Beiträge von Terpander

    Terpander begleitete Tiberios zur Porta, die er ihm nun aufschloss, doch noch nicht öffnete.


    "Der Varro wird den Ort seiner Bestimmung erreichen", versprach er. "Und du gib bitte zukünftig besser auf dich auf acht, wenn ein Fremder dich an verborgene Orte locken mag. Die wenigsten Menschen tragen Gutes im Herzen und wenn doch, dann nur für die Ihren, aber nicht für einen kleinen Scriba, der allein durch die Urbs Aeterna tippelt und mit seiner Schönheit und seinem Sanftmut die Wölfe aus den Schatten lockt. Pass auf dich auf, Tiberios. Und viel Glück beim Eintreiben der Schulden. Vale bene."


    Terpander öffnete die Tür und hielt sie mit einem Lächeln auf.

    "Wir sind zwei schöne Feiglinge, wie wir hier sitzen und selbst Schuld daran tragen, dass wir es tun. Dass ich fortgelaufen bin, kann man nicht mehr gut machen. Aber dass du dich versteckt hast, wie ein Häslein, dass sich im Grase duckt, das schon. Danke, dass du deine Gedanken und deine Zeit mit mir geteilt hast. Falls du wieder einmal die Zeit und Lust findest, würde ich mich freuen, wenn wir uns eines Tages erneut begegnen. Zu gern würde ich erfahren, ob du dich getraut hast, den Brief zu verfassen - und ihn auch abzuschicken. Denn das ist die zweite Hürde."


    Er erhob sich.


    "Dein Herr vermisst dich sicher schon. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich nun gehen lassen. Behalte die Nüsse, ich habe noch genügend und nicht alle sind geschält. Ich will versuchen, aus einer davon einen Nussbaum für den Garten zu ziehen. Mal schauen, ob es mir gelingt."

    Terpander lachte freundlich. Der Humor von Lurco gefiel ihm. "Ich gebe mein Bestes, damit man mich auch in sechzehn Jahren noch anschauen kann, ohne mich mit einer Vogelscheuche oder einem Sack Mehl zu verwechseln.


    Was den Rest angeht, so steht es mir zwar nicht frei, die Handlungen und Sichtweisen eines Dominus zu beurteilen, aber würde ein anderer Sklave mir seine Sicht genau so beschreiben, so würde ich ihm sagen, dass mir seine Einstellung gefiele. Ich bete zu den Göttern, dass das Kämpfen für deinen Traum sich lohnt. Wenn ich dabei helfen kann, ihn zu verwirklichen, so tue ich das gern.


    Möchtest du noch mit mir über etwas sprechen, Dominus Lurco? Andernfalls würde ich gern zur Porta Praetoria zurückkehren, um meinem Herrn ebenfalls dieses Anwesen zu zeigen."

    "Eine schöne Geschichte. Und wie alle guten Geschichten muss sie ein tragisches Ende haben. Sie endete damit, dass du verkauft wurdest", orakelte Terpander düster, während er ein wenig die Schulter von Tiberios streichelte, da er den Arm um ihn gelegt hatte, während der Jüngere an ihn lehnte und aus seiner Vergangenheit erzählte.


    "Oder erfuhr jemand davon, der nie davon hätte erfahren dürfen? Ich verrate dir etwas, kleiner Tiberios. Mit dem Spiegelgleichnis hat er dir nicht nur die Lust erklärt, sondern die Liebe selbst. Was er für dich fühlte, ging über die Zuneigung eines Erastes zu seinem Eromenos hinaus. Das war es, was er dir zeigen wollte. Ich hoffe, dass es Philippos gut geht, denn so, wie du ihn beschreibst, hätte ich ihn gemocht. Kennst du seine momentane Anschrift? Wenn ja - wie wäre es mit einem Brief? Ich bin sicher, er wäre froh, zu erfahren, dass es dir gut geht."

    Terpander hob kurz die Brauen, als Tiberios vehement ablehnte, das Missverständnis richtig zu stellen. Er als Soldat war für klare Verhältnisse, auch wenn sie schmerzten. Er konnte das Argument von Tiberios zwar nachvollziehen, dennoch wäre er einen anderen Weg gegangen.


