Beiträge von Galeo Seius Ravilla

    Zu pünktlicher Mittagsstund erschien, wie im Brief gewünscht, Galeo Seius Ravilla an der Porta der Regia, um dem Legaten seine Aufwartung zu machen. Ihm schritt Anaxis voraus, als Sklave nicht zu erkennen, weder von der edlen Kleidung noch von seinem hochnäsigen Gebaren her, als müsse die Welt in Dankbarkeit schmelzen, da sein teures Schuhwerk auf ihrem erdigen Antlitz wandelte:


    "Mein edler Herr, der Tribunus Laticlavius Galeo Seius Ravilla, folgt seiner Einladung durch unseren Legaten!" Das Schreiben trug er anbei, ging jedoch nicht davon aus, dass von einem der Milites verlangt würde, Einsicht zu nehmen, wenn ein Mann in der Rüstung eines Tribuns vor der Porta eines noch edleren Magistraten erschien.


    Der Tribun selbst, für den Termin aufgrund der militärischen Natur seines Amtes in einen teuren und für ihn maßgefertigten Panzer gewandet, den Helm mit dem roten Rosshaarkamm unter dem Arm, versank zu jener Zeit im Anblick einer fein gemeißelten Säule, deren Gleichmaß zu ihren steinernen Schwestern bewundernd. Gemeinsam das Dach tragend wirkten sie beinahe, als hätte göttlicher Wille sie gefertigt, doch waren es die Hände von Menschen, die zu solcher Kunstfertigkeit imstande waren.

    Jener fleißige Scriba bat, ihm den Brief auszuhändigen. Hernach durfte Umbrenus Cinna zurück zu seinem Posten gehen. Die meisten Schriftstücke wurden im Vorzimmer durch des Schreibers Hand beantwortet und einzig vom Tribun unterzeichnet, doch einige bedurften der persönlichen Aufmerksamkeit des neuen Offiziers. Als die Sonne den Waldsaum berührte, die welkenden Blätter in rotes Licht tauchte, fand unter anderem auch jenes Schreiben seinen Weg auf den Schreibtisch von Galeo Seius Ravilla, der das dichte schwarze Haar nun kürzer trug und auf Anraten des Legionskommandanten auf das Pudern mit Diamantstaub verzichtete.


    Ad

    Galeo Seius Ravilla

    Tribunus Laticlavius


    Legio XXII Primigenia


    Salve Tribun Seius.

    Ich darf dir mitteilen dass die Reaktion deines Erscheinens und die erfolgte Benachrichtigung dem Legaten sehr erfreut hatte.

    Aus diesem Grund wünscht er dich umgehend zu sehen und auch zu sprechen. Hierfür bist du eingeladen dich morgen zur Mittagsstunde in der Regia einzufinden und persönlich vorstellig zu werden.


    Mfg


    Paullus Germanicus Cerretanus

    Princeps praetorii


    Germania Superior


    Gleich morgen Mittag! Ravilla würde dies und jenes umorganisieren müssen! Mit rauschender Toga eilte er in sein Vorzimmer, diskutierte rege mit dem Scriba, der seinerseits den berstenden Terminkalender konsultierte. Der gute Mann blätterte und verlieh seinem Missfallen lebhaften Ausdruck durch das Runzeln der Stirn. Doch diese Pflicht oblag nun einmal ihm, sei sie machbar oder nicht, da der Legat höchstselbst es so wünschte.


    Ravilla, ein wenig beleidigt ob der zur Schau gestellten Runzeln, verabschiedete sich in den Feierabend, den unglücklichen Schreiber mit der kaum lösbaren Aufgabe zurücklassend, auf Biegen und Brechen diese Lücke zu schaffen, während bereits andere Termine mit der gleichen Anforderung ihren Weg in den Kalender gefunden hatten. Es war Mitternacht, als der Scriba alles organisiert und erledigt hatte, und eher in Richtung Bett kroch, anstatt noch aufrecht zu gehen, während der Tribun in seiner Villa schon den Schlaf des Gerechten schlief.


