte man daraus germanische Wortfetzen entnehmen, im Dialekt gesprochen, dem man sich nördlich der Laugona* im Siedlungsgebiet der Chatten bediente. Stück um Stück kam ihr Bewusstsein wieder und sie realisierte langsam, dass sie auf etwas Hartem lag. Warme Decken waren um ihren Leib geschlungen. Die Männer, die um sie herumstanden und besorgte Gesichter machten, waren nicht irgendwelche Männer. Es mussten… nein, es waren römische Soldaten! Diese Erkenntnis löste Furcht und Entsetzen in ihr aus. Ihre Augen weiteten sich, sie wollte nur weg von hier! Doch sie war nicht fähig, etwas zu tun. Die Decken, die sie nun wärmten, waren gleichzeitig wie Fesseln, die sie an Ort und Stelle bannten. Jetzt, über ein Jahr nach ihrem Ausbruch aus dem Carcer, war man ihr doch noch habhaft geworden. Alles war umsonst gewesen. Die abenteuerliche Flucht, die Zeit bei Carbo und alles andere. Tränen begannen ihre Augen zu füllen. Doch sie wollte nicht heulen und jammern oder gar um Gnade betteln. Diesmal würde sie sich ihrem Schicksal ergeben.


    Natürlich hatte Ygrid nicht erfassen können, was inzwischen im Hintergrund geschehen war. Dass man für sie eine geheizte Kammer organisiert hatte und dass eines der Mädchen, wohl auch eine Germanin von „drüben“, die für den Wirt arbeitete, ihr Kleidung – germanische Kleidung, gespendet hatte.
    Als die Soldaten, die um sie herum standen, nun Andeutungen machten, sie solle sich doch erheben, nickte sie gefasst. Hände in ihrem Rücken halfen ihr auf, bis sie aufrecht auf dem Tisch saß. Sie brauchte einen Moment, denn sie spürte ein Schwindelgefühl und Beklommenheit. Einer der Männer hob sie vom Tisch und stellte sie auf ihre Füße. Als ihre Beine drohten einzuknicken, griffen starke Hände nach ihren Oberarmen, um sie festzuhalten. Ygrids Blick sank, sie wollte sich nicht mehr wehren, sondern ergab sich, ganz gleich wohin man sie nun brachte und was man mit ihr dort vorhatte.


    *= Lahn

    Von den nahenden Rettern bekam Ygrid nichts mehr mit. Besinnungslos lag sie da. Möglicherweise spielten sich in ihrem Kopf gerade die letzten Bilder ihres Lebens ab, so wie man es manchmal schon von Sterbenden gehört hatte, die dann doch auf wundersame Weise wieder ihren Weg ins Leben zurückgefunden hatten. Vielleicht waren da wieder ihr Bruder, dessen Knochen inzwischen längst in den Rheinauen verblichen waren, oder ihr Haus und das Dorf, drüben auf der anderen Seite im freien Germanien. Vielleicht waren da auch ihre Eltern, die ihr zulächelten und sie ermutigten, doch endlich loszulassen.


    Ihre Retter hatten sich entschlossen, sie in die nächstgelegene Schänke zu bringen. Womöglich sogar die, die sie ursprünglich für sich selbst und ihren feuchtfröhlichen Abend auserkoren hatten.
    Der leblose Körper wurde auf einen Tisch gelegt und in warme Decken eingewickelt. Der dickbäuchige Wirt hinter dem Schanktisch beobachtete einen Moment die aufkommende Hektik in seiner Schenke, dann reagierte er und goss warmen Würzwein in einen Becher, den eine hinkende Bedienung, die bereits ihre besten Jahre hinter sich hatte, den Soldaten an den Tisch brachte. Er selbst trat auch gemächlich hinter seinem Tresen hervor und watschelte zielstrebig zu dem Tisch hinüber, um einen Blick auf das Mädchen werfen zu können. Während die Bedienung den Becher mit einem „Bitteschön!“ überreichte, konnte der Wirt erleichtert feststellen, dass das junge Ding keines seiner Mädchen war. Besonders die neuen unter ihnen, die noch nicht so gefügig waren, versuchten in den ersten Tagen zu fliehen. Doch noch keiner war wirklich die Flucht gelungen. Spätestens nach ein oder zwei Tagen hatte man sie wieder eingefangen oder sie waren freiwillig wieder zurückgekommen. Aber die hier gehörte nicht zu ihm, obgleich sie gar nicht so schlecht aussah. Falls sie überleben sollte, konnte er immer noch den obersten der Soldaten fragen, ob man sie ihm nicht doch überlassen konnte. Für eine gewisse Summe natürlich.


