Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Früher als jeder andere war Sabaco sicher, dass etwas nicht stimmte.


    Ocella war vom Winterwald verschluckt worden. Lebend oder nur noch die kalten Gebeine? Das war keine militärische Operation! Etwas stimmte nicht. Ocella wusste, wie Sabaco an ihm hing, und hätte ihm Bescheid gegeben, wäre seine längerfristige Abwesenheit geplant gewesen. Germania hatte seinen Bruder in den kalten Klauen und gab ihn nicht mehr frei.


    Auch Sabacos Körper reagierte auf die Sorge. Kaum in der Legio angekommen, musste er schon das Valetudinarium aufsuchen. Ein schwerer Infekt fesselte ihn für Tage dienstunfähig ans Bett. Sobald er wieder gehen konnte, ohne dass der Schwindel ihn gegen Türrahmen lenkte, nahm er das Geld, was für den Kopfgeldjäger geplant gewesen war, und zog damit von Officium zu Officium.


    Wofür er sich bewarb, war nichts geringeres als der Posten eines Decurio. Und natürlich würde Nero ihn begleiten, der gar nichts von seinem Glück wusste. Sabaco brauchte ihn an seiner Seite, als Mensch und als Offizier. Er brauchte ihn mehr denn je.


    Sabaco konnte sich vor seinen Vorgesetzten gut präsentieren, wenn er wollte, wusste um die Gesetze des Miteinanders, fand die Balance zwischen Selbstbewusstsein und Höflichkeit, zwischen Druck und Anbiederung. In Hispania spielte die Gens Matinia noch immer in den oberen Riegen der Gesellschaft und er gehörte dem Ordo Equester an, auch wenn ihm zur Amtsausübung der notwendige Grundbesitz fehlte. Er berief sich auf prominente Verwandte, machte Versprechungen, ließ bare Münze rollen. Es war wohl eine der wenigen Gelegenheiten, da seine Ahnen stolz auf ihn hinabblickten.


    Unter all dem vorbildlich römisch-korrupten Gehabe merkte man ihm an, dass es ihm eine Herzensangelegenheit war. Der fiebrige Glanz in seinen Augen, wann immer von der verschollenen Turma Prima die Rede war, mochte nicht allein den Nachwirkungen des Infekts geschuldet sein.

    Sabaco hätte Nero gern die Sorge genommen, doch dieser verhinderte eine Antwort.


    So musste Nero weiter in dem Glauben bleiben, Sabaco würde den geliebten kleinen Bruder aus Verzweiflung vom Antlitz des Imperiums tilgen wollen. Wäre er nicht pleite, würde er ihm vielmehr ein Denkmal errichten lassen, ein Heroon, ein leeres Haus, einem Tempel gleich, in dem die Hellenen ihre Halbgötter verehrten. Und wie ein Halbgott war Ocella auch, kühl und fern, mit einem Gesicht wie aus Stein. Wie viele Opfergaben Sabaco ihm auch darbrachte, er würde nicht zu ihm hinabsteigen. Denn Ocella strebte nach noch weiter entfernten Göttern ... Germanicus Varro, noch unerreichbarer, noch kälter. Und Ocella würde nicht ruhen, bis er nicht an Varros Seite ganz zu Stein geworden war. Armer kleiner Bruder. Doch Sabaco war ja da und würde die Sache wieder in Ordnung bringen. Nicht jetzt, nicht heute, nicht dieses Jahr. Langsam und stetig.


    Nero aber lag warm in Sabacos Armen. Er lag hier, bei ihm, und Sabaco konnte seinen Herzschlag spüren. Er drückte ihn auf den Rücken und legte ihm fühlend die Hand auf die Brust, schloss die Augen und spürte, wie es klopfte.


    "Die Welt, die du fürchtest, wird gar nichts tun", sprach er ruhig. "Sie kann uns nichts. Denn ich weiß, wie man ihr alles entreißt, was man zum Überleben braucht. Sie hat mir vieles schon entrissen und ich habe mir alles zurückgeholt. Du willst mich beschützen - dann schütze dich selbst, damit ich keine Dummheiten tun muss."


