Beiträge von Publius Matinius Sabaco

    Noch stand die Sonne nicht hoch genug, um viel zu erkennen. Sobald das Licht genügte, würde der Weckruf erklingen. Aber Sabaco schlief nicht mehr. Er strich leise durch das dunkle Lager. Schaute sich um, fand kleine Fehler im Aufbau. Ging weiter, betrachtete die Pferde, nörgelte gedanklich an der Ausrüstung herum, dachte nach. Die Secunda bestand weitestgehend aus erfahrenen Männern, aber sie waren neu zusammengewürfelt und mussten sich noch besser einschleifen.


    Als Cimber zurückkehrte, erwiderte Sabaco den Gruß, hörte der Meldung zu. Ein zuverlässiger und guter Mann, dieser Cimber. "Uns kaufend mit Proviant ausrüsten? Du meinst, die Bärte dürfen ihr Leben freikaufen, indem sie uns mit allem ausstatten, was wir benötigen!" So weit kam es noch, dass er das knappe Budget seiner Turma für Essen ausgab, das er genau so gut umsonst erhalten konnte.


    "Nach dem Weckruf haben die Männer eine halbe Stunde, dann bauen wir das Lager ab. Du wirst den Vorgang bei den jüngeren Kameraden beaufsichtigen. Das muss noch schneller und besser werden.


    Anschließend reiten wir auf direktem Weg zum Dorf. Geben die Bewohner uns ohne Mätzchen alles, was wir wollen, reiten wir weiter. Machen sie Probleme, statuieren wir ein Exempel. Ich habe es satt mit diesem Kuschelkurs, der hier jahrelang gefahren wurde.


    Und sammle den sinnlos herumspazierenden Iunianus Fango ein und erkläre ihm, was ein Wachposten macht. Wegtreten."

    Es hatte in der Nacht geregnet und die Morgenluft duftete frisch. Auf der Römerstraße überholten die Reiter eine Centuria der Legio XXII Primigenia, die einen Übungsmarsch durchführte. Man grüßte, doch hielt sich nicht auf. Beide Einheiten hatten ihre Aufgaben zu erledigen. Tief drang die Turma Secunda heute nach Germania vor. Sabaco ging alles zu langsam. Die Vorbereitungen zogen sich in die Länge. Er riss sich sehr zusammen, seinen Frust nicht an den Männern auszulassen, sondern den Dingen die Zeit zu geben, die sie brauchten.


    Die Nacht mussten seine Soldaten unter den aufmerksamen Augen von Wachposten in einem Feldlager auf dem feuchten Boden verbringen. Sie waren zu weit ins Hinterland vorgedrungen, um heute noch umzukehren. So nutzten sie ihren Schild und das Sattelfell als Liege, den Mantel als Decke. Sabaco fand keinen Schlaf, Unruhe trieb ihn auf die Beine und er witterte in die Nacht hinaus. Unter der Sichel des abnehmenden Mondes setzte er sich zu Brandolf, der Wache schob, und leistete ihm Gesellschaft. Leise unterhielten sie sich, wie Sabaco es oft getan hatte in den letzten Wochen, um seine Equites kennen zu lernen. Diese Männer hatte er handverlesen dürfen. Diesmal hatte er darum mehr Glück oder vielleicht lag es an seiner größeren Erfahrung, aber die Turma II harmonierte besser mit ihm als seine Einheit bei der Classis.


    Nach einer Weile war Sabaco entspannt genug, sich auf seinem Schild zur Ruhe zu legen. Er fühlte in sich hinein, ob er Ocellas Nähe spürte, redete sich ein, der Bruder sei nah. Sie müssten nur noch weiter reisen, noch tiefer vordringen in die Wälder von Germania Magna ... hinein in die Schatten der uralten Bäume.

    "Ich stehe längst in Flammen, Nero. Nichts kann dieses Feuer löschen, ich verbrenne innerlich und bald wird nichts Lebensfähiges mehr übrig sein. Aber das Blut unserer Feinde mildert den Schmerz. Am Ende dieses Sommers wird Germania Magna eine Aschewüste sein. Es geht nicht darum, das Land für das Imperium nutzbar zu machen, es geht darum, es zu vernichten. Dies wird keine Eroberung, sondern eine Strafexpedition."


