Beiträge von Narrator

    Noch bevor die schockierten Rufe vom Forum bis zum Palatin hinauf dringen konnten, hatten berittene Boten mit donnerndem Hufschlag die Tore zum Kaiserpalast passiert und waren eiligst bis zu den höchsten anwesenden Hofbeamten vorgedrungen, um ihnen die traurigen Nachrichten zu überbringen. Insbesondere die Weitergabe der Nachricht an die Augusta verlangte mehr Gefühl, als ein schneller und gewissenhafter Soldat aufbringen konnte und wurde daher einem Beamten überlassen, der der Augusta auch den letzten eigenhändigen Brief ihres Mannes übergeben sollte.


    Auch für andere Beamten gab es Briefe, die der Kaiser vor seinem Tod diktiert hatte. So auch für Aelius Callidus:


    Ex officio imperatoris
    castra aestiva ad Dura Europos


    Der Imperator Caesar Augustus grüßt zum letzten Mal sein geliebtes Rom!


    Ja, du hast es richtig gelesen, dies ist der letzte Brief, den ich dir überbringen lassen kann. Dass du diesen Brief in Händen hältst ist ein sicheres Zeichen dafür, dass sich die bösen Omen aus Rom erfüllt haben und die Götter mich in elysische Gefilde befohlen haben.


    Ich schreibe dir diesen Brief im Angesicht der Mauern von Dura Europos. Bis hierher hat uns unser Weg geführt und an diesen Mauern wird sich das Schicksal des Feldzuges entscheiden. Mein Schicksal ist entschieden seit jenem Tag am Chaboras, an dem ein parthischer Pfeil sein Ziel nicht verfehlte. Die Ärzte haben ihr Bestes getan, doch jede Kunst findet eines Tages ihr Ende im Willen der Götter. Mein Weg endet hier, ohne ins Ziel zu bringen, was ich gestartet habe. Dies wird mein Sohn für mich tun müssen, in dessen Hände ich das Schicksal Roms lege. Boten sind schon auf dem Weg zu ihm. Bestätige ihm den Empfang dieses Briefes und bereite alles für seine Ankunft vor. Den Senat lasse ich ebenfalls unterrichten, ebenso alle Statthalter, dass die Truppen auf meinen Sohn eingeschworen werden.


    Der Bote bringt weitere Dokumente, die nach meinem Tod zusammengestellt werden. Du wirst erkennen, was mit diesen zu tun ist. Einige sind für die Acta Diurna bestimmt, um mit der Bekanntgabe meines Todes veröffentlicht zu werden. Ich verlasse Rom nicht gerne, aber ich folge dem Willen der Götter. Lebe wohl, mein ewiges Rom.


    Rom, die Hauptstadt der Welt, Ort des pulsierende Lebens. Ein Satz reicht, um den Atem von Hunderttausenden stocken zu lassen. Viele Münder, vier Worte: "DER KAISER IST TOT!"

    Schnelle Schiffe der Classis Misenensis waren keine seltenen Gäste im Hafen von Ostia, war er doch nicht nur für Waren, sondern auch für Nachrichten nach Rom die wichtigste Schaltstelle. Dementsprechend hatten die Boten, die hier an Land gingen, auch keinen Schwierigkeit, sich schnell Pferde für den eiligen Ritt nach Rom zu besorgen. Nur einer blieb im Hafen zurück, um die Stadtführung und die Vigiles in der Stadt über den Tod des Kaisers in Kenntnis zu setzen.

    Im Hafenbecken legten zwei Schiffe an, aus Syria kommend. Während des Krieges war dies schon häufig passiert, doch diesmal eilten gleich nach dem Anlegen mehrere Boten von Bord. Offenbar waren sie keine Soldaten der Flotte, sondern ließen sich rasch den Weg zum Hauptquartier erklären, um sich dort vom Praefectus Classis empfangen zu lassen. Die Nachricht vom Tod des Kaisers erreichte Italia. Auch nach Ostia und zum zweiten italienischen Flottenstützpunkt in Ravenna waren noch Schiffe unterwegs.

