~ Hortus ~ | Der nervige kleine Bruder

  • Lurco beobachtete jede noch so kleine Bewegung von Unauris. Er bückte sich nicht nach dem Becher, den der junge Mann fallengelassen hatte, denn bei seinem Glück wären sie noch mit den Schädeln gegeneinander gestoßen. So wartete Lurco ab, bis Unauris den Becher aufgehoben hatte. Noch war er Sklave, aber er sah mehr in ihm. Er sah jemanden, der eine zweite Chance verdient hatte und er war der Mann, der sie ihm geben konnte und sollte. Unauris war ihm nicht zufällig über den Weg gelaufen, ebensowenig glaubte Lurco daran, dass dieser all jene Informationen grundlos gehabt hatte. Es war Fügung und so wie sich durch Unauris alles für die Krähen gefügt hatte, so musste sich für den jungen Mann nun durch Lurco ebenfalls alles fügen. Manches musste einem nicht gesagt werden, manches spürte man im Herzen und Mars hatte sie beide zueinander geführt. Ihr Schicksal war selbstverständlich anders miteinander verwoben, als das von Scato und ihm.


    Und dennoch waren sie verbunden und würden es hoffentlich trotz aller Widrigkeiten des Lebens bald sein. Unauris würde sein Sohn werden, gleich wie schlecht die Gesetze dafür standen. Denn wie hatten die Chancen gestanden, die Krähen aufzuspüren? Jene Vögel die scheinbar unsichtbar Rom terrorisieren konnten? Ganz so unsichtbar waren sie dann doch nicht, vor allem wenn göttliche Fügung Licht ins Dunkel brachte. Und durch dieses Licht wurden die Vögel in ihre eigene Dunkelheit getrieben.


    Alles geschah wie es geschehen musste und das galt auch für Unauris und ihn. Lurco knuffte das Einohr kurz und deutete nach draußen.


    "Sag Fango kurz Salve, er freut sich. Aber Vorsicht, er versteckt seine Freundlichkeit hinter Stichelleien oder hat schlicht Lust zu stänkern. Das gönnen wir ihm nicht", grinste Lurco verschwörerisch.

  • Erschrocken blickte Unauris noch weiter in Richtung seiner Füße, als er den leichten Schlag gegen seine Schulter spürte. Wohlwissend, wie freundlich gemeint dieser war, konnte der Sklave dennoch nicht aus seiner Haut heraus und die Empfindung, den arglosen Herrn schützen zu müssen vor zu viel Freundlichkeit gegenüber einem Niederen, ließ ihn als menschliche Säule verharren. Lurco sollte seine Dignitas nicht gefährden, weil Unauris ihn dazu verleitete, indem er die vertrauliche Geste in irgendeiner Form beantwortete.


    Unter halb gehobenen Lidern und den Blick ein bisschen erhoben versuchte Unauris durch den Schleier seiner Wimpern das Gesicht des Herrn unauffällig zu mustern. Er begriff, dass Lurco aufrichtig bereute, ihm das Ohr abgetrennt zu haben. Es tat ihm nicht leid um das beschädigte Eigentum eines anderen, sondern um Unauris als Mensch. So weit, so menschlich, Unauris war eben trotz allem noch zu freundlich gewesen. Seia Sanga hatte ihn gewarnt und er hatte nicht gehört. Die Leidtragenden waren immer die Herren, denn sie hatten viel zu verlieren, Unauris hingegen wenig. Lurco meinte sogar, den Schaden wieder gutmachen zu müssen. So überlegte Unauris, ob er Lurco nicht Anlass zur Klage geben sollte, um ihn vor seiner eigenen Freundlichkeit zu schützen. Sollte Unauris schlecht arbeiten? Dinge fallen lassen, wie diesen Becher? Faul sein, sogar unverschämt? Doch dazu fehlte ihm der Mut und er trottete nur nachdenklich nach draußen, als man ihn dazu aufforderte.


    Seine Gedanken fokussierten sich, als er seinen eigenen Herrn nach all der Zeit wieder erblickte. Und in Militärkleidung saß er da, wirkte viel älter, als zum Zeitpunkt ihres Abschieds! Obgleich Fango dies nie verlangt hatte, sank Unauris vor ihm auf dem Boden zu einem Häuflein zusammen, umfasste seine Fußgelenke und presste das Gesicht zwischen ihnen auf die feuchte Wiese. Dies war die einzige Art, wie er seiner überwältigenden Freude Ausdruck verleihen konnte. Seine Form einer Umarmung. Fest klammerten seine Finger sich um die Füße, die nun in erdigen und nach Pferd riechenden Caligae steckten. Ein Kloß im Hals blockierte jedes Wort.