    Am nächsten Mittag folgten sie beide ihren Pflichten, der Scriba im Vorraum, zerknittert und missgestimmt, Ravilla in der Regia, ausgeruht und bester Dinge.

    Das kursierende Fieber, welches bislang kein Medicus zu kurieren vermochte, mied auch nicht die Mächtigen der Provinz. Einigermaßen besorgt zeigte sich der neue Tribun, denn die eigene Vitalität ward ihm ein kostbares Gut, nachdem bereits die letzte Amtszeit er an das Wetterleiden hatte verloren. Dies sollte in der aktuellen Periode nicht geschehen! So hielt er die postalische Konversation für optimal, um gegenüber den toxischen Miasmen, welche Kranke zu verströmen pflegten, Distanz zu wahren.


    "Salve, guter Mann", ließ seinen Gruß er verlauten, "Mein Name ist Tribunus laticlavius Galeo Seius Ravilla. Der Legatus Augusti Pro Praetore ist zweifelsohne von seinen Pflichten okkupiert, doch möchte ich die Okkasion nicht versäumen, ihm postalisch meine Aufwartung zu machen. Hättest du die Güte, ihm folgende Epistel darzureichen?"


    Das Schreiben sagte alles und nichts, doch Ravilla befand sich noch nicht in der Position oder Situation, konkreter zu werden. Ihm ging es vorerst einzig daran, Kontakt zu jenem Manne aufzunehmen, welcher die Geschicke von Germania superior in seinen Händen hielt, anstatt stillschweigend zu hoffen, dass jener nicht das Augenmerk auf ihn lenken würde, wie manch anderer es liebend gern tat, sobald er mit den Mächtigen in Kontakt geriet. Ravilla jedoch, mit einem beträchtlichen Maß an Selbstsicherheit gesegnet, bevorzugte den gegenteiligen Weg, denn seine Leistungen sollten keineswegs ungesehen bleiben!



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    Ad


    Legatus Augusti Pro Praetore

    Aulus Aemilius Nepos

    Regia Legati Augusti pro Praetore

    Mogontiacum



    Amtsantritt des Galeo Seius Ravilla als Tribunus Laticlavius der Legio XXII Primigenia



    Verehrter Legat,


    als neuer senatorischer Tribun der Legio XXII Primigenia absolviere ich auf eigene Bitte mein Tribunat hier in Germania superior an einer von Roms gefährlichster Grenzen, um daran zu wachsen.


    Manchmal mag es angebracht sein, den Dienstweg abzukürzen und den direkten Weg zu präferieren: Solltest du ein persönliches Gespräch wünschen, um dir einen Eindruck von meiner Arbeit zu machen oder mir deine Wünsche mitzuteilen, sehe ich dem freudig entgegen.


    Hochachtungsvoll


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    Officium des Tribunus Laticlavius

    Galeo Seius Ravilla


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    Unmittelbar nach seiner Ankunft ließ Ravilla sich sein neues Officium zeigen. Wohlwollend nahm er den Hinweis auf eine Fußbodenheizung zur Kenntnis. Sein neuer Arbeitsplatz lag gleich links neben dem Fahnenheiligtum, während auf der rechten Seite, gespiegelt, das des Legionskommandanten zu finden war, mit dem er künftig eng zusammenarbeiten würde. Ihm wurde bewusst, dass er künftig als zweithöchster Offizier der Legion vorstehen würde, gleichsam als Stellvertreter des Legatus Legionis fungierte.


    Gespannt betrat Ravilla das geräumige, edel eingerichtete Officium. Ein Vorraum, dessen Schreiber es künftig zu überzeugen galt, trennte den geneigten Besucher vom eigentlichen Dienstzimmer des neuen Tribuns.

    Gunstbezeugungen war Ravilla aus der kappadokischen Heimat gewohnt, so dass sie ihm wohltaten, anstatt ihn zu verunsichern. Huldvoll erwiderte er den Gruß und gab seinem Tross das Signal, ihn zu begleiten. Während die Reitpferde bereits untergestellt werden konnten, mussten die Packpferde mit ins Innere der Castra geführt werden, wo man sie bei Ravillas neuer Behausung entladen würde.