    Damit kroch er zwischen Neros Beine und sank auf ihn hinab. Der Boden des Bootes rieb hart unter ihnen, die Kälte kroch über ihre Haut, doch zwischen ihnen loderten unsichtbare Flammen, die den Winter und die Dunkelheit vergessen ließen.

    Sabaco vermochte nicht zu antworten, weil sein Mund anderweitig beschäftigt wurde. Seine Küsse waren wenig zärtlich, hatten eher etwas von dem Gefühl, gleich aufgefressen zu werden. Seine Zunge schien sich bis in Neros Magen bohren zu wollen und seine Zähne zogen erregt an Neros Lippen.


    "Ich bin in einem Mond wahrscheinlich pleite, Nero", raunte er schließlich. "Jemand muss sterben und ich habe mein ganzes Vermögen dafür in den Topf geworfen. Und du bist wahrscheinlich auch pleite nach dem Kauf des Hausbootes. Also nein, wir können kein Haus erwerben. Aber wir haben uns und unser Boot, notfalls auch mal ein Zimmer. So teuer ist es nicht, wird nur halt irgendwann auffällig. Mir ist das egal, dir nicht. Du musst dich entscheiden. Komm her."


    Er zog ihn nun ganz an sich heran.

    Es kehrte Ruhe ein und Sabaco merkte den Alkohol im Kopf. Er verabschiedete sich und ließ an geeigneter Stelle ein Häuflein Münzen zurück, damit die finanzielle Last nicht allein bei den Gastgebern lag. Er stellte sicher, dass Nero ihm nicht abhandenkam. Es kam nicht infrage, dass der hier allein zurückblieb oder sich vorher verdrückte.


    Mit einem beiläufigen "Kommst du" sammelte er ihn ein, damit sie gemeinsam zurück zur Castra Classis gehen konnten, nicht ohne unterwegs einen Abstecher in eine ruhige Ecke zu machen.

    Es war Zeit, nach vorn zu blicken. Mit seinem vollgepackten Schwarzbraunen, der von Sabacos beträchtlichem Gewicht im Laufe der Jahre im Rücken und den Gelenken ziemlich verbogen worden war, erreichte er die Porta.


    "Salve", schnarrte er. "Optio Publius Matinius Sabaco." Optio ohne Sub. Er mochte seinen neuen Titel nicht, auch wenn der erhabener klang. Vielleicht genau deswegen. "Hab einen Marschbefehl." Er hielt dem Mann den Wisch unter die Nase:


    MARSCHBEFEHL


    Mit Wirkung zum

    ANTE DIEM XIII KAL IAN DCCCLXXI A.U.C. (20.12.2021/118 n.Chr.)


    wird


    Suboptio

    Publius Matinius Sabaco

    zur Legio XXII Primigenia versetzt.


    Der

    Optio

    hat sich am


    ANTE DIEM XIII KAL IAN DCCCLXXI A.U.C. (20.12.2021/118 n.Chr.)

    im Castellum der Legio in Mogontiacum zu melden.



    Gezeichnet

    Memmius Turius Catienus

    clger-nauarchus.png


    Sim-Off:

    Bei Copy&Paste war dem Marschbefehl das M abhanden gekommen. Sah lustig aus.

    In der Taberna war heute kein Platz für sie. Ein eisiger Wind riss an ihren Wollmänteln. Ihre Caligae schmatzten bei jedem Schritt und schlürfte beim Herausziehen im Schlamm. Wenigstens hatte es für einen Moment aufgehört, zu regnen. Dieser Winter war so regnerisch wie kein anderer. Und doch zog es ihn hinaus in die Witterung, fort von der Taberna, wo heute hundert Augenpaare beobachten würen, wenn der Suboptio mit dem Gubernator gemeinsam die Treppe zu den Zimmern hinaufstieg. Gegen das Gerede war er immun und griff sich ohne die geringste Scham auch Jünglinge oder Männer, wenn ihm danach war, aber Nero hielt sich lieber bedeckt und dabei unterstütze er ihn. So blieb ihnen nur die Kälte ihres Hausboots, das sie sich als Versteck eingerichtet hatten. Sabaco wartete, bis Nero bei ihm war.