    Die Bedienung blieb ebenfalls am Tisch stehen, um abzuwarten, ob der Würzwein seinen Zweck erfüllte, nachdem man ihm dem Mädchen eingeflößt hatte. Und in der Tat, das warme anregende Getränk rann sanft in Ygrids Kehle hinab und begann sogleich wieder ihre Lebensgeister zu wecken. Auch die warmen Decken trugen ihren Teil dazu bei, dass das Leben allmählich wieder in die Glieder des jungen Mädchens zurückkehrte. Die Götter hatten sich also entschieden, das Menschenkind sollte leben! Hin und hergeworfen in jener fremden Welt. Sie waren es längst noch nicht überdrüssig, weiter mit ihr zu spielen.


    „Vielleicht sollte einer mal ihr die nassen Klamotten ausziehen, sonst holt sie sich doch noch den Tod!“, schlug die hinkende Bedienung vor, nachdem sie beobachtet hatte, wie sich die Augenlider des Mädchen bewegt hatten und sie zusehends wieder zu sich kam.

    Um Ygrid herum war Stille. Ihre Glieder entspannten sich und die Kälte wurde zusehends bedeutungslos. Sie wehrte sich nicht länger dagegen, sondern sie ließ alles geschehen. Ausruhen… nur nicht dagegen ankämpfen! Schlafen und vielleicht auch sterben.


    Die Schneeflocken legten sich sanft auf ihre Kleidung. Anfangs schmolzen sie sogleich und wurden von dem Stoff aufgesogen. Doch nach einer Weile verharrten sie in ihrer Form, Seite an Seite. Mors wollte schon ihre Klauen nach ihr ausstrecken. Doch die Götter schienen die junge Germanin nicht einfach so hergeben zu wollen.


    Es war nicht unbeobachtet geblieben, als sie zu Boden gesunken war. Ausgerechnet die, vor denen sie sich am Meisten gefürchtet hätte, wäre sie noch bei Bewusstsein gewesen, waren zu Zeugen geworden. Zu welch bizarrem Spiel ließen sich die Götter hier nur hinreißen? Sie machten die Menschen zu ihren Spielbällen, ganz wie es ihnen beliebte. So lag es nun ein weiteres Mal an den römischen Offizieren, ob jenes germanische Mädchen weiter lebte oder doch noch in Mors Fänge geriet.
    Ygrid selbst bekam nicht das Geringste davon mit. Unter ihrem nassen löchrigen Umhang würde man ein schlafendes rothaariges bleiches Mädchen vorfinden, dessen Anblick wohl kaum jemanden gleichgültig ließ. Ihr Atem ging langsam und gleichmäßig. Ihr Pulsschlag hatte sich schon verlangsamt. Noch war es nicht zu spät.

    Die ersten Schneeflocken waren in der Nacht gefallen und noch immer tänzelten sie still zu Boden. Draußen auf den Feldern war der Schnee liegen geblieben, doch auf der Straße hatte sich ein schmutzig-brauner, glitschiger Matsch gebildet. Ygrid schlang den löchrigen Fetzen, der ihr als Mantel diente, noch enger um ihren schmalen Körper. Ihre Finger waren rot vor Kälte. Die Sohle der Schuhe, die sie an ihren Füßen trug, war löchrig. Das führte dazu, dass der Matsch in ihre Schuhe eindringen konnte und sich ihre Füße langsam wie Eisklumpen anfühlten.


