... so lange sie nicht Tiberios heißen.
Beiträge von Terpander
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Terpander schloss die Tür. Er blieb stehen, sein Handgelenk vor dem Bauch umklammert, die Arme locker herabhängend, mit leicht gesenktem Haupt.
"Danke für dein Interesse, Herr. Ich war nur schockiert, dass dominus Satibarzanes ein Peregrinus ist. Ich nahm an, man hätte mir ein Geschenk machen wollen, zum Lohn für meine gute Arbeit. In Form eines Sklaven, der mir ... zur Hand gegangen wäre. Wenn du verstehst. Da er auch ein Lupo ist, wie man an seiner knappen Kleidung sieht. Das war anmaßend von mir, mit der Enttäuschung muss ich nun klarkommen, sie ist die gerechte Strafe."
Den Mann vor der Tür wagte er nicht zu erwähnen. Er hoffte, man würde ihn nicht weiter beachten und er einfach weiterziehen. Zum Glück gab es keine Fenster nach draußen, sie zeigten alle nach innen. Den Fluch, der auf ihm lastete, behielt er für sich. Er fürchtete, die domini würden ihn womöglich verstoßen, damit er kein Unglück über die Casa Leonis brachte.
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"Motivation ergibt sich aus Angst und Schmerz, das nennt man Überlebenstrieb", entgegnete Terpander, obwohl ihm schlecht war. Diskutieren konnte er noch. Sein Blick irrte über die Tischplatte auf der Suche nach einer Aufgabe, um zu vergessen, was dick und rund in einer Aura aus Parfum vor der Porta lauerte. Das Unglück, welches Anis von Alexandria ihm prophezeit hatte! Sein Untergang! Und alles nur, weil die Fluchtafel noch nicht abgeholt und unter dem Toten vergraben worden war!
Er blickte auf, als Lurco fragte, was mit ihm los war. Das Gesicht, das Terpander nun zog, wirkte sehr gequält. "Unter vier Augen, wenn es beliebt, Herr", antwortete er steif. Dankbar, sich von der Tür entfernen zu dürfen, folgte er Lurco hinauf in die obere Etage. Terpander, den sonst nichts schreckte, hatte Angst.
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Hatte man Töne? Um Worte war der Giftzwerg nicht verlegen. Als Tiberios sich erdreistete, ihm zu drohen, griff Terpander sich zwei schöne runde Datteln, die genau die richtige Form und Größe hatten. Er legte sie auf seine Handfläche und massierte sie in anzüglicher Manier, um zu verdeutlichen, was sie darstellen sollten. Dann drückte er mit aller Kraft zu. Die Früchte platzten zwischen seinen Fingern, der Saft spritzte in alle Richtungen. Die besudelte Hand hielt er dem Pfau hin, der sogleich herbei kam, um Fruchtfleisch und Saft zu naschen.
"Das mag er", erklärte er mit einem Zwinkern und in der Tat war der Vogel emsig bei der Sache.
"Man unterscheidet unterschiedlche Lerntypen, Tiberios. Die einen lernen am besten durch Schmerz, die anderen am besten durch Demütigung, weitere durch Angst. Andere durch Isolation, es gibt viele Lerntypen und auch Mischformen. Man muss die Menschen mit ihren Schwächen konfrontieren, bis sie diese aus eigener Kraft überwinden. Dominus Satibarzanes ist ein Angstlerner. Finde heraus, wovor er am meisten Angst hat und benutze sie als Waffe, um ihn zu stählen. Dann - und nur dann - wird aus ihm ein guter Schankjunge."
Nicht der Hauch von Ironie lag in seiner Stimme, Terpander meinte jedes Wort ernst. Als es klopfte, wusch er seine Hände und ging zur Porta, die er so öffnete, dass sein Körper den Zutritt versperrte. Als er den feisten Mann dahinter sah, wich ihm alle Farbe aus dem Gesicht. Sofort schlug Terpander die Tür wieder zu und kehrte zum Tisch zurück.
