Beiträge von Narrator

    Auch auf der Bahn unten schien man einen Moment lang ratlos zu sein, wer das Rennen nun gewonnen hatte. Beide Fahrer begannen vorsichtshalber schon einmal verhalten zu jubeln, während ihre Pferde ausliefen. Zwischen Helfern unten an der Bahn und der Loge des Ausrichters wurden Worte hin und her gebrüllt, um den Lärm des Stadions zu übertönen und sich über das Ergebnis einig zu werden.


    Nur einer schien von dem ganzen Spektakel wenig beeindruckt, stand mit einem feinen Lächeln unbewegt an seinem Platz und sprach dann ohne jede Aufregung in seiner Stimme:


    "Marsyas."


    Was das scharfe Auge des Experten erfasst und in ein einziges Wort gekleidet hat, bestätigte später der Blick auf das offizielle Endergebnis des Rennens: Marsyas für die Praesina vor Dareios von der Veneta. Gefolgt von Lupus (Praesina), Diokles und Rothar (beide Veneta). Dahinter Thrax, Brinno und Metellus (alle Russata).

    Das große Finale konnte beginnen, die letzte Runde im Factio-Rennen der Equirria hatte begonnen. Die Gastgeber kämpften erwartungsgemäß nicht mit um den Sieg, aber die Spitzenfahrer der blauen und der grünen Factio lieferten sich den erwarteten packenden Kampf.


    "Noch einmal geht es um jede Wendemarke, dann werden wir wissen, wer heute als Sieger die Bahn verlässt. Blau wie der Himmel hier über dem Stadion oder grün wie das Graß, das die Pferde vor dem Rennen zu Fressen bekommen haben, welches wird die Farbe der Sieger sein?"


    "Du tätest gut daran, dich nicht auch noch als Dichter zu versuchen, wo es mit den Rennkommentaren manchmal schon nicht so gut klappt."


    "Du bist und bleibst in jeder Hinsicht ein unerbittlicher Kritiker. Aber während wir hier quatschen, hat die Spitze des Feldes die erste Wende passiert und kommt zum letzten mal die Gegengerade hinunter. Und tatsächlich, was Netcer eben gesagt hat, scheint sich zu bewahrheiten. Dareios hat hier keineswegs schon verloren, sondern kommt dort noch einmal mit unglaublichem Zug an Marsyas hern. Ich gebe zu, den habe ich eben schon deutlich enteilt gesehen, aber jetzt ist für ihn doch noch einmal Zittern angesagt. Ich sehe schon wieder dieses leichte triumphierende Grinsen auf dem Gesicht von Netcer. Wagst du jetzt eine Prognose, wer dieses Rennen gewinnen wird?"


    "Nein."


    "Aha. Aber wenn ich dich nicht gefragt hätte, wärst du auch beleidigt gewesen. Aber bevor wir uns hier in die sorgsam gekämmten Haare kriegen, sollten wir lieber schauen, was Diokles und Rothar dahinten machen. Letzterer scheint nämlich mit seinem Platz hinter seinem Kollegen gar nicht zufrieden zu sein und setzt da noch einmal zu einem Angriff an. Das sieht aber ziemlich wütend aus, was ihm Diokles da entgegen setzt. Der möchte scheinbar keinen von den mühsam seit Rennbeginn aufgeholten Plätzen wieder abgeben. Eine Stallregie scheint es da jedenfalls nicht zu geben, wer dort wen vorzulassen hat.


    Aber blicken wir nach vorne. Marsyas oder Dareios. Grün oder Blau, das bleibt die Frage. Lupus ist raus, der hat mit dem Ausgang des Rennens nichts mehr zu tun, dazu haben ihn die ständigen Attacken zu viel Kraft gekostet. Bleiben die beiden Spitzenfahrer unter sich. Der Vorsprung schmilzt dahin, Dareios kommt immer näher. Jetzt kann sich Marsyas nicht mehr darauf verlassen, in einer Kurve die bessere Bahn zu haben. Wir sind auf der letzten Geraden, es geht nur noch geradeaus. Beide holen noch einmal alles aus ihren Pferde raus. Das ist fast gleiche Höhe! Das wird eine ganz ganz enge Sache. Noch wenige Schritte, wer schafft es? Das ist.. das sieht nach... war das Marsyas? Oder hat es Dareios noch gepackt?"

    Die vorletzte Runde brach an und noch war keine Vorentscheidung über den Ausgang des Rennens gefallen.


    "Ein Blick auf die Spina sagt uns, dass wir in die heiße Phase des Rennens eintreten. Vorne weiter Marsyas vor Dareios und Lupus. Und der versucht es schon wieder. Eines wird man ihm nach dem Rennen sicher nicht vorwerfen können und das ist Mutlosigkeit. Einmal wurden seine Versuche von Erfolg gekrönt, als er von einem Fehler von Dareios profitieren konnte, aber der holte sich den verlorenen Platz wieder zurück. Und jetzt haben wir hier schon den dritten oder vierten Angriff des grünen Fahrers auf seinen blauen Kontrahenten gesehen. Und Dateios muss da wirklich aufpassen, dass er den Platz nicht noch verliert. Und nach vorne muss er auch noch schauen, sonst läuft ihm der Marsyas uneinholbar weg. Das sieht mir jetzt schon so aus, als wenn der Vorsprung deutlich angewachsen ist. Ist das schon die Vorentscheidung?"


    "Nein, das muss ich dir widersprechen..."


    "Was du ja sonst nie machen würdest."


    "Sonst mache ich das auch, aber da kündige ich es nicht an. Aber diesmal muss ich es ankündigen, damit du es endlich lernst. Bei solchen Spitzenfahrern wird das Rennen in der letzten Runde entschieden. Nur nach hinten zu blicken wird vielleicht einem Anfänger passieren, aber nicht einem Profi in einem der wichtigsten Rennen des Jahres. Ob er es noch gewinnt, kann ich nicht sagen, aber die Chancen dazu hat er noch."


    "Wir werden das Wort des großen Meisters prüfen, wenn die Gespanne über die Ziellinie gehen. Schauen wir zuvor noch einmal auf den Rest des Feldes. Da tut sich aber nicht viel, wie es scheint. Diokles hat sich jetzt vor Rothar häuslich eingerichtet, wird aber an die Spitzengruppe nicht mehr heran kommen. Hinter den beiden Blauen dann die drei Roten, die mit dem Ausgang des Rennens nichts mehr zu tun haben und eigentlich schon jetzt anfangen können, ins Publikum zu winken."