    Der Imperator war tot, gestorben an einem kleinen unbedeutenden Pfeil, zu einem Zeitpunkt der kaum ungünstiger sein konnte, an einem Ort, der kaum als passend zu bezeichnen wäre. Doch die Legaten der vier Legionen hatten keine Zeit all dies zu beklagen, denn sie waren es, die nun in der Verantwortung standen, zu entscheiden wie es weiter ging, jetzt da ihr Oberbefehlshaber nicht mehr da war. Vier Legaten, alle sowohl Politiker als auch Soldaten, alle eher gewohnt Befehle zu erteilen, als denn Befehle zu bekommen.


    Doch alle vier wussten auch, das sie hier nicht im Senat waren, das sie sich nicht tagelang mit Diskussionen aufhalten konnten. Der Tod des Imperators war schlimm genug, uneinige Legaten wären das sichere Ende aller vier Legionen.


    Und während die notwendigen Vorbereitungen für die Reise des Imperators in das Elysium getroffen wurden, schloss sich in einem Nebenzelt ein Vorhang hinter den vier Legaten, das was hier besprochen wurde, sollte nur unter diesen acht Augen und acht Ohren besprochen werden. Und die beiden Posten der Garde, welche den Zugang bewachten, mochten ihre Ohren noch so anspannen, kaum ein verständliches Wort drang zu ihnen. Nur gelegentlich wurde der Wortwechsel etwas lauter, doch auch dann waren es kaum verständliche Wortfetzen.


    So ähnlich die vier Legaten sich waren, so verschieden waren sie auch und so verschieden waren auch ihre Meinung was genau jetzt zu tun war. Eigentlich ging es nur darum, zu gehen oder zu bleiben, denn das sie den Caesar als neuen Imperator ansahen, darüber waren sie sich zumindest nach außen sofort einig. Das manch einer von ihnen dem Treueschwur des anderen noch nicht traute, war zwar nicht offensichtlich, dennoch waren diese Zweifel da. Diese Zweifel würde nur die Zukunft beseitigen können.


    Bleiben oder gehen, so einfach die Frage klang, so schwierig war die Entscheidung. Man könnte bleiben, weil man es dem Imperator schuldete, die Parther für seinen Tod bezahlen zu lassen, weil die Stellung, welche man hielt, teuer erkauft war oder weil man einfach nicht wusste, welche Pläne der neue Imperator hatte. Wenn blieb könnte man einen glorreichen Sieg erringen, oder das Erreichte gänzlich verlieren. Man ging, weil der Tod des Imperators ein Zeichen der Götter war, ein Zeichen sich zurückzuziehen oder weil es nun, da unruhige Zeiten bevorstanden, es an der Zeit war, die Truppen näher an das Imperium zu bringen.


    So kühl die vier Männer alle sein konnten, so wenig sie über ihre Emotionen nach außen teilten, so war doch auch klar, das zumindest zwischen dem Legaten der I. und dem der X. spätestens seit der Schlacht am Chaboras das Tuch gerissen war. Und auch zwischen den anderen mochte so manches im Argen sein, das man nicht auf den ersten Blick sehen mochte. Aber, egal was der eine vom anderen hielt, sie waren sich ihrer Verantwortung bewusst, ihrer Verantwortung für das Leben von Tausenden Soldaten und auch ihrer Verantwortung für das ganze Imperium.


    Und als der Morgen begann zu grauen, waren sie über eingekommen, das sich das Heer zurückziehen würde, nicht überstürzt, nicht ohne das Gesicht zu verlieren, aber man würde sich zurück ziehen. Die Prima war die Legion des Imperators gewesen und alle anderen Legionen würden ihr folgen.


    Zumindest für die erste Zeit...