  • "Ach, Cassi."


    Fango beugte sich nach vorn, um seinem Sklaven den Rücken zu tätscheln.


    "Ich bin froh, dass du wohlauf bist, auch wenn du jetzt Einohr heißt und das auch noch zurecht. Lurco hat ja gerade mit dir gesprochen. Ich werde dich an ihn verkaufen, weil mir als Tiro nicht erlaubt ist, meinen Sklaven mit zur Ala zu nehmen. Auch wenn ich mir das oft gewünscht habe. Wie viel Arbeit du und die anderen Sklaven mir abgenommen habt, habe ich dort erst richtig zu würdigen gelernt. Würde ich dich nicht verkaufen, wärst du völlig allein im verwaisten Haus in Mantua. Das möchte ich dir nicht antun, Cassi. Hier bei Lurco und Scato weiß ich, dass du in guten Händen bist. Das Umfeld ist dir nicht völlig fremd, du kennst Scato und du kennst Terpander. Ich hoffe, du verstehst, dass diese Entscheidung zu deinem Guten getroffen wurde."


    Traurig zu sein verbot er ihm nicht - Fango war selbst traurig, auch wenn er das nicht zeigte.

  • Lurco gesellte sich leise zu den beiden dazu, nahm Platz und schenkte Fango ein aufmunterndes Lächeln. Dennoch sagte er nichts, der Moment gehörte Fango und Cassi. Fango verabschiedete sich von seinem Sklaven und Lurco wusste wie schwer dem jungen Mann das Herz sein musste. Der Bruder von Scato hatte nicht viel Gutes in seinem Leben erlebt. War selbst wie ein Sklave behandelt worden und hatte nun einen weiteren Vertrauten abzugeben. Er würde gut auf Cassi aufpassen und Fango würde stets einen Platz in der Casa Leonis haben.


    All dies hatte Lurco ihm bereits gesagt, dennoch würde er ihm dieses Wissen mit auf die Reise geben. Vielleicht machte es das Herz von Fango etwas leichter, wenn er wusste dass es ein Zuhause gab, dass auf ihn wartete mit Menschen denen er wichtig war.

  • "So, das genügt", sagte Fango plötzlich, weil ihm das Ganze zu sentimental wurde. "Steh auf, geh zu deinem neuen Herrn und lass dir irgendeine Arbeit aufbrummen, Unauris."


    Bewusst sprach er ihn mit seinem neuen Namen an. Das alte Leben lag hinter ihm, hinter ihnen beiden. Fango erhob sich, würdigte den Sklaven keines Blickes mehr und sah Lurco ins Gesicht.


    "Da mein Bruder sich scheinbar nicht hierher bequemen will und die Sache mit Unauris geklärt ist, verlasse ich euch jetzt wieder. Ich habe noch etwas zu erledigen in Roma, dann muss ich zurück zu meiner Einheit. Wir sehen uns zwanzig Jahren wieder, oder vielleicht auch überhaupt nicht."


    Fango war in deprimierter Stimmung, auch wenn eigentlich alles bestens war.


    Er hielt Lurco die Hand hin.

  • Lurco nahm die Hand von Fango, schüttelte sie kurz und zog ihn dann mit einem kräftigen Ruck in seine Arme. Fango wurde herzlich gedrückt, ob er wollte oder nicht.

    "Rede nicht so einen Unsinn daher, selbstverständlich sehen wir uns wieder. Und das garantiert nicht erst in zwanzig Jahren Fango", antwortete Lurco und klopfte dem jungen Mann dabei sanft auf den Rücken.


    "SCATO!!! Scato komm her und begrüße Deinen Bruder!", brüllte Lurco in einer Lautstärke, die man im ganzen Haus nicht überhören konnte.

    "Er ist gleich da. Den Augenblick hast Du auch nocht", fügte Lurco freundlich und sanft an.

