Beiträge von Iulia Triaria

    "Sorge dich nicht, Eireann. Die Aufgabe erfordert kein besonderes Geschick. Nur ruhige Hände. Und ich vermute doch sehr, Tiburtia hier verfügt über einige Erfahrung, sodass sie dir nötigenfalls helfen kann." Die angesprochene Sklavin nickte beipflichtend, noch immer mit Triarias Füßen beschäftigt. "Gut, dann hole das erforderliche Werkzeug." Während Tiburtia aufstand, um der Anweisung eilends nachzukommen, überschlug Triaria wieder ihre Beine und musterte abermals die ihr noch fremde Sklavin. Sie gab eigenwillige Geräusche von sich, als sie die Traube verspeiste, beinahe wie ein Tier. Doch entstand daraus kein Gefühl der Bedrohung, vielmehr erschien ihr Eireann ... niedlich zu sein. Ja, damit wär es wohl am treffendsten beschrieben.


    Zumindest bis zu jenem Moment, da die Sklavin vom Tod ihrer Eltern sprach. Triarias Gesichtszüge verhärteten sich um eine Spur und sie suchte nach dem Klang der Anklage in Eireanns Stimme. Gewiss, sie vermochte gut nach zu empfinden, welcher Schmerz mit dem Verlust von Vater und Mutter einher ging. Doch war es auch von den Göttern bestimmt, dass die Römer über andere Völker geboten und daher brachte Triaria im Allgemeinen wenig Mitleid für Sklaven auf. Zur Antwort nickte sie beiläufig. "Mitunter betritt das eigene Schicksal Wege, deren Ziele einem nicht sofort ersichtlich sind." Böswillig war Triaria indes keinesfalls und in ihren Worten lag ein Unterton, der verriet, dass sie durchaus wusste, wovon sie sprach. "Eines Tages magst du deine Heimat vielleicht wiedersehen. Die grünen Hügel um Venta Silurum. Viel hängt von deiner Entschlossenheit ab."
    Weiter kam Triaria nicht, denn Tiburtia kehrte zurück und hielt in Händen eine breite Pinzette. Die Römerin nahm sie ihr ab, ergriff mit dem Werkzeug einige feine Härchen an ihrem Unterschenkel ... und rupfte diese mit einem Ruck aus, wobei sie kaum merklich zusammen zuckte. Dann streckte sie Eireann die Pinzette entgegen. "Bis sie alle fort sind."

    Die Vorsicht, mit der Eireann die Traube ergriff, belustigte Triaria. Natürlich drückte sich darin Respekt aus, was die Römerin sehr schätze. Vielleicht war es auch Furcht; - immerhin musste jede Sklavin damit rechnen, zum Spielball einer plötzlichen Laune oder eines Scherzes zu werden. Während sie also die filigranen Finger Tiburtias an ihren Füßen genoss, lauschte sie den Worten Eireanns und versuchte sich zu erinnern, wo sie den Namen Venta Silurum schon einmal gehört hatte. Ihr Gedächtnis blieb ihr die Antwort indes schuldig. Gewiss, sie könnte fragen, ihr Stolz aber verhinderte dies. Daher nickte sie nur verstehend und trank einen weiteren Schluck Wein. "Ein weiter Weg trennt dich von Zuhause." Das klang gut, traf es doch auf fast jeden Ort im Imperium zu.


    Einmal mehr verlor sich Triaria in Eireanns strahlend blauen Augen und seufzte innerlich. Was hätte sie für solche Schmuckstücke gegeben? Ihre eigenen Augen waren so gewöhnlich braun wie tristes Holz. Triaria streckte ihre Hand nach dem Obst aus, ergriff eine Kirsche und verschlang sie. Mit der Zungenspitze förderte sie den ungenießbaren Kern zutage und ließ ihn in eine kleine Schüssel fallen. Schließlich beugte sie sich etwas vor und zog die Stirn in leichte Falten. "Erzähl mir von dem Ort, den du Heimat nennst. Und derweil kannst du mir bei der Enthaarung helfen." Triaria graute es bereits vor dieser Prozedur, gleichwohl war sie dringend nötig, wollte sie sich weiter wie eine römische Dame fühlen.

    "Nein", erwiderte Triaria und ergänzte einen Atemzug später mit ruhiger, gelassener Stimme: "Nein, ich fühle mich nicht gestört." Die Sklavin schien nervös zu sein, wofür Triaria indes keinen offensichtlichen Grund erkennen konnte. An ihr selbst mochte es wohl kaum liegen; - es sei denn, die junge Frau war in Gegenwart einer jeden Domina in solcher Weise angespannt. Ja ... dieser Ansatz bot eine simple Erklärung. Letztlich aber war es müßig, über die Motive von Sklaven nachzudenken. Einzig Kednes bildete dabei eine Ausnahme, denn sein Wohlergehen lag Triaria im hohen Maße am Herzen.
    "Eireann", wiederholte sie schließlich den Namen der Sklavin, wobei sie ihn mit einem deutlich zu vernehmenden, lateinischen Einschlag aussprach. Nicht aus besonderer Absicht, sondern da der Klang der Vokale ihr unvertraut war. Geduldig griff Triaria nach dem dargebotenen Kelch, zog ihn aus Eireanns bebenden Händen und nippte an dem Wein. In der warmen Umgebung des Balneums trat das Aroma eigenwillig stark hervor und unwillkürlich schüttelte sich die Iulierin. Sie war dem Genuss des gegorenen Traubensafts nie mit besonderer Leidenschaft begegnet, allein die Umstände machten diesen Kelch zu einem außergewöhnlichen Erlebnis. Auf einmal schmunzelte Triaria: 'Dein Sinn für romantische Ästhetik würde jedem profanen Dichter des Kitsch die Scham ins Gesicht treiben.'
    "Verstecke nicht deine Augen vor mir. Solche Juwelen anzuschauen habe ich selten die Gelegenheit. Und dein Name ist ebenso ungewöhnlich. Fremd für meine Ohren." Triaria streckte ihre etwas zu kurz geratenen Beine aus und wackelte mit den Zehen. Die freie Hand gehoben, gab sie Tiburtia einen Wink, die rasch herbei kam und sich gleichfalls wie Eireann auf den Boden setzte. Behutsam begann sie, die Füße der Römerin zwischen ihren Händen zu massieren. Triaria indes nahm eine weitere Traube, ließ sie auf ihre Handfläche rollen und streckte sie Eireann entgegen. "Für dich. Aus welchem Teil der Welt kommst du?"