    Sabaco trank seinen Becher leer. Mit größter Selbstbeherrschung verbot er sich, mehr Wein einzuschenken. Er kam auf die Beine, der Blick flackernd, doch es war nicht vom Alkohol.


    "Die Karte", bestätigte er. "Deine Ideen sind gut. Lasse Cimber hierher rufen und instruiere ihn. Jetzt."

    "Du bist viel rumgekommen." Sabaco nickte respektvoll. Jeder Soldat wusste, was hinter dem Damm der kurzen Auflistung für eine Flut an Eindrücken, Erfahrungen und Emotionen drückte. Details solcher Erlebnisse besprach man besser bei einem Becher Wein in lockerer Runde, weshalb er nicht weiter nachhakte.


    "Ich kenne die Gegend hier praktisch überhaupt nicht", gab Sabaco unumwunden zu. Wem hätte eine Beschönigung genützt? "Ich bin geboren in Tarraco, versah meinen Dienst in der Legio IX Hispana. Während der Grundausbildung war alles friedlich, dann wurde ich mit der Legio zusammen nach Niedergermanien versetzt und sammelte dort Gefechtserfahrung. Manchmal mehr, als mir recht war, aber es hat mich auch zu dem Mann geformt, der ich heute bin. Ein Schwert schmiedet man mit Feuer und Eisen. Drum keine Klage aus meinem Mund.


    Mein erstes Kommando bekam ich in der Classis und erlebte kleinere Scharmützel erstmalig aus der Sicht eines Unteroffiziers. Nun ist mit der Versetzung zur Ala der Perspektivwechsel gekommen für den Blick des Offiziers. Obergermanien kenne ich erst seit anderthalb Jahren. Da kann von "kennen" natürlich keine Rede sein. Ich versuche das wettzumachen, indem ich einen Schwerpunkt meiner Vorbereitungen für die Operation auf eine besonders gründliche Aufklärungsarbeit setze. Ist das optimal? Ist es nicht. Aber das wird kein Hindernis sein.


    Wie gut bist du deinerseits mit dieser Provinz vertraut?"

    Sabaco hatte beobachtet, wie die ersten Pferde, die vermutlich für den Verkauf gedacht waren, schon von einem Angstellten oder Sklaven nach draußen gebracht wurden. Er bewunderte die hervorragende Muskulatur des Schwarzbraunen Skrymir nur kurz, dann kam der Grauschimmel. Ein junger Hengst mit wachem Blick. Dunkel gewolkt, wie Sabaco es liebte, schwarz an Mähne, Schweif und Beinen. Ein aufziehendes Gewitter auf Beinen. Groß und stämmig, wenn auch noch nicht fertig geformt, mit stabilen Knochen. Trotz der Jugend nicht allzu feurig, wie es schien, scheinbar mit einem guten Schuss Bauernpferdeblut, wenn er die Statur und das gemäßigte Temperament bedachte.


    Er riss sich vom Anblick des Tiers los. "Salve, Centurio Duccius und Duccia! Ich kann die Entscheidung erst treffen, wenn ich diesen jungen Grauschimmel da vorgestellt bekommen habe. Ich bitte darum, ihn ein paar Runden laufen zu lassen, damit ich mir seine Bewegungen ansehen kann. Das Gleiche gilt für Skrymir, wir müssen ihn gehend und galoppierend sehen. Umbrenus Nero besitzt in der Tat noch kein eigenes Pferd."


    Nicht, dass er hagere alte Bursche so einen Klopper benötigen würde, doch wen störte das? Besser zu wuchtig als zu leicht. Wenn ein solches Tier seinem Cornicularius gefiel, sprach alles dafür, sowohl den Grauen als auch den Schwarzbraunen mitzunehmen. Wichtig war auch, dass es sich um Hengste handelte, da nur diese vernünftig nach hinten ausschlugen und somit für den Nahkampf taugten. Doch diesen Umstand sah Sabaco als gegeben.