    Im Nachhinein musste sie sich eingestehen, dass es eine dumme Idee gewesen war, Mogontiacum und ihren Retter zu verlassen. Eigentlich wollte sie „nur mal kurz“ in die Stadt gehen. Doch bald hatte sie erkannt, dass die Stadt noch immer fremd und gefährlich für sie war. Sie war ein Fremdkörper, den – wenn man ihn entdeckte, sofort entfernen würde. Auf keinen Fall wollte sie zurück in den Carcer! Zu Hause im freien Germanien gab es aber auch nichts mehr, wohin sie hätte gehen können. Als sie schließlich zu Carbo zurückkehren wollte, wurde ihr klar, dass sie sich verirrt hatte.


    Einige Tage hatte sie sich in der Stadt herumgetrieben, dann war es ihr irgendwie gelungen, ihr den Rücken zu kehren. Draußen auf dem Land fühlte sie sich wohler und sicherer. Dort konnte sie sie sich besser verständigen und die Leute dort nahmen sie auf, ohne viele Fragen zu stellen.
    Sie war bei Bauern untergekommen und bot sich ihnen als Arbeitskraft an. Im Gegenzug erhielt sie Kost und Logis. Vom Frühjahr bis in den Herbst gab es auf den Feldern viel zu tun. Der Winter gestaltete sich meist etwas ruhiger. Über ein Jahr hatte sie so gelebt. Doch Norius Carbo, ihren Retter, hatte sie in all dieser Zeit nicht vergessen. Wie es ihm wohl ging und wie er sich gefühlt hatte, nachdem sie fort gegangen war. Solche Fragen hatte sie sich immer wieder gestellt. Ihr Gewissen, etwas Schlechtes getan zu haben, nagte an ihr, bis sie schließlich nicht mehr anders konnte und die Bauersleute, die ihr Unterschlupf geboten hatten, verließ.


    Der Wintereinbruch hatte sie überrascht. Völlig durchgefroren und nass vom Schnee, der auf ihre Kleidung gefallen war, schwand ihre Hoffnung, jemals Mogontiacum lebend zu erreichen. Jeder Schritt wurde mal zu mal schwerer und schmerzhafter. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Ygrid aufgeben musste.
    Glücklicherweise hatte ein Fuhrmann, der sie mit seinem Wagen an ihr vorbei gefahren war, Erbarmen und hielt an. Er nahm sie auf seinem Wagen mit und gab ihr von seinem Reiseproviant etwas ab. Gemeinsam erreichten sie schließlich Mogontiacum, wo sich ihre Wege wieder trennten.
    Da sie inzwischen gelernt hatte, etwas besser zu verständigen, frage sie sich durch, um zur Unterkunft ihres damaligen Retters zu kommen. Schließlich hatte sie das Haus gefunden, in dem sie vor über einem Jahr mit Norius Carbo gewohnt hatte. Doch ihre Hoffnungen wurden ein für alle Mal zerstört, als sie erfuhr, dass er fort war. Weg! Auf Wanderschaft nach Rom!


    Nun war sie wirklich verloren! Entkräftet sank sie zu Boden und blieb einfach liegen. Sollten die Götter nun entscheiden, wie ihr weiteres Schicksal aussah.


    Sim-Off:

