Beiträge von Galeo Seius Ravilla

    "Hab Dank", begann der junge Seius sogleich, um nicht die wertvolle Zeit des mächtigsten Mannes der Welt über die Gebühr hinaus in Anspruch zu nehmen. So verzichtete er auch dankend auf Wasser und Wein. "Um weiter den Cursus honorum beschreiten zu können, ist an jener Stelle der Karriere, an welcher ich mich befinde, ein Tribunat bei der Legio vorgesehen. So habe ich mich informiert, welche Möglichkeiten in Aussicht stehen. Aktuell haben gemäß meiner Recherchen sowohl die Legio XXII Primigenia in Germania superior als auch die Legio XV Apollinaris in Cappadocia je eine vakante Stelle, an welcher dringend eines Tribunus laticlavius bedurft wird."


    Die Präsenz der Prätorianer disturbierte Ravilla mitnichten, so dass er unter keiner Ablenkung vom Wesentlichen litt, als er mit dem mächtigsten Manne der Welt, dem personifizierten virtus Roms, diese Konversation führte. Seine Worte kamen flüssig über die dezent geschminkten Lippen, wenngleich dies nicht das angenehmste Thema für ihn war. Die Aussicht, etliche Monate zwischen Soldaten auszuharren, mit diesen rohen Gestalten fruchtbar interagieren zu müssen, hatte einige schlaflose Nächte induziert. Doch trat die Abscheu hinter dem Ehrgeiz zurück, der ihn immer weiter vorwärts trieb.


    "Natürlich liegt die Versuchung auf der Hand, um eine Versetzung in die alte Heimat zu ersuchen, wo wüste Gestalten aus den Steppen die ehrwürdige Kultur meiner Vorväter schänden. Jedoch, globaler betrachtet, scheint das Imperium als Ganzes aktuell stärker aus dem Norden bedroht, wo die Waldbarbaren gegen den Limes drängen. Personellen Mangel kann man sich nach meinem Dafürhalten dort noch weniger leisten als in Cappadocia, wo der Sand traditionell langsamer durch die Sanduhren rieselt als anderswo - selbst bei den Feinden Roms. Ich ersuche also eine Versetzung ins Herz des Krieges, eine Versetzung nach Germania superior, um meinen Beitrag für den Senat und das Volk von Rom zu leisten."

    Körpersprachlich zurückhaltender denn für ihn üblich, denn dieses Officium war die Bühne eines anderen, größeren Mannes, betrat Ravilla das Officium des mächtigsten Menschen der Welt. "Salve, Imperator Caesar Augustus", ließ einen respektvollen Gruß er verlauten. Den Räumlichkeiten schenkte der gewesene Vigintivir noch keine Beachtung, sein Blick galt allein dem Manne, der sie bevölkerte.

    Freilich fand sich weder an Ravillas Leib noch an dem seines Sklaven etwas, was man von Ihresgleichen nicht erwarten würde, und bei der Einladung handelte es sich um das Original aus der kaiserlichen Kanzlei. So ward die Prozedur nicht aufwändiger, als dies für üblich erachtet werden konnte.


    "Gleichfalls, Miles. Vale", ließ auch Ravilla verlauten, ehe er dem Prätorianer folgte, welcher ihn ins Officium zu geleiten beauftragt ward.

    "Mein lieber Caepio, würde das Angebot erloschen sein, so hätte ich dich darüber in Kenntnis gesetzt." Das Lächeln des Seius entstammte tiefstem Herzensgrunde. Unter allen lebenden Verwandten mauserte der junge Iunier sich zu jenem, zu welchem Ravilla die tiefste Verbundenheit zu spüren begann, da er selbst nicht im Mindesten die militärischen Ambitionen vieler Verwandter teilte und sich daher über das kultivierte Auftreten und die standesgemäße Interessenlage des Neffen verzückt zeigte. "Es käme einer kleinen Tragödie gleich, müsste ich auf deine vollendete Handschrift verzichten und den lokalen Magistraten erneut jene von Anaxis zumuten. Er ist ein guter und tüchtiger Sklave, doch für Fluss und Rhythmus der Glyphen ist sein Geist unempfänglich. Auch möchte ich ungern auf die Gesellschaft eines kultivierten Begleiters in dieser barbarischen Region verzichten.