    Marcus Calpurnius Piso war schon seit einigen Jahren Statthalter von Asia mit Sitz in Tarsus. Wegen des Krieges in Armenia weilte er jedoch in Caesarea am Halys, weshalb der Bote mit der Nachricht vom Tod des Kaisers etwas länger als geplant gebraucht hatte. Der Statthalter war schon zu Bett, als man ihn wegen dieser Nachricht noch einmal weckte. "Aha!" war sein erster schläfriger Kommentar. "Da wird sich Rufus aber freuen." Damit war Rutilius Rufus gemeint, ein einflussreicher Günstling von Calpurnius Piso, von dem niemand so recht wusste, warum der Statthalter seine schützende Hand über ihn hielt, war er doch ein unverbesserlicher Pessimist und böswilliger Spötter. Jedenfalls hatte er ein halbes Vermögen auf den Tod des Kaisers gesetzt, als dieser zum Feldzug aufgebrochen war, wobei ebenfalls völlig unklar blieb, bei wem er es gesetzt hatte und was er sich davon versprach.


    "Weckt den Kaiserpriester und bringt ihm die Nachricht. Und schickt Boten nach Nicomedia und Ephesus. Um den Rest kümmere ich mich morgen. Dem Heer in Armenia schicken wir auch was. Aber ich wette, die stehen schneller vor unserer Tür als wir 'Thronräuber' sagen können. Petilius Cerialis war schon immer ein Schwein und jetzt wird er es zeigen. Aber jetzt lasst mich schlafen."

    Der leitende Consul, der sich in der Diskussion bisher zurückhielt, nickte dem Vorredner Purgitius zu.


    "Ich bin derselben Ansicht. Wir sollten die Götter nicht noch mehr verärgern, in dem wir uns mehr Zeit lassen als unbedingt notwendig. Der Senat bittet also das Collegium um seine Hilfe bei der Planung und Durchführung der Entsühnung, auf dass die Götter unser nicht mehr zürnen."

    Sie kamen im Morgengrauen, zu einer Zeit, in der die Fischer die Häfen verließen, wenn sie guten Fang machen wollten. Pharos hatte ihnen auch in der Nacht den Weg gewiesen und nun fanden sie eilig ihren Platz im Königshafen am Fuße des Statthalterpalastes. Zwei Schiffe der Classis Alexandria, was nicht einmal ungewöhnlich war in der Stadt, die ihre Hauptstützpunkt war. Doch die Schiffe waren noch nicht einmal festgemacht, da hasteten schon Männer von ihnen herunter, die keine Zeit für Diskussionen mit Hafenbeamten, Hafenwachen, Hafenarbeitern oder Hafenratten hatten. "Bringt uns zum Statthalter, sofort! Wir kommen aus Syria, der Kaiser ist tot!"

    Die Nachrichten vom Nordheer waren während des ganzen Feldzugs spärlich gewesen. Die Aufmerksamkeit aller galt vor allem dem Südflügel, mit dem der Kaiser zog. Auch bot die Landschaft im Norden nicht das Terrain für große Feldschlachten. Von Satala aus war das Heer der drei Legionen auf der noch gut ausgebauten Straße nach Osten gezogen, nach Carana, welches die feindlichen Truppen mehr oder weniger freiwillig räumten, da sie es nicht auf einen Belagerung ankommen lassen wollten. Danach wurde der Weg schlechter und die Heerführer der drei Legionen wählten nur ein sehr langsames Tempo, um den Vormarsch nicht in einem Hinterhalt enden zu lassen. In Artagira hatten sich Truppen verschanzt, um den Zugang zum schiffbaren Teil des Araxes zu versperren, der einen schnellen Vormarsch nach Kainepolis ermöglicht hätte. Und die Stadt wahr wahrlich schwer zu erobern, auch für drei Legionen. Sehr lange war das Heer hier aufgehalten worden und hatte mehr als einen Rückschlag bei den Versuchen des Sturms auf die Stadt hinnehmen müssen. Soldaten der Legio XV hatten schon den Fuß in die Stadt gesetzt und sich doch wieder zurückziehen müssen, bis die Eroberung endlich gelang, an deren Ende ein halb zerstörte Stadt lag. An einen schnellen weiteren Vormarsch war trotzdem nicht zu denken, denn jetzt musste erst einen Flußflotte erstellt werden, die die römischen Truppen auf dem Fluß weiter nach Osten brachte, denn sämtliche in der Stadt vorhandenen Schiffe waren vom Gegner vorausschauend schon vorher abgezogen oder versenkt worden oder gingen beim Sturm auf die Stadt verloren.


