<< Die Ruinen des Ganymed
Die Lupos grüßten ihre weiblichen Kollegen, als sie den Eingangsbereich durchquerten. Die Zwillinge trugen dabei ein Grinsen zur Schau, als wäre ihre Welt noch immer in bester Ordnung und das Ganymed nicht Raub der Flammen geworden. Ihre unerschütterliche Art war sicher einer der Gründe, warum überhaupt noch jemand daran glaubte, dass irgendeine Art von lebenswerter Zukunft auf sie wartete. Sie verstanden es besser als Kyriakos, Zuversicht zu vermitteln. Die meisten Leute mochten sie spontan, obwohl in der Brust eines jeden von ihnen das Herz eines gierigen Raubtiers schlug. Mit dem Eintreten ins Lupanar hatten sie den angeschlagenen Python an Evenor und Nicon übergeben, die unter der Last, die sich auf sie stützte, kaum laufen konnten.
Als Veratia den Arm über Castors Schultern legte, drückte dieser ihr spontan einen Kuss auf die Wange, bevor Velia die Dame verjagte. Pollux, der gerade von der anderen Seite dazu kommen wollte, machte ein bedauerndes "Ohhhh" und legte den angehobenen Arm stattdessen um seinen Bruder. So weit reichte die Gastfreundschaft dann wohl doch nicht. Kyriakos hatte für derlei keinen Nerv und widmete seine Aufmerksamkeit allein Velia. Geduldig wartete er, bis sie ihnen ein Bett zurechtgemacht hatte. Die mitgebrachten Decken wurden auf dem Boden verteilt.
"Wer bekommt das Bett?", fragte Satibarzanes.
"Alle, die wollen", erwiderte Kyriakos. "Python schläft auf dem Boden, damit niemand an seine Wunden stößt. Haltet Abstand. Du sollstest auch unten schlafen, sonst wird das zu eng und deine Wunde am Arm reißt wieder auf."
Fünf Mann und ein Kind auf dem Bett genügten nun wirklich. Während Satibarzanes ein Gesicht zog, das verriet, dass er sich ausgegrenzt fühlte, ließ der ehemalige Gladiator sich dankbar auf den ausgebreiteten Decken niedersinken. Python sagte keinen Mucks, er war damit beschäftigt, seine Schmerzen und Übelkeit zu ertragen. Es zeigte sich, dass der kleine Nymphis auch lieber auf dem Boden schlafen wollte, weil Python das machte, der für ihn vielleicht eine Vaterfigur war. Nachdem alle irgendwo einen Platz gefunden hatten, kehrte nicht sofort Ruhe ein. Die Gemüter waren noch zu aufgewühlt und ständig hustete irgendwer.
"Was machen wir morgen?", fragte Evenor, der irgendwo zwischen den Zwillingen klemmte. Kyriakos hatte keine Ahnung, wer in welcher Position unter seinen Beinen lag, da er auf dem Rücken lag und zur Decke schaute. Er wusste nur, dass der Bauch von Nicon sein Kopfkissen bildete und dass links neben ihm, aber mit den Füßen in die andere Richtung, Pollux lag.
"Morgen schauen wir, was übrig ist vom Ganymed", meinte Kyriakos.
Evenor ließ nicht locker. "Und dann?" Sonst war er nicht aufsässig, im Gegenteil, doch nun hatte er Furcht vor der Zukunft.
"Dann sehen wir weiter."
"Könnten wir nicht bei Velia anfangen?", schlug Satibarzanes vor, während er sich auf dem Boden eine der Decken als Kissen zurechtmachte.
Kyriakos hasste es, wenn Leute mit den Augen rollten, aber jetzt tat er es selber. "Wann hast du das letzte Mal in einen Spiegel geschaut? Das können wir sicher nicht! Und falls sie wider Erwarten doch einen von euch Vogelscheuchen behalten will, wird sie das von sich aus sagen. Und jetzt will ich davon nichts weiter hören."
Castor tuschelte Evenor etwas zu. Die Zukunft schien ihm keine Sorgen zu bereiten in Anbetracht dessen, was er ihm gerade vorschlug und auch Pollux rutschte weiter nach unten zu ihnen. Kyriakos war es egal. Er rückte nur ein wenig weiter nach oben, damit er mehr Ruhe hatte, zog eine Decke über sich.
"Dafür will ich das große Brot aus dem Korb", murrte Evenor, wobei er ängstlich klang.
"Nerv weiter und du kriegst gar nichts. Schnauze jetzt."
Es waren die letzten artikulierten Worte vom Fußende. Niemanden kümmerte es. Kyriakos bemerkte kaum, was die Zwillinge mit Evenor anstellten, weil ihnen heute kein Kunde zur Verfügung stand. Auch, dass Nymphis zusehen konnte, war ihm gleichgültig, denn genau das bekam der Junge ohnehin jeden Tag mit. Kyriakos´ Gedanken wechselten zwischen Velia und dem Brand, zwischen ihrer selbstlosen Hilfe und seiner eigenen Hilflosigkeit, zwischen Verantwortung gegenüber den Lupos und Egoismus.
Was Python betraf, war es einfach - entweder, er starb in den nächsten Tagen, oder er kam durch. Da hieß es einfach warten. Satibarzanes hingegen hatte es geschafft, dank seines Armes noch unnützer zu werden als je zuvor. Nun war er alt, fett, unansehnlich und auch noch ein Krüppel. Kyriakos sollte ihn loswerden. Satibarzanes war der erste seiner Lupos überhaupt gewesen. Ewig war das her, siebzehn war Sati damals noch gewesen und ein hübscher Bursche. Unglaublich, wie sechs Jahre einen Menschen verändern konnten. Durchfüttern konnte er ihn nicht, dazu fehlten ihm die Mittel und der Wille. Aber was sollte er mit ihm noch anfangen? Mit Evenor und Nicon aber ließ sich noch drei, vielleicht vier Jahre gut arbeiten, ehe sie ebenfalls hinüber sein würden. Bis dahin könnten sie das Standbein bilden. Satibarzanes könnte er stattdessen an einen Sklavenhändler verkaufen, dann brauchte er kein schlechtes Gewissen zu haben und es sprang noch etwas für ihn dabei raus.
Am meisten Kopfzerbrechen aber bereiteten Kyriakos die Zwillinge. Sie waren der Kitt, der die Truppe beisammenhielt, sie brachten das meiste Geld und schützten sie, aber sie waren auch gefährlich und er traute ihnen nicht über den Weg. Kosten und Nutzen abzuwiegen, war bei ihnen sehr schwierig, nicht zuletzt, weil es ihnen gelang, den Bogen maximal zu spannen, ohne ihn jedoch zu überspannen. Gerade eben kam es unten zu einem Knäuel, weil sie wechselten. Jetzt hatte er Castor neben sich liegen.
Behalten? Davonjagen? Sich selber verkrümeln? Kyriakos wusste es nicht.
Irgendwann kehrte endlich Ruhe ein, vom allgegenwärtigen Husten abgesehen. Als alle schliefen, gelang es auch Kyriakos, ein wenig Ruhe zu finden. Seine letzten Gedanken galten Velia und der Tatsache, dass er nicht zu einem Mann taugte, der diese Bezeichnung auch verdiente. Mit dem Ganymed hatte er begonnen, sich aus dem Unrat der Subura hochzuarbeiten, doch das war nun Geschichte. Nein, sie tat Recht daran, ihn auf Abstand zu halten, er konnte ihr keine Zukunft bieten. Der Schlaf, in den er schließlich fiel, war tief und traumlos wie ein kleiner Tod.