Beiträge von Iullus Seius Iunianus Fango

    Ocella hatte scheinbar einen guten Tag, denn Tisander bekam nur einen garstigen Blick. Fango vertrat sowieso die Auffassung, dass der Vexillarius trotz seines Mundwerks in Ordnung war, auch wenn alle sich einnässten, selbst wenn er nur an ihnen vorbei zur Latrine stapfte. Er hatte sie noch nie ungerecht behandelt.


    Als sie eine klare Anweisung bekamen, wer nun Nuntio machen sollte, flatterten Fangos Sorgen davon wie Nachtfalter beim ersten Sonnenstrahl. Befehle waren etwas Wunderbares. Sie stifteten Ordnung und induzierten Effizienz. Alles ging viel schneller mit klaren Regeln, Anweisungen, Verordnungen, Befehlen. Die Fehlerhäufigkeit wurde reduziert, Diskussionen gespart und am Ende gab es einen klaren Schuldigen - wenn auch meist am unteren Ende der Befehlskette.


    "Vexillarius Matinius Ocella, Eques Seius Iunianus Fango", verkündete er. "Die Stube und die Vorkammer wurden geputzt und aufgeräumt!"

    Fango glubschte mit großen Augen. Er hatte gerade zur Nuntio ansetzen wollen, weil der Vexillarius ihn so anstarrte, als ob er die Nutio von Fango erwarten würde, als von links Tisander wohlmeinend in die Bresche sprang, so dass er den Mund wieder schloss. Fango wagte dabei nicht, den Blick von Matinius Ocella abzuwenden und schaute weiterhin drein wie ein Fisch, in der Hoffnung einer Anweisung, wer von ihnen nun die Nuntio machen sollte.


    Er selber wusste noch genau, was dabei erwartet wurde - wenn es etwas gab, worin er abseits vom Bogenschießen und Ordnung halten wirklich gut war, dann Theorie! Das Regelwerk kannte er praktisch auswendig und saugte jede Information, die er aufschnappen konnte, auf wie ein Schwamm. Tisander hingegen war eher praktisch veranlagt, er war einer der besten Reiter, die Fango kannte, mit großem Verstand für die Pferde. Vielleicht war das auch der Grund, warum Tisander sich, wenn er bockte, in den Stall zurückzog ... er verstand die Pferde besser als die Menschen.

    Nicht ernst? Es ging hier um eine Stubenkontrolle!!


    Fangos Schultern sanken ein Stück hinab. Er schaute auf die Decke unter seinen Knien. Na ja. Wenn er ehrlich war, dann war das Bettzeug nicht auseinandergerissen worden, sondern jemand hatte nur die Decke verrückt, so dass sie nicht mehr symmetrisch war. Nicht mehr als eine Neckerei war das, vermutlich humorvoll gemeint. Fango kletterte vom Bett, zog die Decke - nun daneben stehend - erneut zurecht und half dann Tisander beim Sortieren der Äpfel.


    "Wenn die unreifen Äpfel weiter hinten sind, sorgt das dafür, dass jemand, der sich gedankenlos etwas zu Essen nimmt, immer das am wahrscheinlichsten verderbliche Exemplar ..." Er unterbrach sich, weil er feststellte, dass Kirran ihm mit hochgezogenen Brauen folgte. Fango musste nun selber grinsen und machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ach vergesst es. Wird schon nicht auffallen."


    Und wenn doch, war es nicht seine Schuld und er hatte Anlass, bei der nächsten Aufräumaktion den moralischen Zeigefinger zu erheben. Er würde die Äpfel einfach später selber sortieren, wenn keiner störte.

    "Jawohl, Vexillarius", plärrte es im Chor, zeitgleich mit dem Moment, in dem die Tür ins Schloss fiel.