    "Mein Herr, Tribunus Laticlavius Galeo Seius Ravilla, erscheint, um seinen Dienst anzutreten!"


    Während Anaxis ihn salbungsvoll ankündigte, stieg Ravilla vornehm aus der inzwischen niedergestellten Sänfte auf den verstörend staubigen Boden seines neuen Arbeitsplatzes. Seine weiße Reisetoga reflektierte die Sommersonne.

    Einige Wochen Reisezeit von Roma aus hatten an Ravillas Konstitution gezehrt, so dass die Vorhänge seiner Sänfte er verschlossen hielt. Freilich war er in einem großen und gut bewachten Tross gereist, so dass die Sicherheit unbedenklich ward, doch die Sänfte mit ihren wechselnden Trägern hatte seinem Rücken auf Dauer nicht gut getan. Anaxis milderte das Leid seines Herrn, indem er ihm zur Vorbereitung auf seine neue Aufgabe aus den Schriften der großen Feldherren vortrug. Indessen hegte Ravilla den Verdacht, dass diese nicht die entscheidenden Fragen zu beantworten vermochten, welche ihm als neuer Tribun ohne militärische Vorerfahrung auf dem Herzen lagen.


    So fühlte er sich ungenügend vorbereitet, als Anaxis endlich seine Ankunft an der Porta zu melden sich anschickte, ein edler Stern von exotischer Schönheit, dem das Sklaventum hier und heute weder an seiner reichen Kleidung noch an seinem hochnäsigen Gebaren anzumerken war.

    Erfüllt von Wehmut betrachtete Ravilla das geräumige Zimmer an einer der nobelsten Adressen Roms, das er nun gegen die Unterkunft in einem Castellum würde eintauschen müssen. Obgleich nobel eingerichtet, mutete das Cubiculum steril und leer an, seit Ravilla seine Sachen hatte packen lassen. Abschied hatte er genommen von allen, die ihm lieb und teuer waren. Von seinem edlen Patron, dem weisen Wegbereiter. Von des Flavius Gracchus' Sohn, in dessen Obhut Ravilla sein Tirocinium fori hatte absolvieren dürfen. Und letztlich von seinem einzigen Freund Saturninus, den er seit dessen Krankheit nicht ein einziges Mal hatte zu Gesicht bekommen. Alles ward getan.


    Nun, vielleicht hätte er auch von seinem Bruder Abschied nehmen sollen, welcher bei den Cohortes Praetoriae seinen Dienst versah, so wie es der Anstand unter Geschwistern gebot. Doch schwärte in ihm die Gewissheit, dass es in Stilos Sinne sei, wenn Ravilla den persönlichen Abschied in der Eile "vergaß".


    Ein letzer Blick, dann war es Zeit zu gehen. Nachdem er die Tür durchschritten hatte, hörte er, wie Anaxis jene hinter ihm verschloss. Ravilla ging in Richtung des Ausgangs, wo die Reisegruppe wartete, bald gefolgt von dem Leibsklaven, der nichts mehr tragen musste, da alles bereits verbracht worden ward. Ein wenig Trauer war in Ravillas dunklen Augen vielleicht zu verzeichnen, wenn er an das frostige Verhältnis zu seinem Bruder dachte, doch mochten die Dinge sich gewandelt haben, wenn Ravilla, gereift vom Dienst bei der Legio, heimkehrte nach Roma caput mundi. Schwerer wog der Abschied von den Flaviern und seinem Freund.