    Triaria blinzelte, als sie erst leise Schritte und dann eine Stimme neben sich hörte. Zunächst glaubte sie, Tiburtia gehört zu haben, die Tonlage aber war eine andere. Sie richtete den Blick auf den Neuankömmling und hob die Augenbrauen. Im Grunde genommen sollte es sie nicht überraschen, dass die Domus Iulia mehr als eine Sklavin für das Balneum unterhielt. Und da sie noch keinen Tag hier weilte, konnte sie die verschiedenen Gesichter kaum kennen. Dennoch wäre es ... nett gewesen, hätte Caesoninus sie vorgewarnt. Sie wandte den Kopf und erblickte die junge Tiburtia hinter sich, mit vor dem Bauch verschränkten Armen, in den Händen noch immer das weite Tuch. Den Blick hielt die Sklavin gesenkt.


    "Nun, gut", antwortete Triaria schließlich und konzentrierte sich wieder auf den Neuankömmling. "Ich kann mich nicht erinnern, danach verlangt zu haben. Unwillkommen aber ist das nicht." Ein Lächeln stahl sich auf ihre Gesichtszüge. Caesoninus mochte die Lieferung veranlasst haben. Vielleicht auch der Majordomus. Oder aber Kednes, dem in seiner Fürsorge manche Überzeugungstat zuzutrauen war. Während sie sich nach vorne beugte und eine Traube aus dem Korb fischte, musterte sie die dunkelhaarige Frau neugierig und das leuchtende Blau ihrer Augen zog sie sofort in den Bann. Ein Anflug aus Bewunderung und Neid erfasste die Römerin. Sie, die ihr Leben bisher in Athen verbracht hatte, sah zum ersten Mal eine solche Farbe im Gesicht eines Menschen. 'Wunderschön', dachte sie und ließ die Traube zwischen ihren Lippen verschwinden. Genüsslich ließ sie die Frucht auf ihrer Zunge zergehen, weiterhin im Kleid der Götter auf der Steinbank sitzend, ehe sie schließlich fragte: "Sag mir, wie heißt du?"

    Triaria verließ das Becken. Wasser perlte von ihrer hellen Haut ab, fiel auf den mit Mosaiken überzogenen Boden. Für einen kurzen Moment, kaum länger als einen Herzschlag, fröstelte es sie, ihr Körper noch aufgeheizt vom warmen Wasser. Doch der allgegenwärtige Dampf umfing sie wie eine schützende Decke. Ihre Schritte hinterließen feuchte Abdrücke, bis sie schließlich die steinerne, mit Kissen bedeckte Sitzbank erreicht hatte. Mit der einstudierten Eleganz einer römischen Dame ließ sie sich nieder; - und kicherte unwillkürlich über sich selbst. Abgesehen von der Sklavin Tiburtia war niemand anwesend, daher war ihr Gebahren reiflich sinnlos. Aber ein wenig Übung mochte nicht schaden, denn unbeobachtet konnte sie sich Fehler durchaus erlauben.
    Neben Triaria raschelte weißer Stoff und Tiburtia - die gleichfalls aus dem Wasser gestiegen war - reichte ihr ein weites Tuch, sodass die Römerin sich abtrocknen konnte. Triaria schüttelte lediglich den Kopf, überschlug ihre Beine und stützte ihre Hände zu beiden Seiten ab. Sie hob das Kinn, streckte sich der Länge nach aus und konzentriere sich ganz auf ihre Sinne ... spürte, wie die auskühlenden Tropfen langsam an ihr hinab glitten. Es würde eine Weile dauern, auf diese Weise trocken zu werden. Doch das war ihr gleich. Denn sie hatte Zeit. Hier in Rom erwartete niemand etwas von ihr. Noch nicht zumindest. Und so saß sie im Balneum und ergab sich ganz dem Gefühl, frei von Zwängen zu sein.