    "Sehr schön", freute sich Fango, dem der Zustand der Stube schon missbilligend ins Auge gefallen war. "Endlich sagt es mal einer!" Wie es in einem Lupanar aussah, wusste er nicht und gedachte das auch nie herauszufinden. Seine eigene Ausrüstung war natürlich längst den Vorschriften entsprechend verstaut. Auch sein Bett war gemacht. So konnte er sich ganz darauf konzentrieren, die anderen auf die zahllosen Mängel hinzuweisen, die ihm ins Auge sprangen.


    "Da in der Bettdecke ist noch eine Falte", stellte er fest. "Geht gar nicht! Habt ihr überhaupt schon oben auf den Bettpfosten Staub gewischt?" Anklagend hob er den staubigen Zeigefinger, mit dem er das überprüft hatte. "Wenn der Vexillarius das sieht! Leute, gebt euch doch mal mehr Mühe!"


    "Sag mal ...!", erboste sich Kirran, als Fango daran herumnörgelte, wie seine Caligae standen.


    Fango zeigte mit dem staubigen Finger auf ihn. "Wenn der Vexillarius wiederkommt, werdet ihr mir dankbar sein! Du hast es ja gehört, unser Contubernium war für besonders vorbildliche Ordnung und Sauberkeit bekannt. Das hat sich scheinbar bis zu den Offizieren herumgesprochen. Wir tragen hier die Verantwortung! Wenn ihr das so unordentlich und dreckig lassen wollt, dann bitte nur eure Seite und sagt dem Vexillarius dann selber, dass ihr euch weigert, für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Es ist ja nicht meine oder Tisanders Freizeit, die dann mit Strafarbeiten zugestopft wird!"


    "Hier ist nichts mehr dreckig oder unordentlich!" Kirran wies mit einer umfassenden Geste in den Raum. Ja, jetzt war die Stube langsam vorzeigbar. "Und es gibt hier auch keine zwei Seiten!"


    Fango zeigte auf den Ofen. "Und wann wurde zum letzten Mal die Asche fortgebracht?" Er nahm den Ascheeimer, schaufelte und schaffte die Asche selbst weg. Er wollte ja nicht nur nörgeln, sondern selbst mit anpacken. Doch als er wiederkam, hatte irgendwer sein Bett auseinandergerissen. Bestimmt der blöde Kirran. Und von dem hatte er Räucherwürstchen angenommen! Fango schoss die Zornesröte ins Gesicht. Inzwischen sah die Stube dank seiner und Tissis Bemühungen endlich vorzeigbar aus und nun das.


    Er kletterte hoch und versuchte, in der verbleibenden Zeit, alles wieder in Ordnung zu bringen. Das stellte ihn vor eine Herausforderung, denn wie er feststellen musste, war weder seine Decke noch sein Bett wirklich rechtwinklig, so dass es unmöglich war, die Kanten parallel zueinander auszurichten. Tönten da draußen Schritte? Fango geriet in Panik.


    "TISSI", schrie er und fuchtelte mit dem Zeigefinger in Richtung des Vorratsregals, während er in der anderen den Zipfel seiner störrischen Decke hielt. "Die Äpfel!!!" Die standen nicht in ordentlichen Reihen mit dem Stiel nach oben, so wie es sich gehörte, sondern kullerten durcheinander. Sie waren nicht einmal nach Reife sortiert!

    "Na, dann hoffe ich, dass du hier auch so viel Freude an dieser Aufgabe hast, falls es damit eines Tages klappen sollte", antwortete Fango freundlich. "Ich bin vermutlich der einzige, der als Junge Raufereien schon immer hasste ... was vielleicht daran lag, dass ich jedes Mal vermöbelt wurde. Der Fluch des Letztgeborenen. Hab ich dir die Bissnarbe schon mal gezeigt?!"


    Natürlich hatte er das. Jeder, der Fango näher kannte, kannte auch die zwei Halbmonde, wo sich Scatos Zähne tief in sein Fleisch gegraben hatten, und die dazugehörige Geschichte.


    "Ich habe lieber gelesen und gelernt und so."