    Was die Fahrer allerdings nicht taten, sondern ungeachtet ihrer hoffnungslosen Lage weiter ihrer Spur folgten und das Rennen würdig zu Ende bringen wollten. Nur das Tempo ihrer Gespanne war ein wenig langsamer geworden, um die Pferde nicht nutzlos zu strapazieren oder noch einen Wagenschaden zu riskieren. So konnte der Schreiber erneut ein vollzähliges Feld notieren, während auf der Spina die Delphine den Beginn er letzten Runde markierten: Marsyas - Dareios - Lupus - Diokles - Rothar - Thrax - Brinno - Metellus

    Während sich am Ende des Rennens inzwischen ein deutliches Bild abzeichnete und mit Brinno und Metellus zwei der drei roten Fahrer schon einen deutlich sichtbaren Rückstand hatten, blieb es vorne an der Spitze des Rennens extrem eng und kein Fahrer konnte sich Luft verschaffen.


    "Der Marsyas macht mir da vorne aber auch keinen absolut souveränen Eindruck. Er führt das Rennen zwar seit dem Start an, aber sein Vorsprung ist seit der zweiten Runde eigentlich nicht größer geworden. Und das, obwohl Dareios hinter ihm in das Duell mit Lupus verwickelt ist und sicher nicht volle Kraft nach vorne fahren kann. Wenn er da nicht aufpasst, wird er noch überholt werden."


    "In der Tat, das hast du fein beobachtet. Das Rennen ist für ihn noch keineswegs gewonnen."


    "Einer der seltenen Augenblick, in der der große Netcer mit mir zufrieden ist. Ich bin gerührt. Aber beobachten wir trotzdem weiter, was sich auf der Bahn tut. Da versucht es schon wieder Lupus mit einem Angriff auf Dareios. Aber das ist ja eiskalt, wie der da kontert und ihm den Weg abschneidet. Das sah nicht ungefährlich aus."


    "So ist der moderne Rennsport eben heutzutage. Er ist schneller geworden und die Risiken haben sich verschoben. Aber wenn man daran denkt, dass wir zu meiner Zeit noch mit Material gefahren sind, das man heute nicht mal mehr Kindern für ein Eselkarrenrennen geben würde, dann kann man nicht behaupten, dass es härter geworden ist."


    "Eselkarren ist ein gutes Stichwort, denn ein wenig wie in einem solchen muss sich gerade auch Thrax fühlen, der hier an der zweiten Wende dieser Runde schon wieder überholt wird. Das ist natürlich bitter für ihn, da hat er die Farbe der Gastgeber in den ersten Runden so beachtlich vertreten, aber jetzt musste er in der letzten Runde schon Diokles vorbeiziehen lassen und jetzt passiert ihn hier auch Rothar. Und es macht nicht den Eindruck, als wenn der Mann dort noch etwas entgegenzusetzen hätte. In einem hat unser Experte also schonmal Recht behalten, dass für die Außenseiter hier heute nichts zu holen ist und die drei Roten wohl auf den letzten Plätzen landen werden."


    Während Netcer auf diese Bemerkung hin mit einem feinen Lächeln zu seinem Weinbecher griff, griff der Schreiber wieder zum Griffel und notierte den Zwischenstand: Marsyas - Dareios - Lupus - Diokles - Rothar - Thrax - Brinno - Metellus

    Mit der vierten Runde war bald die Mitte des Rennens erreicht und zumindest einige Vorentscheidungen bahnten sich an, um das große Finale vorzubereiten. Auch die Kommentatoren hatten sich nun warm geredet, kühlten ihre Stimmbänder zwischendurch rasch mit kleinen Schlucken Wein und konzentrierten sich weiter auf die Bahn.


    "Diokles, immer wieder Diokles, der scheint die Kurve hier zu mögen. In der letzten Runde hat er hier den erfolgreichen Angriff auf Brinno gestartet, jetzt nimmt er sich den nächsten Fahrer vor. Das ist Rothar aus seiner eigenen Factio. Aber auch der setzt diesem Manöver nichts entscheidendes entgegen und muss seinen Platz an den Factio-Kollegen abgeben. Das sah mir fast ein bisschen zu leicht aus. Können sich die Fahrer eigentlich auch während des Rennens absprechen und etwas zurufen?"


    "Ja, aber ob der andere drauf hört ist eine andere Frage."


    "Aha. Vielleicht werden wir diese ja nach dem Rennen beantworten können, wenn wir die Fahrer fragen. Vorne macht jetzt wieder Lupus Druck auf Dareios und lässt ihm da keinen ruhigen Augenblick. Die beiden müssen doch jetzt fürchterlich angespannt sein, denn jeder hat den zweiten Platz schon einmal gehabt und wieder verloren. Wenn ich Dareios wäre, wäre ich nun fürchterlich nervös."


    "Da sieht man wieder, dass du vom Rennsport im Prinzip überhaupt keine Ahnung hast. Dareios ist in der besseren Position. Lupus ist derjenige, der den Platz erobert und wieder verloren hat und der sich jetzt etwas neues ausdenken muss. Zweimal wird er Dareios nicht mit demselben Manöver überholen können, sondern jetzt muss er etwas anderes bieten. Ich bin selber gespannt, ob ihm das gelingt. Aber wenn ich Dareios wäre, würde mich das ungemein beruhigen."


    "Die Psyche eines Rennfahrers scheint dann in der Tat etwas anders zu sein, als bei mir. Wie gut, dass ich die als Fachmann hier neben mir habe. Apropos neben mir - Diokles fährt da unten jetzt sogar schon neben Thrax. Der blaue Fahrer scheint sich seine Kraft für die zweite Hälfte des Rennens aufgespart zu haben und macht jetzt einen Platz nach dem anderen gut. Die bislang respektable Platzierung des ersten roten Fahrers bröckelt damit doch erheblich."


    Bei der nächsten Überquerung der Ziellinie fanden diese Beschreibungen ihren nüchternen Ausdruck in einer weiteren Zeile, die auf der Tafel eingetragen wurde: Marsyas - Dareios - Lupus - Diokles - Thrax - Rothar - Brinno - Metellus

    Noch ist nicht zu erkennen, dass sich ein Fahrer deutlich nach vorne absetzen könnte oder nach hinten herausfallen würde, als die Fahrer ihre Pferde in die erste Wende der dritten Runde lenken.


    "Jetzt versucht der Diokles dahinten gleich den misslungen Überholversuch von Brinno aus der letzten Wende zu nutzen und ihn seinerseits auf der Außenbahn unter Druck zu setzen. Das sieht auch wesentlich erfolgreiche aus als das, was eben der rote Fahrer gezeigt hat und dürfte vorerst von Erfolg gekrönt sein. Und in seinem Schatten versucht gleich Metellus mitzuziehen. Da geraten die beiden roten Fahrer aber heftig aneinander. Auch die scheinen sich hier nichts schenken zu wollen, obwohl es für sie nur um die letzten Plätze geht. Gibt es da in solchen Fällen eigentlich auch eine Stallregie, wer wen vorlassen muss?"