    Einen Moment betrachtete er ihn, als sei ein Geist vor ihm erschienen, als könne er Neros Gegenwart nicht glauben und noch weniger begreifen. In seinem Leben hatte Sabaco sehr viel Beischlaf gehabt und alles Mögliche ausprobiert. Er sah gut aus, war selbstbewusst, er hatte Geld. Seit geraumer Zeit trug er auch noch eine Uniform, was seine Anziehungskraft noch gesteigert hatte. Wozu sich moralischen Grenzen unterwerfen? Rom nützten sie nichts, noch weniger ihm selbst, also tat er, wonach sein Körper verlangte. Danach war das Verhältnis seiner Begegnungen verdorben, eine Freundschaft ruiniert oder unmöglich und man ging seiner Wege. Man sah einander nicht mehr in die Augen, grüßte nicht mehr oder bestenfalls kühl. Irgendetwas zerbrach durch den Beischlaf und wenn es noch so harmonisch gelaufen war. Nero war der Zweite, der wiederkam. Und der Erste, der bleiben wollte.


    Sabaco legte ihm eine Hand auf die Schulter, sah ihm tief in die Augen, zog ihn näher. Die zweite Hand legte sich auf Neros Hüfte, ohne dass der Blickkontakt abriss. Es war kalt draußen, doch Neros Wärme spürte er durch dessen Kleider. Seine Hände ruhten fest auf seinem Körper. "Ich wünschte, wir hätten ein Haus."

    Mit einer letzten Verabschiedung trennten sich die Kameraden der Classis von ihrem Sub. Und der Sub streifte seinen alten Titel ab, um irgendetwas anderes zu werden. Die Soldaten würden nicht viele Gedanken an ihn verschwenden, wenn sie diesen Winter in ihren warmen Stuben schliefen, beheizt mit der Holzkohle, die er für sie organisiert hatten, oder zu Dienstbeginn die dicke wollene Tunika überstreiften, die sie ihm verdankten. Für sie war es zur Selbstverständlichkeit geworden, dass ihr Sub sich um ihr Wohlergehen sorgte, sie nahmen es ohne Dank und würden bei seinem Nachfolger wohl ein böses Erwachen erleben, da kaum ein Offizier derart viel Zeit und Energie für solche Dinge aufwenden würde. Der Standard war also kaum zu halten. Der Drill hingegen würde ihnen wie ein Verwöhnprogramm erscheinen, da Sabaco sie mit Gewalt geschliffen und geformt hatte. Sein Werk musste unvollendet bleiben, doch sein Nachfolger würde eine gute Basis vorfinden und die Soldaten davon profitieren.


    Trotz allen Wehmuts, den er empfand, sah er ihnen nun nicht nach. Seine Blicke galten nur noch Nero. "Ich wüsste da ein Schiff, von dem mich niemand fernhalten kann, auch wenn ich die Classis verlassen muss. Oder hast du den alten Triton vergessen, der an geheimer Stelle beim Gehörnten Rhenus ruht? Komm."

    Sabaco beobachtete, wie der Kerl in der Dunkelheit verschwand. So sicher, wie er sich durch die Finsternis bewegte, handelte es sich vielleicht um einen Nachtmensch, so wie er selbst einer war, der erst vernünftig schlafen konnte, wenn das erste Morgenlicht durchs Fenster schien. Er war gespannt, ob der Kerl in einem Mond tatsächlich wieder aufkreuzen würde oder ob er kalte Füße bekam und mit dem Säcklein verschwand. Das wäre nicht schön, aber für Sabaco auch kein Drama. Freilich gab es da noch die Möglichkeit, dass der Andere ihn verpfiff, die Sabaco gelassen sah. Das Wort eines Römers stand vor Gericht praktisch immer über dem eines Peregrinus.


    Das Einzige, worum er sich sorgte, war die Erfüllung des Auftrags zum Schutze von Ocella. Wenn der kleine Bruder nur wüsste, was Sabaco alles für ihn tat. Aber er würde es ohnehin wieder nicht verstehen. Er würde nur bemerken, dass auf er einmal einen schweren Fleischklotz, den er selbst sich an den Fuß gekettet hatte, los war, und gar nicht verstehen, dass der kurze Trennungsschmerz ein Befreiungsschmerz war und es ihm bald besser ginge als je zuvor. Aber Sabaco passte auf ihn auf. Immer.