    Wer will, der darf! :D

    Ygrid war am Abend viel zu müde gewesen, um darüber nachzudenken, was Carbo da von dieser Wahl zum Sprecher seines Bezirks faselte. Auch wenn man es ihm nicht unbedingt ansah, war wohl doch eine Art Krieger oder zumindest ein angesehenes Mitglied dieser Stadt, wenn er sich zur Wahl stellte und damit rechnen konnte, gewählt zu werden. In ihrer Heimat durften nur freie Männer und Krieger im Thing sprechen.
    Das Einzige, was der Germanin Kopfzerbrechen bereitete war Carbos Erwähnung der Thermen. Sie hatte schon Gerüchte davon gehört, von den römischen Bädern. Unter anderem, dass sie die römische Lebensweise schlechthin darstellten. Ygrid war weit davon entfernt, eine Römerin zu werden oder sich auch nur die römische Lebensweise anzueignen. Viel lieber wollte sie sich unten am Fluss waschen, statt in diese Thermen zu gehen. Aber die Müdigkeit hatte sie nun endgültig erfasst und zog sie mit sich hinfort. Sie musste das Thema „Waschen“ auf morgen vertagen. Ihre Augen fielen ihr zu. Es dauerte keine zehn Minuten, bis sie in einen tiefen friedlichen Schlaf fiel. So lange war es her, seitdem sie sich völlig unbesorgt schlafen konnte. Sie fühlte sich sicher und geborgen. Letztendlich war Carbos Bett tausendmal bequemer als das Lager aus stinkendem vergammeltem Stroh im Carcer.


    Der nächste Morgen begann und Ygrid schlief noch immer. Sie hatte nicht mitbekommen, als Carbo das Zimmer verlassen hatte und sie schlief immer noch als er wieder zurückkam und wie ein Wasserfall zu plappern anfing. Schließlich begann sie sich zu recken und zu strecken, öffnete langsam die Augen und begann herzhaft zu gähnen. „Ach schön… freut mich… für dich,“ meinte sie noch halb schlaftrunken. Doch dann wurde sie munter und setzte sich ruckartig auf, als Carbos letzter Satz endlich bei ihr angekommen war. „Wir ziehen um? Wohin denn?“

    Ygrid sah ihren Gastgeber mitleidig an. „Wie schrecklich!“ antwortete sie. Keine Familie zu haben war schon hart! Allerdings merkte sie auch, dass er müde war. Zumindest schien er im Augenblick keine weiteren Fragenmehr beantworten zu wollen. Bestimmt würde es am nächsten Tag dazu noch eine Gelegenheit geben.


    Sie wandte sich von Carbo ab, damit sie sich endlich anziehen konnte. Danach machte sie sich über das Brot, den Käse und die Wurst her, die ihr Carbo gebracht hatte. Endlich wieder etwas Anständiges zu essen! Wie sie das vermisst hatte.
    Während sie einen weiteren Happen in ihren Mund schob, sprach Carbo weiter. Wenn sie ihn richtig verstanden hatte, sollte sie Latein, die Sprache der verhassten Römer lernen. Zwar klang es ganz einleuchtend, was er sagte, doch die Vorstellung alleine, schien ihr den Appetit zu verderben. „Iff soll Lafein lernen?“, rief sie skeptisch mit vollem Mund, und spülte alles mit dem Bier hinunter. Natürlich wusste sie, dass dies am besten war, wenn sie länger hier blieb, denn wie hätte sie denn alleine nach Hause zurückkehren können, nach allem, was passiert war. Außerdem hatte Arwid ja auch diese Sprache gesprochen. Ein Umstand, der ihm sehr weitergeholfen hatte „Meinst du, du kriegst das hin? Ich meine, wenn du mein Lehrer sein willst.“ Ygrid konnte sehr eigensinnig und stur sein, wenn ihr etwas nicht passte. Carbo würde starke Nerven für sie brauchen!

    Sie nickte ihm dankend zu und senkte dann kurz ihren Blick. Das schlimmste war ja, sie hatte Einar nicht einmal richtig beisetzen können. Seine Gebeine lagen wahrscheinlich immer noch irgendwo in diesem verdammten Auenwald und verrotteten dort.
    Aber was war mit Carbos Familie passiert? Und wieso lebte er nicht mehr bei seinen Leuten? Sie musste wieder an Arwid denken, der ihr erzählt hatte, was die Römer mit ihm und seiner Familie gemacht hatten. War Carbo etwas Ähnliches zugestoßen?


