Einst in der ihm heute geradezu luxuriös anmutenden Entscheidungsfreiheit seines Heimattempels aufgewachsen, auch in pekuniären Angelegenheiten, waren Ravilla jene von derart inniger Rivalität durchdrungenen Gedanken der Finanzpolitik noch fremd, die der Magistrat ihm geduldig zu erläutern geruhte. Doch langsam meinte der Seius zu verstehen, auf welche Gesetzmäßigkeiten Flavius Gracchus Minor hinauswollte.
"Die Frage, was etablierte Senatoren bewegen sollte, einem Homo novus ihre Unterstützung zu offerieren, ist in der Tat relevant", sprach der Seius langsam, denn parallel verzogen sich komplexere kognitive Prozesse, als er sich mühte, seine vertrauten Gedankenbahnen zu verlassen und neues Denken zu erlernen. "Unterstützung erhält, wer Unterstützung ist. Do ut des, auch - und vielleicht gerade - als Emporkömmling im Senat. Auf dem Weg in die Curia Iulia ist es folglich eine ratsame Strategie, Nützlichkeit für die bereits laufenden Projekte der älteren Senatoren zu generieren. Wer bereits geholfen hat, wird es leichter haben, selbst positive Antwort auf die Bitte um Unterstützung für ein eigenes Projekt zu erhalten. Erst recht sollte man in diesem Stadium keinen Senator pikieren, indem man durch suggieriert, die traditionelle Methodik der Staatslenkung sei unvollkommen.
Bis auf dieser stabilen Basis und mit dem gewonnenen Erfahrungsschatz einst erwogen werden kann, auch eigene, moderner anmutende Ziele in das Gesamtgefüge zu weben, welche nicht revolutionär wirken sollten, sondern als eine Perfektionierung des bereits gut funktionierenden Bestehenden fungieren müssen. Tradition als Trittleiter zur Moderne. Das Eine muss langsam und mit der Zeit gehend - diese nicht überholend - aus dem Anderen heraus wachsen."
Während der letzten Worte sah Ravilla sein Gegenüber fragend an, um zu evaluieren, ob das gezogene Fazit mit der beabsichtigten Aussage deckungsgleich war.
"Gern nehme ich dein Angebot an, mich auch künftig an dich zu wenden. Mir sei die Aussage gestattet, dass mir der Rat eines so erfahrenen und umsichtigen Mannes teuer ist und ich dankbar bin für die investierte Zeit. Es ist besser, im Vorfeld beraten oder gar an unklugen Schritten gehindert zu werden, als im Nachhinein die Scherben der eigenen Vision zusammenfegen zu müssen und seine Träume mitsamt der Jugend zu Grabe zu tragen."
Im Gegenteil erachtete Ravilla es als unklug, sich eigenbrödlerisch gegen Rat zu verschließen und das ehrliche Wort von sich zu weisen, nur weil es womöglich eine unangenehme Wahrheit enthielt.
"Über das Arrangement eines Gesprächs mit dem Praefectus Urbi wäre ich in hohem Maße verzückt! Ich hatte bereits Gelegenheit, während eines Opfers für Mars mit ihm und Senator Annaeus an einem Tisch zu speisen1, auch dein geschätzter Vater saß in dieser Runde."