Beiträge von Kyriakos

    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abfm/1krmpp/Satibarzanes


    << [Vor der Castra] Eine fette Rechnung


    Satibarzanes musste nicht lange nach der Adresse suchen. Die Porta Collina war das nördlichste Tor der Servianischen Mauer. Hier gabelten sich die nach Osten führende Via Nomentana und die Via Salaria, die nach Nordosten führte. Satibarzanes wusste das, weil er auf diesem Wege vor sechs Jahren nach Roma gelangt war. Seither hatte er die Stadt nicht mehr verlassen, aber oft darüber nachgedacht, zurück nach Pannonien zu gehen. Allein, dass Kyriakos Wort gehalten hatte, hatte Satibarzanes dazu gebracht, auch zu seinem Wort zu stehen. Nun sah er die Zeit gekommen, es zu brechen. Er war sicher, dass es in ihrer beider Interesse war, ohne viel Tamtam künftig getrennter Wege zu gehen. Niemand würde ihn vermissen. Der Gedanke schmerzte ihn nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, war aber nicht zu ändern.


    Mit der Wachstafel in der Hand stand er vor der Porta des Anwesens. Von außen hätte er die Casa Leonis für eine Ruine gehalten. Warum das Haus keinen Familiennamen trug, wie die anderen großen Anwesen, war leicht zu erraten - hier wohnten zwei Männer in einer Wohngemeinschaft und die konnten schlecht eine Familie bilden. Die Lösung des Dilemmas war elegant, der gewählte Name gefiel Satibarzanes. Er klopfte an die Porta und wartete darauf, dass der besagte Terpander öffnen würde. Da die Bewohner des Anwesens im Ganymed Kunden gewesen waren, rechnete er damit, dass Terpander ein griechischer Jüngling sei.

    Kyriakos nickte knapp. Was sollte er auch sonst tun, als hier zu warten? Sein Gesicht war bleich und er zitterte vor unterdrücktem Hass. Er war in einem Zustand, da er töten wollte. Er musste herunterfahren, bevor er wieder klar denken konnte. Bis dahin hieß es hier sitzen und tatenlos ausharren, damit er nichts tat, was er am Ende bereute.


    "Kyri ..." Das war Satibarzanes. Er beugte sich zu ihm und sah besorgt aus. "Wenn ich irgendwas für dich tun kann ..."


    "Was willst du schon tun, du nutzlose fette Sau", brüllte Kyriakos.


    Im nächsten Augenblick war er auf den Füßen und holte aus. Satibarzanes stürzte Hals über Kopf davon. Er konnte von Glück reden, dass er rennen konnte und Kyriakos nicht. Entweder der Tonfall, die haarscharf an ihm vorbei zischende Faust oder die grausamen Worte sorgten dafür, dass er nicht nur zurückwich, sondern gänzlich weglief. So schnell er konnte lief er von dannen. Schwer atmend sah Kyriakos ihm nach, ehe er sich zurück in den Hauseingang sinken ließ und seinen Kopf nach hinten an die Haustür donnern ließ. So blieb er sitzen.


    Die Zwillinge waren klüger, sie versuchten gar nicht erst, mit ihm zu reden, so lange er in diesem Zustand war und selbst Nymphis hatte ihn verlassen, um den Schutt zu erkunden. Nicon schnaufte und drehte sich zur anderen Seite. Evenor schaute erschrocken, aber als niemand irgendetwas unternahm, half er weiter, den Trümmerhaufen um den toten Iugurtha herum abzutragen, dessen schwarze Hand mit verkrümmten Fingern hinaufragte wie ein zu später Hilferuf.


    Der Tote war derjenige, dem Kyirakos sich momentan am nächsten fühlte. Er war allein und er wollte es auch sein. Er ging davon aus, dass Satibarzanes irgendwann zurückkommen würde, so lief das immer.


    Doch Satibarzanes kam nicht zurück. >>

    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abfm/1krmpp/Satibarzanes


    Satibarzanes konnte nicht lesen, aber diese Wachstafel musste sehr wichtig sein. Sie war ein Geschenk dieses großzügigen Römers. Es sei denn, der veralberte ihn und darauf stand irgendeine Beschimpfung, die Terpander dazu bringen würde, ihm die Nase zu brechen. Dieses Risiko war seit jeher Teil seines Lebens gewesen, es gab Freier, die waren mehr Monster als Mensch. Dieser hier aber hatte nicht dazu gehört.


    "Lurco", sagte Satibarzanes, als ihm der Name wieder einfiel. "Du heißt Lurco!" Und Lurco war beileibe kein Monster gewesen, zu keiner Zeit. Alles, was Satibarzanes sich wünschte, war Sicherheit und dass die Leute ihn nicht andauernd beschimpften. Als der Mann seine Schulter tätschelte, hätte er sich ihm am liebsten um den Hals geworfen. So nett war seit Ewigkeiten niemand mehr zu ihm gewesen. "Ich werde an der Casa Leonis klopfen", versprach er zittrig. "Und danke!"


    Die Wachstafel war wie ein Schatz für ihn. Er hielt sie fest an sich gedrückt auf dem Weg zur Porta Collina, von wo aus er die Suche nach der Casa Leonis starten wollte. Wenn die Adresse stimmte, war das Haus ganz in der Nähe.


    Casa Leonis - Der künftige Schankjunge >>

    "Das ist kein Junge, das ist Iugurtha."


    Jeder, der den Stimmbruch erreichte, war für Kyriakos jemand, dessen Namen er sich merkte. Vorher lohnte sich die Mühe nicht, da Kinder oft auf Nimmerwiedersehen verschwanden, sei es in irgendeinem Keller, durch den Tod oder weil sie einfach wegliefen. Aufgrund lebenslanger Mangelernährung war der Tote zeitlebens schmächtig gewesen. Das war gut, so blieben sie länger attraktiv. Aber jetzt, wo das Feuer alle Flüssigkeit aus seinem Körper verdampft hatte, wirkte er dermaßen winzig, dass es kein Wunder war, dass Velia ihn für ein Kind hielt. Kyriakos betrachtete ihn düster. Auch die Zwillinge und Evenor waren näher gekommen, um zu schauen.