    Er nickte. "Ich akzeptiere deine Entscheidung, es darauf beruhen zu lassen. Aber wenn mein Herr um Rat fragt, werde ich ihm einen geben müssen. Domini wie Scato und Lurco sind vermutlich der Traum und Alptraum eines jeden Sklaven zugleich. Auf der einen Seite wünscht man sich doch, derart menschlich behandelt zu werden, aber wenn man seinerseits beginnt, den Dominus als Freund zu betrachten, stellt man unbewusst auch die Erwartungen, die man an einen echten Freund stellen würde, was natürlich vermessen ist. Es ist schwierig.


    Neulich hatte ich ein sehr persönliches Gespräch mit dem Dominus Lurco. Ein angenehmer Mensch, dem Unangenehmes widerfuhr. In einem anderen Leben wären wir sicher gute Freunde geworen. Vierzig Jahre lang habe ich in Sparta in inniger menschlicher Nähe gelebt. Nun allein zu sein, macht in mancher Hinsicht dumm, da man sich zurücksehnt nach Dingen, die verloren sind, auch wenn man Neue, Bessere dazugewonnen hat. Aber das kennst du sicher. Ein Teil von mir sehnt sich nach einer Freundschaft mit Lurco. Ein anderer Teil warnt mich vor solchen Gefühlen und dieser ist den Göttern sei Dank die Stimme meiner Vernunft."


    Er reichte Tiberios das Säckchen mit den Nüssen, damit er sich bedienen konnte.


    "Du hattest einen Erastes? Schau an. Und das, obwohl du ein Sklave warst. Inzwischen bist du bald alt genug, um selbst einen Eromenos zu führen. Wer war dein Erastes, vermisst du ihn? Ich meinen sehr."

    Terpander ließ Tiberios sich wieder aufsetzen, als er sich beruhigt hatte. Während der Jüngere sprach, lehnte er sich an ihn und Terpander bot gern die starke Schulter dafür. Nun griff er sich auch ein Beutelchen mit Nüssen aus dem Korb, ehe er sich wieder so setzte, dass Tiberios es bequem hatte.


    "Ich muss dir danken, du hast meinen Herrn vor großem Blödsinn bewahrt. Ein junger Mann braucht seinen Erastes oder wenigstens einen Ersatz. Das sage ich immer und hier zeigt es sich wieder. Kaum bin ich nicht bei ihm, endet das im Chaos." Er schüttelte den Kopf. "Du hast richtig gehandelt. Da muss ein Grieche einem Römer seine eigenen Sitten vor Augen führen. An deiner Stelle würde ich Scato erklären oder in einem Brief schreiben, was los war, damit er versteht. Oder wenn du es dir nicht traust, übernehme ich das für dich. Anders kann kein Lernprozess einsetzen und er macht den gleichen Unfug wieder. Übers Knie kann man ihn ja nicht legen."


    Er schnipste eine Nuss mit dem Daumen zielsicher in seinen Mund. In dem Moment, als er sie fing, knallten seine Zähne aufeinander, dann kaute er.


    "Du bist nicht einmal Scatos Sklave und kümmerst dich dennoch um ihn. Du schenkst ihm sogar eine Abschrift des Varro. Er wird die Geste zu schätzen wissen. Ein Jammer, dass du einem anderen gehörst. Wenn ich mir vorstelle, das dein eigener Herr ein Vielfaches dieser Aufmerksamkeit und Fürsorge erhält, muss er ein glücklicher Mann sein. Scato ist nicht der Einzige mit einem großen Herz. Du hast sehr viel zu geben. Was erhältst du zurück?"


    Eine zweite Nuss zischte in Richtung von Tiberios´ Mund. Terpander konnte es nicht lassen, dessen Fähigkeiten zu testen, in dem Falle die Reaktionsgeschwindigkeit.

    "Gebranntes Kind scheut das Feuer, man begeht den gleichen Fehler ungern zwei Mal. Eine Garantie für eine erfüllte Zukunft gibt es nicht. Für niemanden. Auch du könntest eines Tages auf den Gedanken kommen, einen anderen Weg zu gehen als mein Dominus. Ich wünsche euch beiden das Beste, wie auch immer es kommen mag. Dass ich in eurem Haushalt erwünscht bin, ehrt und freut mich. Dreiundsechzig werde ich sein, wenn eure Dienstzeit um ist. Noch jung genug, um mich nach Kräften um euer Wohlergehen zu kümmern. Und wenn mein offenes Ohr dazu beiträgt, so wisse, dass es immer offen ist für die Freunde meines Herrn."