    Triaria schwebte auf den Zehenspitzen stehend, die Augen geschlossen und umhüllt vom warmen Wasser, inmitten des Beckens. Ihre Arme ließ sie ausgestreckt zu beiden Seiten treiben, während die Sklavin Tiburtia mit einem Schwamm sanft über ihren Rücken strich. Nur das leichte Brennen an ihren wunden Ellbogen hielt Triaria davon ab, ihrer mehr und mehr zutage tretenden Erschöpfung nachzugeben und sich schlicht dem Schlaf anzuvertrauen; - so sehr hielt sie die Wonne im Griff. Wohlig seufzte sie, öffnete blinzelnd die Augen zu schmalen Schlitzen und sah trübe in den aufsteigenden Wasserdampf, der ihr wie eine Traumwelt vorkommen wollte. Verschwommene Konturen, die eigenwillige Muster bildeten und sich im Farbrausch des Balneums verloren. Kurz kam Triaria die Frage in den Sinn, ob der Lavendelduft wohl ihre Sinne benebeln mochte? Doch es war ihr im Grunde gleich und ein sanftes Lächeln überzog ihre schmalen Lippen, als sie erneut in Genuss versank.


    Tiburtia stand hinter der Römerin, gleichfalls unbekleidet und ließ den Schwamm in ihrer Hand über den schlanken Körper Triarias gleiten. Beginnend im Nacken, über die Schultern hinweg bis zu ihrer Taille. Es mochte Frauen in Rom geben, die femininer geformt waren als diese unzweifelhaft erwachsene Dame aus Athen, deren scharf geschnittene Kanten entfernt an eine Statue erinnerten. Allein ihr Gesicht war, beinahe wie im Kontrast, weich gezeichnet. Kurz war die Sklavin versucht gewesen, zu fragen, ob die Domina mit ihrer Arbeit zufrieden war. Indes verrieten Iulia Triarias Regungen mehr, als sie mit einer Antwort womöglich erfahren hätte und die Laute mochten den Moment empfindlich stören. Daher fuhr sie schweigend fort, umrundete die Römerin und begann ihr Werk von neuem. Sorgfältig rieb sie über Triarias Hals, erreichte schließlich ihren Bauch, um dann aber inne zu haltend. Sie wartete, denn es gab Grenzen, die nicht jeder Römer zu übertreten erlaubte; - wenngleich dies selten vorkam, waren Sklaven doch einem Möbelstück näher denn einer Person. Triaria bildete dabei keine Ausnahme. Es dauerte einige Herzschläge, bis die Römerin begriff, was Tiburtia inne halten ließ. Kurzerhand ergriff sie ihr Handgelenk und führte sie weiter. Tiburtia gehorchte, wie sie es gewohnt war, ohne Zögern in ihrem Handeln und mit geübten Fingern. Von den Wänden des Balneums hallte das leise Seufzen Triarias wieder ...


    Kednes | Leibwächter der Iulia Triaria


    "Wonga und Callista", murmelte Kednes die Namen der beiden Sklaven, mehr für sich selbst denn für den Maiordomus. Er würde sich diese Namen einprägen und später, wenn sich die Gelegenheit bot, das Gespräch mit ihnen suchen. Unbeobachtet, abseits neugieriger Ohren. Sollten sie sich als zuverlässig - und insbesondere als vertrauenswürdig - erweisen, so waren drei Augenpaare besser denn eines. Andernfalls aber mochten es eben diese beiden sein, die eine Gefahr für Triaria darstellten, wenn der friedliche Anschein dieses Hauses trog. Und er würde eine erste Einschätzung seiner Gegner gewinnen können. "Danke", antwortete Kednes knapp und unterstrich seine Worte mit einem gefälligen Nicken.
    Der Rundgang durch die Domus Iulia setzte sich fort und Kednes sog begierig jedes Detail in sich auf. Die Aussicht, im Heizraum Dienst versehen zu müssen, beunruhigte ihn dabei nicht sonderlich. Gewiss, es war keine schöne Arbeit. Schlimmer denn an den schweren Rudern eines Kriegsschiffes indes konnte sie kaum sein, zudem hielt sie ihn in Form. Sofern, und das bezweifelte Kednes, seine Schutzbefohlene einverstanden war, ihn dieser Verwendung zuzuführen. Unbedeutend war der Heizraum gleichwohl nicht, bot er doch ein gutes Versteck. Dunkelheit, Rauch und Wärme trübten manches Bewusstsein, das nicht vorbereitet war und boten Chancen, sich im brutalen Handgemenge zu behaupten. Man musste jeden Vorteil nutzen, dessen man habhaft wurde. "Danke", wiederholte Kednes schließlich, als der Maiordomus seine stets offene Tür anbot. Natürlich mochte dies eine Floskel sein, wie sie fast jeder Herr der Sklaven auszusprechen gewohnt war. Doch Phocylides machte einen ehrlichen Eindruck. Kednes empfand eine gewisse Sympathie für den Mann, auch wenn er noch weit davon entfernt war, ihm zu vertrauen. "Wie mir scheint, ist die Domus bestens organisiert und selbst für die Bediensteten angenehm eingerichtet. Das Ergebnis deiner Arbeit?"

    [...]



