Tiberios‘ Verstand funktionierte durchaus, es war ihm nur so, als würde sich alles nur sehr langsam in seinem Ohr zu sinnvollen Sätzen zusammenfinden, und er brauchte länger als gewöhnlich, um darauf zu reagieren.
Als Terpander ihm gebot, den freundlichen Männern, die ihm Mulsum ausgegeben hatten, fern zu bleiben, nickte Tiberios sehr, sehr ernst, und als Terpander ihm sagte, er müsse sie sonst verprügeln, erschrak er zu Tode:
„Bitte, mein Terpander, bring dich nicht in Gefahr meinetwillen!“, sagte er kläglich und schlang die Arme um ihn, und Terpander küsste ihn auf den Hals, was Tiberios schwindlig werden ließ vor lauter Liebe;
als aber Terpander seine Fähigkeiten im Nachahmen von fremden Handschriften lobte und meinte, damit könne man noch mehr anfangen, schloss er die Augen zum Zeichen der Verneinung:
„Ich schwöre bei der Tyche und der Allat, die auch Minerva ist, dass ich diese Fähigkeit noch nie für eigennützige Zwecke verwendet habe!“, sagte Tiberios und legte eine Hand auf sein Herz:
„Ich habe diese Kunst überhaupt nur gelernt, weil mein kyrios oft wenig Zeit hatte – sogar die Briefe an seine Frau musste ich zuweilen schreiben. Doch Scriba ist ein ehrenwerter Beruf.“
Zur Bekräftigung verbeugte er sich leicht, worauf er beinahe vom Sitz rutschte;
dann trank er wie von Terpander geheißen den Becher aus:
"Doch für dich will ich gerne Briefe schreiben, mein Terpander, wenn ich dich damit erfreuen kann, denn
merálwi diuté m' Eros
ekoupsen oueste chalkeus...
Mit schwerwuchtendem Hammerschlag,
Wie die glühende Stange ein Schmied,
Trifft mich Eros und taucht mich dann
In eiskaltes Gewässer *…."
Tiberios nickte bekräftigend und erhob sich langsam.
Die Laterne, die ihn auf dem Hinweg nur behindert hatte, schob er mit einem Fuß unter die Bank. Er wollte das schwere Ding nicht mitnehmen. Terpander hatte ihm auch gesagt, das sei unnötig. Vielleicht würde der furische Sklave sie dann die nächsten Tage wieder holen, falls sie bis dahin nicht verschwunden war.
Tiberios schwankte ein wenig beim Aufstehen, nicht viel, aber dann ging es gut, und er hatte das Gefühl, als würde er über den Dingen schweben; heiß und kalt war es ihm wie in dem ionischen Gedicht von Eros, dem Schmied, und das lag an Terpanders - seines Terpanders - Gegenwart.
Graziös raffte Tiberios seinen Rock, und als er einen Schritt tat, hörte er die Stimmen der Männer: „Na, da bist du ja? Komm rüber!“ Sie waren zu dritt und vielleicht nicht einmal aus der Subura, sondern anständige Römer, die etwas erleben wollten.
Tiberios schüttelte den Kopf, hakte sich bei Terpander ein und nestelte nach seinem Beutel:
„Ich muss bezahlen, sonst heißt es wieder Becher spülen“, murmelte er:
„Ich hätte ihm aber auch etwas aufsagen können; kürzlich hat mich sogar ein römischer Ritter gelobt, und ich hatte die Gedichte nur aus Freude an ihrem Klang aufgesagt, aber dann doch Trinkgelder bekommen, das hat mir gefallen.* Aber der dominus hier hat kein Ohr für Poesie, das ist so bedauerlich.
Vielleicht liegt das aber auch an der Subura, andauernd brennt etwas, Menschen sterben ,oder es fliegt etwas in die Luft, da kann sich niemand recht auf Schönheit und Eleganz konzentrieren.
`Und in Tränen brech ich oft aus,
Vor dem Tartaros geängstigt.
Denn im Hades ist leidvoll
der Abgrund, und schwer dahin auch
Ist die Straße: wer hinabging,
Ist gewiss des Nicht - Heraufgehns.` **"
Tiberios sah auf die Gäste des Blinden Esels und warf den freundlichen Herren doch noch eine Kusshand zu:„Chairete und Vale Bene, alle zusammen!“
Dann lehnte er seinen Kopf an Terpanders Schulter.
„Habe ich die Tabula eigentlich wieder eingepackt? Sonst wundert sich dominus Archias doch noch?", fragte er.
>>> Auf dunklen Pfaden