Von den harmlosen Ereignissen ahnte hier niemand etwas.
Die Gerüchte, die sich um die Ereignisse um die Turma Prima rankten, waren entgegen der Bemühungen der Offiziere zu Monstrositäten gewuchert. Inzwischen war jeder sicher, dass Germanicus Varro samt seiner Männer und samt dem Goldenen Adler in die Hände rachsüchtiger Germanen gefallen war. Wer hätte je gedacht, dass ausgerechnet Varro so enden würde? Mit dem Verlust des wie ein Halbgott verehrten Subpraefectus assoziierten manche Equites den Untergang des Imperiums. An der Grenze würde es beginnen, wie eine Nekrose fraß der Untergang sich in Richtung seines Herzens, in Richtung Roma.
Sabaco stand allein auf der Seite des Walls, die Germania zugewandt war. Seine Gedanken galten jemanden, dessen Namen bereits langsam unter de Soldaten verblasste. Keiner der namhaften Großen, die zu Ikonen stilisiert wurden. Einer von denen, welche vom Lauf der Zeit vergessen werden würden. Vor der Mauer zog Braun der Rhenus, breit und reißend von der Schneeschmelze. Er blickte über den kahlen Winterwald am anderen Ufer, der sich braun und dunkelgrün von Horizont zu Horziont erstreckte. Irgendwo in dieser endlosen Wildnis befand sich Ocella, tot oder lebendig.
Die Meldung des hibbeligen kleinen Eques riss ihn aus seinen schwarzen Gedanken. Die Meldung hatte es in sich.
Sabacos schwere Schritte polterten über den Wehrgang, dann die Treppe hinunter, vor zur Porta. Der Anblick, den er am Tor vorfand, erschütterte ihn bis ins Mark. War das alles, was von der Turma Prima übrig war? War der Rest ...
Er würgte den Gedanken ab, gab Anweisungen.
Calones wurden gerufen, Trossknechte, welche die Pferde in Empfang nahmen, um sie für die Soldaten in die Ställe zu bringen und zu versorgen. Wer ins Valetudinarium musste, wurde dorthin geleitet. Zudem organisierte Sabaco ein paar zum Lager gehörende Sklaven, welche sich um die ramponierten Soldaten kümmern würden. Wer wollte, bekam in den Thermen Hilfe, wurde massiert, geölt und gestriegelt und vor allem rasiert, frisiert und bekam die Nägel gestutzt. Auch die Zahnpflege würde übernommen werden. Außerdem würden die Sklaven sich um die dreckigen Kleider und die verlotterte Ausrüstung kümmern.
Es dürfte selten sein, dass eine Einheit mit solcher Fürsorge empfangen wurde, doch wenn jemand sich das verdient hatte, dann die zum Rumpf verstümmelte Turma Prima. Für Scarpus als Decurio ließ Sabaco ein gutes Essen und heißen Würzwein zum Durchwärmen vorbereiten, außerdem legte ihm jemand heiße Steine ins Bett, damit es vorgewärmt wurde, lüftete noch einmal kräftig und heizte seine Stube an. Wenn Scarpus in seine Stube kam, würde es dort wohnlich für ihn sein und nach frischem, schweren Essen und heißem Würzwein duften.
Nachdem das alles organisiert war, was trotz des Umfangs nur wenige Sekunden dauerte - wozu konnte man delegieren - stellte Sabaco sich vor.
"Decurio Atius Scarpus! Decurio Publius Matinius Sabaco, Turma Secunda." Er musste sich einen Moment sammeln, während hinter ihm alles in Bewegung war, was anpacken und helfen konnte, um den traurigen Rest der stolzen Turma Prima zu empfangen. Dann konnte er sich die Frage nicht länger verkneifen: "Wo ist Vexillarius Matinius Ocella? Wo ist mein Bruder?"