    Kednes | Leibwächter der Iulia Triaria


    Der Maiordomus - Phocylides sein Name - redete sehr viel. Und das ohne nennenswerte Pause. Also beschränkte sich Kednes zunächst darauf, aufmerksam zu lauschen und gelegentlich bestätigend zu nicken. Wie schon bei der Führung durch Gaius Iulius Caesoninus mühte sich Kednes, möglichst rasch einen vollständigen Überblick in die Struktur des Hauses zu gewinnen. In seiner Funktion mochte sich das als Vorteil erweisen. Dass nun gleich mehrere Ägypter im Haus ihren Dienst versahen, erschien ihm nicht allzu bedeutsam. Ihm war seine Herkunft gleich. Der Maiordomus hingegen schien dies als bemerkenswerte Fügung zu betrachten und Kednes wollte ihn nicht sogleich verärgern. Also hatte er nur gelächelt und geantwortet: "Ich entstamme keinem besonderen Ort. Ein Dorf an der Küste, der Name nicht der Erinnerung wert. Aber es gab viele Fischer." Als ob das nicht in jedem Küstendorf so wäre ...
    Die Sklavenunterkünfte waren annehmbar, zumal er eine gewisse Freiheit in der Gestaltung seiner Kammer besaß. Allzu viel Zeit würde er hier wohl ohnehin nicht verbringen, denn als Schatten der Iulia Triaria folgte er ihr überall hin. Und für's Erste würde er auch des Nachts vor dem Eingang zu ihrem Zimmer stehen. Bis er sicher war, dass ihr in diesem Haus keine Gefahr drohte. Einerseits weil er tatsächlich, seinem Status als Sklave zum Trotz, etwas für die Römerin empfand, die er von Kindesbeinen an begleitet hatte. So etwas wie väterliche Zuneigung. Nun, vielleicht auch ein klein wenig mehr. Andererseits - und das war eine sehr praktische Erwägung - weil sein Leben davon abhing. Leibwächter, die in ihrem Dienst versagten, neigten dazu, ihren Herrinnen rasch zu folgen.
    Als Phocylides auf den Dienst im Haus zu sprechen kam - die Erwähnung der Gesellschafterin ließ Kednes dabei die Augenbraue hochziehen -, fand er einen Grund, selbst einmal das Wort zu ergreifen. 'Ich kann töten', hätte er beinahe gesagt, doch er erinnerte sich rechtzeitig, dass Triaria ihm abgeraten hatte, diese Fähigkeit zu betonen. Also schwenkte er hin zu einem weniger grausamen Handwerk: "Ich fuhr lange Jahre zur See und beherrsche den Umgang mit Holz und Tuch. Gewiss kann ich das Haus damit unterstützen, soweit meine Domina mich entbehren kann." In seiner Einschränkung lag keinerlei Provokation, nur eine ruhige Feststellung. Denn Kednes war durchaus geneigt, sein Können einem Nutzen zuzuführen. "Ich danke dir, Maiordomus. Und wenn du erlaubst, so habe ich eine Frage: Wer im Haus trägt Sorge für die Sicherheit?"

    Nachdem Caesoninus das Balneum verlassen hatte, war Triaria allein mit Tiburtia. Die Frau - oder das Mädchen, denn es fiel Triaria schwer, ihr wahres Alter abzuschätzen - wartete unbeweglich auf Anweisungen, in Händen den weißen Stoff eines sorgsam gefalteten Kleides. Erneut lagen Triarias Augen einige lange Sekunden musternd auf der Sklavin. Wenn diese den Blick bemerkte - und das war anzunehmen -, ließ sie es sich nicht anmerken.
    Schwer hing der warme Wasserdampf in der Luft, kondensierte an den kühlen, das zentrale Becken umringenden Steinsäulen zu glitzernden Tropfen und rann in zufälligen Mustern auf den mit kunstvollen Mosaiken bedeckten Boden. Dahinter erhoben sich aus erdfarbenen Töpfen exotische Pflanzen in einem satten Grün und bildeten einen starken Kontrast zu den roten Tüchern, die zu Wellen geformt die Wände zierten. Das Balneum war nicht neu, sondern wies Gebrauchsspuren auf. Hier ein kleiner Riss im Putz, dort eine abgetretene Kante. Aber diese winzigen Makel täuschten nicht darüber hinweg, welchen Reichtum der Raum zur Schau stellte. Außerdem zeugten sie von Geschichte. Triaria ergriff ein ehrfürchtiger Schauer bei der Vorstellung, dass ihn ganze Generationen ihrer Familie durchquert hatten. Und nun war sie hier. Bei Bellona, sie würde es wert sein!
    Ein entschlossener Ausdruck legte sich auf ihre Gesichtszüge und sie trat bis auf einen Schritt an den Rand des Beckens heran. Von der Tür her erklangen leise Stimmen, doch Triaria verstand weder die Worte noch ließ sie sich davon ablenken. Sie streckte stattdessen die Arme zu beiden Seiten hin aus und warf Tiburtia einen auffordernden Blick zu. Ohne Strenge, aber unmissverständlich. Die Sklavin begriff, legte die Kleider in ihrer Hand auf einen trockenen Stein und stand geschwind neben der Römerin. Mit geübten Fingern löste sie Knoten und Spangen, zupfte am Stoff, bis Triarias Tunica an ihr hinab glitt und sich als lose Wolke um ihre Knöchel legte. Ein weiter Schritt, die Sandalen lösten sich von ihren Füßen und schließlich nahm Tiburtia auch die Fascia pectoralis an sich.
    "Deine Arme, Domina?", fragte die Sklavin mit einem Mal und Triaria betrachtete die geschundenen Ellbogen. "Später", antwortete sie nur und ihre Zehenspitzen glitten in das Wasser. Mit mühsam kontrollierter Ruhe - denn sie wollte um keinen Preis ihre Anmut zugunsten eines heiteren Sprungs in das verlockende Nass aufgeben - stieg sie in das Becken. Die Wärme umhüllte ihre Beine, ihre Hüften, ihre Brüste, während der Duft des Lavendels beinahe betäubende Intensität annahm. So stand sie, bis ein Seufzen ihren Lippen entwich. Ihre Augen suchten Tiburtia und sie deutete ihr, mit einem Finger auf die bereitliegenden Schwämme zeigend, es ihr gleich zu tun.