    "Nein, im Normalfall macht man sowas wenn überhaupt nur für Spitzenfahrer und dann auch nur in Vorläufen, wenn es um die Qualifikation für den Endlauf geht. Eine Stallregie für die letzten Plätze macht wenig Sinn, da würde sich kein Fahrer dran halten."


    "Da spricht wieder unser alter Rebell, das haben wir ja eben schon gehört, dass er nicht immer auf die Trainer gehört hat. Vielleicht können wir ja gleich noch beobachten, ob es bei der Praesina eine Order gibt, denn derzeit fahren Marsyas und Lupus auf den ersten beiden Positionen. Aber jetzt geht es auf die zweite Wende zu und Dareios scheint wieder anzugreifen, um seine verlorene Position zurück zu erobern. Das sieht nach einem sehr gewagten Manöver aus, wie er sich da in den Wagen lehnt, um die Kurve zu fahren. Aber Wagen und Pferde scheinen das auszuhalten und nicht zum ersten mal zu erleben. Und tatsächlich, da ist er auch schon an seinem grünen Konkurrenten vorbei gezogen. Das hat er toll gemacht, oder?"


    "Also ich kann hier bestenfall eine mäßige Leistung erkennen. Er nutzt den Geschwindigkeitsvorteil und das bessere Material, für das die Veneta bekannt ist. Damit gelingt es ihm gerade einmal, seinen Fahrfehler aus der vorherigen Runde wieder wettzumachen. Einem Spitzenfahrer hätte der aber sicherlich gar nicht passieren dürfen und damit war dieser Angriff hier auch nur das mindeste, was man erwarten konnte."


    "Ein gewohnt kritisches Urteil, aber mich hat diese Aktion dort trotzdem begeistert. Auf den anderen Positionen geht es weniger spektakulär zu. Auch die beiden roten Kollegen scheinen sich da hinten einig geworden zu sein und müssen jetzt schauen, den Anschluß ans Mittelfeld nicht zu verlieren."


    Besagtes Mittelfeld und auch alle anderen Positionen des Rennens fanden wieder eine Platz auf der Tafel, als der nächste Delphin umgedreht wurde und der Schreiber seinen Griffel wieder aufnahm: Marsyas - Dareios - Lupus - Thrax - Rothar - Diokles - Brinno - Metellus

    Gleich nach der Überquerung des Zielstrichs zum Ende der ersten Runde gingen die Gespanne in die Kurve für die erste Wende und für das Publikum und insbesondere die Herren Dellius und Netcer bedeutete das wieder einen Moment absoluter Hochspannung.


    "Marsyas ist wieder schneller als Dareios und kann noch immer seinen Vorteil der Innenbahn nutzen. Wenn das zur Gewohnheit wird und dem Blauen da kein Rezept einfällt, dann könnten wir bis zum Ende immer den Grünen vorne sehen. Und dahinter drängt Lupus heran, da wird Dareios jetzt auch noch von hinten in die zange genommen und unter Druck gesetzt. Die grünen Fahrer scheinen sich gut organisiert zu haben und wollen das Rennen von Beginn an diktieren."


    "Das ist auch die einzig richtige Strategie, die sie hier fahren können. Sie sind nur zu zweit, während die Veneta zu dritt fährt und damit mehr taktische Möglichkeiten hat. Die Praesina darf also nicht den Fehler machen, ihr die Zügel zu überlassen, sonst wird sie hier eiskalt austaktiert."


    "Wobei die Praesina mit Lupus die zweite Position in der Mannschaft etwas stärker besetzt hat, als dies bei der Veneta der Fall ist."


    "Da sieht man mal wieder, was du doch für ein Theoretiker bist. Dieser Unterschied, den du da auf deiner Wachstafel notiert hast, wirst du nicht an jedem Tag feststellen können."


    "Dann werde ich schauen, ob ich am Ende des Tages noch eine Notiz auf meiner Tafel hinzufügen muss. Schauen wir aber erst einmal wieder auf die Bahn hinunter, es geht nämlich auf die zweite Wende zu. Und Lupus macht wieder mächstig Druck und greift Dareios an. Und da passiert ihm auch schon ein Fahrfehler, das sieht man ganz selten bei ihm. Er kommt zu weit nach außen und Lupus kann innen an ihm vorbei ziehen."


    "Ja, in der Tat, das ist sehr ärgerlich."


    "Und hinten im Feld ist auch wieder einiges los. Brinno hat aufgeholt und greift Thrax und Rothar an, die beide nebeneinander fahren. Doch da hat er in der Kurve keine Chance, noch weiter außen dran vorbei zu kommen. Den Versuch muss er abbrechen und sich hinter den beiden einreihen. Vielleicht kommt seine Chance in der nächsten Runde."


    Nachdem die Gespanne die zweite Gerade hinunter gedonnert sind und der zweite Delphin umgedreht wurde, kann der Rennschreiber wieder einen Zwischenstand notieren: Marsyas - Lupus - Dareios - Thrax - Rothar - Brinno - Diokles - Metellus

    Ebenso verfolgten auf der Tribüne die Herren Dellius und Netcer den Start und die erste Runde und begleiteten sie mit kritischen Worten.


    "Der Staub des Starts lichtet sich ein wenig und wir schauen mal, wer sich dort einen Vorteil heraus fahren konnte. Dareios sehe ich da vorne und Marsyas. Das überrascht natürlich nicht, dass sich die beiden Spitzenfahrer an die Spitze setzen, um nicht von anderen Fahrern in der Enge des Feldes ausgebremst zu werden. Dann der zweite Grüne und dann schon ein Roter. Das ist Thrax, der sich hier als Fahrer des ausrichtenden Rennstalls natürlich gut präsentieren will. Wie siehst du die Chancen dieses Mannes in diesem Rennen?"


    "Du hättest mir eben zuhören sollen. Ich sagte doch schon, dass Außenseiter hier keine Chance haben werden. Es ist schon seltsam genug, dass die Russata hier mit drei Fahrern auf der Bahn ist, aber Chancen hat sie absolut keine."


    "Das nennt man wohl ein vernichtendes Urteil, aber vielleicht schaffen sie es ja heute sogar, unseren Experten zu überraschen. Langsam nähert sich das Feld der ersten Wende. Marsyas behält die Innenbahn und damit den Vorteil, Dareios muss hinter ihm bleiben. Oho, ein Stück dahinter geht es aber gleich schon eng zu, da versuchen sich Rothar und Diokles gegenseitig die besten Plätze streitig zu machen, dabei fahren die doch für eine Factio. Das kann sicher nicht im Sinne der Trainer sein."


    "So sind die Fahrer eben, auf der Bahn sind sie ihr eigener Herr. Ich habe auch nicht immer auf meinen Trainer gehört."