    Es freut mich zu hören, dass wir in dieser Hinsicht einer Meinung sind. Das Lächeln meisterst du bereits hervorragend. Als Iunier bist du für die Politik geradezu prädestiniert. Das Potenzial der Gens sollte unbedingt weiter ausgeschöpft werden und dich halte ich gegenwärtig für den geeignetsten Kandidaten. Als Scriba hast du den ersten Schritt bereits gemeistert und weitere mögen folgen, so dein Ehrgeiz auch in Zukunft so gleißend loht."

    Auch für einen Spross aus noblem kappadokischem Hause war es unabdingbar, sich vor der Audienz einer Leibesvisitation durch die Cohortes Praetoriae anzubieten. So erschien Galeo Seius Ravilla mitsamt dem Sklaven Anaxis und einem guten Zeitpolster vor der Porta, dem Wachhabenden das Einladungsschreiben vorweisend.


    "Salve, Miles. Unser geliebter Kaiser wünscht mich zu sprechen."

    Ad

    Imperator Caesar Augustus

    Tiberius Aquilius Severus

    Palatium Augusti

    Roma


    Betreff: Bewerbung für ein Tribunat


    Verehrter Imperator Caesar Augustus,


    nachdem ich meine Amtszeit als Vigintivir der Tresviri capitales beendet habe, strebe ich im Rahmen meines Weges auf dem Cursus honorum das Militärtribunat in einer der Provinzen an. Bevorzugt sehe ich mich im Dienste der Legio XXII Primigenia in Germania superior, wo aufgrund der aktuellen sicherheitspolitischen Lage dringlicher Bedarf an zusätzlichen Kräften besteht.


    Sollte dies nicht möglich sein, schlage ich die Legio XV Apollinaris in Cappadocia als Alternative vor, da ich mit den Gepflogenheiten meiner Heimatprovinz gut vertraut bin und mich sicherlich einzubringen wüsste.


    Ich erbitte, mich als Tribunus laticlavius in der Legio einzusetzen und stehe bei Bedarf gern für ein persönliches Gespräch zur Verfügung.


    Hochachtungsvoll


    306-siegel-galeo-seius-ravilla-basis



    "Der Volksmund hat überliefert, das Wort sei mächtiger als das Schwert. Wenn du mich fragst, ist damit nicht die Poesie gemeint, sondern der römische Verwaltungsapparat. Ein einziger Magistrat an guter Position vermag mehr Schaden anzurichten als ein Legionär. Aber er vermag auch mehr zum Guten hin zu bewirken. Drum streich das "dennoch" aus deinem Satz, in dem du davon sprichst, deinen Beitrag zu leisten. Halte an deiner Schreibkunst fest und lerne, sie nicht allein als Kunst zu betrachten, sondern als machtvolles Werkzeug. Dann wird dein Stilus dir Tür und Tor öffnen. Welches Ziel hast du für deine Zukunft oder möchtest du ewig Scriba bleiben?"


    Sie wandelten weiter einher durch die Schatten.


    "Mir schwebt für Germania momentan nichts weiter vor, als mein Tribunat dort zu absolvieren, vor allem aber mit den Schönen, Reichen und Mächtigen der Provinz in Kontakt zu kommen."

    "Keinen anderen Rat als jenen, welchen ich dir gab. Ihn anzunehmen oder von dir zu weisen, obliegt freilich dir. Wenn du den Ehrgeiz für deine Zukunft jedoch eher aus deiner Handschrift ziehst denn aus sozialen Bindungen, die, das sei nicht verschwiegen, auch Verpflichtungen in sich bergen, ähnlich dem Verhältnis von Patron und Klient, nun, so wäre ein Fortschreiten deiner Karriere hier in Rom vielleicht eine Option.