    "Was ist mit dir, Cimber? Was für ein Pferd suchst du? Oder bleibst du bei deinem gemütlichen Schlenderer ... wie hieß er ..."

    "Warum sollte ich Hass und Zorn bändigen? Dafür sehe ich nicht den geringsten Anlass. Der kühle, planende Geist, das bist du. Du sammelst die Information, du trägst sie zusammen, du wertest sie aus und ich entwickle daraus unsere Taktik. Natürlich wird Germania brennen. Ich werde nichts davon übrig lassen, bis ich meinen Bruder gefunden habe. Ich rotte diese ..."


    Seine Zähne schlugen hart aufeinander, als er erneut seine Tirade unterbrach. Er trank einen Schluck Wein.


    "Werden wir konkret. Ich benötige als erstes eine Karte des Geländes. Mir liegen nur welche vor, die unpräzise sind. Die Topografie ist ausreichend beschrieben, aber was mir fehlt, sind Angaben zur Vegetation. Wald, Sumpf, Anbaufläche, Weideland? Das ist dort nicht vermerkt. Solche Dinge muss ich in Erfahrung bringen, da wir sie für den Aufbau einer funktionierenden Versorgungskette im Hinterland benötigen. Schicke Cimber aus, er soll eine anfertigen. Zudem soll er überprüfen, welche Ortschaften derzeit bewohnt und welche verwaist sind. Das wechselt bei den Germanen ja regelmäßig. Vielleicht ist das eine oder andere auch niedergebrannt und geplündert worden."

    Der Decurio und seine beiden Unteroffiziere traten auf den Campus. Sabaco strahlte die Gelassenheit eines Mannes aus, der um seine autoritäre Ausstrahlung weiß. Das Gebrabbel verstummte.


    "TIRONES, STATE!*" Laut dröhnte Sabacos Bariton über den Campus. Dieser Mann konnte brüllen, daran bestand kein Zweifel. Sein Blick strich langsam von einem Ende der Reihe zum anderen, nahm das Gesamtbild in sich auf, prägte sich Details für später ein. "Movemini.** Ich bin Decurio Publius Matinius Sabaco und ich habe das Kommando über die Turma II. Ich bin hier, um euch eure Ausbilder vorzustellen."


    Er wies zu seiner Linken: "Duplicarius Andriscus, Leiter der Ausbildungsturma. Er wird mit euch den Theorieunterricht machen." Er wies zu seiner Rechten: "Duplicarius Appius Umbrenus Cimber, meine rechte Hand in der Turma II. Er wird mit euch die praktische Ausbildung durchführen. Die beiden sind auch eure Ansprechpartner bei Fragen und Problemen.


    Ab sofort wird euer Tagesablauf wie folgt aussehen:


    Aufstehen mit dem Weckruf. Euch bleibt eine halbe Stunde, dann ist Dienstantritt hier auf dem Campus. Hier findet die Tagesbefehlsbesprechung statt, danach folgt der Frühsport. Gelegentlich kann eine spontane Stubenkontrolle stattfinden, ihr solltet also stets auf Ordnung achten, um euch unangenehme Überraschungen zu ersparen. Nach dem Frühsport beginnt die eigentliche Ausbildung. Was genau an welchem Tag stattfindet, obliegt euren Ausbildern.


    Es gibt eine kurze Pause am Vormittag und Mittags eine lange, in der ihr etwas essen könnt. Am frühen Abend ist euer Dienstschluss. Es kommt nur selten vor, dass ihr mal früher Schluss habt, diese Hoffnung muss ich euch nehmen. Wahrscheinlicher ist, dass überzogen werden muss.


    Danach müsst ihr noch eure Ausrüstung nachbereiten und die Einsatzbereitschaft vollständig wieder herstellen. In der Regel habt ihr eine Stunde Freizeit, welche ihr für eure Körperpflege in den Thermen und das Zubereiten der Abendmahlzeit nutzen solltet, dann ertönt meist schon das Signal, das den Beginn der Nachtruhe ankündigt. Ab dato ist vollständige Ruhe und keiner verlässt mehr das Quartier. Dieser strengen Regelung unterliegt ihr während der gesamten Grundausbildung. Ausgang, Nachtausgang oder gar Urlaub gibt es für keinen Tiro.