  • Scato, der gerade etwas Schinken genascht hatte, kam aus dem Vorratsraum. Dabei lutschte er seine Finger ab. Als er Fango entdeckte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Rasch wusch er seine Hände im Wasserbecken. Mit ausgebreiteten Arme eilte er auf den nervigen kleinen Halbbruder zu, um ihn fest in die Arme zu schließen, ihm brutal die Haare durchzuwuscheln und ihn dann wieder zu drücken. Von ihrer Familie waren nur noch sie geblieben, von den beiden Onkeln abgesehen. Wie oft hatten sie sich gestritten und geprügelt, wie oft hatte Scato dem Kleinen das Schlimmste gewünscht? Nun war er froh, dass es ihm gut ging und er ihn wiedersah.


    "Du siehst erwachsen aus", wisperte Scato, ehe er Fango wieder freigab.


    Fango in der Kleidung der Ala. Kein kleiner Klugscheißer mit Griffel und Tabula mehr, sondern Soldat. Das erste Mal im Leben fühlte Scato sich wirklich als großer Bruder, nicht nur als der Ältere, sondern als jener, der nun die Verantwortung trug. Wenngleich sie erwachsen waren, so waren sie doch beide noch jung und hätten die Eltern noch ein paar Jahre länger gebraucht. Doch das traurige Thema wollte Scato nicht ansprechen. Er würde auf Fango aufpassen, auch aus der Ferne, und ihn fortan in seine Gebete einschließen.


    "Du siehst nicht aus, als hättest es dir hier gemütlich gemacht? Ich würde dich gern einladen, hier zu bleiben, aber ich vermute, das wird uns nicht vergönnt sein. Habt ihr schon wegen Unauris gesprochen?"

  • Lurco nahm die Begrüßung von Fango durch Sacto erfreut zur Kenntnis. Die beiden hatten sich doch vermisst, gleich was sie behaupteten. Sie sahen sich nach langer Zeit wieder und hatten ihre Kindheitsdifferenzen überwunden. Nun vielleicht nicht wirklich oder dauerhaft, doch für diesen Moment und das war es, was zählte.


    "Ja das haben wir, Unauris wird bei uns bleiben. Fango muss mir nur noch den Preis nennen und dann möchte Dein Bruder schon wieder los. Ich habe ihm ebenfalls angeboten, etwas zu verweilen. Willkommen ist er jederzeit", antwortete Lurco gut gelaunt.

  • "Der Preis ist abhängig vom Wert einer Ware. Wie bemisst man den Wert eines Begleiters durch alle Lebenslagen? Er ist nicht in Geld aufzuwiegen. Ich schenke euch Unauris. Packt das Geld lieber in seine Altersvorsorge oder investiert es in einen guten Medicus, wenn er krank wird.


    Im Gegenzug erinnert ihr euch vielleicht an mich, wenn ich meine Dienstzeit in der Ala abgeleistet habe und nicht weiß, wohin ich mich wenden soll. Ich möchte irgendwann eine Familie gründen. Und wenn ich mit Frau und Kindern nicht in einer zusammenbrechenden, einmal jährlich abfackelnden Insulawohnung leben und meine Kleinen nicht in der Subura spielen müssen, würdet ihr mir einen großen Gefallen erweisen."


    Falls sie tatsächlich sechs Häuser besaßen, wie sie behaupteten, würde das ihnen ein leichtes sein. Aber auch, wenn sie nur die Casa Leonis sowie die beiden Domi Iuniae hier und in Mantua hatten, von denen Fango sicher wusste, dass Scato sie besaß. Dann würde irgendwo ein Fleckchen für seine kleine Familie sein, hoffte er.

  • Lurco umarmte Fango und drückte ihn so wie jenen Bruder den er nie gehabt, sich aber stets gewünscht hatte.


    "Fango ich Danke von Herzen. Du wirst immer einen Platz bei uns haben, gleich wo. Ob nun in einem unserer Häuser oder im kleinsten Schuppen, sollte es einst für uns hart auf hart kommen. Gleich was wir besitzen, Du bist immer willkommen und Du hast immer einen Platz in unserem Herzen und an unserem Herd. Wir denken an Dich. Und bevor Du uns nun verlässt, sei so gut und erzähle noch ein kleines bisschen von der Ala. Vielleicht sehen wir uns schneller wieder als Du vermutest", schmunzelte Lurco und gab Fango wieder frei.