    Am größten jedoch die Trauer über die unveränderte Abwesenheit der lieblichen Schwester, die auf Geheiß des Vaters noch immer in Achaia weilte. Sie eines Tages wiederzusehen - jene Hoffnung verblich mit jedem Schritt seiner Karriere mehr, so wie das Licht am Abendhimmel, wenn Nox ihren schwarzen Schleier über das Imperium legte. "Jetzt erscheinet die Nacht, mit Mohn bekrönet die sanfte Stirn; es folget ihr nach schwärzlicher Träume Gebild." 1


    Gemessen schritt Ravilla durch die nächtlich leeren Hallen, wo seine Schritte ein Echo warfen, fort, hinaus, um seine Reise in den kalten, umkämpften Norden des Imperiums anzutreten.


    Sim-Off:

    1 Ovid Fasti 4,661f

    "Ah, sehr bedauerlich. Und doch zu verstehen."


    Ravilla winkte Anaxis herbei, welcher den Präsentkorb an den Ianitor überreichte. Im Wesentlichen handelte es sich um eine Zusammenstellung von Salben, Badeessenzen und duftender Öle, welche allesamt den schweren, herzhaft-süßlichen Duft des Orients verströmten. Auch ein entsprechend gewürzter Honig fand sich unter den Präsenten.


    "Ich habe diesen Präsentkorb mithilfe meines Neffen zusammengestellt, welcher in der Heilkunst ausgebildet ist. Es handelt sich um Pflegeprodukte für den alltäglichen Bedarf, die einen olfaktorischen Gruß aus Cappadocia in sich tragen und die Regeneration der Vitalität zu unterstützen geeignet sind. Bitte richte deinem Herrn meine besten Genesungswünsche aus und informiere ihn darüber, dass ich mein Tribunat in der Legio XXII in Germania superior antrete. Dies wird für längere Zeit mein letzter Besuch gewesen sein, doch sobald es ihm möglich ist, mag er mir schreiben, so ihm der Sinn danach steht. Einstweilen nehme ich Abschied. Dies ist für deine Mühen."


    Er bot dem Sklaven einige Sesterzen an.

    "Salve, guter Mann", antwortete er noch während der Verneigung des tüchtigen Ianitors.


    Ravilla gehörte nicht zu jenen, welche Sklaven herablassend zu behandeln pflegten, wem auch immer sie gehören mochten, wenngleich eine vornehme Reserviertheit in den feinen Nuancen der nonverbalen Kommunikation registriert werden durfte. Doch war diese Interaktion weniger Botschaft an den Servus selbst, als vielmehr an dessen Herrn, welche kommunizierte, dass Ravilla nicht gedachte, einen Versuch zu unternehmen, sich in dessen Vertrauen einzuschmeicheln. Anbiederung an fremde Sklaven konnte nur allzu leicht entsprechend interpretiert werden. Und so blieb freundlich das Antlitz des Seius, doch unverbindlich, gleich dem zeitlosen Lächeln der Statuen mit ihren Gesichtern aus Stein.


    "Ich bin Galeo Seius Ravila, gewesener Vigintivir und neuerdings Tribun der zweiundzwanzigsten Legion in Germanien. Vor allem aber bin ich ein Freund des hier - meiner Kenntnis nach - wohnhaften Furius Saturninus. Vielleicht hast du ja davon gehört, dass dem erkrankten Manne meine Briefe verlesen wurden? Ich schrieb den einen oder anderen, doch dass ich nie Antwort erhielt, nährt meine Sorge."


    Die Empfindung in Ravillas Antlitz war so ehrlich wie jede seiner bisweilen dramatischen Gefühlsregungen. Vieles mochte man dem jungen Seius vorwerfen, vom fehlenden Taktgefühl vor dem Senat, seinem feurigen Temperament bis hin zu dem extravaganten Modestil, den er pflegte, doch war sein Herz noch unverdorben vom Gift der Lügen und Intrigen, welches durch die Hallen des Senats sickerte, durch die Cenae der Reichen und Mächtigen bis hinein zu klandestinen Zusammenkünften an jenen Orten, die niemand bei Tageslicht auszusprechen wagte.


