Zu dumm! Azita war so kurz davor, aber nein, ihr "Retter in der Not" ging in letzter Sekunde dazwischen. Dabei wäre jetzt die beste Gelegenheit gewesen, um dem Bewusstlosen die Nadel genau an der Stelle am Hals zu platzieren, wo das Gift seine volle Wirkung hätte entfalten können. Hals und Zunge wären augenblicklich angeschwollen (ähnlich wie bei allergischen Reaktionen auf Wespenstiche) und man hätte nur noch langsam bis 10 zählen müssen und dabei zusehen, wie Varro an seiner eigenen Zunge erstickt wäre. Schade! Aber was nicht ist kann ja noch werden, dachte sich Azita und deshalb ließ sie das Strampeln und Kreischen recht bald sein. Gegen die Kraft des Mannes hätte sie ohnehin keine Chance gehabt. Blieb nur die Frage, woher der Mann und seine Begleiter so plötzlich gekommen waren, doch Azita entschied, dass es besser wäre (vorerst) nichts zu sagen und genau das zu tun, was Mann von ihr verlangte.
Die Nadel ließ Azita unbemerkt wieder in ihrem Armreif verschwinden und als Lyciscus sie erneut hoch hob und schulterte, wehrte sie sich nicht. Wenn er sie unbedingt tragen wollte, warum nicht? Etwas unbequem zwar, aber mal eine lustige Abwechslung von einem so starken Mann - naja so gut wie "auf Händen" - getragen zu werden. Von ihrem Helden sozusagen, der sie aus dem Feuer gerettet hatte und in dessen Schuld sie somit stand.
Kurze Zeit später konnte Azita ihr Glück kaum fassen! Ihr Held hatte sie geradewegs zu der Aurelia gebracht. Ihrer Herrin! Sie war Azita´s ganze Hoffnung, endlich aus diesem Kaff weg zu kommen. "Rom ich komme! - Juchu!!!!!" Vorausgesetzt natürlich, dass es ihr gelänge die Aurelia von ihren "Qualitäten" zu überzeugen. Das hieß also zur Abwechslung mal die brave und gehorsame Sklavin spielen. Na gut - auch wenn es ihr schwer fiele - so eine Chance bekäme sie so schnell nicht wieder.
Einziges Problem: Der alte Bock! Nur Varro könnte in der in letzter Sekunde alle Hoffnung zunichte machen, wenn er der Aurelia seine Version der Geschichte erzählen würde und ihr von den zahllosen Eskapaden berichten würde, die sich Azita geleistet hatte. Würde die Aurelia ihm mehr Glauben schenken? Besser wäre es wohl, wenn es gar nicht mehr dazu käme, nur wie sollte sie as verhindern? Azita warf flüchtig einen vernichtenden Blick auf den Bewusstlosen und vertagte die Lösungsfindung auf später.
Zuerst galt es die Aurelia um den Finger zu wickeln und wie Azita es von Zuhause her gewohnt war, knieten Sklaven üblicherweise in Gegenwart der Herrschaften, wenn sie ihnen Rede und Antwort stehen mussten. Und genau das tat Azita nun, als die Aurelia das Wort an sie richtete:
"Edle Herrin … mein Name ist Azita … Ich …ich bin eure ergebene Sklavin!" Mit diesen Worten warf sich Azita regelrecht vor der Aurelia in den Staub, nur um sich gleich wieder aufzurappeln. Die Herrin wollte zum Haus gehen? Gut! Besser gehen als knien - gehen und berichten:
"Ich … ich gehöre gewissermaßen dir, Herrin, denn vor zwei Monaten kaufte dein Verwalter mich in Ostia einem Sklavenhändler ab. Mit deinem Geld! … Und er ist auch für alles verantwortlich, was hier passiert ist!", wies Azita schnell die ganze Schuld dem Verwalter zu, während sie der Aurelia folgte und mit treuherzigen Augen anhimmelte. So ganz unwahr war das Gesagte ja nicht, nur eben ein wenig "beschönigt" in Bezug auf ihre Person - aber weiter im Text:
"Er erklärte mir, dass ich formell zwar dir gehöre, weil er mich mit deinem Geld bezahlt hat, aber eigentlich gehöre ich ihm. Als Bezahlung sozusagen für seine Arbeit hier und weil er hier allein das Sagen habe" Naja so ähnlich, denn Varro hatte sie als Haushaltssklavin erworben. Für Putzen, kochen, Gartenarbeit - alles Dinge, die Azita niemals freiwillig tun würde: "Er spielte sich auf wie ein König und ständig musste ich ihm zu Willen sein."In Wahrheit hatte vielmehr Azita den Verwalter ständig bezirzt und schöne Augen gemacht, um sich vor den lästigen Arbeiten zu drücken. Nun war Varro grundsätzlich empfänglich für ihre Verführungskünste, aber bei weitem nicht gänzlich erlegen, also musste Azita eben nachhelfen. Hierbei achtete sie weniger auf die Verträglichkeit der regelmäßig verabreichten Drogen sondern allein auf den Effekt - kein Wunder also, dass das Gehirn des armen Verwalters irgendwann völlig vom Wahn und von Halluzinationen "zerfressen" war:
"Von Tag zu Tag nahm sein Verhalten sonderbarere Züge an und er forderte immer mehr von uns Sklaven. Die anderen Sklaven sind einfach geflohen. Auch ich wollte fliehen, doch er fing mich wieder ein …", kurz stockte Azita und seufzte, als würden die schlimmen Erinnerungen sie plagen. Schlimm war nur gewesen, als Varro zufällig mit bekam was Azita mit ihm angestellt hatte:"Tja und dann ist er irgendwann völlig durch gedreht und faselte etwas von … er wäre Jupiter und ich seine Göttin und alles müsse brennen, damit er und ich endlich erlöst wären … Bei Ahura Madza …ich ich dachte wirklich ich werde heute sterben, doch zum Glück hat dieser Mann da mich aus dem Feuer gerettet" So geschehen - wie gesehen.
Azita warf Lyciscus ein dankbares Lächeln zu, welches zur Abwechslung tatsächlich ehrlich gemeint war. "Ich stehe tief in deiner Schuld, ...ehm wie heißt du überhaupt?" Durfte sie in Gegenwart der Herrin mit ihm reden? Schnell blickte Azita wieder gespielt unterwürfig und ängstlich zu der Aurelia und hoffte, dass diese die Geschichte für bare Münze nehmen würde. Und wenn nicht? Zwischenzeitlich hatten sie das Haus erreicht und angesichts des Schriftzuges neben der porta würde sich zumindest die letzte Aussage von ihr mit dem decken, was Varro eigenhändig an die Wand gekritzelt hatte.