    "Ich weiß nicht, ob ich gut darin bin, zu kommunizieren, aber es macht Spaß. Die edle Spende ist von Kirran." Fango zeigte mit dem halben Würstchen auf ihren Kameraden. "Ist Vater geworden! Hau rein, sie sind für alle."


    Großmütig verteilte Fango die Räucherwürstchen, die gar nicht ihm gehörten, aber irgendwie ja doch, wenn Kirran sie an alle verschenkt hatte. Scheinbar war Alkohol verboten oder Kirran wollte keine Getränke ausgeben, was ihn prompt sympathisch machte, obwohl Fango nicht sicher wusste, ob dem tatsächlich so war. Sie konnten schließlich jederzeit einen Marschbefehl erhalten!


    "Den größten Teil der Zeit hab ich unsere Kundschafter nur beim Auskundschaften vom Gelände gesehen. Auch wichtig, klar, aber ich weiß nicht, ob sie überhaupt noch was anderes tun. Wenn ja, dann nicht oft, sie sind ja Teil der kämpfenden Truppe. Du belauschst und beobachtest gern heimlich Menschen?", hakte Fango nach.


    Die machten doch nur stinklangweiliges Zeug ... arbeiteten irgendwas, popelten heimlich, brabbelten vor sich hin. Die langweiligste Aufgabe von allen war vermutlich, einen Wachposten zu beobachten, der nur rumstand und seinerseits in die Gegend starrte.


    "Ich glaube, sonderlich tolle Schlüsse zieht ein Kundschafter gar nicht, er teilt nur mit, was er sieht. Das Schlussfolgern übernimmt dann am Ende sein Offizier, oder?"


    Ein Kundschafter war immerhin kein Spion, der am Ende einen komplexen Bericht weiterleiten musste, sondern kundschaftete nur das Gelände aus und behielt die gegnerischen Truppenbewegungen im unmittelbaren Umfeld seiner Einheit im Auge. Oder doch? Fiel Spionage auch in den Aufgabenbereich eines Kundschafters? Er war nicht ganz sicher, ob er sich irrte oder ob Tisanders es tat und noch einem verklärten Jugendtraum nachhing. Aber er lernte gern dazu und so war seine Frage ehrlich gemeint. Gerade weil er sich bisher damit nicht weiter befasst hatte, war ein Irrtum durchaus möglich.

    Fango ließ Tisander erstmal eintreten. In der Tür stehend zu plaudern, mochte zwischendurch ganz entspannend sein, aber sein Kamerad wollte sich schließlich hier einrichten. Fango setzte sich auf einen der Stühle, damit Tisander Platz hatte, um zur räumen. Auch die anderen Kameraden saßen dort, die mehr oder weniger geleerten Schüsseln mit der Räucherwürstchen-Mahlzeit noch vor sich stehend. Auf einem Teller in der Mitte lagen noch weitere Räucherwürstchen. Irgendwer hatte heute scheinbar einen augegeben.


    "Kundschafter? Was gefällt dir daran?", erkundigte Fango sich neugierig. In seiner Vorstellung lag man dafür tagelang mutterseelenallein bei Wind und Wetter in einem schlammigen, kalten Versteck auf der Lauer, um den Gegner zu observieren. Er stellte sich die Arbeit unsagbar trist vor, obendrein überdurchschnittlich gefährlich. "Bisher habe ich ja nur regulären Dienst geschoben, ich kann also noch gar nicht sagen, worin ich besonders gut bin. Es wird sicher auch noch dauern, ehe man uns Spezialaufgaben anvertraut, oder? Mir wäre irgendwas recht, wo Kooperationsfähigkeit gefragt ist. Du weißt, ich rede gern mit Leuten und freu mich, wenn ich irgendwas tun kann, damit hinterher alles perfekt ist. Aber ich denke nicht, dass wir uns den Einsatzschwerpunkt selbst aussuchen können, vermutlich teilt man uns dort ein, wo wir gebraucht werden."