    "Du warst aber auch meistens ganz vorne und konntest dir sowas besser erlauben. Da hinten im Feld erscheinen solche Kämpfe gleich an der ersten Wende wohl eher weniger sinnvoll. Aber wie ich sehe, hat das diesmal noch schandlos geklappt und die Fahrer jagen nun alle zum ersten Mal auf den Zielstrich zu. Vorne kann Dareios anscheinen problemlos auf Marsyas aufholen, die beiden fahren nun fast auf gleicher Höhe. Dahinter ist es immernoch etwas unübersichtlicher. Nur am Ende des Feldes, da scheint unser Experte Recht zu behalten, liegen bereits die beiden anderen roten Fahrer, die wir bisher noch nicht genannt haben."


    Während die Fahrer die erste Runde beendeten und die riesige Zählmarke in Form eines Delphins auf der Spina umgedreht wurde, notierte ein Schreiber den Zwischenstand: Marsyas - Dareios - Lupus - Thrax - Rothar - Diokles - Brinno - Metellus

    Während die Priester den Innenraum des Stadions verlassen und die großen Fleischtöpfe mit dem zerelgten Opfertier in die Küche geschafft werden, beginnen die Fans auf den Rängen mit der üblichen Lärmkulisse einer Großveranstaltung. Auf den Sitzplätzen, die eine besonders gute Sicht auf die Bahn und damit das gesamte Renngeschehen boten, hatten auch zwei Herren in Toga ihre Position bezogen, die das Rennen zu kommentieren gedachten. In einer Zeit einige hundert bis tausend Jahre vor der Erfindung der Rundfunkübertragung war dies zweifellos ein sinnfreies Vorhaben, hatte aber auch bei den vergangenen Rennveranstaltungen nicht für eine Störung des Ablaufs gesorgt. Der jüngere und dünnere der beiden Männer hieß Gaius Dellius und war in Rom als Moderator verschiedener Sportveranstaltungen nicht unbekannt. An seiner Seite stand ein etwas älterer Herr mit wenigen, aber dafür umso sorgfältiger gepflegten Haaren. Unter dem Namen Netcer hatte er vor 30 Jahren große Erfolge auf der Bahn gefeiert und sollte nun als Fachmann den Kommentar ergänzen.


    "Wir sehen unten auf der Bahn die Fahrer jetzt Aufstellung nehmen. Von außen nach innen stehen da jetzt Rothar, Lupus, Brinno, Dareios, Didius Metellus, Diokles, Thrax und Marsyas. Das ist eine Aufstellung, die dem grünen Spitzenfahrer sicherlich entgegenkommt, oder?"


    "Ja, sicher. Aber schau, die Fahrer können sich das ohnehin nicht aussuchen. Ein guter Fahrer muss mit jeder Aufstellung zurecht kommen und bis zur ersten Wende seine Position gefunden haben."


    "Ahja, natürlich. Wir werden sehen, wem das am besten gelingt. Wer ist dein Favorit für das heutige Rennen?"


    "Da möchte ich mich nur ungerne festlegen. Sowohl Marsyas als auch Dareios scheinen in bester Form zu sein und einer von beiden wird das Rennen machen. Außenseiter werden hier dagegen keine Chance haben."


    "Der Experte legt sich also mal wieder nicht fest, aber bald werden wir ja ohnehin wissen, wie es ausgeht. Wir können nur hoffen, dass uns diesmal kein so spektakulärer Unfall erwartet, wie bei den ersten Equirria."

    Nachdem die Gebäckstücke verbrannt sind reinigt und trocknet der Flamen Martialis sich die Hände und greift nach einem Becher Wein. Nicht jedoch, um ihn zu trinken, sondern um ihn in die Höhe zu heben, nachdem er an den Opferstier getreten ist. "Mamarce! Dir zu Ehren dieser Stier, wie es Dir zusteht! In Deinem Namen, Dir zu Ehren, wie es Dir zusteht!" Langsam gießt er die Flüssigkeit über den Kopf des Tiers. Der Stier ist jedoch dermaßen betäubt, dass er sogar fast vergisst zu Blinzeln, als der Wein ihm über die Augen läuft. Auch als der Priester die mola salsa zwischen die Hörner des Tiers reibt, zeigt es keine Reaktion. "Mamarce! Dir zu Ehren dieser Stier, wie es Dir zusteht! In Deinem Namen, Dir zu Ehren, wie es Dir zusteht!"


    Der Flamen Martialis entfernt die rote Wolldecke vom Rücken des Opfers und streicht mit seinem Messer über das mit rotem Tonstaub gefärbte Rückenfell. Dann wendet er sich zur Menge und liest das uralte Opfergebet von einer Pergamentrolle, die ein Minister ihm hinhält. Die Worte verklingen, ungehört von den hinteren Reihen, wo die Menschen nur erahnen können, dass dem Mars gerade durch den Priester die Equirria offeriert werden und er den Gott um seinen Schutz und Beistand für das Römische Imperium und seine Krieger erbittet. Dann tritt der Priester zur Seite und lässt die Opferhelfer nach vorne. Auf das 'Age?' folgt 'Agone!', auf den Hammerschlat folgt die Axt, und auf Blut folgt das zu Boden Fallen des massigen Leibes.


    Ein Popa tritt zu den Opfertier und beginnt, es auszunehmen. Es dauert nicht lange, dann liegen die vitalia des Stiers in den goldenen Schalen und werden dem Flamen Martialis gereicht. In aller Ruhe begutachtet der Flamen die Innereien sorgfältig. Nicht nur das Gelingen der Equirria, sondern auch der Beginn der Kriegszeit und ein erfolgreiches Kriegsjahr hängen von der Annahme dieses Opfers ab. Doch bald legt er das letzte Stück wieder zurück in die Schale und hebt seine Arme. "Litatio!"


    Die Zuschauer auf den hinteren Rängen müssen das Wort nicht hören, um zu wissen, dass das Opfer angenommen ist. Freudige Rufe hallen durch den Circus, während der Flamen unbeirrt im Ritual forfährt. "Es ist Dein Recht nun zu kommen, Mars. Deine Tage fordern ihren Platz und der Monat, der Deinen Namen trägt, ist hier. Die Krieger stehen bereit um in Deinem Namen in den Kampf zu ziehen, darum schreite ihnen voraus, Mars Gradivus! Führe Deine Söhne durch die Zeit des Krieges, Mars Pater, gewähre ihnen Deinen Schutz und Deinen Segen, Mars Invictus! Zerschmettere die Feinde Roms, Mars Ultor, und schütze die Herden seiner Einwohner, Mars Silvanus! Dir zu Ehren sollen die schnellsten Pferde am heutigen Tage ihre Bahnen über das Dir geweihte Feld ziehen, Dir zu Ehren soll dieser Tag gereichen! MARS INVICTUS! MARS GRADIVUS! MARS SILVANUS! MARS PATER! MARS ULTOR!" Während er die Worte spricht übergibt er die Eingeweide, ein Stück nach dem anderen, dem Feuer.


