Beiträge von Terpander

    Dass Tiberios den gewöhnungsbedürftigen Humor von Terpander beantwortete, indem er über sich selber witzelte, gefiel dem alten Haudegen. Der Geist des jungen Mannes war flexibel wie ein Schilfhalm, er wich hier aus und kam dort entgegen. Wäre er anders aufgewachsen, hätte aus ihm etwas werden können. Aber so ... Terpanders Blick fiel auf die dürren Spinnenfinger. Vielleicht konnte er ihn zumindest hier und da mit einem wohldosiertren Arschtritt in eine bessere Richtung schubsen. Er mochte den kleinen Kerl und es tat ihm leid, ihn so zu sehen.


    "Freut mich, dass mein Dominus dir helfen konnte. Mir hat er ebenfalls den Arbeitsplatz gerettet, indem er mich übernommen hat. Darum werde ich ihn nicht enttäuschen und tun, was gut für ihn ist. Da du offenbar in seiner Gunst stehst, passe ich auf, dass du von unserem nächtlichen Treffen gesund wieder nach Hause kommst."


    Dass er selbst Freude daran hatte, sich um Tiberios zu kümmern, jetzt, wo Scato in der Castra wohnte und Terpander überhaupt keinen Schüler mehr hatte, ließ er unter den Tisch fallen. Ebenso ignorierte er, dass Tiberios anscheinden keinen Bedarf verspürte, unterrichtet zu werden.


    "Was Überlieferungen betrifft, habe ich eine Information für dich. Wusstest du, dass in Sparta nur jene eine Inschrift auf ihrem Grab erhalten, die sie auch verdienen, das heißt, in einer Schlacht fielen? Und auch dann werden nur die wenigsten namentlich erwähnt, denn wir sind homoioi, Gleiche unter Gleichen. Hervorhebungen Einzelner sind oft unnötig und schädlich. An dem Ort, wo sie starben, werden die Gefallenen bestattet, eingewickelt in ihre roten Mäntel, und nicht etwa dort, wo sie geboren worden sind. Alle anderen wird man zu Recht vergessen. Ein Mann sollte nur hinter der Wachstafel enden, wenn ihm beide Füße abgehackt worden sind. Also. Wir sehen uns ... scriba."


    Der Tonfall klang, als ob Tiberios sich für seinen Beruf schämen sollte. Terpander fuhr ihm von hinten nach vorn durch die Locken, so dass seine Frisur hinüber war, hob seinen Beutel auf und spazierte mit der kleinen Amphore zwischen den Fingern von dannen.

    "Ich trainiere dich doch schon im viel zu engen Rahmen meiner Möglichkeiten. Dies ist die zweite Lehrstunde und sie kostet dich nur Nerven. Ein kleiner Preis, wenn man den Nutzen gegenüberstellt."


    Tiberios beließ es jedoch nicht dabei, seinem Ärger Ausdruck zu verleihen, sondern schickte zwischen den Zeilen die Drohung hinterher, genauer hinzusehen. Also doch, er hatte zu viel gesagt. Terpander legte ihm scheinbar freundlich die Hand auf die Schulter, doch sein schmerzhafter Griff erinnerte Tiberios daran, dass man das Spielchen auch andersherum spielen konnte.


    "Du scheinst zu glauben, die Waffen des Geistes seien denen des Körpers überlegen. Lass dir gesagt sein, dass noch kein Krieg mit Worten gewonnen wurde. Ich mag dich auch. Darum mein Rat, keinen Kampf zu beginnen, den du nicht gewinnen kannst."


    Sein Blick wurde milder. Terpander löste den Griff und gab Tiberios einen fast zärtlichen Klaps auf die Wange.