    Denn nach meinem sich neigenden Vigintivirat werde ich das Militärtribunat forcieren und zu diesem Zwecke für längere Zeit in die Provinz reisen müssen. Es bedüfte eines gewissen Idealismus, wolltest du mir auch dort deine Dienste zur Verfügung stellen, während der Puls des Lebens in der Hauptstadt schlägt. Es sei denn, freilich, du möchtest mich ins kalte, einsame und unwirtliche Germanien begleiten, dort zum Wohle deiner kalligrafischen Fertigkeiten die Runen zu studieren", sprach Ravilla, während sie vorbei an den kalten Mauern schritten.

    "Verrat war es, mein guter Iunius, welcher unseren Vorfahren das Leben kostete. Wer jedoch in jener Zeit tatsächlich wen verriet, darüber scheiden sich die Geister. Der offiziellen, aufgrund der Damnatio memoriae sehr spärlichen, Überlieferung folgend war es Seianus, welcher den Kaiser verriet, doch besagt die Überlieferung unserer Familie etwas anderes.


    Bedenke: Auf dem Höhepunkt seiner Macht ward Seianus ein sehr tüchtiger und äußerst fähiger Mann, welcher den Kaiser während dessen häufiger Aufenthalte auf Capri in legitimer Autorität in allen notwendigen Belangen vertrat. Dabei machte er freilich, wie seine edlen Vorfahren auch, eine hervorragende Figur. Und wir glauben, dies war der eigentliche Grund, warum Seianus sterben musste: Er war zu gut in dem, was er tat, augenscheinlich besser als der Kaiser selbst in der wichtigsten Position des Imperiums. Bei den Soldaten erfreute er sich großer Beliebtheit. Die Legionen, so sagt man, schworen auf sein Bildnis. Und so musste er sterben."


    Der Blick, welcher Ravilla nun seinem Scriba zuwarf, ward gezeichnet von Bitterkeit:


    "Nichts anderes als schnödes Geld ließ jene Soldaten alle Treue vergessen machen. Das Leben des Seianus wurde für bare Münze verkauft. Merke dir dies, lieber Caepio", mahnte Ravilla nun, in familiärer Vertraulichkeit das Cognominum verwendend, "wahre Treue erkennst du daran, dass du sie dir nicht erkaufen musst, noch erkaufen kannst, sondern sie dir dargereicht wird als ein Geschenk. Und dass sie nicht schwenkt gleich dem Wetterfähnchen oder hinfortfliegt, sobald der Sturm einmal in die falsche Richtung weht. Scheint die Sonne, so ist ein Mann in unserer Position stets umgeben von zahlreichen Schmeichlern. Wahre Freundschaft aber offenbart sich erst in einem Sturmgewitter. Wer an deiner Seite steht, wenn alle anderen wichen, der ist es wert, ihn Freund zu nennen."


    Ravilla legte Iunius Caepio für einen Moment die Hand auf die Schulter und beließ sie dort, ehe sie beide den Weg durch die Dunkelheit fortsetzten.

    Versonnen nickend ob der klangvollen Allegorie des kretischen Labyrinths ward Ravilla zu jener Zeit nicht gewahr, dass ein solcher Minotaurus in Bälde würde ihm erstmalig im Senat begegnen, silbrigen Hauptes von den Jahren der Erfahrung, die Hörner alt, doch mitnichten stumpf. Gleich dem Ariadnefaden waren indes die Worte des Patrons gewoben, um Ravilla einen sicheren Weg durch die Wirren der Politik zu weisen. Ob diesem es gelingen mochte, jenen licht schimmernden Faden aufzugreifen und den schattigen Winkelzügen unbeschadet zu folgen, würde sich erweisen müssen.