    "Scheiße", ächzte Castor.
    "Der ist hinüber", bestätigte Pollux.


    Kyriakos gebot ihnen durch eine unwirsche Geste, die Klappe zu halten. Er nahm den Knochen, den Velia ihm reichte. "Irgendein Vogelkopf", murrte er und wollte ihn schon in die Trümmer werfen, als er sah, was seine Freundin noch freigelegt hatte. "Ist das da Blut an der Wand? Was für ein krankes Schwein war das?"


    Verständnislos betrachtete er die Spuren. Das sah fast aus wie Flügel. Die Antwort auf seine Frage schwebte wie eine schwarze Gewitterwolke in seinem Geist, doch er wollte sie nicht wahrhaben. Sie bedeutete, dass all das hier sein eigenes Verschulden war. Kyriakos hatte die Gefahr, die von den Männern ausging, die das Schutzgeld gefordert hatten, unterschätzt. Den Namen und die Zeichen kannte jeder. Das waren keine Kleinkriminellen gewesen. Ein paar Sesterze hätten all das hier verhindern können, das Feuer, die Vernichtung seiner Lebensgrundlage, den Tod!


    Kyriakos schleuderte den Vogelschädel in eine willkürliche Richtung davon. Er drehte sich um und stolperte auf seinen wackeligen Füßen aus den Trümmern zurück in die Gasse. Sogar die Zwillinge wichen ihm aus. Nein, er konnte nichts dafür, er hatte das Feuer schließlich nicht gelegt! Wäre einer der Erpresser hier vor Ort gewesen, hätte er ihn mit bloßen Händen in Fetzen gerissen. Und wäre Lysander hier gewesen, hätte er ihn lebendig gehäutet. Er war dafür verantwortlich, dass er überhaupt in dieser verkackten Stadt als verdammter Lupo leben musste, er hatte seine Füße ruiniert und sein Leben zerstört und jetzt das von zich anderen. Er hatte diese Kettenreaktion ausgelöst, die Kyriakos jeden Tag näher an den Abgrund spülte, egal, was er auch versuchte, es war alles Lysanders Schuld und nichts und niemand konnte das Verderben aufhalten, das er über ihn gebracht hatte!


    An dem Hauseingang, in dem er mit Nymphis Quartier bezogen hatte, setzte er sich nieder und starrte finster die Gasse hinab.

    "Oh ja", erklärte Pollux und zeigte auf ein paar Habseligkeiten, die er auf einer Decke sortiert hatte. "Lauter wichtige Dinge! Alles, was im Tresen war, ist noch heil, weil der aus Stein ist und den Inhalt schützte. Schau!"


    Er wies auf Teller, Schüsseln, Amphoren, Karaffen und Besteck. Dazu einen Stapel sehr dunkelgrau gewordene mappae, wie man die Mundtücher nannte. Dann musste er lachen. Offensichtlich hielt er nichts davon für wichtig. Er war sichtlich betrunken. Sein Bruder war noch dabei, die Trümmer auseinander zu ziehen und Steine beiseitezutragen. Wonach die beiden suchten, war klar - nach der Truhe mit den Sesterzen. Auch Kyriakos packte mit an, jeder tat das, mit Ausnahme von Python und Satibarzanes, deren Verletzungen das verhinderten, und Nicon, der an einer Wand lag und schlief. Er hatte es mit dem Wein eindeutig übertrieben.


    "Der Bereich hier scheint noch intakt zu sein", informierte Kyriakos. Er wies auf den Bereich schräg hinter dem Eingang. "Wenn wir die Tür dort freigeräumt haben, kann man vermutlich hinein. Ich weiß nur nicht, was man mit den Toten macht, falls man welche findet, ohne dass im Anschluss ein Mörder gesucht wird. Sie irgendwo melden? Dem Tiber übergeben?"


    Satibarzanes wurde schlecht bei diesen Worten und er drehte sich weg.

    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abfm/1krmpp/Satibarzanes


    Satibarzanes schoss das Blut in die feisten Wangen. Einen harten Brocken hatte ihn noch nie jemand genannt und er war auch keiner. Er hatte einfach Angst, einmal mehr zu versagen und alles zu verlieren. Er wischte sich die Tränen aus den Augen.


    "Ich würde sehr gern dein Schankjunge werden", sagte er mit bebender Stimme. Mit dem Handrücken schmierte er sich rußigen Rotz von der Nase, den er dann an den Resten seines Röckchens abwischte. "Getränke ausschenken kanne ich, wir hatten auch einen Tresen. Jetzt gleich? Wo? Und meine Löwenmähne lasse ich wieder wachsen, versprochen."


    Er blickte an sich herab. "Ich bin gerade schmutzig, aber du hast mich vorher gesehen, ich bin sonst ordentlich und sauber! Das liegt nur an dem Brand! Irgendjemand hat uns das Haus angezündet und uns mit Messern und Knüppeln angegriffen. Wer tut so etwas? Wir hatten niemandem etwas getan!" Jetzt musste er richtig weinen. "Entschuldigung!" Mit wedelnder Hand schniefte er ein paar Mal und versuchte, sich zu beruhigen, damit sie weiterreden konnten.