    [...]


    Caesoninus' Arme wirbelten umher, zeigten auf Gänge und Räume, während er Triaria den Grundriss der Domus Iulia in all seinen (bedeutsamen) Details erklärte. Die junge Römerin lauschte seinen Worten, nickte hin und wieder zur Bestätigung, dass ihre Konzentration ganz ihm galt, und kam zu der Überzeugung: 'Ich werde mich verlaufen.' Nur die Götter mochten in diesem Labyrinth einen Weg zu ihrem Ziel finden; - doch selbst Bellona war letztlich fehlbar, also konnte es durchaus geschehen, dass man Triaria eines Tages verhungert in einem entlegenen Winkel der Domus Iulia vorfand, wo sie vergeblich auf himmlichen Beistand gewartet hatte. Unwillkürlich schmunzelte sie bei der zugegeben etwas absurden Vorstellung. Je mehr Räume Caesoninus ihr jedoch präsentierte, desto mehr verfestigte sich das Bild.


    Im Balneum angekommen sog Triaria die feuchte Luft in sich auf und ihre Augen verdrehten sich dabei nahezu ins Weiß, als sie dem süßlichen Duft des Lavendels gewahr wurde. Sie war im Paradies, es musste so sein. Ihr Begleiter Kednes indes kehrte ohne Anweisung um, nahm mit verschränkten Armen vor dem Eingang zum Balneum Stellung ein und verriet allein durch seinen harten Blick, dass jedermann bei Eintritt einer strengen Musterung unterzogen werden würde. Triaria beachtete diese für sie zur Routine gewordene Reaktion des Ägypters kaum, sondern starrte vielmehr die Sklavin Tiburtia an. Kaum merklich biss sie sich auf die Unterlippe. Nicht nur ein Bad, gar frische Kleidung und eine Massage standen ihr zur Auswahl. Im Grunde hatte es all diese Annehmlichkeiten auch in Athen gegeben, allein das großzügige Ambiente der Domus Iulia ließ das Angebot aber noch um einiges verführerischer erscheinen; - die Strapazen der zurückliegenden Reise taten ihr Übriges dazu. Triaria seufzte wohlig, schon ob der Vorstellung, und wandte sich Caesoninus zu. "Oh, ich vermag gar nicht auszudrücken, wie sehr ich dir für deine Gastfreundschaft danke. Und ich bete, dass ich eine Möglichkeit finde, mich für diese Großzügigkeit erkenntlich zeigen zu können", sagte sie leise. Ihre Augen wanderten dabei mit einem erwartungsvollen Funkeln über das dampfende Becken. Aus ihrem Gepäck würde sie nichts weiter benötigen, denn die Sklaven der Domus Iulia hatten wahrhaftig an alles gedacht. Schmuck der Zierde wegen konnte sie auch später noch anlegen.


    Caesoninus strebte schon dem Ausgang des Balneums entgegen, als er nochmals inne hielt. Seine Frage ließ Triaria die Stirn runzeln. Einerseits wäre es von Vorteil, wenn Kednes den Majordomus und seine Unterkunft kennen lernte. Andererseits wurde ihr bewusst, dass sie dann erstmals seit ihrer Ankunft in Rom ohne die Sicherheit spendende Nähe des Ägypters sein würde. Sie zögerte einen Moment und schielte erneut zu Tiburtia, dann traf sie eine Entscheidung. Es würde womöglich als fatales Signal wirken, den Eindruck zu erwecken, sie bräuchte auch im Inneren des Hauses ihren Leibwächter stets an ihrer Seite. Natürlich würde Kednes ihre Entscheidung missbilligen, sich aber fügen. "Ich denke", begann sie nun laut genug, dass der Ägypter sie hören musste, "mein Wächter wird dem Majordomus gerne einen Besuch abstatten. Er allein hat mich auf der Reise begleitet."

    Das Bad war fertig. Triaria hatte das Gefühl, als könne sie das warme Wasser bereits auf ihrer hellen Haut spüren. Und so schloss sie sich Caesoninus an, wobei sie unverhohlen neugierig die Einrichtung der Domus Iulia bewunderte. Dieses Haus war um so vieles größer und prächtiger als die Villa ihrer Tante. Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf fragte, ob dies wohl der Ausdruck von Luxus oder doch nur römischer Standard sei? Triaria brachte die Stimme sofort zum Schweigen. Was für eine sinnlose Frage ... Ersteres natürlich!
    Kednes, der schweigsame Ägypter, folgte seiner Herrin und ihrem Gastgeber mit einigen Schritten Abstand. Das Gepäck ließ er auf einen Wink Triarias hin stehen. Ein anderer würde sich zu gegebener Zeit darum kümmern. Sein Blick auf dem Weg zum Balneum war indes weniger von Neugierde, als vielmehr von Wachsamkeit geprägt. Es war offensichtlich, dass er dem Idyll nicht im gleichen Maße traute wie sein Schützling. 'Allzu schnell voller Vertrauen', dachte er still bei sich. Nicht, dass er Caesoninus oder irgendeinem Iulier grundsätzlich schlechte Absichten unterstellte. Andererseits schien Triaria zu vergessen, dass sie einen Grund zur Vorsicht hatte, solange dieser nicht aufgeklärt war. Was sie vergaß, war daher seine Aufgabe ...


    [...]

