Beiträge von Terpander

    "Salve", grüßte Terpander den neuen Gast, als er an den Tisch herantrat. "Was darf es sein?"


    Bei der Gelegenheit stellte er fest, dass die Blumen und das Deckchen verrutscht waren. Dieser nervige Firlefanz.

    "Die kleinen Freuden langweilen mich. Es ist, wie einen Panther mit Brot zu ernähren. Du kannst es nicht verstehen, weil du nur Brot kennst. Vermutlich könntest du nicht mal Blutlecken, dir würde davon schlecht werden. Verschleppt hat mich dein ehemaliger Herr, der fette Viridomarus."


    Die Empfehlung von Charislaus rang Terpander ein Grinsen ab. Briseis war fort, also sollte Terpander nach jemand Neuem suchen. "Ich denke, du hast mich nicht verstanden." Natürlich würde er wieder suchen. Das stand außer Frage.


    "Warum soll ich es noch verheimlichen ... ich stamme aus Sparta."


    Scato war vermutlich der einzige, der Terpander noch für einen Lehrer aus Athen hielt. Tiberios hatte es erraten und Viridomarus die Information inzwischen vermutlich überall verbreitet. Und Terpander war des Versteckspiels leid. Es brauchte keinen Lehrer mehr zu mimen, um seine Daseinsberechtigung im Hause zu erwirken. Seia Sanga, die ihn ihre Söhne hatte unterrichten lassen, war nicht mehr. Inzwischen setzte man auf andere Qualitäten seiner Person, wie kochen und Gartenarbeit. Tief war er gesunken.


    "Mein eigentlicher Name lautet Lysander. Oder Lýsandros, wie die Hellenen sagen. Waren deine Eltern frei oder sind sie ebenfalls als Sklaven geboren worden?"

    Terpander öffnete die Porta. Auf seine steinerne Miene stahl sich ein verhaltenes Lächeln. Seius Stilo war schneller zurückgekehrt aus Cappadocia als er gedacht hätte. Er mochte den Mann. Wäre Stilo nicht in Roma erzogen worden, sondern in tauglicherem Umfeld aufgewachsen, hätte man Großes aus ihm heraus prügeln können. So war er ein Römer von vielen, von dem Standard zu erwarten war.


    "Willkommen zurück in der Casa Leonis. Die Herren sitzen im Garten. Bitte folge mir."

    Er nickte anerkennend. "Anständige Menschen, diese Sueben. So zieht man Krieger heran."


    Dann aber zeigte sich, wie wenig Ähnlichkeit sein Gegenüber mit seiner suebischen Mutter aufwies. Terpander hatte es geahnt. Der Junge war hilflos, sobald ihm niemand sagte, was zu tun sei. Einen Lehrer bräuchte er. Terpander besah ihn sich genauer. Jung, schlank, hochgewachsen, die Arme waren muskulös. Gesicht und Knochenbau ließen darauf schließen, dass er in ein paar Jahren zu einem stattlichen Mann heranreifen würde. Noch aber wiesen seine Gesichtszüge trotz der Muskeln an seinem Leib die feminine Zartheit der Jugend auf, die ihn für den Griechen anziehend machte.


    "Ob ich glaube, das es Götterwille ist, dass ich als Sklave mein Dasein friste?" Terpander wiederholte die Frage sehr ruhig und langsam. "Die Götter haben ausreichend Grund, mich zu hassen. Ja, ich denke sie haben meine Verschleppung bewusst herbeigeführt. Was dich betrifft: Jede Gesellschaft benötigt ihre Sklaven. Hier in Rom ist der Unterschied nicht so stark ausgeprägt, aber es gibt Gesellschaften, in denen sieht man den Herren ebenso wie den Sklaven sofort an, auf welchen Platz sie gehören."


    Er beobachtete die Mimik des Jünglings und seine Finger.


    "Doch man weiß auch, dass die Götter Feiglinge verabscheuen. Dem Mutigen und Tatkräftigen stehen sie bei. Nur deshalb sind die Römer deine Herren, sie tun etwas dafür, während du zwar einen ersten Schritt gewagt hast, aber dann doch wieder umgekehrt bist. Weder ich um meine Freiheit betteln noch darum bitten, dass man mich auslöst. In meiner Heimat würde man mich zu Recht dafür verlachen. Ich glaube, dass die Unsterblichen nur darauf warten, dass ich mir mein altes Leben selbst wiederhole, es mir zurückverdiene."