    Kyriakos blickte zu ihr herüber. Velia wirkte geistesabwesend. Das kannte er von ihr, trotzdem sorgte es für eine Gefühl der Enttäuschung, da sie gestern so erfreut gewesen war, ihn heil zu sehen. Nun war sie wieder im alten Trott. Jeder ging anders mit diesem Schicksal um, das nur selten freiwillig gewählt wurde. Viele wurden gleichgültig, andere aggressiv gegen sich und andere, manche tranken, Satibarzanes fraß sich fett. Nur wenige, wie die Zwillinge, schienen für dieses Dasein geboren und blühten darin auf.


    "Alk hilft nicht", beharrte Kyriakos. "Er macht es nur noch schlimmer, weil man nicht mehr in der Lage ist, sich zu helfen. Man wird auf kurze Sicht wehrlos und auf lange Sicht dumm. Schau dir Nicon an. Der ist sechzehn und säuft wie in Loch seit er zehn ist. Seitdem ist er geistig nicht mehr gealtert, kriegt keinen hoch und mit zwanzig wird er tot sein."


    Er stand auf, ehe er zu sehr begann, darüber nachzudenken. Er verkniff sich die Nachfrage, ob Velia selbst auch zu denen gehörte, die versuchten, sich das Leben schön zu trinken. Wenn es so war, konnte er es nicht ändern.


    "Lasst uns gehen. Nehmt alles mit, was uns gehört."


    Eine Nacht war ihnen geschenkt worden und die war um.

    "Essen", rief Castor und war sofort auf den Beinen, gefolgt von seinem Bruder. Mit einem Satz waren sie bei Velia. Evenor rieb verschlafen sein Gesicht. Er lag inzwischen auf dem Boden bei Satibarzanes, der sich nun ebenfalls aufsetzte. Nicon streckte sich und gähnte.


    "Halt!" Die Stimme von Kyriakos verhinderte im letzten Moment, dass die Zwillinge sich den Korb unter den Nagel rissen. Er erhob sich vom Bett und nahm das Frühstück vom Tisch. Besser war, wenn er das übernahm. Was sie hier geliefert bekamen, war nicht von schlechten Eltern, so gut hatte keiner von ihnen in den letzten Monaten gespeist. Sogar Fleisch gab es! "Du bist ein Schatz", sagte er mit Blick auf die Köstlichkeiten. "Alle im Kreis hinsetzen." Den Topf mit der Gerstenpuls stellte er in die Mitte auf den Boden. Normalerweise aß man sie mit dem Brot, doch hier musste alles gerecht geteilt werden, was im momentanen Zustand Disziplin erforderlich machte. Er drückte Nymphis den Löffel in die Hand. "Reihum isst jeder einen Löffel, bis der Topf leer ist. Kein Gerede, kein Gestreite."


    Auch er selbst setzte sich dazu. Natürlich versuchte trotzdem jeder, so viel wie möglich in den Mund zu stopfen. Während er wartete, bis er an der Reihe war, teilte Kyriakos das Brot in acht gleich große Stücke. Er hatte gelernt, dass man alle Mitglieder einer Gruppe möglichst gleich behandeln sollte. Als der Topf mit der Puls leer war, benetzte er das Brot mit dem Wein, ehe er es verteilte, bis auf zwei Stücken, die trocken blieben. Der übrige Wein wurden reihum gereicht. Nur Nymphis durfte keinen trinken und auch Kyriakos verzichtete. Er hatte noch nie Alkohol getrunken und gedachte nicht, das zu ändern. Stattdessen setzte er sich neben Velia aufs Bett, wo er langsam sein Brot aß, während die Lupos tranken.


    "Gut, dass es nur kleine Amphoren sind", meinte er zu Velia. "Die würden trinken, bis sie umfallen." Er gab sich keine Mühe, seine Verachtung, die er dafür empfand, zu verbergen. "Trinken die Mädels auch in dieser Manier? Wenn die Amphoren leer sind, können wir losmachen." Gern hätte er ihr gesagt, wie dankbar er war für diese Nacht im Magnum Momentum. Wenn man nahezu alles verloren hatte, waren solche Gesten unsagbar wertvoll. Eine Weile kaute Kyriakos an seinem Brot. Einfach Danke zu sagen, erschien ihm plump, er würde ihr gern mit Taten danken. Aber wie? "Wenn es etwas gibt, was ich für dich tun kann, lass es mich wissen. Das gilt für uns alle hier."


    "Ja, Mann, danke, Velia!", rief Castor, während er den Weinkrug entgegennahm und sein Bruder nickte dazu.

    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abfm/1krmpp/Satibarzanes


    Eine Tunika? Die Rechnung war so schon exorbitant, weil Satibarzanes nicht nur sich selbst hatte versorgen lassen, sondern auch Python und jeden anderen, der mehr als nur ein paar Beulen besaß. Darum wollte er ja auch so schnell wieder verschwinden! Als der Urbaner vor ihm stand, starrte Satibarzanes ihn mit aufgerissenen Augen an und das Zittern seiner Finger weitete sich auf den Rest seines Körpers aus. Glücklicherweise schaute der Urbaner die Rechnung nicht einmal an, sonst wäre er wohl nicht so freundlich.


    "Eine Taberna?", wiederholte Satibarzanes. "Ich? Aber ich kann doch gar nichts!"


    In seinem Leben hatte er keine einzige sinnvolle Fähigkeit erlernt. Weder konnte er rechnen, noch schreiben, noch wusste er, wie man ein Tablett trug. Andererseits boten die meisten Tabernae auch gewisse andere Dienste an. Und auf die verstand Satibarzanes sich vielleicht doch ein wenig.


    "Ach sooo", sagte er nachdenklich. "Jetzt habe ich das kapiert! Aber wollt ihr mich wirklich einstellen? Ich habe etliche Kollegen, die alles besser können als ich."