    "Stets ist dein Rat mir ein Leitfaden, mein Patron, und es bleibt zu hoffen, er wird mir nie Rettungsseil sein müssen. Das Streben nach Macht sollte einem tüchtigen Römer im Blute liegen. Als entscheidend erachte ich dabei die Frage, was mit der erstrebten Macht er anzufangen gedenkt? Sie sollte niemals Selbstzweck sein, sondern im Dienst eines höheren Wohles stehen. Wirksamkeit bedarf der Macht. Macht induziert Wirksamkeit.


    Wie aber verhält es sich bei dir, verehrter Patron? Hungerst du wie einst, als den Weg zum Pontifex des Collegium pontificium du beschrittest, oder bist du gesättigt an dem, was in deinen Händen liegt?"

    Ravillas Mimik zeigte deutliches Erstaunen ob des harschen, ja, vernichtenden Tonfalles, welchem ihm nun entgegenschlug. Aufgrund der schwarzen Umrandung seiner Augen ward dies auch in den hinteren Reihen zu erkennen. Einen Anlass für eine rhetorische Decapitatio seiner Person fand er in seinen Ausführungen nicht, da seine Formulierungen höchst behutsam gewoben waren. Entsprechend verschnupft klang folglich nun seine Erwiderung:


    "Wäre dem so, verehrter Praefectus Urbi, und hätte es tatsächlich keinerlei Obligationen für die Tresviri capitales in dieser Causa gegeben, wäre Rom heute ein sicherer Ort, möchte ich meinen. Jedoch treiben radikale Randgruppen christlicher Religionszugehörigkeit kontinuierlich ihr Unwesen. Einen fehlenden Bedarf an professioneller Unterstützung vermag ich daraus nicht abzuleiten. Auch Aufgaben fernab des Einsatzgeschehens wären nicht zuletzt im Rahmen des Machbaren und unter den gegenwärtigen Umständen sicher sinnhaft gewesen, so du meiner Person tatsächlich dergestalt misstrauen solltest.


    Aus einem einzigen Versäumnis, welches ohne Schaden blieb, einer bloßen Information, eine solch horrende Unzuverlässigkeit abzuleiten, die erfordern müsse, dass man mich entgegen der Anweisung unseres Kaisers für den Rest meiner Amtszeit von allen diesbezüglichen Pflichten entbinden zu habe, ist eine Interpretationsvariante, doch mag es auch andere geben.


    Exercitatio artem parat. Wer sich ohne Fehler glaubt, den nenne ich einen Lügner oder einen Gott. Jedoch, und an dieser Stelle wähne ich die Priorität, versäumte ich keineswegs, für die Wochen meines Siechtums eine Vertretung zu organisieren, so dass die Pflichten, welche mir oblagen, auch ohne meine Präsenz wurden erfüllt."


    Eigenes Versagen hatte Ravilla bereits öffentlich eingeräumt, ebenso sich beim Praefectus Urbi für das unterlaufene Versäumnis entschuldigt, und sah bei allem gebotenen Respekt vor dem alten Magistraten keinen weiteren Anlass, sein Haupt zu senken. Hätte er Gelegenheit erhalten, den Auftrag des Kaisers zu erfüllen, so wäre er dem, wenngleich verspätet, mit Freuden nachgekommen.

    Er selbst vermochte keine Antwort zu geben, welche das Auditorium oder ihn satisfiziert hätte. Vage respondierte er, dem Praefectus Urbi, so er präsent wäre, selbst Gelegenheit zur Antwort gebend: "Mir wurde mitgeteilt, dass eine Zusammenarbeit zum damaligen Zeitpunkt weder nutzbringend noch zielführend sei. Der mir anvertraute Fall wurde während meiner Absenz durch eine Vertretung bearbeitet und weitere bedürften aus verschiedenen Gründen nicht meiner Teilhabe."