    "Jetzt hör auf zu schmollen und erzähl mir, was mein Herr dir zu Gorgonus geraten hat. Ich hoffe nicht, dass er dir riet, ein Gedicht darüber zu schreiben. Und natürlich habe ich ihm dein Geschenk überreicht, ich gab dir mein Wort darauf. Erst freute er sich, dann hielt er die Schriftrollen für verflucht und aß zur Probe eine Ecke. Sobald ich ihm berichte, dass er einem Irrtum erlegen war und damit alles in Ordnung ist, wird er sich wieder freuen und sie hoffentlich durchlesen. Ich habe ihn allerdings seither nicht wieder gesehen."

    Dass die Erinyen guten Grund hatten, Terpander zu jagen, erkannte Tiberios, doch da er nicht nachhakte, war der ältere Sklave nicht gezwungen, ihn zu belügen. Wobei es künftig besser war, wenn er generell zu dem Thema schwieg. Tiberios wusste bereits zu viel und Terpander traute dem Burschen zu, sich den Rest zusammenzureimen.


    "Jemanden mit so dünnen Armen nimmt auch so keiner für voll, egal, wie alt er ist", entgegnete er trocken. Er fand die Argumentation merkwürdig. Wenn er Tiberios gedanklich Kyriakos verglich, den er zuletzt gesehen hatte, als dieser im gleichen Alter gewesen war, rollten sich ihm die Zehennägel auf. Sein Schüler hätte ihm nicht mit solchen Ausreden kommen dürfen. "Gorgonus hat dich also in der Zwischenzeit nicht verprügelt. Schade. Du hättest deine Ansichten zur Sinnhaftigkeit von Mückenärmchen in dem Falle sicher geändert. Aber was nicht ist, kann ja noch werden." Er lächelte, was nicht zu dem Gesagten passte. Scato hatte ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert und auch den Ärger mit Gorgonus nicht ausgelassen.


    "Wir treffen uns in sechs Tagen um Mitternacht, dort, wo die Via Appia die Porta Capena verlässt. Seit Spartacus ist es eine traditionsreiche Straße, was Kreuzigungen betrifft. Lass dich nicht von einem Ochsenkarren überfahren, die Rasen auf dieser Strecke immer."


    Das war natürlich ein Scherz, denn ein Ochsenkarren war mithichten mit dem Vierergespann feuriger Pferde im Circus Maximus zu vergleichen. Terpander war gespannt, ob der bleiche Knilch wirklich den Mumm haben würde, zu erscheinen und den Gekreuzigten einen Besuch abzustatten.

    "Mit deinem Blut werde ich einen Namen auf einen geweihten Papyrus schreiben. Anschließend muss das Werk zerpflückt werden. So werden die Göttinnen der Rache einer falschen Spur folgen." Er blickte Tiberios ernst an. "Mich jagen die Erinyen mit Fackeln und Schlangen in ihren Händen. Sie suchen Rache. Mannigfaltige Methoden zur Fluchabwendung habe ich gekauft und alle werde ich einsetzen, um sicher zu gehen. Allerdings habe ich sieben unglückselige Tage vor mir, bis alles wirkt."


    Er blinzelte Tiberios zu.


    "Die Narbe befindet sich zwischen den Haaren und fällt nicht auf bei deinem Lockenschopf. Zudem sind Narben die Zier des Mannes. Und ein bisschen Männlichkeit tut dir gut, du bist alt genug und kein Jüngling mehr, siehst aber aus wie einer. Auch eine erwachsene Geisteshaltung gehört dazu. Ich muss des Nachts eine Fluchtafel vor dem Leichnam eines Gekreuzigten vergraben. Bist du dabei?"


    Dabei beäugte er Tiberios´ vollkommen untrainierte Arme, anstatt ihm ins Gesicht zu schauen. Das war keine Absicht, ihm fiel nur gerade auf, wie schrecklich sie aussahen. Dem Jungen fehlte eindeutig ein Mentor. Vermutlich war er von einer dickbusigen Glucke großgezogen worden. Terpander konnte es sich nicht verkneifen, den Oberarm mit Daumen und Zeigefinger zusammenzudrücken und ein gequältes "Herrje" auszustoßen.