    'Raum VI', ging es Triaria durch den Kopf, während ihr Gastgeber den Sklaven mit befehlsgewohnter Stimme Anweisungen erteilte, 'die Domus Julia ist noch größer, als ich dachte'. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wie groß oder weitläufig das Gebäude tatsächlich war. Dimensionen abzuschätzen war nie ihre Stärke gewesen, selbst im Vergleich mit nebenstehenden Bauwerken.
    Als Caesoninus für einen Moment die Augen schloss wurde Iulia Triaria unvermittelt aus ihren müßigen Gedanken gerissen. Sie blinzelte, unsicher, wie sie reagieren sollte. Womöglich war sie zu forsch gewesen, weilte sie doch erst sehr kurze Zeit im Haus der Iulier; - kaum lang genug, dass ein von der Krone fallendes Blatt den Boden erreichen konnte. Doch seine Antwort ließ sie sich wieder entspannen. Triaria lächelte erfreut und verwendete einige Augenblicke darauf, Caesoninus zu betrachten. Das konnte ihm kaum entgehen. Die Ruhe im Atrium und das Fehlen jeden gesellschaftlichen Anlass' ließ Triaria ihre damenhafte Zurückhhaltung für zumindest einen Atemzug lang vergessen. Caesoninus' blondes Haar war es, was sie in ihren Bann zog. Ein Mann mit goldenem Haar war ein seltener Anblick. Sein Gesicht dagegen war markant und drückte männliche Dominanz aus. Wäre sie ihm unbekannterweise begegnet, Triaria hätte in ihm wohl einen Soldaten vermutet. Der muskulöse Körperbau widersprach dieser These nicht. Alles an ihm - seine Sprache, seine Mimik und Gestik, seine Haltung - verriet Übung am eigenen Selbst. Für Triaria war er ausgesprochen attraktiv, der Familienname aber schloss jede weitere Überlegung in diese Richtung aus. Jedenfalls vermittelte er ihr Sicherheit, der kurzen Begegnung zum Trotz. Und das empfand sie als sehr beruhigend.
    Sie nickte auf seinen Vorschlag hin und erhob sich von der Kline. "Vielen Dank für dein Angebot, Gaius, das ich gerne annehme." Die sich aufdrängenden Gedanken an die Cena unterdrückte sie indes erfolgreich, denn allein die Vorstellung machte sie schon nervös!

    Die Aussicht auf ein Bad - womöglich gar im warmen Wasser - ließ Triaria frohlocken. Mit einem Mal fühlte sie sich schrecklich schmutzig; - wenn sie auch von etwas Staub abgesehen eigentlich recht gebührlich aussah. Sie nickte zustimmend und zog ihre Finger von Caesoninus' Arm zurück. "Vielen Dank, ... Gaius", sagte sie und lächelte. Tief in ihrem Inneren brannte lodernd die Neugier darüber, wer wohl dieser Wonga sein musste, nach dem Caesoninus verlangte. Der Name allein hatte einen brutalen Klang und wahrscheinlich hing es mit dem Zwischenfall am Stadttor zusammen, von dem Triaria ihrem Gastgeber soeben berichtet hatte. Doch sie hütete sich, weitere Fragen zu stellen. 'Es geziemt sich nicht', hatte ihre stets Tante gewarnt, denn eine römische Dame interessiere sich nicht für Gewalt. Triaria selbst sah das naturgemäß ein wenig anders, verstand aber, sich auf subtilere Wege zum passenden Zeitpunkt zu beschränken.
    Caesoninus schien seine Beherrschung zurück erlangt zu haben und Triaria neigte sachte den Kopf zur Seite. "Darf ich dich zu späterer Stunde - oder auch morgen, so es deine Zeit erlaubt - um einen Moment der Aufmerksamkeit bitten? Mich begleitet eine Frage, die nicht dringend zu klären ist, deren Antwort ich jedoch hier in Rom zu finden hoffe." Das Funkeln in Triarias braunen Augen wollte nicht gänzlich dazu passen, dass die Frage weniger bedeutsam sei. Doch weder ihre ruhigen, feminin gezeichneten Gesichtszüge noch die klare Modulation ihrer Stimme unterstrichen diesen Eindruck.

    Caesoninus' heftige Reaktion überrumpelte Triaria. Natürlich, die Verletzung hatte auch sie erzürnt, aber es würde verheilen und letztlich hatte jede Faser in ihr nur noch danach verlangt, endlich die Domus Iulia zu erreichen; - in der sie nun war. Sie starrte den Mann überrascht an, ihr Mund öffnete und schloss sich, ohne dass sie die richtigen Worte finden konnte. Ein Teil von ihr begann zu ahnen, dass die Verletzung selbst nicht der primäre Grund für seine Wut war, sondern der Affront der Tat selbst. Eine Iulierin war verletzt worden. Triaria, die bisher in Athen ein eher unbedeutendes, wenn auch behütetes Leben geführt hatte, war mit dieser Perspektive nicht vertraut. Eine Iulierin zu sein war eine Ehre, ein Privileg, eine Gabe der Götter, doch ihr war nicht in den Sinn gekommen, dass sie unantastbar sein könnte. In Rom galten - wie es schien - andere Gesetze. "Nun", begann sie und schluckte, "der Mann hieß ... hieß ...", sie rang um den Namen, bis Kednes ihr zur Hilfe kam. Mit fester Stimme sagte er an Caesoninus gewandt: "Areus, Dominus. Ein Transportunternehmer aus Ostia."
    "Ja, richtig!", pflichtete Triaria dem Sklaven bei und ein Lächeln schob sich auf ihre Lippen. "Areus war sein Name. Ein zwielichtiger Kerl, der mich auf seinem Wagen nach Rom brachte. Am Stadttor verweigerte er sich einer Inspektion und versuchte vor den Wachen zu fliehen. Dabei ging sein Maultier durch; - ein uraltes Tier, es muss Zeuge von Jupiters Geburt gewesen sein. Ich fiel aus dem Wagen und ..." Sie deutete mit den Augen auf ihre Ellbogen. "Aber es ist nicht so schlimm. Ich glaube, die Torwache hat ihn gefangen genommen?" Fragend wandte sie sich wieder an Kednes, der zustimmend nickte. "Er hatte eine Begegnung mit einem Schild." "Ich erinnere mich. Verzeih, werter Caesoninus, es war nicht meine Absicht, deinen Zorn zu erwecken und dich mit derlei zu belästigen." Sachte und mit dem gebotenen Abstand einem fast unbekannten Mann gegenüber berührte Triaria Caesoninus' Unterarm mit den Fingerspitzen.