    Am Ende eurer Grundausbildung werdet ihr Equites sein, Reiter Roms. Es wird hart werden, aber es lohnt sich. Danach werdet ihr euren Einheiten zugewiesen und wer weiß, vielleicht sehen wir uns dann wieder. Ich wünsche euch allen viel Erfolg.


    Duplicarius!"


    Er übergab das Kommando mit einem Nicken an Umbrenus Cimber und zog mit Andriscus wieder von dannen, denn heute begann die Ausbildung mit der Praxis.*** Sabaco war wichtig gewesen, dass beide Ausbilder die Truppe schon einmal sahen und umgekehrt jeder Tiro wusste, wer künftig seine Ausbilder waren. Damit blieb Cimber allein vor den Tirones zurück, die ihn anstarrten.


    Sim-Off:

    *Stillgestanden!

    Sim-Off:

    **Rührt euch.

    Sim-Off:

    ***Beide Ausbildungseinheiten werden parallel bespielt, damit wir zügig vorankommen. Du kannst dich also auch schon in den Raum LI begeben.

    Der weiße Morgennebel kroch vom Fluss über das Land. Auf der Römerstraße herrschte reger Handelsverkehr, der die Reiter der Ala aufhielt. Sie kamen aufgrund der Karren langsam voran, und wenn sie noch so sehr ihren Platz beanspruchten und manch Händler im Straßengraben landete. Als die Sonne sich neigte, war die Castra noch nicht zu sehen. Die Turma II fürchtete um den wohlverdienten Feierabend.


    Als die Dämmerung sich zu Anthrazit verdunkelte, erreichten sie endlich das Standlager der Ala I Aquilia Singularis. Vor den Toren erwartete die Soldaten eine Menge Zelte und Wagen fahrender Händler, die allerlei Waren und Dienstleistungen feilboten. Dass es Nacht wurde, tat dem Geschäft gut, denn jetzt genossen die Soldaten eine Stunde Freizeit. Außer die Turma II, die nach dem langen Ritt gerade erst heimkehrte und noch ihre gesamte Ausrüstung wieder einsatzbereit herrichten und in die Therme gehen musste.


    Als sie endlich alle Pflichten hinter sich gebracht hatten, war die kurze Gelegenheit zur Freizeit vorüber und jeder hatte in seinem Bett zu liegen. Nach dem anstrengenden Tag waren sie allerdings zu müde, um deswegen schlechte Laune zu schieben.

    "Ich werde auf mich aufpassen. Es gibt etwas zu erledigen, das meines lebendigen Zorns bedarf. Germania wird brennen, Nero, die Drecksäcke werden in ihrem eigenen Blut ersaufen, ich werde ..." Sein Mund klappte zu und er schluckte den Rest der Tirade ungesagt herunter. Sein Herz raste, er durfte sich nicht hineinsteigern, was bei dem Thema sehr schnell geschah. Er schloss die Augen und seine Mundwinkel erzitterten kurz, als er an Ocella dachte, dann hatte er sich wieder im Griff. Aus der Küche holte er für sie beide je einen Becher verdünnten Wein, sowie einen Krug. Den ersten Becher stürzte er zügig hinunter, den zweiten goss er sich fürs langsame Trinken ein.


    "Seius Stilo ist der Adoptivvater von Iunianus Fango, außerdem ist er ein Freund von deinem Verwandten Umbrenus Cimber. Beide kannst du nach den Kontaktdaten von Stilo fragen. Mir hat er sie noch nicht mitgeteilt, seit er nach Rom umgezogen ist. Nicht mal, dass er nun bei den Prätorianern ist. Ich habe das nur über Fango erfahren." Sabaco klang dabei verschnupft. Aus den Augen, aus dem Sinn, so war es, wenn man diesem Mann nicht mit dem Knüppel hinterherrannte und ihn daran erinnerte, dass man existierte.