"Falsche Hausnummer", erklärte er und stopfte Satibarzanes eine Lukanerwurst in den Rachen, da der noch nichts gegessen hatte.
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Terpander konnte gerade niemanden bedienen. Er war vor lauter Wut erstarrt. Dieser fette kleine Schwanzlutscher, ganz offensichtlich bettelte er mit jeder Körperfaser nach einer harten Behandlung, sollte ein Peregrinus sein, ein Freund von Lurco? Warum wurde das eigentlich betont, sollte Terpander sich dieser Witzfigur gegenüber nun irgendwie anders verhalten? Sein Kopf fuhr herum und Satibarzanes traf ein Blick, der ganze Heere hätte ins Jenseits befördern können. Und dann sollte Tiberios den Fettsack auch noch unterrichten. Wären die Herren klug, würden sie Terpander diese Arbeit erledigen lassen, aber offenbar hatten sie ein Interesse daran, dass Satibarzanes fett, faul, unattraktiv und unfähig blieb.
Terpander bewegte die Finger, so dass sie deutlich vernehmbar knackten. Wenn er etwas nicht ausstehen konnte, waren es Leute, denen "Opfer" auf die Stirn geschrieben stand. Er war es als spartanischer Vollbürger gewohnt, Heloten zu jagen und zu quälen, wann immer ihm danach war, und gerade eben hatte er den Drang, dies auf andere nichtswürdige Volksgruppen auszuweiten. Die römische Expansion führte offenbar vorsätzlich zur globalen Verweichlichung, damit ihnen auf dem Schlachtfeld keine Männer mehr gegenübertraten, sondern Satibarzanites. Als Tiberios dem Neuzugang auch noch im Scherz anbot, ihn zu verprügeln, hatte Terpander genau darauf Lust. Der Scriba war genau so ein Knilch wie der Fettsack, nur in dünn, er passte hervorragend zu Satibarzanes. Gäbe es eine spartanische Expansion, würden die Dinge ganz anders laufen. Dann gäbe es solche Gestalten nicht. Entweder, sie würden gestählt werden oder getötet. Wobei der dürre Tiberios vermutlich schon als Säugling von einer Klippe geschmissen worden wäre.
Normalerweise fand Terpander sein Sklavendasein in Ordnung, aber gerade eben verlangte es ihm ein übermenschliches Maß an Beherrschung ab, nun einfach nach der Karaffe zu greifen und allen Posca einzuschenken, auch Satibarzanes und Tiberios.
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Mit einer Waschschüssel und einem Korb voller Zubehör spazierte er ins Triclinium, sobald Terpander den Eindruck hatte, dass es an der Zeit war. Scato musste sich waschen lassen, damit er beim Dienst nicht nach dem anregenden Duftöl von Tiberios roch, was für Irritation sorgen könnte, oder gleich noch nach Tiberios selbst. Garstiger Weise erfolgte das Waschen mit eiskaltem Wasser, damit Scato wieder munter wurde. Anschließend wurde er mit einem harten und rauen Handtuch abgerubbelt, ehe das übliche Ölen und Striegeln folgte. Auch hierbei war Terpander eher grob, um seinen Kreislauf zu aktivieren und ihn nicht noch weiter zu entspannen. Er für seinen Teil hätte seinem Schüler was gehustet, wenn der sich in einer winzigen Dienstpause mit irgendeinem Jüngling vergnügte, der ihn friedlich und dumm machte, aber ihn fragte ja niemand.
Danach war Tiberios an der Reihe. Ob er darauf Lust hatte, war Terpander egal, er musste die volle Behandlung über sich ergehen lassen. Nur erhielt er im Gegensatz zu Scato am Ende keine frische Kleidung, sondern seine alte. Und er duftete nun nicht mehr nach Zitronengras, sondern nach Zimt (von dem man annahm, dass es von Zimtvögeln stamme oder auf dem Grund von Seen wüchse), weil Terpander es so wollte.
"Essen steht bereit auf dem Tisch, wenn ihr noch Zeit habt", informierte er, ehe er den Krempel aufräumte und in Richtung Hortus verschwand.