    So richtig konnte er das Angebot nicht glauben, wo Kyriakos ihm doch jeden Tag überzeugend darlegte, wie fett, dumm und hässlich er sei und dass er sowieso für nichts zu gebrauchen war. Vermutlich warf man ihn nach einer Woche wieder raus, weil die Gäste ihn nicht mochten oder der Mann veralberte ihn einfach nur. Satibarzanes ließ die Schultern hängen. Die traumhaften Aussichten, die der Urbaner ihm darlegte, platzten in seinem Geist wie eine Seifenblase.

    << Die Ruinen des Ganymed


    Die Lupos grüßten ihre weiblichen Kollegen, als sie den Eingangsbereich durchquerten. Die Zwillinge trugen dabei ein Grinsen zur Schau, als wäre ihre Welt noch immer in bester Ordnung und das Ganymed nicht Raub der Flammen geworden. Ihre unerschütterliche Art war sicher einer der Gründe, warum überhaupt noch jemand daran glaubte, dass irgendeine Art von lebenswerter Zukunft auf sie wartete. Sie verstanden es besser als Kyriakos, Zuversicht zu vermitteln. Die meisten Leute mochten sie spontan, obwohl in der Brust eines jeden von ihnen das Herz eines gierigen Raubtiers schlug. Mit dem Eintreten ins Lupanar hatten sie den angeschlagenen Python an Evenor und Nicon übergeben, die unter der Last, die sich auf sie stützte, kaum laufen konnten.


    Als Veratia den Arm über Castors Schultern legte, drückte dieser ihr spontan einen Kuss auf die Wange, bevor Velia die Dame verjagte. Pollux, der gerade von der anderen Seite dazu kommen wollte, machte ein bedauerndes "Ohhhh" und legte den angehobenen Arm stattdessen um seinen Bruder. So weit reichte die Gastfreundschaft dann wohl doch nicht. Kyriakos hatte für derlei keinen Nerv und widmete seine Aufmerksamkeit allein Velia. Geduldig wartete er, bis sie ihnen ein Bett zurechtgemacht hatte. Die mitgebrachten Decken wurden auf dem Boden verteilt.


    "Wer bekommt das Bett?", fragte Satibarzanes.


    "Alle, die wollen", erwiderte Kyriakos. "Python schläft auf dem Boden, damit niemand an seine Wunden stößt. Haltet Abstand. Du sollstest auch unten schlafen, sonst wird das zu eng und deine Wunde am Arm reißt wieder auf."


    Fünf Mann und ein Kind auf dem Bett genügten nun wirklich. Während Satibarzanes ein Gesicht zog, das verriet, dass er sich ausgegrenzt fühlte, ließ der ehemalige Gladiator sich dankbar auf den ausgebreiteten Decken niedersinken. Python sagte keinen Mucks, er war damit beschäftigt, seine Schmerzen und Übelkeit zu ertragen. Es zeigte sich, dass der kleine Nymphis auch lieber auf dem Boden schlafen wollte, weil Python das machte, der für ihn vielleicht eine Vaterfigur war. Nachdem alle irgendwo einen Platz gefunden hatten, kehrte nicht sofort Ruhe ein. Die Gemüter waren noch zu aufgewühlt und ständig hustete irgendwer.


    "Was machen wir morgen?", fragte Evenor, der irgendwo zwischen den Zwillingen klemmte. Kyriakos hatte keine Ahnung, wer in welcher Position unter seinen Beinen lag, da er auf dem Rücken lag und zur Decke schaute. Er wusste nur, dass der Bauch von Nicon sein Kopfkissen bildete und dass links neben ihm, aber mit den Füßen in die andere Richtung, Pollux lag.


    "Morgen schauen wir, was übrig ist vom Ganymed", meinte Kyriakos.


    Evenor ließ nicht locker. "Und dann?" Sonst war er nicht aufsässig, im Gegenteil, doch nun hatte er Furcht vor der Zukunft.


    "Dann sehen wir weiter."


    "Könnten wir nicht bei Velia anfangen?", schlug Satibarzanes vor, während er sich auf dem Boden eine der Decken als Kissen zurechtmachte.


    Kyriakos hasste es, wenn Leute mit den Augen rollten, aber jetzt tat er es selber. "Wann hast du das letzte Mal in einen Spiegel geschaut? Das können wir sicher nicht! Und falls sie wider Erwarten doch einen von euch Vogelscheuchen behalten will, wird sie das von sich aus sagen. Und jetzt will ich davon nichts weiter hören."


    Castor tuschelte Evenor etwas zu. Die Zukunft schien ihm keine Sorgen zu bereiten in Anbetracht dessen, was er ihm gerade vorschlug und auch Pollux rutschte weiter nach unten zu ihnen. Kyriakos war es egal. Er rückte nur ein wenig weiter nach oben, damit er mehr Ruhe hatte, zog eine Decke über sich.


    "Dafür will ich das große Brot aus dem Korb", murrte Evenor, wobei er ängstlich klang.


    "Nerv weiter und du kriegst gar nichts. Schnauze jetzt."


    Es waren die letzten artikulierten Worte vom Fußende. Niemanden kümmerte es. Kyriakos bemerkte kaum, was die Zwillinge mit Evenor anstellten, weil ihnen heute kein Kunde zur Verfügung stand. Auch, dass Nymphis zusehen konnte, war ihm gleichgültig, denn genau das bekam der Junge ohnehin jeden Tag mit. Kyriakos´ Gedanken wechselten zwischen Velia und dem Brand, zwischen ihrer selbstlosen Hilfe und seiner eigenen Hilflosigkeit, zwischen Verantwortung gegenüber den Lupos und Egoismus.