    So trafen die Boten aus Parthia und Syria, die beide die Nachricht vom Tod des Kaisers überbrachten und den langen, quälenden Landweg nach Norden hatten nehmen müssen, im Feldlager vor der Stadt auf die drei Legaten Lucius Petilius Cerialis, Titus Furius Victorinus und Decius Camillus Verus. In einer langen Sitzung fiel die Entscheidung, dass die laufenden Maßnahmen nicht abgebrochen werden, solange es keine anderslautenden Befehle vom Caesar gab und dass die Truppen schon am nächsten Tag auf eben jenen Gaius Ulpius Aelianus Valerianus als neuen Kaiser eingeschworen werden sollten. Man nahm an, dass der neue Kaiser derzeit noch im Illyricum weilen müsste und nichts wäre wohl geeigneter, als ihm schon kurz nach seinem Amtsantritt in Rom einen weiteren Erfolg im Osten vermelden zu können.


    Nach der Vereidigung der Truppen am nächsten Tag machten sich sofort Boten auf, zurück nach Süden, um dort über die Entscheidung des Heeres zu informieren und nach Westen, um den Caesar in seinem neuen Amt willkommen zu heißen.

    Sofern man Truppen, die in einer Grenzprovinz stehen, anderen Rande der Krieg tobt, überhaupt in den Alarmzustand versetzen kann, war es genau das, was Statthalter Publius Veturius Cicurinus anordnete, als im Laufe des Vormittags ein Bote ihm die Nachricht vom Tod des Kaisers überbrachte. Er war nicht erfreut gewesen, als die Parther die syrische Grenze ausgerechnet dann bedrohten, als er seine Statthalterschaft hier absolvierte. Er war auch nicht froh gewesen, dass der Kaiser persönlich mit einem Heer gekommen war und ihn zurückgelassen hatte. Er war auch nicht glücklich damit gewesen, dass man ihn beim Ruf nach Verstärkung wieder übergangen hatte. Und jetzt entfuhren ihm gleich mehrere Flüche angesichts der Situation, die es zu meistern galt und mit der er sich einmal mehr reichlich alleingelassen vorkam.


    "Zwei Schiffe nach Rom, eines nach Alexandria, eines nach Cyprus, zwei Boten auf dem Landweg nach Alexandria, zwei nach Asia, zwei nach Armenia", ordnete er an, auch wenn die Speculatores, die die Nachricht gebracht hatten, ohnehin ihre eigenen Anweisungen zur Route hatten. "Nachricht an alle verteilten Stützpunkte in der Provinz, an alle lokalen Beamten und Stadtspitzen. Sie sollen für Ruhe in den Städten und angemessene Trauer sorgen. Und putzt die Büsten und Statuen des Caesar und gebt ein paar Kopien in Auftrag."


    Dann ließ er die wichtigsten Priester der Hauptstadt zusammenkommen und wenig später begannen die ersten Opferzeremonien zum Wohle des Kaiserhauses und des Reiches und Scharen von Klageweibern versammelten sich vor den Kaiserstatuen.

    Die Römer waren angekommen. Es hatte länger gedauert als gedacht, aber das parthische Volk und die Armee hatten die Zeit zu nutzen gewusst. Bashnín hatte wieder seinen Dienst, als das römische Heer in Sichtweite kam, gerade in diesem Moment wurde der letzte Kundschafter in die Stadt hinein gelassen, doch er brachte nur die Nachrichten, die ohnehin jeder sehen konnte. Noch wurde kein Alarm geblasen, mussten die Römer sich doch formieren, dann fanden die üblichen Verhandlungen statt, und erst dann, wenn diese kein Ergebnis brachten, dann würde es losgehen, Kampf oder Belagerung, das würden sie schon erfahren. Bashnín machte sich keine Illusionen, vermutlich würden sie erst im allerletzten Moment unterrichtet werden, so wie das letzte Mal und das Mal davor und das Mal davor und so weiter. Oder er hatte Pech und erfuhr immer alles als letzter.