    Der Raureif auf den Gräsern schmolz im Licht der aufgehenden Sonne. Ein weiteres Mal zog die Patrouille an der Grenze entlang. Heute hatte Sabaco ein paar frisch von der Tertia in die Secunda versetzte Neulinge dabei, die sich recht gut machten. Der Decurio war zufrieden. Die Zusammensetzung seiner Einheit näherte sich der Vollendung.


    Natürlich gab es auch Streit und Machtgerangel, das gehörte zum Zusammenleben dazu, besonders bei einer so durchsetzungsstarken Truppe. Während der Patrouillen, aber auch bei den Übungen gewöhnte man sich aneinander, aus vielen wurde eins. Es kam nicht darauf an, dass sich immer alle vertrugen. Da war die Secunda wie jede andere Turma: Sie durchlebte Grüppchenbildung und Fehden, Rivalitäten und Eifersüchteleien. Entscheidend war, dass sich im Ernstfall trotzdem alle aufeinander verlassen konnten. Daran durfte niemals je gerüttelt werden.


    Nicht immer mit dem Wind zu segeln, sondern gemeinsam dem Sturm zu trotzen: Das war die Bedeutung von Kameradschaft.

    Nervös blickte Sabaco in Richtung Tür. Die Besitzergreifung ließ das Blut südwärts sickern und sich dort verdichten. Es war nicht so, dass es ihm missfallen würde, ganz im Gegenteil. Und doch stand ein großes Aber im Raum. "Nero ... wir sind im Dienst. Scheiße, Mann. Natürlich liebe ich dich und keine Frau und auch kein Mann wird daran etwas ändern. Ob du 47 bist, 67 oder 87. Was spielt das für eine Rolle? Aber Dienst ist Dienst und unser Privatleben muss getrennt davon verlaufen. Ich als Offizier kann Ärger bekommen, wenn es so wirkt, als würde ich meine Untergebenen sexuell ausnutzen. Im schlimmsten Fall droht mir der Tod, im mildesten Fall prügelt man mich zum Krüppel. Außerdem kann ich so nicht vor die Soldaten treten." In ihrer festen Umarmung spürte Nero, was Sabaco meinte.


    Sabaco löste sich darum sanft aus Neros Griff. Mit einem tiefen Blick sagte er: "Wir treffen uns heute Abend in der Taberna. Jetzt nimm Platz." Auch er selbst kam dem nach. "Nun zu deinem Problem. Mein Freund Seius Stilo lebt inzwischen in Rom, dient als Prätorianer. Vielleicht kann er in Erfahrung bringen, wo deine Natternbrut zu finden ist?"

    Die morgendliche Kälte kroch durch die Kleidung der Soldaten, als sie die Baracken verließen. Die Patrouille der Ala kam gut voran. Trügerische Stille lag über der Provinz. Der Feind schwieg, doch er schlief nicht. Anschließend war kein Feierabend: Es stand noch eine Waffenübung mit Pfeil und Bogen auf dem Dienstplan. Sabaco beobachtete und zog seine Schlüsse.


    Besonders gut machte sich der Winzling namens Iullus Seius Iunianus Fango. Der Bursche war sensibel und wäre er nicht der Junge von Stilo, hätte Sabaco ihn aus der Secunda gekickt. Doch nun war er eben hier und schießen, das konnte Fango von den Equites dieser Turma am besten. Sabaco erkannte auch, warum das so war. Der Kleine war ein Kopftyp, klug und konzentriert. Das kam ihm für das Schießen - eine Kampfdisziplin, in der seine geringe Körpergröße kein Nachteil war - entgegen. Einen Pfeil präzise ins Ziel zu bringen, erforderte einen wachen Geist.


    Sabaco trat bei passender Gelegenheit an Andriscus und Cimber heran und wies unauffällig auf Fango, als dieser nicht hinsah. Sabaco sagte jedoch nichts, die Ausbilder würde selbst sehen, warum der Decurio ihre Aufmerksamkeit auf diesen Schützen lenkte. Diesen jungen Eques galt es, im Auge zu behalten und ihn weiter zu testen.