    Was für ein kleiner Rohrspatz. Wie er schimpfen konnte! "Um Worte bist du offenbar nicht verlegen. Die Strafe meines Herrn nehme ich in Kauf. Es ist für einen guten Zweck. Als guter Sklave weiß ich mein eigenes Wohl hinten an zu stellen." Dass Terpander das Blut für sich selber benötigte, musste Tiberios nicht wissen. Wenn es Terpander gut ging, ging es auch Scato gut, davon war der alte Sklave überzeugt. Er warf die Scherbe in den Beutel und presste den zeternden Tiberios mit der Brust noch ein wenig platt, um die Wundränder mit Daumen und Zeigefinger zusammen zu drücken, damit die Blutung abnahm. In der anderen Hand hielt er die Amphore mit dem Blut. Schließlich lachte er laut und klopfte Tiberios auf die Schulter, ehe er ihn freigab, als wäre alles Spaß gewesen.


    "Nun kann ich es dir ja sagen. Ich benötige das gewaltsam geraubte Blut eines Jünglings für einen Zauber." Er hob das Amphörchen und wackelte damit. "Natürlich nicht umsonst. Such dir eine Entschädigung aus oder nenn mir einen Preis."

    Terpander lachte leise. "Vielleicht hast du damit Recht. Womit hast du es verdient, dass ich dich loslasse? Du bist schwach und ich bin stark."


    Diese Kausalkette sollte der kleine Scriba erstmal widerlegen. Terpander fühlte mit dem Daumen oberhalb von Tiberios´ Haaransatz im Nacken herum, bis er ein sanftes Pulsieren spürte. Dort verlief eine Verästelung der hinteren Halsschlagader ganz dicht unter der Oberfläche. Er nahm die Scherbe und Tiberios spürte einen kurzen, scharfen Schmerz, dann sickerte etwas heißes seinen Nacken hinab. In aller Ruhe nahm Terpander eines der Amphörchen und sammelte das Blut auf. Wenn Tiberios schon so freundlich war, sich als Spender anzubieten, wollte er das doch gleich nutzen für den geplanten Zauber.


    "Was treibst du überhaupt schon wieder allein in zwielichtigen Gegenden? Wolltest du ins Lupanar? Die Lupos sind noch da, ich habe sie gesehen. Nur gibt es keine Räume mehr."

    Er hatte einen Zeitpunkt abgewartet, an dem Tiberios so stand, dass weder die Sonne seinen Schatten, noch der Wind seinen Geruch in die Richtung des Arglosen trugen. Wie ein Hai, der plötzlich aus den dunklen Tiefen erschien, um sein blutiges Werk zu verrichten, tauchte Terpander scheinbar aus dem Nichts auf, als er Tiberios genau so packte, wie er es schon einmal getan hatte und ihn an eine Hauswand presste. Um die Passanten machte Terpander sich keine Sorgen. Je mehr Menschen anwesend waren, umso geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass jemand half. In Sparta war das freilich anders, dort war man Teil einer Kameradschaft mit engem Zusammenhalt, aber in Sparta war sowieso alles besser. In der Subura der Urbs aeterna war man auf der Straße verloren, wenn man die Regeln nicht kannte und Tiberios kannte sie offenbar nicht.


    So wurden ihm nun Wange und Brust gegen den bröckelnden Putz geprest, sein blonder Lockenschopf mit einer Faust in den Haaren fixiert, während Terpanders Ellbogen sich in seinen schmalen Rücken grub. In der anderen Hand hielt Terpander noch immer sein Tragenetz. Das stellte er nun seelenruhig ab und nahm die hübsche Scherbe zwischen die Finger. Die weiche Haut an Tiberios´ Hals wurde von etwas Scharfem eingedrückt.


    "Nichts gelernt?", fragte Terpander.

