Noch im Gebet kam Tiberios der Einfall, dominus Viridomarus einen Hilferuf zu schicken.
Wenn es der Wahrheit entsprach, dass die Zwillinge für ihn arbeiteten, müsste er ihm als Einziger helfen können. Die Kleidung des jungen Griechen, seine fünfzig Sesterzen, alles war ja weg.
Er hatte auch weder Griffel noch Wachstafel noch Papyrus. Mit seinem eigenen Blut auf einen Fetzen seines Lendenschurzes zu schreiben empfand er jedoch als zu dramatisch.
Tiberios brauchte also einen unauffälligen Boten, der den Besitzer des Duften Viri Bescheid geben konnte. In der Subura fand man für ein paar Asse Straßenkinder für solche Aufgaben, in diesen vornehmen Verkaufshallen jedoch schienen alle Kinder entweder von Ammen und Sklaven begleitet oder selbst minderjährige Sklaven zu sein.
Aber da, ein kleines Zopfmädchen, vielleicht neun Jahre alt, stand an einer Säule und schwenkte ihre Puppe in die Luft.
„Salve, kleine domina“, sprach Tiberios sie an.
Das kleine Mädchen musterte ihn und kräuselte die Nase.
„Meine Mutter hat mir verboten, mit Fremden zu sprechen.“, stieß es hervor, und Tiberios erwiderte:
„Da hat dir deine Mutter einen weisen Rat gegeben.“
Da war sie dann auch schon, die Mutter. Sie hatte gerade mit einer Freundin geplaudert, die sie zufällig hier auf der Terasse getroffen hatte, nun kam sie heran und fragte äußerst aufgebracht:
„Was willst du von meiner Tochter, Sklave?“
Dann ließ sie eine Schimpftirade darüber los, dass ein freies römisches Kind noch nicht einmal im Herzen Romas vor unerfreulichen Menschen sicher sei und zeterte so laut, dass Tiberios sich vielmals entschuldigte und mit erhobenen Händen langsam rückwärts ging.
Dabei stieß er einen Jungen an, der ähnlich wie er selbst nur mit einem subligaculum bekleidet war; er trug allerdings über der Schulter lässig einen Lappen und hielt einen Besen in der Hand. Seine Ausstattung ließ Tiberios darauf schließen, dass er der markteigenen Putzkolonne angehörte, die hier in den Traiansmärkten für Sauberkeit sorgte. Sklaven, die schmutzige Arbeit verrichteten, waren meistens leichtbekleidet; es war einfacher, seinen Leib als eine Tunika zu waschen.
„Kommst du gleich mit runter?“, fragte der junge Mann: „Hier oben sind wir fertig.“
Tiberios rang die Hände: „Mein Freund!“, begann er: „Könntest du für mich eine Botschaft an dominus Viridomarus überbringen? Er wird dich gewiss belohnen.“
Der Junge starrte ihn an: „ Der dufte Viri im zweiten? Das ist ein mordsfeines Geschäft, da können wir nicht einfach rein.“
Mords- fein, das trifft es, dachte Tiberios, und bat:
„Ich brauche dringend jemanden, der eine Botschaft überbringt, denn ich bin wie die Argonauten zwischen den Symplegaden in Not. Bitte, sag dominus Viridomarus, der Ianitor der Casa Leonis...“ Tiberios wusste, dass sich Freie bei Sklaven eher an deren Funktion als ihren Namen erinnerten:
„..befindet sich im dritten Obergeschoss, und er soll Nubius schicken, ihn zu abzuholen. Ganz gewiss gibt dir der Dominus ein paar Münzen.“
Der junge Mann sah Tiberios zweifelnd an: „Ich bin eher sicher, er zieht mir ein paar über. Warum gehst du nicht selber runter?“
Tiberios seufzte: „Man hat mich beraubt und wollte mich in den Hades senden.“, sagte er vorsichtig.
Der junge Mann riss die Augen auf: „Spannend!“, rief er aus:
„ Die Simplengarden sollen dich nicht kriegen! Warte hier, ich machs.“
„Oh danke!“, rief Tiberios aus: „Dich schickt Fortuna!“
„Nee, die Marktverwaltung.“, antwortete der junge Sklave:
„ Aber was du erzählst, klingt großartig! Mir passiert sowas nie! Wurdest du als Kind ausgesetzt oder geraubt und bist in Sklaverei geraten? Ist der edle Dominus Viridoramus etwa dein Vater, und unter Tränen werdet ihr euch in die Arme fallen?“
Was war das? Ein Putzsklave, dessen Geist ganz von Gespenstergeschichten, halbverstandener Mythologie und Liebeschnulzen, die auf der Straße und im servitricuum erzählt wurden, erfüllt war?
Tiberios war es gleich, erleichtert sagte er:
„Ja, ja, alles das, doch geh bitte rasch!“ und der junge Mann verschwand tatsächlich.
Der freundliche Sklave der Traiansmärkte nahm die Treppe nach unten in den zweiten Stock und begab sich in Tiberios‘ Auftrag zu Viridomarus.
Den zusammengefalteten Chiton, die Chlamys und die Sachen hob er als ordentliche Reinigungskraft vom Boden auf, die Sachen waren noch fast neu, nur etwas zerrissen,und er würde sie später bei der Verwaltung abgeben.
Er war zu gut erzogen, um irgendjemanden anzusprechen, und wartete und wartete, um Leonis, denn so dachte er, hieß der gejagte verlorene Sohn, beizustehen. Schon sah er sich, Leonis seiner wahren Bestimmung zuzuführen! Vielleicht würden Vater und Sohn ihn dann kaufen und aus Dankbarkeit freilassen. Der junge Sklave gab sich angenehmen Tagträumen hin. Dabei sah er unentwegt Dominus Viridomarus mit tränenfeuchten Augen ob der Tragik und der baldigen glücklichen Wende in dessen Leben an.