    "Die kurze verbleibende Zeit meiner Abreise nach Germanien möchte ich dazu nutzen, mich von Saturninus zu verabschieden - jedoch nicht allein mit einem leblosen Stück Papyrus. So der Zustand deines Herrn es erlaubt, erbitte ich einen kurzen Krankenbesuch. Es soll niemandes Schaden sein. Sollte dies indes nicht möglich sein, da er Saturninus belasten würde, so möchte ich dir gern eine kleine Aufmerksamkeit für den kranken Freund überreichen."

    "Dein Sohn versah dort sein Tribunat? Wie erfreulich, so werde ich nach Spuren seines Schaffens forschen und ihm postalisch mitteilen, wie seine Erfolge gediehen. Ich gehe davon aus, dass ihn der Verlauf der von ihm initiierten Entwicklungen interessieren werden. Nun, es mag sein, dass die Entsendung in die nördliche Provinz wohlverdient ist, doch sehe ich darin in erster Linie die erwähnte Chance, die ich zu nutzen gedenke."


    Doch ach, was danach folgte, verdross den jungen Seius. Warum nur hatte er Anstand walten lassen und war zum Abschied auf seinen unglücklichen Wortwechsel mit dem Praefectus Urbi zu sprechen gekommen! Nun gab es keine Ausrede mehr, dem hochdekorierten alten Mann, von dem Ravilla überzeugt war, er würde ihn, den Homo novus, aus ganzem Herzen verabscheuen, noch einmal persönlich gegenüberzutreten. Wie sollte eine Abbitte Gehör finden, wo doch dem Claudier schon Ravillas bloße Existenz Anlass genug gewesen war, die Arbeit zu erschweren? Ein theatralischer, doch stummer Blick gen Himmel, mochte andeuten, was in dem jungen Magistrat vorging, doch nein, er sprach kein Widerwort, sondern senkte den Blick wieder und ließ ein kleinlautes Nicken folgen.


    "Es wird geschehen, wie du empfielst, mein Patron." Denn zweifelsohne war dem Rat des erfahrenen Pontifex, selbst wenn er eine tatsächliche Wahl impliziert hätte, höheres Gewicht beizumessen als Ravillas bisweilen noch beinahe jugendliche Empfindungen. Doch würde dies erst nach seiner Rückkehr aus Germania erfolgen, wenn mit Orden und Auszeichnungen behangen er keinen Zweifel an seiner Eignung für die weitere politische Laufbahn des Cursus honorum irgendwelchen Raum böte!


    Das gelüftete Seidentuch derweil offenbarte dem Beschenkten einen verspielt geformten Flakon aus schwarzen Glas, vor allem jedoch offenbarte der entströmende Duft den Zauber des Orients, der durchaus an die Parfums von Ravilla erinnerte, und doch anders roch: ernster, würdevoller, zu einem älteren Manne passend, der zu entsprechenden Anlässen vielleicht einmal nicht den - nach Ravillas Empfinden - biederen Düften Italias zum Opfer fallen wollte. Wärmende Akkorde sorgten für einen unbeschwerten orientalischen Zauber, während die Basisnote mit erlesener Tonkabohne, Vanille, veredelt mit einem holzig-orientalischen Kastanien-Klang die kühne Männlichkeit in den Vordergrund stellte. Nach Ravillas Dafürhalten war diese Komposition einem Würdenträger vom Kaliber des Flavius Gracchus Senior mehr als nur angemessen!


    "Es genügen wenige Tropfen", fügte er hinzu, wohl unnötiger Weise, denn der Duft war selbst durch die geschlossene Flasche intensiv. "Dieser Duft zeichnet sich nicht nur durch seine zauberhafte Komposition aus, sondern aufgrund der hohen Konzentration an Duftölen vor allem durch seine extrem lange Haltbarkeit."

    Wie gering war die Chance, dass man seinen Worten in Anbetracht der Umstände Gehör schenken würde. Dennoch kam Ravilla nocht Umhin, noch einen Versuch zu wagen, Abschied von seinem Freund Saturninus zu nehmen. Der Sklave Anaxis, mit einem Präsentkörbchen in der Hand, harrte vor der wartenden Sänfte der Dinge, die da kommen mochten, während sein Herr seine üppig geschmückte Faust in angemessener Intensität gegen das Holz klopfen ließ.