    << Anis von Alexandria , Wahrsager und Astrologe


    Nach seinem Abschied von dem Wahrsager war Terpander nach Hause ins noch namenlose Atriumhaus zurückgekehrt. Dort verwahrte er die wertvollen Schriftrollen und verbrachte die Nacht auf einer der Klinen. Am nächsten Tag beschloss er, an der Brandstelle vorbeizusehen. Man war ja nicht neugierig, aber gucken war erlaubt. Abends würde er versuchen, seinen Herrn vor der Castra abzufangen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen, dass die Schriftrollen - oh, Wunder - nicht verflucht waren.


    In der Subura stapelten sich Müllberge an den Hauswänden. Darin zu wühlen, hatte er für gewöhnlich nicht nötig, aber etwas weckte seine Aufmerksamkeit. Irgendwer hatte ein Set faustgroßer Mini-Amphporen entsorgt, die unanständig bemalt waren. Vermutlich die Frau des Besitzers. Vielleicht hatten die winzigen Gefäße als Dekoration gedient. Terpander fand sie lustig. Die meisten waren kaputt, aber es waren auch noch genügend davon intakt. Terpander suchte sich die Schönsten heraus und packte sie in eine Tragenetz, das er ebenfalls im Müllberg fand. Von einer, die zerbrochen war, nahm er die größte Scherbe mit, da auf dieser ein recht ansprechendes Motiv zu sehen war. Damit die Scherbe nicht das Netz beschädigte, legte er sie ganz oben drauf. Mit seiner Beute spazierte er weiter, immer dem Brandgeruch nach.


    Als er sich auf die Stelle des Brandes zubewegte - der Rauch war noch deutlich zu riechen - entdeckte er, in einem blütenweißen Gewand, einen Jüngling, der hier nicht hergehörte. Das durfte doch nicht wahr sein. Was machte Tiberios allein in einem Viertel wie diesem? Offenbar hatte er nichts gelernt. Terpander würde die Gelegenheit nutzen, ihm zu zeigen, wie gefährlich das für ihn war.


    ... und vielleicht konnte er dabei sogar das Blut für den Zauber organisieren.


    Seine Augen hefteten sich auf Tiberios und der Jüngling wurde in seinen Gedanken zur Beute. Terpander bewegte sich instinktiv so, dass dieser ihn nicht sehen konnte, er hielt sich immer außerhalb der Blickachse, während er sich in aller Ruhe von hinten auf ihn zubewegte. Kein Rennen, kein Hektik. Nur Ruhe und Geduld.

    "Wie du wünschst, Dominus."


    Terpander verwahrte die Schreiben sorgfältig in den dazugehörigen Rollen, damit sie beim Transport geschützt blieben. Sonderlich begeistert war er von der Idee nicht, zumal er keine Ahnung hatte, von wem oder wie er so etwas untersuchen lassen sollte! Er beschloss nach dem Abschied von Scato, erst einmal eine Runde spazieren zu gehen, um darüber nachzudenken.


    Anis von Alexandria, Wahrsager und Astrologe >>

    "Wenn die Erinyen mich für sieben Tage noch verschonen - ja."


    Terpander erhob sich ebenfalls und rückte den Stuhl zurecht, wie er das als Sklave gewohnt war. Getränkt mit dem Blut des Menschenfressers war der Papyrus, schwarz wie der tiefste Schlund des Tartaros. Zwei mal zehn Sesterzen hatte er bezahlt. Zehn für die Analyse der Schriftrollen und zehn für den Papyrus, auf den er den Namen des Kyriakos mit Blut schreiben würde. Terpander legte weitere zehn Sesterzen als Trinkgeld für die gute Beratung dazu, die gleichzeitig als Motivation dienen sollten, die Vorbereitungen gründlich durchzuführen. Er griff nach den Rollen, die er mitgebracht hatte und verwahrte sie in einem Beutel, den schwarzen Papyrus transportierte er gesondert davon, um die Abschriften des Tiberios nicht versehentlich tatsächlich zu verfluchen.


    "Danke für deine Mühen und deine Zeit, kýrios." Mit einer leichten Verneigung nahm Terpander Abschied, um seinem siebentägigen Martyrium entgegenzugehen.