    Was Python betraf, war es einfach - entweder, er starb in den nächsten Tagen, oder er kam durch. Da hieß es einfach warten. Satibarzanes hingegen hatte es geschafft, dank seines Armes noch unnützer zu werden als je zuvor. Nun war er alt, fett, unansehnlich und auch noch ein Krüppel. Kyriakos sollte ihn loswerden. Satibarzanes war der erste seiner Lupos überhaupt gewesen. Ewig war das her, siebzehn war Sati damals noch gewesen und ein hübscher Bursche. Unglaublich, wie sechs Jahre einen Menschen verändern konnten. Durchfüttern konnte er ihn nicht, dazu fehlten ihm die Mittel und der Wille. Aber was sollte er mit ihm noch anfangen? Mit Evenor und Nicon aber ließ sich noch drei, vielleicht vier Jahre gut arbeiten, ehe sie ebenfalls hinüber sein würden. Bis dahin könnten sie das Standbein bilden. Satibarzanes könnte er stattdessen an einen Sklavenhändler verkaufen, dann brauchte er kein schlechtes Gewissen zu haben und es sprang noch etwas für ihn dabei raus.


    Am meisten Kopfzerbrechen aber bereiteten Kyriakos die Zwillinge. Sie waren der Kitt, der die Truppe beisammenhielt, sie brachten das meiste Geld und schützten sie, aber sie waren auch gefährlich und er traute ihnen nicht über den Weg. Kosten und Nutzen abzuwiegen, war bei ihnen sehr schwierig, nicht zuletzt, weil es ihnen gelang, den Bogen maximal zu spannen, ohne ihn jedoch zu überspannen. Gerade eben kam es unten zu einem Knäuel, weil sie wechselten. Jetzt hatte er Castor neben sich liegen.


    Behalten? Davonjagen? Sich selber verkrümeln? Kyriakos wusste es nicht.


    Irgendwann kehrte endlich Ruhe ein, vom allgegenwärtigen Husten abgesehen. Als alle schliefen, gelang es auch Kyriakos, ein wenig Ruhe zu finden. Seine letzten Gedanken galten Velia und der Tatsache, dass er nicht zu einem Mann taugte, der diese Bezeichnung auch verdiente. Mit dem Ganymed hatte er begonnen, sich aus dem Unrat der Subura hochzuarbeiten, doch das war nun Geschichte. Nein, sie tat Recht daran, ihn auf Abstand zu halten, er konnte ihr keine Zukunft bieten. Der Schlaf, in den er schließlich fiel, war tief und traumlos wie ein kleiner Tod.

    "Das ist großzügig von dir. Und nicht selbstverständlich in diesen Tagen. Wir stehen in deiner Schuld." Kyriakos hielt Velia noch immer an sich gedrückt. Das erste Mal, seit das Feuer ausgebrochen war, kam er innerlich wieder ein wenig zur Ruhe. Sie spürte es daran, wie sich sein Herzschlag und sein Atem beruhigten. Er hatte soeben seine wirtschaftliche Existenz verloren, aber die wichtigsten beiden Dinge waren noch da: Velia und Nymphis. Schwerer war eine Zeit in seiner Jugend gewesen, da er gar niemanden gehabt hatte und sich allein auf den Straßen von Lakonien durchschlagen musste. So gesehen war es doch gar nicht so schlimm, wie es sein könnte.


    "Ich hoffe, dass noch das Eine oder Andere zu retten ist. Vielleicht sieht das Feuer von draußen schlimmer aus, als es tatsächlich im Inneren gewütet hat." Bei diesen Worten klang er recht zuversichtlich. Er grub seine Finger durch ihr dichtes rotes Haar, bis er die warme Haut ihres Hinterkopfs spürte. Sanft drückte er ihren Kopf auf seine Schulter nieder, während er sich weiter aufrichtete, da er die Stimme erheben würde und ihr dabei nicht ins Ohr brüllen wollte. "Castor, Pollux", blaffte er. Die Zwillinge hörten auf, durch den qualmenden Eingang zu schauen und drehten sich um. "Nehmt Python, wir gehen ins Magnum Momentum. Nicon, du trägst den Korb und die Decken. Satibarzanes, weck Nymphis und nimm ihn an die Hand. Evenor, such dir auch irgendwas zum Tragen."


    Es kam Bewegung in die Lupos. Die Aussicht auf eine Nacht in einem Zimmer gefiel ihnen deutlich besser, als unter freiem Himmel zu schlafen.


    Magnum Momentum - Unterkunft für eine Nacht >>

    Kyriakos legte die Arme um Velias schmalen Rücken. Es tat gut, sie zu spüren. Er musste den Drang unterdrücken, sie auf den Hals zu küssen. Sie waren kein Paar und Freunde küsste man nicht - es sei denn, man bezahlte sie.


    "Mir geht es gut und dir hoffentlich auch. Schön, dass du hier bist", raunte er und genoss den Duft ihres Haars, der einen merkwürdigen Kontrast zum allgegenwärtigen Rauchgestank bildete. "Auch wenn der Anlass ein Besserer sein könnte. Es war wohl Brandstiftung, wir wurden überfallen. Einige der Jungs sind verletzt worden, Nicon hat einen Knüppel abbekommen und Satibarzanes ein Messer. Sie sind aber nicht die einzigen. Die Jüngeren sind alle abgehauen, bis auf Nymphis, und die meisten waren verbeult. Leider habe ich nicht gesehen, wer das gewesen ist, da ich gerade in einem Hinterzimmer beschäftigt war."