    Im Hintergrund wird eilig der Stier in grobe Stücke zerteilt, so dass man ihn von der Bahn schaffen kann. Der dunkelrote Blutfleck, der sich im Sand ausgebereitet hat, würde am Ende des Rennens wahrscheinlich nichtmal mehr zu sehen sein.


    Die pompa circensis hat bereits weit vor den Toren des Stadium Domitiani begonnen und ist im Lauf des Marsches durch das Stadtinneren bis zum Austragungsort der Equirria stetig angewachsen. Nun im nicht ganz runden Rund der Rennbahn angekommen stellen die Träger erleichtert die schweren Götterbilder und Statuen entlang der spina, der Trennung der beiden Geraden, auf und der rote Opferstier mit den weithin schimmernden vergoldeten Hörnern wird zum Altar am Ende des Stadions geführt. Die Wägen mit den berühmten aurigae ziehen noch ein oder zwei Bahnen, während der sich die Lenker schon jetzt von der Menge zujubeln und sich feiern lassen, dann ziehen sie sich zu den Ställen und Startboxen, den carceres die direkt unter der Ehrentribüne liegen, zurück.


    Fanfaren ertönen um den Beginn des Opfers anzukündigen. Jegliche Mühen eines Heroldes - und wenn er noch so eine laute Stimme hat - wären gegen das Stimmengewirr, das fröhliche Gelächter und Gesinge der Factioanhänger vergebens. Da die Equirria mit zu den wichtigsten Feiertagen im Mars-Jahr zählen zelebriert der Flamen Martialis persönlich den Opferritus. In seine weiße Toga gehüllt tritt er aus einer der unzähligen Türen unter den Zuschauerrängen heraus. Ihm folgen zwölf Priester, je eine Reihe von Sechs rechts und links hinter ihm. Danach folgt das Hilfspersonal - Victimarius, Cultraius, Popae und Ministri. Die kleine Prozession versammelt sich um den Altar herum und jeder nimmt seine streng festgelegte Position ein.


    In einem ausladenden Zeremoniell zieht sich der Flamen Martialis eine Falte seiner Toga über den Kopf. Dann greift er in die von einem Helfer dargebotene Schale mit Weihrauch und streut diesen über die glühenden Kohlestücke in der Schale auf dem steinernen Altar (den Weihrauch, nicht den Helfer). Die emporsteigende Rauchsäule ist nur ein Strich in Anbetracht der Größe des Stadium Domitiani, die Zuschauer am anderen Ende der Bahn können sie kaum noch ausmachen. Da der Priester jedoch nicht geizt, wird es eine feste, opake Säule, die erst weit über den Köpfen der Römer vom leichten Wind zerweht wird.


    Bald jedoch erstirbt die Rauchsäule, als ein Popa die Flammen der Kohle mit einem kleinen Blasebalg anfacht und ein anderer vorsichtig Öl in die äußere Rinne der Schale gibt. Sofort entzündet sich die Flüssigkeit und ein Feuer lodert auf dem Altar auf. Der Flamen breitet seine Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet, und blickt zum wolkenlosen Vormittagshimmel hinauf. "Mamarce! Dir gebührt dieser Tag voller Ehre! Mamarce! Wie es Dir zusteht, wollen wir Dir an diesem Tage Pferde, Wägen und Männer weihen! Darum gewähre uns Deine Aufmerksamkeit, Mamarce! Beehre uns mit Deiner Gunst!"


    Ein junger Minister reicht dem Flamen Martialis mit vor Aufregung geweiteten Augen die Schale mit den Opferkeksen. Aus dieser nimmt der Priester nacheinander drei Gebäckstücke und übergibt sie dem martialischen Feuer.


    Nicht wie meistens am Kapitol, sondern dem Anlass entsprechend am Tempel des Mars Ultor, nahm die Pompa Circensis ihre Aufstellung. Von dort sollte sie über das Forum, die Via Lata, die Via Flaminia und die Via Recta bis zum Stadium Domitiani führen. Die Mischung aus pompöser Zurschaustellung der Fahrer und würdevoller religiöser Prozession machte ein strenges Protokoll nötig, wer an welcher Stelle im Prozessionszug postiert war. Der Zug begann mit dem sportlichen Teil und wurde von Jungen zu Fuß und auf Pferden angeführt. Die meisten waren die Söhne von Factiomitgliedern der Russata und mächtig stolz, den Wagenlenkern voran ziehen zu dürfen. Die Wagenlenker selbst standen auf ihren Wägen, winkten ins Publikum und ließen sich schon vor dem Rennen feiern. Zum Teil hatte man ihre Pferde noch geschmückt, aber zum Rennen würde dieser Schmuck natürlich entfernt werden. Dahinter wurde es dann schon etwas feierlicher mit mehreren Gruppen von Männern und Jungen in roten Tuniken, die Schwerter und Speere mit sich führten und, ähnlich den Auftritten verschiedener Kultvereine, Tänze aufführten. Begleitet wurden sie dabei von Sängern und Flötenspielern, die für die passende musikalische Untermalung sorgten.


    Hinter ihnen folgten die Träger, die vermutlich die schwerste Aufgabe im ganzen Zug hatten, nämlich die Götterbilder zu transportieren, die zu diesem Anlass aus dem Tempel geholt wurden. Priester, Opferhelfer mit den mötigen Utensilien und natürlich dem Opferstier sowie unzählige Ministri, die Weihrauch verbreiteten, folgten den Bildern gemessenen Schrittes. Auf einem weiteren Wagen folgte der Ausrichter der Spiele, wobei in diesem Fall auch die daneben und dahinter gehenden Mitglieder der Factio Russata zu den Ausrichtern zu zählen waren, bevor sich alle anderen anschlossen, die dem Zug folgen wollten.

    Wie schon bei den ersten Equirria im Februar, war es noch früher Morgen, als das Stadium Domitiani auf dem Marsfeld zum Leben erwachte und seine Tore für den bevorstehenden Renntag öffnete. Diesmal sollte die Factio Russata der Ausrichter sein und dementsprechend war rot die tendenziell dominierende Farbe des Tages. Was allerdings auch daran gelegen haben könnte, dass die Equirria zu Ehren des Kriegsgottes Mars abgehalten wurden und dieser ebenfalls mit dieser Farbe in Verbindung zu bringen war. Ursprünglich hatten die Organisatoren mehrere Rennen geplant, an denen alle Factiones der Stadt teilnehmen sollten, denn meist fielen die zweiten Equirria größer aus als die ersten. Da aber drei Factiones aus verschiedenen Gründen auf einen Start verzichtet hatten, sollte es auch an diesem Tag nur eine kleinere Veranstaltung mit den verbleibenden drei Factiones geben. Außer der gastgebenden Russata waren noch die Veneta und die Praesina jeweils mit ihren besten Fahrern am Start.