    "Emotionale Welten? Ich weiß nicht, wovon du sprichst. Ich werde dich in jedem Fall auf dem Laufenden halten, was die Suche nach Ocella anbelangt. Lass bei Gelegenheit auch mal deinerseits von dir hören. Es gibt Leute, die dich sonst vermissen."


    Es klirrte. Sabaco kickte eine herunterfallende Armschiene in die Luft, bevor sie den Boden berührte. Mit einer Hand fing er sie und legte sie zurück auf den Stapel in Avianus' Armen.


    "Das schlimme Ende ist fest einkalkuliert - für die Barbaren. Germania Magna wird brennen. Aber die Details stehen bis zum Operationsbeginn unter Verschluss. Wissen ist wie Wasser, es neigt dazu, durch jede Schwachstelle zu entrinnen. Also, man sieht sich."

    Der Regen hörte von einem Tag auf den anderen auf. Beinahe erstaunt blickten die Soldaten an diesem Morgen in den blauen Himmel, die Augen gegen das Licht zusammengekniffen, als hätten sie vergessen, dass es eine Sonne gab. Nach dem finsteren Winter wirkten ihre Gesichter bleich und kränklich, man sah deutlich ihre Augenringe und jede Hautunreinheit.


    Die heutige Patrouille hatte den Charakter eines Ausritts. Weder Germanen noch Römer waren an diesem ersten Frühlingstag auf Kampf aus. Die Reiter freuten sich über die Sonne und den süßen Duft der Wildkirschen, der geradezu pervers durch den Geruch von Leder, Eisen und Schweiß der Soldaten verunreinigt wurde. Manch einer zog die Alkoholfahne des Vorabends hinter sich her. Ihre Frühlingsgefühle äußerten sich in besonders derben Sprüchen und darin, dass am Abend die meisten auf der Suche nach einer Gelegenheit in den Gassen von Mogontiacum verschwinden würden.

    Vorboten des Sturms

    Vorbereitungen auf die Operation Sommergewitter


    Die Zeit des Wartens war vorüber. Germania würde brennen. Allgegenwärtig schienen die Reiter der Turma Secunda. Die Kontrollen von Reisenden und Händlern wurden verschärft. Die Einheit bereitete sich systematisch auf die Strafexpedition vor. Die Patrouillen erfolgten dichter, unbarmherziger, drangen in Gebiete vor, die bislang vernachlässigt wurden. Das tägliche Training war hart für Mensch und Tier und nicht jeder war dem gewachsen. Schwache Soldaten wurden gegen stärkere Männer ersetzt, Pferde gegen bessere getauscht.


    Mit dem Verschwinden der Turma Prima rückte die Turma Secunda auf den Platz an der Spitze. Doch fehlte ihr das Ehrgefühl, das die Prima unter Germanicus Varro charakterisiert hatte. Nur den zähesten, willensstärksten und skrupellosesten Kriegern wurde die Ehre zuteil, in der Turma Secunda zu dienen. Decurio Matinius Sabaco besetzte seine Turma mit einem Trupp von menschlichen Raubtieren, die nach Feindesblut lechzten, und nährte ihre Skrupellosigkeit. Die Operation Sommergewitter würde ein Ansturm von entfesselten Bestien werden.


    Die Dunkelheit nahm zu. Mit der Turma Prima hatte die Ala ihr Licht verloren.

    "Selbstredend. Kläre das und melde dich kurz bei mir, wenn du weißt, ob es klargeht. Es genügt ein Zettel im Postfach. Dann weiß ich, ob ich dich persönlich besuchen beziehungsweise dir schreiben kann, wenn etwas anliegt, oder ob das über die üblichen Umwege gehen muss. Götter, ich hoffe, die haben ein Einsehen", stöhnte Sabaco bei der Vorstellung, wegen jeder Frage den Stab behelligen zu müssen.


