Für seine Ansprüche sah Ravilla furchtbar aus und er war sich dessen schmerzlich bewusst. Das klassische Weiß von Toga und Tunika ließ ihn farblos wirken. Einem Nebelhauch gleich, die Schritte seltsam fern in der Stille widerhallend, wandelte er nach vorn, als der Zeitpunkt gekommen war. Dort stand er wie vor einem Tribunal, versinkend in der Bedeutungslosigkeit gegenüber all der Prominenz, die ihn nicht nur sichtbar, sondern auch dem Gefühl nach bleischwer umgab. Anaxis hatte seinem Herrn davon abgeraten, die dunklen, faltigen Regionen unterhalb seiner Augen in der gewohnten Intensität zu kaschieren, die bei Augenringen des gegenwärtigen Ausmaßes eine vollständige Maskierung des restlichen Gesichts eingeschlossen hätte, um keine farblichen Unterschiede zu generieren. Gleichsam war dies das Stichwort, auf welches Anaxis verwiesen hatte - Maskierung. Eine kosmetische Behandlung in der üblichen Intensität würde auf den Senat unehrlich wirken, folgte man seiner Interpretation, und müde hatte Ravilla zugestimmt, ihn in ein geisterhaft nichtssagendes Wesen zu verwandeln.
Der Wahlkampf hatte an ihm gezehrt, gemeinsam mit den Wettergöttern. Er hoffte, dies sei nicht allzu negativ aufgefallen in den letzten Tagen. Mit dem Gefühl eines Bohrers, der sich vom Hinterkopf quer durch sein Hirn tief in den Augapfel schraubte und geplagt von einem quälenden Brechreiz, ohne dass dieser in Erlösung mündete, mutierte sein Dasein zur Zumutung. Der Herbst war die schlimmste, die grausamste Jahreszeit, die des Sommers Lust unter grauen Wolken erstickte und mit eisigen Winden den Bäumen das Leben von den Ästen riss und die Freude der Menschen ausblies wie Kerzenflämmchen.
So stand Ravilla nun sichtbar geplagt vor den Patres conscripti, den hiesigen modischen Gepflogenheiten mehr als üblich angepasst. Allein die dunkle Umrandung seiner Augen hatte er beibehalten, den gänzlich mochte er auf einen Verweis seiner östlichen Abstammungslinie nicht verzichten. Dies hätte ebenso unehrlich gewirkt. Dunkel blickten seine Augen aus dem heut älter wirkenden Gesicht. Versagte er vor dem Volk, so war dieses dessen einfachem Gemüt zuzuschreiben. Versagte er jedoch vor dem Senat, war das Urteil vernichtend.
"Verehrte Patres conscripti." Einsam hallte seine Stimme durch die Stille der Curia Iulia. "Manch einem ist meine Person bekannt, den Übrigen gestattet mir, mich vorzustellen. Galeo Seius Ravilla lautet mein Name. Am heutigen Tag stehe ich vor euch zur Kandidatur für das Vigintivirat, um als Tresvir capitalis dem Senat und dem Volk von Rom zu dienen."
Mit dieser simplen Wahrheit nahm seine Rede ihren Auftakt. Wer mit einer Wahrheit begann, welche der Zuhörer akzeptierte, genoss für die folgenden Worte gleichsam einen gewissen Vertrauensvorschuss. Ravilla gab sich keiner Illusion hin, die erfahrenen Staatsmänner durch Verschleierung, Übertreibung oder vergleichbares Handwerkszeug aus dem Fundus rhetorischer Taktiken täuschen zu können. Sie alle hatten eine entsprechende Ausbildung genossen und waren gewohnt, mit Scharfsinn eines Senders Worten zu folgen. Und so streckte Ravilla symbolisch vor ihnen die Waffen. In nudistischer Ehrlichkeit präsentierte er seine Person und sein Anliegen, nahezu ungeschminkt und angepasst - und fühlte sich grässlich schwach und entblößt dabei.
"Väterlicherseits bin ich Sohn des Volusus Seius Victor, dessen Haus seit der späten Republik verschiedene Magistrate hervorgebracht hat", tönte seine Stimme nichtsdestoweniger klangvoll durch die Halle, "und mütterlicherseits bin ich Sohn der Domna, Nachfahrin aus dem ehrwürdigen Geschlecht des Lycomedes, des Tempelpriesters der Magna Mater in Komana. Dass Tradition der Nährboden einer gesunden Gesellschaft ist, wurde mir von frühester Kindheit an gelehrt. Der Tradition des Imperiums will weiterhin verpflichtet sein.
Wer meiner Rede auf der Rostra beiwohnte, vernahm folgende Worte an das Volk: Nicht eure Ohren will ich heute erreichen, sondern eure Herzen. Doch euch, ehrwürdige Patres conscripti, bitte ich um eure Stimmen. Ein jeder Mensch kann und soll für die Gemeinschaft tun, wozu er geboren und erzogen wurde, ein jeder Mensch handeln nach der Kraft, welche ihm gegeben ward. Worum ich euch heute bitte, werte Senatoren, ist, mir ein wenig mehr Handlungsmöglichkeit in die Hände zu legen, denn ich glaube von mir, dass es zum Wohle Roms gereichen wird, wenn diese Verantwortung mir obliegt."
Und damit senkte er für einen Moment das Haupt und den Blick, zum Zeichen, dass er sich ihrem Urteil hingab. Seine Rede war an diesem Punkt bereits vollendet. Insbesondere aufgrund der Knappheit seiner Rede ging Ravilla von kritischen Rückfragen aus, auf welche er nun wartete, um sich jenen nach bestem Wissen und Gewissen stellen zu können. Sein Mentor und sein Patron hatten ihn gut vorbereitet auf jenen Moment und Ravilla hoffte, sich ihres Vertrauens würdig zu erweisen, als er die Haltung erneut straffte und den Blick wieder auf die Anwesenden richtete.
Ich bedanke mich bei allen für die freundliche wie großmütige Gelegenheit, die mir gegeben ward, meine Rede auch zum verspäteten Zeitpunkt noch darbringen zu dürfen!