  • Mit dieser Antwort seines Bruders, die von großer Zuneigung gegenüber seinem Leibsklaven zeugte, hätte Scato eigentlich rechnen müssen. Würde er selbst sich von Terpander trennen? Nein. Nicht mal dann, wenn er keinerlei Verwendungszweck hätte. Sie hatten nie so viele Sklaven besessen, dass sie eine graue Dienermasse gewesen wären. Terpander war zudem der Mann im Haus gewesen, kein Vaterersatz und dennoch der einzige Mann im Haus, zu dem Scato sich in jungen Jahren hingezogen gefühlt hatte. Das enge Verhältnis der Mutter zu diesem Sklaven hatte wesentlich dazu beigetragen, dass es Scato kaum möglich war, Terpander nur als einen Sklaven wahrzunehmen. Auch hatte er es damals als Ungerechtigkeit empfunden, als Seia Sanga Terpander wegen ihrer neuen Religion plötzlich von sich stieß und er hatte versucht, Terpander zu trösten. Für Fango hingegen war der gleichaltrige Unauris in jener Zeit der beste Freund gewesen, sein Spielgefährte, wenn die Brüder sich wieder auf den Jüngsten eingeschossen hatte, sein Beistand und Trost. Scato verschränkte die Arme und lächelte. Sie waren sich ähnlicher, als er früher angenommen hatte. Und im Gegensatz zu früher mochte er seinen Bruder nun.

  • Fango umarmte Lurco zurück. "Ein Schuppen wäre etwas eng für eine gesamte Familie! Von der Ala soll ich erzählen?"


    Nachdem er losgelassen wurde, pflanzte er sich also wieder hin.


    "Davon könnte ich den ganzen Tag reden, es kommt drauf an, was dich interessiert. Ich lebe dort in einer Stube mit meinem besten Kumpel Tisander, einem Griechen Namens Zisimos, der wie ein Germane aussieht, und einem Germanen namens Alwin, der wie ein Römer aussieht und Seidenpantöffelchen trägt. Wir haben drei Ausbilder. Einen Duplicarius Andriscus - keine Ahnung, was für ein Volk der ist - einen Vexillarius Matinius Ocella und einen Decurio Germanicus Varro. Ocella mag ich am meisten, weil er mich mal vor allen gelobt hat. Ich kann ziemlich gut Bogenschießen."


    Dass dies das Einzige war, was er gut konnte, neben Schreiben und Auswendiglernen, verschwieg er.


    "Vormittags verbringen wir mit der Ausbildung, Nachmittags müssen wir irgendwelche Arbeiten im Lager machen, wie Latrinendienst, Müll wegbringen, Wasser holen ... zu Feierabend hat Tisander mit mir noch mal gesondert Reiten geübt. Ansonsten verbringen wir die Abende entweder in der Therme beim Ballspielen oder in der Stube. Wir dürfen noch nicht das Castellum verlassen, das dürfen wir erst als Equites. Eine Zeitlang musste ich ziemlich viel lernen für den Theorieunterricht, sodass nicht viel Freizeit blieb. Insgesamt bin ich gern bei der Ala, es sind anständige Leute dort und ich kann es nicht erwarten, meinen ersten Einsatz zu reiten! Hast du mein Pferd gesehen?"


    Terpander musste den kleinen struppigen Schecken und das dazugehörige Packpferd eigentlich mit in den Garten geführt haben. Und tatsächlich spazierten in der Nähe des Eingangs die beiden Pferde herum und zupften am Rasen.

  • "Der Schuppen war auch im übertragenen Sinne gemeint Fango. Wenn nichts mehr geht und alle Stricke reißen, dann rücken wir zusammen. Das heißt nicht, dass Du in einen Schuppen abgeschoben wirst, sondern dass wir Dir beistehen. Ganz gleich was geschieht. Die Ala hat mich schon immer interessiert. Um dorthin zu wechseln hätte ich allerdings die Cohortes verlassen müssen. Da ich aber weder Scato noch meine Kameraden missen möchte, bin ich geblieben wo ich war. Gut die Frage wäre selbstverständlich auch, hätten sie mich überhaupt aufgenommen. Das kann ich Dir natürlich nicht sagen.


    Euer Alltag ist straff durchorganisiert, viel Platz für anderes bleibt dort nicht. Auf der anderen Seite ist so der Tag auch nie langweilig. Der Großteil des Dienstes bei uns besteht sonst aus Warten Fango. Wir sind dann im Einsatz, wenn die Scheiße am Dampfen ist oder bereits richtig kocht. Also ist Vorsicht geboten, sich einen dienstreichen Alltag zu wünschen. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch Aufgaben, wo es rein um die Regelung von Dingen geht. Für Ruhe und Ordnung zu sorgen, was allerdings auch nicht immer friedlich bleiben muss.