    Die Ankunft der Fahrer des zweiten Rennens sorgte im Fahrerlager noch einmal für neuen Schwung. Der umjubelte überragende Sieger des Rennens nahm die Glückwünsche der anderen Fahrer entgegen, während der Germane und der Mauretanier ihr Duell von der Rennbahn nun auch in den Katakomben fortsetzten und einige Betreuer schließlich dazwischen gehen mussten, um ernstere Verletzungen zu verhindern. Die anderen Fahrer nahmen ihre Duelle eher sportlich. Vermutlich waren sie tatsächlich alle in etwa gleich gut gewesen und Proteneas war nur derjenige unter ihnen, der am Ende das meiste Glück hatte.


    Die frisch gewonnen Fans, die sich schon wieder vor den Zugängen zum Fahrerlager sammelten und wechselweise die Namen ihrer neuen Lieblinge brüllten, störte das wenig. Sie waren alle davon überzeugt, jeweils den neuen Star der Rennbahn entdeckt zu haben und hofften, ihren Favoriten bald wieder bei einem anderen Rennen in Rom zu sehen. Jene, denen dieses Glück nicht vergönnt war, hatten immerhin einen tollen Renntag gehabt und konnten mit frischem Selbstbewusstsein in ihre Heimatstädte zurückkehren.

    Das Bild aus den ersten Runden schien sich auch im weiteren Rennverlauf zu bestätigen und erinnerte ein wenig an eine schlechte Jagdgesellschaft: vorne weg drehte Halil Torkebal als einsamer Gejagter seine Runden, während ihm mit großem Abstand eine dicht gedrängte Meute von Jägern folgte, die sich in erbittertem Konkurrenzkampf um die besten Plätze immer wieder selbst im Weg war. Langsam gaben auch die vorsichtigsten dieser Fahrer die Zurückhaltung auf und tauschten Peitschenhiebe, Beschimpfungen und obszöne Gesten mit ihren Gegnern aus, sofern es die Rennsituation irgendwie erlaubte, zur Seite zu blicken oder eine Hand vom Zügel zu nehmen.


    Bei der ersten Wende der vierten Runde war plötzlich der Brite vorne, wurde aber gleich schon wieder auf der Geraden eingeholt und musste in der nächsten Kurve den Griechen an sich vorbei ziehen lassen. Doch auch der konnte sich nicht lange über den Spitzenplatz in diesem Feld freuen, denn todesmutig gab der Assyrer in der nächsten Kurve alles und versuchte ein Überholmanöver auf der Außenbahn, welches ihm tatsächlich auch gelang. Hinter den beiden gerieten wieder einmal der Germane und der Mauretanier heftig aneinander und als sich ihre Räder berührten, schien ein weiterer Unfall kurz bevor zu stehen. Doch diesmal passierte nichts und die Wägen donnerten scheinbar unbeschädigt die nächste Gerade hinunter. In der nächsten Kurve büßte der Assyrer nicht nur fluchten einen Platz, sondern auch seine Peitsche ein, die ihm im Eifer des Gefechts aus der Hand rutschte, als er nach dem Briten schlagen wollte, der ihn gerade überholt hatte. Dieser schien den Verlust bemerkt zu haben, winkte hämisch mit seiner Peitsche zurück und versuchte, endgültig davon zu ziehen.


    Das ganze Spektakel in dieser Gruppe konnte sich Halil Torkebal fast schon von hinten ansehen, hatte er inzwischen doch mehr als eine halbe Runde Vorsprung herausgefahren und beendete seine Wende immer schon, bevor die Verfolger zur vorherigen ansetzten. Noch immer machte er kaum von seiner Peitsche gebrauch und versuchte es stattdessen mit seiner Stimme, die inzwischen aber zwischen dem Lärm des Publikums nicht mehr zu hören war. Zweifellos war er aus seiner Heimat keine so lauten Rennbahnen gewohnt und hatte alle Mühe, mit seinen Rufen noch bis zu den Pferden durchzudringen. Ob diese überhaupt verstanden, was er ihnen zurief, war eine ganz andere Frage und würde wohl kaum zu beantworten sein. Die Frage nach dem besten Fahrer der Verfolgergruppe steuerte währenddessen unaufhaltsam auf eine Beantwortung zu, denn gerade wurde auf der Spina das Zeichen für die letzte Runde umgedreht. Noch einmal versuchten die Fahrer alles aus ihren Pferde herauszuholen. Am ehesten war noch festzustellen, wer wohl nicht auf dem zweiten Platz landen würde, weil er schon zu weit zurück lag. Der Assyrer zum Beispiel, der wieder einmal den Mauretanier und den Germanen vor sich hatte und an denen er bis zum Ende des Rennens nicht mehr vorbei kaum. Aber auch diese beiden schienen nur noch im Auge zu haben, wer von ihnen als erster über den Zielstrich gehen würde und achteten kaum mehr auf die vor ihnen liegenden Fahrer. So musste sich das Duell also zwischen dem Griechen und dem Briten entscheiden, die beide ihre Fans im Publikum gefunden hatten, obwohl die große Mehrheit bereits den Afrikaner feierte, der mit einem unglaublichen Vorsprung als erster im Ziel eintraf. Dahinter konnte sich schließlich mit weniger als einer Viertellänge Vorsprung der Grieche gegen den Briten durchsetzen.


    "Es siegt Halil Torkebal vor Proteneas", gab der Ausrufer die beiden Namen bekannt, die man sich vielleicht für die Zukunft merken müsste, während auch hier der Rest wieder im Lärm der Zuschauer unterging.

    Während der militärischen Zeremonie in der Kaiserloge hatten die zahlreichen Helfer auf der Bahn genug Zeit, die Spuren des Unfalls im letzten Rennen zu beseitigen. Sorgfältig wurde jeder noch so kleine Holzsplitter aufgelesen und weggeschafft und kleinere Löcher im Sandboden frisch aufgefüllt. Die nächsten Fahrer sollten ebenso gute Bedingungen erhalten wie die ersten und ohne Angst vor einem Unfall an derselben Stelle starten können. Auch sie wurden in einer Einführungsrunde erst einmal dem Publikum vorgestellt und winkten dabei fast alle ebenso unbekümmert ins Publikum, wie ihre Kollegen aus dem ersten Rennen. Diesmal setzte sich das Startfeld aus einem Germanen, einem Briten, einem Assyrer, einem Griechen, einem Mauretanier und einem Afrikaner zusammen. Letzterer wurde dem Publikum mit dem Namen "Halil Torkebal" vorgestellt und machte von allen Fahrern den angespanntesten Eindruck. Eher mechanisch blickte er ins Publikum und schwenkte seine Arme, während er unaufhörlich vor sich hin zu murmeln schien, um entweder auf sich selber oder die Pferde einzureden.