    Fango musterte Tisander neugierig. Vielleicht wusste der Kamerad ja etwas, was Fango noch nicht wusste?! Er spießte sich ein weiteres Würstchen auf das Messer und begann zu knabbern.

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    Fango hatte Glück. Ein paar gut gelaunte Equites, die ihn schon kannten, wollten ihn gern bei sich in der Stube haben und lockten ihn mit ein paar Räucherwürstchen hinein, auch wenn sie behaupteten, dass er nur den Platz blockieren sollte, damit niemand noch Schrecklicheres sich in das freie Bett legen würde. Fango machte den Spaß mit und schnurpste seinen Anteil an den Würstchen. Man blödelte ein wenig herum und dann begann er, sich einzurichten.

    Fango schüttelte den Kopf und wandte sich seiner Ausrüstung zu. Nach und nach verstaute er alles. Sein Geschirr, seine Würfel, etwas Dekoration, seine Badesachen, die zum Trocknen vor dem Fenster über einem Stuhl hingen. Bald wirkte der Raum kahl und leer. Das Hab und Gut wurde in der Nähe der Tür gelagert, während sie gemeinsam die Stube aufräumten und für die Nachfolger kehrten, Staub wischten und putzten. Fango machte die Betten, auch das von Tisander. Sie kontrollierten am Ende, ob alles sauber und ordentlich war, lüfteten auch noch einmal durch.


    Etwas wehmütig, aber auch innerlich ausgelaugt von dem sinnlosen Gezanke mit Tisander betrachtete Fango noch einmal die Stube, in der sie zu viert so lange gewohnt hatten. Sie hatten sich fast immer gut verstanden, obwohl sie alle vier sehr unterschiedliche Menschen waren. Nun trennten sich ihre Wege. Nicht vollständig, denn sie alle blieben Teil der Ala, aber im Kleinen, denn sie waren unterschiedlichen Turmae zugeteilt. Fango strich sich mit dem Handrücken über die brennenden Augen. Dann nahm er sein Gepäck auf und verließ als vorletzter die Stube. Der Letzte würde Tisander sein, wenn er wiederkam, um das Gepäck abzuholen, das sie ihm zusammengepackt und neben den Eingang gestellt hatten.


    Leise schloss Fango die Tür.


    RE: Turma II - Stuben der Equites >>

    Zufrieden registrierte Fango die gute Laune von Ocella. Der Vexillarius ließ sich sogar dazu herab, etwas Freundliches zu sagen. Was ein Kuchen doch bewirken konnte. Kaum war der Vexillarius draußen, ging das Gejohle und Geklopfe los, als man sich gegenseitig beglückwünschte. Fango war für einen Moment nicht mehr zu sehen, weil er irgendwo unter der miefenden Filzmähne von Zisimos verschwunden war, ehe er nach Luft schnappend wieder wieder auftauchte und nun Alwin in gleicher Manier beglückwünscht wurde.


    Fango zog eine Grimasse. Turteltäubchen, von wegen. Bei Tisander war er schon seit Tagen unten durch, ohne überhaupt zu wissen, warum! Sein Kumpel hatte vor kurzem sogar seinem Wunsch Ausdruck verliehen, in eine andere Turma als die von Fango eingeteilt zu werden. Und da sie noch immer zu keiner Einigung gekommen waren, war die Nachricht, dass sie zusammenbleiben würden, eher Anlass zur Betrübnis. Diesen Decurio Atius Scarpus kannte er auch nicht, aber der war sicher in Ordnung. Immerhin hatten sie endlich die Ausbildung geschafft, und zwar alle. Niemand war hängen geblieben.


    Fango warf Tisander einen Blick zu, nicht wissend, wie er nun reagieren sollte, während Zisimos kurz das Blickfeld versperrte, Tisander nun ebenfalls mit seinem Flohpelz segnete und dann guter Dinge zu räumen begann.