    Terpander tippte auf sein Herz.


    "Hier drin spürst du, wohin dein Weg dich führen soll. Aber den Mut, ihn zu gehen, musst du selbst aufbringen."

    "Was mich glücklich macht? Nichts!"


    Charislaus konnte spüren, wie die Muskulatur, die er massierte, arbeitete, ohne dass Terpander sich bewegte.


    "Mir hat mein Leben Freude bereitet, bevor ich verschleppt worden bin. Mein altes Leben, mein richtiges Leben. Nach einer Zeit der Eingewöhnung machte es mir immerhin noch Spaß, die Söhne meiner Herrin zu unterrichten. Meiner Herrin zu Willen zu sein, hat mir freilich auch Spaß gemacht. Danach war sie für zwei oder drei Tage ausgeglichen und freundlich. Das hörte erst auf, als sie mit ihrem monotheistischen Unsinn anfing und plötzlich die Treue zu ihrem verstorbenen Mann zu entdecken glaubte. War sie vorher nur launisch, war sie danach unausstehlich. Zudem unterstellte sie mir, ich hätte sie verführt."


    Wer Terpander kannte, hätte sich fragen können, ob dieser Unterstellung ein wahrer Kern innewohnte. Dem alten Sklaven wurde langweilig, wenn kein menschliches Spielzeug zu seiner Verfügung stand. Man hätte zudem mutmaßen können, dass in genau diesem Mangel Terpanders momentan furchtbare Laune begründet lag.


    Terpander schaute über seine Schulter nach hinten. "Du, Charislaus, sprichst, als seist du längst tot. Aber du wurdest in die Sklaverei hineingeboren, nicht wahr?"

    Terpander lächelte, als er den Bruder seines Herrn erkannte. Die kleine Giftspritze. Terpander mochte ihn und holte eine Stärkung aus der Küche. Da er sah, dass Fango schon mit Lurco im Gespräch war, wollte er nicht stören. Er stellte nur ein voll beladenes Tablett auf einen Stuhl, lud Gebäck, geschnittenes Obst, Brot und Käse auf den Tisch.


    "Wünsche guten Appetit, junger Herr", sagte er leise und zog sich zurück.

    "Ich bin abgehauen aus meinem vorherigen Leben. Und ich landete zur Strafe in der Sklaverei. Die Götter lassen nicht mit sich scherzen, mein Freund. Meine Versklavung war allerdings nicht rechtmäßig, ich war Bürger einer Polis. Sicher könnte ich das Ganze geradebiegen, mich an einen Prätor wenden oder wer dafür verantwortlich sein mag. Doch das Leben als Sklave war lange Jahre bequem. Erst jetzt im Alter beginne ich mich zurück nach der Heimat zu sehnen."


    Nur wegen dieser Gedanken und Empfindungen sprach er überhaupt aus, dass er einst ein anderer gewesen war als heute. Terpander war das Versteckspiel und das Verstellen leid. Er langweilte sich und das Heimweh plagte ihn immer stärker.


    "Vielleicht sollte ich einfach gehen. Dieses Leben hinter mir lassen und schauen, was aus meinen alten Freunden geworden ist und aus meiner Familie."


    Terpander trat aus dem Eis zurück auf das Gestein des Tiberufers. Seine narbigen, von Hornhaut verhärmten Füße spürten kaum etwas.


    "Nach Sardinien bist du also gefahren." Eine der zahllosen Inseln des Mare Nostrum. "Und war das dein Ziel? Wohin wolltest du? Und warum bitte bist du zurückgekehrt oder hast du es geschafft, dich fangen zu lassen?" Wäre sicher nicht schwer. Der Bursche wirkte nicht, als wüsste er, was zu tun sei, sobald er sein sicheres Heim hinter sich gelassen hätte.

    So viel Freude wegen einem hüpfenden Stein. Terpander lächelte, griff nach dem nächsten flachen Stein und holte Schwung. Vielversprechend zischte das Geschoss über die Fluten, traf in einem ungünstigen Winkel auf eine Welle und schoss in hohem Bogen davon, um mit unrühmlichem Plumpsen zu versinken. Terpander kratzte sich brummend den Bart.


