Als die neue Sklavin ständig von Tiberios sprach, entsann sich Hairan, dass er die Frau schon vor dem Brand des Ganymed flüchtig kennen gelernt hatte.
Damals war sie ein vor Gesundheit und Jugend strotzendes Sklavenmädchen gewesen, mit glänzenden Augen und vollem Haar, hübsch und Händchen haltend mit jenem alexandrinischen Sklavenjungen, der genauso freundlich, hübsch und verliebt aussah.
Mit anderen Worten: Verabscheuungswürdig!
Während dieses junge reizende Liebespaar zweifellos viele Herzen rührte, hatte es in Hairans Gemüt eine ganz andere Regung verursacht: Den Wunsch, beide auseinanderzubringen.
Am schönsten wäre es gewesen, sich das Mädchen zu nehmen und den Jungen dabei zusehen zu lassen - und danach umgekehrt, doch das stand leider nicht in seiner Macht; so hatte sich Hairan damit begnügt, mit süßen Worten von Freiheit zwischen der kriegsgefangenen Sklavin und dem verna, dem hausgeborenen Sklaven einen handfesten Streit zu entfachen.*
Aber nicht nur Hairan hatte sich durch Kleidung, Haartracht und Gebaren eine neue Identität zugelegt, auch Aethra war nun ganz verändert: Traurig, gebrochen und bleich - die Folterknechte des Carcers verstanden ihr Geschäft, dachte Hairan.
Sie betraten durch die Porta das Empfangszimmer, das nach seinen Entwürfen gestaltet worden war.
Die Wände waren blutrot gestrichen. Ein lokaler Künstler hatte aegyptische Götter aufgemalt oder was er für aegyptische Götter hielt, denn er kam nicht aus jener Gegend..
Aber Anubis mit dem Schakalkopf, Horus mit dem Falkenkopf und Sachmet, die Löwenköpfige, die Krankheiten brachte, konnte man gut erkennen; sie ragten grellfarbig und überlebensgroß an der Rückwand emphor.
Vor der Götterwand stand ein schwarzer Tisch. Darauf befanden sich eine Weihrauchschale, ein Dolch mit seltsamen Zeichen auf der Schneide und einem schlangenköpfigen Griff und ein menschlicher Totenkopf, in dessen Augenhöhlen zwei Kristalle funkelten.
Hinter dem Tisch stand ein Sessel, vor dem Tisch derer zwei. Sitzflächen und Rückenlehne waren aus schwarzen Lederbändern geflochten.
Licht und Luft fluteten durch eine Luke an der Decke hinein, denn es gab in dem großen Raum keine Fenster.
Ein leichter Luftzug bewegte Glöckchen und Münzen, die unter der Luke aufgehängt worden waren. Der Weihrauch aus der kupfernen Schale kräuselte sich und stieg zur Decke , die dunkelpurpurnen Vorhänge, die die Tür zum Garten verdeckten, blähten sich, als würden sie von unsichtbarer Hand bewegt.
Das alles konnte einfachen Gemütern Angst einjagen.
"Mach dir doch nicht so viele Gedanken, Aethra!", sagte Hairan und lächelte jenes Lächeln, das seine Augen niemals erreichte:
"Ich sage dir gleich, welche Aufgaben du zunächst hier hast, und wie du so scharfsinnig bemerkt hast:
WIR leben in der Subura. Setz dich doch!"
Er wies auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, dann holte er einen Krug und schenkte sich einen Becher, der Sklavin aber halbvoll, ein.
Im Krug war Nepenthes, der Trank aus Wein und Papaver, Opium. Hairan trank diesen Trunk schon viele Jahre und war an ihn gewöhnt, war man ihn nicht gewohnt, würde er sehr, sehr schläfrig machen.
"Du hast bestimmt Durst vom weiten Weg.", sagte Hairan fürsorglich, dann zog er eine Augenbraue hoch:
"Ist dir der Wein zu stark? Einen Moment, ich hole dir frisches Wasser aus dem Brunnen, um ihn zu mischen."
Er verschwand und kam mit einem zweiten Krug zurück.
In diesem Krug befand sich tatsächlich Wasser, das der Parther aber mit Dorykonon – Nachtschatten versetzt hatte, wenn auch nicht allzuviel, er wollte Aethra nicht töten, sondern ihr eine Lektion erteilen.
In geringer Dosis verursachte das Gift lediglich Halskratzen, Schweißausbrüche und scheußliche Übelkeit, bis die Sklavin schließlich durch Nepenthes in einen tiefen Schlaf fallen würde.
Hairan mischte Wasser zum Wein, dann sagte er:
"Trink etwas! Und danach wollen wir uns über Schicksal unterhalten."