    Sabaco ging zurück in die Taberna, wo er äußerst gut gelaunt abschiednehmend die Runde machte. Am Ende blieb er vor Nero stehen und sah ihm tief in die Augen. Eis traf auf Wasser. "Ich glaube, wir beide haben den selben Heimweg." Nur mühsam unterdrückte er ein anzügliches Grinsen. "Oder willst du noch bleiben?"

    Nach dem Namen des anderen fragte er nicht. Bei so einem Auftrag war es besser, keine Namen zu kennen und der andere hätte ihm ohnehin einen falschen genannt. Auch er selbst hätte sich nicht mit seinem bürgerlichen Namen vorgestellt, sondern mit jenem, den er auf der Straße erhalten hatte und an dem sehr viel Schmutz klebte. Phoca, der lange geruht hatte, doch dessen Erwachen er wieder zuließ, da ein anständiges Leben ihm die Liebe seines Bruders nicht zurückgebracht hatte. Schlimmer noch, Ocella war ihm ferner als je zuvor. Sabaco fühlte sich betrogen.


    Aber es war ihm auch eine Lehre gewesen, dass er schon immer recht gehabt hatte. Man kam Liebe nicht geschenkt. Man musste sich holen, was einem zustand. Sobald man sich zurücklehnte und die Dinge ihren Lauf nehmen ließ, entglitten einem die Menschen. Sabaco hatte nicht vor, das zuzulassen. Notfalls würde er die Welt in Stücke schlagen, jeden Rivalen vernichten und jede fremde Heimstatt niederbrennen.


    Sabaco spuckte sich ebenfalls in die Hand und reichte sie dem Burschen zur feuchten Besiegelung ihres Paktes. Seine Finger schlossen sich kraftvoll, aber nicht brutal um die Hand des anderen. "In einem Mond zur selben Stunde an dieser Stelle", bestätigte er. "Ich wünsche uns beiden, dass du erfolgreich bist."


    Er zog einen ledernen Geldsack hervor, zählte noch einmal nach, holte die überzähligen Münzen hinaus und reichte ihn dann dem anderen. Es war ein Teil des Geldes, was er dabei hatte, um seine Kameraden durchzufüttern. Er hatte für den Abschiedsabend großzügig kalkuliert, das kam ihm nun zugute.

    Fluchtwege gab es eine Menge, die Ecke war bestens einsehbar. Sein Auftragnehmer musste jedoch kurz warten, da die Tür zur Taberna sich öffnete. Sabaco blickte an ihm vorbei, sah seinem kleinen Bruder nach, der allein die Taberna verließ und durch die dunkle Straße ging.


    Das Gefühl der Erleichterung, weil Ocella allein war, währte nur kurz, denn der Kleine verzog sich, ohne an dem Abend auch nur ein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Das tat weh. Was war nur los? Sabaco hatte doch bei der Classis sein Bestes gegeben, nicht gezündelt, auch wenn er von den Flammen träumte. Er hatte sich auch nicht mehr geprügelt und die Frauen des Ortes, sogar die Huren, in Ruhe gelassen, was vor allem Neros Verdienst war, doch der Grund war ja egal. Fakt war, dass Sabaco sich in der Öffentlichkeit anständig benommen hatte. Auch Ocella selbst hatte er nicht mit seiner brüderlichen Zuneigung bedrängt, sondern ihn sein eigenes Leben führen lassen und seine Freiheiten nicht versucht zu beschneiden. Zu den beiden kurzen Konfrontationen mit Varro hatte er sich zusammengerissen und professionell agiert.


    Sabaco fühlte sich wie ein Musterknabe. Es war doch alles so, wie Ocella es sich von seinem großen Bruder immer gewünscht hatte. Warum schnitt Ocella ihn trotzdem? Was fehlte? Was war zu viel? Er spürte Liebe und Schmerz, als er beobachtete, wie der kleine Bruder davonging. Erst, als Ocella aus seinem Blickfeld verschwand, richtete er seine Aufmerksamkeit auf sein Gegenüber. Der hatte sicher geschaut, wohin Sabaco die ganze Zeit so stierte, und daher Ocella gesehen. Zumindest ging Sabaco davon aus.