    Er schaute sie immer noch so intensiv an, als wolle er sie ergründen. Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, begann er von seiner Familie zu sprechen und berichtete ihr, dass niemand mehr übrig war außer ihm selbst. Ygrid konnte ihm nachfühlen, wie schwer es war, niemanden mehr zu haben und in der Fremde leben zu müssen.
    „Waren das die Römer?“, fragte Ygrid nach einer Weile mit trockener Kehle, denn seiner Familie musste sicher ein Unglück getroffen haben. Und dass er nun hier lebte, kam sicher auch nicht von ungefähr, denn sie konnte es sich nicht vorstellen, dass jemand freiwillig unter Römern lebte.


    Im nächsten Moment tat es ihr wieder leid, dieses Thema angeschnitten zu haben. Vielleicht riss sie damit nur unverheilte Wunden von neuem auf. Vielleicht war es jetzt einfach besser, alles auf sich beruhen zu lassen und jetzt schlafen zu gehen. Doch vorher musste sie unbedingt noch einen Happen essen!

    „Norius Carbo“, wiederholte sie den für sie seltsam anmutenden Namen. Aber nicht nur der Name war seltsam, auch die Tatsache, er sei ein Einzelkind. Normal war das nicht. Wahrscheinlich war seiner Familie irgendetwas Schlimmes zugestoßen. Jeder, der eine Familie gründete, tat gut daran, viele Nachkommen zu zeugen. Viele Kinder zu haben war nicht nur ein Statussymbol, sondern auch eine gute Altersabsicherung, schließlich starben auch viele der Kinder, bevor sie überhaupt erwachsen waren. „Ah, das tut mir aber leid!“, meinte sie mitleidvoll. Dabei war ihr ja selbst etwas Schlimmes widerfahren. „Ja, ich hatte eine Schwester, aber die ist schon als Kind gestorben. Einen Bruder hatte ich auch. Aber er ist auch tot.“ Eine Träne rollte plötzlich über ihre Wange, als der Chattin bewusst wurde, wie lange sie nicht mehr über Einar gesprochen hatte. Manchmal träumte sie nachts von ihm. Von ihrem letzten gemeinsamen Tag und von den besseren Tagen zu Hause in ihrem Dorf, jenseits des Limes.


    Carbo kniete sich vor eine Truhe und holte einige Kleidungsstücke hervor. Natürlich waren es Kleidungsstücke für einen Mann. Hätte Carbo ihr auch Frauenkleider anbieten können, hätte sie dies sicher sehr befremdlich gefunden. Als Ygrid die Hosen sah, war bereits ihre Wahl getroffen. Sie hatte nichts für römische Kleidung übrig. Also nahm sie sich die Hose und das passende Oberteil. „Ist nicht schlimm, diese komischen Römerklamotten sind eh nicht mein Fall!“, entgegnete sie mit einem Lächeln. Dabei sah er ihr so eindringlich in die Augen, dass es ihr fast unangenehm war. „Ähm, ist was?“, fragte sie verlegen.

    „Ach echt?!“, platze es ganz verblüfft aus Ygrid heraus. Ihr Blick ruhte noch einen Moment auf ihm. Ganz schön seltsam, dieser Vogel, dachte sie sich. Nicht nur, dass er bisher noch nie eine nackte Frau gesehen hatte, nein, er hatte sie als sehr schön bezeichnet. Wie es aussah, war er sogar ganz hin und weg von ihr. Das verwirrte die junge Germanin sehr, denn so etwas hatte ihr noch niemand gesagt. Ihr Bruder hatte ihr manchmal ein Kompliment gemacht, wenn sie besonders geschickt bei der Jagd gewesen war. Sie war eben seine kleine Schwester gewesen und ihr Aussehen war für ihn nebensächlich gewesen. Nicht einmal Arwid hatte ihr etwas Vergleichbares gesagt. Aber wie sie nun wusste, hatte er auch nichts für sie empfunden.
    Ygrid wusste nicht, ob sie sich nun bedanken sollte oder besser schwieg. „Hast du keine Schwester?“, fragte sie, um ihre Verlegenheit zu überspielen und sich aus der Situation zu retten.