    Terpander nickte knapp. "So soll es geschehen. In sieben Tagen nach Monduntergang."


    Er war beeindruckt von der Professionalität dieses Magiers. Dass es in dieser Zunft auch Scharlatane gab, war bekannt, doch bei Anis von Alexandria hatte er ein gutes Gefühl. Verstohlen blickte Terpander in Richtung des dunkelroten Vorhangs, doch dieser hing nun still. Die Götter hatten gesagt, was sie hatten sagen wollen. Und diese Worte wogen schwerer als jedes Joch. Sein Blick wanderte zu dem Magier, ohne ihm in die schwarzen Augen zu sehen.


    Sieben Tage der Geduld waren nun nötig, in denen der Magier sich den Vorbereitungen, der Askese und den Gebeten hingeben würde. Sieben Tage, die Terpander ohne Schutz vor den Erinyen in der Nähe eines Feinds überleben musste. Mit seiner Reise nach Rom hatte er sich offenbar auch auf seine Reise in den Hades begeben. Sieben Jahre zwischen Leben und Tod für Kyriakos - Sieben Tage für ihn. Das konnte kein Zufall sein. Er erwartete Schlimmstes für diese Zeit.


    "Weil ich die Antwort des Toten kenne", sagte Terpander dann.

    Dass Terpander verloren sein sollte, betrübte ihn - doch dass Anis von Alexandria die Macht besaß, ihm zu helfen, nährte seine Hoffnung erneut.


    "Es scheint mir am klügsten, alle Varianten zu wählen", sprach Terpander froh. "Papyrus und Bleitafel, dazu das Opfer."


    Das Papyrus mit dem Blut eines Zwanzigjährigen zu beschriften, sollte nicht schwer sein, in der Subura gab es genügend Männer in diesem Alter, denen ein kleiner Piekser nicht schaden würde. Oder er fragte einfach Tiberios, dessen Alter müsste ungefähr hinhauen. Für ein kleines Endgelt hätte er sicher nichts dagegen einzuweden, sich "berauben" zu lassen.


    "Zum Schluss wüsste ich noch gern einen zuverlässigen Weg, mit den Toten zu sprechen. Eine Antwort erwarte ich nicht, aber ich möchte gern etwas übermitteln."

    Dass bei der Analyse der Schriftrollen ein plötzlicher Windhauch die Glöckchen hatte gellen lassen, hatte Terpander noch als Zufall abgetan. Doch als ein Vorhang sich wallte, hinter dem ganz bestimmt niemand stehen konnte, sträubte sich sein Nackenhaar. Beim Stöhnen und Rufen des Magiers, dem eine finstere Prophezeiung aus dem Munde drang, sprang Terpander vor Entsetzen so heftig auf, dass der Stuhl hinter ihm umstürzte - vollkommen sinnlos, denn weder Götter noch Geister ließen sich mit physischen Waffen bekämpfen. Der Kopf des Anis von Alexandria knallte auf die Tischplatte, ehe er sich verwirrt wieder aufrappelte. Terpanders Herz schlug bis zum Hals. Er hatte soeben einer göttlichen Weissagung beigewohnt. Mühsam beherrscht stellte er den Stuhl wieder hin und setzte sich. Händeknetend, um die Fäuste wieder zu lockern, sammelte er seine Gedanken. Ruhe und Klarheit waren das oberste Gebot.


    "Du hast verkündet, ich hätte einen Feind, sehr viel näher, als ich denke. Kyriakos, Spartas Sohn. Ist er jener Feind? Ich weiß es nicht. Seit sieben Jahren zwischen Leben und Tod ..."


    Bei diesen Worten wurde ihm so Elend ums Herz, dass er ganz blass wurde.


    "Bei den Göttern, was habe ich getan ... Zeus war Zeuge. Es ist nur Recht, dass ich dafür bezahle und drüben erwartet man mich schon sehnsüchtig. Aber mein Herr darf nicht darunter leiden! Meine Pflicht ihm gegenüber ist, was mich hier noch hält."