    Ihm selber war der Luxus, offen zu sprechen, nicht vergönnt, auch wenn Scato die Zügel recht locker ließ. Ein Wort zu viel konnten einen aufmerksamen Urbaner wie Lurco auf die Fährte locken, die zu Terpanders Vergangenheit führte und darauf bringen, dass er eine viel brachialere Strafe verdiente als sein bequemes Sklavenleben. Dem Gesetz nach verdiente Terpander den Tod.

    Tiberios gab sich keine Mühe, seine Trauer zu verbergen. Das traf Terpander, da er es nicht gewohnt war, dass Männer wegen Nichtigkeiten weinten. Er folgerte, dass der Schmerz groß war. So tat er, was er in seiner Heimat getan hätte, wenn ein Freund trauerte. Anlass dazu hatte es genug gegeben in einer Gesellschaft von Kriegern. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die sein Alter Lügen strafte, stieg er hinüber zu Tiberios auf der Kline. Ohne viele Worte packte er sich den Kleinen, drehte ihn zu sich und schloss ihn schützend in die Arme. Und so hielt er ihn, während er selbst die Augen schloss und ein Stück Hellás leben und atmen spürte.


    "Ich kann dir keinen Rat geben, bevor ich nicht weiß, was geschah", sprach er ruhig, während seine Fingerkuppen den lockigen Hinterkopf kraulten. "Licht und Schatten sind nicht immer Gegensätze. Wenn es regnet und die Sonne scheint, entsteht ein Regenbogen. Die Wege in Roma sind eng und der Mensch muss funktionieren. Jemand mit einem großen Herzen passt schwerlich auf so enge Pfade. In Sparta hätte Scato als ein ganz normaler Junge gegolten. Hätte er, anstatt von früh bis spät hinter der Schulbank zu sitzen und gesagt zu bekommen, was er alles nicht kann, in der gleichen Zeit seine Kräfte mit den Gleichaltrigen messen dürfen und hätte er von Anfang an einen Mentor gehabt, der ihm dabei hilft, im schwierigsten Entwicklungsalter erwachsen zu werden, wäre er weder laut geworden noch hätte er je versucht, davonzulaufen. Alles, was er brauchte, um zu heilen, waren Vertrauen in seine Fähigkeiten, Geduld mit seinem Lerntempo und sehr viel Liebe. Das ist das ganze Geheimnis."

    Tiberios versuchte tatsächlich immer noch, Terpander eine Bezahlung für irgendwelche Dienste aus dem Kreuz zu leiern. Gleichzeitig legte er seine zarte Schreiberhand auf die narbige Pranke des ehemaligen Kriegers. Entweder er war bewundernswert hartnäckig oder hatte eine merkwürdige Art von Humor. Terpander griff sanft zu. Er zog die Hand von Tiberios zu seinem Gesicht und deutete einen Handkuss an. Dann schloss er die gebräunte Faust um die bleichen Finger.


    "Deine Leichtfertigkeit stört mich nicht im Mindesten. Aber in meinem ganzen Leben habe ich für Beischlaf nicht bezahlt. Ich hatte eine Ehefrau, einen Schüler, einen Mentor und einen Geliebten, war also gut versorgt. Meine Zeit als Sklave ist da nicht mit eingerechnet. Ich werde nicht damit beginnen, das Geschenk der Zuneigung zu einem Geschäft zu machen. Das, lieber Tiberios, hatte ich nie nötig."


    Er spürte, wie die Hand von Tiberios sich in seiner anspannte, als er sich danach erkundigte, ob Scato denn schwierig gewesen sei. Er erwiderte die nervöse Geste mit einem Streicheln seines Daumens.


    "Seia Sanga bezeichnete ihn als schwierig. In meinen Augen war er ein normaler junger Mann, der falsch behandelt wurde. Es ist so viel leichter, die Schuld für das eigene Versagen dem Kind zuzuschieben. Insbesondere, weil es sich dagegen nicht wehren kann. Meist aber liegt die Schuld dafür, wenn etwas schief läuft, bei den Eltern, Lehrern oder Ausbildern und ihren Methoden. Dort sollte man zuerst nach dem Fehler suchen und erst danach beim Schutzbefohlenen. Das ist meine Überzeugung.