    Fango wusste nicht, wo sein logischer Fehler war. Er hatte doch alles versucht, um ihre Freundschaft zu retten, von der Tisander meinte, sie würde gerade zerbröckeln. Aber warum tat sie das überhaupt? Fango strengte sich an und überlegte, wo er einen Fehler gemacht haben könnte.


    "Ist es, weil ich meinte, dass ich nicht in ein Lupanar gehen will?", erkundigte er sich vorsichtig. "Damit hatte es angefangen, oder? Für mich ist das nichts, Tissi. Vielleicht sehe ich das eines Tages anders, wenn ich verbittert und vernarbt und von den Jahren verwittert hundert Schlachten geschlagen habe und weitere tausend noch vor mir sehe, ehe ich wieder nach Hause kann. Wenn mir alles egal ist, da alles seinen Sinn verloren hat, weil zu viele gefallen sind und es keinen Grund mehr gibt, für den ich noch ich selbst bleiben möchte. Aber noch bin ich nicht so weit, meine Ideale über Bord zu werfen.


    Du möchtest mir anbieten, von vorn anzufangen. Ich bin einverstanden. Lass uns aufhören zu streiten", fügte er leise hinzu.

    "Weil du es selbst behauptet hast." Fango hakte die Daumen in seinen Gürtel. "Natürlich ist mir klar, dass du das nur aus Trotz gesagt hast, aber was soll ich machen, wenn du so mit mir redest? Ich hatte dir einen Kuchen gekauft und versuche die ganze Zeit, dich zu beruhigen, werde aber dafür ununterbrochen angegiftet. Rede doch einfach mal normal mit mir und sag mir, warum du wirklich so wütend bist. Ich habe dir nichts getan, ich wollte dir sogar helfen."

    Die Stille war drückend, als es an Fangos Turma war, abzurücken. In einer langen Reihe ritten sie davon. Sprechen war generell ein Unding, aber hier und da fiel sonst eben doch mal ein leiser Kommentar. Heute sagte niemand etwas, nur das dumpfe Klopfen der Pferdehufe und das Klimpern, Knarren und Klirren der Ausrüstung hallte über den weiten Platz. Noch immer qualmten die niedergebrannten Haufen.


    Eines Tages würde jemand auch Fangos heiße Knochen aus der Asche lesen und die von jedem, den er mochte. Asche und Knochen, das war alles, was von ihnen blieb. Ein Gefühl der Sinnlosigkeit überkam ihn. Wie hatte noch gleich der motivierende Spruch des Decurios gelautet? Das lange Starren auf die niederbrennenden Scheiterhaufen hatte Fango zermürbt.


    Mürrisch wirkte er nun, ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Art, als er mit den anderen abzog, nicht wissend, was zu tun sei mit seinem restlichen Tag. Rumsitzen, irgendwas putzen. Die Nägel an den Sohlen kontrollieren, kochen, aufwaschen. Ja, so würde er die Zeit schon rumbekommen, bis es ihm wieder besser ging und ein neuer Tag im Dienst für das Imperium begann.

    Mit dem Herunterbrennen des Feuers hatten sich auch Fangos heftige Gefühle gelegt. Die Trauer und das Mitleid waren einer merkwürdigen Mischung aus Resignation und Entschlossenheit gewichen, zwei Gefühlen, die sich eigentlich gegenseitig ausschlossen. Aber niemand hatte je behauptet, dass Gefühle logisch wären. Resignation beim Blick auf die Scheiterhaufen. Entschlossenheit beim Blick auf die Lebenden. Nur den trauernden Vater durfte Fango nicht zu lange ansehen, sonst geriet sein hauchdünnes Willenskonstrukt, das ihn aufrecht hielt, wieder ins Bröckeln und es kam alles wieder hoch.