    Erst Caesoninus' Grinsen verriet Triaria, dass ihr Gegenüber sich lediglich einen Scherz erlaubt hatte. Unwillkürlich waren ihre braunen Augen um eine Nuance schmaler geworden bei der Beschreibung des 'Jochs' durch die Römer über die Griechen. Dann aber lächelte sie verstehend und nickte. Sie öffnete schon den Mund, um zu einer Erwiderung anzusetzen, als ihr Gastgeber unvermittelt aufstand und sich über den auf einem Tisch ausgebreiteten Stammbaum beugte. Mit dem leisen Klicken ihrer Zähne verschwanden die Worte wieder und sie streckte sich voller Neugierde soweit nach vorne, wie es der Anstand und die Grazie zuließen.
    Caesoninus' Aufforderung, einfach weiter zu sprechen, ließ sie die Augenbraue heben und sie tauschte einen Blick mit Kednes, der nach wie vor unbewegt schräg hinter ihr stand, umgeben vom Gepäck ihrer Reise. Bevor sie jedoch zum ursprünglichen Thema zurückkehrte, wandte sie sich an den Sklaven - Caesoninus hatte ihn Maahes genannt - und hob dabei ihre Arme soweit, dass die Schürfwunden an den Ellbogen zutage traten. Halb an ihren Gastgeber gerichtet fragte sie: "Wäre es wohl möglich, eine Schale Wasser und ein wenig Tuch zu bekommen? Roms Straßen erwiesen sich als ungeahnt raues Pflaster und nicht jeder Weggefährte als vertrauenswürdig." Inzwischen, da sie zur Ruhe kam und die Aufregung langsam verblasste, begannen die Wunden - so unbedeutend sie waren - auch zunehmend zu schmerzen. "Ich gestehe, ich weiß nicht, welche Stadt die Ältere ist. Athen ist geteilt in Bezirke. Dort wohnen die wahren Athener, wie sie sich selbst nennen. Hier die Römer und andernorts die Griechen aus verschiedenen Teilen des Landes, etwa Korinth oder Sparta. Ist Rom auch in dieser Weise geordnet?"

    Der Stammbaum, nach dem Caesoninus verlangte, machte Triaria keine Sorgen. Ihr Name stand selbstverständlich auf diesem Dokument. Er musste darauf stehen; - es sei denn, ihre Tante hatte ihr in all den vergangenen Jahren eine Lüge vorgespielt. Doch war das in etwa so wahrscheinlich wie der plötzliche Abstieg Bellonas aus den himmlichen Gestaden, um nach einem heroischen Opfer zu verlangen. 'Andererseits', ging es Triaria durch den Kopf, 'kenne ich bis heute nicht den Grund, weshalb ich in Athen aufwuchs und nicht in Rom.' Vielleicht hatte man ihre Existenz verleugnen wollen. 'Unsinn', schalt sie sich selbst für diese allzu paranoiden Gedanken. Nach außen hin nickte sie verständnisvoll, ergriff ihren Becher Wein - wobei sie recht unverholen den attraktiven Sklaven musterte, der ihn angereicht hatte - und sagte: "Meine leiblichen Eltern sind Lucius Iulius Augustinus und Neria Olympias. Das erleichtert womöglich die Suche in dem wohl doch recht umfangreichen Stammbaum."
    Triaria schmunzelte, ihre Selbstsicherheit kehrte zurück und sie nippte an dem Becher. Der Wein war genießbar. Womöglich schmeckte er gar vorzüglich, aber sie war schlicht keine Freundin dieses bei vielen so beliebten Getränks. "Nun", begann sie, während sie mit überschlagenen Beinen eine betont feminine Haltung einnahm, "Athen ist eine große Stadt." Beinahe konnte Triaria ihren Begleiter Kednes lachen hören, während sie das offensichtlichste an der griechischen Hauptstadt beschrieb. "Künstler, Philosophen und Staatsmänner reichen sich dort die Hand. Athen ist ein Ort der Bildung. Stolz, in gewisser Weise jedoch auch bedrückt. Es fällt den Griechen noch immer schwer, natürlich nur im Flüsterton gesprochen, das Recht der römischen Herrschaft anzuerkennen. Es ist weder offener Widerstand noch klare Ablehnung und doch ... spürbar. Wie steigende Kälte in der Abenddämmerung. Verzeih, mir fällt keine treffendere Beschreibung dafür ein." Triaria lächelte entschuldigend. "Für das einfache Volk ist Athen wohl eine Stadt wie jede andere. Der Alltag bestimmt das Leben. Geschäfte - derer es viele gibt - säumen die Straßen zwischen oftmals beeindruckenden Bauwerken vergangener Tage. Denn Athen lässt einen stets wissen, eine alte Stadt zu sein. Ich kenne Rom kaum, daher fällt mir ein Vergleich schwer." Die junge Römerin hob den Blick und überlegte. "Dem ersten Eindruck nach würde ich sagen: Rom quillt über vor Lebendigkeit, während Athen bedächtig agiert."