    Dass ich von Seia Sanga nicht in den höchsten Tönen spreche, ist freilich nicht angemessen. Ich tue es trotzdem. Mag sie sich an ihren Sohn wenden, wenn es sie stört und dann beuge ich mich Scatos Urteil. Mich freizulassen, war tatsächlich ihr Wunsch, aber nicht der meine, da ich ihr nicht traue. Dass sie mich als Patrona hätte unterstützen müssen, weiß ich zwar. Aber mir ist nicht bekannt, wie ich das Recht auf Unterstützung hätte durchsetzen sollen, wenn sie mich einfach mittellos vor die Tür setzt. Das Zeitfenster dafür wäre wohl klein, besonders bei den nächtlichen Temperaturen."

    "Du bist der Sohn eines hohen Herren, schau an. Und der Halbbruder deines eigenen Dominus. Dir hätte anderes Dasein beschieden sein können, doch die Götter schienen dir nicht gewogen gewesen zu sein, so wenig wie mir. Viele Menschen, in deren Adern das Blut der Elite fließt, spüren dies, selbst wenn sie es nicht wissen. Der Wunsch, die Geschicke in die eigenen Hände zu nehmen, Menschen zu lenken und über sie zu herrschen liegt ihnen oft im Blut."


    Für Terpander war es keine leichte Übung gewesen, den Stolz des spartanischen Vollbürgers herunterzuschlucken und den demütigen Sklaven zur Schau zu tragen. Demut gegenüber Höheren war ihm anderzogen worden, doch dass nun die ganze Welt über ihm stand, war gewöhnunsbedürftig und nur durch den bekannten spartanischen Gleichmut zu ertragen. Wenn der Herr des Tiberios dies bei seinem Sklaven erkannte und in gute Bahnen lenkte, mochten beide Seiten davon profitieren. Doch konnte aus solchen Menschen, die eigentlich zum Führen geboren waren, durchaus auch eine Bedrohung erwachsen. Und dann musste man handeln. Terpander wusste dies. Auch wusste er darum, wie wichtig es war, in dem Fall sein Licht unter einen Scheffel zu stellen und sich harmlos zu geben, damit die Blicke achtlos an einem vorüberglitten.


    "Ein ehrenvoller Tod ist der Sklaverei freilich vorzuziehen. Aber wie ich schon sagte - manchmal gibt es Dinge oder Menschen, die das verhindern. Im Haushalt der Familie hatte ich zwei wesentliche Funktionen. Die, den verstorbenen Mann im Haus zu ersetzen und die des Griechischlehrers. Ich war der berechenbare, kontrollierbare Ersatz eines Ehegatten, der in keinen Krieg zieht, keine Lupanare besucht, keine Geliebten hat und auch nicht trinkt. Und nebenbei Griechisch als Muttersprache spricht und ein Händchen für schwierige Jünglinge hat. Und was war die deine?"


    Dass Tiberios verschwiegen hatte, wen er mit sechzehn liebte, war Terpander nicht entgangen. Die Berührung seiner Schulter nahm er ruhig hin. Er ließ durch nichts erkennen, was er dabei empfand, doch er fragte am Schluss: "Hast du Geldnot?" Um sich an der Nase herumführen zu lassen, war er zu alt. Er war sicher, dass Tiberios seine Möglichkeiten auslotete. Terpander wies auf einen Korb mit Lebensmitteln, die er noch nicht in die kühlen, in die Erde eingegrabenen Vorratsamphoren umgefüllt hatte. "Bedien dich in dem Falle, wenn du hungrig bist. Du bist eingeladen."

    "Ich denke, dass es auch einige gibt, die schwach werden, wenn der Jüngling um die höchsten Freuden bittet", sprach Terpander und versuchte dabei neutral zu klingen, während er versuchte, die Gedanken an jene beiseite zu schieben, die er in Lakonien zurückgelassen hatte. "Angedacht ist es anders, aber wenn beide schweigen, so sollte es nicht zu Verwirrungen kommen. Wichtig ist, dass der Mentor erkennt, in welcher Machtposition er sich gegenüber seinem Schüler befindet und diese nicht zum einseitigen Vorteil missbraucht. Im Fokus steht die Ausbildung des ihm Anvertrauten und nicht sein eigenes körperliches Wohl."