    "Der Mann, der gerade die Taberna verlassen hat, ist mein kleiner Bruder. Er benötigt meine Hilfe", erklärte er. "Ein Weib hat ihm die Sinne verhext. Ich habe Grund zur Annahme, dass sie seine Gutmütigkeit ausnutzen und sein Leben zerstören wird. Leider kann ich ihm nicht persönlich helfen, weil mein Dienst mich zeitlich sehr bindet und auch, weil ich nicht die Zuneigung meines Bruders verlieren möchte."


    Den Rest, der da vielleicht irgendwo im letzten Winkel von Ocellas Herz schimmelte.


    "Er versteht nicht, dass ich es gut mit ihm meine. Trotzdem kann ich nicht tatenlos zusehen, wie er in seinen Untergang marschiert. Welcher Bruder würde das tun? Die Frau, von der ich spreche, ist die Wirtin dieser Taberna, Eila. Ich möchte, dass sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Am besten so, dass mein Bruder ihren Tod gar nicht bemerkt. Es würde ihn nur aufregen, es ist besser, wenn er glaubt, sie hätte ihn sitzengelassen, damit es ihm für die Zukunft eine Lehre ist. Hundert Sesterze erhältst du als Anzahlung, davon kannst du ein Vierteljahr in Saus und Braus leben und dich ganz auf die Erfüllung des Auftrags konzentrieren. Die restlichen Neunhundert gibt es für ihr abgezogenes Gesicht als Nachweis."


    Der ganze Kopf war nervig schwer, tropfte rum und war beschissen zu transportieren.


    "Ich gebe dir für den vollen Lauf eines Mondes Zeit, damit du alles gründlich vorbereiten kannst. Danach erlischt der Auftrag und jemand anders wird sich die tausend Sesterzen verdienen. Sind wir im Geschäft?"

    Er erhob sich und klopfte auf den Tisch. "Jungs." Und mit diesem letzten, formlosen Gruß verschwand Sabaco aus dem Leben von Ansgar und den Kameraden bei der Classis. Die Rechnung des heutigen Abends ging auf ihn, vielleicht die einzige gute Erinnerung, die sie an ihren verabscheuten "Sub" haben würden. An diesem letzten Geschenk an sie änderte auch das Rumgebocke nichts.


    An Nero gewandt, sagte er: "Bin kurz frische Luft schnappen." So wusste Nero, er würde zurückkehren und wenn nicht, so sollte er vielleicht nach dem Rechten sehen.


    Dem bärtigen Zecher gab Sabaco ein Zeichen, ihm vor die Tür zu folgen. Innerlich amüsierte er sich über dessen Dreistigkeit. Bei tausend Sesterzen stellte niemand Forderungen. Sie sprachen hier von gut drei Jahresgehältern eines Soldaten. Für einen kleinen Arbeiter oder was der Kerl auch immer war, mochte es um 10 Jahresgehälter gehen! Der Tod einer gewissen Person war Sabaco sehr viel wert.


    Dass der Bursche von der Ala gesucht wurde, wusste Sabaco nicht.


    Draußen schlug ihnen eine klare Winternacht entgegen. Sabaco schlenderte an die schräg gegenüberliegende Hausecke, von der aus er alle Wege und auch den Eingang der Taberna im Blick behalten konnte. Es handelte sich um ein Gewerbegebäude oder etwas in der Art, jedenfalls war es des Nachts unbewohnt und alle Fenster verschlossen. Es konnte sie beide niemand belauschen, ohne dass Sabaco denjenigen sehen würde.


    Er wartete, bis der andere sich zu ihm gesellte.

    "Und was meint ihr, würden diese Stämme weit oben im Norden verlangen, damit sie wen auf Nimmerwiedersehen verschwinden ließen?", hakte Sabaco mit gesenkter Stimme nach. "Wenn man einen Bekannten von diesen Stämmen für so einen Auftrag anheuern würde? Hundert Sesterze?" Er ließ die Zahl wirken, die mehr als das Dreifache des monatlichen Solds eines Soldaten ausmachte. "Oder vielleicht, mit einer symbolischen Provision an den Übermittler des Auftrags ... " Er blickte vielsagend in die Runde. "... Tausend?"