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Ein guter Sklave zeichnete sich nicht durch Kadavergehorsam aus, sondern dadurch, dass er mitdachte. Manchmal zeigte sich dies in kleinen Gesten. Terpander nahm den leeren Tisch stirnrunzelnd zur Kenntnis. Die Stimmen aus dem Triclinium verrieten ihm, woher der Wind wehte und was Sache war. Er kannte Scato und ahnte, was der schon wieder vergessen hatte. So stellte er die Einkäufe auf den Tisch und verschwand kurz im Schlafzimmer der Herren. Als er wiederkehrte, führte sein Weg ihn direkt zu Scato und Tiberios, die es sich auf der Kline gut gehen ließen. Terpander stellte eine kleine Amphore mit Öl hinter Scato in die Wandnische, wobei er einen weisen Blick aufsetzte, und verschwand wieder, als wäre nichts gewesen.
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Auf den Scherz hin blinzelte Terpander freundlich.
"Dominus Scato ist noch nicht hier, aber mit dominus Lurco kann ich dienen. Er ist allerdings im Obergeschoss mit einem neuen Sklaven beschäftigt, den er gerade einweist. Da Scato dich augenscheinlich erwartet, wird es in Ordnung sein, wenn ich dich erst einmal mit einer Erfrischung versorge. Ich denke,du wirst nicht lange warten müssen. Selten ist nur einer der domini hier zugegen."
Er führte Tiberios in den Hortus, wo inzwischen ein Kräuterbeet angelegt worden war. Dort schwirrten die Bienen und es duftete würzig. So war es kein Wunder, dass Terpander in der milden Frühlingssonne zwei Sitzecken eingerichtet hatte, eine für die Herren und eine für sich. Er bat Tiberios, Platz zu nehmen, als er schon meinte, Geräusche von der Tür zu hören.
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Wütend starrte Terpander diesem fetten Kerl hinterher. War der lebensmüde oder wie kam er sonst auf den Gedanken, ihn bei den Herrschaften schlechtzureden? Er hatte als Sklave den Mund zu halten und seine Arbeit zu erledigen! Das Gepetze und Geheule würde er ihm austreiben!
Da riss ein erneutes Klopfen ihn aus den Gedanken. Sicher Scato. Er öffnete die Tür - und ein verhaltenes Grinsen kräuselte seine Lippen.
"Tiberios, wie schön. Hast du es nicht mehr ausgehalten bis zu unserem Treffen um Mitternacht? Tritt doch ein."
Tiberios hatte sich für ihn ziemlich herausgeputzt.
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Nanu? Terpander legte den Zupfer beiseite. Der frisch gewaschene und entkleidete Satibarzanes presste sich mit angstvoll geweiteten Augen rücklings auf die gemauerte Kline, auf der er still liegen sollte. Er tat glatt so, als wolle Terpander ihm sonstwas ausreißen und nicht nur die ganzen lästigen Haare, von denen er viel zu viele hatte. Was für ein Haarmonster und das in dem Alter. Terpander wusch seine Hände, trocknete sie ab, kontrollierte den Sitz seiner Kleidung und öffnete die Tür.
"Dominus Lurco", grüßte er überrascht und hielt ihm sofort die Tür auf, so dass er an ihm vorbei eintreten konnte.
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Satibarzanes hatte falsch vermutet. Anstatt eines griechischen jünglings öffnete ein in die Jahre gekommener Grieche, der durchaus einen respektablen Eindruck machte und den fast nackten Burschen kritisch musterte, ehe er die Wachstafel entgegennahm und las.
