„Ich hoffe doch, der kleine Nymphis befindet sich wohl.“, sagte Hairan und wechselte ins Griechische. Er sprach passabel koiné, das im Partherreich eine verbreitete Umgangssprache war, aber nicht so ,dass er sich einem Griechen gegenüber als Muttersprachler hätte ausgeben können. Kyriakos wußte, wie der Magus wirklich hieß und vermutlich auch, dass er aus einer bedeutenden parthischen Familie stammte, denn Hairan deutete das ihm gegenüber sehr gerne an.
Der Parther sah regungslos zu, wie der junge Evenor gierig zugriff. Er warnte ihn nicht, als der Jüngling zwei Becher von dem angereicherten Wein trank, aber in seinem Mundwinkel zuckte es. Ein neuer Kunde für nepenthes? Einige der anspruchsvolleren Lupos und Lupas bezogen es aus seinem Haus, denn es half ihnen wunderbar, ihr Leben zu auszuhalten.Sogar die Zumutungen besonders widerlicher Kunden glitten an jemandem, der nepenthes getrunken hatte, ab wie Öl. Der Nachteil: Papaver*, das den Grundstoff bldete, war zwar wirkungsvoller, aber auch viel teurer als billiger Wein. Wer nepenthes verfiel, war gezwungen, über jedes Maß hinaus in den Lupanaren zu arbeiten oder zu stehlen.
Die einzigen Hairan bekannten Lupos, die keinen Wert auf Rauschmittel legten, waren Kyriakos und Velia.
Auch jetzt trank der ehemalige Lupanarbesitzer nur Wasser.
Weil Kyriakos' jugendlicher Begleiter an den Trank nicht gewöhnt war, trat die Wirkung fast sofort ein: Evenors Augen glänzten groß und schwarz und ein seliges, etwas dümmliches Lächeln zeichnete sich in seinem Gesicht ab. Er setzte sich auf die Stuhlkante und wiegte sich leicht hin -und her.
Hairan selbst nahm einen großen Schluck aus seinem Becher, papaver war ein Bestandteil von Theriak, und der Parther war seit Kindesbeinen an Theriak gewöhnt worden.
„Ich hoffe doch, dass Evenor jetzt nicht sofort einschläft.“,sprach er etwas amüsiert und kam dann zu seinem Wunsch:
„Ich hatte kürzlich einen Kunden aus Hellas ,und seine Erzählung inspirierte mich zu einer anregenden Szene. Ich sah vor meinem inneren Auge den jungen Evenor als deinen Eromenos und du, Freund Kyriakos warst sein Erastes.**
Ich wünsche das Vergnügen zu haben, zu sehen, wie leidenschaftlich ihr Griechen es mit euren Knaben treibt, denn das tut ihr doch wohl. Doch wie fangt ihr es an? Nähert ihr euch während der Lektüre?
Reizt ihr den Jungen mit auserlesenen Zärtlichkeiten? Nehmt ihr ihn euch dann richtig her? Erlebt er Lust oder duldet er es nur? Vielleicht erinnerst du dich selbst noch an deine eigene Zeit als pais, als griechischer Knabe.“
Den letzten Satz betonte Hairan mit einer gewissen Boshaftigkeit.
Er nahm eine Schriftrolle von seinem Schreibtisch, beugte sich vor und drückte sie Evenor in die Hand, der sie jedoch beinahe fallen ließ, so sehr war er bereits weggetreten.
„Na, na,na aber nicht doch, mein lieber Eromenos, auf zum Studium.“, sagte der Parther, und drehte Evenor so hin, dass er mit dem Rücken zu Kyriakos saß:
„Mit diesem Spektakel würdet ihr mich in der Tat sehr erfreuen.“
* Opium
** Erastes/ Eromenos