    "Nicht die Suche nach leiblichen Genüssen treibt mich durch die Gänge, mein lieber Patron", sprach Ravilla. "Wenngleich die Köstlichkeiten der Villa Flavia Felix ihresgleichen suchen." Eine Nuance von Melancholie lag in seiner Stimme, als er eintrat. Ach, der Abschied war seine Sache nicht, er drückte auf sein Herz. Wie geheißen nahm der Seius Platz. "Ich bin hier, weil ich nach dir suchte. Kürzlich war ich an höchster Stelle im Palatinum vorstellig. Der Imperator Caesar Augustus akzeptierte meine Bewerbung um ein Tribunat. Er ließ mir die Ernennungsurkunde postalisch zukommen, gleichsam legte die Kanzlei den Befehl bei, ich möge unverzüglich nach Germania superior aufbrechen, um meinen Dienst bei der Legio XXII Primigenia anzutreten.


    So bin ich heute hier, um mich für die nächsten Monate von dir zu verabschieden und dir meinen Dank auszusprechent für Kost und Logis, für Rat und Engagement. Ohne deine Hilfe, mein lieber Patron, und jene deines entzückenden wie kompetenten Sohnes, wäre ich heute nicht dort, wo ich nun stehe, und nach meiner wohl unglücklich geratenen jüngsten Rede vor dem Senat stünde ich ohne die schützende Aura der Gens Flavia vielleicht überhaupt nicht mehr im Lichte von Roma caput mundi. Ich bitte dich um Verzeihung dafür, dass ich vor dem Senat mit meiner Rede womöglich über das Ziel hinausschoss. Mit dem Tribunat habe ich die Chance, die Dinge wieder gerade zu rücken, und dem Kaiser, dem Senat und dem Volk von Rom zu beweisen, dass dein Klient zu mehr imstande ist, als einem losen Mundwerk und dem, was er in seiner Amtszeit als Vigintivir zu leisten vermochte.


    Damit ich dir während meiner Abwesenheit nicht allzu schnell in Vergessenheit gerate, es wäre doch schade um das Andenken an die erquickliche Zeit, habe ich dir ein kleines Präsent organisiert."


    Freilich war es hier nicht der materielle Wert, welcher hier zählte, wenngleich ein solches Präsent kaum von Jedermann würde organisiert werden können. Ravilla stellte das Präsent auf den Tisch. Ein schwarzes Seidentuch, beste Qualität, welches mit schillernden Silberfäden durchwirkt war, umhüllte etwas Hartes, aufrecht Stehendes, das ausgewickelt wohl in eine Hand passen mochte.

    Ein Abschied und doch kein Scheiden - MFG et GSR


    Die Suche nach dem vielbeschäftigten Patron führte Ravilla schließlich ins Triclinium. Flavius Gracchus Senior war nicht leicht zu finden. Vielleicht fand er sich hier? Ravilla würde nicht gehen, ohne sich von seinem Patron und dessen Sohn zu verabschieden, welche sich während der letzten Jahre aufopferungsvoll um ihn und seine Karriere gekümmert hatten. In seiner mit zahllosen Ringen besetzten Hand hielt er, in Seide gewickelt, ein kleines Objekt.

    Ein Abschied und doch kein Scheiden - MFGM et GSR


    Die mit unzähligen Ringen besetzten Finger klopften an jenem Tage eigenhändig an das Officium, denn Anaxis war damit beschäftigt, die Abreise seines Herrn vorzubereiten. Ravilla würde nicht gehen, ohne sich von seinem Patron und dessen Sohn zu verabschieden, welche sich während der letzten Jahre aufopferungsvoll um ihn und seine Karriere gekümmert hatten. In seiner vornehmen Hand hielt er, in Seide gewickelt, ein kleines Objekt.

    Anaxis eilte herbei, um einen Brief einzuwerfen, denn der Imperator Caesar Augustus hatte zur Eile gemahnt:



    Ad


    Caius Iunius Caepio

    Casa Leonis

    Roma


    Betreff: Abreise nach Germania


    Salve, mein Lieber!