    Ein Umstand, welchen Ravilla indes different evaluierte. Nach seinem Dafürhalten wäre in jener noch immer aktuellen Causa jede helfende Hand von Relevanz gewesen, und sei es allein darum, weil der Princeps explizit seinen Wunsch zu Ravillas Teilhabe daran ausgedrückt hatte - jenes Mannes, den er selbst in den Ordo Senatorius berief.


    Mit nervös verschränkten Fingern folgte Ravilla dem prospektierenden Blick des Imperator Caesar Augustus, welcher den Praefectus Urbi in den Reihen des Senats suchte. Harmoniebedürftig, wie der Seius war, hoffte er freilich auf eine einvernehmliche Klärung.

    Für seine Verhältnisse trat Ravilla in zurückhaltender Bescheidenheit vor den Senat. Unter den Anwesenden würde er dennoch als besonders penibel herausgeputzt empfunden werden, insbesondere aufgrund des mit einem Pinselchen geschickt platzierten Diamantstaubs, welcher die Weiße seiner Tunika in Glanz hüllte, und der weithin sichtbaren schwarzen Umrandung seiner Augen, auf welche er bei der morgendlichen Herrichtung durch den Leibsklaven bestanden hatte, um seine Nervosität durch Schönheit zu bekämpfen.


    "Patres conscripti, ehrenwerte Väter Roms.


    Als Tresvir capitalis ward mir die Rechtspflege Roms anvertraut. Ich versprach, mein Wahlkampf sei ein Kampf für das Gute: Ein Kampf für den Senat und das Volk von Rom. Nun lege ich Rechenschaft darüber ab, inwieweit ich mein Versprechen erfüllte.


    Eine nicht unbeträchtliche Zeit des Tages verbrachte ich im Tribunal der Tresviri capitales, wo ich gemeinsam mit meinen beiden Kollegen im Amt Gericht hielt. In enger Zusammenarbeit mit den Aedilen ermittelten, verhörten und urteilten wir. Dieser Alltag bildete das Fundament meiner Arbeit.


    Eine Audienz beim Kaiser zu Beginn meiner Amtszeit sollte die Schwerpunktlegung meiner Arbeit abseits des Tribunals definieren. Neben dem Verweis auf den ehrenwerten Praefectus Urbi als Ansprechpartner im Zusammenhang der Bekämpfung gewalttätiger Christen erinnerte unser ehrwürdiges Staatsoberhaupt mich an meine Pflicht der Aufsicht über die Gefängnisse, welche ich wie folgt nachkam:


    Kontrolle des Carcers der Cohortes Urbanae

    Kontrolle des Carcers der Cohortes Praetoriae

    Kontrolle des Carcer tullianum


    Details darüber sind den Besichtigungsprotokollen zu entnehmen, die ich auf Wunsch gern vorlege. Natürlich können im Anschluss an meine Eingangsrede auch diesbezügliche Fragen gestellt werden.


    Alsbald kam es zu einem Zusammentreffen mit dem Praefectus Urbi, um eine Grundlage für eine fruchtbare Zusammenarbeit der Tresviri capitales mit den Cohortes Urbanae zu gewährleisten. Präfekt Claudius bestätigte die Bekämpfung fanatischer Christengruppen als gegenwärtige Priorität, in die er mich gern einbeziehen wolle. Dazu wies er mir einen konkreten Fall zu.


    Leider jedoch schlug mich ausgerechnet zu jener Zeit, da man meiner Arbeit bedurft hätte, ein Wetterleiden nieder. So ward ich gezwungen, längere Zeit zu pausieren1. Anschließend mühte ich mich nach Kräften, wieder in meine Arbeit einzufinden. Was den mir anvertrauten Fall anbelangt, so ward dieser glücklicherweise bereits durch andere Hände2 erledigt worden, so dass es zu keiner nennenswerten Verzögerung kam.

