Beiträge von Terpander

    "Wenn die Erinyen mich für sieben Tage noch verschonen - ja."


    Terpander erhob sich ebenfalls und rückte den Stuhl zurecht, wie er das als Sklave gewohnt war. Getränkt mit dem Blut des Menschenfressers war der Papyrus, schwarz wie der tiefste Schlund des Tartaros. Zwei mal zehn Sesterzen hatte er bezahlt. Zehn für die Analyse der Schriftrollen und zehn für den Papyrus, auf den er den Namen des Kyriakos mit Blut schreiben würde. Terpander legte weitere zehn Sesterzen als Trinkgeld für die gute Beratung dazu, die gleichzeitig als Motivation dienen sollten, die Vorbereitungen gründlich durchzuführen. Er griff nach den Rollen, die er mitgebracht hatte und verwahrte sie in einem Beutel, den schwarzen Papyrus transportierte er gesondert davon, um die Abschriften des Tiberios nicht versehentlich tatsächlich zu verfluchen.


    "Danke für deine Mühen und deine Zeit, kýrios." Mit einer leichten Verneigung nahm Terpander Abschied, um seinem siebentägigen Martyrium entgegenzugehen.

    Terpander nickte knapp. "So soll es geschehen. In sieben Tagen nach Monduntergang."


    Er war beeindruckt von der Professionalität dieses Magiers. Dass es in dieser Zunft auch Scharlatane gab, war bekannt, doch bei Anis von Alexandria hatte er ein gutes Gefühl. Verstohlen blickte Terpander in Richtung des dunkelroten Vorhangs, doch dieser hing nun still. Die Götter hatten gesagt, was sie hatten sagen wollen. Und diese Worte wogen schwerer als jedes Joch. Sein Blick wanderte zu dem Magier, ohne ihm in die schwarzen Augen zu sehen.


    Sieben Tage der Geduld waren nun nötig, in denen der Magier sich den Vorbereitungen, der Askese und den Gebeten hingeben würde. Sieben Tage, die Terpander ohne Schutz vor den Erinyen in der Nähe eines Feinds überleben musste. Mit seiner Reise nach Rom hatte er sich offenbar auch auf seine Reise in den Hades begeben. Sieben Jahre zwischen Leben und Tod für Kyriakos - Sieben Tage für ihn. Das konnte kein Zufall sein. Er erwartete Schlimmstes für diese Zeit.


    "Weil ich die Antwort des Toten kenne", sagte Terpander dann.

    Dass Terpander verloren sein sollte, betrübte ihn - doch dass Anis von Alexandria die Macht besaß, ihm zu helfen, nährte seine Hoffnung erneut.


    "Es scheint mir am klügsten, alle Varianten zu wählen", sprach Terpander froh. "Papyrus und Bleitafel, dazu das Opfer."


    Das Papyrus mit dem Blut eines Zwanzigjährigen zu beschriften, sollte nicht schwer sein, in der Subura gab es genügend Männer in diesem Alter, denen ein kleiner Piekser nicht schaden würde. Oder er fragte einfach Tiberios, dessen Alter müsste ungefähr hinhauen. Für ein kleines Endgelt hätte er sicher nichts dagegen einzuweden, sich "berauben" zu lassen.


    "Zum Schluss wüsste ich noch gern einen zuverlässigen Weg, mit den Toten zu sprechen. Eine Antwort erwarte ich nicht, aber ich möchte gern etwas übermitteln."

    Dass bei der Analyse der Schriftrollen ein plötzlicher Windhauch die Glöckchen hatte gellen lassen, hatte Terpander noch als Zufall abgetan. Doch als ein Vorhang sich wallte, hinter dem ganz bestimmt niemand stehen konnte, sträubte sich sein Nackenhaar. Beim Stöhnen und Rufen des Magiers, dem eine finstere Prophezeiung aus dem Munde drang, sprang Terpander vor Entsetzen so heftig auf, dass der Stuhl hinter ihm umstürzte - vollkommen sinnlos, denn weder Götter noch Geister ließen sich mit physischen Waffen bekämpfen. Der Kopf des Anis von Alexandria knallte auf die Tischplatte, ehe er sich verwirrt wieder aufrappelte. Terpanders Herz schlug bis zum Hals. Er hatte soeben einer göttlichen Weissagung beigewohnt. Mühsam beherrscht stellte er den Stuhl wieder hin und setzte sich. Händeknetend, um die Fäuste wieder zu lockern, sammelte er seine Gedanken. Ruhe und Klarheit waren das oberste Gebot.