    Ich werde zeitnah nach Germania superior aufbrechen, um mein Tribunat als Tribunus Laticlavius anzutreten. So deine Pläne nicht von den früheren differieren, bist du eingeladen, mich als Scriba zu begleiten.


    Mit vorzüglicher Hochachtung


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    Mit höchstem Verzücken nahm der Adressat das Schreiben zur Kenntnis. Nicht würde er zögern noch zaudern! Allein, den Abschied von seinem edlen Patron und dessen entzückenden Sohn, welcher ihm das Tirocinium fori ermöglicht hatte, galt es vor der Abreise noch zu nehmen. Dies gebot die Höflichkeit und ward darüber hinaus ein persönliches Anliegen von Seius Ravilla.

    "Meine Dankbarkeit kennt keine Grenzen, o mein Imperator Caesar Augustus", deklarierte Ravilla erfreut. "Leb wohl, bis wir uns wiedersehen. Mögen die Götter ihre Hände schützend über dich halten und deinen Weg mit Freuden, Glück und Wohlstand pflastern!"


    Beschwingt schritt der künftige Tribun von hinnen, nicht ahnend, wie eklatant die Probleme, welchen er sich in Germania gegenüber sehen würde, tatsächlich ausfallen sollten. Leise schloss der Sklave Anaxis hinter ihm von außen die Tür. Ein frischer Hauch von Wasserlilie schwebte nach des Seius' Entschwinden noch geraume Zeit in der Luft des Officiums.

    Ach, wie wahr sprach der Kaiser, legte den Finger in die blutende Wunde des Seius. Die Nüchternheit der vorgetragenen Worte ließen den zelebrierten Charme des gewesenen Vigintivirs abprallen, vertrocknen und zerbröseln. Ravilla wünschte, er wäre stärker geschminkt, was zwar wohl kaum genützt, ihm aber mehr Sicherheit in seinem Auftreten verliehen hätte. So wirkte er nun beinahe ein wenig kleinlaut.


    "Fürwahr, mein Kaiser, ich bin nicht aus dem Holz, aus dem man mit Leichtigkeit einen Stabsoffizier zu schnitzen vermag. Müßig, diesen Umstand mit schönen Worten verschleiern zu wollen. Es ist wie es ist und ich bin und bleibe der verwöhnte Spross eines kappadokischen Tempelfürsten. Doch liegt hier auch meine Stärke, denn was geschickte Politik betrifft, macht ihnen niemand etwas vor. Krieg führt man auf zweierlei Weise, mit dem Schwert und mit dem Wort. Es mag sein, dass meine Erfahrungen aus Cappadokia mir dabei helfen, mit den Anführern der germanischen Stämme in fruchtbare Gespräche zu kommen.


    Freilich spielen auch Wünsche für die eigene Karriere in die Bitte hinein. Wenn ich dereinst in den Rängen des Senats von Rom sitzen möchte - und nichts Geringeres ist mein Wunsch - so ist es erforderlich, als einer der Lenker des Staatsapparates auch durch eine harte Lehrstunde im Angesicht äußerer Bedrohungen gegangen zu sein, gesehen zu haben, wie unsere Soldaten das Imperium mit ihrem Blute schützen, um das Gewicht meiner Stimme bei politischen Entscheidungen künftig mit Bedacht einsetzen zu können."


    Nun, bedacht war sein letzter Auftritt im Senat nicht unbedingt gewesen und er hatte sich einen mächtigen Feind gemacht, doch Ravilla war jung. Keine Fehler machte nur, wer die Hände untätig in den Schoß zu legen pflegte.


    "Nicht zuletzt sind viele Senatoren im Kriegsfall auch Feldherren und ich möchte die nötige Erfahrung mitbringen, sollte es dazu kommen. Alles weitere, mein Kaiser, werde ich lernen, indem ich es unter Anleitung versuche. Ich bin sicher, am Ende des Tribunates werde ich als ein anderer Mann vor dir stehen."