    Was lernt Ihr so alles rund um das Pferd? Hat jeder von Euch ein fest zugeteiltes Pferd mit dem er arbeitet, oder wie ist das geregelt? Liegt die Verpflegung der Tiere auch in Eurer Hand? Deine Tiere sehen sehr schön aus", antwortete Lurco gut gelaunt.

  • Terpander brachte den Gast von der Porta auf direktem Wege in den Garten.


    "Besuch", sagte er und verzog sich wieder in die Taberna. Unauris, der in der Gegend herumstand, nahm er mit sich, damit der Bursche sich nützlich machte.

  • Der adoptionswillige Onkel war wieder da! Scato verspürte neben der Wiedersehensfreude den Biss des schlechten Gewissens, weil er Stilos wohlmeinendes Angebot verschmäht hatte. Doch Scato war kein kleiner Junge mehr, der einen Vormund benötigte oder jemanden, der kraft seiner Autorität die Geschicke der Familie lenkte. Scato war erwachsen und würde das für sich selbst übernehmen. Nach der Terrorherrschaft der Seia Sanga war er sogar ganz froh darüber, endlich für sich selbst die Verantwortung zu tragen.


    "Onkel Stilo", rief er trotz allem aufrichtig erfreut. "Komm rein, nimm Platz, mach es dir bequem." Und rückte dem Onkel einen Stuhl zurecht.

  • Noch bevor Stilo sich setzen konnte, war Fango bei ihm. Die Beantwortung von Lurcos Frage musste warten. Er griff seinen Onkel bei den Unterarmen und strahlte ihn überglücklich an. Hier stand der Mann, der sein Vater sein wollte. Im Gegensatz zu Scato fühlte Fango sich kein bisschen bereit, ohne Vater zu leben. Er war noch sehr jung und fühlte sich auch so. Stilo wirkte mit den Bartstoppeln viel älter, als er war, was ihn in Fangos Augen noch mehr nach "Papa" aussehen ließ. Fango drückte ihn, ob Stilo verschwitzt war oder nicht. Es war ihm egal.


    "Schön, dass du da bist." Er hielt den Noch-Onkel länger fest, als wenn er ihn zu anderen Gelegenheiten gedrückt hatte.

  • Scato begrüßte Stilo, herzlich aber etwas befangen. Dies war kein Wunder, denn er erfreute sich seiner Freiheit. Beim letzten Besuch hatte Stilo versucht Scato zu adoptieren. Mehr Angst als Scato selbst hatte wohl nur noch Lurco gehabt. Nicht vor der Adoption, sondern davor, dass sie beide auseinander gerissen werden würden und so hatte er mit fadenscheinigen Argumenten dagegen angekämpft. Im Grunde hätte er hinausschreien wollen, ich will meinen Mann nicht verlieren. Aber wer schrie schon so etwas? So etwas verschwieg man und vergrub es tief in seinem Herzen. Also mussten Ersatzgründe her und zwar schnell und einige hatte er auch gefunden. Als die nicht mehr halfen, hatte er eine neue Taktik aufgefahren und zwar Verwirrung stiften mit blöden Nebenfragen. Und nun war Stilo wieder hier, was Lurco leicht nervös machte.


    Fango hingegen freute sich sichtlich Stilo zu sehen. Der kleine Bruder von Scato ergriff den Gast und hielt ihn fest. Das war mehr als eine Geste, denn kurz vorher noch, hatte Fango darüber gesprochen, dass er sich einen Platz im Leben wünschte. Natürlich hatte er es anders formuliert, für später für Frau und Kinder. In Wahrheit hatte Fango ihm erklärt wie einsam er war, wie allein er sich fühlte und dass er sich einen Ort wünschte, den er Zuhause nennen konnte. Wo Menschen auf ihn warteten, die ihn gerne hatten und sich auf ihn freuten.


    Lurco hatte genauso geantwortet und ihm gesagt, dass er dieses Zuhause bereits besaß - die Casa Leonis. Auch er hatte andere Worte gewählt, damit Fango sein Gesicht wahren konnte, wobei es doch eigentlich um das Herz ging.