    "Du hast verkündet, ich hätte einen Feind, sehr viel näher, als ich denke. Kyriakos, Spartas Sohn. Ist er jener Feind? Ich weiß es nicht. Seit sieben Jahren zwischen Leben und Tod ..."


    Bei diesen Worten wurde ihm so Elend ums Herz, dass er ganz blass wurde.


    "Bei den Göttern, was habe ich getan ... Zeus war Zeuge. Es ist nur Recht, dass ich dafür bezahle und drüben erwartet man mich schon sehnsüchtig. Aber mein Herr darf nicht darunter leiden! Meine Pflicht ihm gegenüber ist, was mich hier noch hält."


    Terpander schob weitere zehn Sesterzen über den Tisch. Nun wieder gefasster, fragte er:


    "Was kann ich tun, um die Bedrohung abzuwenden? Mein junger Herr benötigt meinen Rat und meine Unterstützung noch ein paar Jahre, bis er flügge ist. Ich muss das verdiente Unglück noch aufschieben, wenn der Feind wirklich so nahe ist. Sagen wir, um weitere sieben Jahre. Kannst du da etwas machen?"


    Dann wäre Scato siebenundzwanzig und hoffentlich entweder endlich eigenständig genug, nicht ständig irgendwelchen Unfug zu machen (wie seinen Sklaven mit gebratenen Lukanerwürsten zu verwöhnen), oder dauerhaft in guten Händen, die ihn sanft, aber bestimmt, in eine weniger fatale Richtung lenkten und ihm liebevoll zeigten, was gut für ihn war.

    Bei der Warnung von Hairan lächelte Terpander mit einem Mundwinkel. "Ich werde es in diesem Wortlaut ausrichten. Danke für die Warnung."


    Dass die Schriftrollen nicht verflucht waren, beruhigte ihn und auch Scato würde dies hoffentlich davon überzeugen, dass Tiberios ihm mit seinem Geschenk hatte eine Freude machen wollen und ihn nicht, wie er offenbar annahm, noch weiter quälen wollte.


    "Was meinen vergangenen Weggefährten angeht, so betrifft es meinen ehemaligen Zögling Kyriakos aus Sparta. Als unsere Wege sich vor sieben Jahren trennten, war er in einem schlechten Zustand und ich möchte gern erfahren, ob er noch lebt und wenn ja, wie es ihm heute geht."


    Terpanders sonst stoischer Gesichtsausdruck wies nun Anspannung auf. Seine ewige Bürde seit jenem schicksalsträchtigen Tag in Lakonien war das erste Mal seit sieben Jahren in Worte gefasst, auch wenn er die Gräueltat selbst nicht ausgesprochen hatte.

    Terpander verfügte über mehr als genügend Geld. Scato verwöhnte ihn regelrecht seit ihrem Wiedersehen, gab ihm riesige Summen für den täglichen Bedarf und lud ihn obendrein andauernd zum Essen ein. Und das bei jemandem, der eine im wörtlichen Sinne spartanische Lebensweise gewohnt war. Das meiste Geld sparte Terpander daher, um es seinem Herrn bei Gelegenheit in irgendeiner Form wieder zukommen zu lassen, doch heute würde er einen Teil davon ausgeben, um ihn zu beruhigen. Auch das war ein gutes Werk. Er selber glaubte nicht daran, dass die Schriftrollen verflucht waren, aber um ganz sicher zu gehen, wollte er einen Fachmann befragen. Er setzte sich wie angewiesen auf einen der Stühle.


    "Nur 10 Sesterze für beide Wünsche? Das ist sehr großzügig, Herr." Er schob dem Magier die gewünschte Summe hinüber. Wenn er mit dessen Ausführungen zufrieden war, würde er noch ein Trinkgeld draufpacken. Er wollte keine Zeit vergeuden und legte die drei Schriftrollen betont vorsichtig auf den Tisch, um dem Mann ihren Wert in Erinnerung zu rufen, damit er sorgsam damit umging.

    Terpander öffnete die Tür. Wind fauchte durch den finsteren Raum und löste die Melodie eines Klangspiels aus, das zur Ruhe kam, als er die Tür wieder hinter sich schloss. Andächtig trat Terpander in das Innere dieses Reichs, dessen Magie er in der Luft spürte. Seine Armhaare richteten sich knisternd auf. Voll Ehrfurcht verneigte er sich vor dem Magier.