    Doch heute würden die Römer noch nicht einmal bis in Schußweite kommen. Also schaute Bashnín sich um, ob der Vorgesetzte gerade in der Nähe war. War er nicht, also konnte er einem absolut dringenden und unaufschiebbarem Bedürfnis nachkommen... und pinkelte von der Mauer herunter.

    Der Consul und Vorsitzende der Curia erhebt sich von seinem Platz.


    "Die Abstimmung ist beendet. Der von Senator Octavius Victor eingebrachte Antrag auf Abschaffung des §106 des Codex Iuridicialis, Pars Tertia - Strafgesetzteil, Subpars Secunda - Besonderer Teil, Delikte gegen den öffentlichen Frieden hat die nötige Mehrheit der Stimmen der Senatoren der Curia der Stadt Rom erhalten und ist damit angenommen. Genannter Paragraph wird daher per Decretum Senatus aus dem Codex Universalis entfernt.


    Allen Senatoren, die es nicht für nötig erachtet haben, an der Abstimmung in diesem Hause teilzunehmen, erteile ich hiermit ein Rüge.


    Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung."


    Der Consul und Vorsitzende der Curia nimmt wieder Platz.

    Es war ein kühler Abend im Süden Parthiens. Kein Wind zerzauste das Haar, kein Regen durchnässte die Kleidung, als würde die Natur den Atem anhalten und auf etwas warten.


    Mit angezogenen Beinen saß Bashnín auf einer dieser Mauern und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen. Die Nacht würde in den nächsten zwei Stunden hereinbrechen, schon jetzt war Dura in die warmen Farben der Abendsonne getaucht. Die Geschäftigkeit des Tages verlangsamte sich, bis sie demnächst völlig zum Erliegen kommen würde, so wie jeden Tag. Orangerot schimmerte das Holz seines Bogens, an welchem Bashníns Blick nun hängen blieb. Als wäre es ein einfacher Stock lag die Waffe neben ihrem Besitzer auf dem Boden. Nur zu bald würde er mit ihr Söhne, Väter und Brüder in den Tod schicken, würde das Blut von Parthias Feinden den Boden vor der Stadt tränken. Solange sie nur nicht die Wälle bezwangen…


    Es war Zeit für ein kleines Abendessen, bestehend aus etwas Brot und Käse sowie gegrilltem Ziegenfleisch, dazu Wein. Ein einfaches Essen, nichtsdestotrotz äußerst schmackhaft. Bashnín genoss sein Mahl, er wusste, die Vorräte würden schon bald gekürzt werden, wenn die Römer vor den Mauern der Stadt standen. Sicher, die Scheunen waren prall gefüllt, in weiser Voraussicht hatte man die Vorräte in den Kornkammern aufgestockt und blutige Opfern verboten, um das wertvolle Fleisch nicht zu verschwenden, doch beherbergte Dura nicht nur die Stadtbewohner, auch eine ganze Armee mitsamt Befehlshabern und deren Stab und Tross hatte sich hier eingefunden. Es wunderte Bashnín, dass die Stadt noch nicht aus allen Nähten platzte. Noch mehr wunderte ihn, dass es vergleichsweise wenig Probleme gab, kaum Streitereien oder Raufereien, auch die sonst üblichen Betrunkenen waren nur schwer zu finden. Ihm konnte es recht sein, war er mit seinen über 30 Sommern ohnehin einer der Älteren und Abgeklärteren. Selbstverständlich war er auch nicht so naiv, daran zu glauben, dass die Soldaten und Stadtbewohner in einem plötzlichen Anfall von Vernunft so agierten. Sie waren beunruhigt wegen den herannahenden Römern und nicht wenige von ihnen waren diesbezüglich zwiegespalten. Der Handel mit den Römern hatte hier so manche Familie ernährt, der Krieg hingegen hatte diese Geldquelle fast zum versiegen gebracht. Mit den Legionen vor den Toren der Stadt würde sie gänzlich austrocknen.