    Ein eigenwilliges Sammelsurium an Menschen hatte sich inzwischen eingefunden. Sabaco amüsierte sich über den verspannten Schnösel am Tresen. Er glaubte, dessen Gefühle nachempfinden zu können, sich wie der einzige Zivilisierte unter einem Haufen Barbaren zu fühlen. Sabaco war Eques und hatte von der Sache her nichts in den Unteroffiziersrängen der Classis oder sonst irgendeiner Einheit verloren. In der endlosen Suche nach den Gründen dafür, warum er keinen Draht zum tumben Durchschnitt hatte, schob er es gern auch auf den Standesunterschied.


    Sein Hassobjekt war inzwischen auch eingetrudelt. Hatte er schon Nero von Eila erzählt? Wenn nicht, dann bedurfte es nun keiner Worte, denn Sabacos Blick sprach Bände. Seinen Hass nur mühsam herunterschluckend, wie ein ekliges Stück Essen, das ihm halb im Hals stecken blieb und wieder herauswollte, wandte er sich wieder Ansgar zu.


    "Spar es dir, mich zu verscheißern, Ansgar. Du bist nicht der einzige Peregrinus, mit dem ich im Leben gesprochen habe. Ein Kumpel ist Kelte. Die haben immer noch einen Heiligen Hain und rennen bisweilen nackt in die Schlacht. Menschenopfer gehören bei denen zum guten Ton, wenn man den Göttern einen besonders großen Gefallen erweisen will. Du bist der Erste, der mir erzählen will, dass die Germanen östlich des Limes das nicht mehr machen, obwohl die noch viel ursprünglicher leben als die Kelten. Die Frage ist also nicht das Ob, sondern mich interessieren die Bedingungen."

    Natürlich bemerkte Sabaco seinen Bruder. Er bemerkte alles, denn er war als Beutegreifer von Haus aus ein aufmerksamer Beobachter. Genauso bemerkte er, dass Ocella ihm den Rücken zuwandte und sich unsichtbar stellte. Ocella war allein gekommen. Niemand ging allein in eine Taberna. Die Schlussfolgerung war blond und toxisch. "Undankbares kleines Aas", grollte Sabaco leise in seinen Becher.


    Der Blick, den er Nero nach einem kräftigen Schluck zuwarf, war rückversichernd. Sie waren nichts weiter als Kameraden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit bewegten, ein Wechsel, der Sabaco problemlos gelang, doch auch jetzt wollte er wissen, inwieweit ihr Bündnis galt.


    Plötzlich kam ihm ein Gedanke. "Sag mal, Ansgar, führt ihr Germanen eigentlich noch Menschenopfer durch?", fragte er neugierig. "So, wie die Kelten?" Bei denen gehörte das ja praktisch zum Alltag.

    Sabaco ließ sich heute feiern. Dass er nicht der Beliebteste war, wusste er, doch darum war es ihm nie gegangen. Er hatte immer nur das Beste für seine Männer gewollt. Dass diese ihn dafür verfluchten, ertrug er klaglos. Manchmal wurmten sie ihn, der Undank, das Unverständnis, das Unwissen. Er hatte gehofft, nach dem Gefecht würden sie ihn verstehen, doch das hatte sich als Illusion erwiesen. Auch der nächste Schleifer würde es dieser Truppe nicht recht machen können. Wie würde es in der Legio werden? Vielleicht gab es eine verschworene Gemeinschaft, wie er sie sich wünschte, nur auf den Straßen von Tarraco. Vielleicht war es bei der Legio auch nicht besser als bei der Classis, ob Vollblutrömer oder nicht.


    Sabaco spürte, dass der Abgrund, der in seiner Seele klaffte, heute Nacht offen lag. So war es immer, wenn ein Abschied drohte. Wer ihn kannte, bemerkte es daran, dass er schweigend trank, und nicht wie sonst ohne Punkt und Komma schwafelte.


    Sein Blick strich über die Gesichter, verharrte kurz auf Rotschopf Ansgar, zu dem er nie hatte durchdringen können und den er so wenig verstand wie dieser ihn. Er wünschte ihm und allen anderen das Beste, auch wenn keiner verstand, dass er nie etwas anderes gewollt hatte.