    "Salve, junger Meister. Ich bin hier auf der Suche nach Antworten. Man sagt, du wüsstest nicht nur die Zukunft zu lesen, sondern auch die Vergangenheit zu entwirren. Die Pfade meines Lebens waren verschlungen und manch Gefährte ging einen anderen Weg. Ich möchte erfahren, was mit einem von ihnen geschah. Außerdem möchte ich überprüfen lassen, ob drei Schriftrollen verzaubert wurden. Kannst du mir behilflich sein?"

    Terpander wartete, bis Scato mit seiner Tirade fertig war. Er ahnte ja, was los war, er kannte seinen jungen Herrn lange genug.


    "Papyrus ist eine teure Angelegenheit, insbesondere für einen Sklaven", gab er daher ruhig zu bedenken. "Auch wird Tiberios für eine so wertvolle Abschrift nicht die billigste Tinte verwendet haben. Zudem musste er sich das Original besorgen und in seiner Freizeit für die Abschrift arbeiten. Einen Zauber hätte er billiger und mit weniger Aufwand haben können. Wenn ich dir einen Rat geben dürfte, Dominus, würde ich empfehlen, die Abschrift in Ruhe durchzulesen und dann zu entscheiden, ob du sie behalten möchtest oder ob ich sie zurückbringen soll."


    Letzteres fände er einen Jammer. Allerdings war Scato bei aller Intelligenz nicht immer logisch in seinen Handlungen. Er bekam ein Geschenk und hatte nichts Besseres zu tun, als sich darüber aufzuregen und dem Schenkenden böse Absichten zu unterstellen.

    Angelockt von der Rauchsäule in der Subura schaute Terpander sich ein wenig im schmuddeligen Armenviertel um. Er hatte nicht vor, sich an den Löscharbeiten zu beteiligen, er wollte einfach sehen, was es Neues gab. Schlendernd schaute er in die betroffene Gasse. Ein Lupanar brannte und offenbar hatte es eine Schlägerei oder Messerstecherei mit den Lupos gegeben. Während die Anwohner mit Löschdecken und Eimern an Terpander vorbeirannten, aß er im Weitergehen einen Apfel, bis sein Blick auf eine Tür mit einem interessanten Schild fiel. Ein Wahrsager! Was es hier nicht alles gab.


    Nach kurzem Nachdenken klopfte er drei Mal, noch immer am Apfel kauend.

    << [vor der Castra] Terpander und Tiberios


    Na endlich! Terpander hatte drei Tage warten müssen, ehe es ihm endlich gelang, seinen Dominus an der Porta Praetoria abzupassen. Jedes Mal hatte er die drei Schriftrollen bei sich getragen, die Tiberios für Scato kopiert hatte.


    "Salve, Dominus", grüßte Terpander und verneigte sich leicht. "Ich trage ein Geschenk von Tiberios bei mir. Er gedachte, dir mit der Abschrift eine Freude zu bereiten, da du wohl sehr gütig zu ihm gewesen warst. Ich habe mich gut mit ihm unterhalten, er ist ein kluger junger Mann mit zumeist vernünftigen Ansichten. Bittesehr."


    Damit hielt Terpander Scato die drei Schriftrollen hin.

    Terpander verneigte sich. "Es war mir eine Ehre, dir mein Ohr zur Verfügung stellen zu dürfen und ich bin voll Dankbarkeit, dass ich umgekehrt von dir ein offenes Ohr erhalten habe. Das weiß ich sehr zu schätzen. Es ist lange her, dass jemand mit mir so freundlich und vertraut sprach. Es erfüllt mein Herz mit Freude, dich an der Seite meines Dominus zu wissen."


    Gemeinsam gingen sie zur Porta. Terpander hielt Lurco am Eingang die Tür auf, um sie hinter ihm wieder heranzuziehen und sie zu verschließen, damit sich kein Gesindel hier einquartierte. Immerhin war dies der gemauerte Traum von Lurco, in dem auch Scato und Terpander ihr festes Plätzchen eingeplant bekommen hatten.

    Terpander begleitete Tiberios zur Porta, die er ihm nun aufschloss, doch noch nicht öffnete.