    Das also war Gaius Iulius Caesoninus. Nun kannte sie seinen vollständigen Namen. Triaria erhob sich von der Kline, was ihr überraschenderweise einige Schwierigkeiten bereitete. Kednes war erfahren genug, ihr in diesem Moment keine helfende Hand zu bieten. Denn eine solche Peinlichkeit noch bei der Vorstellung hätte ihr die Schamesröte ins Gesicht getrieben. Stattdessen richtete sich Triaria kerzengerade auf, zauberte ihr freundlichstes Lächeln hervor - das wirklich sehr herzlich aussah - und kam ihrem Gastgeber einige Schritte entgegen. Für wenige Sekunden kam ihr der verrückte Gedanke, Caesoninus wolle sie mit seinen ausgebreiteten Armen symbolisch im Schoß der Familie willkommen heißen. Aber natürlich war seine Geste nicht ganz so direkt gemeint. Im gebührenden Abstand, wie es sich für eine Dame geziemte, blieb Triaria vor Caesoninus stehen und vollführte einen formvollendeten Knicks, der sowohl Dankbarkeit als auch Ehrerbietung zum Ausdruck brachte. "Vielen Dank für deine freundlichen Worte und die offene Porta. Das Angebot einer Erfrischung nehme ich gerne an, denn es war eine lange Reise. Erlaube mir, mich zunächst vorzustellen." Eine kurze Pause folgte, kaum einen Atemzug lang, dann fuhr die junge Römerin fort: "Mein Name ist Iulia Triaria. Ich verbrachte lange Jahre in Athen und bin nicht sicher, ob mein Name in diesem Haus noch einen vertrauten Klang besitzt." Selbstverständlich nicht ... doch die Formulierung bot einen einladenden Ansatz zum Gespräch.

    [...]


    Mit einem wohligen Seufzen ließ sich Triaria auf die Kline sinken. Sitzend, ihre Füße berührten noch immer den Boden. Und zum ersten Mal seit dem Aufbruch aus Athen spürte die junge Römerin die Erschöpfung in ihren Beinen. Nun, da sie ihr Ziel erreicht hatte, fiel nahezu die gesamte Anspannung von ihr ab und eine wohlige Müdigkeit breitete sich in ihr aus. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen; - der Moment dauerte indes lange genug an, dass Kednes ihr schließlich auf die Schulter tippte.
    Der alte Ägypter hatte Triarias Gepäck auf den Boden des Atriums gestellt und stand, ganz seiner Rolle als Leibwächter entsprechend, mit verschränkten Armen neben der Kline. Im Gegensatz zu seiner Herrin wirkte er voll konzentriert. Denn trotzdem sie sich in der Domus Iulia befanden - oder gerade deshalb - galt seine ganze Aufmerksamkeit dem Schutz Triarias. Schließlich konnte auch hier Gefahr für sie lauern, bis man sich der Aufrichtigkeit der Hausherren sicher war. Unwillkürlich empfand Triaria seine Fürsorge als übertrieben, andererseits war ihr bewusst, welche Stütze Kednes ihr stets bot und dass seine Anwesenheit - gepaart mit seiner beeindruckenden, muskulösen Statur - das Fundament ihres Selbstbewusstseins bildete. Sie lächelte sanft und ließ ihn gewähren.
    Es schien, als habe ihre Ankunft den routinierten Ablauf des Haushaltes aus dem Takt gebracht, denn Sklaven eilten durch das Atrium, um Botschaften zu überbringen und andere Aufgaben zu erledigen. Im Haus ihrer Tante war die Zahl der Sklaven weit geringer gewesen, was für den Reichtum der römischen Iulier sprach. "Wir haben es geschafft", sagte Triaria an ihren Begleiter gewandt und ließ das Atrium auf sich wirken.

    Der Name Iulia konnte Türen öffnen. Für Triaria war das keine unbedingt neue Erkenntnis, dennoch verspürte sie Erleichterung, als der Ianator den Weg freigab. Ihr kam in den Sinn, dass ihr Name in Rom mehr Gewicht haben mochte als in Athen. Denn letztlich, bei aller Höflichkeit der Griechen, hatte man in ihr doch stets eine Besatzerin gesehen. Gleichwohl betrachtete Triaria die römische Herrschaft über Griechenland als natürliches Recht.
    Aber all das lag nun bis auf Weiteres hinter ihr. "Danke", sagte sie, gab dem schwer beladenen Kednes einen Wink, ihr zu folgen und betrat gemächlichen Schrittes das Atrium der Domus Iulia. "Caesoninus", murmelte sie dabei leise und nur hörbar für jene, die direkt neben ihr standen. Der Klang dieses Namens war ihr nicht unvertraut, wer sich dahinter verbarg, wusste sie allerdings nicht ...


    [...]