Salve Terpander,
vor Dir steht Satibarzanes. Wir haben ihn für unsere Taberna, den lallenden Löwen, als Schankkraft eingestellt.Inbegriffen sind Lohn, Unterkunft und Auskommen. Bitte nimm Dich seiner an, bis wir nachher Zuhause sind. Er hat sehr viel durchgemacht, dass kann er Dir selbst vor Ort berichten. Danke. Vale bene Lurco
Scato und Lurco hatten ihm einen eigenen Lustknaben organisiert, wie aufmerksam. Ob es nun ein Mädchen oder ein Junge war, das man ihm servierte, war Terpander von der Sache her schnurz. Ein passendes Loch hatten beide. Da Terpander um Lupanare einen Bogen machte, weil er sie für unter seiner Würde hielt, kam ihm das Geschenk gelegen. Schon an bisschen alt war der Satibarzanes, sicher über zwanzig, fast schon greisenhaft alt, aber einem geschenkten Gaul schaute man nicht ins Maul. Dafür würde der Bursche nicht viel gekostet haben.
"Na dann, komm mal rein", sagte Terpander und gab die Porta frei, so dass Satibarzanes eintreten konnte.
Im Inneren der Casa Leonis sah es inzwischen bereits ordentlich und wohnlich aus, ein neugieriger Pfau stolzierte durchs Atrium und beäugte den Gast mit einem Auge von der Seite. Terpander führte Satibarzanes geradewegs zu der improvisierten Waschgelegenheit, wo er ihn reinigen, ihn von Kopf bis Fuß haarlos zupfen, die Zähne, Nägel und Haare machen und generell ein wenig auf Vordermann bringen würde, bis er ihm gefiel. Vielleicht würder er ihn auch schminken und ihm ein Kleid organisieren, mal sehen. Erstmal musste der Dreck runter.
Die Tür der Casa Leonis fiel ins Schloss. Von innen drehte Terpander unheilvoll den Schlüssel herum.
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Dass Tiberios den gewöhnungsbedürftigen Humor von Terpander beantwortete, indem er über sich selber witzelte, gefiel dem alten Haudegen. Der Geist des jungen Mannes war flexibel wie ein Schilfhalm, er wich hier aus und kam dort entgegen. Wäre er anders aufgewachsen, hätte aus ihm etwas werden können. Aber so ... Terpanders Blick fiel auf die dürren Spinnenfinger. Vielleicht konnte er ihn zumindest hier und da mit einem wohldosiertren Arschtritt in eine bessere Richtung schubsen. Er mochte den kleinen Kerl und es tat ihm leid, ihn so zu sehen.
"Freut mich, dass mein Dominus dir helfen konnte. Mir hat er ebenfalls den Arbeitsplatz gerettet, indem er mich übernommen hat. Darum werde ich ihn nicht enttäuschen und tun, was gut für ihn ist. Da du offenbar in seiner Gunst stehst, passe ich auf, dass du von unserem nächtlichen Treffen gesund wieder nach Hause kommst."
Dass er selbst Freude daran hatte, sich um Tiberios zu kümmern, jetzt, wo Scato in der Castra wohnte und Terpander überhaupt keinen Schüler mehr hatte, ließ er unter den Tisch fallen. Ebenso ignorierte er, dass Tiberios anscheinden keinen Bedarf verspürte, unterrichtet zu werden.
"Was Überlieferungen betrifft, habe ich eine Information für dich. Wusstest du, dass in Sparta nur jene eine Inschrift auf ihrem Grab erhalten, die sie auch verdienen, das heißt, in einer Schlacht fielen? Und auch dann werden nur die wenigsten namentlich erwähnt, denn wir sind homoioi, Gleiche unter Gleichen. Hervorhebungen Einzelner sind oft unnötig und schädlich. An dem Ort, wo sie starben, werden die Gefallenen bestattet, eingewickelt in ihre roten Mäntel, und nicht etwa dort, wo sie geboren worden sind. Alle anderen wird man zu Recht vergessen. Ein Mann sollte nur hinter der Wachstafel enden, wenn ihm beide Füße abgehackt worden sind. Also. Wir sehen uns ... scriba."
Der Tonfall klang, als ob Tiberios sich für seinen Beruf schämen sollte. Terpander fuhr ihm von hinten nach vorn durch die Locken, so dass seine Frisur hinüber war, hob seinen Beutel auf und spazierte mit der kleinen Amphore zwischen den Fingern von dannen.