    "Der Varro wird den Ort seiner Bestimmung erreichen", versprach er. "Und du gib bitte zukünftig besser auf dich auf acht, wenn ein Fremder dich an verborgene Orte locken mag. Die wenigsten Menschen tragen Gutes im Herzen und wenn doch, dann nur für die Ihren, aber nicht für einen kleinen Scriba, der allein durch die Urbs Aeterna tippelt und mit seiner Schönheit und seinem Sanftmut die Wölfe aus den Schatten lockt. Pass auf dich auf, Tiberios. Und viel Glück beim Eintreiben der Schulden. Vale bene."


    Terpander öffnete die Tür und hielt sie mit einem Lächeln auf.

    "Wir sind zwei schöne Feiglinge, wie wir hier sitzen und selbst Schuld daran tragen, dass wir es tun. Dass ich fortgelaufen bin, kann man nicht mehr gut machen. Aber dass du dich versteckt hast, wie ein Häslein, dass sich im Grase duckt, das schon. Danke, dass du deine Gedanken und deine Zeit mit mir geteilt hast. Falls du wieder einmal die Zeit und Lust findest, würde ich mich freuen, wenn wir uns eines Tages erneut begegnen. Zu gern würde ich erfahren, ob du dich getraut hast, den Brief zu verfassen - und ihn auch abzuschicken. Denn das ist die zweite Hürde."


    Er erhob sich.


    "Dein Herr vermisst dich sicher schon. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich nun gehen lassen. Behalte die Nüsse, ich habe noch genügend und nicht alle sind geschält. Ich will versuchen, aus einer davon einen Nussbaum für den Garten zu ziehen. Mal schauen, ob es mir gelingt."

    Terpander lachte freundlich. Der Humor von Lurco gefiel ihm. "Ich gebe mein Bestes, damit man mich auch in sechzehn Jahren noch anschauen kann, ohne mich mit einer Vogelscheuche oder einem Sack Mehl zu verwechseln.


    Was den Rest angeht, so steht es mir zwar nicht frei, die Handlungen und Sichtweisen eines Dominus zu beurteilen, aber würde ein anderer Sklave mir seine Sicht genau so beschreiben, so würde ich ihm sagen, dass mir seine Einstellung gefiele. Ich bete zu den Göttern, dass das Kämpfen für deinen Traum sich lohnt. Wenn ich dabei helfen kann, ihn zu verwirklichen, so tue ich das gern.


    Möchtest du noch mit mir über etwas sprechen, Dominus Lurco? Andernfalls würde ich gern zur Porta Praetoria zurückkehren, um meinem Herrn ebenfalls dieses Anwesen zu zeigen."

    "Eine schöne Geschichte. Und wie alle guten Geschichten muss sie ein tragisches Ende haben. Sie endete damit, dass du verkauft wurdest", orakelte Terpander düster, während er ein wenig die Schulter von Tiberios streichelte, da er den Arm um ihn gelegt hatte, während der Jüngere an ihn lehnte und aus seiner Vergangenheit erzählte.


    "Oder erfuhr jemand davon, der nie davon hätte erfahren dürfen? Ich verrate dir etwas, kleiner Tiberios. Mit dem Spiegelgleichnis hat er dir nicht nur die Lust erklärt, sondern die Liebe selbst. Was er für dich fühlte, ging über die Zuneigung eines Erastes zu seinem Eromenos hinaus. Das war es, was er dir zeigen wollte. Ich hoffe, dass es Philippos gut geht, denn so, wie du ihn beschreibst, hätte ich ihn gemocht. Kennst du seine momentane Anschrift? Wenn ja - wie wäre es mit einem Brief? Ich bin sicher, er wäre froh, zu erfahren, dass es dir gut geht."

    Terpander hob kurz die Brauen, als Tiberios vehement ablehnte, das Missverständnis richtig zu stellen. Er als Soldat war für klare Verhältnisse, auch wenn sie schmerzten. Er konnte das Argument von Tiberios zwar nachvollziehen, dennoch wäre er einen anderen Weg gegangen.


    Er nickte. "Ich akzeptiere deine Entscheidung, es darauf beruhen zu lassen. Aber wenn mein Herr um Rat fragt, werde ich ihm einen geben müssen. Domini wie Scato und Lurco sind vermutlich der Traum und Alptraum eines jeden Sklaven zugleich. Auf der einen Seite wünscht man sich doch, derart menschlich behandelt zu werden, aber wenn man seinerseits beginnt, den Dominus als Freund zu betrachten, stellt man unbewusst auch die Erwartungen, die man an einen echten Freund stellen würde, was natürlich vermessen ist. Es ist schwierig.