    Terpander schob weitere zehn Sesterzen über den Tisch. Nun wieder gefasster, fragte er:


    "Was kann ich tun, um die Bedrohung abzuwenden? Mein junger Herr benötigt meinen Rat und meine Unterstützung noch ein paar Jahre, bis er flügge ist. Ich muss das verdiente Unglück noch aufschieben, wenn der Feind wirklich so nahe ist. Sagen wir, um weitere sieben Jahre. Kannst du da etwas machen?"


    Dann wäre Scato siebenundzwanzig und hoffentlich entweder endlich eigenständig genug, nicht ständig irgendwelchen Unfug zu machen (wie seinen Sklaven mit gebratenen Lukanerwürsten zu verwöhnen), oder dauerhaft in guten Händen, die ihn sanft, aber bestimmt, in eine weniger fatale Richtung lenkten und ihm liebevoll zeigten, was gut für ihn war.

    Bei der Warnung von Hairan lächelte Terpander mit einem Mundwinkel. "Ich werde es in diesem Wortlaut ausrichten. Danke für die Warnung."


    Dass die Schriftrollen nicht verflucht waren, beruhigte ihn und auch Scato würde dies hoffentlich davon überzeugen, dass Tiberios ihm mit seinem Geschenk hatte eine Freude machen wollen und ihn nicht, wie er offenbar annahm, noch weiter quälen wollte.


    "Was meinen vergangenen Weggefährten angeht, so betrifft es meinen ehemaligen Zögling Kyriakos aus Sparta. Als unsere Wege sich vor sieben Jahren trennten, war er in einem schlechten Zustand und ich möchte gern erfahren, ob er noch lebt und wenn ja, wie es ihm heute geht."


    Terpanders sonst stoischer Gesichtsausdruck wies nun Anspannung auf. Seine ewige Bürde seit jenem schicksalsträchtigen Tag in Lakonien war das erste Mal seit sieben Jahren in Worte gefasst, auch wenn er die Gräueltat selbst nicht ausgesprochen hatte.

    Terpander verfügte über mehr als genügend Geld. Scato verwöhnte ihn regelrecht seit ihrem Wiedersehen, gab ihm riesige Summen für den täglichen Bedarf und lud ihn obendrein andauernd zum Essen ein. Und das bei jemandem, der eine im wörtlichen Sinne spartanische Lebensweise gewohnt war. Das meiste Geld sparte Terpander daher, um es seinem Herrn bei Gelegenheit in irgendeiner Form wieder zukommen zu lassen, doch heute würde er einen Teil davon ausgeben, um ihn zu beruhigen. Auch das war ein gutes Werk. Er selber glaubte nicht daran, dass die Schriftrollen verflucht waren, aber um ganz sicher zu gehen, wollte er einen Fachmann befragen. Er setzte sich wie angewiesen auf einen der Stühle.


    "Nur 10 Sesterze für beide Wünsche? Das ist sehr großzügig, Herr." Er schob dem Magier die gewünschte Summe hinüber. Wenn er mit dessen Ausführungen zufrieden war, würde er noch ein Trinkgeld draufpacken. Er wollte keine Zeit vergeuden und legte die drei Schriftrollen betont vorsichtig auf den Tisch, um dem Mann ihren Wert in Erinnerung zu rufen, damit er sorgsam damit umging.

    Terpander öffnete die Tür. Wind fauchte durch den finsteren Raum und löste die Melodie eines Klangspiels aus, das zur Ruhe kam, als er die Tür wieder hinter sich schloss. Andächtig trat Terpander in das Innere dieses Reichs, dessen Magie er in der Luft spürte. Seine Armhaare richteten sich knisternd auf. Voll Ehrfurcht verneigte er sich vor dem Magier.