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"Ich trainiere dich doch schon im viel zu engen Rahmen meiner Möglichkeiten. Dies ist die zweite Lehrstunde und sie kostet dich nur Nerven. Ein kleiner Preis, wenn man den Nutzen gegenüberstellt."
Tiberios beließ es jedoch nicht dabei, seinem Ärger Ausdruck zu verleihen, sondern schickte zwischen den Zeilen die Drohung hinterher, genauer hinzusehen. Also doch, er hatte zu viel gesagt. Terpander legte ihm scheinbar freundlich die Hand auf die Schulter, doch sein schmerzhafter Griff erinnerte Tiberios daran, dass man das Spielchen auch andersherum spielen konnte.
"Du scheinst zu glauben, die Waffen des Geistes seien denen des Körpers überlegen. Lass dir gesagt sein, dass noch kein Krieg mit Worten gewonnen wurde. Ich mag dich auch. Darum mein Rat, keinen Kampf zu beginnen, den du nicht gewinnen kannst."
Sein Blick wurde milder. Terpander löste den Griff und gab Tiberios einen fast zärtlichen Klaps auf die Wange.
"Jetzt hör auf zu schmollen und erzähl mir, was mein Herr dir zu Gorgonus geraten hat. Ich hoffe nicht, dass er dir riet, ein Gedicht darüber zu schreiben. Und natürlich habe ich ihm dein Geschenk überreicht, ich gab dir mein Wort darauf. Erst freute er sich, dann hielt er die Schriftrollen für verflucht und aß zur Probe eine Ecke. Sobald ich ihm berichte, dass er einem Irrtum erlegen war und damit alles in Ordnung ist, wird er sich wieder freuen und sie hoffentlich durchlesen. Ich habe ihn allerdings seither nicht wieder gesehen."
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Dass die Erinyen guten Grund hatten, Terpander zu jagen, erkannte Tiberios, doch da er nicht nachhakte, war der ältere Sklave nicht gezwungen, ihn zu belügen. Wobei es künftig besser war, wenn er generell zu dem Thema schwieg. Tiberios wusste bereits zu viel und Terpander traute dem Burschen zu, sich den Rest zusammenzureimen.
"Jemanden mit so dünnen Armen nimmt auch so keiner für voll, egal, wie alt er ist", entgegnete er trocken. Er fand die Argumentation merkwürdig. Wenn er Tiberios gedanklich Kyriakos verglich, den er zuletzt gesehen hatte, als dieser im gleichen Alter gewesen war, rollten sich ihm die Zehennägel auf. Sein Schüler hätte ihm nicht mit solchen Ausreden kommen dürfen. "Gorgonus hat dich also in der Zwischenzeit nicht verprügelt. Schade. Du hättest deine Ansichten zur Sinnhaftigkeit von Mückenärmchen in dem Falle sicher geändert. Aber was nicht ist, kann ja noch werden." Er lächelte, was nicht zu dem Gesagten passte. Scato hatte ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert und auch den Ärger mit Gorgonus nicht ausgelassen.
"Wir treffen uns in sechs Tagen um Mitternacht, dort, wo die Via Appia die Porta Capena verlässt. Seit Spartacus ist es eine traditionsreiche Straße, was Kreuzigungen betrifft. Lass dich nicht von einem Ochsenkarren überfahren, die Rasen auf dieser Strecke immer."
Das war natürlich ein Scherz, denn ein Ochsenkarren war mithichten mit dem Vierergespann feuriger Pferde im Circus Maximus zu vergleichen. Terpander war gespannt, ob der bleiche Knilch wirklich den Mumm haben würde, zu erscheinen und den Gekreuzigten einen Besuch abzustatten.
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"Mit deinem Blut werde ich einen Namen auf einen geweihten Papyrus schreiben. Anschließend muss das Werk zerpflückt werden. So werden die Göttinnen der Rache einer falschen Spur folgen." Er blickte Tiberios ernst an. "Mich jagen die Erinyen mit Fackeln und Schlangen in ihren Händen. Sie suchen Rache. Mannigfaltige Methoden zur Fluchabwendung habe ich gekauft und alle werde ich einsetzen, um sicher zu gehen. Allerdings habe ich sieben unglückselige Tage vor mir, bis alles wirkt."