    Den Auftrag des Kaiser, mich der Bekämpfung radikaler Christen zu widmen, habe ich allerdings aufgrund meines Wetterleidens zunächst nicht erfüllen und nach meiner Genesung aufgrund organisatorischer Unstimmigkeiten auch nicht eigenverantwortlich nachholen können. Hier muss ich transparent mein Versagen einräumen.


    Verpflichtungen hatte ich für die mir verbleibende Amtszeit indes anderweitig zur Genüge. Ich erfüllte meine Pflichten im mir gegebenen Rahmen nach bestem Gewissen. Damit stelle ich mich euren Fragen und eurem Urteil über die absolvierte Amtszeit."


    Sim-Off:

    1 Meine durch realweltliche Gründe zu erwartende Amtspause hatte ich zu jener Zeit meinen Mitspielern mittels Konversationen mitgeteilt und mit diesen nach Alternativen für das Rollenspiel gesucht, auf dass niemand in seinen Handlungen durch meine Abwesenheit zu leiden habe.

    Sim-Off:

    2 Purgitius erklärte sich freundlicherweise bereit, an meiner Stelle die Befragung vorzunehmen, so dass ein Fortschreiten der geplanten Rollenspielprozesse gewährleistet ward.

    Ravilla lächelte nachsichtig ob der Affinität des jungen Iunius zu jenem Domestik, den er als ganz und gar nicht freundlich empfand. Dessen Vorgeschichte im Hause der älteren Halbschwester Seia Sanga war Ravilla wohlbekannt, ebenso dessen Faible für die Söhne seiner Herrin, welches Ravilla im Gegensatz zu manch anderem nicht als uneigennützige Fürsorge interpretierte, sondern vielmehr als ein Werbeverhalten, wie es die Hellenen gegenüber Jünglingen traditionell zeigten. "Sei unbesorgt. Man wird auch ohne die Gegenwart des Sklaven im Tullianum für unsere Sicherheit zu sorgen wissen. Schreiten wir zur Tat."


    Des Hochverrats bezichtigte Menschen fanden hier ihren letzten Aufenthaltsort. Das Gefängnis war bereits drei- bis vierhundert Jahre alt, doch die Fassade stammte aus der frühen Kaiserzeit. Durch eine Tür, die wohl neueren Datums war, gelangten sie in den ersten Raum. Von dort ausgehend fanden sich die anderen Räume des Gefängnisses, die Latumiae (Steinbruch) genannt wurden, weil sie direkt aus dem Tuffstein herausgehauen waren. Das Licht, welches Anaxis trug, schälte die Formen aus der Finsternis. Fenster suchte man vergebens, die Zellen glichen vollständig finsteren Kellerlöchern, in welche die Gäste wenige Momente des Lichts brachten.


    Während der Vigintivir das Gemäuer und die Gefangenen inspizierte, Gespräche mit den hier tätigen Mitarbeitern führte und bisweilen kritische Nachfragen stellte, fand sein Scriba reichlich Gelegenheit, seine schöne Handschrift zu trainieren und seinen wachen Geist unter Beweis zu stellen. Bei einer Pause erklärte Ravilla seinem Begleiter, was es mit diesem Gefängnis auf sich hatte:


    "Das Tullianum selbst ist der schrecklichste Teil des Carcer Tullianus. In dieser Kammer erwartetet die Gefangenen ihr Schicksal, meist in folgender Abfolge: Teilnahme am Triumphzug des siegreichen römischen Feldherrn, anschließend Tod durch Erdrosseln oder Enthauptung in den Tiefen des Kerkers. Schlussendlich wird der Leichnam in entehrender Absicht auf der Gemonischen Treppe ausgestellt. Dort ist der Tote der tumben Wut des Pöbels ausgeliefert und wird nicht selten bis zur Unkenntlichkeit entstellt, oft gänzlich zerstückelt. Zu jenen, die dort verhöhnt, gefoltert und hingerichtet wurden, zählt auch Kaiser Vitellius."