    "Salve, junger Meister. Ich bin hier auf der Suche nach Antworten. Man sagt, du wüsstest nicht nur die Zukunft zu lesen, sondern auch die Vergangenheit zu entwirren. Die Pfade meines Lebens waren verschlungen und manch Gefährte ging einen anderen Weg. Ich möchte erfahren, was mit einem von ihnen geschah. Außerdem möchte ich überprüfen lassen, ob drei Schriftrollen verzaubert wurden. Kannst du mir behilflich sein?"

    Terpander wartete, bis Scato mit seiner Tirade fertig war. Er ahnte ja, was los war, er kannte seinen jungen Herrn lange genug.


    "Papyrus ist eine teure Angelegenheit, insbesondere für einen Sklaven", gab er daher ruhig zu bedenken. "Auch wird Tiberios für eine so wertvolle Abschrift nicht die billigste Tinte verwendet haben. Zudem musste er sich das Original besorgen und in seiner Freizeit für die Abschrift arbeiten. Einen Zauber hätte er billiger und mit weniger Aufwand haben können. Wenn ich dir einen Rat geben dürfte, Dominus, würde ich empfehlen, die Abschrift in Ruhe durchzulesen und dann zu entscheiden, ob du sie behalten möchtest oder ob ich sie zurückbringen soll."


    Letzteres fände er einen Jammer. Allerdings war Scato bei aller Intelligenz nicht immer logisch in seinen Handlungen. Er bekam ein Geschenk und hatte nichts Besseres zu tun, als sich darüber aufzuregen und dem Schenkenden böse Absichten zu unterstellen.

    Angelockt von der Rauchsäule in der Subura schaute Terpander sich ein wenig im schmuddeligen Armenviertel um. Er hatte nicht vor, sich an den Löscharbeiten zu beteiligen, er wollte einfach sehen, was es Neues gab. Schlendernd schaute er in die betroffene Gasse. Ein Lupanar brannte und offenbar hatte es eine Schlägerei oder Messerstecherei mit den Lupos gegeben. Während die Anwohner mit Löschdecken und Eimern an Terpander vorbeirannten, aß er im Weitergehen einen Apfel, bis sein Blick auf eine Tür mit einem interessanten Schild fiel. Ein Wahrsager! Was es hier nicht alles gab.


    Nach kurzem Nachdenken klopfte er drei Mal, noch immer am Apfel kauend.

    << [vor der Castra] Terpander und Tiberios


    Na endlich! Terpander hatte drei Tage warten müssen, ehe es ihm endlich gelang, seinen Dominus an der Porta Praetoria abzupassen. Jedes Mal hatte er die drei Schriftrollen bei sich getragen, die Tiberios für Scato kopiert hatte.


    "Salve, Dominus", grüßte Terpander und verneigte sich leicht. "Ich trage ein Geschenk von Tiberios bei mir. Er gedachte, dir mit der Abschrift eine Freude zu bereiten, da du wohl sehr gütig zu ihm gewesen warst. Ich habe mich gut mit ihm unterhalten, er ist ein kluger junger Mann mit zumeist vernünftigen Ansichten. Bittesehr."


    Damit hielt Terpander Scato die drei Schriftrollen hin.

    Terpander verneigte sich. "Es war mir eine Ehre, dir mein Ohr zur Verfügung stellen zu dürfen und ich bin voll Dankbarkeit, dass ich umgekehrt von dir ein offenes Ohr erhalten habe. Das weiß ich sehr zu schätzen. Es ist lange her, dass jemand mit mir so freundlich und vertraut sprach. Es erfüllt mein Herz mit Freude, dich an der Seite meines Dominus zu wissen."


    Gemeinsam gingen sie zur Porta. Terpander hielt Lurco am Eingang die Tür auf, um sie hinter ihm wieder heranzuziehen und sie zu verschließen, damit sich kein Gesindel hier einquartierte. Immerhin war dies der gemauerte Traum von Lurco, in dem auch Scato und Terpander ihr festes Plätzchen eingeplant bekommen hatten.