    Sie versuchte sich mit dem feuchten Handtuch zu bedecken, als er dann aufstand und das Zimmer betrat, um ihr etwas zum Anziehen zu geben. Ihm war es offensichtlich auch sehr peinlich, denn er wagte es nicht, sie auch nur einen Moment lang anzusehen. Stattdessen starrte er den Boden an und verbarg er seinerseits etwas mit seiner Hand. Offenbar eine Reaktion, die ihre Nacktheit bei ihm erzeugt hatte. „Ähm,…“ Nein, sie schwieg besser, bevor es noch peinlicher wurde! Sie folgte ihm einfach. „Wie heißt du eigentlich?“

    Sie beachtete ihn nicht weiter und begann sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen und schloss dabei die Augen. Mit ihren Händen versuchte sie wenigstens den gröbsten Dreck wegzuwischen.
    Als sie die Augen wieder öffnete, riskierte sie einen Blick zu ihrem Retter. Er stand immer noch da und machte große Augen, als habe er noch nie eine nackte Frau gesehen. Wie hieß er eigentlich? Bevor sie ihn fragen konnte, stürzte er plötzlich zur Tür hinaus. Sie schüttelte nur den Kopf und wusch sich weiter.


    Ygrid war mit einem älteren Bruder aufgewachsen und natürlich hatte sie ihn auch irgendwann einmal nackt gesehen, genauso wie er sie auch irgendwann einmal nackt gesehen hatte. Das war für sie alles normal gewesen. Arwid war der erste Mann gewesen, für den sie etwas empfunden hatte. Unglücklicherweise, war dies nicht auf Gegenseitigkeit gestoßen. Womöglich lag es daran, weil sie zu hässlich war. Sie hatte sich nie etwas aus schönen Kleidern gemacht, sondern hatte sich lieber wie ein Mann gekleidet, um mit ihrem Bruder auf die Jagd gehen zu können. Eigentlich hatte sie es immer als lästig empfunden, ein Mädchen zu sein.


    Nachdem sie sich gewaschen hatte, suchte sie nach etwas, was sie sich überziehen konnte. Die dreckigen Fetzen wollte sie keineswegs wieder überstreifen. Auch das Tuch, mit dem sie sich abgetrocknet hatte, war feucht und daher unbrauchbar, um sich damit zu umhüllen. Schließlich ging sie, so wie sie war, zur Tür, öffnete sie und streckte den Kopf hinaus. Dort fand sie ihren Gastgeber am Boden kauernd, seinen Kopf in seinen Händen vergragen „Ähm, ist irgendwas? Geht es dir nicht gut? Hey, hast du was zum Anziehen für mich?“

    Bangend beobachtete sie ihn, wie er sich mit einem simplen Stück Draht an das Schloss ihrer Fußkette machte. Als es sich dann endlich öffnete und ihr Fußgelenk wieder frei gab. Dort wo das Eisen gesessen hatte, war ihre Haut aufgeschürft. Doch das kümmerte sie im Augenblick nicht im Geringsten. Sie war wieder frei!


    Ja, heute war tatsächlich ihr Glückstag! Ihr Retter brachte ihr schließlich noch eine reichliche Wahl an Köstlichkeiten, die sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen, geschweige denn gegessen hatte. Auch eine Schale mit Wasser brachte er, damit sie sich von all dem Schmutz befreien konnte.
    Das Essen roch verführerisch gut, doch sie entschied sich dafür, sich zunächst zu waschen. Ihr Retter sprach scheinbar unentwegt weiter, von Dingen, sie sie nicht verstand, doch im Augenblick war ihr das egal. Lediglich seine Frage ließ sie aufblicken. Nicht dass sie prüde gewesen wäre, sich jedoch vor einem Fremden Mann auszuziehen, der sie zwar gerettet hatte, den sie aber gerade mal eine Stunde kannte, fand sie nun doch unpassend. Oder aber war er darauf aus, sie nackt zu sehen, sozusagen als „Bezahlung“? Das widerstrebte ihr zwar, allerdings fand sie, sie sei nicht in der Position, auch noch Forderungen zu stellen. „Wie du willst,“ erklärte sie zögerlich und begann langsam die Fetzen über ihre Schultern zu streifen.