    Neulich hatte ich ein sehr persönliches Gespräch mit dem Dominus Lurco. Ein angenehmer Mensch, dem Unangenehmes widerfuhr. In einem anderen Leben wären wir sicher gute Freunde geworen. Vierzig Jahre lang habe ich in Sparta in inniger menschlicher Nähe gelebt. Nun allein zu sein, macht in mancher Hinsicht dumm, da man sich zurücksehnt nach Dingen, die verloren sind, auch wenn man Neue, Bessere dazugewonnen hat. Aber das kennst du sicher. Ein Teil von mir sehnt sich nach einer Freundschaft mit Lurco. Ein anderer Teil warnt mich vor solchen Gefühlen und dieser ist den Göttern sei Dank die Stimme meiner Vernunft."


    Er reichte Tiberios das Säckchen mit den Nüssen, damit er sich bedienen konnte.


    "Du hattest einen Erastes? Schau an. Und das, obwohl du ein Sklave warst. Inzwischen bist du bald alt genug, um selbst einen Eromenos zu führen. Wer war dein Erastes, vermisst du ihn? Ich meinen sehr."

    Terpander ließ Tiberios sich wieder aufsetzen, als er sich beruhigt hatte. Während der Jüngere sprach, lehnte er sich an ihn und Terpander bot gern die starke Schulter dafür. Nun griff er sich auch ein Beutelchen mit Nüssen aus dem Korb, ehe er sich wieder so setzte, dass Tiberios es bequem hatte.


    "Ich muss dir danken, du hast meinen Herrn vor großem Blödsinn bewahrt. Ein junger Mann braucht seinen Erastes oder wenigstens einen Ersatz. Das sage ich immer und hier zeigt es sich wieder. Kaum bin ich nicht bei ihm, endet das im Chaos." Er schüttelte den Kopf. "Du hast richtig gehandelt. Da muss ein Grieche einem Römer seine eigenen Sitten vor Augen führen. An deiner Stelle würde ich Scato erklären oder in einem Brief schreiben, was los war, damit er versteht. Oder wenn du es dir nicht traust, übernehme ich das für dich. Anders kann kein Lernprozess einsetzen und er macht den gleichen Unfug wieder. Übers Knie kann man ihn ja nicht legen."


    Er schnipste eine Nuss mit dem Daumen zielsicher in seinen Mund. In dem Moment, als er sie fing, knallten seine Zähne aufeinander, dann kaute er.


    "Du bist nicht einmal Scatos Sklave und kümmerst dich dennoch um ihn. Du schenkst ihm sogar eine Abschrift des Varro. Er wird die Geste zu schätzen wissen. Ein Jammer, dass du einem anderen gehörst. Wenn ich mir vorstelle, das dein eigener Herr ein Vielfaches dieser Aufmerksamkeit und Fürsorge erhält, muss er ein glücklicher Mann sein. Scato ist nicht der Einzige mit einem großen Herz. Du hast sehr viel zu geben. Was erhältst du zurück?"


    Eine zweite Nuss zischte in Richtung von Tiberios´ Mund. Terpander konnte es nicht lassen, dessen Fähigkeiten zu testen, in dem Falle die Reaktionsgeschwindigkeit.

    "Gebranntes Kind scheut das Feuer, man begeht den gleichen Fehler ungern zwei Mal. Eine Garantie für eine erfüllte Zukunft gibt es nicht. Für niemanden. Auch du könntest eines Tages auf den Gedanken kommen, einen anderen Weg zu gehen als mein Dominus. Ich wünsche euch beiden das Beste, wie auch immer es kommen mag. Dass ich in eurem Haushalt erwünscht bin, ehrt und freut mich. Dreiundsechzig werde ich sein, wenn eure Dienstzeit um ist. Noch jung genug, um mich nach Kräften um euer Wohlergehen zu kümmern. Und wenn mein offenes Ohr dazu beiträgt, so wisse, dass es immer offen ist für die Freunde meines Herrn."


    Ihm selber war der Luxus, offen zu sprechen, nicht vergönnt, auch wenn Scato die Zügel recht locker ließ. Ein Wort zu viel konnten einen aufmerksamen Urbaner wie Lurco auf die Fährte locken, die zu Terpanders Vergangenheit führte und darauf bringen, dass er eine viel brachialere Strafe verdiente als sein bequemes Sklavenleben. Dem Gesetz nach verdiente Terpander den Tod.