    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abfm/1krmpp/Satibarzanes


    << Ganymed - Lupanar


    Der eine Arm war verbunden, der andere hielt ein Blatt Papyrus, dass leise raschelte, weil die Hand so sehr zitterte. So stand Satibarzanes vor der Castra und starrte das gewaltige Tor an, vor dem die Wachen hin und her schlenderten. Ihre Blicke waren nicht dazu geeignet, ihm die Angst zu nehmen. Er wollte doch nur die Rechnung des Medicus einwerfen, der ihn vor einigen Tagen behandelt hatte, und die starrten ihn an, als wollten sie ihn auffressen! Er wollte sie ja nicht mal ansprechen, er wollte dem freundlichen Urbaner namens Lurco einfach nur die Rechnung zukommen lassen und wieder verschwinden. Vermutlich lag das an seiner Kleidung, denn der arme Satibarzanes besaß seit dem Brand keine Tunika mehr und lief seither tagein tagaus im selben angekokelten Röckchen herum. Knapp gekleidete Leute wurden wahrscheinlich prinzipiell von der Castra entfernt, ohne sie auch nur anzuhören, weil jeder sie für Lupos auf Kundensuche hielt. Zwar war er ein Lupo, aber er war aus anderem Grund hier! Verzweifelt hob er den Zettel in die Luft und wedelte damit.

    Kyriakos fuhr aus dem Schlaf hoch, der sich endlich eingestellt hatte. In einem Hauseingang hatte er für sich und Nymphis mit von den helfenden Anwohnern zurückgelassene Löschdecken ein Schlafnest gebaut. Die Decken waren nach dem Einsatz ohnehin hinüber und die obdachlos gewordenen Lupos konnten sie gut gebrauchen, so dass sie ihnen oftmals überlassen worden waren. Den gespendeten Denar hatte Kyriakos wieder hervorgewürgt, bevor er einen anderen Weg ging, und in einer Mauerspalte versteckt. Bevor er nach Velia sah, die er an ihrer Stimme erkannte, tat er, was er immer als erstes machte, nachdem er die Augen aufgeschlagen hatte - er sicherte die Umgebung, indem er sich umblickte.


    Python hatte sich tatsächlich aufgesetzt! Das grenzte an ein Wunder. Noch verwunderlicher war, dass sich gerade ein Medicus um ihn kümmerte. Bei den beiden hockte Satibarzanes mit einem verbundenen Unterarm. Ach ja. Ein Urbaner, der bei dem Dickerchen Kunde gewesen war, hatte ihm angeboten, die Arztrechnung zu bezahlen, wie Satibarzanes stolz allen erzählt hatte. Offenbar hatte er das großzügige Angebot gleich auf Python mit ausgeweitet. Den Urbaner würde das schon nicht in den Ruin stürzen. Die Zwillinge testeten gerade, ob das Haus so weit abgekühlt war, dass sie es betreten konnten. Das war allerdings noch lange nicht der Fall, aus dem Inneren drangen sogar noch Rauchschwaden, irgendwo gab es einen Schwelbrand. Die zwei Jünglinge Nicon und Evenor, die im Hauseingang gegenüber von Kyriakos saßen, schauten gespannt in seine Richtung, als ob sie etwas von ihm erwarteten. Jetzt entdeckte er in einem Henkelkorb ein Häuflein von Münzen, ein paar schrumplige, aber intakte Äpfel vom letzten Herbst und mehrere kleine Brote. Die beiden hatten gehorsam alles bei ihm abgeliefert, was gespendet worden war und offenbar darauf achtgegeben, dass die Zwillinge es sich nicht unter den Nagel rissen - oder diese hatten ihnen vielleicht sogar geholfen, die Gaben zu erbetteln. Kyriakso nickte kurz anerkennend. Das hatte er nicht erwartet.


    Erst jetzt, wo er sah, dass alles so weit in Ordnung war, wie es eben momentan sein konnte, erhob er sich, um Velia entgegenzugehen. Nymphis schlief weiter. Als Kyriakos aus dem Hauseingang hervortrat, sah er schon Velias schlanke Gestalt nahen. Rothaarig, grünäugig und klug glich sie einer Füchsin in einer Welt voller Narren.


    "Ich bin hier", sagte er zum Gruß. Trotz der Situation brachte er ein verhaltenes Lächeln zustande. Es war nicht das übliche Nutzdenken, was seine Wiedersehensfreude auslöste, sondern reichte viel tiefer.

    Ascheflocken sanken nieder wie schwarzer Schneefall. Während das Lupanar kontrolliert abbrannte, konnte Kyriakos sich nicht dazu durchringen, den Ort zu verlassen, an dem seine Existenz Balken um Balken von den Flammen aufgezehrt wurde. Er saß mit dem Rücken an eine Hauswand gelehnt und beobachtete durch halb geschlossene Augen, wie es Raub der Flammen wurde. Zu seiner Rechten lag Python reglos in der nassen Decke. Zu Kyriakos´ Linken saß Nymphis und kuschelte sich im Schlaf an seine Seite, während der Arm ihn sicher hielt.


    Die Zwillinge hatten bemerkt, dass der Denar unerreichbar geworden war und sich beruhigt. Sie kuschelten auf der gegenüberliegenden Seite, wobei abwechselnd einer schlief und einer wachte, bei ihnen lagen Nicon und Evenor. Von den übrigen Lupos war nichts mehr zu sehen. Hier gab es nichts mehr zu holen und sie hatten sich verdrückt, um ihr altes Leben auf der Straße wieder aufzunehmen. Das lose Kollektiv war zerbrochen.


    Kyriakos wünschte, er könnte die Augen schließen und etwas Ruhe finden, aber er fand keinen Schlaf. Heiß lag die Hitze des Feuers auf seinem Gesicht und die Asche begann ihn zu bedecken, sein persönliches Popeii, sein schwarzes Leichentuch.