    Einen Moment des Gedächtnisses nahm Ravilla sich, ehe er ernst fortfuhr: "Den Tod im Tullianum und die Entehrung auf der Gemonischen Treppe musste auch unser gemeinsamer Vorfahre Seianus ertragen. Nach einiger Zeit werden die zerfetzten Überreste in den Tiber geworfen. Das Tullianum verfügt zudem über einen Anschluss an die Cloaca Maxima. Die Leichen weniger prominenter Gefangener werden dort hinein geworfen. Der Fluss ist voll von menschlichen Überresten, Ruhestätte der Unbestatteten. Auch Seianus fand nach seiner Zurschaustellung und Entehrung durch den Pöbel im Tiber seine letzte Ruhe."

    "Wohlan denn, guter Iunius. Auch die Inspektion des Carcer tullianus will durchgeführt werden. Ich bitte dich darum, das Protokoll zu führen. Siehst du dich dazu bereit?" Ein leichtes Schmunzeln deutete den Scherz an, denn an der Bereitschaft seines neuen Scriba hegte Ravilla nicht den geringsten Zweifel. Schmollend unterdessen hielt Anaxis sich im Hintergrund, der Pflicht als Schreiber entledigt, doch gleichsam ein Stück seiner privilegierten Bedeutsamkeit enthoben.

    "Siehe: Die Kenntnis der Bukolik ist für die Verwaltung der Provinz Cappadocia für den Adel in der Tat von beträchtlicher Relevanz. Die politische Macht gründet sich auf das Erbe des Blutes, das durch die Adern der Tempelfürsten fließt, erwächst in der Praxis jedoch aus der wirtschaftlichen Beherrschung der Bevölkerung. Die Begrenzung fruchtbaren Schwemmlands und dessen Kontrolle verhindert das unbemerkte Aufkommen von Rivalen in den Hinterlanden - sie alle sind durch Hunger gebunden an die Tempelfürsten. Auch wenn jene untereinander rivalisieren, kennt man doch einander und weiß einander einzuschätzen, was eine, wenn auch dynamische, Form von Stabilität erzeugt. Politik und Wirtschaft sind nach meinem Dafürhalten in Cappadocia wohl enger verwoben als in Roma, ich würde sagen, sie bilden eine untrennbare Einheit.


    Das mag aus der Sicht eines Mannes aus edlem Geschlecht Roms möglicherweise befremdlich wirken, schon allein aus der beträchtlicheren Anzahl der zu lenkenden und zu leitenden Menschen heraus, welche das Haupt der Welt bevölkern und daher Abstraktion erfordern. In Roma läuft vieles indirekter aufgrund der Komplexität des hiesigen Verwaltungs- und Regierungsapparats. Das kappadokische System würde hier nicht funktionieren. Roma verlangt von einem Mann der Politik andere Qualitäten als Cappadocia, die ich im Moment zu verstehen und zu erlernen mich mühe."


    Und dem Gedankenspiel seines Patrons bereitwillig folgend, ergänzte Ravilla, den Finger hebend, in poetischer Anwandlung: "Wenn die Gedanken der Cappadocis sich mit dem Wind hinaufschwingen zur Sonne und wieder ins Tal hinabstürzen, wie es ihnen beliebt, wenn sie dem natürlichen Flusslauf folgen bis zum unendlichen Meer der Möglichkeiten, und die Gedanken der Germanen sich an der Undurchdringlichkeit ihres Waldes brechen und in Dunkelheit verlieren, so weiß doch der Römer von allen am Besten, im Gewirr von tausend Wegen jenen zu finden, der ihn sicher aus dem Labyrinth führt."

