Dass der Cornicularius sich noch nicht zurückgemeldet hatte, sagte ihm alles. Sabaco fürchtete die Deutlichkeit der Realität. Er kannte alle Antworten auf seine Fragen. Und doch ...
... zögernd trat er ein, blieb stehen. "Kann ich zu Titus Umbrenus Nero?", fragte er heiser.
Mit sichtlichem Unwohlsein versuchte ein Capsarius, den finsteren Decurio irgendwie zurück zur Tür hinaus zu lotsen, der da breitbeinig stand wie der Koloss von Rhodos. Sabaco ließ ihn ungerührt wuseln, knurrte: "Ich weiß, dass hier alles voller Miasmen ist. Aber ich muss zu Titus Umbrenus Nero. Verstehst du?"
Schließlich kam der Medicus persönlich, der Sabacos besondere Sorge nach einigem Hin und Her erkannte. So versuchte er auf dem Weg der Vernunft, den riskanten Krankenbesuch zu unterbinden: "Wenn du dich ansteckst, fehlt der Turma Secunda, die so viele Männer verloren hat, auch noch der Kopf. Wenn du es wünschst, bringe ich dich zu deinem Cornicularius, doch überlege dir gut, ob es dir das Risiko wert ist. Es ist kein schöner Anblick und du kannst ihm in seinem Zustand nicht helfen."
"Er ist nicht irgendwer und soll spüren, dass ich da bin. Ich muss ihn wenigstens kurz sehen", sagte Sabaco. "Ich gehe nicht nah ran und bleibe nicht lange. Aber ich muss ihn sehen."
So befahl der Arzt seinen Capsarii, gründlich zu lüften, um die Miasmen zu verdünnen, und gab Sabaco ein nach Kräutern riechendes Tuch, das er sich vor Mund und Nase binden sollte. Es wurde wohl regelmäßig in Heilkräutern gekocht und dann getrocknet, um die schädlichen Dämpfe zu filtern. Durch die offenen Fenster wurde es nun ungewohnt kalt im Valetudinarium. Der Arzt führte den Gast zu einem abgelegenen Zimmer.
"Lass uns bitte kurz allein."
Rang hin oder her, hier im Lazarett hatte der Arzt das Sagen. Doch mochte er erkennen, wie wichtig diesem Gast der Besuch war. Sabaco und Nero blieben allein, einer aufrecht stehend, der andere tief in die Strohmatratze und das Kissen versinkend. Wie dürr Neros Arme geworden waren. Als Sabaco in das weiße, wachsgleiche, eingefallene Gesicht sah, wusste er, dass Nero den Kampf gegen das Fieber verlor. Sein Herz zog sich zusammen und für einen Moment stand Sabaco haltlose Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Nero war unrettbar verloren, die Götter riefen ihn zu sich, so wie sie ihm auch Ocella genommen hatten und Stilo.
Da unten, im Kelp, auf dem Meeresgrund
taucht fern vom Licht der getupfte Seehund.
Ruht er am Strand auch im Sonnenschein
jagt er im Schwarzwasser doch allein.
Was war zuerst da gewesen, der Rufname Phoca oder der Fluch? Oder spielte nichts von diesen Dingen eine Rolle, wenn die Götter würfelten? Sabaco richtete sich auf, neigte den Kopf mit lautem Knacken nach links und rechts, ließ Gesicht und Herz zu Stein erstarren und ging mechanisch zurück an die Arbeit. Erst am Abend, als er allein in seinen Decken lag, brach die Einsamkeit mit voller Wucht über ihn herein.