    "Salve Stilo, erneut willkommen in unserem Haus. Du siehst erschöpft und geschafft von der Reise aus. Sei erneut unser Gast und erhole Dich bei uns. Charislaus wird sich gleich um Dich kümmern, dass heißt sobald Du soweit bist. Du siehst aus, als hättest Du Erholung dringend nötig", grüßte Lurco Scatos und Fangos Verwandten.

  • "Das nenne ich eine herzliche Begrüßung. Na, ihr drei?"


    Fango umklammerte ihn noch immer, was aufgrund von dessen geringer Körpergröße putzig wirkte. Er hatte noch immer etwas von einem großen Kind. Die Ala-Ausrüstung schmälerte den Eindruck etwas, was Fango sicher recht gewesen wäre, doch seine ganze Art war nicht die eines erwachsenen Mannes. Sollte er die Zeit der Unbeschwertheit genießen, solange es ging. Die Ala II Numidia war an der Front stationiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Unbeschwertheit von Fangos Jugend endete, sobald er mit seiner Ausbildung durch war, war hoch. Stilo streichelte ihm den Kopf und wartete, bis der Junge sich von selbst löste. Sein Junge.


    "Danke, Lurco, ich würde gern ein Bad nehmen, wenn es keine Umstände macht, und mir einen Sklaven borgen. Fango und ich haben einen Termin beim Praetor Urbanus. Danach können wir reden. Die Casa Leonis erinnert mich an das Gestüt Umbrena, der Ort, den ich zu Hause nenne. Man tritt durch die Tür und fühlt sich angekommen."

  • "Nein das macht keine Mühe, Charislaus wird sich gerne um Dich kümmern. Er hat einst bei dem duften Viri gearbeitet, vielleicht sagt Dir Viridomarus etwas. Du bist bei Charislaus in den besten Händen. Er versteht nicht nur sein Handwerk, er ist auch sehr freundlich. Du wirst ihn gleich kennenlernen. Das fasse ich als großes Kompliment auf Stilo, vielen Dank", freute sich Lurco aufrichtig.


    Für einen Moment war die Angst der Adoption von Scato fast verflogen.


    "Charislaus!", rief Lurco nach dem Sklaven.

  • Charislaus hörte den Ruf seines Herrn und eilte sofort in den Garten. Wie er mitbekommen hatte, hatten sie einen weiteren Gast. Als er endlich im Garten ankam, sah er schon das Dilemma. Der Mann war nur noch ein Schatten seiner selbst. Staubig von der Straße, abgekämpft und sichtlich erschöpft sah er aus und dennoch strahlte sein Gesicht voller Glück. Terpander würde diese Gegensätze niemals begreifen.


    Er war zu sehr Spartaner um überhaupt so etwas wie Erschöpfung zu zeigen. Ständig strahlte er Vitalität und Kampfeswillen aus, aber Chari hatte ihn auch schon anders gesehen. Es hatte ihm weh getan, einen Krieger wie Terpander dort so ohne jede Hoffnung hocken zu sehen. Sein Rat und seine Aufmunterung gingen ins Leere. Terpander verstand seine Weltsicht nicht, aber das musste der Mann auch nicht. Wer war Charislaus schon? Er war trotz seines Standes behütet aufgewachsen, war fleißig und folgsam und hatte ein gutes Leben. Kein Herr war je schlecht zu ihm gewesen.


    Terpander hatte sicher Dinge gesehen, die er sich nicht einmal vorstellen konnte. Grauen für die er keinen Namen hatte. Deshalb verurteilte er den alten Griesgram nicht, sondern versuchte ihn zu ergänzen. Aber heute ging es nicht um Terpander, sondern um den Gast.


    Man musste Charislaus nicht auf Arbeit hinweisen, er sah wo Arbeit angebracht war und dieser Mann war eine Baustelle, die ganz dringend seiner Hilfe bedurfte. Chari war selbstverständlich zur Stelle. Nach seiner Behandlung war der Mann wieder vorzeigbar und würde sich so ausgeruht und erfrischt fühlen, wie schon lange nicht mehr.


    "Herr, ich stehe zu Deinen Diensten. Ich vermute ich soll unseren ehrenwerten Gast vom Staub der Straße befreien und ihn mit einer Massage entspannen?", fragte Chari und schaute von Lurco zu Stilo.

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