Er blinzelte Tiberios zu.
"Die Narbe befindet sich zwischen den Haaren und fällt nicht auf bei deinem Lockenschopf. Zudem sind Narben die Zier des Mannes. Und ein bisschen Männlichkeit tut dir gut, du bist alt genug und kein Jüngling mehr, siehst aber aus wie einer. Auch eine erwachsene Geisteshaltung gehört dazu. Ich muss des Nachts eine Fluchtafel vor dem Leichnam eines Gekreuzigten vergraben. Bist du dabei?"
Dabei beäugte er Tiberios´ vollkommen untrainierte Arme, anstatt ihm ins Gesicht zu schauen. Das war keine Absicht, ihm fiel nur gerade auf, wie schrecklich sie aussahen. Dem Jungen fehlte eindeutig ein Mentor. Vermutlich war er von einer dickbusigen Glucke großgezogen worden. Terpander konnte es sich nicht verkneifen, den Oberarm mit Daumen und Zeigefinger zusammenzudrücken und ein gequältes "Herrje" auszustoßen.
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Was für ein kleiner Rohrspatz. Wie er schimpfen konnte! "Um Worte bist du offenbar nicht verlegen. Die Strafe meines Herrn nehme ich in Kauf. Es ist für einen guten Zweck. Als guter Sklave weiß ich mein eigenes Wohl hinten an zu stellen." Dass Terpander das Blut für sich selber benötigte, musste Tiberios nicht wissen. Wenn es Terpander gut ging, ging es auch Scato gut, davon war der alte Sklave überzeugt. Er warf die Scherbe in den Beutel und presste den zeternden Tiberios mit der Brust noch ein wenig platt, um die Wundränder mit Daumen und Zeigefinger zusammen zu drücken, damit die Blutung abnahm. In der anderen Hand hielt er die Amphore mit dem Blut. Schließlich lachte er laut und klopfte Tiberios auf die Schulter, ehe er ihn freigab, als wäre alles Spaß gewesen.
"Nun kann ich es dir ja sagen. Ich benötige das gewaltsam geraubte Blut eines Jünglings für einen Zauber." Er hob das Amphörchen und wackelte damit. "Natürlich nicht umsonst. Such dir eine Entschädigung aus oder nenn mir einen Preis."
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Terpander lachte leise. "Vielleicht hast du damit Recht. Womit hast du es verdient, dass ich dich loslasse? Du bist schwach und ich bin stark."
Diese Kausalkette sollte der kleine Scriba erstmal widerlegen. Terpander fühlte mit dem Daumen oberhalb von Tiberios´ Haaransatz im Nacken herum, bis er ein sanftes Pulsieren spürte. Dort verlief eine Verästelung der hinteren Halsschlagader ganz dicht unter der Oberfläche. Er nahm die Scherbe und Tiberios spürte einen kurzen, scharfen Schmerz, dann sickerte etwas heißes seinen Nacken hinab. In aller Ruhe nahm Terpander eines der Amphörchen und sammelte das Blut auf. Wenn Tiberios schon so freundlich war, sich als Spender anzubieten, wollte er das doch gleich nutzen für den geplanten Zauber.
"Was treibst du überhaupt schon wieder allein in zwielichtigen Gegenden? Wolltest du ins Lupanar? Die Lupos sind noch da, ich habe sie gesehen. Nur gibt es keine Räume mehr."