    Fango hatte aus purer Opposition beschlossen, wie ein Stein zu schlafen. Ein letzter Blick auf Zisimos und Alwin, die schliefen wie die Säuglinge, um sich von ihnen inspirieren zu lassen, dann war er hochgeklettert. Dort hatte er noch einen Zipfel von Tisanders Decke, der auf seine Hälfte lugte, herübergeschoben und das Kissen korrigiert, ehe er sich mit dem Rücken zu leeren Betthälfte gedreht eingerollt und die Augen geschlossen hatte. Tatsächlich schlief er tief und fest.


    Noch vor dem vertrauten Weckruf wurde er durch eine andere Stimme aus dem Schlaf gerissen. Fango hob den Kopf, sein Haar zeigte in alle Himmelsrichtungen. Wortlos und noch tapsig vom Tiefschlaf kletterte er das aus Baumstämmen gezimmerte Doppelstockbett herunter, das keine Leiter hatte. Er warf sich den Wollmantel über die Schlaftunika, schlüpfte in seine Caligae, ohne sie zu schnüren, und schlappte nach draußen, wo er auf den sehr übernächtigt wirkenden Tisander wartete.


    "Hast du dich wieder beruhigt?"


    Fango gähnte. Zwischen faltigen Augenlidern hindurch schaute er nach dem Stand der Sonne, um abzuschätzen, ob es sich lohnen würde, nach dem Wortwechsel noch einmal ins Bett zu kriechen.

    Fango blickte noch einmal zu Nepos, der dem aufsteigenden Rauch nachblickte, zu Ocella, der schweigend der Verbrennung ihrer Kameraden zusah, zu Andriscus, der sich kaum regte, dann auf den Kopf seines kleinen Schecken, der auch schon nicht mehr der Jüngste war.


    Die kurze Ansprache von Decurio Germanicus Varro war gut, sie gefiel Fango. Der Mann war von zahllosen Kämpfen hart und kalt wie ein Knochen geworden. Nichts war ihm anzumerken und vielleicht war er nicht nur ein besonders überzeugender Schauspieler, sondern stand tatsächlich so hoch über solchen Dingen. Sicher nicht die schlechtesten Eigenschaften für einen Decurio oder allgemein. Auch Decurio Euqitius Calenus zeigte keine sichtbare Regung.


    Fango selbst wäre auch gern etwas kühler im Kopf gewesen, aber sicher kam das mit den Jahren und mit der Erfahrung. Varro war doppelt so alt wie er selbst oder vielleicht sogar drei Mal so alt ... Fango galt erst seit 4, nein, mittlerweile 5 Jahren als erwachsener Mann. Vermutlich war es das Kind in ihm, das weinte, und dem er noch nicht ganz entwachsen war. Er beschloss, sich die Worte dieser Verbrennung aufzuschreiben und zu verinnerlichen, damit sie Teil des Fundus an kleinen Leuchtfeuern wurden, die ihm den Weg durch sein Leben weisen sollten.

    Fango stand da wie vom Donner gerührt und fragte sich, ob Tisander wohl einfach keine Versöhnung wollte. Zwei mal hatte Fango es mit Honigzünglein versucht. Zwei mal war er Tisander hinterhergelaufen, um ihn aufzuhalten. Ein drittes Mal würde er das nicht tun. Ein wenig Stolz war ihm noch geblieben. Dass er in einem Stall schlafen sollte, weckte böse Erinnerungen an seine Zeit im Hühnerstall, wo er sich oft vor den Launen der Seia Sanga versteckt hatte. Fango war kein ängstlicher Junge mehr, er war ein erwachsener Mann und Seia Sanga tot. Ganz sicher würde er in keinem Stall mehr nächtigen.


    Der Wind zerrte kalt an seiner Schlaftunika und ließ ihn frösteln. Da an seinem schmalen Körper nichts war, was ihn isolieren könnte, fror er schnell, doch vielleicht war es heute nicht nur die nächtliche Kälte, die in seine Glieder kroch. "Gute Nacht, Tissi", antwortete er müde, ehe er sich abwandte, um zurück in sein Bett zu kriechen.