    Er musterte Lurco, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. wobei er sich bemühte, nicht zu aufdringlich zu wirken. Irgendetwas schien der Mann zu verschweigen. Er deutete an, dass ihn etwas bedrückte, doch worin dies gründete, behielt er für sich.


    "Dein Herz ist voller Zweifel, Dominus. Warum nimmst du an, ein Fremder in einer Familie zu sein, mit der du unter demselben Dach wohnst? Meine Neugier entspringt der Sorge um das Wohl meines Herrn und um das deine, denn du scheinst maßgeblich dazu beizutragen. Es scheint ein unausgesprochenes Problem vorzuliegen. Kann ich helfen, es zu lösen?"


    In der Tat erschien das dem Griechen merkwürdig, denn unverkennbar waren die beiden einander sehr zugetan. Er fragte sich, ob Scato irgendetwas getan hatte, um diese Zweifel in Lurco zu säen. Es war inzwischen einige Zeit vergangen, seit Terpander seinen jungen Herrn das letzte Mal unter vier Augen gesprochen hatte und die Ausbildung bei den Cohortes Urbanae würden nicht ohne charakterliche Folgen geblieben sein. Doch inwieweit erstreckten sie sich auf die private Seite? War Scato zu einem Mann geworden, der es genoss, mit den Gefühlen anderer zu spielen? Manche wurden herzlos durch den Dienst an der Waffe. Wo lag die Ursache von Lurcos Unbehagen - oder lag sie doch nur in ihm selbst?

    "Wenn dein Herr es gestattet, dir auf diese Weise etwas dazu zu verdienen, warum nicht? Hübsch bist du ja. Wenn dies aber ein gut gemeinter Ratschlag war, so wird er in meinem Alter nichts mehr nützen. Niemand benötigt einen so alten Lupo. Falls ich als Libertinus ende, werde ich beim Colosseum fragen, ob sie nicht einen Gladiator brauchen und dort bis zu meinem Tode kämpfen. Ein ehrbarerer Weg als der des Bettlers."


    Die Worte von Tiberios erstaunten Terpander dann doch. "Du bist also der Bastard deines Herrn. Das mag nicht ungewöhnlich sein, aber du machst mir einen fähigen Eindruck. Dachte er nie darüber nach, dich nachträglich anzuerkennen, wenn doch sogar Liebe im Spiel war und er dich auch schützte, oder dich zu adoptieren? Wer war dieser Herr denn?"


    Terpander machte es sich etwas gemütlicher, als offensichtlich wurde, dass Tiberios mit ihm noch ein wenig zu plaudern gedachte. Er ließ den Stuhl stehen und legte sich wie Tiberios auf eine der Klinen, so dass sie einander ansehen konnten. "Wen hast du geliebt?", fragte er.

    "Es ist auch eine Art von Partnerschaft", erklärte Terpander. "Sie geht mit Werben, Geschenken und Zärtlichkeit einher, jedoch nicht mit Beischlaf im engsten Sinne, denn dadurch würde man den Jüngling entweihen. Dafür muss er wenigstens zwanzig Jahre alt sein und Teil der Gesellschaft der Erwachsenen, wo er sich einen gleichrangigen Geliebten suchen mag. Natürlich gibt es auch in Griechenland Lupanare und Sklaven, aber es ist nicht das, was ich bevorzugt habe, als ich noch dort lebte.


    Die militärische Ausbildung in meiner Heimat ist sehr hart. Die Offiziere schenken einem nichts. Als Kind wurde ich in der Wildnis ausgesetzt, nur mit einem Umhang und einem Schwert ausgerüstet und musste allein Nahrung organisieren durch Raub und Diebstahl und den Weg zurückfinden. Aber der Zusammenhalt zwischen Mentor und Schüler unter den Kameraden ist dafür sehr eng. Effektiver ist scheinbar trotz allem das System der Römer aus eiserner Disziplin und menschlicher Distanz, andernfalls wären wir nicht erobert worden. Das muss man anerkennen."