    Am Start jedoch setzte er sich gleich an die Spitze des Feldes und übertönte mit lauten Schreien dabei sogar stellenweise das tobende Publikum. Auch wenn sie nicht so laut waren, dass man auf den Rängen irgendetwas verstehen konnte, dann schienen sie zumindest den Pferden ein guter Ansporn zu sein. Hinter ihm machte der sehnige, dunkelhäutige und kleine Mauretanier auch nicht gerade wenig Geschrei und gab darüber hinaus einen malerischen Kontrast zu dem neben ihm fahrenden kräftigen, großen und blonden Germanen ab. Zwischen diesen beiden Fahrern schien sich ein ähnliches Duell wie im vorherigen Rennen anzubahnen, wobei die Fahrer hier nicht zur Peitsche griffen, sondern sich gegenseitig markige Worte und drohende Gesten entgegen schleuderten. Eher unauffällig reihten sich dahinter die verbleibenden drei Fahrer ein, die aber augenscheinlich alle in etwas gleich stark waren und auf den Geraden immer wieder fast nebeneinander fuhren. So entbrannte vor jeder Wende immer wieder ein heißer Kampf um die besten Plätze, in denen mal dieser und mal jener Fahrer das bessere Ende für sich hatte.


    Auch der Mauretanier und der Germane konnten sich von diesen Kämpfen nicht absetzen und wurden bald von gleich zwei Fahrern überholt, nur um sich einen der Plätze in der folgenden Runde gleich wieder zurück zu holen. Dadurch beruhigte sich ihr verbissenes Gegeneinander ein wenig, da jetzt ein Wagen zwischen ihnen fuhr und sich jeder ein wenig auf sein eigenes Rennen konzentrieren konnte. Ein eigenes Rennen ganz ohne die anderen schien dagegen an der Spitze Halil Torkebal zu fahren, der nach drei Runden schon einen enormen Abstand zwischen sich und die übrigen Fahrer gebracht hatte und seine Pferde weiterhin statt mit der Peitsche mit lauten Worten antrieb.

    Während im Stadion das militärische Zeremoniell von Ernennungen ablief, war das Fahrerlager in den Katakomben des Stadium Domitiani von ganz anderen Stimmungen geprägt. Zwei Fahrer waren bei dem Rennunfall in Runde vier verletzt worden und wurden nun ärztlich versorgt. Für eines der verletzten Pferde gab es keine Hilfe mehr und zwei weitere bedurften ebenfalls einer sofortigen Behandlung, würden aber wohl nie wieder als Rennpferde eingesetzt werden können. Die übrigen Fahrer freuten sich dagegen über ihre glückliche Zielankunft, wobei der siegreiche Thraker vor Freude kaum zu halten war. Noch ein wenig getrübt schien die Freude bei Casetorix, der wohl noch nicht ganz realisiert hatte, dass er gerade vor den Augen des römischen Kaisers bei einem Rennen in Rom zweiter geworden war. Und das mit einem Wagen, der bei dem Unfall beschädigt wurde und im Zielbereich auseinander fiel, als die Pferde ausgespannt wurden.


    Große Becher mit Wein machten die Runde unter den Fahrern und der geringen Zahl ihrer Betreuer und jetzt, wo ihre Namen und Gesichter dem Publikum bekannt waren, wurden sie auch sehr viel mehr beachtet, als bei ihrer morgentlichen Ankunft auf dem Marsfeld. Viele Zuschauer, die sich nicht für die Vorgänge im Stadion interessierten, drängten sich an den Eingängen zu den Katakomben, um aus der Nähe einen Blick auf die Fahrer zu werfen.

    Ganz anders als die belanglose dritte Runde präsentierte sich die vierte Umrundung der Spina. Noch immer duellierten sich an der Spitze des Rennens Hispania und Gallia, doch während die Fahrer keine Anzeichen zeigten, aufgeben zu wollen, hielt einer der Wägen den ständigen Karambolagen nicht mehr stand. Kein lautes Krachen, aber eine umso größere Staubwolke war zu bemerken, als die vordere Ecke des gallischen Wagens in das Rad seines Vordermannes geriet und dieses zerlegte. Wild wiehernd zogen die Pferde den Gallier und seinen Wagen weit nach außen, um den herumfliegenden Holzsplittern zu entgehen, während sein hispanischer Kollege in die andere Richtung aus dem Wagen katapultiert wurde und verzweifelt versuchte, sich von den Zügeln zu befreien und nicht weiter mitgeschleift zu werden. Seine Pferde zogen erst nach innen und dann nach außen, bevor sich die Überreste des Wagens aus dem Gespann lösten und genau dorthin rutschten, wo der Ägypter an dem Unfall vorbeiziehen wollte. In einer zweiten Staubwolke stürzten zwei seiner Pferde, während auch der Ägypter aus dem Wagen geschleudert wurde, sich aber immerhin nicht von den Zügeln losschneiden brauchte.


    Noch während die restlichen drei Fahrer, die ihre Gespanne stark gebremst hatten, vorsichtig die verstopfte Stelle der Bahn passierten, rannten aus den Katakomben die ersten Helfer auf die Strecke, um die verletzten Fahrer zu bergen, die losgerissenen Pferde einzufangen und die Wrackteile zur Seite zu schieben. Casetorix, der Gallier, der nun die Führung des dezimierten Feldes übernommen hatte, hatte auf der Geraden alle Mühe, seine aufgeregten Pferde zu beruhigen und wieder auf die Fahrlinie zu bringen, so dass seine nachfolgenden Gegner wieder näher herankommen konnten und das Rennen etwas langsamer wurde. Als sie das erste Mal die Unfallstelle passierten, waren daher auch schon immerhin die Fahrer und die verletzten Pferde von der Bahn, während die Trümmerteile noch überall herum lagen und ein Pferd des Ägypters noch nicht wieder eingefangen war.


    Unbeeindruckt davon nutzte Alexandros die Runde für einen Angriff auf den vor ihm platzierten Mann aus Asia, der durch den Unfall wohl etwas sehr vorsichtig geworden war und sich zu keinerlei Gegenwehr in der Kurve überwinden konnte. Casetorix an der Spitze schien dagegen entschlossen, das Rennen auch als Sieger zu beenden, auch wenn sein Blick immer wieder weg von den Pferden und hinunter zu seinem Wagen ging, der offenbar ebenfalls beschädigt wurde. So konnte er das Tempo der ersten Runden vor allem in den Kurven nicht mehr halten und musste auch bei der zweiten Passage der teilweise geräumten Unfallstelle immernoch aufpassen, nicht über eine kleines Trümmerteil zu fahren und seinen Wagen damit zu zerstören. Genau diese Schwäche nutzte Alexandros in der letzten Runde aus, wagte ein Überholmanöver kurz hinter der Unfallstelle und setzte sich damit tatsächlich bis zum Ende des Rennens noch vor den sichtlich wütenden Gallier.