    Als ein Urbaner Kyriakos lautstark ansprach, fuhren die Zwillinge gereizt zu dem Soldaten herum. Ihre Kiefermuskeln arbeiteten und einen Moment schienen sie zu überlegen. Dann spulten sie das von klein auf verinnerlichte Schema ab. Ihre Gesichter wurden weich, ein sanftes Lächeln zeigte sich darauf. Beide machten eine elegante Verneigung samt einladender Armbewegung in Richtung von Kyriakos, während sie gebeugt auseinanderwichen und den Weg zu ihm freigaben. Kyriakos seinerseits würgte noch an der Münze, die er rasch in Sicherheit gebracht hatte. Erschöpft ließ er sich zu Boden sinken. Er schlug ein Bein über und massierte seine schmerzenden Knöchel. Sein Körper war voller Ruß, Kotze und Urin. Seine Existenz hatte sich in Rauch aufgelöst und die ersten beiden Aasgeier hatten ihn umkreist, um ihm auch noch das letzte Fleisch von den Knochen zu hacken. Am besten wäre vermutlich, wenn er mit Nymphis lautlos von hier verschwand. Nur wohin?


    "Ich höre", antwortete er kratzig und lauschte der Erklärung des Urbaners. Erst langweilte er sich, doch dann begannen die Rädchen in seinem Kopf sich zu drehen. In seinem Gesicht ging die selbe Wandlung vor wie bei den Zwillingen, als er Lurco ein dankbares Lächeln schenkte, das gepflegte Zähne offenbarte. Was für eine wundervolle Möglichkeit, Rache zu üben!


    "Genau so hat es sich zugetragen, Dominus. Ich wurde von der Sklavin mit dem Tod durch die Flammen bedroht, wenngleich sich dadurch kaum etwas ändern würde. Tot bin ich seit sieben Jahren und der Brand war bereits mein Genickstoß. Alles, was ich wollte, war den Lohn für meine Arbeit."


    Wer Kyriakos kannte, hätte nun kritisch eine Braue gehoben ob des Lamentos. Aber Lurco kannte ihn nicht und so konnte er ihm schamlos ins Gesicht lügen. Geteiltes Leid war halbes Leid - und jetzt die Frau, die ihn gekratzt und geschmäht hatte, in die Scheiße zu reiten, daran hatte er große Freude.


    "Normalerweise arbeiten wir diskret. Aber hier geht es um einen Brandanschlag, darum - und nur darum - werde ich sprechen. Eireann war bei mir, um sich mir hinzugeben. Sie wünschte eine harte Behandlung, und die bekam sie, aber nicht über das gebotene Maß hinaus."


    Er strich sich vielsagend über den zerkratzten Hals, wo Blut und Asche sich zu einer schwarzen Kruste vermischt hatten.


    "Eine Sklavin hat auch menschliche Bedürfnisse, du hättest sehen sollen, wie sie sich unter mir vor Verzückung wand und meinen Namen stöhnte. Allerdings stellte sich im Anschluss heraus, dass sie mich gar nicht entlohnen konnte. Als ich ihr sagte, dass ich das Geld dann eben von ihrem Herrn einfordern würde, begann sie, mich zu bedrohen. Erst mit dem Namen ihres Herrn und dann mit Gewalt."


    Er musste husten, nach einer Weile fing er sich wieder. Diese Geschichte war es wert! Der positive Nebeneffekt war, dass ihm nun die Augen glänzten, als müsse er gleich heulen.


    "Dazu hatte sie allen Grund, denn ihr Herr hatte ihr nicht die Erlaubnis gegeben, sich zu vergnügen. Darum wollte sie nicht, dass er davon erfährt. Ich nahm das Ganze nicht sehr ernst und bat sie, bei Speis und Trank zu warten, bis die Sache geklärt sei. Damit verließ ich das Lupanar. Für uns Lupos ist jedes verdiente As, jeder einzelne Sesterz wichtig, wo ich mich doch auch um diese armen Straßenjungs kümmere. Sollten sie alle hungern? Ihr Besitzer Furius Cerretanus erbat noch Bedenkzeit, die ich ihm einräumte. So war Eireann so lange mein Gast, es mangelte ihr an nichts. Sie durfte unsere Betten benutzen und wir teilten das karge Brot mit ihr ... bis heute."


    Dass sie mit den Lupos an der Wand gekuschelt hatte, hatte jeder gesehen. Dieser Umstand würde seine Geschichte trefflich untermalen.

    Die Lupos schlossen die Lücke, indem sie dicht aneinanderrutschten. Die Suche nach Körperkontakt hatte nichts mit Zuneigung zu tun - die meisten von ihnen waren vollkommen abgestumpft. Stattdessen zeigte dies im Gegenteil das völlige Fehlen eines Gespürs von Individualdistanz oder des Bedürfnisses nach Privatssphäre. So beschaulich die aneinandergekuschelten Jünglinge und Kinder auch wirkten, es war, wenn man mit dem Herzen hinsah, ein trauriges Bild. Die Lupos sahen Eireann kurz nach, doch niemand unternahm einen Versuch, ihr zu helfen. Jeder war sich selbst der Nächste.



    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/t/abr6/6s7cgNymphis


    Der kleine Nymphis, an dem der Medicus abgesehen von einer leichten Rauchvergiftung keine Verletzung hatte feststellen können, hockte bei Python und versuchte, mit ihm zu sprechen. Er erhielt keine Antwort.



    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abfm/1krmpp/Satibarzanes


    Etwas abseits, allein, saß Satibarzanes, den gesunden Arm um die Knie geschlungen, die Augen dahinter verborgen. Sein verletzter Arm war verborgen vor den dicken Bauch gepresst. Er weinte, ohne Trost zu erwarten und er benötigte auch keinen - es waren Freudentränen und der schiere Drang, sich all die Ereignisse von der Seele zu waschen.



    Pollux[Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abc5/18wz45/] [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/t/abez/w7v9gCastor


    Die Zwillinge drückten sich bei Kyriakos herum, in dessen Faust sie eine wertvolle Münze wussten. Wie zwei Füchse umkreisten sie ihn langsam schlendernd. Die Blicke, die sie sich zuwarfen, sprachen für sich. Jedoch wussten sie auch, dass Kyriakos trotz seiner verkrüppelten Füße ausgesprochen wehrhaft war und zögerten.