    "Wie es aussieht, bleibst du Sieger." Sein Blick schweifte über den fröhlichen Sklaven und ihm kam ein Gedanke. "Hast du Hunger?"


    Er zeichnete auf seiner Kehle mit zwei Fingern das Halseisen nach. Zwar sah der Bursche gut genährt und gepflegt aus, aber am Anfang einer Flucht tat das jeder.

    Terpander betrachtete die braunen Fluten des Tiber. Das Schmelzwasser aus den Bergen hatte den Fluss anschwellen lassen. Am Ufer brachen sich bräunliche Eisschollen. Terpander zog die Sandalen aus und stellte sich darauf, bis er einbrach und mit den Fußsohlen im Eiswasser landete. Ging einen Schritt weiter und ließ sich wieder einbrechen, bis die Fluten des Tiber seine Knöchel umströmten. Die Kälte biss schmerzhaft in seine Füße und zwang ihn zur Konzentration, damit sein Gesicht keine Regung zeigte.


    Leben war Veränderung. Terpander war nicht mehr der Mann, der er gewesen war, bevor Viridomarus ihn in die Sklaverei verschleppt und ihm zwecks besserer Verkäuflichkeit die langen Filzlocken und den Bart hatte scheren lassen. Die meisten dürften den neuen Mann als eine charakterliche Verbesserung betrachten. Terpander aber fühlte sich so alt und zahnlos, dass er glaubte, ein Teil von ihm sei bereits gestorben. Immer der gleiche bedeutungslose Trott. Das Leben seines Herrn hatte sich in die Castra Praetoria verlagert. Und Briseis, die den alten Jäger in ihm noch einmal geweckt hatte, war fort. Terpander wusste nicht mehr, wofür er lebte und das erste Mal seit Jahren erwog er, sich abzusetzen und sich in seine Heimat durchzuschlagen, mit allen Konsequenzen, die es mit sich bringen würde.


    Ein Steinchen hüpfte in einiger Entfernung flott über die Wellen. Etwas abseits hockte ein Mann. Ein Sklave, dem Halsreif nach zu urteilen. Terpander fischte einen passenden flachen Kiesel vom Grund. Mit einem Schwung aus dem Unterarm ließ er seinen Stein in die gleiche Richtung hüpfen. Er zählte zwei Hüpfer mehr.

    Angelockt von den Rufen fand sich jemand ein, der weder arm noch bedürftig war, aber fand, dass er die Großzügigkeit des gepriesenen Octavius Gracchus auf den Prüfstand stellen sollte.


    "Chaire", grüßte der alte Hellene, als er an der Reihe war. "Zwei Brote und einen Wein, bitte."


    Der Wein war nicht für ihn, wenngleich es ihm in letzter Zeit manchmal danach war, den Kummer darin zu ertränken.

    Nachdem zwei der Gäste gegangen waren, kümmerte Terpander sich noch um das Wohlergehen der Verbliebenen. Dise saßen noch eine Weile im Garten und plauderten über Dies und Das. Charislaus und Unauris mussten auf Geheiß von Terpander derweil die Zimmer vorbereiten. Am Ende des Tages wurde jedem Gast ein Schlafgemach zur Verfügung gestellt.


    Im Sonnenuntergang sah man schließlich Terpander auf einem der Gartenstühle die letzten Sonnenstrahlen genießen, eingewickelt in eine lauschig warme Decke, während Charislaus und Unauris den Tisch abräumten.

    Terpander legte in seinen Blick all die Trauer, die stumme Anklage, zu welcher er fähig war. Wortlos stellte er ein Holztablett mit Braten ab, den er gerade noch einmal aufgewärmt hatte, dazu eine Bratengabel und ein Messer. Dann ging er, ebenso ohne Worte, wieder zum Tresen, um Tonkrüge zu polieren, während er den Knilch, der sich sein Herr schimpfte, für seine Frechheit gedanklich übers Knie legte.

    Terpander war sofort auf den Beinen und eilte mit einem Knüppel in der Hand vor Charislaus zur Porta. Er achtete darauf, dass der Bursche ihn nicht überholte. Dem Unhold, der hier mitten in der Nacht für Theater sorgte, würde er Beine machen. Eher als den Herrn in Toga erkannte Terpander dessen Sklaven Anaxis. Terpander lächelte breit. Vor den beiden brauchte Charislaus keine Angst zu haben, so lange dominus Ravilla kein Zipperlein plagte. Wobei es im Moment danach aussah, als sei das Zipperlein groß und präsent.