    Sein eigener Stab hatte natürlich zugestimmt, sonst säße er nicht hier. Für die Operation Sommergewitter hatte er Befugnisse erhalten, die für einen Decurio äußerst großzügig ausgelegt waren. Sicher wegen dem geflossenen Geld, aber wohl auch, da er als Spross einer ritterlichen Gens eigentlich dafür prädestiniert war, als Tribun zu dienen. Wie so oft scheiterte es am Vermögen, in dem Fall am Grundbesitz. Aber er brauchte den schmalen roten Streifen nicht auf der Tunika; als Decurio war er unmittelbar im Geschehen. Er würde Germania entreißen, was ihm geraubt worden war.


    "Hast du Erfahrung in großangelegten Operationen?"

    "Bruder, wenn es notwendig ist, reite ich mit der Ala gegen die Götter, um deine Wünsche durchzusetzen. Ich erobere das Elysium und setze den Orcus in Brand, damit es dir gut geht. Ich will nicht auch noch dich verlieren. Ich werde dich nicht verlieren! Und um dir eine Sorge zu nehmen: Ich habe mich im Griff, ich bin Decurio und trage Verantwortung für eine sehr wichtige Operation. Glaub es oder lass es sein, aber ich bin ein anständiger Mann geworden."


    Was allerdings weniger an Sabacos plötzlichem Sinneswandel lag, sondern daran, dass er eine gut laufende Beziehung führte. Und daran, dass er ein Ziel vor Augen sah, für das sein Herz in schwarzen Flammen stand: ihren jüngsten Bruder zu retten.


    "Wenn du mal was übrig hast, schneide mir eine Scheibe von deiner Arschruhe und deiner Geduld ab. Aber erst, wenn Ocella wieder sicher im Schoß der Familie weilt. Vorher will ich von Geduld nichts hören, ich brauche Zorn im Herzen. Apropos Arschruhe und knackiger Arsch." Sabaco grinste und stieß Avianus sacht mit der Stirn gegen den Schädel. Die brüderliche Geste ersetzte den Rest des Satzes, denn er war sicher, sein Bruder wusste, was Sache war. Sabaco hatte noch nie einen Unterschied gemacht, er genoss den Luxus der doppelten Auswahl.


    Dann drückte er dem Großen seinen Krempel zurück in die Arme.

    "Mein Sohn ist ein Bastard, da ich ihn mit einer Peregrina zeugte. Er lebt bei Germanen, Nero ...


    Ein Bastard ist er, da ich nicht mit der Mutter verheiratet bin. Darf ich als Soldat heiraten? Damals durfte ich es nicht. Jetzt als Decurio könnte ich es vielleicht. Möchte ich das, nur damit der Junge kein Bastard ist?" Er strich über Neros stoppeligen Kiefer, vor zum Kinn, küsste ihn erneut. "Irgendwann muss ich heiraten, das ist gesetzlich so geregelt und ich muss den guten Namen der Gens wahren, aber es wird keine Peregrina sein, sondern eine Römerin. Dieser Tag ist allerdings noch fern, es ist niemand in Sicht und mein Bedarf gering.


    Also, sprechen wir über die Schlangenbrut. Du möchtest sie hier in Germania haben? Dann müssen wir sie finden. Castor und Pollux heißen sie, leben in Rom. Mehr ist dir nicht bekannt?"

    "Ich habe einen Sohn", antwortete Sabaco wahrheitsgemäß. "Aber er ist ein Bastard. Ich wollte ihn adoptieren, aber ich weiß nicht, wie es dann weitergeht. Ich lebe hier in der Castra und das wird sich nicht ändern. Meine Aufgabe ist die Operation Sommergewitter, nicht, den Jungen zu hüten. Oder meinst du, Castor und Pollux und er könnten ... ich meine, sie wären Spielgefährten."


    Dass Castor und Pollux bereits erwachsen waren, konnte Sabaco nicht wissen. In seiner Vorstellung waren sie so alt wie sein Sohn, der sich im Jünglingsalter befinden müsste. Würde er nachrechnen, wüsste er sein Alter, doch er tat es nicht. Den eigenen Sohn liebte er weitaus weniger als seinen Geliebten oder seinen Bruder. Die Aussicht, dass jemand ihm die Verantwortung für den Jungen abnahm, hörte sich nicht schlecht an.