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Er hatte einen Zeitpunkt abgewartet, an dem Tiberios so stand, dass weder die Sonne seinen Schatten, noch der Wind seinen Geruch in die Richtung des Arglosen trugen. Wie ein Hai, der plötzlich aus den dunklen Tiefen erschien, um sein blutiges Werk zu verrichten, tauchte Terpander scheinbar aus dem Nichts auf, als er Tiberios genau so packte, wie er es schon einmal getan hatte und ihn an eine Hauswand presste. Um die Passanten machte Terpander sich keine Sorgen. Je mehr Menschen anwesend waren, umso geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass jemand half. In Sparta war das freilich anders, dort war man Teil einer Kameradschaft mit engem Zusammenhalt, aber in Sparta war sowieso alles besser. In der Subura der Urbs aeterna war man auf der Straße verloren, wenn man die Regeln nicht kannte und Tiberios kannte sie offenbar nicht.
So wurden ihm nun Wange und Brust gegen den bröckelnden Putz geprest, sein blonder Lockenschopf mit einer Faust in den Haaren fixiert, während Terpanders Ellbogen sich in seinen schmalen Rücken grub. In der anderen Hand hielt Terpander noch immer sein Tragenetz. Das stellte er nun seelenruhig ab und nahm die hübsche Scherbe zwischen die Finger. Die weiche Haut an Tiberios´ Hals wurde von etwas Scharfem eingedrückt.
"Nichts gelernt?", fragte Terpander.
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<< Anis von Alexandria , Wahrsager und Astrologe
Nach seinem Abschied von dem Wahrsager war Terpander nach Hause ins noch namenlose Atriumhaus zurückgekehrt. Dort verwahrte er die wertvollen Schriftrollen und verbrachte die Nacht auf einer der Klinen. Am nächsten Tag beschloss er, an der Brandstelle vorbeizusehen. Man war ja nicht neugierig, aber gucken war erlaubt. Abends würde er versuchen, seinen Herrn vor der Castra abzufangen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, dass die Schriftrollen - oh, Wunder - nicht verflucht waren.
In der Subura stapelten sich Müllberge an den Hauswänden. Darin zu wühlen, hatte er für gewöhnlich nicht nötig, aber etwas weckte seine Aufmerksamkeit. Irgendwer hatte ein Set faustgroßer Mini-Amphporen entsorgt, die unanständig bemalt waren. Vermutlich die Frau des Besitzers. Vielleicht hatten die winzigen Gefäße als Dekoration gedient. Terpander fand sie lustig. Die meisten waren kaputt, aber es waren auch noch genügend davon intakt. Terpander suchte sich die Schönsten heraus und packte sie in eine Tragenetz, das er ebenfalls im Müllberg fand. Von einer, die zerbrochen war, nahm er die größte Scherbe mit, da auf dieser ein recht ansprechendes Motiv zu sehen war. Damit die Scherbe nicht das Netz beschädigte, legte er sie ganz oben drauf. Mit seiner Beute spazierte er weiter, immer dem Brandgeruch nach.
Als er sich auf die Stelle des Brandes zubewegte - der Rauch war noch deutlich zu riechen - entdeckte er, in einem blütenweißen Gewand, einen Jüngling, der hier nicht hergehörte. Das durfte doch nicht wahr sein. Was machte Tiberios allein in einem Viertel wie diesem? Offenbar hatte er nichts gelernt. Terpander würde die Gelegenheit nutzen, ihm zu zeigen, wie gefährlich das für ihn war.
... und vielleicht konnte er dabei sogar das Blut für den Zauber organisieren.
Seine Augen hefteten sich auf Tiberios und der Jüngling wurde in seinen Gedanken zur Beute. Terpander bewegte sich instinktiv so, dass dieser ihn nicht sehen konnte, er hielt sich immer außerhalb der Blickachse, während er sich in aller Ruhe von hinten auf ihn zubewegte. Kein Rennen, kein Hektik. Nur Ruhe und Geduld.
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"Wie du wünschst, Dominus."
Terpander verwahrte die Schreiben sorgfältig in den dazugehörigen Rollen, damit sie beim Transport geschützt blieben. Sonderlich begeistert war er von der Idee nicht, zumal er keine Ahnung hatte, von wem oder wie er so etwas untersuchen lassen sollte! Er beschloss nach dem Abschied von Scato, erst einmal eine Runde spazieren zu gehen, um darüber nachzudenken.