»Wir sollten zurückgehen«, drängte Python, als die Dämmerung zur Nacht wurde. Da es keine Straßenbeleuchtung gab, wurde es in der Subura langsam gefährlich.
»Macht dir die Dunkelheit Angst?«, fragte Kyriakos zurück. Nur mit einem griechisch anmutenden Lendenschurz angetan lehnte er an der Hauswand, einen Fuß auf Kniehöhe gegen den bröckelnden Putz gestellt.
Python ignorierte den Hohn. Als ehemaliger Gladiator hatte er so manchen Kampf ausgetragen. »Um diese Zeit sollten wir nicht hier sein. Wir haben für heute genug verdient und der Junge wird müde.« Er wies auf den sechsjährigen Knaben, der versuchte, die vorbeigehenden Männer für sich zu gewinnen, indem er auf einer Flöte spielte. In seinem schwarzen Haar trug er einen süß parfümierten Blütenkranz. Sonst trug er nichts.
»Wer sagt denn, dass es heute gefährlich wird?«, fragte Kyriakos, ohne auf die Bemerkung zu dem Jungen einzugehen. Er behielt das Kind im Auge, das in all dem Dreck unwirklich rein wirkte. Ein kleiner Gott, der in den Pfuhl niederster Menschen hinabgestiegen war. Als ein Mann sich verstohlen umschaute und nach dem Jungen griff, trat Python von der Hauswand hervor. Sein Anblick genügte. Der Mann lachte gekünstelt, als sei es nur ein Scherz gewesen, ehe er rasch weiterging. Der Kleine setzte unbeirrt seine Aufgabe fort, für die Dienste des Ganymed zu werben, dass die Gasse hinunter ganz am Ende zu finden war.
Python stellte sich wieder neben Kyriakos. »Satibarzanes hat Männer gesehen, die uns nicht wohlgesonnen sind. Wir sollten wirklich gehen.«
»Satibarzanes sieht viel, wenn der Tag lang ist. Besonders, wenn er früher Feierabend machen will.«
Die Stimme von Kyriakos hallte ungedämpft in den finsteren Gassen wieder. Er hatte keine Angst und wenn doch, würde er sie nicht zeigen. Der verbissene Zug um den Mund von Python entging ihm nicht, auch nicht der Zorn in seinen Augen. Er war für ihre Sicherheit zuständig und war derjenige, der im Zweifelsfall seine Gesundheit und sein Leben riskierte, damit sie ungestört arbeiten konnten. Dafür blieben ihm für die Zeit, in der er wachte, die noch unangenehmeren Arbeiten erspart. So trug er auch anstelle des Röckchens, wie sie ihre eigene Tracht in einem Anflug von Selbstironie nannten, eine Tunika mit einem Knüppel am Gürtel.
Da Kyriakos sich nicht überzeugen ließ, warteten sie noch länger erfolglos. Die Frauen der in der Nähe gelegenen Lupanare fingen die meisten Kunden ab, bevor sie auch nur in ihre Nähe kamen und heute war es besonders spürbar. Kyriakos vermutete, dass sie heute in einem davon irgendeine Festlichkeit abhielten. Mit wachsendem Unmut starrte er in die wachsende Finsternis. Die ersten schweren Ochsengespanne rumpelten die Via Collatina von der Porta Esquilina aus in Richtung der Innenstadt. Nachts war die Subura noch lauter als tags. Und je später es wurde, umso weniger brauchbare Kunden verirrten sich zufällig auf die Straße. Wer nun noch unterwegs war, hatte bereits ein festes Ziel vor Augen.
Nicon, ein abgekämpft aussehender Rotschopf, der aussah, als ob er gerade erst das Fest seiner Volljährigkeit gefeiert haben würde, wenn er Eltern hätte, tauchte aus den Schatten auf und reichte Kyriakos eine Geldkatze. Mit dem Handrücken wischte er sich den Rotz von der Nase. Der Grieche durchwühlte kurz die Einnahmen, dann band er sie an den Gürtel von Python und nickte.
»Du kannst Feierabend machen.«
Satibarzanes, der in der Nähe von Python auf den Fersen im Dreck hockte, sah dem Jüngling missmutig nach. Die Nervosität war ihm anzumerken. »Würden alle gleich viel mitarbeiten, ginge es schneller«, murrte er leise Python zu und Kyriakos wusste, dass er ihn damit meinte. Das war unverschämt, denn er organisierte und koordinierte hierdas alles.
»Satibarzanes, such dir eine andere Ecke. Und wage es dir nicht, ohne Begleitung oder Geld aufzukreuzen und wenn du bis morgen auf der Straße bleibst.«
Ohne Widerworte trollte der Mann sich. Kyriakos wusste schon, warum er ihn so selten wie möglich mit hinaus auf die Straße nahm. Weder war seine haarige, füllige Gestalt dazu geeignet, viele Kunden anzusprechen, noch taugte er für sonst etwas, wie Python, der wenigstens kämpfen konnte, auch wenn er kein erbaulicher Anblick war. Er musste zusehen, dass er Satibarzanes los wurde, bevor er endgültig zu alt war.
»Python.«
Er wies auf einen Mann, der erstaunt den Flöte spielenden Jungen musterte, der mit einer Hand an seiner Tunika zupfte, damit er mitkam. Das Zögern des Mannes hatte Kyriakos gereicht, um es als Zustimmung zu werten. Er hatte für heute die Nase voll. So trat also der ehemalige Gladiator zu dem Mann und gab ihm zu verstehen, dass er mitkommen müsse. Sein Nein akzeptierte er nicht. Er beförderte den verängstigten Mann durch die Gasse in den Schlund Ganymeds. Kyriakos blickte wieder nach vorn. Zwei weitere Lupos kehrten heim, lieferten bei ihm ihre Einnahmen ab und wurden im Gegenzug in den Feierabend entlassen. Aber auch sie hatten Angst und erzählten von den Schergen einer fremden Bande, die vermutlich die Kunden zu den anderen Lupanaren trieben und sie von den guten Stellen verjagten.
Kyriakos schaute sich noch einmal auf der Kreuzung um. Da war niemand Verdächtiges. Keine auffälligen Bewegungsmuster, keine verstohlenen Blicke. Dafür eine lausige Ausbeute, die das Risiko, das Haus zu verlassen, unnötig erscheinen ließ. Er brauchte einen weiteren Jüngling und musste diesmal besser darauf achten, dass er nicht aus der Form geriet. Oder einen zweiten Gladiator, um sich ein besseres Revier zu erkämpfen. Da Satibarzanes nichts konnte, würde er vielleicht als Plantagenarbeiter unterkommen können. Wenn sich gar kein Käufer fand, musste es eben das Kolosseum tun. Kyriakos konnte sich kein Mitleid leisten. Ihm schenkte schließlich auch niemand was, am wenigsten seine Lupos, die seine Bemühungen weder verstanden, noch zu schätzen wussten, einfältig, wie sie waren. Er wartete, bis der Junge mit dem Blütenkranz und der Flöte an ihm vorbei in die Gasse gehüpft war, ehe er sich abwandte und ihm folgte.