    Während der Blick des Sklaven unverändert hochmütig blieb, zeigte sein Herr ein seichtes Lächeln ob des rauen Scherzes. "Bislang hat sich niemand gefunden, der mit meinen gehobenen Ansprüchen harmoniert, Optio.1 Freilich hoffe ich, dass sich dieser Umstand bald zum Besseren wandelt. Ich weiß nicht, wie oft man sich bei mir beklagte ob der schwer leserlichen Dokumente, doch die Dinge laufen nun einmal nicht immer so, wie der Mensch sie sich wünscht. Nun denn, die Pflicht ruft. Ich bedanke mich für deine Zeit und wünsche dir noch einen angenehmen Tag. Vale bene."


    Der Abschied von seinem älteren Halbbruder fiel etwas kühler aus, als unter Geschwistern gemeinhin üblich war, doch nicht ohne Zuneigung, ehe Ravillas Schritte ihn aus der Castra trugen.


    Sim-Off:

    1Der ehrenwerte Iunius Caepio hat chronologisch erst nach der Inspektion dieser beiden Carcer bei mir vorgesprochen. :)

    "Optio, es ist mir eine Freude", ließ Ravilla den freundlichen Gruß an seinen älteren Halbbruder verlauten. "Ich darf zur Versetzung zur Garde gratulieren. Offen gestanden halte ich dich für geradezu prädestiniert, diese Position auszufüllen. Und damit spiele ich keineswegs auf unseren berühmten Vorfahren an, sondern auf deine Fähigkeiten. Wärest du nicht bereits hier, hätte ich zu gegebener Zeit versucht, deine Versetzung nach Rom zu bewirken. Eine Familie sollte nicht über das Imperium verstreut sein, nicht wahr?"


    Nachdem Cornicularius Purgitius Abschied genommen hatte, widmete Ravilla sich der Inspektion dieser Räumlichkeiten. Einige Fragen stellte er Stilo, wobei Ravilla auch erfuhr, dass die Zellen, in welchen die Christianer einsaßen, sehr wohl noch in Benutzung waren und keineswegs mit jenen der Cohortes Urbanae zusammengelegt worden waren.


    Der Zustand der Insassen selbst war als passabel zu bezeichnen, sprich, sie lebten und erfreuten sich ausreichender Gesundheit, um nicht vor der Zeit ihren Weg zu den Göttern anzutreten und so der Rechtssprechung zu entrinnen.


    Besser war der Zustand der Zellen. Zwar waren sie seit Jahren nicht renoviert worden, doch in Rom baute man für die Ewigkeit. Das Ausbleiben von Verbesserungsarbeiten hatte nicht zu einer Verschlechterung der Bausubstanz geführt und es gab keinerlei Sicherheitsmängel zu beanstanden.

    "Zu den Christianern vermag ich leider nicht mehr zu sagen, als in den dir bekannten Akten steht. Aller Wahrscheinlichkeit weniger." Er lächelte dünn, da der Praefectus Urbi in Worten zwar beteuert hatte, wie stets mit den Vigintiviri zusammenarbeiten zu wollen, indes mit seinen Taten jedoch eine nicht allein partielle, sondern vollständige Abkapselung seiner Angelegenheiten von jener der Tresviri capitales hatte vollzogen, bewusst das Faktum übergehend, dass der Kaiser Gegenteiliges wünschte. Nun denn, Ravillas Pflichten und die seiner Kollegen im Amt waren mannigfach, auch abseits jener der Castra Praetoria, und an Langeweile würde er nicht leiden müssen.


    Ravilla wandelte einher durch das Gewölbe, betrachtete sich die baulichen und personellen Gegebenheiten, stellte kleine Fragen an die hier ihren Dienst verrichtenden Soldaten und wechselte sogar einige Worte mit Gefangenen. Am Ende seiner Besichtigung gelangte er wieder am Eingang an. "Würdest du mich nun bitte zum Carcer der Cohortes Praetoria geleiten und dort an einen Zuständigen übergeben, Cornicularius?"