    Lurco sprach sehr viel. Unweigerlich fragte Terpander sich, ob er von Natur aus so gesprächig war, oder ob er einfach froh war, ungezwungen mit jemandem über diese Dinge reden zu können. Da er davon ausging, offen sprechen zu dürfen, auch wenn Lurco das nicht explizit gestattet hatte, tat er es. Wäre es anders, würde der Mann nicht sein Herz geöffnet haben.


    "Ob jemand sich an der Gegenwart eines Onkel Lurco stören würde, wenn dieser selbstverständlich Teil der Familie ist, ist eine Frage der Harmonie und Gewohnheit, denke ich. Warum sollte ein Mann, der dem pater familias Freude bringt, als störend wahrgenommen werden? Besonders, wenn es offiziell zwei Haushalte wären, die nur räumlich miteinander in Beziehung stehen und du ein eigener pater familias wärst? Eine Alternative wäre, nach Griechenland zu ziehen, um das Gerede los zu sein. Vieleicht sogar auf eine der zahllosen Inseln."

    Terpander lächelte ein wenig, als Tiberios so ehrfürchtig von ihm sprach. Seine eigenen Leute würden ihn verachten, ihn töten, seine Leiche bespucken und den wilden Tieren zum Fraß überlassen. Er würde kein Grab erhalten und niemals würde je wieder über ihn sprechen. Auch er selbst hielt nicht mehr sehr viel von sich. Trotzdem oder deswegen tat es ihm gut, mit einem anderen Hellenen zu sprechen. Einem, der die Dinge ein wenig anders sah als ein Spartiate.


    "Ich hoffe doch, dass ich meinem Herrn nützen kann", sagte Terpander. "Andernfalls wäre meine Daseinsberechtigung verwirkt. Siebenundvierzig Sommer und Winter habe ich mittlerweile erlebt und wenige kaufen einen alten Sklaven. Wenn Scato mich eines Tages nicht mehr braucht, dann war es das für mich."


    Er gönnte sich mit Wasser verdünnten Wein. In seiner Jugend war ihm der Rebensaft verwehrt gewesen, doch er war nicht mehr der Mann von einst.


    "Ich geriet in Sklaverei, weil ich das tat, was kein Spartiate je tun sollte: Ich lief davon. Heute als Sklave zu leben ist eine milde Strafe. Anfangs sah ich das freilich anders. Zu Beginn meiner Gefangenschaft hatte ich vor, den Römern einen Grund zu liefern, mich zu töten. Ich wollte durch die Waffe eines Gegners sterben. Dass ich es mir anders überlegte, ist meinem Herrn zu verdanken, der mir das Gefühl gab, mich zu brauchen. Dreizehn war er und hatte kurz vor meinem Kauf seinen Vater verloren und wie du weißt, haben junge Römer keine eigenen Mentoren, die sich um sie kümmern, stets sind sie nur einer unter vielen, außer vielleicht in den ganz reichen Familien. Ich brachte es nicht über mich, ihn auf diese Weise allein zu lassen."


    Er schenkte Tiberios Posca nach.


    "Du bist also schon als Sklave geboren. Du wirkst ausgeglichen und zufrieden mit deinem Los und warum solltest du das auch nicht sein? Auch einem Heloten geht es besser, wenn er sein Schicksal akzeptiert, denn ein anderes Leben wird es für ihn nicht geben. Darüber zu grübeln, würde nur in Verbitterung münden. Was sind deine Aufgaben? Wem dienst du? Von Alexandria weiß ich nichts, als dass dort ein Leuchtturm steht. Wenn du möchtest, erzähl mir von dieser Zeit."

    Es gelang nicht vielen, Terpander außer Fassung zu bringen. Tiberios schaffte das. Erschrocken, ja entsetzt starrte Terpander ihn von seinem Stuhl aus an und fragte sich, ob er ihm nicht doch besser den Hals umdrehen sollte. Der junge Mann war raffiniert und gefährlich wie ein Prätorianer in zivil. Terpander musterte ihn ein weiteres Mal, doch diesmal mit einem völlig anderen Blick. Er hatte diesen kleinen Kerl sträflich unterschätzt. Was ihm an körperlicher Eignung fehlte, hatte er im Kopf. So erteilte Tiberios ihm nun seinerseits eine Lektion. Er wusste, wer Terpander war - auch ohne, dass dieser es ihm auch nur andeutungsweise gesagt hätte.