    "Dominus Ravilla, welch Freude. Zu lange ist es her."


    Ein Kompliment zum Aussehen des eitlen Gockels verkniff er sich an dieser Stelle, da es gegenwärtig wie ein böser Scherz gewirkt hätte.


    "Charislaus hat dir eine Behandlung angeboten, wurde mir mitgeteilt. Möchtest du das Bad und die Körperpflege gleich in Anspruch nehmen oder wünschst du, dass ich dich zunächst auf dein Zimmer führe? Dein Neffe Scato ist nachts selten hier, er schläft in der Castra Praetoria. Du musst dich gedulden, bis er zu Feierabend wieder hier vorbeischaut."

    "Die Blutsuppe ist sehr gut", empfahl Terpander. "Viel ist nicht mehr da, ich würde den domini empfehlen, zuzuschlagen." Da die Namen von Persaeus und Theopompus ihm griechisch vorkamen, fügte er hinzu: "Sie ist nach traditionellem spartanischen Rezept zubereitet. Die Spartiaten zehren täglich von ihr und ihre Schlagkraft ist legendär. Dazu empfehle ich einen Landwein aus der Region, wir haben einen hervorragenden Lieferanten."


    Welcher das war, wusste er nicht, man konnte die alte Krähe Helvetius Archias nicht mehr fragen. Aber dass der Wein gut war, hatten alle Kunden verlauten lassen, selbst wenn Terpander vom Alkohol nichts verstand.

    "Das Hier und Jetzt ist nicht das, was es sein könnte und sein sollte", fand Terpander, der sich untröstlich fühlte. "Lieben ... nein. Besser nicht."


    Aber die Massage nahm er dankbar an, neigte den Kopf nach vorn und schloss die Augen. Irgendwann fand er, dass die Tunika störte und zerrte sie sich über den Kopf. Er faltete sie zusammen und legte sie beiseite, ehe er die Lider wieder schloss. Charislaus machte das sehr gut.


    "Es scheint in deinem Leben nichts zu geben, was du vermisst oder deinen Frohsinn trübt."

    Terpander verneigte sich leicht vor seinem Herrn zum Zeichen, dass er den Befehl verstanden hatte, ehe er sich an den Petronier wandte.


    "Bitte folge mir. Ich führe dich in dein Zimmer."


    RE: [Casa Leonis] Die zwei Zimmer des Lucius Petronius Crispus >>


    Sim-Off:

    Um die Handlung im Zimmer nicht durcheinander zu bringen, verzichte ich darauf, dort die Ankunft zu schildern. Möge der Tribun sich wohlfühlen und so lange bleiben, wie es ihm beliebt. Bei Bedarf kann er sich jederzeit an die Sklaven des Hauses wenden.

    Terpander war im Stress, aber es war guter Stress. Die kleine Taberna war brechend voll und die Kunden rissen sich ausgerechnet um seine Blutsuppe. Die drei Neuankömmlinge hatten Glück. Gerade stand eine kleine Gruppe von vollgestopften Kunden auf, bezahlte und drängelte sich an ihnen vorbei nach draußen. Terpander wischte ihren Tisch ab und arrangierte die Dekoration darauf wieder neu. Da er keinerlei Gespür für die Ästhetik lebloser Gegenstände hatte, kopierte er die Anordnung von Charislaus 1:1.


    "Salve die Herren, nehmt Platz." Er rückte die Stühle so, dass die Gäste sich bequem niederlassen konnten. "Schon einen Wunsch?"

    << RE: ~ Porta ~ | Casa Leonis


    Als Charislaus mit einer Gästeschar anrückte, staunte Terpander nicht schlecht. Das war doch Onkel Stilo! Wieso war der nicht mehr in Hispania? Lächelnd legte Terpander die Hand aufs Herz und verneigte sich. Er mochte den Mann.


    "Salvete, Domini. Wenn ihr erlaubt, führe ich euch zur Sitzgruppe, wo ihr die Abendsonne genießen könnt, bis die Hausherren heimkehren."