    Diese Probleme hatte das parthische Heer nicht, es war in den letzten Tagen und Wochen mit umfassenden Vorbereitungen beschäftigt gewesen, unter anderem mit der vorsorglichen Verstärkung der Westmauer. An den anderen Seiten der Stadt waren solche Bemühungen nicht notwendig, Dura lag auf einem flachen Plateau an einem Steilufer des Euphrattales, so dass die Stadt etwas oberhalb des Flusses lag. Im Norden und Süden gab es tiefe Schluchten, die dem Plateau natürliche Grenzen und auch Schutz boten. Nur zum Westen hin öffnete sich die Stadt zur Wüste. Auf eben dieser Westmauer stand Bashnín.


    Seine dunklen Augen blickten die Mauer entlang. Noch standen nur wenige Bogenschützen, wie er selbst einer war, hier und hielten Wache. Die Nervosität, welche von der Stadt Besitz ergriffen hatte, war inzwischen auch bis hierher vorgedrungen. Schon mehrfach hatte es Fehlalarme gegeben, wurden junge Burschen ermahnt, die einen Wüstenstrauch als herannahende Armee identifiziert hatten. Nur zu früh würden sie hier, Mann neben Mann, dicht aneinander gepfercht, stehen und dem Feind entgegen blicken, wer konnte es ihnen da verdenken, dass sie übereifrig waren? Sie gehörten zur Elite, sie würden die Stadt womöglich vor Schlimmerem bewahren. Parthische Bogenschützen – die besten der Welt und sie wussten es. Wie viele hundert Römer würden sie töten können, ehe sie überhaupt an die Mauern gelangten?


    Der Blick des Soldaten glitt weiter, streifte die Wüste, welche direkt vor ihm lag und kam am nahen Fluss an. Auf jenem Fluss waren seit er denken konnte Handelsschiffe gefahren, oftmals so viele, dass sie bedrohlich wie eine Armada wirkten. Doch nun, kein Einziges. Würde Dura fallen, die gesamte Region fiele mit der Stadt. Nun nützte all der Reichtum und Wohlstand nichts, der sich hier angesammelt hatte, nun hieß es lediglich, diesen zu verteidigen.


    Bashníns Mahl war beendet, Brot, Käse und Fleisch aufgegessen, der Weinschlauch geleert. Ein wohliger Seufzer entkam seiner Kehle, doch er erhob sich, die Krümel von seiner Kleidung klopfend. Noch einmal bückte der Parther sich, um seinen Bogen aufzuheben. Lächelnd, fast liebevoll betrachtete er die kunstvollen Schnitzereien, welche das Holz zierten. Den Kopf hebend sah er in die Ebene hinab.


    Bald würden sie hier sein.

    Der Consul räuspert sich vernehmlich.


    "Die anderen Herren betrachten sich nicht als anwesend und daher nicht zu einer Stimmabgabe fähig?"


    Für das Ergebnis ist dies zwar ohne Belang, aber wenn die Senatoren schon bei so offenbar einfachen Fällen nicht schnell reagierten, was sollten sie dann erst in schwierigeren Fällen tun?

    Der Consul und Vorsitzende der Curia erhebt sich von seinem Platz.


    "Ich sehe keine offensichtlichen Gegenmeinungen gegen eine Abschaffung des besagten Paragraphen. Kommen wir also direkt zur formalen Abstimmung. Über die Einführung eines anderen Paragraphen können wir später entscheiden.


    Alle anwesenden Senatoren sind hiermit zu einer deutlichen Stimmabgabe für oder gegen die Abschaffung von §106 Politische Sabotage und Spionage des Codex Iuridicialis, Pars Tertia - Strafgesetzteil, Subpars Secunda - Besonderer Teil, Delikte gegen den öffentlichen Frieden aufgerufen."


    Der Consul und Vorsitzende der Curia nimmt wieder Platz.

    Nach der Schlacht am Ufer des Flusses, der Schlacht in der die Zehnte Legion im Hinterhalt des Surenas beinahe gänzlich vernichtet worden war, zog das römische Heer, getreu der Befehle seines verwundeten kaiserlichen Feldherren, weiter gen Süden. Erst einmal ging es Richtung Circesium. Oder Karchemis, wie die Parther sagten. Entlang des schäumenden Chaboras marschierten die Soldaten, schritten die Pferde, trotteten die Mulis und rumpelten die Wägen. Kundschafter durchstreiften die Berge. Hin und wieder trafen sie auf parthische Kollegen, hin und wieder gab es Scharmützel zwischen Reitern der Hilfstruppen und parthischen Überfalltrupps, doch die Hauptmacht der feindlichen Armee hatte sich anscheinend zurückgezogen, ebenfalls nach Süden, wohl in Richtung von Dura, der alten Grenzstadt.