    Kyriakos


    Kyriakos selbst blieb stehen, auch wenn er sich gern gesetzt hätte. Das Lauern war ihm nicht entgangen und er überlegte, ob jetzt der Zeitpunkt günstig sei, die Münze herunterzuschlucken. Wenn es zwischen ihnen Dreien knallen würde, dann richtig. Sollten sie den Denar aus seinen Eingeweiden herausschneiden!

    Kyriakos wich nicht, als die Frau ihre Hände auf seine Brust legte, und weiteres Unheil verkündete. Unnachgiebig stand er wie ein Fels und erwiderte ihren Blick. Niemals zu weichen gehörte zu seinen anerzogenen Prinzipien.


    Kyriakos kapitulierte nicht.
    Kyriakos wiederholte sich nicht.
    Kyriakos zeigte keine Schwäche.
    Weder bat er um Hilfe, noch äußerte er Klage.
    Weder bedauerte er sein Schicksal, noch das eines anderen.
    Aufrecht und den Blick nach vorn gewandt ging der Spartiate, selbst mit verkrüppelten Füßen noch.
    Schritt um Schritt ging er weiter.


    "Und wenn am Ende alles zu Asche wird, was ich berühre, so werde ich aufrecht durch die Asche gehen und meine graue Krone mit Stolz tragen. Ich fürchte deine Götter nicht, Sklavin. Denn ich bin mein eigener Gott."


    Damit löste er ihre Hände von seiner Brust und der Wahrsager nahm sich ihrer an. Wut war das einzige, was blieb und auch diese schluckte er Kyriakos nun herunter, um handlungsfähig zu bleiben. Mit Asche auf Haut und Haar wandte er sich seinem brennenden Lupanar zu. Und dort, wie von dem Feuer ausgespien und freigegeben, um dem Aschegott einen Diener zu geben, lag Python. Kyriakos schloss einen Moment die Augen. Dann ging er zu ihm. Vor seinem verbrannten Kopf sank er auf die Knie. Er musterte die entstellten Züge und sah, wie der mächtige Brustkorb sich langsam hob und senkte. Er fragte sich, ob er Python erlösen sollte.


    Lebe in Schande, Kyriakos, aber lebe ...


    Die letzten Worte seines Peinigers an ihn.
    Sein Urteil und sein Fluch, menschengemacht.
    Denn auch er hatte sterben wollen.


    Eine zeitlang kniete Kyriakos nur da und schaute zu, wie Python atmete. Dann streckte er eine Hand in Richtung der Zwillinge aus, die sich all die Zeit tatenlos an der Mauer herumdrückten und unter den Urbanern und Vigiles nach künftigen Kunden Ausschau hielten und leise über sie sprachen.


    "Ein Eimer Wasser und eine Löschdecke", tönte heiser Kyriakos´ Befehl.


    Auch Python würde leben.
    Sie würden gemeinsam den Weg ihres Fluches gehen.

    [Blockierte Grafik: https://www.minpic.de/k/abzt/g6lc5/Iugurtha


    Seit Iugurtha denken konnte, hatte er um jeden Bissen Nahrung kämpfen müssen. Hunger und Husten waren seine ständigen Begleiter. Iugurthas Körper hatte in den froststarren Nächten dazu gedient, anderen, denen es genau so elend ging, die Schlafnester zu wärmen, er hatte Schmerzen erlitten, die er nicht verstand, nur um einen weiteren Tag zu überleben, damit sein Martyrium des nachts weiterging. Tag um Tag, Nacht um Nacht, Winter um Winter.


    Als Kyriakos den dürren, kranken und zerschundenen Jungen vor zwei Jahren von der Straße ins Ganymed lockte, schlief Iugurtha das erste Mal in einem Bett und aß seine erste heiße Puls mit Fleischbrühe. Schmerz und Demütigung blieben, aber Krankheit und Hunger sanken auf ein erträglicheres Maß. Noch immer war es nicht sein eigenes Bett und noch immer lag er nicht allein, doch sein Leben wurde kalkulierbar. Kyriakos versprach ihm, wenn er gut arbeitete, würde Iugurtha, sobald er zu alt für diese Arbeit sei, wie Python als Beschützer sein Essen verdienen dürfen und einen eigenen Strohsack in der Kammer erhalten, in der die älteren Lupos wohnten, während er und die anderen Kinder im Keller eingesperrt hausten, wenn niemand ihrer Dienste bedurfte, damit sie nicht davonliefen. Igurtha hielt weiter durch, wartete auf die Zukunft, wuchs und machte Klimmzüge und Liegestütze, wie Python es ihm gezeigt hatte, damit er stark genug sein würde, wenn der Tag kam, an dem er nicht mehr für die Kunden lebte, sondern für die Knaben, die seines Schutzes bedurften. Und vielleicht auch eines Tages für sich.


    Nun lag Iugurtha reglos vor der Wand. Es hatte nur einer Sekunde bedurft, die er zur falschen Zeit am falschen Ort war, um die zarte Flamme der Hoffnung für immer auszupusten. Die Klinge eines Dolches hatte seinen rechten Lungenflügel kollabieren lassen und der heiße Rauch das finstere Werk endgültig vollstreckt. An der Wand, wo Iugurthas Leichnam gesessen hatte, ehe Atticus sie bei der Untersuchung hatte umgestoßen, war rechts und links mit Blut etwas gezeichnet, was im dichten Rauch nicht zu erkennen war. Man würde warten müssen, bis das Feuer gelöscht war, um die Zeichnung zu identifizieren. Vor den schlaffen Händen lag auf dem Boden ein Vogelschädel.


    Als Lurco seinen Namen rief, antworteten ihm nur das Rauschen der Flammen und das Knacken des verbrennenden Gebälks.