    Er blickte weiter zu Nero, der bald kein Gubernator mehr sein würde. Erst hatte man ihn dem Meer und nun auch dem Fluss entrissen. Er würde bei der Legio nicht glücklich werden. Wie war es dazu gekommen, dass man diesen qualifizierten Seemann zu einer Plattfußeinheit versetzte? Ob er selbst darum gebeten hatte, Sabaco zuliebe?


    Sabaco wusste es nicht. Er wusste nur, dass dieser Abschied für sie beide grausam war.


    Allein die Marini frohlockten. Wenigstens die Marini. Als sie auf ihn tranken, weil es sich so gehörte, wenn jemand einen ausgab, hob auch er zum Gruß den Humpen, grinste voll Schmerz und trank.

    Sabaco frohlockte. Während den Giftzwerg nun jeder als kleines Arschloch wahrnahm, war er fein heraus. Er setzte seinen nachsichtigen Blick auf. "Der wird schon noch lernen, wie der Hase läuft", sprach er an Hadamar gewandt mit einer Geduld, die er nicht besaß. Damit wollte er dem Gastgeber ersparen, sich stellvertretend für ihn ärgern zu müssen.


    Stilo mochte ja irgendwelche Qualitäten besitzen, wenn man genau hinsah, aber mit seiner Es-renkt-sich-alles-von-selber-ein-wenn-man-nur-lange-genug-untätig-bleibt-Attitüde war er vollkommen unfähig, seinen Adoptivsohn zu erziehen. Die Ala würde das an seiner Stelle übernehmen und aus Fango einen Mann machen, der er nie werden würde, wenn man Stilo die Alleinverantwortung für den Knilch überließe. Zum Glück aller gab es das Exercitus.


    Vielleicht sollte er ein wenig nachhelfen ... ohne seinen entspannten Gesichtsausdruck zu verändern, sah er Fango nach, der mit Cimber in der Dunkelheit verschwand.


    "Kein Geschäft, Gubernator ... nach dem Exercitus bin ich entweder zu Grund und Boden gekommen und trete das Ritteramt an, oder ich melde mich erneut als Evocatus. So oder so werde ich in Caligae sterben."

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    Wahrscheinlich pfiffen es die Spatzen längst von den Dächern, dass "der Sub" die Classis verlassen würde. Das Wortspiel mit seinem Titel nahm der Suboptio navalorum mit bissigem Humor. Den Abschied nicht. Beim letzten Appell betrachtete er seine Mannschaft etwas länger als sonst.


    "Es wissen wahrscheinlich eh schon die meisten, aber jetzt wird es offiziell. Heute ist der Tag des Abschieds. Ich habe euch geschliffen, ich habe euch gequält. Manch einer hat darüber abgekotzt, aber beim letzten Gefecht hat sich gezeigt, wofür es gut war. Die Feuertaufe haben wir als Mannschaft ohne Verluste bestanden. Irgendwann werdet ihr mir vielleicht dankbar sein, dass ich euch mit Härte schliff und nicht mit einem Kuschelkurs.


    Eines Tages werdet ihr das römische Bürgerrecht innehaben, werdet Römer sein und es wird mit Fleiß, Disziplin und Blut verdient sein. Dass ich euch ein Stück des Weges dahin begleiten durfte, erfüllt mich mit Stolz. Wer Lust verspürt, ein letztes Mal die Präsenz seines alten Schleifers zu genießen: Ich gebe heute Abend einen in der Taberna pulcha patria aus. Ich wünsche euch auf eurem weiteren Weg alles Gute. War eine geile Zeit.


    Valete. Wegtreten."

    Zum Thema Kinder nickte er. "Kinder sind gut, sie sind die Zukunft und sie halten das Haus am Leben. Ich hab auch mindestens eins. Einen Jungen. Falls es mit einer Heirat in diesem Leben nichts mehr wird, erkenne ich den an und dann haben die Matinier ihren Stammhalter. Meine Brüder waren reichlich faul. Wenn das so weitergeht, sterben wir entweder aus oder ich muss mich mehr ranhalten." Insgeheim freute er sich darüber. Ocella besaß einen grauenvollen Frauengeschmack und er mochte den kleinen Bruder auch nicht mit irgendeinem Anhängsel teilen. Den Geschmack von Avianus hingegen kannte er gar nicht.