    Im Verlaufe des Marsches wurden die Hänge flacher, und die Berge wichen vom Ufer des Chaboras zurück, was den Vormarsch erleichterte. Noch immer zeigte sich die Landschaft in ungeheuren Kontrasten - grün und lieblich blühend an den Gestaden des Flusses, schroff und steinig sobald man ihn verliess. Die Menschen dieses Landstriches flohen und versteckten sich beim Herannahen des Heerzuges, nur die Tiere schienen die Einsamkeit zu bevölkern. Silberreiher staksten durch das fischreiche Gewässer, Raubvögel kreisten über den Schluchten und des Nachts drang manchmal das rauhe Brüllen der Berglöwen bis in die Zelte der Legionäre. Auch Schlangen und Skorpione gab es reichlich.


    Einige Tage waren seit der Schlacht vergangen, und es war nicht mehr weit bis nach Circesium, als das Heer wieder einmal des Nachmittags halt machte und am Flussufer lagerte. Der Chaboras machte hier einen weitgeschwungenen Bogen, floss ruhig und friedlich dahin. Ein kleines Fischerdorf - menschenleer, offenbar in Eile verlassen - schmiegte sich unweit des errichteten Marschlagers an das sanft geneigte Ufer, auf Pfählen errichtet waren die Hütten und schilfgedeckt. Hell blitzten die Strahlen der Sonne auf der Wasseroberfläche. Der Chaboras war hier von einem intensiven, klaren Aquamarinblau, er lud förmlich dazu ein, sich in seinen kühlen Fluten zu erfrischen, und zudem den Dreck und das Ungeziefer des Marsches loszuwerden.

    Die Ianuarkalenden waren vorüber. Vescularius Salinator hatte sein Wort gehalten und für einen prächtigen Ochsen, eine große Weinlieferung und frisches Brot aus Singidunum gesorgt. Wie zum neuen Jahr üblich war der weiße Ochse dem Ianus geopfert worden. Obwohl der Caesar als Opferherr aufgetreten war, hatte sein Tribun für die notwendigen Handgriffe gesorgt. Nur das Age! hatte er noch selbst ausgesprochen.


    Nach dem gelungenen Opfer und während das Fleisch für die Soldaten zubereitet worden war, hatte der Caesar zu seinen Männern gesprochen. Wenige Worte waren es gewesen. Dass er stolz auf sie war. Dass sie einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Imperium Romanum leisteten. Dass die Iazyges durch ihren dauerhaften Einsatz so gut wie befriedet waren und sich womöglich bald ohne Krieg dem Imperium anschließen würden. Womöglich hatte er noch mehr sagen wollen, doch ein Hustenanfall hatte ihn unterbrochen. Danach forderte er seinen Tribun auf, den Eid abzunehmen.


    Die Soldaten hatten Rom als ihrer Heimat die Treue geschworen. Die Soldaten hatten dem Kaiser als ihrem Imperator die Treue geschworen. Die Soldaten hatten dem Caesar als ihrem Kommandanten die Treue geschworen. Beim anschließenden Fest jedoch hörte man immer wieder auch den Namen Vescularius, auf welchen die Soldaten anstießen. Angeblich hätte der Caesar den Jahreswechsel vergessen, wenn nicht der Legatus Augusti ihn darauf aufmerksam gemacht hätte. Und war es nicht nur ihm zu verdanken, dass überhaupt noch ein Ochse aufgetrieben worden war? Ein, zwei Soldaten wagten sogar zu behaupten, dass auch das Donativum nur auf Drängen Salinators ausbezahlt worden war, da der Caesar zu beschäftigt mit sich selbst und seiner Schwindsucht war, um noch an seine Männer zu denken.