    Viel zu lange dauerte das Schweigen, als Tiberios ihm von oben in die Augen starrte und Terpander den Blick erwiderte und festhielt, während er nachdachte. Man konnte eine Lüge nur bis zu einem bestimmten Punkt verteidigen, ehe das Konstrukt zusammenbrach. Noch wusste Tiberios nicht, dass er überhaupt eine Lüge lebte - und er würde ihm keinen Anlass geben, auf die Idee zu kommen, dass es so sein könnte. Er würde einfach so tun, als sei alles in bester Ordnung.


    Terpander hakte also seine Finger in den Ausschnitt der eigenen Tunika und zog sie herunter bis über seine Brust. Tiberios konnte nicht nur sehen, dass er rasiert und geölt war, so wie ein zivilisierter Mensch es eben sein sollte, sondern auch, dass die unterschiedlichsten Narben seine muskulöse Brust zierten. Einige wirkten wie Schnittwunden, andere wie Stiche, weitere wie Kratzer oder Gebissabdrücke.


    "Die meisten stammen vom Training. Ich war einer der Homoioi, einer von den Gleichen, ich war Spartiate. Wer aber warst du, Tiberios?"

    "Ein trauriger und schöner Spruch. Er hätte auf deinem Grabstein stehen können." Terpander gab den jungen Sklaven frei. Zur Beruhigung auf den Schrecken wuschelte er ihm durch die Locken, so dass sie ihm zu Berge standen. "Pass künftig auf, wem du wohin folgst."


    Eines Tages mochte die heutige Lektion Tiberios den Hintern oder das Leben retten. Terpander fand es besser, wenn er sie von ihm erhielt, als in einer finsteren Gasse durch den Ernstfall. Endlich schenkte er Tiberios die gewünschte Posca ein. Er drückte ihm den Becher in beide Hände, wobei er ihm sanft die Finger darum schloss.


    "Du gehst durchs Leben, als sei dir nie ein Übel wiederfahren. Es ist schön für dich, dass es dir offenbar immer gut ging, aber in Roma gefährlich. Scato hat hiermit nichts zu tun. Das war eine ganz private Lehrstunde zu deiner eigenen Sicherheit, damit du uns noch eine Weile erhalten bleibst."


    Genau genommen würde Scato ihm hierfür vermutlich den Hals umdrehen. Aber als Lehrer konnte man auf solche Befindlichkeiten nicht immer Rücksicht nehmen. Schließlich war er hier der Paedagogus und wusste, was am besten war. Terpander ließ sich auf den Stuhl plumpsen und lächelte zufrieden. Er fand, dass er soeben eine gute Tat vollbracht hätte.

    "Du meinst, ich sollte mir dein Geld nehmen, und dich dann einfach laufen lassen? Jetzt, wo du mein Versteck kennst? So läuft das nicht. Einen Versuch hast du noch, bevor ich dir das Fell über die Ohren ziehe."


    Terpander hielt ihn noch immer unverändert fest. Auf die Antwort, die jetzt folgen würde, war er gespannt. Der Landsmann war lehrbuchreif in die Falle getappt und genau so lehrbuchreif misslang es ihm offenbar, irgendetwas zu sagen oder zu tun, um seine Haut zu retten. Es war zum Weinen.

    Vollkommen arglos marschierte Tiberios in dieses verfallene Haus, in dem niemand je seine Leiche finden würde. Weder vergewisserte er sich, dass ein Fluchtweg frei war, noch achtete er darauf, mit den Augen Terpander zugewandt zu bleiben, den er heute das erste Mal getroffen hatte. Er wusste nicht mal, ob Terpander wirklich Terpander war! Tiberios drehte ihm den Rücken zu, flanierte seelenruhig noch tiefer in die Höhle des Löwen und lobte die Bruchbude. Terpanders Blick verdunkelte sich. Von hinten trat er an den jungen Sklaven heran. Er packte Tiberios, knallte ihn gegen die nächste Wand und presste ihn so fest dagegen, dass er sich kaum noch rühren konnte.