    "Tarraco", wiederholte Sabaco sinnierend. "Schön ist es da. Der Strand, der Ozean. Die Villen und die Weinberge. Und die Urbevölkerung da ist zivilisierter als das, was uns hier vor die Klingen springt. Wenn ich ein zahnloser Opa bin, will ich in die Heimat zurückkehren. Bei mir ist es wie bei dir. Was an Sippschaft noch übrig ist, haust größtenteils dort, auch wenn einige eine Zeitlang in Rom lebten. Meine beiden Brüder hat es allerdings ebenso nach Germania verschlagen. Wahrscheinlich haben sie mich vermisst, obwohl sie es nicht zugeben würden."


    Als Valentina sagte, dass ihn sein Ausspruch bezüglich Madara ehren würde, grinste Sabaco. Damit war die Zahl derer, die ihm jemals einen ehrbaren Charakterzug zugeschrieben hatten, auf zwei angestiegen. Er selbst wusste, warum er etwas tat und wofür. Wenn ehrbares Verhalten seinen Zielen im Weg stand, verzichtete er darauf.


    "Das Konsortium steht für alles, wofür die Romanisierung stehen sollte. Rom profitiert davon genauso wie die romanisierte Bevölkerung. Es muss Generationen gedauert haben, das aufzubauen. Und schwarzbraunes Fell ist gut - mein jetziger ist auch ein Schwarzbrauner." Irgendwer hatte mal gesagt, dass dieser Typus von Pferd eine besonders edle Ausstrahlung habe, weshalb hohe Leute bevorzugt auf Schwarzbraunen ritten. Vielleicht, weil das dunkle Fell so glänzte, wenn man es striegelte. "Wann kann ich ihn mir ansehen?"


    Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Cimber sich mit der kleinen Heulsuse anzufreunden versuchte, die Stilo da adoptiert hatte und fand, Fango bräuchte mal gehörig den Arsch voll. Er guckte zwar gerade unglücklich, aber seine Körperhaltung wirkte ansonsten recht frech. Fango war ein halber Iunier und die konnten allesamt Giftspritzen sein. Sollte ihn wundern, wenn es bei dem Exemplar anders wäre. Er hob den Becher an die Lippen, um sein breites Grinsen zu tarnen. "Wünsche euch viel Spaß."

    "Ah … eh?!"


    Sabacos Brauen vollführten eine Wellenbewegung von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Er hatte sich doch gerade erst eingelebt! Was hatte er falsch gemacht, wollte man ihn loswerden? Oder meinte man es gut mit ihm, weil die Legio ja eigentlich was Besseres war als die Classis? War das was Persönliches oder nur eine Frage der Organisation? Fassungslos starrte er den Marschbefehl an, ebenso den, der darüber hing. Nero würde mit ihm zur Legio kommen, das war gut. Ob irgendjemand ahnte …?!


    Gestresst kehrte Sabaco in sein Cubiculum zurück. Die Information musste er erst einmal setzen lassen.

    "Niemand, Nero. Ich habe mir nur den Kopf gestoßen. Das ist keine Geschichte, die zu erzählen sich lohnt und keine, für die es Vergeltung geben kann."


    Er gab ihm einen Kuss. Nero würde nicht verstehen, wie jemand so eifersüchtig sein konnte, dass er sich selbst zerstörte, weil es anders nicht zu ertragen war. Sabaco verstand sich ja selbst nicht, kam aber aus seiner Haut nicht heraus. Im Vergleich zu früher benahm er sich sogar recht gemäßigt, die Legio hatte ihn mehr Selbstbeherrschung gelehrt. Früher hätte er Nero lieber an seiner Wunde sterben lassen, als zuzulassen, dass jemand seinen nackten Bauch mit den Händen berührte. In weiteren zehn Jahren war er vielleicht so entspannt, dass er keinen körperlichen Gegenschmerz mehr brauchte. Er grinste Nero breit an und griff ihm kurz in den Schritt.


    Als sie alles beisammen hatten, half Sabaco Nero noch in die Klamotten und Sandalen. Dann machten sie sich auf zum Baden, um sich aufzuwärmen und die blutigen, salzigen und schlammigen Reste des Gefechts von der Haut zu spülen. Wegen der Wunde würden sie aufpassen müssen, aber dreckig konnte der Gubernator nicht bleiben.