    O welch Bedauern schwang in den Worten des Patrons! Die Jahre zogen vorüber, das Alter zeichnete seine Spuren am Körper, doch der Geist war von den Widrigkeiten eher geschärft worden wie ein Dolch durch den Wetzstein. Die Erwähnung vom Tode des Bruders quittierte Ravilla mit einem bedauerndem Nicken, doch unterbrach er nicht den Fluss der Worte durch einen Einwurf. Das Antlitz der geliebten Schwester erschien vor seinem inneren Auge, einem gedanklichen Götzenbild gleich, an dem er nicht rühren durfte noch konnte, denn sie weilte in Achaia und würde nicht wiederkehren. Von dieser Hoffnung hatte Ravilla Abschied genommen, denn Seius Victor war ein äußerst strenger Vater, der seinen Kindern keinen Fehltritt verzieh.


    "Du hast mitnichten mich ennuyiert, verehrter Patron." Ravillas schwarz umrahmte Augen waren ernst auf die braunen Iriden des älteren Mannes gerichtet, die in der Sonne mal rötlich, mal golden schimmerten. Keine andere Augenfarbe vermochte die Sonne so deutlich sichtbar einzufangen. "Ich schätze die Konversation mit dir und die gemeinsam verbrachte Zeit. Oft ist sie allzu schnell vorbei, und so sollten wir sie ausgiebig genießen. Die Götter sind launisch, der weltliche Hunger der Menschen groß. Beides mag viel zu verändern, mal zum Guten, mal zum Schlechten.


    Du wirkst nicht glücklich mit deinem Amt", zog Ravilla das Resümee am Ende der Ausführungen, "da es zu sehr verhaftet an irdischen Bedürfnissen ist und dem Ideal, nach dem du strebst, nicht gerecht wird. Oder wird das Ideal durch dieses aus strukturellen Belangen geschaffene Amt vielleicht sogar beleidigt in deinen Augen? Gäbe es denn einen Weg, der dieses Bedürfnis zu erfüllen geeignet wäre?


    Ich, mein lieber Flavius Gracchus, hungere nach Unsterblichkeit. Nicht jene der verderblichen Hülle, in welcher wir zu Lebzeiten wandeln, sondern nach jener Unsterblichkeit, welche durch große Taten geboren wird und in Tinte und Stein der Ewigkeit trotzt. Die Götter gaben mir zwei gesunde Hände, um tätig zu werden, und einen klaren Verstand, um sie weise zu nutzen. Siehe: Der Name Lucius Aelius Seianus ist auch heute noch jedem ein Begriff. Er ist untrennbar mit meiner Gens verbunden, Schatten und Ikone. Ich möchte, dass wenn der Name Seius fällt, eines Tages zuerst an Seius Ravilla gedacht wird und erst danach an den Gefallenen."


    Unausgesprochen blieb die tiefe Überzeugung der Seii, dass jener Vorfahre unschuldig im Schlund des Tullianums gerichtet worden war. Ravillas Streben war kein Reinwaschen, da es keine Besudelung gab, sie war eine anvisierte Überlagerung von altem, verblasstem Glanz mit einer neuen, strahlenden Sonne am Himmel ihrer Gens.


    "Indem ich dem Volk und dem Senat von Rom diene, mag ich dieses Ziel erreichen. Manch Heerführer schrieb das Lied seines Rumes in Blut. Ich aber möchte Gutes tun", schloss Ravilla. Ein Ideal, noch fern jener wohlformulierten Worte. Vielleicht war er bestimmt, die gleiche Desillusionierung zu erfahren, die auch der Patron hatte erleiden müssen, wenn er feststellte, dass sein anvisierter Weg sich als unmöglich gangbar erweisen würde.


    Die Hummel, ein besonders großes Exemplar, gelb und schwarz geringelt mit weißem Ende, suchte zwischen den Steinen brummend wohl nach einem Eingang, der für ein Nest sich eignen würde.