    "Was nun, Daphnis", raunte Terpander in sein Ohr.

    "Den Varro", sagte Terpander, ohne viel mit diesem Namen anfangen zu können. Es war schon einige Jahre her, dass er über ihn gehört hatte, aber noch nie hatte er von ihm gelesen. Zugegebener Maßen war Terpander auch nicht sonderlich interessiert. Die Beschäftigung mit den Schriften weiser Männer hatte aus der Notwendigkeit seiner resultiert, als er selbst unterrichtet worden war und das meiste hatte er rasch wieder vergessen, ohne heute etwas davon zu vermissen. Das Bürschlein zierte sich zunächst, seine Einladung anzunehmen, dann aber überlegte es sich so plötzlich anders, so dass Terpander über seine Schulter sah, um zu sehen, ob gerade Scato nahte. Das war allerdings nicht der Fall. Terpander sagte nichts dazu und gab den Weg vor.


    Der Weg verlief südwärts in Richtung der Gärten des Maecenas, ohne dass sie diese erreichten. Außerhalb der Stadtmauer zwischen uralten Bäumen stand in einer ruhigen Ecke das verfallene Atriumhaus, von dem Terpander hoffte, dass Scato und Lurco es erwerben würden. Noch gehörte es ihnen nicht, aber Terpander hatte den Schlüssel 'vergessen' an den Eigentümer zurückzugeben, so dass er dort ein und aus ging und schon anfing, es sich häuslich einzurichten. Das Haus stand ohnehin leer, niemanden würde es stören. Terpander hielt Tiberos die Tür auf, um sie nach dessen Eintreten abzuschließen und den Schlüssel einzustecken. Nun waren sie beide hier eingesperrt, denn Fenster, die nach draußen führten, gab es nicht. Sie zeigten alle nach innen zum Atrium oder zum Garten hin. Er beobachtete, ob Tiberios nun genau so misstrauisch schauen würde, wie Lurco.


    "In diesen Hallen werden es sich die beiden Domini bald gemütlich machen, wenn alles gut geht", erklärte er und wies mit der Hand in das verwilderte Atrium, in dem ein paar Singvögel von Ast zu Ast hüpften und herumpiepsten. Man sah, dass kürzlich jemand hier angefangen hatte, Ordnung zu machen und im Freien kochte und aß. Zu diesem Zwecke hatte Terpander einige der alten Möbel herausgezogen, die in einer sonnigen Ecke standen. Mit den Händen fegte er ein paar Blüten von Tisch und Stühlen und deckte den Tisch für zwei Personen. Das Geschirr und Besteck dazu hatte er neu gekauft. "Posca, Wein oder Tee?"

    Er war gütig zu mir. So nannten das die jungen Leute also heutzutage. "Zu mir war der junge Dominus dann wohl auch gütig", erwiderte Terpander amüsiert auf Koiné. Er nahm die Schriftrollen vorsichtig entgegen. Was auch immer Tiberios abgeschrieben hatte, solche Dokumente waren stets von Wert. "Ich bin sicher, er wird sich darüber freuen. Eine Abschrift ist ein wertvolles und gut gewähltes Geschenk. Mein Name ist Terpander." Die Frage, was denn abgeschrieben worden war, verkniff er sich. Das ging ihn nichts an und Scato würde es ihm ohnehin erzählen. Er erzählte alles, wenn auch manchmal etwas geschicktes Nachhaken erforderlich war.


    Ungeachtet dessen, dass Tiberios bereits rot wurde von der Musterung, betrachtete Terpander ihn sich noch ein wenig länger. Hatte seine Erziehung also doch gefruchtet - Scato hatte sich nicht irgendwen für seine Sinnesfreuden herausgepickt, sondern einen Sklaven mit Niveau. Das würde sicher auch Lurco entgegenkommen. Ein guter Sklave sollte niemals Ursache für Eifersucht und Streit sein, sondern stets für alle im Haushalt eine Bereicherung. Ob das so war, würde Terpander herausfinden - und notfalls korrigierend eingreifen.


    "Wie es aussieht, wird es noch eine Weile dauern, bis mein Herr hier aufschlägt. Darf ich dich derweil auf eine Mahlzeit einladen, Tiberios?"