    "Es gewinnt Alexandros aus Serdica vor dem Gallier Casetorix", verkündete ein Ausrufer, bevor der Jubel auf den Rängen so laut wurde, dass die Namen der übrigen Fahrer nicht mehr zu verstehen waren. Sie dürften wohl ihr einziges Rennen in Rom gefahren sein, aber den Thraker und den Gallier könnte man vielleicht eines Tages noch einmal wiedersehen.

    Nach der Annahme des Opfers dauerte es noch einige Zeit, bis die Spina wieder geräumt war und nach dem rituellen Höhepunkt des Tages der spektakuläre Höhepunkt mit den Rennen folgen konnte. Noch während neben dem Altar die letzten Teile der Stiere erlegt und in Töpfe gegeben wurden, öffneten sich unten auf der Bahn die Tore und die sechs Wägen, die im ersten Rennen gegeneinander antreten sollten, wurden zu einer langsamen Runde über die Bahn geführt. Unruhig warfen die Pferde ihre Köpfe in die Luft, als der Lärm des Publikums anschwoll, aber die Begleiter, die neben den Pferden herliefen, machten ihre Sache routiniert und keines der Gespanne ging schon vor dem Start durch. Das gab den Lenkern Gelegenheit, ins Publikum zu winken und sich schon vor dem Rennen ein wenig feiern zu lassen, während ihre Namen und ihre Herkunft verlesen wurden. Ein Gallier war unter den Fahrern, ein Hispanier, ein Thraker und einer aus Asia, einer aus dem Illyricum und ein Ägypter, doch keinen der Namen hatte man zuvor in Rom schon einmal gehört. Es waren junge Fahrer, die in ihrer Heimat ihr Talent bewiesen hatten und sich nun den großen Traum erfüllen konnten, einmal in Rom vor dem Kaiser persönlich ein Rennen zu fahren. Für manche von ihnen würde der Traum vielleicht sogar noch weiter gehen, wenn die Vertreter der großen Factiones Roms ein Auge auf sie warfen und für ihren Rennstall behalten wollten. Aber soweit war es noch nicht, denn noch standen ihnen sieben anstrengende Runden auf der Rennbahn bevor.


    Nachdem Fahrer, Pferde und Wägen einmal auf der ganzen Bahn gezeigt worden waren, kamen sie zurück in den Startautomaten. Trompetenklänge kündigten den nahen Start des Rennens an und in gespannter Erwartung wurde es etwas ruhiger. Als sich dann die Tore öffneten und die Fahrer versuchten, so schnell wie möglich volle Fahrt aufzunehmen, schwoll der Lärm dafür umso mehr an. Aus den Rufen des Publikums konnte man ein wenig entnehmen, welche Fahrer bei der Vorstellungsrunde die meisten Sympathiepunkte erobern konnten. Dass der Ägypter einen etwas schwer auszusprechenden Namen hatte, stellte sich als recht kleines Problem heraus, denn das Publikum taufte ihn kurzerhand "Isis", was zwar nicht unbedingt passte, aber leicht zu rufen war. An die Spitze des Rennens setzte sich dagegen zunächst einmal der Hispanier, der sich mit dem Gallier von Beginn an ein heftiges Duell lieferte. Es folgten die Fahrer aus Asia, dem Illyricum und Ägypten, während der Thraker das Schlußlicht bildete und damit seinem klagvollen Namen "Alexandros" keine Ehre zu machen schien.


    Auf der zweiten Runde gerieten die Isis-Fans unter den Zuschauern in helle Aufregung, als sich ihr Favorit mit kräftigen Peitschenhieben entweder auf seine Pferde oder seine Gegner Stück für Stück nach vorne arbeitete und bis auf den dritten Platz nach vorne kam. Vor ihm touchierten sich schon zum wiederholten Mal die Wägen des Hispaniers und des Galliers, wobei der Hispanier auch diesmal die Nase vorne hatte und somit als führender Mann in die dritte Runde ging. Abgesehen davon, dass Alexandros den letzten Platz an den Illyrer abgab, tat sich in dieser aber nicht viel.

    Eine dünne Wolkendecke, wie sie im Februar nicht selten ist, verhinderte zwar den ungehinderten Blick auf die Sonne, aber trotzdem war sie am Himmel schon etwas weiter gestiegen, bis das Stadium Domitiani sich gefüllt hatte. Nachdem sich der Jubel um die Ankunft des Kaisers gelegt hatte, zog die Prozession der Priester, Weihrauchträger, Opferdiener, Musikanten und natürlich der Opfertiere in das Stadion ein. Nicht die Anwesenheit des Kaisers, sondern erst die kommende Zeremonie eröffnete den Renntag und aus Sicht der Priester war der Kaiser dabei nur ein Zuschauer unter vielen. Nur die wenigsten Zuschauer werden diese Sichtweise ernsthaft geteilt haben, aber für den Flamen Martialis, der dieses Opfer leiten sollte, war sie geradezu eine alltägliche Sichtweise, denn immerhin begegnete er dem Kaiser auch häufiger im Collegium Pontificium und außerdem wäre es keine gute Angewohnheit gewesen, sich durch die Anwesenheit des Pontifex Maximus nervös machen zu lassen. Als Imperator war dieser zwar der Opferherr und Ausrichter des Opfers und der Spiele, hatte in der Kulthandlung aber diesmal ansonsten keine Funktion.


    Unter dem Klang von Pfeifen und Lauten umrundeten sie die Spina und führten die Opfertiere dann über eine bereite hölzerne Rampe hinauf zum Opferplatz am Altar, der sich in der Mitte der Spina befand. Zwei Stiere sollten geopfert werden und an diesem Tag sollten auch zwei Rennen stattfinden. Doch bevor es soweit war, umrundeten erst einmal der Flamen und die Priester den Altar, währen die beiden geschmückten Stiere an Eisenringen auf dem Boden angekettet wurden. Während in mehreren Opferschalen große Mengen Weihrauch verbrannten, folgten die rituellen Reinigungen und mit donnernder Stimme rief ein Herold die Anwesenden zum Schweigen auf. Die verbleibende Lautstärke wurde von den Flöten einfach übertönt.


    Da der Kaiser sich bereits in de Ehrenloge befand, wurde die folgende Kulthandlung von der Weihung des Tieres über seine rituelle Entkleidung bis zum Verlesen des Opfergebetes praktisch ohne sein Zutun und unter Leitung des Flamen erledigt. Wie an einem Festtag, den schon Romulus zu Ehren des Mars eingesetzt hatte, nicht anders zu erwarten war, war es die kriegerische Seite des Gottes, die in diesem Gebet besonders angesprochen wurde und die daran erinnerte, wie Rom zu seiner heutigen Größe gelangte. Erst vor dem Abstechen der Opfertiere gab es einen kurzen Blickkontakt zur Kaiserloge, dann fuhren die Opfermesser den Stieren in den Hals und die Eingeweide wurden entnommen und begutachtet.