    Tiberios gab sich keine Mühe, seine Trauer zu verbergen. Das traf Terpander, da er es nicht gewohnt war, dass Männer wegen Nichtigkeiten weinten. Er folgerte, dass der Schmerz groß war. So tat er, was er in seiner Heimat getan hätte, wenn ein Freund trauerte. Anlass dazu hatte es genug gegeben in einer Gesellschaft von Kriegern. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die sein Alter Lügen strafte, stieg er hinüber zu Tiberios auf der Kline. Ohne viele Worte packte er sich den Kleinen, drehte ihn zu sich und schloss ihn schützend in die Arme. Und so hielt er ihn, während er selbst die Augen schloss und ein Stück Hellás leben und atmen spürte.


    "Ich kann dir keinen Rat geben, bevor ich nicht weiß, was geschah", sprach er ruhig, während seine Fingerkuppen den lockigen Hinterkopf kraulten. "Licht und Schatten sind nicht immer Gegensätze. Wenn es regnet und die Sonne scheint, entsteht ein Regenbogen. Die Wege in Roma sind eng und der Mensch muss funktionieren. Jemand mit einem großen Herzen passt schwerlich auf so enge Pfade. In Sparta hätte Scato als ein ganz normaler Junge gegolten. Hätte er, anstatt von früh bis spät hinter der Schulbank zu sitzen und gesagt zu bekommen, was er alles nicht kann, in der gleichen Zeit seine Kräfte mit den Gleichaltrigen messen dürfen und hätte er von Anfang an einen Mentor gehabt, der ihm dabei hilft, im schwierigsten Entwicklungsalter erwachsen zu werden, wäre er weder laut geworden noch hätte er je versucht, davonzulaufen. Alles, was er brauchte, um zu heilen, waren Vertrauen in seine Fähigkeiten, Geduld mit seinem Lerntempo und sehr viel Liebe. Das ist das ganze Geheimnis."

    Tiberios versuchte tatsächlich immer noch, Terpander eine Bezahlung für irgendwelche Dienste aus dem Kreuz zu leiern. Gleichzeitig legte er seine zarte Schreiberhand auf die narbige Pranke des ehemaligen Kriegers. Entweder er war bewundernswert hartnäckig oder hatte eine merkwürdige Art von Humor. Terpander griff sanft zu. Er zog die Hand von Tiberios zu seinem Gesicht und deutete einen Handkuss an. Dann schloss er die gebräunte Faust um die bleichen Finger.


    "Deine Leichtfertigkeit stört mich nicht im Mindesten. Aber in meinem ganzen Leben habe ich für Beischlaf nicht bezahlt. Ich hatte eine Ehefrau, einen Schüler, einen Mentor und einen Geliebten, war also gut versorgt. Meine Zeit als Sklave ist da nicht mit eingerechnet. Ich werde nicht damit beginnen, das Geschenk der Zuneigung zu einem Geschäft zu machen. Das, lieber Tiberios, hatte ich nie nötig."


    Er spürte, wie die Hand von Tiberios sich in seiner anspannte, als er sich danach erkundigte, ob Scato denn schwierig gewesen sei. Er erwiderte die nervöse Geste mit einem Streicheln seines Daumens.


    "Seia Sanga bezeichnete ihn als schwierig. In meinen Augen war er ein normaler junger Mann, der falsch behandelt wurde. Es ist so viel leichter, die Schuld für das eigene Versagen dem Kind zuzuschieben. Insbesondere, weil es sich dagegen nicht wehren kann. Meist aber liegt die Schuld dafür, wenn etwas schief läuft, bei den Eltern, Lehrern oder Ausbildern und ihren Methoden. Dort sollte man zuerst nach dem Fehler suchen und erst danach beim Schutzbefohlenen. Das ist meine Überzeugung.


    Dass ich von Seia Sanga nicht in den höchsten Tönen spreche, ist freilich nicht angemessen. Ich tue es trotzdem. Mag sie sich an ihren Sohn wenden, wenn es sie stört und dann beuge ich mich Scatos Urteil. Mich freizulassen, war tatsächlich ihr Wunsch, aber nicht der meine, da ich ihr nicht traue. Dass sie mich als Patrona hätte unterstützen müssen, weiß ich zwar. Aber mir ist nicht bekannt, wie ich das Recht auf Unterstützung hätte durchsetzen sollen, wenn sie mich einfach mittellos vor die Tür setzt. Das Zeitfenster dafür wäre wohl klein, besonders bei den nächtlichen Temperaturen."